Skip to main content

Full text of "Philosophische Monatshefte"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Ă„bout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  fĂĽll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
ĂĽber  maschinelle  Ăśbersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchfĂĽhren,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  groĂźen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  ĂĽber 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  ĂĽber  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  DafĂĽrhalten  fĂĽr  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  ĂĽberall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Ăśber  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  BĂĽcher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstĂĽtzt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


> 


Vi«i 


i 


Philosophische  IMonatshefte. 


VS  r^  -^-(f-  • 


Unter  Mitwirkung 


von 


Dr.  F.  A-scherson, 

Gustos  an  der  UniversiUtsbibliothek  zu  Berlin, 

sowie  mehrerer  namhaften  Fachgelehrten 

redigirt  und  herausgegeben 


von 


C.  Schaarschmidt. 


XVII.  Band. 


LEIPZIG, 
Verlag  von  Erich  Koschny  (L.  Heiniann's  Verlag). 

1881. 


InhaltsTerzelclmlss* 


L    Abhandlimgen  nnd  Anfiiätse. 

'Seit« 

lieber  Plato's  Parmenides.    Von  Präs.  v.  Kirchmann  ....  1—27 

Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  und  die  Wundt'sche  Logik. 

Von  Th.  Lipps.    H.  ÜI.  IV    .    .    .    .   28—58.  198—226.    427—445 
Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  in  der  einfachsten  Form 

der  Begriffsbildung.    Von  J.  Volkelt 129—150 

Lessing  und  Kant.    Ein  kleines  Gedenkblatt.    Von  dem  Red.  .    193—198 
Ueber  das  VerhSltniss  der  logischen  zur  mathematisch  -  natur- 
wissenschaftlichen Reflexion.    Von  A.  Stadler 321—342 

Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  und  die  Bedeutung  der  Ne- 
gation.   Von  J.  J.  Borelius 385--427 

Die  Aufgabe  und  die  Fundamentalschwierigkeit  der  Erkenntniss- 
theorie als  einer  voraussetzungslosen  Wissenschaft.    Von 

J.  Volkelt 513-541 

Was  ist  Begriff?    Von  6.  Knauer 542-558 

Wundl^s  Lehre  vom  Willen   und  sein  animistischer  Monismus. 

Von  J.  Baumann 558—602 

Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  durch  Kantus  Kritik 

der  reinen  Vernunft  und   der  virtuelle  Aphorismus  der 

letzteren.    Von  J.  Witte 602—613 


n.    Recensionen,  Referate  und  Anseigen. 

Bilharz,  S.  A.,  Der  heliocentrische  Standpunkt  der  Weltbetrach- 
tung (von  L.  Weis) 59—71 

Drossbach,  M.,  Ueber  Kraft  und  Bewegung  (v.  d.  Red.)  .    .    .  71—75 

Naville,  E.,  La  logique  de  Thypothöse  (v.  d.  Red.) 76—78 

Leclair,  A.  v..  Der  Realismus  der  modernen  Naturwissenschaft 

(v.  J.  Kreyenbühl)      .    .    , 78—82 


IV 

Seite 

Höffding,  H.,  Die  Grundlagen  der  humanen  Ethik  (v.  d.  Red.)  82—89 
Falckenberg,  R„  lieber  den  intelligiblen  Charakter  (v.  J.  Volkelt)  89—94 
Roskoff,  6.,   Das  Religionswesen  der  rohesten  Naturvölker  (v. 

d.  Red.) 95-98 

Thilo,  Gh.  A.,  Kurze  pragmatische  Geschichte  der  Philosophie 

(v.  0.  FlĂĽgel) 99-100 

Leibnis,  G.  W.,  Die  philosophischen  Schriften,  herausg.  v.  G.  J. 

Gerhardt.    Bd.  IV  (v.  d.  Red.) 102-104 

JoSl,  M.f  Blicke  in  die  Religionsgeschichte  zu  Anfang  des  zwei- 
ten christlichen  Jahrhunderts  (v.  d.  Red.) 104—105 

Döring,  A.,  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik  (v.  L.  Rabus)    .  150—158 

K^ftoodt,  P.,  Anton  Günther  (v.  Weber) 158—169 

Witte,  J.,  Die  Philosophie  unserer  Dichterheroen  (v.  L.  Weis) .  169—178 

Bahnsen,  Realdialectik  (v.  E.  v.  Hartmann) 227—260 

Gantoni,  G.,  Emm.  Kant  (v.  A.  Lasson) 260—266 

Fouill^,  Alf^.,  La  science  sociale  contemporaine  (v.  Fr.  Jodl)  .  266—272 

Michelis,  F.,  Katholische  Dogmatik  1      v.  a7«_aQfi 

Schöberlein,  L.,  Das  Princip  und  System  der  Dogmatik /L.  Weis* 

Kühl,  Jos.,  Die  Descendenzlehre  und  der  neue  Glaube  (v.  L.  Weis)  280—287 
Hartmann,  E.  v.,   Zur  Greschichte  und  BegrĂĽndung  des  Pessi* 

mismus  (v.  d.  Red.) 287—292 

Baumann,  J.,  Handbuch  der  Moral  (v.  Fr.  Kirchner)   ....  343—347 
Glogau,  G.,  Abriss  der  philosophischen  Grundwissenschaften  (v. 

L.  Rabus) 347-351 

Bergmann,  J.,  Sein  und  Erkennen  (v.  A.  Lasson) 352—360 

Steinthal,  H.,  Gesammelte  kleine  Schriften  I.  (v.  A.  Boltz)  .    .  360—363 

Pollock,  Fr.,  Spinoza  (v.  d.  Red.) 363—367 

Pfleiderer,  Edm.,  Eudaemonismus  und  Egoismus  (v.  J.  Bergmann)  445—460 
Uphues,  K.,  Das  Wesen  des  Denkens  nach  Piaton  (v.  Weber) .  460—474 
Wallace,  W.,  Ghiefancient  philosophiesEpicureanism(v.  d.Red.)  474—476 
Hartmann,  Ed.  v..  Die  Krisis  des  Ghristenthums  in  der  moder- 
nen Theologie  (v.  d.  Red.) 477—483 

Masaryk,  Th.  G.,  Der  Selbstmord  u.  s.  w.  (v.  d.  Red.)    .    .    .  484—488 
Danzel,  Th.  W.  und  Guhrauer,  G.  E.,  Gottfried  Ephraim  Lessing. 
2.  Aufl.  herausg.  â–Ľ.  W.  v.  Maltzahn  und  R.  Boxberger  (â–Ľ. 

d.  Red.) 488—489 

Fischer,  K.,  G.  E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Litera- 
tur (v.  d.  Red.) 489-491 

Litteraturbericht 

L  Zur  Erinnerung  an  K.Ghr.  Planck;  Ueber  die  aristotelische 
Psychologie  und  Sinnenlehre  (Issigonis  u.  Ritter)  (v.  H. 
Heussler);  Neue  Schriften  ĂĽber  Nicolaus  vonGues  (Uebinger 
und  Falckenberg)  (v.  R.  Eucken);  Vignoli,  F.,  Ueber  das 
Fundamentalgesetz  im  Thierreiche  (y.  d.  Red.)     ,    .    .    .    113—119 


Sdf« 

n.  Talne,  H.,  Der  Verstand.  Uebenetzt  von  L.  Siegfried;  Vo- 
gel. H.  W.,  Aus  der  neuen  HexenkĂĽche;  Dreher,  Eug.,  Bei- 
träge zu  einer  ezacten  Psycho-Physiologie;  Richter,  C.  v., 
Prof.  Zöllners  Hypothese  einer  yierten  Dimension  des 
Raumes;  Meyer,  Rieh.,  Ueber  Bestrebungen  und  Ziele  der 
Wissenschaft!.  Chemie;  Hayr,  Rieh.,  Voltaire -Studien  (v. 
d.  Red.) 178-184 

ni.  Turbiglio,  S.,  Le  antitesi  etc.  (v.  A.  Lasson);  Neff,L.,  Ueber 
die  Abfassungszeit  von  Leibnizens  Unvorgreiflichen  Ge- 
danken; Erdmann,  B.,  Imm.  Kants  Kritik  derUrtheilskraft; 
Kirchmann,  J.  H.  v.,  Imm.  Kant*s  Kritik  d.  r.  V.  5.  Aufl. 
(y.  d.  Red.);  Notiz  den  Kanttezt  betreffend  (v.  H.  Vaihinger); 
Hertling,  6.  Freiherr  Y.,  Albertus  Magnus;  Albertus  Magnus 
in  Geschichte  und  Sage;  Kirchmann,  J.  H.  y.,  Plato's  Dia- 
log Theaetet;  ders.,  Erläuterungen  zu  des  Aristoteles  Po- 
litik; Golerus,  J.,  LeYen  Yan  Spinoza.  Nieuwe  UitgaYe  (y. 
d.  Red.) 293-302 

IV.  Kirchner,  Fr.,  Ethik  (y.  d.  Red.),  TeichmĂĽller,  G.,  Ueber 
das  Wesen  der  Liebe  (y.  Fr.  Hoffmann);  Siebenlist,  A., 
Schopenhauers  PhOosophie  der  Tragödie  (y.  G.Neudecker); 
Noble,  G ,  die  Staatslehre  Plato*s 368—375 

V.  Laban,  Fr.,  DieSchopenhauerlitteratur;  Apelt,  0.,  Der  Par- 
menides  des  Plato;  Pappenheim,  E.,  Erläuterungen  zu  des 
Seztus  Empiricus  Pyrrhoneischen  Grundzflgen;  Preyer,  W., 
Naturw.  Thatsachen  und  Probleme  (y.  d.  Red.);  Zur  Reli- 
gionsphilosophie: Wernicke,  A.,  Die  Religion  des  Gewissens 
u.  s.  w.;  Jankowski,  ÂŁ.,  Pisticismus  und  Substantialismus ; 
Schmid,  U.  R.,  Der  Streit  wider  den  unbewussten  Atheis- 
mus dieser  Zeit;  ders.,  Darstellung  der  christl.  Religion; 
ders.,  ein  Mahnruf  an  unsere  2<eit;  Arbes,  J.,  meine  For- 
schungen im  Gebiete  des  Geistes  (y.  Arth.  Jung);  Tower,  W., 
Das  Wesen  der  Form  (y.  d.  Red.) 492—504 

VI.  Hoffmann,  Fr.,  Philosophische  Schriften.  Bd.  VIL  (y.  L. 
Rabus);  Lehmann,  0.,  Ueber  Kants  Principien  der  Ethik 
o.  s.  w.  (y.  d.  Red.) 623—626 


m.    Entgegniuigeii. 

GontroYerse  zwischen  Prof.  Michelet  und  Prof.  Weis  ....    113—119 
Entgegnung  Yon  Dr.  A.  Bilharz.    Nachschrift  der  RedacUon    .    302—303 


VI 

Sdte 

IV.    VersoliiedeneB. 

Neu  bei  der  Redaction  eingegangene  Schriften  .    .    113—119.  184—185 

303—304.    375.    604—505.  626—627 

Bibliographie  von  Dr.  F.  Ascherson     .    120—125.    185—188.  304—310 

375—379.    505-508.  627—631 
Philosophische  Vorlesungen  an  den  deutschen  Hochschulen  im 

Sommer-Semester  1880 310—316.  379—380 

Recensionen-Verzeichniss     .    125—127.    188—191.    317—319.  380—383 

508—510.  632—635 

Aus  Zeitschriften      .    127—128.    191.    319.    384.    511—512.  635—636 

Nekrolog  H.  Lotze's 613—623 

Miscellen 128.    191—192.    320.  384.    512. 


Deber  Plato's  PamemdeH. 


Der  Dialog  Parmenides  gehört  zu  den  merkwürdigsten 
Schriften,  welche  aus  dem  Alterthum  auf  ims  gekommen 
sind.  An  seiner  Aechtheit,  als  einer  Schrift  Plato's,  ist  frĂĽher 
nie  gezweifelt  worden;  erst  neuerlich  haben  einige  Gelehrte 
Bedenken  dagegen  erhoben,  indess  wird  der  Dialog  selbst 
nach  den  eingehendsten,  in  Deutschland  und  England  gefĂĽhrten 
Untersuchungen  der  letzten  Jahrzehnte  von  der  grossen  Mehr- 
heit der  Gelehrten  als  eine  ächte  Schrift  Plato's  anerkannt. 

Kephalos  aus  Elazomenä  tritt  darin  auf  und  berichtet 
über  ein  Gespräch,  was  in  Athen  zwischen  Parmenides,  Zeno 
und  dem  damals  noch  jungen  Sokrates  stattgehabt,  und  des- 
sen Inhalt  ihm  seine  Freunde  in  Athen  mitgetheilt  hätten. 
Parmenides  und  Zeno,  die  beiden  bedeutendsten  Philosophen 
der  eleatischen  Schule,  seien  danach  einst  zu  den  Panathenäen 
nach  Athen  gekommen  und  Zeno  habe  da  bei  seinem  Gast- 
freund Pythodoros  eine  Schrift  von  sich  vorgelesen,  worin  er 
bewiesen  habe,  dass  der  Seienden  nicht  viele  sein  könnten, 
weil  sie  dann  ähnUch  und  auch  unähnlich  sein  tnüssten,  was  doch 
beides  zugleich  unmöglich  sei.  Sokrates  habe  dies  bestrit- 
ten, weil,  wenn  es  eine  Idee  der  Aehnlichkeit  und  auch  eine 
Idee  der  Unähnlichkeit  gebe,  die  einzelnen  Dinge  an  beiden 
Ideen  Theil  nehmen  könnten  und  ein  Widerspruch  nur  dann 
vorhanden  wäre,  wenn  das  Aehnliche  selbst  zugleich  das  Un- 
ähnliche sein  soUe;  dasselbe  gelte  auch  für  das  Viele  und 
das  Eines,  und  anderes  mehr.  Hierauf  habe  Parmenides 
die  mancherlei  Bedenken  geltend  gemacht,  welche  gegen  die 
Annahme  von  Ideen  sich  herausstellten.  Insbesondere  habe 
Parmenides  auf  die  folgerechte,  aber  bedenkliche  Ausdehnung 

Philosoph.  Konatshefte  1881.  I  n.  H.  1 


2  Y.  Eirchmann:  Ăśeber  Plato*s  Pannenides. 

der  Ideen,  selbst  auf  das  Unsittliche  und  Schmutzige,  sowie 
auf  die  Unklarheit  des  Begriffes  vom  Theilhaben  der  einzelnen 
Dinge  an  den  Ideen  hingewiesen.  Sokrates  habe  nach  Mög- 
lichkeit die  Ideenlehre  vertheidigt,  aber  öiletzt  von  den  Ein- 
würfen des  Parmenides  sich  für  besiegt  erklärt. 

Darauf  habe  Pannenides  dem  Sokrates  wieder  Muth  ein- 
gesprochen und  ihn  gelehrt,  wie  er  die  Philosophie  betreiben 
mĂĽsse.  Insbesondere  habe  Parmenides  ihm  gerathen,  in  der 
Dialektik  auf  die  Weise,  wie  sie  von  den  Eleaten  ausgebildet 
worden  war,  sich  zu  ĂĽben  und  insbesondere  bei  jedem  Satze 
nicht  bloss  das  zu  prĂĽfen,  was  aus  seiner  Bejahung  sich 
ergebe,  sondern  auch  das,  was  aus  seiner  Yemeinung  folge; 
und  ebenso  auch  bei  den  Begriffen  zu  verfahren,  welche  die 
Gegensätze  zu  denen  der  Thesis  bildeten.  Da  Sokrates  dies 
nicht  ganz  verstanden,  so  habe  er  den  Parmenides  gebeten, 
ihm  ein  Beispiel  solcher  Anwendung  der  dialektischen  Me- 
thode zu  geben,  und  da  auch  Zeno  sich  dem  angeschlossen, 
so  habe  Parmenides  sich  endlich  dazu  bereit  erklärt  und  den 
Hauptsatz  seiner  Lehre,  dass  nur  Eines  sei,  zu  seinem 
Thema  gewählt,  wobei  der  mit  anwesende  jüngere  Aristo- 
teles, welcher  später  zu  den  dreissig  Tyrannen  gehörte,  die 
Rolle  des  Antwortenden  ĂĽbernommen  habe. 

Mit  Kap.  10  beginnt  nun  diese  AusfĂĽhrung  des  Parme- 
nides, welche  den  ganzen  ĂĽbrigen  Theil  des  Dialogs  ausfĂĽllt  und 
den  Hauptbestandtheil  desselben  bildet.  Die  erzählende  Form 
durch  Eephalos  wird  hier  von  Plato  bei  Seite  gesetzt  und 
das  Gespräch  zwischen  Parmenides  und  Aristoteles  direkt 
mitgetheilt.  Aristoteles  spielt  dabei  eine  höchst  unbedeutende 
Rolle  und  sagt  nur  zu  Allem  Ja  oder  Nein;  von  der  Sokra- 
tischen  Hebammenkunst  ist  in  diesem  Haupttheil  des  Dialogs 
nichts  zu  finden. 

In  Uebereinstimmung  mit  den  dem  Sokrates  gegebenen 
Anweisungen  zerfallt  die  Rede  des  Parmenides  in  zwei  Haupt- 
stĂĽcke; im  ersten  wird  dargelegt,  was  daraus  folge,  wenn  das 
Eines  ist  (existirt);  im  zweiten,  was  daraus  folge,  wenn  das 
Eines  nicht  ist.  Das  erste  HauptstĂĽck  zerfallt  dann  in  vier 
Abschnitte;  im  ersten  (Kap.  10—12)  wird  gezeigt,  dass  das 
Eines  nicht  Vieles  sein  könne;  im  zweiten  Abschnitt  (Kap. 


T.  Kirchmann:  lieber  Plato*8  Parmenides.  3 

13 — 21)  wird  das  Entgegengesetzte  von  dem  hn  ersten  Ab- 
schnitt Gefeierten  bewiesen  und  all  die  Prädikate,  welche 
iiD  ersten  Abschnitt  dem  Eines  beigelegt  worden  sind,  werden 
hier  vemrint.  Im  dritten  Abschnitt  (Kap.  22)  wendet  sich  Par- 
menides  in  Gemässheit  seiner  dem  Sokrates  gegebenen  An- 
weisungen zu  der  Frage:  Was  wird  bei  den  Andern 
(t'  aXXa)  eintreten,  wenn  das  Eines  ist?  Die  Andern 
werden  hier  als  der  conträre  Gegensatz  des  Eines  behandelt 
und  daraus  eine  Reihe  von  Prädikaten  abgeleitet,  welche  den 
Anderen  in  diesem  Falle  zukommen  sollen.  Im  vierten  Ab- 
schnitt (Kap.  23)  wird  dann  aus  dem  Umstände,  dass  die 
Andern  als  von  dem  Eines  verschieden  gesetzt  sind,  wieder 
das  Entgegengesetzte  von  den  in  Kap.  22  den  Andern  bei- 
gelegten Prädikaten  abgeleitet  und  ihnen  zugesprochen. 

Das  zweite  HauptstĂĽck  der  Rede  des  Parmenides  (Kap.  24 
bis  zum  Schluss)  geht  dann  von  der  Annahme  aus,  dass  das 
Eines  nicht  ist  Die  hieraus  fĂĽr  das  Eines  und  die  Andern 
hervoi^henden Folgen  werden  hier  in  gleicherweise  mittelst 
der  elealischen  Dialektik  entwickelt.  Auch  dieses  HauptstĂĽck 
zerfSDt  in  vier  Abschnitte.  Im  ersten  (Kap.  24)  wird  dar- 
gelegt, dass,  wenn  auch  das  Nicht-Eines  an  dem  Sein  nicht 
Theo  nehme,  doch  viele  andere  Bestimmungen  von  ihm  aus- 
gesagt werden  köimten;  ja  zuletzt  wird  bewiesen,  dass  es 
auch  an  (fem  Sein  Theil  nehme.  Im  zweiten  Abschnitt 
(Kap.  25)  wird  dagegen  aus  dem  Nicht -Sein  des  Eines  das 
Entgegei^esetzte  von  dem  im  ersten  Abschnitt  Bewiesenen 
dargethan.  Im  dritten  Abschnitt  (Kap.  26)  wird  untersucht, 
was  bei  den  Andern  eintreten  mĂĽsse,  wenn  das  Eines  nicht 
ist  Hier  werden  direkt  sich  widersprechende  Prädikate  in 
gleich  folgerechter  Weise  daraus  abgeleitet,  und  Parmenides 
zur  Unterscheidung  von  wirklichen  und  nur  scheinbaren  Prä- 
dikaten gendthigt  Im  vierten  Abschnitt  (Kap.  27,  dem 
Schlusskapitel)  wird  wieder  das  Gegentheil  von  dem  im  drit- 
ten Abschnitt  bewiesen,  und  der  Dialog  schliesst  als  Resultat 
mit  dem  Satze,  dass,  möge  das  Eines  sein  oder  nicht  sein, 
es  selbst  und  die  Andern,  sow(^l  in  Bezug  auf  sich,  wie  auf 
einander  durchaus  Alles  sind  und  auch  Alles  nicht  sind,  und 
äataa  sie  Alles  scheinen   und   auch   nicht  scheinen,   worauf 


4  T.  Kirchmann:  lieber  Plato*s  Parmenides. 

Aristoteles :  „Ganz  richtig"  sagt,  und  der  Dialog  damit  schliesst. 
Ein  historischer  Abschluss  in  Bezug  auf  die  redenden  Personen, 
wie  er  in  den  meisten  Dialogen  Plato's  vorkommt,  fehlt  hier. 

Die  Schwierigkeiten,  welche  dieser  Dialog  bietet,  sind 
nun  sehr  mannigfacher  Art.  Zunächst  ist  schon  das  Yer- 
ständniss  desselben  nicht  leicht;  selbst  der  griechischen  Sprache 
wird  darin  in  Folge  der  als  Eigenschaften  behandelten  Be- 
ziehungsformen mannigfache  Gewalt  angethan,  wie  später  sich 
ergeben  wird.  Indess  muss  man  anerkennen,  dass  diese 
sprachlichen  Schwierigkeiten  schon  von  Schleiermacher  zum 
grossen  Theil  glĂĽcklich  ĂĽberwunden  worden  sind,  und  dass 
dies  auch  von  der  MĂĽUer'schen  Uebersetzung  gilt.  Ein  Um- 
stand, welcher  das  genaue  Verständniss  dieses  Dialogs  sehr 
erschwert,  liegt  in  der  Zweideutigkeit  des  griechischen  iori 
und  €v.  Ersteres  bezeichnet,  wie  auch  das  deutsche  „ist** 
im  Urtheile  bald  nur  die  logische  Verbindung  (copula)  von 
Prädikat  und  Subjekt,  bald  aber  auch  die  Existenz  von  bei- 
den, also  das,  was  Existenzialsatz  genannt  zu  werden  pflegt. 
An  mehreren  Stellen  des  Dialogs  wird  der  Beweis  dadurch 
gefĂĽhrt,  dass  dem  ersten  Sinn  des  eatt  unvermerkt  der  zweite 
untergeschoben  wird. 

Noch  mehrdeutiger  ist  das  ey^  was  eine  so  grosse  Rolle 
in  diesem  Dialoge  spielt.  Es  wird  darin  in  viererlei  Sinne  ge- 
braucht; 1)  bezeichnet  es  die  Eins  (die  Ziffer  1),  also  das 
Element,  aus  dem  die  Zahlen  sich  bilden;  2)  bezeichnet  es 
das  Eines  im  Sinne  der  Eleaten,  also  ein  Seiendes,  ja  das 
allein  Seiende,  neben  dem  nichts  Anderes  besteht;  3)  be- 
zeichnet es,  wie  das  ti,  das  Einzelne  im  Gegensatz  zu  dem, 
alle  Einzelnen  befassenden  Begriffe,  wofĂĽr  im  Deutschen  der 
Artikel  ein,  eine,  eines  benutzt  wird;  und  4)  bezeichnet  es 
die  Einheit,*  welche  unterschiedene  Bestimmungen  voraus- 
setzt und  diese  durch  ihr  einendes  Band  zu  einem  Gegen- 
stande verknüpft.  So  bilden  die  Blätter,  Blüthen  und  der  Stiel 
durch  das  einende  Band  der  räumlichen  Berührung  eine  Blume; 
so  ist  das  Weisse,  Harte  und  Kalte  mittelst  der  räumlichen 
Durchdringung  dieser  Eigenschaften  zu  einem  EisstĂĽck  ver- 
knüpft. Zum  sicheren  Verständniss  jeder  Uebersetzung  dieses 
Dialogs  gehört  nun,  dass  diese  vier,  sehr  verschiedenen  Be- 


â–Ľ.  Kirefamanii:  Ăśeber  Plato's  Parmenides.  5 

deutungen  des  ey  durch  bestimmte  Worte  im  Deutschen  un- 
terschieden gehalten  werden.  Glucklicherweise  ist  dies  mög- 
lich; eins  fĂĽr  Nr.  1;  Eines  (indeklinabel)  fĂĽr  Nr.  2;  ein, 
eine,  eines  fĂĽr  Nr.  3  und  Einheit  fĂĽr  Nr.  4.  Leider  ist 
selbst  in  den  beiden  genannten  Uebersetzungen  diese  Bedin- 
gung nicht  immer  eingehalten  worden  und  dadurch  das  Ver- 
ständniss  des  Dialogs  bei  denselben  erschwert.  Ebenso  ist 
es  besser,  das  Tcnrvoy  mit  dasselbige,  statt  mit  Einerlei 
(Schkiermacher)  zu  ĂĽbersetzen  und  ra  moHa^  und  r'  aXka 
nicht  mit  das  Viele  und  das  Andere,  wie  Schleiermacher 
und  MuUer  gethan,  zu  ĂĽbersetzen,  sondern  mit  d  i  e  Vielen, 
die  Andern,  um  dadurch  den  Plural  gegen  den  Singular  des 
Eines  starker  hervorzuheben,  obgleich  allerdings  der  Singular 
der  deutschen  Sprache  mehr  entspricht  und  auch  im  Grie- 
chischen jene  Worte  nĂĽt  dem  Singular  des  Verbums  construirt 
werden. 

Diese  sprachlichen  Schwierigkeiten  sind  indess  lange  nicht 
so  bedeutend,  als  jene,  welche  sich  an  den  philosophischen 
bhalt  des  Dialogs  knĂĽpfen;  insbesondere  an  die  Fragen, 
welche  Person  und  welche  Stellen  des  Dialogs  die  eigene 
Meinung  und  Ansicht  des  Plato  ausdrĂĽcken,  und  welche  Ab- 
sicht ĂĽberhaupt  Plato  mit  diesem  Dialog  verfolgt  habe;  ins- 
besondere weshalb  er  die  Ideenlehre  hier  eingemischt  hat  und 
den  Sokrates  bei  deren  Widerlegung  durch  Parmenides  sich  be- 
ruhigen lässt;  femer,  weshalb  Parmenides  in  dem  Haupt- 
theile  des  Dialogs  weit  ĂĽber  seine  eigene  positive  Lehre  hin- 
ausgeht und  dem  Sein  und  dem  Eines  Prädikate  zutheilt,  welche 
seiner  Lehre,  wie  die  auf  uns  gekommenen  Fragmente  seines 
Gedichtes  ergeben,  geradezu  widersprechen;  weshalb  femer  Par- 
menides mit  der  grössten  Unbefangenheit  dem  einen  seiner  Be- 
weise  mit  einer  gewissen  Pedanterie  gleich  den  Beweis  des  ent- 
gegen gesetzten  Ausspmchs  folgen  lässt,  ohne  nur  eine  Miene 
deshalb  zu  verziehen,  und  als  wenn  dies  etwas  ganz  NatĂĽrliches 
wäre;  endlich  weshalb  der  Dialog  mit  einem  Resultate  abschliesst, 
in  welchem  die  Widerspräche  in  der  stärksten  Weise  für  alles 
nur  Mögliche  ausgesprochen  werden,  ohne  dass  auch  nur  die 
geringste  Andeutung  gemacht  wird,  wie  man  diesem  ver- 
niditenden  Resultate  entgehen  könne  und  in  welchem  von  Plato's 


6  y.  Kirchm&nn:  lieber  Plato's  Pamienides. 

Dialogen  ein  Aufschluss  über  diese  Räthsel  gegeben  werden 
solle. 

Die  Lösung  dieser  Bedenken  und  Zweifel  ist  so  schwie- 
rig, dass  daraus  sich  genĂĽgend  die  grosse  Verschiedenheit  der 
Urtheile  erklärt,  welche  in  Bezug  auf  diese  Fragen  und  den 
Dialog  geĂźLllt  worden  sind.  Bereits  bei  den  Neuplatonikern 
galt  dieser  Dialog  als  ein  Schatz  der  tiefsten  Wahrheiten  und 
Geheimnisse;  sie  erhoben  ihn  zu  einer  heiligen  Urkunde  voll 
göttlicher  Offenbarungen.  Plotin,  Proklos,  Syrianus 
finden  in  den  Begriffen  dieses  Dialogs  ihre  ganze  Theosophie 
vorgebildet.  Als  im  15.  Jahrhundert  das  Studium  der  Philo- 
sophie Plato's  wieder  auflebte,  trat  der  berĂĽhmte  ĂĽebersetzer 
des  Plato,  Marsilius  Ficinus,  den  Ansichten  des  Proklos 
bei  und  memte,  Plato  habe  in  diesem  Dialoge  die  ganze 
christliche  Theologie  befasst,  und  man  mĂĽsse  durch  Fasten 
und  Beten  sich  zum  Studium  desselben  vorbereiten. 

Tiedemann  war  der  Erste ,  welcher .  diesen  Ueber- 
schwenglichkeiten  entgegen  trat.  Er  konnte  in  dem  Dialog 
weder  Geheimnisse  noch  theologische  Offenbarungen  finden, 
sondern  erklärte  ihn  für  ein  leeres  dialektisches  Spiel  und  einen 
Haufen  von  Sophismen.  Auch  Tennemann,  Ast  und 
So  eher  traten  dem  im  Wesentlichen  bei;  Tennemann  fand 
in  dem  Dialog  eine  polemische  Tendenz  gegen  die  Lehre  der 
Eleaten.  Der  Dialog  sollte  nach  ihm  das  Muster  einer  wah- 
ren Dialektik  abgeben,  gegenĂĽber  der  Dialektik  der  Eleaten 
und  Megariker .  Socher  ging  sogar  so  weit,  dass  er  den  Dialog 
für  unächt  und  für  die  Gegenschrift  eines  Megarikers  gegen 
Plato  erklärte.  Auch  Schaarschmidt  erhebt  Zweifel 
gegen  die  Aechtheit  des  Dialogs.  Die  ĂĽbrigen  Gommentatoren 
schwanken^ in  ihren  Urtheilen  zwischen  diesen  Extremen  hin 
und  her.  Schleier  mach  er  meint,  der  Dialog  enthalte 
einen  speculativen  Kern ;  dabei  macht  er  aber  doch  dessen  dia- 
"^lektische  Form  zur  Hauptsache,  indem  Plato  dabei  auf  die 
Natur  gewisser  Beziehungsbegriffe  habe  aufmerksam  machen 
wollen.  Auch  Arnold  hält  den  Dialog  nur  für  ein  Uebungs- 
stĂĽck  im  Denken,  fĂĽr  eine  Art  Vorbereitung  zum  Studium  der 
Philosophie.  Dagegen  findet  Schmidt  in  dem  Dialog  nicht 
eine  bloss  formale  Dialektik,  sondern  die  Lösung  der  schwie- 


T.  Kirefamaim:  Ueber  Plato^s  Parmenidcs.  7 

rigslen  Probleme  der  Philosophie;  Succow  stimmt  dem  in 
noch  höherem  Maasse  bei.  Götz  findet  in  dem  Eines  und 
den  Vielen  des  Dialogs  den  Gegensatz  von  Gott  und  der 
Welt  Auch  Schwalbe  findet  darin  eine  voüständige  Dar- 
stellung dar  Ideenldure  Plato's  und  dessen  Philosophie  ĂĽber- 
haupt; die  abstracten  Sätze  des  Dialogs  gelten  ihm  für  blosse 
Allegorien,  hinter  denen  die  tiefsten  Wahrheiten  verborgen 
seien.  Nach  Stallbaum  und  Zeller  hat  Plato  den  Dialog 
zu  räier  Zeit  verfaß,  wo  er  selbst  mit  seiner  Lehre  noch 
nicht  im  Klaren  war.  Herrmann  findet  in  ihm  die  Ab- 
sicht, die  eleatische  Dialektik  mit  ihren  eigenen  Waffen  zu 
sdilagen  und  ĂĽber  sie  hinauszufĂĽhren.  Nach  Hegel  (Ge- 
sdiichte  der  Philosophie,  B.  II,  S.  241)  ist  im  Dialog  Parme- 
nides  die  ausgefĂĽhrte  eigentliche  Dialektik  enthalten  und  dieser 
Dialog  das  berĂĽhmteste  Meisterwerk  c(,er  platonischen  Dialektik. 
Deren  Werth  wird  von  Hegel  gerade  in  den  WidersprĂĽchen 
gefunden,  welche  Parmenides  bei  allem  und  jedem  darlegt. 
„Dieser  Dialoges  sagt  Hegel,  „ist  eigentlich  die  reine  Ideen- 
„lehre  Pfato's.  Er  zeigt  von  dem  Einen,  dass  es  ebensowohl 
,4st,  wie  nicht  ist,  und  dass  alle  Ideen  sowohl  sind,  wie  nicht 
„sind.  Sie  zeigen  sich  dialektisch,  sind  wesentlich  die  Iden- 
„titat  mit  ihrem  Andern  und  das  ist  das  Wahrhafte.*^ 
Dies  wird  dann  an  Hegel's  bekanntem  Beispiele  des  Wer- 
dens erläutert,  in  welchem  Sein  und  Nichtsein  enthalten  sei  und 
welches  die  untrennbare  Einheit  beider  sein  soll.  -~  Sehr  aus- 
fĂĽhrlich hat  sich  Steinhart  in  seiner  Einleitung  zur  MĂĽller- 
schen  Uebersetzung  ausgesprochen.  Der  formalen  Bedeutung 
nach,  sagt  er,  solle  der  Dialog  kein  vollkommenes  Muster  der 
Dialektik  abgeben,  sondern  nur  die  Schildenmg  eines  wer- 
denden Dialektikers  bieten,  der  die  volle  Klariieit  noch  nicht 
erreicht  habe.  Der  Dialog  solle  den  Geist  des  Lesers  an  ein 
strenges  Denken  gewöhne  imd  die  einfachsten  Grundbegriffe 
ihm  zum  Verständniss  bringen.  Die  in  dem  Dialoge  ent- 
wickelten Gegensatze  seien  kein  blosses  Spiel  mit  Worten, 
sondern  passende  Werkzeuge  für  die  Mittheilung  höherer  Er- 
kenntniss.  Der  Dialc^  enthalte  keine  entwickelte  Lehre  von 
Gott  und  der  Welt,  sondern  nur  die  festen  Säulen,  die  den 
neuen  Bau  zu  tragen  bestimmt  seien;   er  stelle  die  Grund- 


8  V.  Kirchmann:  Ceber  Plato's  Pannenides. 

lehren  der  eleatischen  Philosophie  viel  reiner  dar,  als  die  Be- 
gründer derselben  es  vermocht  hätten ;  er  enthalte  aber  auch 
eine  Widerlegung  derselben  und  die  Andeutung  neu^  Keime. 
Der  Gehalt  der  eleatischen  Lehre  habe  in  den  beiden  Sätzen 
gelegen,  dass  alles  wahre  Sein  ein  einiges  und  ewiges  sei,  und 
dass  das  Denken  seinem  Gegenstande  entsprechen  mässe.  Die 
Verknüpfung  beider  Sätze  bilde  den  Grundgedanken  des  Dia- 
logs, wonach  die  Einheit  das  Grundprincip  alles  Seins  und 
Denkens  ist.  Deshalb  werde  darin  dieser  Begriff  der  Einheit 
als  die  Wurzel  alles  Seins  und  Denkens  festgestellt  und  da- 
mit auch  fĂĽr  die  Ideenlehre  ein  fester  Grund  gewonnen.  In- 
dem die  Rede  des  Parmenides  im  Dialog  darlege,  dass  die 
abstracten,  von  ihm  behandelten  Begriffe  in  ihrer  Trennung 
zu  WidersprĂĽchen  fĂĽhren,  werde  die  Erkenntniss  vorbereitet, 
dass  diese  Gegensätze  nur  in  Verbindung  mit  einander  ge- 
dacht werden  können,  wie  sie  ja  auch  in  Wirklichkeit  stets 
verbunden  mit  einander  erscheinen.  Die  im  Dialog  fehlende 
Auflösung  dieser  Widersprüche  sei  nicht  mit  Ast  daraus  zu 
erklären,  dass  das  Ende  des  Dialogs  verloren  gegangen  sei, 
noch  mit  Schleiermacher  daraus,^  dass  Plato  durch  seine  Reise 
oder  andere  Unterbrechimgen  an  dessen  Vollendung  verhin- 
dert worden,  sondern  diese  Lösung  sei,  so  weit  sie  bei  der  ab- 
stracten Haltung  des  Dialogs  möglich  gewesen,  im  Laufe  des- 
selben fĂĽr  den  denkenden  Leser  bereits  klar  angedeutet 

Diese  Auffassung  Steinhart*s  ist  indess  theils  schwer  ver- 
ständlich, theils  sachlich  bedenklich.  Es  wird  darin  den 
Sätzen  des  Dialogs  ein  Sinn  untergelegt,  der  nur  mit  sehr 
kĂĽnstlichen  Mitteln  aus  ihm  herausgebracht  werden  kann. 
Gleichzeitig  werden  Hege  Tsche  Gedanken  in  unklarer  Weise 
in  den  Dialog  hineingetragen  und  besonders  abstossend  wirkt 
das  ewige  Gerede  von  der  Einheit  und  Vielheit  und  von  der 
höheren  Stufe,  welche  durch  die  Verbindung  beider  in  der 
Ideenlehre  Plato's  erreicht  sein  soUe.  Die  Auffassung  Stein- 
hartes ruht  wesentlich  auf  der  von  Hegel,  wenn  er  auch  den 
schroffen  Ausspruch  Hegel's,  dass  alles  Wahre  den  Wider- 
spruch enthalte,  nach  Möglichkeit  zu  mildern  sucht.  Sicher- 
lich kann  man  auf  die  Dinge  in  der  Welt  sowohl  den  Be- 
griff des  Einen,   wie  den  des  Vielen  anwenden.    Schon  im 


V.  Kirchmann:  Ueber  Plato^s  Parmenides.  9 

täglichen  Verkehr  wird  diese  Verbindung  in  dem  Begriffe  jedes 
concreten  Gegenstandes  fortwährend  vollzogen.  Das  Viele 
liegt  in  dessen  verschiedenen  Eigenschaften,  das  Eine  in  deren 
Verbindui^  durch  BerĂĽhrung  oder  Durchdringung.  Allein  eben 
deshalb  ist  mit  solchem  trockenen  Ausspruch  der  Verbindung 
beider  gar  nichts  besonderes  geboten;  vielmehr  hat  die  Philo- 
sophie die  Aufgabe,  zu  prĂĽfen,  wie  weit  diese  Verbindung 
sich  wirklich  erreichen  lasse  und  in  welcher  Weise  eventuell 
diese  Verbindung  sich  vollziehe;  sie  hat  das  einende  Band 
näher  zu  untersuchen  und  festzustellen,  ob  dieses  Band  dem 
Sein  oder  nur  dem  Denken  angehört.  Sie  hat  femer  die 
verschiedenen  Arten  der  Einheit,  in  welche  sie  sich  sondert, 
zu  ermitteln.  Erst  dadurch  wird  jener  abstracte  Satz  von 
der  Verbindung  des  Einen  und  der  Vielen  aus  einer  blossen, 
wenn  auch  unsäglich  oft  wiederholten  Phrase,  zu  einer  Kategorie 
von  voller  Bestimmtheit  und  grosser  praktischen  Bedeutung. 
Die  AusfĂĽhrungen  Steinhartes  bewegen  sich  nach  der 
Weise  HegePs  vielfach  in  AussprĂĽchen,  welche  die  Wahrheit 
in  der  Einheit  vom  Entgegengesetzten,  ja  vom  Widersprechen- 
den suchen.  Dergleichen  nimmt  allerdings  den  Schein  des 
Geistreichen  und  einer  tiefen  Weisheit  an,  aber  leider  auf 
Kosten  der  Klarheit  und  Bestimmtheit.  Deshalb  dĂĽrfte  auch 
die  von  Steinhart  gebotene  Ansicht  schwerlich  den  Lesern 
genĂĽgen,  welche  vor  Allem  diese  letzten  Bedingungen  erfĂĽllt 
verlangen.  Aehnliches  gilt  von  dem  Urtheile  Hegel's  ĂĽber 
den  Dialog.  Das  Komische  in  der  Philosophie  HegeFs  ist, 
dass  er  die  Wahrheit  gerade  in  dem  Widerspruche  der  in 
einem  Begriffe  oder  Satze  enthaltenen  Bestimmungen  findet, 
aber  dabei  nicht  ansteht,  seine  Gegner  lediglich  dadurch  zu 
widerlegen,  dass  er  ihnen  WidersprĂĽche  in  ihren  Behauptungen 
nachweist,  womit  denn  doch  in  ziemlich  naiver  Weise  aner- 
kannt wird,  dass  der  Widerspruch  das  Kriterium  der  Un- 
wahrheit und  zugleich  das  einzige  Mittel  ist,  einen  Gegner  zu 
widerlegen.  Wenn  Hegel  das  „Werden**  als  einen  Beweis  für 
seine  Ansicht  benutzt,  so  geschieht  es  nur  durch  Entstellung 
dieses  Begriffs.  Das  Werden  enthält  als  solches  weder  das  Sein 
noch  das  Nichtsein,  sondern  es  liegt  zwischen  beiden ;  es  beginnt 
nur  mit  dem  Nichts  und  endet  mit  dem  Sein.  Das  Werden  ist 


10  Y.  Kirefamann:  Ueber  Plato's  Parmenides. 

eine  stetige  Bestimmung,  welche  ohne  eine  Zeitgrösse  nicht 
möglich  ist;  in  einem  Zeitmoment  ist  das  Werden  so  un- 
möglich, wie  die  Bewegung  in  einem  Raum  punkte.  Des- 
halb steckt  in  dem  Werden  innerhalb  seines  Zeitraums  schon 
ein  Sein,  was  gleich  mit  dem  Beginn  des  Werdens  ebenfalls 
beginnt  und  nur  in  Bezug  auf  das  am  Ende  erreichte  Sein 
noch  nicht  als  das  fertige  Sein  gilt.  Wenn  man  dies  be- 
achtet, zeigt  sich  das  IrrthĂĽmliche  der  Ansicht  HegeFs. 

lAsst  man  diese  KĂĽnsteleien  bei  Seite,  geht  man  von  einem 
natĂĽrlichen  imd  einfachen  Standpunkte  aus  und  macht  man 
sich  frei  von  der  ĂĽberschwenglichen  Bewunderung  Plato's, 
welche  die  meisten  Gommentatoren  verleitet  hat,  viel  Höheres 
und  Geheimnissvolleres  hinter  diesem  Dialog  zu  suchen,  als 
dem  Plato  eingefallen  ist,  so  dĂĽrfte  sich  eine  viel  einfachere 
Antwort  auf  die  oben  gestellten  Fragen  ergeben.  Man  mag 
in  den  mystisch  gehaltenen  Schilderungen  Plato's  im  Timäus, 
in  einzelnen  Stellen  der  Republik  dergleichen  Geheimnisse  und 
eine  Wahrheit  höheren  Grades  suchen,  aber  hier  sollte  schon 
die  kalte  verständige,  streng  logische  Behandlung  der  Fragen 
davon  abhalten,  dergleichen  wunderbare  Leistungen  und 
Offenbarungen  in  dem  Dialoge  zu  finden.  Wie  kann  man 
z.  B.  in  dem  Theile  des  Dialogs,  welcher  von  den  Ideen  han- 
delt, eine  BegrĂĽndung  oder  Rechtfertigung  der  Ideenlehre 
finden,  während  doch  von  Parmenides  nur  die  bekannten, 
auch  in  der  Metaphysik  des  Aristoteles  wieder  benutzten. 
GrĂĽnde  gegen  sie  geltend  gemacht  werden  und  der  Ver- 
theidiger  derselben,  der  junge  Sokrates,  sich  zuletzt  fĂĽr  be- 
siegt erklärt?  Wie  kann  in  den  ununterbrochen  dargeleg- 
ten Widersprüchen  der  spätem  Rede  des  Parmenides  über- 
haupt eine  Beziehung  auf  die  Ideen  Plato's  gefunden  wer- 
den ?  Wie  konnte  es  dem  Plato,  wenn  er  dies  gewollt,  mög- 
lich sein,  mit  einem  Resultate  den  Dialog  abzuschliessen, 
welcher  alles  Sein  und  Wissen,  also  auch  die  Ideen  durch  streng 
logisch  richtige  SchlĂĽsse  vernichtet,  ohne  eine  Widerlegung 
dieses  Resultates  folgen  zu  lassen  und  die  Ideen,  die  Sokrates 
ganz  im  Stiche  gelassen  hatte,  wieder  in  ihr  Recht  einzusetz^i? 

Ebenso  wenig  kann  man  aber  auch  den  Erklärungen  bei- 
treten, welche  in  dem  Dialog  nur  ein  UebungsstĂĽck  fĂĽr  Plato's 


â–Ľ.  Kirchmaiin:  Ueber  Plato*8  Parmenides.  11 

SchĂĽler  finden  wollen.  Allerdings  erfĂĽllt  der  Dialog  auch* 
diesen  Zweck  in  hohem  Maasse^  aher  dieser  formale  Zweck 
wird  auch  schon  bei  allen  ĂĽbrigen  Dialogen  des  Plato  neben- 
bei erreicht  und  der  Dialog  hier'  ist  viel  zu  tiefsinnig  und 
bedeutend  gedacht  imd  mit  zu  viel  Aufwand  von  Scharfsinn 
und  Kunst  ausgeführt,  als  dass  man  annehmen  könnte,  Plato 
habe  dabei  nur  ein  UebungsstĂĽck  fĂĽr  die  Anfanger  in  der 
Philosophie  liefern  wollen. 

Bei  einer  unbefangenen  Betrachtung  des  Dialogs  und  be- 
sonders bei  einer  Festhaltung  des  Zweckes,  weshalb  Parme* 
nides  von  Sokrates  um  Aufstellung  eines  Beispiels  fĂĽr  die  An- 
wendung der  dialektischen  Methode  der  Eleaten  gebeten  wird, 
erhellt  schon,  dass  die  Darstellung  dieser  Methode  den 
Gegenstand  fĂĽr  diesen  Dialog  bildet,  und  dass  nicht 
irgend  ein  materielles  philosophisches  Problem  darin  gelöst 
werden  soll.  Diese  von  den  Eleaten  aufgestellte  dialektische 
Methode  galt  zur  Zeit  Plato's  als  das  ausschliessliche  und 
unfehlbare  Mittel  fĂĽr  die  Gewinnung  der  Wahrheit  innerhalb 
der  Philosophie.  Die  eleatische  Philosophenscbule  selbst  stand 
damals  noch  in  hohem  Ansehen;  die  Megariker  hatten  deren 
Dialektik  in  ihre  eigene  Philosophie  ĂĽbernommen;  selbst  die 
Sophisten  machten  davon  fortwährend  für  ihre  Beweise  Ge- 
brauch. Plato  selbst  hatte  die  eleatische  Philosophie  zur  Zeit 
seines  Aufenthaltes  in  Megara  mit  vielem  Eifer  studirt  unci 
in  manchem  seiner  Dialoge  finden  sich  selbst  Spuren  von  un- 
willkĂĽrlicher Benutzung  ihrer  Dialektik. 

Allein  Plato  gelangte  sehr  bald  zu  der  Einsicht,  dass 
diese  eleatische  Dialektik  ein  höchst  bedenkliches  Mittel  für  phi- 
losophische Untersuchungen  sei.  Indem  die  Eleaten  die  Er- 
'fabrung  und  Beobachtung  des  Seienden  von  ihrer  Philosophie 
ganz  ausschlössen,  und  schon  ihre  abstracten  obersten  Sätze 
sie  nöthigten,  nur  das  Denken  als  Erkenntnissmittel  zuzulassen, 
waren  sie  genöthigt,  auch  ihre  Beweismethode  danach  einzu- 
richten. Die  Folge  war,  dass  sie  sich  nur  in  contradictorischen 
Eintheilungen  und  Gegensätzen  bewegen  und  nur  die  Bezie- 
hungsbegriffe zum  Inhalt  ihrer  Philosophie  benutzen  konnten, 
wie  z.  B.  das  Aehnlich  und  Unähnlich,  das  Gleich  und  Ungleich, 
das  Dasselbige  und  Verschiedene,  das  Grössere  und  Kleinere,  das 


12  V.  Eirchmann:  Ueber  Plato's  Parmenides. 

'  Aeltere  und  JĂĽngere  und  viele  andere  der  Art,  solche  lediglich 
dem  Denken  angehören,  an  sich  selbst  keinen  seienden  In- 
halt bieten,  aber  jedwedem  solchen  Inhalt  sich  anschmiegen, 
vor  Allem  aber  dadurch  sich  von  den  seienden  Eigenschaften 
der  Dinge,  wie  solche  z.  B.  in  rund,  gerade,  krumm,  farbig, 
tönend  u.  s.  w.  gegeben  sind,  unterscheiden,  dass  das  Gesetz  von 
der  Unmöglichkeit  des  sich  Widersprechenden  bei  ihnen  keine 
GĂĽltigkeit  hat.  So  kann  z.  B.  Sokrates  zugleich  jĂĽnger  und 
älter  sein,  jenes  in  Vergleich  zu  seinem  Vater,  dieses  in  Ver- 
gleich zu  seinem  Sohne.  So  kann  derselbe  Gegenstand,  z.  B. 
ein  Thaler  zugleich  ähnlich  und  unähnlich  sein,  jenes  in  Bezug 
auf  andere  Thaler,  dieses  in  Vergleich  mit  dem  Beutel,  in 
dem  er  sich  befindet 

Eine  weitere  wichtige  EigenthĂĽmlichkeit  dieser  Beziehun- 
gen ist  die,  dass  dieselben  mindestens  zwei  Gegenstände  er- 
fordern und  niemals  von  einem  allein  ausgesagt  werden 
können;  so  kann  ein  Gegenstand  nur  grösser  genannt  wer- 
den, wenn  auch  ein  zweiter  da  ist,  in  Bezug  auf  welchen  er 
der  grössere  genannt  werden  kann.  So  kann  das  „Nicht" 
mit  seinen  zahlreichen  verneinenden  grammatikalischen  Bil- 
dungen nur  von  einem  Gegenstande  ausgesagt  werden  in  Be- 
zug auf  einen  andern  oder  auf  eine  sonstige  Bestimmung,  von 
welchen  jener  eben  als  dessen  Verneinung  oder  Nicht  aus- 
gesagt werden  soll. 

Es  ist  hier  nicht  möglich,  diese  überaus  wichtige  Lehre 
der  Beziehungsformen,  die  man  auch  Relativ-Begriffe  nennen 
könnte,  in  ihrer  Vollständigkeit  und  ganzen  Bedeutung  zu  ent- 
wickeln; es  muss  in  dieser  Hinsicht  auf  die  betreffenden 
Schriften  des  Unterzeichneten  verwiesen  werden  (Bd.  I  der 
philosophischen  Bibliothek  S.  31  u.  f.;  Philosophie  des  Wis- 
sens Bd.  I  S.  149  u.  f.).  Indess  wird  schon  das  hier  Gesagte 
genĂĽgen,  um  zu  erkennen,  dass  die  eleatische  Dialektik,  welche 
sich  auf  solche  Mittel  des  Beweisens  beschränkt  sah,  über 
einen  dĂĽrftigen  Inhalt  nicht  hinauskommen  konnte.  Vor 
Allem  musste  sie  aber  dadurch,  dass  sie  diese  Beziehungs- 
formen wie  seiende  Eigenschaften  den  einzelnen  Dingen  ohne 
Angabe  eines  zweiten,  damit  bezogenen  Gegenstandes  beilegte, 
in  eine  endlose  Reihe  von  WidersprĂĽchen  gerathen,  wie  sie 


V.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Parmenides.  13 

auch  hier  m  Folge  dieser  falschen  Behandlung  der  Beziehungs* 
formen  in  allen  TheQen  der  Rede  des  Parmenides  zum  Vor- 
schein kommen,  ohne  dass  man  doch  die  formale,  logische 
Richtigkeit  seiner  SchlĂĽsse  angreifen  kann,  sobald  man  diese 
Beziehungen  als  wirklich  seiende  Eigenschaften  gelten  lässt. 

Es  wird  genĂĽgen,  auf  diese  Grundfehler  der  eleatischen 
Dialektik,  wie  sie  hier  von  Parmenides  in  seiner  Rede  geĂĽbt 
wird,  aufmerksam  zu  machen.  Hat  man  einmal  diesen  Mangel 
erkannt,  so  fallen  alle  äusserlich  so  stringenten  Beweise  des- 
selben in  Nichts  zusammen.  Hier  nur  einige  Beispiele  zur 
Bestätigung  dessen.  So  bestreitet  Parmenides  in  Kapitel  10, 
dass  das  eleatische  Eines  Theile  habe,  oder  ein  Ganzes  sei, 
weil  auch  das  Ganze  aus  Theilen  bestehe  und  mithin  das 
Eines  sowohl  als  Ganzes,  wie  als  Theil,  dami  nicht  mehr 
Eines,  sondern  Viele  sein  wĂĽrde.  Allein  das  Ganze  und  seine 
Theile  ist  nur  eine  Beziehungsform;  es  bedarf  zur  Anwen- 
dung derselben  auf  Seiendes  keiner  wirklichen  Theilung  des 
Gegenstandes.  Der  eine  Mensch  kann  als  ein  Ganzes  auf- 
gefasst  werden  und  auch  als  aus  Theilen  (Gliedern)  bestehend, 
ohne  dass  er  deshalb  erst  zu  gesonderten  Vielen  zu  werden 
braucht.  Indem  das  Ganze  und  seine  Theile  nur  eine  Be- 
ziehuDgsform  im  Denken  ist,  kann  dieselbe  auf  jeden  belie- 
bigen Gegenstand  angewendet  werden,  indem  es  dazu  genĂĽgt, 
die  TheOe  sich,  wenn  auch  nur  im  Gedanken  vorzustellen,  um 
diese  Beziehungsform  darauf  anwenden  zu  können,  und  es  ganz 
gleichgĂĽltig  ist,  ob  eine  solche  Theilung  in  Wirklichkeit  ausfĂĽhr- 
bar ist  oder  nicht.  Deshalb  gilt  dies  auch  fĂĽr  das  eleatische  Eines, 
zumal  dasselbe  nach  den  Eleaten  eine  räumliche  Ausdehnung 
hat.  Wenn  also  dieser  Beweis  falsch  ist,  so  fallen  auch  die 
daraus  abgeleiteten  Folgen,  wonach  das  Eines  keinen  Anfang, 
kein  Ende  und  keine  Mitte  haben  soll,  weil  diese  schon  Theile 
des  Eines  sein  wĂĽrden.  Anfang,  Ende  und  Mitte  sind  ĂĽberdem 
nur  Punkte  in  der  räumlichen  Ausdehnung  eines  Gegen- 
standes, also  ohne  alle  eigene  Ausdehnung,  folglich  auch 
keine  Theile  desselben.  Damit  fällt  dann  die  weitere  Fol- 
gerung, dass  das  Eines  grenzenlos  und  ohne  Gestalt  sei. 

Parmenides  folgert  dann  weiter,  dass  deshalb  das  Eines 
niqfends  sei,  weil   es   weder  in  sich,   noch  in  einem  Andern 


14  y.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Pannenides. 

sein  könne;  denn  im  letzteren  Falle  würde  es  von  diesem  an 
vielen  Stellen  berĂĽhrt  werden,  was,  da  das  Eines  keine  Theile 
habe,  nicht  möglich  sei.  Indess  braucht  die  Berührung  ja 
nur  pimktuell  zu  sein,  und  diese  BerĂĽhrungen  wĂĽrden  dann 
keine  Theile  des  Eines  ergeben.  Auch  braucht  ja  das  Eines 
nicht  schwer  zu  sein  und  kann  daher  auch  von  einem 
Andern  ohne  alle  BerĂĽhrung  umgeben  sein.  Auch  das  In- 
sich-sein  des  Eines  soll  nach  Parmenides  nicht  möglich  sein, 
denn  dazu  gehöre  ein  Umgebendes  und  ein  Umgebenes,  und 
wenn  dies  statt  hätte,  so  würde  das  Eines  nicht  mehr  Eins, 
sondern  Zwei  sein.  —  Auch  hier  übersieht  Parmenides,  dass 
das  In -sich -sein  nur  eine  Beziefaungsform  bei  demselben  ist, 
welche  nicht  körperlich  aufgefasst  werden  darf,  wie  er  es 
hier  thut  -~  Femer  sagt  Parmenides  in  Kap.  11,  nachdem 
er  gezeigt,  dass  das  Eines  nicht  dasselbe  {tavrw)  mit  ^em 
Andern  sein  könne:  „aber  auch  verschieden  von  dem  Andern 
wird  das  E^es  nicht  sein,  so  lange  es  Eines  ist,  denn  dem 
Eines  kommt  es  nicht  zu,  von  irgend  etwas  verschieden  zu 
sein,  sondern  dies  kommt  dem  Verschiedenen  zu  und  keinem 
Andern  und  wenn  das  Eines  kein  Verschiedenes  ist,  so  kann 
es  dies  auch  nicht  durch  sich  selbst  sein,  und  wenn  es  also 
kein  Verschiedenes  ist,  so  wird  es  auch  von  keinem 
Dinge  verschieden  sein".  —  Hier  tritt  der  Missbrauch  der  Be- 
ziehungsformen am  offenbarsten  hervor;  die  Beziehungs- 
form „Verschieden"  wird  wie  eine  seiende  Eigenschaft  be- 
handelt, welche  zu  ihrem  Dasein  an  einem  Gegenstande  keines 
zweiten  bedarf,  von  dem  es  erst  verschieden  ist;  das  „Ver- 
schieden" wird  hier  wie  das  Runde  oder  das  Rothe  behandelt, 
die  einem  Gegenstand  anhaften,  gleichviel  ob  auch  andere  Dinge 
da  sind  oder  nicht,  während  doch  das  „Verschieden"  ohne  zwei 
Gegenstände  nicht  gedacht  werden  kann,  durch  deren  gegen- 
seitige Beziehung  erst  die  Verschiedenheit  beider  fĂĽr  das 
Denken  herauskommt.  —  Ganz  in  gleicher  Weise  behandelt 
unmittelbar  darauf  Parmenides  das  „Dasselbige**;  das  Eines 
soll  nicht  das  Dasselbige  sein,  „weil,  wenn  einem  Dinge-  das 
Dasselbige  zukomme,  es  damit  nicht  auch  Eines  werde;  und 
weil,  wenn  das  Eines  das  Dasselbige  wäre,  es  nicht  mehr 
Eines  sein  würde;  daher  könne  das  Eines  weder  ein  Verschie- 


â–Ľ.  Kircfamann:  Ueber  Plato*8  Parmenides.  15 

denes,  noch  ein  Da^selbiges,  weder  in  Bezug  auf  Andere, 
noch  in  Bezug  auf  sich  selbst  sein.*'  —  In  dieser  Weise  wird 
dann  auch  bewiesen,  dass  dem  Eines  weder  das  Aehnliche, 
noch  das  Unähnliche  zukommen  könne.  Ueberall  werden 
diese  Beziehungsformen  wie  seiende  und  selbstständige  Be- 
stimmungen behandelt  und  daraus  gefolgert,  dass,  wenn  sie 
dem  Eines  zugelegt  wĂĽrden,  dasselbe  nicht  mehr  Eins,  son- 
dern Zwei  oder  Viele  werden  würde.  Die  Gopula  „ist**  wird  so 
ausgelebt,  als  wenn  dadurch  das  Prädikat  eines  Urtheils  das  Sub- 
jekt desselben  als  solches  ganz  aufhöbe  und  in  das  Prädikat 
▼erwandle.  Es  gäbe  dann  allerdings  nur  tautologische  Urtheile. 

INese  Beispiele  werden  genĂĽgen,  um  das  obige  Urtheil 
über  die  eleatische  Dialektik  zu  erläutern  und  zu  rechtferti- 
gen, und  es  ist  schwer  zu  fassen,  wie  Hegel  solche  Dialektik 
für  das  Meisterstuck  Platonischer  Dialektik  hat  erklären  kön- 
nen, obgleich  ihr  doch  nichts  Anderes  zu  Grunde  li^,  als 
eine  grobe  Verwechselung  der  Beziehungsformen  mit  Begriffen 
des  Seienden.  Die  ganze  Rede  des  Parmenides  bewegt  sich 
in  solchen  fehlerhaften  Schlüssen.  Trotzdem  hält  äe  aber 
die  Yon  den  Eleaten  fĂĽr  ihre  Lehre  aufgestellte  Dialektik  ge- 
nau ein,  und  Plato  hat  sich  keine  EntsteUung  derselben  er- 
lanbt,  wie  die  Fragmente  und  die  Nachrichten,  die  wir  sonst 
über  deren  Philosophie  besitzen,  bestätigen,  und  wie  auch 
die  eigenen,  hier  von  Parmenides  dem  Sokrates  gegebenen 
Anweisungen  ergeben. 

Es  liess  sich  mm  schon  bei  der  geistigen  Richtung  Plato's 
erwarten,  dass  diese  Dialektik  mit  ihren  dĂĽrftigen,  meist  ne- 
gativen Resultaten  auf  die  Länge  Plato  nicht  befriedigen 
konnte.  Auch  mochte  er  wohl  schon  frĂĽhzeitig  bemerkt 
haben,  dass  diese  Dialektik  bei  geschickter  Handhabung  gleich 
gut  zum  Beweise  der  entgegengesetzten  Behauptungen  benutzt 
werden  könne.  So  sehr  also  auch  Plato  die  positiven  Gedanken 
der  eleatischen  Lehre  hochstellte,  so  fĂĽhlte  er  doch,  dass  mit 
deren  Dialektik  der  reiche  Inhalt  der  Welt  nicht  erfasst  wer- 
den könne,  und  er  bildete  sich  allmälig  eine  andere  Erkenntniss- 
theorie aus,  welche  er  zwar  ebenfalls  Dialektik  nannte,  aber 
welche  von  der  eleatischen  auf  das  Erheblichste  abweicht, 
wie  die  Dialoge  ergeben,   in  welchen  er  seine  Dialektik  dar- 


16  V.  Kirchmann:  lieber  Plato's  Parmenides.  * 

gestellt  hat.  Schon  im  Phädrus  weist  er  darauf  hin;  im 
Sophisten  wird  die  Dialektik  fär  die  Wissenschaft  der  Be- 
grififsverbindung  erklärt;  im  Philebus  wird  sie  für  die  höchste 
Gabe  der  Götter  und  für  das  wahre  Feuer  des  Prometheus 
erklärt,  ohne  welches  die  kunstgemässe  Behandlung  eines 
Gegenstandes  nicht  möglich  sei.  Am  ausführlichsten  wird  sie 
in  Buch  5  und  6  der  Republik  dargestellt.  Danach  ist  ihr 
Gegenständ  ausschliesslich  der  Begriff  und  sie  ist  das  Organ, 
mittelst  dessen  der  reine  Begriff  erreicht  wird.  Sie  zerfallt  in 
eine  doppelte  Thätigkeit,  in  die  awoyoiyi;  und  die  duuneaig; 
erstere  fĂĽhrt  das  Viele  der  Einzehien  auf  einen  Begriff 
zurĂĽck,  letztere  lehrt  den  Begriff  in  seine  Arten  zu  zerlegen, 
ohne  eine  seiner  Gliederungen  zu  ĂĽbergehen.  Wer  es  ver- 
steht, den  einen  Begriff  in  den  vielen  Einzelnen  zu  erkennen 
und  umgekehrt  denselben  durch  die  ganze  Stufenleiter  seiner 
Arten  und  Unterarten  hindurchzuführen  und  dadurch  die  Mög- 
lichkeit der  VerknĂĽpfung  der  Begriffe  festzustellen,  der  ist 
nach  Plato  der  wahre  dialektische  KĂĽnstler. 

Bei  der  Begriffsbildung  soll  die  Induktion  eingehalten 
werden.  Der  Begriff  soll  das  Wesen  der  Dinge  bieten,  und 
dieses  Wesen  besteht  in  dem,  was  allen  Einzelnen  einer  Gat- 
tung gemeinsam  ist;  es  enthält  die  entscheidenden  Merk- 
male desselben.  Der  Fortgang  dieser  Erkenntniss  soll  durch 
Beispiele  vermittelt  werden.  Zur  mehreren  Sicherheit  sol- 
len dabei  auch  die  negativen  histanzen  aufgesucht  und  erwo- 
gen werden,  und  es  sollen,  wie  schon  die  Eleaten  verlangt, 
die  Folgen  nicht  bloss  bei  dem  bejahenden,  sondern  auch  bei 
dem  verneinenden  Satze  geprĂĽft  werden;  aber  nicht  bloss 
um,  wie  die  Eleaten  wollen,  die  gewöhnlichen  Vorstellungen 
aufzuheben,  sondern  um  auch  ein  positives  Resultat  zu  er- 
reichen. Der  zweite  Theil  der  Dialektik,  die  Eintheilung, 
bietet  umgekehrt  die  Unterschiede,  durch  welche  die  eine 
Gattung  sich  in  ihre  Arten  besondert.  Es  soll  dabei  die 
natĂĽrliche  Gliederung  eingehalten,  imd  die  Mittelbegriffe 
dĂĽrfen  nicht  ĂĽbersprungen  werden.    . 

Diese  platonische  Dialektik  trifft,  sorgfaltig  betrachtet, 
genau  mit  dem  induktiven  Verfahren  zusammen,  wie 
es  schon  Aristoteles  demnächst  eingehalten  hat  und  wie 


y.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Pannenides.  17 

es  auch  den  Fortschritten  der  modernen  Naturwissenschaften 
zu  Grunde  liegt;  denn  das  Einzehie,  aus  welchem  der  Begriff 
entwickelt  wird,  kann  nur  durch  Erfahrung  kennen  gelernt 
werden;  das  Gemeinsame  der  Vielen  kann  nur  durch  genaue 
Beobachtung  festgestellt  werden,  und  durch  dieselben 
Mittel  kann  auch  nur  erkannt  werden,  ob  eine  bestimmte 
Verbindung  von  Begriffen  oder  ein  Gesetz  fĂĽr  alle  Einzelnen 
gĂĽltig  ist.  Die  Wichtigkeit  der  negativen  Instanzen  fĂĽr  die 
Induktion  ist  neuerlich  insbesondere  von  Stuart  Mill  in  sei- 
ner Logik  ebenfalls  dargelegt  worden. 

Wenn  in  dem  zweiten  Theile  dieser  platonischen  Dialektik, 
in  der  Eintheilung,  ein  Wiederherabsteigen  bis  zu  den  unter- 
sten Arten  verlangt  wird,  so  ist  das  keineswegs  jenes  deduk- 
tive Verfahren,  wie  es  seit  Hegel  geltend  gemacht  worden 
ist,  wonach  aus  dem  obersten  Begriff  allein,  ohne  alle  Bei- 
hĂĽlfe der  Elrfahrung,  der  weitere  Inhalt  eines  Gebiets,  wie  er 
in  den  Arten  enthalten  ist,  entwickelt  werden  soll.  Von  einem 
Umsdilagen  des  abstrakten  Begriffs  m  sein  Gegentheil  und  von 
der  dann  eintretenden  spekulativen  Verbindung  beider  Gegen- 
sätze zu  einem  concreten  Begriff  ist  weder  bei  Plato,  noch 
bei  Aristoteles  eine  Spur  zu  finden,  vielmehr  erhellt,  dass 
Plato,  wenn  er  die  Einhaltung  der  natĂĽrlichen  Gliederung 
verlangt,  auch  hier  die  Erfahrung  zu  Grunde  legt  und  die  ge- 
naue Beobachtung  des  Einzelnen  verlangt,  ohne  welche  diese 
Einhaltung  geradezu  unmöglich  ist  Indem  bei  dem  Aufsteigen 
zum  hdchsten  Begriffe  die  specifischen  Unterschiede  der  nie- 
deren und  höheren  Arten  allmälig  bei  Seite  gelegt  werden 
mĂĽssen,  verschwinden  sie  deshalb  fĂĽr  den  Philosophen  nicht, 
vielmehr  werden  sie  bei  dem  Herabsteigen  (Eintheilen)  aus  dem 
ihm  noch  gegenwärtigen  Vorrath  allmälig  wieder  aufgenom- 
men und  dem  höchsten  Begriffe  nach  und  nach  wieder  an- 
gefĂĽgt. Beispiele  sollen  dies  unterstĂĽtzen,  d.  h.  auch  hier 
soll  das  Einzelne,  d.  h.  die  Erfahrung  und  Beobachtung,  ĂĽberall 
den  entscheidenden  Anhalt  abgeben. 

Damit  steht  denn  allerdings  die  andere  Lehre  Plato's  an- 
scheinend im  direkten  Widerspruch,  wonach  er  die  Sinnes- 
wahmehmungen  fĂĽr  kein  Mittel  zur  Wahrheit  anerkennt,  son- 
dern das  wahrhaft  Seiende  (ovreog  ov)  nur  durch  das  Denken 

Pikwoph.  Monatsheft«  1861,  I  u.  U.  2 


18  y.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Pannenides. 

erreichen  lässt.  Indess  verschwindet  dieser  Gegensatz,  wenn 
man  festhält,  dass  Plato  unter  dem  wahrhaft  Seienden  nur 
das  Allgemeine  als  solches  versteht,  d.h.  die  besondere 
Form,  welche  dem  mittelst  der  Erfahrung  erlangten  bihalte 
durch  das  trennende  begrififliche  Denken  gegeben  wird  und  nur 
durch  dieses  gegeben  werden  kann.  Indem  dieses  Allgemeine 
durch  Abtrennung  aUes  Veränderlichen  und  Vergänglichen  in 
den  Einzelnen  die  Natur  des  Ewigen  und  Unveränderlichen  er- 
hält, geräth  es  bei  Plato  in  einen  Gregensatz  zu  dem  Einzelnen, 
und  Plato  ĂĽbersieht,  dass  trotz  diesem  Analysiren  und  Ab- 
ti'ennen.der  Inhalt,  welcher  dem  Allgemeinen,  als  einem  Ge- 
meinsamen und  dem  Wesen  der  Einzehien,  belassen  wird, 
doch  auch  nur  aus  der  Erfahrung  stammt;  denn  er  ist  der 
Rest  der  in  dem  Wahrgenommenen  enthaltenen  Bestimmun- 
gen, welcher  sonach  in  allem  Einzelnen  gemeinsam  wahr- 
genommen worden  ist  Indem  Plato  dies  ĂĽbersah,  ent- 
wickelten sich  dadurch  bei  ihm  seine  Ideen,  die  er  deshalb 
auch  in  eine  andere  Welt  verlegt,  während  das  irdische  Ein- 
zelne durch  sein  Theilhaben  an  den  Ideen  (juerex^ey)  doch  auch 
jenes  Allgemeine  und  Ewige  in  sich  enthält. 

Wenn  so  Beides,  diese  Dialektik  Plato's  und  seine  Ide^i- 
lehre,  richtig  verstanden,  in  keinem  Widerspruch  stehen,  so 
erhellt,  dass  die  Erkenntnisstheorie  bei  Plato  genau  mit  der- 
jenigen des  neuen  philosophischen  Realismus  ĂĽbereinstimmt; 
es  war  nur  eine  poetische  Zugabe,  wenn  er  das  Allgemeine 
mit  einiem  etwas  verfeinerten,  aber  doch  sinnlichen  Inhalte  als 
Ideen  in  eine  jenseitige  Welt  versetzte. 

Der  grosse  Unterschied  der  platonischen  Dialektik  gegen 
die  der  Eleaten  bedarf  sonach  keiner  weiteren  Auseinander- 
setzung, und  es  ist  unbegreiflich,  wie  bei  dieser,  in  der  Re- 
publik von  Plato  so  ausfĂĽhrlich  entwickelten  Dialektik  Hegel 
die  Dialektik,  welche  Parmenides  in  unserm  Dialoge  ĂĽbt,  fĂĽr 
das  höchste  Meisterstück  platonischer  Dialektik  erklären 
kann.  Beide  unterschieden  sich  so  stark,  dass  erst  mit  der 
platonischen  Dialektik  jener  grosse  Umschwung  in  der  grie- 
chischen Philosophie  beginnt;  erst  mit  seiner  Dialektik  wurde 
es  Plato  und  später  Aristoteles  und  den  übrigen  Philosophen- 
schulen möglich,   ihre  Philosophie  mit  einem  reichen  Inhalt 


T.  Kirchmann:  lieber  Plato's  Parmenides.  19 

zu  erfüllen,  während  deren  doktrinäre  Vorgänger,  insbeson* 
dere  HeraUit  und  die  Eleaten,  nicht  ĂĽber  wenige  oberste  und 
abstrakte  Sätze  hinauskamen  und  den  Uebergang  in  den  Reich- 
thum  des  Concreten  zu  finden  nicht  vermochten. 

Nachdem  Plato  seine  Dialektik  ausgebildet  und  ihren 
hohen  Werth  in  den  Ergebnissen  seiner  philosophischen  Un- 
tersuchungen erkannt  hatte,  wird  ihm  unzweifelhaft  auch  der 
Gedanke  gekommen  sein^  das  Mangelhafte,  Gefahrliche  und 
Schw^mkende  der  eleatischen  Dialektik  darzulegen.  Es  wird 
ihm  dies  um  so  nothwendiger  erschienen  sein,  als  diese  Dia- 
lektik von  den  Eleaten, .  Me^arikem  und  Sophisten  noch  fort- 
während benutzt,  ja  insbesondere  von  letzteren  zu  Angriffen 
auf  seine  eigene  Ldoure  in  Anwendung  gebracht  wurde.  Um 
diesen  seinen  Zweck  zu  erreichen,  verfasste  Plato 
den  Dialog  Parmenides.  Es  handelt  sich  also  in  ihm  durch- 
aus nicht  um  die  BegrĂĽndung  irgend  eines  materieUen  philoso- 
phischen Aussprudis,  sondern  lediglich  um  die  Methode, 
mit  welcher  von  jenen  anderen  Schulen  die  Wahrheit  ge- 
sucht wurde.  Die  Darl^^ng,  dass  mit  dieser  Methode  ĂĽber 
Tautologien  hinaus  kein  Inhalt  'erlangt,  und  umgekehrt  jede 
Behauptung  mit  ihr  bewiesen  und  auch  widerlegt  werden 
könne,  dies  war  das  Ziel,  was  dem  Plato  bei  diesem  Dialoge 
vorschwebte.  Dieses  Ziel  war  auch  fĂĽr  seine  Zeit  bedeutend 
genug,  um  es  mit  allem  Ernste  anzustreben,  denn  ohne  Be- 
seitigung dieser  Methode  konnte  eine  inhaltsvolle  Philosophie 
nicht  geschaffen  werden. 

Aus  diesem  Gesichtspunkt  aufgefasst,  erscheint  der  Dialog 
in  allen  seinen  Theilen  zusanunenstimmend ;  alles  Sonderbare 
und  Unb^reifliche  verschwindet,  und  zugleich  wird  dieses 
Ziel  mit  einem  Scharfsinn  und  einer  Gewandtheit  verfolgt, 
welche  zeigt,  dass  Plato  diesen  Dialog  nur  erat  in  seiner 
reiferen  zweiten  schriftstellerischen  Periode  verfasst  haben 
kann. 

Nichts  ist  deshalb  verkehrter,  als  in  dem  Dialog  eine 
Darstellung  der  eigenen  Philosophie  Plato's  und  zwar  in  ihrer 
tiefsten  InnerUchkeit  zu  suchen;  ebenso  verkehrt  ist  es,  wenn 
gesagt  wird,  dass  die  in  dem  Dialog  geĂĽbte  eleatische  Dia- 
lektik als  Muster  hingestellt  sei,  oder  dass  mit  ihr  die  eigene 


20  V.  Kirchmann:  lieber  Plato*s  Parmenides. 

Lehre  Plato's  eine  tiefere  BegrĂĽndung  habe  erhalten  sollen, 
oder  dass  ĂĽberhaupt  in  diesem  Dialoge  ein  materieller  Inhalt 
habe  begrĂĽndet  oder  habe  gezeigt  werden  sollen,  wie  die 
Lehre  derEleaten  zu  einer  höheren  Stufe  in  der  platonischen 
Philosophie  fortgebildet  worden  sei. 

Vielmehr  ist  der  ganze  Dialog  in  einem  gewissen  ironi- 
schen Sinne  abgefasst  Deshalb  hat  Plato  gerade  den  Par- 
menides zum  Hauptredner  gewählt;  er,  als  der  grösste  Phi- 
losoph der  eleatischen  Schule,  als  der  BegrĂĽnder  ihrer  Dia- 
lektik sollte  hier  gerade  durch  die  consequente  AusĂĽbung 
dieser  seiner  Dialektik  darthun,  dass .  dieselbe  ein  völlig  un- 
taugliches Mittel  zur  Gewinnimg  der  Wahrheit  sei.  Deshalb 
lässt  ihn  Plato  auch  äusserlich  eine  beinahe  komische  Figur 
spielen,  welche  in  einem  Athem  die  stärksten  Gegensätze 
auf  höchst  gründliche  Weise  für  gleich  wahr  darlegt  und  sich 
nicht  im  Mindesten  durch  die  grellen  WidersprĂĽche,  welche  bei 
der  Anwendung  dieser  Dialektik  herauskommen,  stutzig  machen 
lässt.  Deshalb  spielt  auch  der  junge  Aristoteles  darin  eine 
höchst  traurige  Rolle;* er  darf  nur  Ja  oder  Nein  sagen,  damit 
die  Dialektik  des  Parmenides'  keine  Unterbrechung  in  ihrem 
Redestrom  erleide,  und  endlich  hält  es  deshalb  Plato  nicht 
der  Mühe  werth,  die  unsinnigen  Sätze,  mit  welchen  dessen 
Rede  schliesst,  noch  einer  besonderen  Widerlegung  zu  wĂĽr- 
digen, da  jener  Schluss  schon  die  beste  Widerlegung  seiner 
selbst  und  der  zu  diesem  Schluss  fĂĽhrenden  Dialektik  ist. 

Es  bleibt  indess  noch  ĂĽbrig,  einige  Bedenken,  welche 
gegen  die  hier  gegebene  Ansicht  sich  vielleicht  erheben  könn- 
ten, zu  erledigen.  Zunächst  könnte  man  fragen,  weshalb, 
wenn  Plato  nur  die  Widerlegung  der  eleatischen  Dialektik 
mit^  diesem  Dialog  beabsichtigt  habe,  er  diese  Widerlegung 
nicht  direkt  so  geboten  habe,  wie  es  hier  in  diesem  Aufsatze 
geschehen  ist,  und  warum  er  statt  dessen  nur  einen  indirek- 
ten, gewissermassen  Unmöglichkeitsbeweis  darin  gegeben  habe, 
der  viel  umständlicher  sei  und  überdem  leicht  falsch  verstan- 
den werden  könne,  wie  die  bisherigen  Gommentare  zeigen. 
Dies  erklärt  sich  indess  einfach  daraus,  dass  Plato  die- 
sen direkten  Beweis  nicht  liefern  konnte,  weil  er  in  Bezug 
auf  die  Beziehungsformen,   welche  die  Hauptmittel  der  elea- 


V.  Kirchmann:  lieber  Plato's  Parmenides.  21 

tischen  Dialektik  bildeten,  in  derselben  Unklarheit  sich  befand, 
wie  die  Eleaten  selbst.   Die  Schwierigkeiten  xmd  Widerspruche, 
zu  welchen  .diese  Beziehungsformen  Den,  welcher  sie  fĂĽr  sei- 
ende Eigenschaften  der  Dinge  hält,    führen,  hat  Plato  selbst 
in  mehreren  seiner  Dialoge  dargelegt;  insbesondere  im  Theätet. 
Er  gibt  da  das  Beispiel,  dass  sechs  Bohnen,   ohne  ihre  Zahl 
zu  verändern,  gleichzeitig  mehr  und  weniger  seien,  je  nach- 
dem man  vier   oder  zwölf  Bohnen   dagegen   hält.    Theätet 
wSl  dem  ausweichen;  Sokrates  stellt  deshalb  dort  fest:  1)  dass 
niemals  etwas  mehr  oder  weniger  werden  könne,  so  lange 
es  sich  selbst  gleich  ist;   2)  dass,  wenn  einem  Gegenstände 
nichts  zugesetzt,  noch  abgenommen  werde,  er  weder  wachse, 
noch  schwinde;    3)  dass  das,  was  vQrher  nicht  war,  unmög- 
lich nachher  sein  könne,  ohne  geworden  zu  sein  oder  zu  wer- 
den (155  Ä.),    welche  Sätze  Theätet  als   richtig  anerkennt. 
Nun  gibt  Sokrates  das  Beispiel,   dass  er   selbst  jetzt   zwar 
grösser  sei,  als  Theätet,  aber  dass  er  nach  Jahresfrist  kleiner 
als  Theätet  seui  werde,   obgleich  er  selbst  in  diesem  Jahre 
weder    wachsen    noch    abnehmen    werde;     ein    Ergebniss, 
was  offenbar  jenen  drei  Sätzen   widerstreite.    Und   ebenso 
werde  es  sich  mit  tausend  und  aber  tausend  Dingen  verhal- 
ten.   Theätet  wundert  sich  darüber  ungemein  und  erklärt, 
dass  bisweilen,  wenn  er  dies  recht  betrachte,  ihm  ordentUch 
schwindlich  wĂĽrde.    Sokrates  lobt  ihn  deshalb,  weil  es  kei- 
nen anderen  Eintritt  in  die  Philosophie  gebe,   als  die  Ver- 
wunderung; anstatt  aber  nun  selbst  eine  Lösung  zu  geben, 
yerlässt  Sokrates  diese  Frage  und  geht  zur  Lehre  des  Hera- 
klit  und  Protagoras  ĂĽber,  ohne  auf  jene  Frage  zurĂĽckzukom- 
men,  obgleich  in  der  Lehre  jener  Männer  eine  Lösung  der- 
selben ebenfalls  nicht  zu  finden  ist ;  denn  der  Satz  des  Hera- 
klit,  dass  es  nur  Bewegung  gebe,  und  der  Satz  des  Protagoras, 
dass  fĂĽr  Jeden  das,  was  er  wahrnimmt,  auch  das  Wahre  sei, 
haben  durchaus  kerne  Beziehung  auf  jene  Frage. 

Ganz  ebenso  verfahrt  auch  Plato,  wenn  er  in  anderen 
Dialogen  auf  diese  sonderbaren  Ergebnisse  der  Beziehungsbe- 
griffe zu  sprechen  konunt;  msbesondere  wbd  das  Beispiel  oft 
benutzt,  dass  Sokrates  zugleich  älter  sei,  als  sein  Schüler, 
und  auch  junger,    als  sein  Vater.     Auch    da   bietet  Plato 


22  y.  Kirchmann:  Ueber  Plato*s  Pannenides. 

keine  Lösung,   sondern  verlässt  einfach  die  Frage,    wie  im 
Theätet. 

Schon  dies  deutet  an,  dass  Plato  zwar  diese  Sonderbar- 
keit der  Beziehungsbegriffe  bemerkt,  aber  selbst  keine  Lösung 
derselben  zu  bieten  vermocht  hat.    Noch  bestimmter  erhellt 
dies  aber  daraus,  dass  Plato  von  diesen  Beziehungsbegriffen 
ebenfalls  Ideen  annimmt,  also  nach  seiner  Auffassung  ihnen 
dieselbe  Selbstständigkeit  oder  seiende  Natur  beilegt,  wie  den 
seienden    Dingen   oder   deren   Eigenschaffen.     So   behauptet 
Sokrates  schon  in  unserem  Dialoge,   dass  es  eine  Idee  von 
der  Aehnlichkeit  und  eine  andere  von  der  ünähnlichkeit  gebe, 
und  dass  die  einzelnen  irdischen  Dinge  durch  TheUnahme  an 
diesen  Ideen    sowohl    ähnlich,   wie   auch   unähnlich   werden 
könnten,  ein  Ausspruch,  der  ganz  mit  der  platonischen  Ideen- 
lehre übereinstimmt.    Nun  liegt  aber  darin  eine  völlige  Ver- 
kennung der  Natur  der  Beziehungsformen ;  denn  danach  wäre 
es  möglich,  dass  eine  einzelne  Sache  für  sich  allein  durch 
diese  Theilnahme  an  der  Idee  der  Aehnlichkeit  eine  ähnliche 
werden  könnte,    ohne  dass  eine  zweite  Sache   dazu   nöthig 
wäre,  obgleich  diese  doch  nicht  entbehrt  werden  kann,  wenn 
man  von  Aehnlichkeit,  Verschiedenheit  sprechen  und  ĂĽber- 
haupt irgend  einen  Beziehungsbegriff  von  einem  Gegenstande 
aussagen  will.    Zell  er  hat  in  seiner  Geschichte  der  griechi- 
schen Philosophie  (Bd.  II,    Erste  Abtheilung,    S.  585  u.  589, 
III.  Ausgabe)  sehr  grĂĽndlich  dargelegt,   dass  Plato  in  dieser 
Weise  selbstständige  Ideen  von  den  Beziehungsformen  (Ver- 
hältnissbegriffe nennt  sie  Zeller)  angenommen  habe,  und  viele 
Beispiele  dazu  aus  den  Dialogen  beigebracht.    Selbst  als  Plato 
später  zweifelhaft  wurde,   ob  er  auch  Ideen  von  Dingen,  die 
der  Mensch  gemacht,  wie  Tische,  Häuser  u.  s.  w.  annehmen 
solle,    ist  er  doch  nie  darauf  gekommen,    dass  selbstständige 
seiende  Ideen  fĂĽr  die  Beziehungsformen  mit  der  Natur  der 
letzteren  ganz  unvereinbar  sind. 

Dies  Alles  beweiset  vollständig,  dass  Plato  über  die  Natur 
der  Beziehungsformen  ^  niemals  zur  Klarheit  gelangt  ist  und 
mittelbar  ei^bt  sich  dies  auch  aus  den  Schriften  seines 
SchĂĽlers,  des  Aristoteles.  In  seinen  Kategorien  hat  dieser 
die  Beziehungen,  als  ra  ngog  rt,   zwar  zu  einer  besonderen 


T.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Parmenides.  23 

Klasse  der  Kategorien  erhoben,  und  damit  schon  einen  grossen 
Fortschritt  ĂĽber  Plato  hinausgethan,  allein  ĂĽber  die  Frage, 
ob  diese  Beziehungsformen  ein  Seiendes  oder  bloss  Vorstel- 
lungen sind,  die  lediglich  innerhalb  des  Denkens  auftreten, 
ohne  dass  sie  fĂĽr  sich  ein  Seiendes  abbilden,  ist  auch  Ari* 
stoteles  immer  schwankend  geblieben,  wie  aus  vielen  Stellen 
seiner  Metaphysik  und  Physik  nachgewiesen  werden  kann. 
Hätte  also  schon  Plato  darüber  Klarheit  erlangt,  so  würde 
offenbar  auch  Aristoteles  nicht  mehr  in  ^esem  Schwanken  sich 
bewegt  haben. 

Wenn  also  dem  Plato  diese  Klarheit  in  Bezug  auf  die 
Beziehungsformen  abging,  so  erledigt  sich  auch  damit  das  an- 
geregte Bedenken,  weshalb  Plato  die  eleatische  Dialektik  nicht 
direct,  statt  nur  indirect  angegriffen  habe.  Plato  konnte 
diesen  directen  Beweis  nicht  liefern ;  aber  da  er  trotzdem  von 
der  Unwahrheit  dieser  Dialektik  ĂĽberzeugt  war,  so  blieb  ihm 
nur  der  indirecte  Beweis  ĂĽbrig  und  diesen  hat  er,  wie  der 
Dialog  ergibt,  auf  das  GrĂĽndlichste  gefĂĽhrt.  Wenn  er  im 
ĂĽebrigen  den  Paimenides  gleich  im  Beginn  seiner  Rede  vie- 
lerlei beweisen  lässt,  was  der  eleatischen  Lehre  widerspricht, 
z.  B.  die  Grenzenlosigkeit  des  Eines,  während  es  doch  nach  dieser 
Lehre  begrenzt  sein  und  die  Kugelgestalt  an  sich  haben  soll, 
so  treffen  diese  Punkte  nicht  die  Methode,  um  deren  Wider- 
legung ihm  allein  zu  thun  war.  Hier  hat  er  aber  mit  grosser 
Meisterschaft  diese  Methode  genau  nach  den  Vorschriften  der 
Heaten  eingehalten  und  gerade  durch  diese  consequente  Ein- 
haltung gezeigt,  dass  sie  schliesslich  zu  einem  Resultate  fĂĽhrt, 
welches  kein  vernĂĽnftiger  Mensch  annehmen  kann.  Ein  solcher 
Beweis  war  fĂĽr  jene  Zeit  der  alleinige,  welcher  ĂĽberdem 
auf  allgemeines  Verstandniss  rechnen  konnte  und  welcher 
auch  wirklich  den  Erfolg  hatte,  den  Plato  bezweckte;  denn 
diese  hohle,  täuschende,  in  Widersprüche  verwicketade  Dialektik 
verschwand  sehr  bald  und  die  Philosophie  nahm  von  Plato  ab 
selbst  in  den  einseitigen  Schulen  der  Cyniker,  Cyrenaiker,  wie 
spater  in  der  Lehre  des  Aristoteles,  des  Epikur  und  der 
Stoiker  eine  Richtung,  welche  immer  mehr  das  Wahrnehmen 
zur  Geltung  brachte  und  allein  es  möglich  machte,  dass  die 
Pl]ik)sophie  sich  mm  mit  einem  reichen  Inhalt  erfĂĽllen  konnte. 


24  V.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Parmenides. 

Schwieriger  ist  ein  zweites  und  letztes  Bedenken  zu 
erledigen,  welches  sich  auf  den  ersten  Theil  des  Dialogs  be- 
zieht, wo  Sokrates  die  Ideenlehre  Plato's  benutzt,  um  die 
dialektischen  Beweise  des  Zeno  zu  widerlegen.  Mit  diesen 
Bedenken  sollen  nicht  die  Verstösse  gegen  die  Chronologie 
gemeint  sein,  welche  hier  geschehen,  denn  in  dieser  Beziehung 
hat  sich  Plato  auch  in  anderen  Dialogen  manche  Freiheit  ge- 
nommen und  sie  sind  fĂĽr  den  philosophischen  Gedankengang 
auch  völlig  unschädlich.  Vielmehr  bezieht  sich  das  Bedenken 
darauf,  dass  dieser  erste  Theil  ĂĽberhaupt  zu  dem  dargelegten 
Zweck  dieses  Dialogs  gar  nicht  zu  passen  scheint,  und  noch 
mehr  gilt  dies  von  dem  Ausgang  dieses  Theils,  wo  Sokrates  sich 
für  überwunden  bekennt.  Die  Erklärungen,  welche  die  Com- 
mentatoren  bisher  hier  gegeben,  scheinen  wenig  zu  passen.  Die 
Annahme,  dass  Plato  selbst  bei  Abfassung  des  Dialogs  mit 
seiner  Ideenlehre  noch  nicht  im  Reinen  gewesen,  befriedigt 
nicht,  denn  dann  lag  es  doch  sehr  nahe,  diese  Benutzung  der 
Ideenlehre  zur  Widerlegung  der  Beweise  des  Zeno  ganz  bei 
Seite  zu  lassen.  Indess  steht  dieser  Ansicht  der  noch  viel 
wichtigere  Grund  entgegen,  dass  die  EinwĂĽrfe,  welche  Par- 
menides gegen  die  Ideen  macht,  genau  mit  denen  ĂĽberein- 
stimmen, welche  Aristoteles  in  seiner  Metaphysik  B.  I  Kap.  9 
dagegen  erhebt.  Hätte  Plato  erst  nach  Abfassung  dieses  Dia- 
logs die  GrĂĽnde  gefanden,  welche  diese  EinwĂĽrfe  beseitigen, 
so  würde  er  sie  in  seinen  späteren  Dialogen  sicherlich  geltend 
gemacht  haben.  Dass  dies  aber  niemals  geschehen  ist,  erhellt 
eben  aus  der  erst  nach  Plato's  Tod  abgefassten  Metaphysik 
des  Aristoteles,  da  dieser  sonst  jedenfalls  diese  späteren  Gründe 
des  Plato  erwähnt  haben  würde. 

Noch  sonderbarer  ist  die  Meinung,  dass  die  Angriffe  des 
Parmenides  gegen  diese  Ideenlehre  durch  den  Fortgang  des 
Dialogs  selbst  beseitigt  und  durch  die  Verbindung  von  Einheit 
und  Vielheit  ihre  Erledigung  erhalten  haben.  Der  zweite  Theil, 
die  Rede  des  Parmenides,  zeigt  davon  nicht  die  mindeste  Spur ; 
er  erklärf  viehnehr  die  Einheit  mit  der  Vielheit  für  unverein- 
bar, und  die  Hauptsache,  die  Darlegung,  dass  in  den  Ideen  diese 
Aufgabe  gelöst  werde,  bleibt  völlig  aus  und  konnte  auch  der 
Natur  der  Sache   nach  von  Parmenides   gar  nicht  geboten 


V.  Kirchmaim:  Ueber  Plato^s  Parmenides.  25 

werden.  Hätte  Plato  diesen  ersten  Theil,  die  Ideenlehre  zur 
Widerlegung  der  eleatischen  Dialektik  in  dieser  Weise  benutzen 
wollen,  so  wäre  es  doch  dringend  geboten  gewesen,  entweder  am 
Ende  des  ersten  oder  zweiten  Theils  dies  mit  klaren  Worten  aus- 
zufĂĽhren und  nicht  dem  Gegner  das  letzte  Wort  zu  lassen. 
Dazu  kommt,  dass  ja  die  Ideenlehre  an  demselben  Fehler,  wie 
die  eleatische  Dialektik  leidet.  Die  Beziehungsbegriffe  werden 
in  ihr  ebenso  wie  bei  den  Eleaten  zu  selbststandigen  Seins- 
begriffen und  zwar  jede  fĂĽr  sich  zu  einer  Idee  erhoben  und 
können  dadurch,  wie  schon  dargelegt  worden,  ihre  Aehnlich- 
keit,  ihre  Gleichheit,  ihre  Grösse  u.  s.  w.  schon  einer  ein- 
zelnen Sache  durch  Theilnahme  an  ihnen  mittheilen,  ohne 
dass  ein  zweiter  Gegenstand  dazu  erforderlich  ist,  durch  wel- 
chen doch  diese  Begriffe  erst  einen  Sinn  und  eine  Bedeutung 
erlangen.  Indem  diese  Verwechslung  der  Beziehungen  mit 
seienden  Bestimmungen  den  wunden  Punkt  in  der  elea- 
tischen Dialektik  bildet,  kann  offenbar  die  Ideenlehre,  welche 
an  dem  gleichen  Fehler  leidet,  nicht  zu  deren  Widerlegung 
benutzt  werden.  Femer  wird  in  diesem  ersten  Theile  vieles 
verhandelt,  was  auf  die  eleatische  Dialektik  keinen  Bezug 
hat;  insbesondere  die  Unbestimmtheit,  wie  weit  Ideen  fĂĽr 
die  einzelnen  Arten  der  Dinge  anzunehmen  sind  und  die 
Unklarheit,  welche  in  dem  Theilhaben  (jievex^tv)  der  sinn- 
lichen Dinge,  an  den  Ideen  enthalten  ist,  und  welche  Plato 
bis  an  sein  Ende  nicht  hat  beseitigen  können.  Ja  zuletzt  be- 
nutzt Parmenides  in  diesem  ersten  Theile  einen  Grund,  bei 
welchem  er  der  Wahrheit  rĂĽcksichtlich  der  Natur  der  Be- 
ziehungen viel  näher  konunt,  als  es  in  der  Ideenlehre  ge- 
schieht. Er  zeigt,  dass  die  Idee  der  Herrschaft  sich  nur  auf  die 
Idee  der  Knechtschaft  in  dem  Reiche  der  Ideen  beziehen 
könne,  imd  dass  beide  Ideen  sich  nicht  auf  die  Herren  und 
die  Knechte  der  irdischen  Welt  beziehen  können,  da  die  Be- 
ziehung, als  Idee  aufgefasst,  nothwendig  auch  ihr  Bezogenes 
in  ihrer  eigenen  Welt  haben  mĂĽsse  und  nicht  in  einer  ganz 
von  ihr  geschiedenen  irdischen  Welt,  weil  jede  Beziehung  noth- 
wendig Gleichartigkeit  zwischen  Beziehendem  und  Bezogenem 
verlange.  Gerade  bei  diesem  Punkte  erklärt  sich  Sokrates 
fär  besiegt. 


26  â–Ľ.  Kirchmann:  Ueber  Plato's  Parmenides. 

Nach  der  Ansicht  des  Unterzeichneten  dĂĽrfte  sich  die 
Sache  wohl  einfach  so  erklären  lassen:  Plato  war  allerdings 
mit  seiner  Ideenlehre  schon  im  Reinen,  als  er  diesen  Dialog 
abfasste,  und  sein  Zweck  dabei  war,  die  Nichtigkeit  der  elea- 
tischen  Dialektik  darzulegen.  Er  war  damals  aber  auch  schon 
von  der  vollen  Wahrheit  seiner  eignen  Lehre  ĂĽberzeugt,  und  da 
diese  Wahrheit  sich  mit  den  Resultaten  der  eleatischen  Dialektik 
nicht  vertrug,  so  benutzte  er  seine  eigene  Lehre  zunächst  als 
ein  Beweismittel  gegen  diese  Dialektik,  indem  er  durch  die 
von  Parmenides  geschehende  Anwendung  dieser  Methode  zeigte, 
dass,  wenn  man  ihr  vertraue,  auch  die  Ideenlehre  dadurch 
zerstört  werden  könne.  Da  nun  aber  die  Wahrheit  dieser 
Ideenlehre  für  Plato  und  seine  Anhänger  unbedingt  feststand 
und  durch  eine  viel  vollkommenere  Dialektik  nach  Plato's 
Ueberzeugung  erwiesen  war,  so  lag  in  diesem  ersten  Theile 
des  Dialogs  ebenfalls  ein  indirekter  Beweis,  dass  die  eleatische 
Methode  nichts  tauge,  weil  nämlich  selbst  das  Wahre  durch 
sie  in  WidersprĂĽche  verwickelt  und  zu  Nichte  gemacht  wer- 
den könne.  Auch  hier  ist  akb  die  Rede  des  Parmenides  nur 
ironisch  im  Sinne  Plato*s  aufzufassen.  FĂĽr  Plato  galt  diese 
Widerlegung  der  Ideenlehre  durch  Parmenides,  obgleich  dieser 
das  letzte  Wort  dabei  behält,  nicht  als  eine  wirkliche  Wider- 
legung, vielmehr  folgte  gerade  daraus,  dass  sie  selbst  die  Ideen 
angreifen  konnte,  obgleich  diese  fĂĽr  Plato  und  seine  Schule  die 
höchste  Wahrheit  enthielten,  umgekehrt,  dass  die  Dialektik  der 
Eleaten  nichts  tauge.  Der  Beweis  ist  auch  hier  nur  ein  in- 
direkter, da  Plato,  wie  erwähnt,  den  direkten  Beweis  nicht 
fĂĽhren  konnte,  und  deshalb  schweigt  er  auch  auf  diese  Ein- 
wĂĽrfe des  Parmenides.  Gerade  das  formell  logisch  Richtige 
von  dessen  Begründungen  war  für  Plato  und  seine  Anhänger 
ein  Beweis  mehr,  dass  diese  Dialektik  dennoch  eine  falsche 
sein  müsse,  weil  sie  eben  selbst  die  höchste  Wahrheit,  das 
Dasein  der  Ideen  zweifelhaft  zu  machen  vermöge. 

Da  indess  dieser  Beweis  vielleicht  schon  bei  seinen  An- 
hängern und  noch  mehr  bei  den  anderen  Schulen  nicht  für 
völlig  genügend  gelten  konnte,  so  dehnte  Plato  im  zweiten 
Theile  des  Dialogs  seine  Aufgabe  weiter  aus  und  zeigte,  dass 
mit  dieser  Dialektik  auch  die  eigene  Lehre  der  Eleaten,  sowie 


^  â–Ľ.  Kirehmann:  Ueber  Plato's  Parmenides.  27 

ĂĽberhaupt  jedweder  positive  oder  negative  Ausspruch  ver- 
nichtet werden  könne.  Damit  ergibt  sich  auch  der  enge  Zu- 
sammenhang beider  Theile;  das  was  der  erste  begonnen  hat, 
erhält  m  dem  zweiten  seine  Vollendung,  und  um  dieses  Zieles 
willen  lässt  Plato  im  ersten  Theüe  den  Parmenides  auch  Ein- 
wiirfe  erheben,  die  nicht  gerade  mit  der  eleatischen  Dialektik 
zusammenhängen.  Dergleichen  Abschweifungen  und  Auswei- 
chungen von  dem  Thema  sind  ĂĽberhaupt  in  den  Dialogen 
Plato's  keine  Seltenheit.  Auch  das,  was  Plato  in  dem  mit 
dem  Parmenides  verwandten  Dialog  Theätet  den  Sokrates  über 
seine  Hebammenkunst  und  über  das  Wesen  des  ächten  Phi- 
losophen sagen  lässt,  sind  Beispiele  solcher  Abschweifungen, 
welche  daher  gegen  eine  sonst  begründete  Erklärung  und  Auf- 
fassung unseres  Dialogs  nicht  geltend  gemacht  werden  können. 

So  kann  das  schliessHche  Ergebniss  der  hier  geschehe- 
nen Untersuchung  dahin  zusammengefasst  werden,  dass  Plato 
in  diesem  Dialog  weder  seine  eigene  Lehre,  noch  ĂĽberhaupt 
ein  materielles  philosophisches  Thema  hat  entwickeln  und 
begrĂĽnden  wollen,  sondern  er  hat  lediglich  zeigen  wollen, 
dass  die  Dialektik  der  Eleaten  eine  durchaus  schlechte  Me- 
thode enthalte,  welche,  anstatt  zur  Wahrheit  hinzufĂĽhren, 
in  ihrer  folgerechten  Anwendung  vielmehr  zur  Aufhebung 
jeder  Wahrheit  und  jedes  philosophischen  Systems  fĂĽhre. 
Diesen  Beweis  hat  aber  Plato  nur  indirekt  führen  können, 
weil  er  die  Natur  der  Beziehungsformen  noch  nicht  klar  er- 
kannt hatte  und  gerade  in  dem  falschen  Gebrauch  dieser  der 
Hauptmangel  der  eleatischen  Dialektik  enthalten  war ;  er  konnte 
deshalb  nur  jene  indirekten  Beweise  bieten,  wie  sie  sowohl 
im  ersten,  wie  im  zweiten  Theile  des  Dialogs  enthalten  sind. 

Dies  Ergebniss  könnte  noch  weiter  im  Einzelnen  durch 
viele  Stellen  des  Dialogs  gerechtfertigt  werden;  indess  ist 
dazu  hier  der  Raum  nicht  vorhanden.  Leser,  welche  sich 
dafür  mteressiren,  können  diese  Benutzung  des  Einzelnen  in 
der  Uebersetzung  und  den  Erläuterungen  dieses  Dialogs  finden, 
welche  in  einiger  Zeit  in  der  philosophischen  Bibliothek  bei 
der  Bachhandlung  Eoschny  in  Leipzig  erscheinen  werden. 

Berlin,  im  Juli  1880.  v.  Kirchmann, 


28  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.     i 


Die  Aefgabe  der  Brkemtnisstheorie  ond  die  Wudt'sehe  LogiL 


IL 

Indem  ich  mich  nach  dem  Gesag^n  zu  dem  in  der  Ueber- 
schrift  genannten  Werke  wende,  habe  ich  zunächst  nicht  nöthig 
zu  constatiren,  dass  wir  es  in  demselben  mit  erkenntniss- 
theoretischer, nicht  lediglich  formaler  Logik  zu  thun  haben. 
Bezeichnet  sich  ja  der  vorliegende  erste  Band  ausdrĂĽcklich 
als  Erkenntnisslehre.  FĂĽr  die  ZurĂĽckweisung  einer  bloss  for- 
malen Logik  fĂĽhrt  weiterhin  die  Einleitung  den  doppelten 
Grund  an,  dass  dieselbe  die  Denkgesetze  nur  aufstelle,  ohne 
ihr  Entstehen  und  die  GrĂĽnde  ihrer  GĂĽltigkeit  zu  zeigen,  und 
dass  sie  es  unterlässt,  die  wissenschaftlichen  Verfahrungs- 
weisen  auf  ihre  logischen  Regeln  zurĂĽckzufĂĽhren.  Freilich 
werden  nun  trotz  dieser  Erklärung,  der  zufolge  offenbar 
Logik  in  ihrem  ersten  und  grundlegenden  Theile  nichts  anders 
wäre,  als  ein  Stück  Psychologie,  —  denn  wie  anders  als  auf 
dem  Wege  psycholo^cber  Untersuchung  sollten  die  Grund- 
lagen des  Erkennens  gefunden  werden  können  ?  —  es  werden, 
sage  ich,  trotzdem  gleich  Eingangs  Logik  und  Psychologie  der 
Art  einander  gegenĂĽbergestellt,  dass  der  ersteren  ausschliess- 
lich die  Aufgabe  zufaUt,  festzustellen,  wie  sich  der  Verlauf 
unseres  Gedanken  entwickeln  solle,  während  diese  zu  zeigen 
hat,  wie  sich  derselbe  wirklich  vollzieht.  Es  erklärt  sich  aber 
dieser  scheinbare  Widerspruch  leicht,  wenn  man  bemerkt, 
dass  die  Aufstellung  der  Denknormen  immerhin  als  das  eigent- 
liche Ziel  der  logischen  Wissenschaft  erscheint  und  darum 
auch  wohl  (S.  7)  fĂĽr  sich  und  abgesehen  von  der  Erkennt- 
nisslehre als  Logik  bezeichnet  wird.  Damit  soll  dann  doch 
nicht  die  erkenntnisstheoretische  BegrĂĽndung  fĂĽr  auch  ent- 
behrlich erklärt,  das  Sollen  seiner  nothwendigen  Wirklichkeits- 
basis beraubt  werden. 

Sollte  an  der  Richtigkeit  dieser  Auffassung  auf  Grund 
der  Einleitung  noch  Zweifel  bestehen  können,  so  würde  der- 
selbe völlig  gehoben  durch  den  ersten  Abschnitt  des  Werkes 
(„von  der  Entwicklung  des  Denkens^O»  ^^^  ^^  erkenntniss- 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkezmtnisstheorie  etc.  29 

theoretische  Log^  aus  der  Psychologie  durchaus  hervorwachsen 
lässt,  der  Art,  dass  erst  im  dritten  und  letzten  Kapitel  des- 
selben das  Logische  diejenigen  Bestimmungen  erhält,  die  es 
ihm  möglich  machen,  vom  allgemein  Psychologischen  sich  zu 
sondern  und  fernerhin  selbstständigere  Wege  zu  wandeln. 

Gehen  wir  auf  den  genannten  Abschnitt  etwas  näher  ein. 
Wir  haben  dann  zunächst  zu  constatiren,  dass  als  die  erste 
Stufe  in  der  Entwicklung  des  Denkens  die  der  associativen 
Verbindungen  (Kap.  I)  zu  gelten  hat,  dass  dieser  als  zweite 
Stufe  die  der  apperceptiven  Verbindungen  folgt,  die  bereits 
ausdrĂĽcklich  als  Denkverbindungen  bezeichnet  werden,  dass 
endlich  hierzu  im  dritten  Kapitel  die  Dreizahl  von  Merkmalen 
kommt,  die  den  eigenthĂĽmlichen  Werth  des  Denkens  vor 
sonstigen  geistigen  Vorgängen  allererst  vollständig  begreiflich 
macht 

Es  fĂĽhren  aber  den  Namen  der  associativen  diejenigen 
Verbindungen,  „die  vermöge  irgend  welcher  Beziehungen  der 
Vorstellungen  zu  einander  ohne  die  unmittelbare  Mitwirkung 
der  Apperception  hergestellt  werden",  während  als  appercep- 
tive  diejenigen  bezeichnet  werden,  bei  deren  Zustandekommen 
jene  den  Vorstellungsverlauf  begleitende  Willensthätigkeit  activ 
eingreift.  Damit  ist  weder  gesagt,  dass  jene  lediglich  den 
associativen  Gesetzen  ihr  Dasein  verdanken,  noch  dass  bei 
diesen  die  Association  gar  nichts  zu  thun  hätte.  Vielmehr 
entscheidet  ĂĽberall  erst  der  Akt  der  Apperception,  welche 
von  den  vielen  auf  Grund  der  Association  möglichen  Verbindun- 
gen wirklich  ausgefĂĽhrt  wird  (S.  25)  und  mngekehrt  muss 
ĂĽberaD  Association  vorhanden  sein,  wo  eine  Verbindung  ge- 
schehen soll. .  Es  ist  aber  von  der  activen  Apperception,  die 
iinter  verschiedenen  sich  darbietenden  Verbindungen  eine  be- 
stimmte selbstthätig  auswählt,  wohl  jene  andere  passive  Willens^ 
thätigkeit  zu  unterscheiden,  die  entweder  nur  die  an  und  für 
sich  schon  herrschenden  Empfindungen  in  den  Blickpunkt  des 
Bewusstseins  hebt,  oder  in  ihrer  Auswahl  durch  irgend  welche 
Dispositionen  des  Bewusstseins  bestimmt  ist.  Ist  bei  den  asso- 
ciativen Verbindungen  jene  Apperception  niemals  entbehrlich, 
so  sind  apperceptive  Verbindungen  solche,  bei  denen  die  active 
Apperception  vorherrscht. 


30  Th.  lApjpB:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

Man  könnte  hier  schon  die  Beantwortung  zweier  Fragen 
vermissen,  die  doch  von  entscheidender  Wichtigkeit  scheinen. 
^  Die  eine  geht  dahin,  ob  man  denn  mit  dem  Verfasser  eine  be- 
sondere, den  Vorstellungsverlauf  auf  besondere  Weise  beeinflus- 
sende Apperceptionsthätigkeit  überhaupt  annehmen  dürfe ;  die 
andere  lautet,  ob  nicht,  falls  sie  existirt,  auch  die  active  Apper- 
ception,  wie  die  passive  von  irgend  welchen  nicht  dem  Wollen 
angehörigen  Factoren  derart  beeinflusst  zu  denken  sei,  dass  ein 
thatsächlicher  Unterschied  der  beiden  im  Grunde  nicht  bestehe. 
In  der  That  denke  i  c  h  wenigstens  hinsichtUch  der  ersten  Frage 
nicht  wie  der  Verf.  Wo  ein  a  ein  b  bestandig  oder  in  vielen 
Fällen  begleitet,  so,  dass  ein  Gausalzusammenhang  zwischen 
beiden  feststeht  und  doch  nicht  b  fĂĽr  die  Ursache  des  a  ge- 
halten werden  kami,  da  besteht  immer  noch  die  doppelte 
Möglichkeit,  einmal  dass  a  Ursache  des  b  sei,  und  dann,  dass 
a  nur  als  ein  Nebenerfolg  der  wahren,  vielleicht  der  immittel- 
baren  Wahrnehmung  sich  verbergenden  Ursache  des  b  zu 
gelten  habe.  So  ist  der  Blitz,  diese  Lichterscheinung,  nicht 
die  Ursache  des  Donners,  sondern  ein  zweites  Produkt  eben 
des  Naturvorgangs,  der  auch  den  Donner  erzeugt  So  ist  das 
eigenthĂĽmliche  SpannungsgefĂĽhl,  das  wir  haben,  wenn  wir 
Gegenstände  heben,  nicht  die  Ursache  der  Bewegung,  sondern 
das  begleitende  Phänomen,  in  dem  sich  die  Auslösung  der 
manchfachen,  unserm  immittelbaren  Bewusstsein  unzugäng- 
lichen mechanischen  Vorgänge,  deren  schliessliches  Resultat 
die  Bewegung  ist,  unserer  Empfindung  verräth.  Ich  meine 
nun,  dass  wir  auch  in  den  eigenthĂĽmlichen  inneren  Spannun- 
gen, die  vrir  bei  gewissen  Vorstellungsvorgängen  empfinden, 
nichts  ^Anderes  zu  sehen  haben,  als  die  Phänomene,  durch 
welche  gewisse  Weisen  der  Vorstellungen  sich  gegenseitig 
zu  beeinflussen  und  gegeneinander  zu  arbeiten,  von  ihrem  Vor- 
handensein Kunde  geben.  Sie  brauchen  dann  doch  mit  diesen 
ihrer  eigensten  EigenthĂĽmlichkeit  nach  unbekannten  Momenten 
des  psychischen  Geschehens  nicht  mehr  Aehnlichkeit  zu  haben, 
als  das  SpannungsgefĂĽhl  im  Arme  mit  den  molekularen  Vor- 
gängen, die  der  Bewegung  des  Gliedes  voraufgehen. 

Ich  bin  aber  auch  weiterhin  der  Meinung,   dass,    wenn 
der  vom  Verfasser  statuirte  Willenseinfluss  existirte,  dennoch 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenn tnisstheorie  etc.  31 

immer  etwas  in  der  Seele  existiren  mĂĽsste,  das  den  Willen 
veranlasste,  diesen  und  nicht  jenen  Vorstellungen  auf  diese 
und  nicht  jene  Weise  zu  Gute  zu  kommen,  und  dass  dies 
Etwas  in  jedem  Falle  in  einer  besonderen  Beschaffenheit  der 
Vorstellungen  selbst  oder  in  irgend  welcher  sonstigen  „Dis- 
position" des  Gemäths  —  der  Ausdruck  ist  allgemein  genug 
—  bestehen  müsste,  dass  demnach  allerdings  der  Vorgang  der 
actiyen  Apperception  mit  dem  der  passiven,  wie  ihn  der  Ver- 
fasser beschreibt,  im  Wesentlichen  zusammenstimmen  wurde. 

Daraus  folgt  ein  Doppeltes.  Haben  ĂĽberhaupt  die  apper- 
ceptiven  Vorgänge,  ich  meine  diejenigen  psychischen  Akte, 
die  nicht  ohne  begleitende  Wollungen  zu  Stande  kommen, 
eine  besondere  erkenntnisstheoretische  Bedeutung,  dann  darf 
man,  vorausgesetzt  dass  Erkenntniss  wirklich  aus  ihren  letzten 
zugänglichen  Gründen  erklärt  werden  soll,  sich  in  keinem 
Falle  damit  begnügen,  für  diese  Vorgänge  entsprechende 
Willensakte  einfach  verantwortlich  zu  machen,  vielmehr  muss 
man  suchen  —  sei  es  auch  nur  im  Allgemeinen  —  die  Fac- 
toren  aufzuzeigen,  die  nach  der  einen  Ansicht  den  Willen  ver- 
anlassen, diese  oder  jene  Leistung  zu  voQziehen,  nach  der 
andern  die  Vorstellungsvorgänge  und  mit  ihnen  zugleich  das 
begleitende  Willensphänomen  zu  Wege  bringen.  Sind  zwei- 
tens gewisse  „apperceptive"  Vorgänge  a  vor  andern  b  er- 
kenntmsstheoretisch  bedeutsam,  dann  kann  der  Vorzug  der 
a  in  keinem  Falle  auf  einem  thatsächlichen  Unterschied  der 
Activität  und  Passivität  der  Apperception  beruhen,  da  ja  die 
Apperception,  wenn  sie  ĂĽberhaupt  ein  Besonderes  ist,  immer 
gleich  acĂĽv  und  passiv  heissen  muss,  viehnehr  besteht  auch 
hier  die  Forderung,  weiter  zurĂĽckzugehen  auf  den  Unterschied 
derjenigen  psychischen  Factoren,  die  die  active  oder  passive 
Apperception  machen,  bezw.  das  Bewusstsein  der  Acti- 
vität oder  Nichtactivität  allererst  in  uns  erzeugen. 

Dem  Verfasser  nun  sind  die  activen  Apperceptionen  von 
derart  besonderer  erkenntnisstheoretischer  Bedeutung,  dass 
sie  im  Grunde  das  Denken  im  Unterschied  vom  blossen  Ver- 
knĂĽpfen und  Aneinanderreihen  von  Vorstellungen  machen. 
Oder  vielmehr  —  es  scheint  nur,  als  solle  mit  dem  Gegen- 
satz der  beiden  Apperceptionen  eine  scharfe  Scheidung  der 


32  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

Denkakte  von  sonstigen  Vorstellungsleistungen  gewonnen  sein. 
In  Wirklichkeit  tritt  im  weiteren  Verlauf  der  Untersuchung 
jener  Gegensatz  in  den  Hintergrund  und  es  bleiben  nur  ab- 
geleitete Bestimmungen,  die  keineswegs  mit  ihm  zugleich 
stehen  und  faUen. 

Ich  hebe  von  diesen  Bestimmungen  hier  schon  eine  hervor. 
Es  hat  nämlich  ohne  Zweifel  das  Denken  vor  dem  gewöhn- 
lichen Verlauf  des  associativen  Vorstellens  den  Vorzug,  von  be- 
stimmten Punkten  aus  nach  bestimmten  Zielen  hin  sich  zu  be- 
wegen, mithin  geregelt  zu  verlaufen,  ĂĽeberall  aber,  wo  dies  der 
FaD  ist,  wo  in  unserm  Vorstellungsleben  derart  herrschende 
Punkte  sich  finden,  die  Anderes  nach  sich  bestimmen,  Vorgänge 
in  Bahnen  lenken,  die  sie  sonst  nicht  eingeschlagen  haben  wĂĽr- 
den, da  entsteht  in  uns  ein  Bewusstsein  der  Thätigkeit,  Ac- 
tivitat,  Spontaneität.  Folglich  wird  das  Denken  von  einem 
solchen  Bewusstsein  nothwendig  begleitet  sein.  Dies  ist  aber 
nicht  Alles.  Nähere  Untersuchung  zeigt  auch,  dass  in  ge- 
wissen Phänomenen  des  WoUens,  in  gewissen  unserem  Acti- 
vitätsbewusstsein  angehörigen  Erscheinungen  also  —  denn 
auf  Willensphänomenen,  die  unser  Vorstellen  begleiten,  beruht 
das  Bewusstsein  der  innem  Activität  —  das  specifisch  Eigen- 
thĂĽmliche  besteht,  das  das  Denken  von  allen  sonstigen  Be- 
wusstseinsvorgängen  unterscheidet. 

Der  Verfasser  nun  ist  es,  der  die  Spontaneität  des  Den- 
kens deutlich  in's  Licht  stellt  und  das  Denken  schon  in  sei- 
nen ersten  Anfangen  ausdrücklich  als  eine  „unmittelbare  innere 
Willenshandlung*^  bezeichnet  Dass  und  wie  er  dies  thut, 
scheint  mir  im  höchsten  Maasse  werthvoU.  Immerhin  bleibt, 
wie  ich  meine,  zu  bedauern,  dass  er  darauf  verzichtet,  die 
besondere  Art  der  Willensphänomene,  die  das  Eigenthümliche 
des  Denkens  ausmachen,  vor  anderen  zu  bezeichnen  und  den 
psychologischen  Gründen  dieses  wie  des  Activitätsbewusst- 
seins  überhaupt  weiter  nachzugehen;  da  nicht  nur  Activität 
überall  ist,  wo  Vorstellen  ist,  imd  insbesondere  das  „willen- 
loseste*^ Phantasiespiel  unter  Umständen  ebenso  spontan  sein 
kann,  wie  das  spontanste  Denken,  sondern  auch  das  Be- 
wusstsein der  Spontaneität  möglicherweise  ebenso  stark 
imd  sogar  stärker  vorhanden  ist,  wo  wir  nicht  denken,  son- 


Th.  LippB:  Die  Aufgabe  der  Ertcenntnisstheorie  etc.  33 

dern  aus  blosser  Laune,  oder  weil  ein  vom  logischen  weit 
abliegendes  Interesse  uns  treibt,  jetzt  auf  dies  dann  jenes 
Object  oder  Theilobject  unsere  Aufmerksamkeit  concentriren. 
Muss  ja  doch  allgemein  zugestanden  werden,  dass  ebenso  die 
blosse  Abgrenzimg  eines  a  von  einem  nahestehenden  b,  wie 
die  Erkenntniss  der  besonderen  Gesetzmässigkeit,  die  jenes 
Yor  diesem  beherrscht,  zu  um  so  grösserer  Klarheit  gelangen 
wird,  je  weiter  die  Aufdeckung  der  letzten  Elemente  und 
Grande  der  beiden  gediehen  ist. 

Wir  sind  hier  einer  eigenthämlich  mittleren,  die  psy- 
chologische Erklärung  nur  bis  zu  einem  gewissen  Punkte  her- 
beiziehenden erkenntnisstheoretischen  Stellung  des  Verfassers 
beg^[net    Wir  werden  derselben  weiterhin  begegnen. 

Innerhalb  der  associativen  Verbindungen  werden  die  si- 
multanen von  den  successiven  unterschieden  und  ihnen  voran- 
gestellt. Wiederum  zerfallen  jene  in  associative  Synthesen, 
Assimilationen  und  Gomplicationen,  derart,  dass  die  Synthese 
„durch  die  Verschmelzung  elementarer  Empfindungen  zusam- 
mengesetzte Vorstellungen  zu  Stande  bringt^S  die  Assimilation 
„in  der  simultanen  Verschmelzung  einer  neu  ehitretenden  mit 
einer  bereits  befestigten  Vorstellung  besteht",  und  endlich 
unter  Gomplication  „die  simultane  Verbindung  zusammenge- 
setzter Vorstellungen .  verschiedener  Sinne"  verstanden  wird. 
Me  diese  Verbindungen  haben  das  Gemeinsame,  dass  bei 
ihnen  die  sich  verbindenden  Vorstellungen  immer  „mehr  oder 
minder  verändernd  auf  einander  einwirken".  Eben  dies  un- 
terscheidet sie  von  den  successiven  Associationen,  bei  denen 
„im  ADgemeinen  jede  einzelne  Vorstellung  diejenige  Beschaf- 
fenheit behält,  die  sie  auch  im  isolirten  Zustande  besitzen 
wĂĽrde". 

Analc^  den  associativen  zerfallen  auch  die  apperceptiven 
oder  Denkverbindungen  m  simultane  und  successive;  und 
zwar  sind  jene  entweder  Vorstellungsagglutinationen  oder  Ver- 
schmelzungen (apperceptive  Synthesen  der  Vorstellungen)  oder 
endlich  Begriffsbildui^en,  während  diese  nacheinander  den 
einfachen  und  den  zusammengesetzten  Gedankenverlauf  zu 
Wege  bringen.  Alle  simultanen  Verbindungen  der  Appercep- 
tion  erzeugen  Gresammtvorstellungen,  d.  h.  „solche  Erzeugnisse 

PhUoeoph.  Monatahefte  1881,  I  u.  U.  3 


34  Th.  Lipps:  Die  Aufj^^abe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

des  Denkens,  in  denen  sich  mehrere  Vorstellungen  zu  einer 
neuen  vereinigen,  die  von  zusammengesetzter  Beschaffenheit 
ist''.  Sie  unterscheiden  sich  aber  dadurch  von  einander,  dass 
bei  der  Agglutination  die  neue  durch  Verbindung  aufeinander 
folgender  Vorstellungen  entstandene  Gesammtvorstellung  jene 
noch  als  ihre  Elemente  in  sich  enthält,  während  bei  Ver- 
schmelzung und  Begriffsbildung  ein  solcher  Fortbestand  der 
Elemente  nicht  mehr  stattfindet.  Speciell  ist  der  Begriff 
„die  durch  active  Apperception  vollzogene  Verschmelzung  einer 
herrschenden  Einzelvorstellung  mit  einer  Reihe  zusammenge- 
höriger Vorstellungen".  Von  allen  simultanen  Verbindungen 
des  Denkens  sondern  sich  —  freilich  ohne  scharfe  Grenze  — 
die  successiven  dadurch,  dass  bei  ihnen  „die  mit  einander 
verknüpften  Vorstellungen  stets  ihre  Selbstständigkeit  bewah- 
ren, niemals  also  in  eine  einzige  Vorstellung  verschmelzen 
können''. 

Im  Einzelnen  geben  die  Erörterungen  der  verschiedenen 
Stufen  und  Unterstufen  zxmächst  zu  zwei  Bemerkungen  Ver- 
anlassung. Die  eine  ist  mehr  psychologisch  -  erkenntnisstheo- 
retischer Natur,  die  andere  bezieht  sich  auf  des  Verfassers 
Stellung  zum  Sprachlichen. 

Unter  die  associativen  Synthesen  der  Vorstellungen  fallen 
neben  anderen  Vorgängen  die  Verschmelzungen  der  Grund- 
töne mit  ihren  Obertönen  zu  einem  einzigen  Klange.  In  die- 
ser Unterordnung  liegt  eine  Zweideutigkeit.'  Verschiedenartige 
Erregungen  cei  as  co,  die  unter  gewissen  Bedingungen  jede 
fĂĽr  sich  eine  Tonempfindung  ai  aa  as  erzeugen  wĂĽrden,  er^ 
zeugen  unter  anderen  Bedingungen  thatsächlich  nicht  diese 
Einzelempflndung,  sondern  eine  davon  verschiedene  Empfin- 
dung A,  die  nur  mit  einer  jener  nicht  zu  Stande  kommen- 
den  ai  as  dB  gleiche  Höhe  besitzt.  Dies  ist  doch  wohl  der 
thatsächliche  Vorgang.  Soll  derselbe  als  Verschmelzung  be- 
zeichnet werden,  so  kann  er  höchstens  eine  Verschmelzung 
an  sich  unbewusster  und  darum  ihrer  EigenthĂĽmlichkeit  nach 
psychologisch  völlig  unbekannter  psychischer  oder  physiolo- 
gischer Erregungen  zu  einem  und  demselben  Empfindungs- 
oder Vorstellungseffect  A  heissen,  niemals  aber  im  eigent- 
lichen Sinne  eine  Verschmelzung  von  Empfindungen  zu  einer 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  ErkenntniBstheorie  ete.  35 


• 


davon  verschiedenen  anderen  Empfindung.  Ich  empfinde  nicht 
einen  Gnmdton  und  daneben  mehrere  Obertöne,  indem  ich 
den  Trompetenton  t  höre  und  ich  empfand  nichts  derglei- 
chen, ehe  ich  zur  Wahrnehmung  von  t  ĂĽberging,  sondern 
was  ich  empfand,  war  immer  nur  der  eine  so  oder  so  nĂĽan- 
cirte  Ton  t.  Freilich  kann  ich  bei  angestrengter  „Aufmerk- 
samkeit" oder  Hinzuziehung  mechanischer  HĂĽlfsmittel  dazu 
kommen,  einen  der  Töne  ai  a2,  die  den  einzelnen  Erregungen 
ci  OB  entsprechen,  fĂĽr  sich  wahrzunehmen.  Dann  beweist 
dies  doch  nicht,  dass  die  ai  as  etc.  in  A  stecken,  sondern 
nur,  dass  in  der  Gesammterregung,  deren  Resultat  A 
ist,  ein  a  steckt,  und  dass  es  Mittel  gibt,  dies  so  zu  steigern, 
dass  es  statt  weiter  mit  den  anderen  o  zusammenzuwirken, 
fĂĽr  sich  einen  psychischen  Erfolg  zu  Wege  bringt. 

Wie  bei  der  Synthese,  so  findet  auch  bei  der  Assimi- 
lation der  Begriff  der  Verschmelzung  Anwendung.  Wir  sind 
„zur  Voraussetzung  gezwungen,  dass  mit  der  Einwirkung  des 
Sinneneindrucks  in  einem  fĂĽr  unser  Bewusstsein  untrennbaren 
Akte  die  Reproduction  der  älteren  Vorstellung  stattfindet, 
welche  dann  sofort  mit  der  neuen  in  eine  einzige  Vorstellung 
verschmilzt".  In  der  That  ist  der  Vorgang  hier  im  Wesent- 
lichen derselbe,  nur  dass  nicht  verschiedene,  sondern  gleiche 
Erregungen  zu  einem  Vorstellungsobject  zusammen  wirken. 
Die  Vorstellung  R  =  a  b  c  sei  aus  dem  Bewusstsein  verschwun- 
den. Nun  gelange  an  die  Seele  ein  Reiz,  dem  die  Vorstel- 
lung Ri  =  a  d  e  entspricht.  Dann  erregt  dieser  Reiz  zugleich 
die  von  R  zurückgelassene  Spur  zur  Wiedererzeugung  zunächst 
des  in  R  enthaltenen  a.  Statt  dass  aber  das  ganze  R  neben 
dem  ganzen  Ri ,  also  a  b  c  neben  ade  erzeugt  wird,  vereinigt 
sich  das,  was  in  der  reproductiven  Erregung  dem  a  entspricht, 
mit  der  auf  ein  gleiches  Empfindungsresultat  gerichteten  Thä- 
tigkeit  des  Reizes  zur  gemeinsamen  Hervorbringung  eines  ein- 
zigen a.  Da  dem  Reiz  ausser  a  ein  d  e  entspricht  und  die 
reproductive  EIrregung  vermöge  einfacher  Association  sich  der 
Spur  von  b  und  e  mittheilt,  so  ist  das  Gesammtresultat 
A  =  a  b  c  d  e. 

Damit  ist  nicht  gesagt,   dass  nicht  auch  wirkliche  Vor- 
steflongen  in  eine  einzige  ĂĽbergehen  oder  ihr  Platz  machen 


36  Th.  Lipps:  Die  Aufig^abe  der  Erkenntnisstheorie  ete. 

könnten;  vielmehr  findet  dergleichen  beispielsweise  da  immer 
Sta^,  wo  Objecte,  die  erst  doppelte  Bilder  ergaben,  nach- 
träglich fixirt  werden.  Sie  nähern  sich  einander,  um  schliess- 
lich in  einem  einzigen  zu  verschwinden.  Aber  auch  hier  ist 
es  unrathsam,  von  Verschmelzung  zu  sprechen,  als  steckten 
die  beiden  Vorstellungen  in  der  einen,  wenn  auch  unselbst- 
ständig  und  nicht  mehr  unterscheidbar,  wie  zwei  Metalle  ilii 
und  ms,  die  zu  dem  einen  M  verschmolzen  wurden.  Uebri- 
gens  denkt  der  Verfasser  weder  bei  der  Synthese,  noch  bei 
der  Assimilation  an  ein  solches  nachträgliches  Uebei^ehen  zweier 
Vorstellungen  in  eine.  Unmittelbar  erscheint  dort  der  als 
Vorstellung  absolut  einfache  Klang,  hier  die  zusammengesetzte 
Vorstellung  abcde.  Dann  meine  ich,  könne  er  auch  nicht 
umhin,  alles,  was  Verschmelzung  zu  heissen  ein  Recht  hat, 
den  unbewussten  und  unbekannten  Erregungen  zu  ĂĽberlassen 
und  den  wirklichen  Vorstellungen  keine  Weise  der  Verbin- 
dung zuzugestehen,  als  die  einfache  raumzeitliche  Aneinander- 
fugung.  Die  Freiheit,  der  .KĂĽrze  halber  und  nach  Analogie 
der  latenten  Wärme  dasjenige,  was  nicht  Vorstellung  ist,  aber 
imter  gĂĽnstigen  Bedingungen  Vorstellungen  erzeugt,  auch  schon 
als  Vorstellung  zu  bezeichnen  und  in  dem  Sinne  auch  von 
Vorstellungsverschmelzungen  zu  sprechen,  diese  Freiheit  ist 
damit  nicht  ausgeschlossen,  nur  dass  sie  die  Verpflichtung  in 
sich  schliesst,  darĂĽber  zu  wachen,  dass  nicht  der  Gleichheit 
der  Namen  die  Gleichheit  der  Sachen  sich  unterschiebe. 

Nur  in  einem  Falle  scheint  mir  die  Annahme,  eine  Mehr- 
heit von  Vorstellungen,  gleichgĂĽltig  ob  verschmolzen  oder 
nicht,  könne  da  zugegen  sein,  wo  wir  nur  eine  Vorstellung 
in  uns  finden,  einen  verständlichen  Sinn  zu  geben,  dann 
nämlich,  wenn  man  allen  Ernstes  von  solchen  wirklichen  Vor- 
steOungen  glaubt  sprechen  zu  dĂĽrfen,  die  trotz  ihrer  Wirk- 
lichkeit nicht  Gegenstand  unseres  Bewusstseins  seien;  oder 
vielmehr  die  Verständlichkeit  hat  für  mich  dann  erst  recht 
ein  Ende.  Ich  unterlasse  es  aber,  meine  GrĂĽnde  fĂĽr  diese 
Behauptung  auseinanderzusetzen  und  begnĂĽge  mich,  zu  con- 
staĂĽren,  dass  demselben  Urtheil,  wie  die  unbewussten,  auch 
die  halb-  oder  dunkelbewussten  Vorstellungen  verfallen,  und 
dass  die  Sache  um  nichts  besser  wird,    wenn  man  statt  des 


Th.  Lipp0:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  37 

Bewusstseins  von  einer  Vorstellung  diese  selbst  dunkler  oder 
schwächer  werden,  sich  steigern  oder  verdeutlichen  lässt. 
Oder  vielmehr  ich  äberlasse  auch  hier  die  Frage  der  Mög- 
lichkeit oder  Unmöglichkeit  sich  selbst,  um  nur  darauf  zu 
dringen,  dass  die  genannten  Seelenzustände  und  Vorgänge 
wenigstens  nicht  Gegenstände  unmittelbarer  Wahrnehmung 
sein,  also  auch  da,  wo  es  sich  um  unmittelbar  bewusste  Un- 
terschiede zwischen  Geistesinhalten  handelt,  nicht  in  Betracht 
kommen  können.  Wir  nehmen  in  uns  ausser  den  Vorstel- 
lungsinhalten gar  nichts  wahr,  kein  Bewusstsein,  also  auch 
kein  Verfaaltniss  der  bihalte  zu  diesem  Bewusstsein,  keine 
vorstellende  Thätigkeit,  also  auch  keine  Steigerung  oder  Min- 
denmg  dieser  Thätigkeit. 

Ich  leugne  damit  nicht,  dass  alle  jene  AusdrĂĽcke  Erfah- 
rungsthatsachen  bezeichnen,  ich  leugne  nur,  dass  sie  dieselben 
auf  exacte  Weise  bezeichnen,  hnmerhin  brauchte  daraus  kein 
allzu  grosser  Schade  zu  erwachsen,  wenn  es  immer  dieselben 
genau  bestimmten  Vorgänge  wären,  die  man  als  Steigerung 
oder  Herabstimmung  des  Vorstellens,  als  Hervor-  oder  ZurĂĽck- 
treten im  Bewusstsein  etc.  bezeichnet.  Aber  dies  ist  keines- 
wegs der  Fall.  Zwar  haben  die  Vorgänge,  die  diese  uneigent- 
lichen Namen  tragen,  das  Gemeinsame  mit  einer  Verstärkung 
oder  Abschwächung  des  Einflusses  der  Vorstellungsinhalte  auf 
den  sonstigen  Verlauf  des  geistigen  Geschehens,  einer  Erhöhung 
bezw.  Verminderung  ihrer  psychischen  Bedeutung  verbunden 
zu  sein.  Aber  diese  Verstärkung  oder  Schwächung,  Er- 
höhung oder  Verminderung  kann  auf  die  verschiedenste  Weise 
zu  Stande  kommen.  Vorstellungen  können  intensiv  oder  qua- 
litativ sich  verändern,  hinsichtlich  ihrer  Dauer  oder  der  Zahl 
ihrer  Elemente  gewinnen  bezw.  Einbusse  erleiden,  ihnen  selbst 
fremdartige  Zusätze  der  mannichfaltigsten  Art  erlangen  resp. 
verlieren,  immer  wird,  vorausgesetzt,  dass  damit  jener  Erfolg 
verknäpil  ist,  der  Sprachgebrauch  bereit  sein,  mit  den  Uni- 
versabiamen  der  Hebung  und  Zurückdrängung  im  Bewusst- 
sän,  der  Beleuchtung  oder  Verdunkelung,  oder  wie  sonst  die 
Ausdrücke  lauten  mögen,  dem  Benennungsbedfirfnisse  ent- 
gegen zu  kommen.  Ja,  er  vrird  die  AusdrĂĽcke  gelegentlich 
selbst  da  anwenden,   wo  Vorstellung^i  völlig  neu  entstehen, 


38  Tb.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

bezw.  als  Vorstellungen  gänzlich  verschwinden,  mithin  von 
Hervor-  und  Zurücktreten  eines  in  seinem  Bestände  unver- 
änderten Inhaltes  sicher  gar  keine  Rede  ist. 

Dass,  wenn  dem  so  ist,  das  sich  BegnĂĽgen  mit  der  un- 
eigentlichen Ausdrucksweise  .  keinen  Schutz  gewähren  kann 
gegen  die  Gefahr  der  Vermischung  des  Heterogenen  und  Son- 
derung des  Gleichartigen,  dies  leuchtet  ein.  Umgekehrt  muss, 
wo  diese  Gefahr  vermieden  werden  soll,  nothwendig  jene  Bil- 
dersprache in  die  Sprache  der  Thatsachen  ĂĽbersetzt  und  da- 
mit zugleich  das  unbestimmt  Allgemeine  auf  seine  concreten 
Fälle  reducirt  werden.  Es  ist  aber  schon  gesagt,  worin  die 
concreten  Fälle  bestehen,  was  mit  dem  Hervor-  und  Zurück- 
treten etc.  gemeint  sein  kann.  Vorstellungsinhalte  können 
kommen,  kürzer  oder  länger  beharren,  verschwinden  und  sich 
verändern,  sie  können  mit  anderen,  der  objectiven  Welt  des 
Räumlichen,  der  Töne,  Farben  etc.  oder  der  subjectiven  der 
Lust  und  des  WoUens  angehörigen  Vorstellungen  engere  oder 
weniger  enge  Verbindungen  eingehen,  und  es  kann  aus  alle  dem 
eine  Erhöhung  resp.  Verminderung  ihrer  psychischen  Bedeu- 
tung resultiren:  hierin  fasst  sich  alles  zusammen,  was  Gegen- 
stand unserer  unmittelbaren  inneren  Erfahrung  sein  kann. 
Der  Rest  besteht  in  unbewussten  und  ihrer  EigenthĂĽmlichkeit 
nach  unbekannten  Vorgängen,  die  für  unser  Geistesleben,  also 
auch  fĂĽr  die  Thatsache  der  Erkenntniss  nur  in  soweit  Be- 
deutung haben,  als  sie  in  jenen  bewussten  Vorgängen  ihren 
Einfluss  geltend  machen,  deren  Vorhandensein  wir  auch  nur 
aus  den  Thatsachen  des  unmittelbaren  Bewusstseins  er- 
schliessen. 

Der  Verfasser  nun  verwendet  die  uneigentlichen  und 
allzu  allgemeinen  Bezeichnungen,  von  denen  wir  reden,  so- 
wohl zur  Erläuterung  der  Apperception  überhaupt,  als  ins- 
besondere zur  Verdeutlichung  der  durch  Apperception  zu 
Stande  kommenden  Verschmelzung  in  ziemlich  reichem  Maasse; 
und  er  thut  es,  ohne  ihre  Uebersetzung  in  die  Sprache  auf- 
findbarer Thatsachen  oder  gär  die  Erklärung  dieser  That- 
sachen, mithin  auch  ohne  eine  eigentliche  Erklärung  der 
Apperception  und  Verschmelzung  fĂĽr  die  Aufjgabe  der  Er- 
kenntnisstheorie zu  halten.    Ich  denke,   wenn  ich  dies  be- 


Th.  Lipps:  Die  Au^abe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  39 

daur^,  nicht  daran,  das  Verdienst  der  betreffenden  Erörte- 
rungen zu  bestreiten;  ich  bedaure  es  aber  um  so  mehr,  da 
sich  voraussehen  lässt,  dass  die  Sonderung  von  Vorstel- 
lungsYorgangen,  um  die  es  sich  handelt,  unter  der  Allge- 
meinheit jener  Namen  zu  leiden  haben  wird. 

Unbewusste,  dunklere  oder  dunkler  bewusste  Vorstel- 
lungen dienen  dem  Verfasser  vor  Allem  zur  Verdeutlichung 
des  Verschmelzungsprocesses  der  associativen  Synthese.  Er 
bezeichnet  s(^ar,  ohne  in  Widerspruch  zu  fallen,  —  da  beide 
Ausdrucke  nicht  den  Werth  einer  Erklärung  haben  können,  — 
das  Verhältniss  der  den  Obertönen  entsprechenden  Erregun- 
gen zu  dem  aus  ihnen  und  der  Grundtonerregung  gemeinsam 
resultirenden  Klange  das  eine  Mal  damit,  dass  er  die  Ober- 
töne dunkler  vorbestellt  sein  (S.  14),  das  andere  Mal  damit, 
dass  er  sie  in  dem  Resultat  völlig  unbewusst  vorhanden  sein 
lässt  (S.  31).  Weiter  geschieht  es  dem  Verfasser  zufolge  bei 
der  Gliederung  unmittelbar  gehörter  oder  reproducirter  Takte 
durch  Betonung  emzelner  Schläge  —  einem  Falle  der  Agglu- 
tination -~  lediglich  durch  die  Thätigkeit  der  activen  Apper- 
ception,  dass  wir  einzelne  Töne  „stärker  gehoben  denken*^ 
Ueherhaupt  ist  es  eine  Erscheinung,  die  bei  jeder  Appercep- 
tion  stattfindet,  dass  sie  einige  oder  wenige  Vorstellungen 
„bevorzugtes  „während  die  übrigen  im  dunkleren  Umfang 
des  Bewusstseins  bleiben^'  etc. 

Vergleicht  man  die  einzelnen  Erörterungen,  so  findet  man 
in  der  That  die  BefĂĽrchtung,  des  Verfassers  Verzichlleistung 
werde  es  zu  einer  durchgehends  sachgemässen  Sonderung 
nicht  kommen  lassen,  bestätigt.  Mir  wenigstens  scheint  sol- 
ches gleich  bei  der  associativen  Synthese  der  Fall  zu  sein. 
Es  wird  nämlich  diesem  Begriff  neben  der  Verschmelzung  der 
Tonerregungen  zu  Klängen  auch  die  Lokalisation  der  Gesichts- 
empfindungen auf  Grund  der  Lokalzeichen  und  der  Bewe- 
gungs-  oder  Innervationsempfindungen  untergeordnet,  ob- 
gleich hier,  was  wenigstens  die  Innervation  angeht  —  mit 
den  Lokalzeichen  scheint  mir  die  Sache  wiederum  eine  an- 
dtte  — der  Hergang  ein  völlig  verschiedener  ist.  Denn  wäh- 
rend dort  die  einzelnen  Obertonerregungen,  anstatt  die  ihnen 
entsprechenden  Empfindungen  zu  erzeugen,  mit  dem  Gnmd** 


40  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

ton  zur  Erzeugung  eines  eigenthĂĽmlich  geĂźlrbten  Klanges  zu- 
sammenwirken und  dies  nur  zu  thun  vermögen,   indem  sie 
auf  selbstständige  Hervorbringimg  von  Obertönen  verzichten, 
entstehen  hier  die  Innervationsempfindungen  thatsächUch,  sie 
können   sogar    —    man   denke  nur    an   das  Stereoskopiren 
mit  blossem  Auge  —  geradezu  empfindlich  sich  bemerkbar 
machen,  ohne  dass  dadurch  der  Erfolg,  das  Bewusstsein  einer 
gewissen  Entfernung  a  vom  Beschauer  etwa,   im  Mindesten 
beeinträchtigt  würde.     Demnach  ist  die  Lokalisation  etwas 
neben  den  Bewegungsempfindungen,  nicht  ein  anstatt  ihrer 
zu  Stande  kommendes,   und  es  braucht  ihr  Verhältniss  zu 
diesen  kein  anderes  zu  sein,  als  dasjenige,  das  auch  zwischen 
ihr  und  der  Perspective  besteht,   d.  h.  das  Verhältniss  der 
landläufigen  Association.   Der  ganze  Vorgang  aber  fiele,  wenn 
man  ihn   unter   eine  der  Kategorien   des  Verfassers  unter- 
bringen wollte,   unter  die  Assimilation.    Mit  einem  Innerva- 
tionsgefähl  hat  sich  das  Bewusstsein  der  Entfernung  a  erfah- 
rungsmässig  verknüpft.   Nun  entsteht,  indem  ich  ein  Object  bi- 
nocular  fixire,  dasselbe  InnervationsgefĂĽhl.   Dann  verschmelzen 
die  beiden  -~  ich  gebrauche  wissentlich  den  ungenauen  Aus- 
druck —  und  an  die  resultirende  Innervation  schliesst  sich  eben 
das  Entfernungsbewusstsein,  das  ehemals  damit  verbunden  war. 
Ich  unterlasse  es,  die  ausgesprochene  BefĂĽrchtung  weiter 
zu  rechtfertigen.   Dass  bei  der  Agglutination  von  gleich  star- 
ken und  in  ihrer  gleichen  Stärke  trotz  der  „Apperception^^ 
verharrenden  Tönen  a  b  c  ai  bi  ci    zu  Takl^anzen  (abc  und 
aibici)  die  Bevorzugung  einzelner  Töne  a  und  ai,   soweit 
sie   zum  Bewusstsein   kommt,   lediglich   darin  besteht,   dass 
mit  ihnen  (den  a  und  ai)  auf  irgendwie  zu  erklärende  Weise 
ein  besonderes  Interesse,    eine  Willensempfindung,    vielleicht 
ausserdem  noch  ein  körperliches  Innervationsgefühl  sich  ver- 
bindet,   dass  also  die  A^lutination  —  ich  meine  den  be- 
wussten  Vorgang  —  in  diesem  Falle  als  ein  Beispiel  eigen- 
thümlicher  Association  zu  gelten  hat,  —  gegen  diese  Behaup- 
tung,  meine  ich,  kann  die  allgemeine  Erfahrung  nichts  ein- 
zuwenden haben.     So   spielen   ĂĽberhaupt  die  Associationen 
mit  subjectiven  Vorstellungselementen,  Wollungen,  Lust-  und 
UnlustgefĂĽhlen,  Empfindungen  eines  so  oder  so  beschaffenen 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  H 

Interesses,  die  dem  Verfasser  in  den  Allgemeinnamen  der 
Apperception,  Verschmelzung,  Hebung  etc.  verschwinden,  in 
der  Ei^enntnisstheorie  eine  hervorragende  RoUe. 

Man  verzeihe  die  Weitläufigkeit,  die  ich  mir  bei  Bespre* 
diung  eines  einzelnen  Punktes  gestattet  habe.  Ich  that  es, 
wdl  es  sich  dabei  nicht  um  den  einzelnen  Punkt,  sondern 
um  einen  fär  die  ganze  Psychologie  und  damit  auch  die  Er- 
kamtnisstheorie  bedeutsamen  Gegensatz  der  Verfahrungswei* 
sen  handelt.  Wir  sind,  so  meine  ich,  im  Begriffe,  in  diesen 
Wissenschaften  mehr  und  mehr  der  Erklärung  durch  Abstrac* 
ticmen,  Anthropomorphismen,  Bilder  zu  entsagen  und  uns  nur 
da  auf  festem  Boden  zu  glauben,  wo  wir  die  letzten  auffind- 
baren Thatsachen  in  greifbarer  Bestimmtheit  vor  Augen  sehen. 
Wir  haben  aber  noch  nicht  völlig  mit  jenen  Eindringlingen 
gebrochen,  so  dass  noch  gar  manche  ihr  Wesen  treiben, 
denen  eine  genauere  Prüfung  ihres  Heimathrechtes  zu  völli- 
gem Verderben  ausschlagen  musste.  Und  doch  werden  und 
mĂĽssen  wir  zu  jenem  Ziele  gelangen,  um  so  sicherer,  je  deut- 
licher uns  durch  die  hervorragenden  Erkenntnisstheorien  und 
Psychcdogien  unserer  Tage,  insbesondere  die  Werke  des  Ver- 
fassers, der  Weg  dazu  vorgezeichnet  ist. 

Ebenso  principieller  Natur  ist  der  Punkt,  mit  dem  es  die 
zweite  der  oben  angekĂĽndigten  Bemerkungen  zu  thun  hat. 
Dass  die  Erkenntnisslehre  sich  zunächst  von  der  Sprache  mög- 
lichst unabhängig  zu  verhalten  habe,  um  dann  erst  die  Frage 
nsLch  dem  Verhältniss  der  beiden  zu  erörtern,  diese  Forde- 
nmg  meinte  ich  schon  in  dem  ersten  dieser  Aufsätze  aus- 
sprechen zu  mĂĽssen.  Der  Verfasser  nun  steht  auch  in  dieser 
Hiiiacht  auf  jenem  eigenthĂĽmlich  mittleren  Standpunkt,  der 
den  Unterschied  des  Sprachlichen  und  Logischen  nicht  ver- 
kennt und  dennoch  die  beiden  enger  miteinander  verkettet, 
als  es  für  Erkenntniss  der  logischen  Vorgänge  einerseits  und 
der  Bedeutung  der  sprachlichen  Formen  und  Gesetze  anderer- 
seits wĂĽnschenswerth  erschemen  kann.  Dies  zeigt  sieh,  wie 
späier,  so  auch  schon  in  dem  Abschnitt  der  Erkenntnisslehre, 
mit  dem  wir  es  hier  zu  thun  haben. 

f^Ffir  die  (apperceptive)  Verschmelzung  bieten  sich  vor- 
zugsweise auf  dem  Gebiet  der  Sprache  charakteristische  Bei-* 


4f2  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

spiele  dar'^  Diese  allgemeine  Erklärung  muss,  so  will  mir 
scheinen,  von  vornherein  befremden.  Wie  können  für  rein 
psychologische  Thatsachen  Belege  in  der  Sprache  gefunden 
werden?  Freilich,  wir  sehen  bald,  wie  Solches  gemeint  ist 
„Während  wir  in  einem  Worte  wie  »Heerfährer«  noch  deut- 
lich die  beiden  Elemente  Heer  und  Fährer  als  gesonderte 
Vorstellungen  auffassen,  daher  auch  das  Bewusstsein  sich  zu- 
nächst die  Elemente  vergegenwärtigen  wird,  ehe  es  die  aus 
ihnen  resultirende  zusammengesetzte  Vorstellung  bildet,  sind 
in  Worten  wie  »Herzog«,  »Marschall«  und  andern,  diese 
Elemente  vollständig  unselbstständig  geworden.  Nur  das  Wort 
als  Ganzes  hat  noch  eine  Bedeutung,  so  dass  hier  in  einem 
Akte  die  gesammte  Vorstellung  vor  unser  Bewusstsein  tritt, 
ohne  dass  wir  vorher  die  Elemente  zu  appercipiren  brauchen, 
aus  denen  sie  ursprünglich  hervorg^angen  ist."  —  Es  han- 
delt sich  darnach  um  die  Bezeichnung  eines  vielfaltigen  In- 
haltes durch  ein  Wort,  um  ihre  Vereinigung,  wenn  wir  so 
wollen,  in  einem  einzigen  Akt  der  Benennung.  Es  ist  aber 
auch  deutlich,  dass  man  den  Vorgang  eine  Verschmelzung 
von  Vorstellungen  nur  dann  nennen  kann,  wenn  man 
nicht  nur  den  Unterschied  zwischen  dem  Verhältniss  der  Vor- 
stellungsinhalte untereinander  und  dem  Verhältniss  derselben 
zu  dem  bezeichnenden  Worte  gänzlich  zur  Seite  lässt,  sondern 
auch  ausserdem  das  Wort  Verschmelzung  in  einem  noch  viel 
unbestimmteren  Sinne  nimmt,  als  es  bei  der  assodativen  Syn- 
these vom  Verfasser  genommen  wurde. 

Setzen  wir  mit  Beiseitelassung  des  Herzogs  und  Marschalls 
dem  Worte  HeerfĂĽhrer  das  gleichbedeutende  General  entg^fen, 
dann  ändert  sich  das  Verhältniss  der  Vorstellungselemente 
ab  cd,  deren  Einheit  ich  als  Heerfährer  oder  General  be- 
zeichne, untereinander  selbstverständlich  in  keiner  Weise,  wenn 
ich  von  der  einen  Benennung  zur  anderen  öbei^ehe.  Dagegen 
erleidet  allerdings  das  Verhältniss  eben  dieser  Elemente  zu 
dem  bezeichnenden  Worte  eine  gewisse  Modification.  Indem 
ich  mir  den  Sinn  des  Wortes  HeerfĂĽhrer  zum  Bewusstsein 
brachte,  konnte  ich  wenigstens  so  verfahren,  dass  ich  zu- 
nächst die  ürtheile  fällte:  a  und  b  gehören  dem  Worte- Heer 
an   und  c  und  d  stehen  im  selben  Verhältniss   zum  W<^e 


Tb.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc..  43 

Fährer,  um  dann  erst  zum  Gesammturtheil  überzugehen, 
ab  und  cd  geben  zusammen  den  Sinn  des  Wortes  Heer- 
führer; wogegen  mein  Verständniss  des  Wortes  General  in 
dem  unmittelbaren  Bewusstsein  von  der  Zusammengehörigkeit 
von  ab  cd  zu  dem  betreffenden  Worte  besteht,  ohne  dass 
ich  Veranlassung  hätte,  dies  eine  Urtheil  durch  irgend  welches' 
Doppelurtheil  vorzubereiten.  Nun  ist  es  ohne  Zweifel  eine 
wichtige  Frage  der  Erkenntnisstheorie,  wie  es  zugehe,  dass 
ein  Wort  viele  Vorstellungselemente,  ohne  sie  in  ihrem  Be- 
stand und  gegenseitigen  Verhältniss  zu  beeinträchtigen,  also 
auch  ohne  sie  zu  verschmelzen,  dennoch  in  gewissem  Sinne 
in  eins  zusanmienfassen  könne;  aber  dies  Problem  ist  nur 
ein  specieller  Fall  des  allgemeineren,  wie  es  zugehe,  dass 
überhaupt  ein  Prädikat  mehrere  Vorstellungen  zusammen- 
fassen, auf  sie  als  Ganzes  sich  beziehen  könne.  Denn  das 
Bewusstsein ,  dass  a  b  c  d  zusammen  den  Sinn  des  Wortes 
General  ausmachen,  ist  hinsichtlich  seines  erkenntnisstheore- 
iischen  Werthes  von  dem  Urtheil,  dass  Sauerstoff  und  Wasser- 
stoff zusammen  Wasser  geben,  nicht  verschieden.  Will  man 
dies  objective  Thatsachenurtheil  eine  Verschmelzung  der 
Vorstellungen  Sauerstoff  und  Wasserstoff  nennen,  so  kann 
man  auch  jenem  Benennungsurtheile  den  Namen  Verschmel- 
zung' der  Vorstellungselemente  a  b  c  d  zugestehen.  Scheut 
man  sich  dort  den  Namen  anzuwenden,  dann  steht  es  fest, 
dass  bei  den  Vorgängen,  die  der  Verfasser  als  apperceptive 
Verschmelzungen  bezeichnet,  von  Verschmelzung  in  keiner 
Weise  die  Rede  sein  kann.  In  jedem  Falle  aber  schehit 
mir,  was  jene  „Verschmelzungen^^  besonderes  bieten,  nicht  in 
die  Lehre  von  den  Vorstellungsverbindungen,  die  noch  nicht 
Urtheile  sind,  zu  gehören,  sondern  mitten  in  der  Urtheilslehre 
selbst  seine  Stelle  zu  fmden. 

Es  ist  nicht  die  Absicht  dieser  Aufsätze,  die  Leistungen 
der  Wundt'schen  Erkenntnisslehre,  die  nicht  immer  mit  dem 
Standpunkt  der  Betrachtung  zugleich  stehen  und  faUen,  im 
iänzelnen  darzulegen  und  zu  beurtheilen.  Worauf  es  mir  im 
Wesentlichen  ankonmit,  ist  nur  eben  jener  Standpunkt  der 
Betrachtung.  Ich  unterlasse  es  darum,  die  weiteren  Erörte- 
rungen ĂĽber  die  Bedeutung  jener  apperceptiven  Verschmel- 


44  .Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

Zungen  aber  Verschiebung,  Verdichtung  und  Zerfiiessung  der 
Vorstellungen,  die  nicht  aufhören*  von  biteresse  zu  sein, 
mögen  sie  nun  diesem  oder  jenem  Kapitel  der  flrkenntniss- 
lehre  angehören,  nach  Gebühr  zu  würdigen.  Ich  unterlasse 
es  ebenso,  den  lichtvollen  Erörterungen  über  Entstehung  der 
Begriffe,  insbesondere  der  Zurückweisung  der  „verworrenen 
Gesammtvorstellungen^^  die  nirgends  auffindbar,  dennoch  den 
Begriffen  zu  Grunde  li^en  sollen,  im  Einzelnen  zu  folgen,  um 
nur  zu  zeigen,  wie  auch  in  der  Definition  des  Begriffs  einer- 
seits die  unbestimmte  Allgemeinheit  der  Verschmelzung  von  Vor- 
stellungsinhalten, andererseits  die  Neigung,  Sprachliches  und 
Gedankliches  innerhalb  der  Darstellung  in  eins  „verschmel- 
zen" zu  lassen,   sich  bemerkbar  macht. 

Alles  was  unser  Geist  von  Vorstellungen  besitzt,  findet 
sich  in  der  mannichfachsten  ViTeise  direct  und  indirect  ver- 
knüpft und  verflochten,  und  mögen  zwei  Vorstellungen  a  und  b 
im  Uebrigen  noch  so  wenig  mit  einander  gemein  haben,  so 
wird  es  doch  niemals  an  einem  Mittelgliede  c  fehlen,  das  sie 
verbindet  und  insofern  als  zusammengehörig  erscheinen  lässt. 
Die  Begriffe  nun  hsben  ohne  Zweifel  die  Bedeutung,  in  die- 
sem Gewebe,  da  Alles  mit  Allem  zusammenhängt,  Grenzen 
zu  stecken  und  einheitliche  Gebiete  zu  schaffen;  vielmehr,  sie 
sind  selbst  solche  einheitliche  Gebilde,  durch  deren  Zustande- 
kommen das  sonst  Ordungslose  geordnet  imd  gegliedert 
wird.  Es  scheint  aber  nur  einen  Weg  zu  geben,  wie  solche 
Einheiten  entstehen  können,  wenn  nämlich  Elemente  sich 
finden,  die  mit  jedem  Glied  einer  Vorstellungsmenge  a,  b,  c, 
d  etc.  in  durchgängiger  directer  Verknüpfung  stehen,  wäh- 
rend sie  dem  Versuche  anderer  Vorstellungen  ai ,  bi ,  ci ,  di  etc. 
in  ein  gleich  unmittelbares  Verhältniss  zu  ihnen  zu  treten, 
sich  entgegensetzen.  Es  fragt  sich,  wo  in  unserm  Geiste 
diese  einheitlich  festen  Mittelpunkte  gefunden  werden  können. 

Des  Verfassers  Definition  des  Begriffs  gibt  des  Verfassers 
Antwort.    Die  festen  Punkte  finden  sich  in  den  zu  vereini- 

* 

genden  Vorstellungen  selbst,  als  deren  „herrschend"  gewor- 
dene, gemeinsame  Bestandtheile.  Der  Begriff  ist  „die  durch 
active  Apperception  vollzogene  Verschmelzung  einer  herr- 
schenden Einzelvorstellung  mit  einer  Reihe  zusammengehöriger 


Th.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  46 

VorsteOuDgen^'.  Nicht  als  ob,  wenn  ein  Begriff,  der  der 
Pflanze  etwa,  thatsachĂĽch  vollzogen,  also  die  herrschende 
Vorstellung  h  —  in  unserm  Beispiel  =  Ernährung,  Fortpflan- 
zung, Mangel  animalischen  Lebens  —  ins  Bewusstsein  erhoben 
wird,  nun  auch  die  ganze  Reihe  der  zusammengehörigen  Vor- 
stellungan  Ă„i,  As,  As  etc.  (Rose,  Eiche,  Flechte  etc.)  zugleich 
mit  ins  Bewusstsein  trete.  Viehnehr  wird  dieser  Vorzug  immer 
nur  einer  'einzigen  derselben  zu  Theil.  Aber  während  sonst 
die  VorsteDung  eines  einzelnen  Gegenstandes  jeder  willkär- 
lichen  Veränderung  Hindemisse  entgegensetzt,  ist  es  bei  die- 
ser Vorstellung  der  Apperception  gestattet,  „beliebig  zu  einer 
andern  VorsteUung  der  Reihe  abzuschweifen*\  Eben  dies 
macht  dieselbe  zur  Stellvertreterin  des  ganzen,  an  sich  un- 
YorsteObaren  BegriflEs. 

Halten  wir  uns  zunächst  an  die  letzte  Bestimmung.  Sie 
ist  offenbar  von  entscheidender  Wichtigkeit.  Wir  därfen  bei 
der  VorsteDung  des  Begriffs  —  so  wird  die  Vollziehung  der 
repräsentativen  Vorstellung  geradezu  genannt  —  beliebig  zu 
einer  andern  VorsteUung  abschweifen.  Und  wir  dĂĽrfen  es 
nicht  bloss,  sondern  wir  sind  uns  dessen  auch  bewusst.  Sonst 
wĂĽrde  sich  ja  der  Begriff  von  jeder  beliebigen  Einzelvorstel- 
lung fĂĽr  unser  Bewusstsein  gar  nicht  unterscheiden.  Dies  ge- 
steht denn  auch  der  Verfasser  ohne  Weiteres  zu.  Dem  Wahl- 
akte, durch  den  die  repräsentative  Vorstellung  ins  Bewusst- 
sein gehoben  wird,  ist  das  begleitende  Bewusstsein  wesentlich, 
„dass  eine  andere  Handlung  statt  der  vollzogenen  möglich 
gewesen  wäre".  Nun  kann  dies  begleitende  Bewusstsein 
sicher  auf  keine  andere  Weise  zu  Stande  kommen,  als  da- 
durch, dass  neben  der  rep];,äsentativen  Vorstellung  Ai,  wenn 
auch  nur  fĂĽr  einen  Augenblick,  eine  beliebige  andere  Vorstel- 
lung As  oder  As  wirklich  von  mir  vollzogen  wu*d,  und  ich 
mir  zugleich  bewusst  bin,  dass  dieser  Wechsel  fĂĽr  das,  wor- 
auf es  mir  ankommt,  nichts  verschlägt.  Mithin  ist  es  un- 
mö^ch,  dass  für  den  Begriff  die  eine  stellvertretende  Vor- 
stellung vollständig  genüge.  Oder  wie  kann  ich  mir  bewusst 
srin,  ein  anderes  A  thue  dieselben  Dienste  wie  Ai,  wenn  fĂĽr 
mein  Bewusstsein  ein  solches  anderes  A  gar  nicht  existirt? 
Zwar  scheint  der  Verfasser  dieser  Selbstverständlichkeit  zu 


46  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

widersprechen,    wenn  er  ausdrücklich  erklärt,   wer  sich  von 
den  Eigenschaften  eines  Dreiecks  im  Allgemeinen  Redienschafl 
geben  wolle,    fixire  ein  bestinamtes  Dreieck  durch  die  Auf- 
merksamkeit, und  Ton  anderen  Dreiecken  sei  „weder  deutlich 
noch  undeutlich  die  Rede".    Es  leuchtet  aber  ein,   dass  wir 
nach  dieser  Angabe  nur  verfahren,   so  lange  wir  an  die  all- 
gemeinere Bedeutung  unserer  ĂĽrtheile  und  SchlĂĽsse  nicht  den- 
ken.   Thun  wir  dies,  werden  wir  uns  bewusst,  linser  Rai- 
sonnement  gelte  auch  fĂĽr  andere  Dreiecke,   so   heisst   dies 
nichts  anderes,  als:  wir  ersetzen  das  Dreieck,  sei  es  auch  nur 
in  einem  momentanen  Akte,  durch  em  beliebiges  anderes,  und 
constatiren  zugleich,  dass  daraus  der  Richtigkeit  unseres  logi- 
schen Verfahrens  kein  Schade  erwachse.    Wodurch  sollte  sich 
denn  auch  die  stellvertretende  Vorstellung  von  jeder  andern, 
die  nur  sich  selbst  repräsentirt,  der  Nachweis,  dass  dem  Drei- 
eck ĂĽberhaupt  die  Eigenschaften  abc  zukommen  von  dem 
Nachweis,  dass  dies  bestimmte  Dreieck  sie  besitzt,   fĂĽr  unser 
Bewusstsein  unterscheiden,  wenn  nicht  durch  diesen  beglei- 
tenden Bewusstseinsvorgang.     Freilich   fehlt  beim  Verfasser 
ein  Unterschied  übei^haupt  keineswegs.    Er  lässt  sogar  eine 
doppelte  Möglichkeit  offen.    Entweder  man  hat  sich  die  mit 
Ai    zusammengehörigen   Vorstellungen   vermöge   veränderter 
Associationsbedingungen  „leichter  disponibel"  zu  denken,  als 
wenn  Ai  auf  einen  einzelnen  Gegenstand  sich  bezieht,  oder 
man  muss  annehmen,   dass  die  Apperception  „mehr  geneigt 
ist,   auf  dieselben  ĂĽberzugehen".    Aber  damit  ist  doch,    wie 
es  scheint,   auch  nach  des  Verfassers  Meinung,   nur  erklärt, 
wie  das  Abschweifen  von  der  repräsentativen  Vorstellung  zu 
einer  andern  damit  zusammenhängenden  thatsächlich  ge- 
schehen könne,  nicht  aber,  wie  wir  von  dem  Rechte,    die 
Abschweifung  zu  verwirklichen,  ein  Bewusstsein  haben  kön- 
nen.   Die  leichtere  Disponibilität  der  Vorstellungen  As  As  und 
die  besondere  Geneigtheit  der  Apperception  zu  As   oder  As 
ĂĽberzugehen,  sind  an  sich  ĂĽberhaupt  nicht  Bewusstseins- 
inhalte,  können  also  auch  an  sich  nicht  bihalte  des  Bewusst- 
seins  heissen,  das  die  repräsentative  Vorstellung  für  uns  zur 
repräsentativen  macht.     Werden  sie  aber  zu  Bewusstseins- 
inhalten,   dann  kann  dies  nur  dadurch  geschehen,   dass    in 


Th.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Eri:emitnlBstheorie  ete.  47 

meinem  Bewusstsein  As  einem  beliebigen  Inhalte  B  wirklich 
denVcHTang  abläuft  oder  die  Apperception  wirklich  mit  grös- 
serer Leichtigkeit  auf  As  äbergeht,  als  auf  ein  sonstiges  G. 
leh  meine,  den  Verfasser  täuscht  die  AUgemeinheit  des  Aus- 
drucksi  wir  sind  uns  bewusst,  dass  auch  „eine  andere  Hand- 
lung^' möglich  sei.  Dann  dürfen  wir  uns  doch  nicht  dadurch 
täuschen  lassen.  Auch  der  Möglichkeit  oder  Erlaubtheit  einer 
Handlung  können  wir  uns  nicht  bewusst  sein,  ohne  uns  eine 
Handlung  vorzustellen  und  dann  sie  als  möglich  zu  denken. 
Die  Handlung  aber,  worum  es  sich  hier  handelt,  ist  der  Akt 
der  „Apperception^^  und  nicht  der  Apperception  überhaupt, 
sondern  der  Apperception  eines  As  oder  As  etc. 

Dies  letztere  fĂĽhrt  uns  aber  weiter.  Dem  Wahlakt,  wo- 
durch die  repräsentative  Vorstellung  Ai  entsteht,  ist  das  Be- 
wusstsein wesentlich,  dass  an  die  Stelle  von  Ai  eine  andere 
Vorstellung  treten  könne.  Aber  nicht  jede  beliebige  Vorstel- 
lung. Vielmehr  beschränkt  sich  die  Freiheit  auf  die  mit  der 
stellvertretenden  zusanmfiengehörigen ,  d.  h.  diejenigen  Vor- 
steUungen,  die  durch  das  herrschende  Element  h  unter  ein- 
ander und  mit  ihr  verschmolzen  sind.  Dann  ist,  da  ich  un- 
möglich mir  bewusst  sein  kann,  unter  einer  gewissen  Bedin- 
gung etwas  thun  zu  dĂĽrfen,  wenn  ich  nicht  auch  die  Bedingung 
selbst  im  Bewusstsein  trage,  dem  Wahlakt  auch  das  Bewusst- 
sein eben  dieser  Zusammengehörigkeit  oder  Verschmelzung 
durch  h  wesentlich,  und  es  erhebt  sich,  ehe  das  Wesen  des 
Begriffs  vöDig  klar  gemacht  werden  kann,  nothwendig  die 
Frage,  worin  dies  Bewusstsein  der  Verschmelzung  bestehen 
könne. 

Da  »gibt  sich  nun,  dass  unter  Verschmelzung  hier  wie- 
derum etwas  wesentlich  anderes  verstanden  sein  muss, 
als  bei  der  associativen  Synthese  und  Assimilation.  NatĂĽrlich 
kann,  und  damit  bestätigt  und  erweitert  sich  das  oben  Ge- 
sagte, das  Bewusstsein  der  durch  h  zu  Stande  kommenden 
Verschmelzung  zwischen  Ai  und  As  ohne  ein  Bewusstsein 
von  Ai,  As  und  h  nicht  gedacht  werden.  Es  muss  also  die 
aufgeworfene  Frage  genauer  lauten,  in  welcher  gegenseitigen 
Begehung  stellen  wir  Ai,  As  und  h  vor,  wenn  wir  uns  der 
repräsentativen  Natur  von  Ai  bewusst  sind.    Darauf  könnte 


48  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

man  sich  zunächst  versucht  fu^en,  zu  antworten:  Mit  dem 
den  Ai  und  As  gemeinsamen,  nur  einmal  vorhandenen  h  ist 
einerseits  der  Rest  von  Ai,  andererseits  der  von  As  in  un- 
serem Bewusstsein  verbunden.  Aber  dies  ist  unmöglich,  eine 
herrschende  Vorstellui^  h  in  diesem  Sinne  ist  eine  Illusion. 
Nur  so  kann  die  Sache  gedacht  werden,  dass  mit  einem 
h  =  hi  das  Ai  mit  einem  h==h2  des  As  verschmolzen  er- 
scheint. Oder  sollte  es  angehen,  zwei  Dreiecke  von  verschie- 
dener Gestalt  und  Grösse  so  vorzustellen,  dass  die  herr- 
schende Vorstellung  des  Begriffs  Dreieck,  die  Dreizahl  der 
Winkel,  nur  einmal  in  uns  zugegen  wäre  und  auf  diese  Weise 
die  beiden  Exemplare  der  Gattung  verschmölze?  Nur  in  Wor- 
ten kann  derartiges  —  und  noch  viel  mehr  —  möglich  er- 
scheinen, die  psychologische  Wirklichkeit  widerstrebt.  So 
scheint  es,  als  wäre  mit  der  ,, herrschenden^^  Vorstellung  h 
gar  nichts  ausgerichtet.  Denn  spaltet  sich  diese  auch  wie- 
derum in  ein  hl,  hs,  As  etc.,  so  entsteht  die  Frage,  wie  diese 
h  mit  einander  verschmolzen  oder  unter  einander  verbunden 
seien. 

In  der  That  wĂĽrden  trotz  der  h  die  Ai  As  ewig  einan- 
der fremd  bleiben,  wenn  es  nicht  neben  dem  blossen  Vor- 
stellen von  Objecten  ein  Denken  gäbe,  das  zwischen  Objecten 
Beziehungen  knüpft,  die  in  ihnen  —  zwar  begründet,  aber 
keineswegs  enthalten  sind.  Die  Gleichheit  ist  eine  dieser  Be- 
ziehungen, und  sie  bildet  auch  in  unserm  Falle  das  sonst 
nicht  vorhandene  verbindende  Element.  Zwar  spricht  man 
auch  von  Vorstellungen  der  Gleichheit,  behauptet  gele- 
gentlich, Objecte  als  einander  gleich  .vorzustellen,  aber 
dieser  Sprachgebrauch  kann  uns  doch  nicht  hindern,  auf 
Grund  einfacher  Erfahrung  dabei  zu  bleiben,  dass  ein  mit 
jenem  Namen  zu  bezeichnender  Vorstellungsinhalt,  der  zwi- 
schen die  Objecte  tretend  sie  verbände,  so  wie  Raum  und 
Zeit  dies  aUerdings  vermögen,  nirgends  in  unserm  Bewusst- 
sein angetroffen  werden  kann.  Das  Bewusstsein  dieses  Ver- 
hältnisses entsteht  viehnehr  immer  erst  in  unserm  beziehen- 
den Denken,  ist,  genauer  gesprochen,  ein  Bestandtheil,  ein 
Prädicat  gewisser  Urtheile  oder  Urtheilscombinationen.  Wir 
setzen  die  Objecte  urtheilend  einander  gleich,   wir,  die  den- 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  ErkenntniBstheorie  ete.  49 

kenden  Subjecte,  sind  es  auch,  die  in  unserm  Falle  die  Ai 
und  As  urtheilend  in  die  Gleichheitsbeziehting  einfĂĽgen, 
auf  Grund  zwar  der  hi  hs,  aber  ohne  dass  in  hi  oder  hs 
oder  zwischen  ihnen  die  Gleichheit  als  verbindendes  Vorstel- 
lungselement angetroffen  werden  könnte.  Somit  besteht  — 
und  dies  ist  das  Ergebniss,  auf  das  ich  hinaus  will,  —  der 
Begriff  ziun  Theo  in  Urtheilen,  ja  es  sind  die  Urtheile  das- 
jenige, was  den  Begriff  von  blossen  Associationen  erst  macht, 
und  es  ist  unmöglich,  aber  sein  Wesen  Klarheit  zu  erlangen, 
ehe  jenes  bezeichnende  Denken,  jene  besondere  Art  von 
Urtheilscombinationen,  in  denen  das  Gleichheitsbewusstsein 
als  untrennbares  Element  enthalten  ist,  —  nicht  mit  Worten 
unischrieben,  sondern  mit  greifbarer  Bestimmtheit  erkannt 
worden  ist  —  Dass  dem  Begriff  ausserdem  noch  Urtheile 
vorangehen,  ist  etwas,   das  hier  nicht  in  Betracht  kommt. 

Wie  wenig  den  zum  Begriff  zu  vereinigenden  Vorstel- 
lungen angehörige  Bestandtheile  geeignet  sind,  die  Einheit  des 
Begriffs  und  damit  seinen  Bestand  zu  sichern,  dies  muss  na- 
tĂĽrlich um  so  deutlicher  in  die  Augen  fallen,  je  weniger 
Ton  gemeinsamen  Bestandtheilen  der  Art  die  Rede  sein 
kann.  Von  verschiedenen  Dreiecken  kann  man  am  Ende  in 
gewissem  Sinne  sagen,  es  komme  ihnen  dieselbe  Dreiheit  von 
Winkeln  zu,  von  den  verschiedenen  gelben  Dingen  kann  man 
dagegen  sicher  nicht  mehr  behaupten,  sie  seien  durch  die 
eine  Vorstellung  „gelb*^  vereinigt,  da  zu  deutlich  einleuchtet, 
dass  es  eine  solche  Vorstellung  nicht  gibt.  Von  vornherein 
zerfallt  hier  h  (=  gelb)  in  verschiedene  hi  ha  hs  (goldgelb, 
schwefelgelb  etc.),  und  was  die  gelben  Objecte  verknĂĽpft,  ist 
riehnehr  die  Beziehung  der  Aehnlichkeit,  als  die  der  Gleich- 
hdt.  Es  gut  aber  auch  von  der  Aehnlichkeitsbeziehung,  dass 
sie  erst  im  beziehenden  Denken,  in  Urtheilscombinationen 
entstdiL 

Idi  gehe  aber  noch  einen  Schritt  weiter.  Nicht  einmal 
die  in  Rede  stehenden  Vorstellungseinheiten  einschliesslich 
der  verknĂĽpfenden  Gleichheits-  oder  Aehnlichkeits  -  Urtheile 
scheint  mir  der  Sprachgebrauch  als  Begriffe  zu  bezeichnen. 
Angenommen,  ich  habe  bei  Betrachtung  von  Objecten  R,  S,  T 
jedesmal  einen  Process  der  Ernährung  und  Fortpflanzung,  der 

PhikMoph.  Xonatshefte  18B1.  l  u.  U,  4 


60  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenninisstheorie  etc. 

doch  die  denThieren  eigene  Empfindungsfähigkeit  ausschloss, 
vorgefunden  und  vermöge  irgend  welches  Interesses  zum  Gegen- 
stande besonderer  „Aufmerksamkeit'^  gemacht,  habe  auch  die 
R,  S,  T  mit  einander  verglichen  und  die  Aehnlichkeit  hin- 
sichtlich jener  Vorgänge  entdeckt  und  so  eine  Reihe  von 
zusammengehörigen  Vorstellungen  in  mir  zu  Wege  gebracht. 
Nun  erwache  das  Interesse  an  den  in  Rede  stehenden  Vor- 
gängen gelegentlich  von  Neuem,  ich  stelle  also  eines  der  Ob- 
jecte,  ein  R  (eine  Rose)  etwa,  vor,  verbinde  aber  damit  das 
Bewusstsein,  dass  ich  eben  so  gut  ein  S  oder  T  (eine  Eiche 
oder  Flechte)  hätte  wählen  können,  dann  scheint  es  mir,  als  fehle 
damit  dem  Begriff  der  Pflanze  noch  ein  wesentliches  Ele- 
ment, ja  die  eigentliche  Hauptsache.  Dies  Element  ist  aber 
kein  anderes,  als  —  die  Pflanze  selbst,  *der  Name  also,  all- 
gemein gesprochen,  genauer  das  Bewusstsein  der  Zugehörig- 
keit aller  jener  Objecte  zu  dem  Sinne  eines  bestimmten.  Wor- 
tes. In  der  That  schreiben  wir  allgemein  dem  einen  Begriff 
von  einem  P  zu,  der  weiss,  was  man  unter  einem  Worte 
versteht,  während  wir  schwerlich  von  Begriffen  reden  wer- 
den, wo  jede  gemeinsame  Bezeichnung  fehlt. 

Man  wird  sich  erinnern,  dass  ich  Eingangs  dieser  Aus- 
lassung ĂĽber  den  Begriff  die  Forderung  aufstellte,  dass  ein 
Element  mit  den  zum  Begriff  zu  vereinigenden  Vorstellungen 
in  durchgängiger  directer  Beziehung  stehe.  Nachher  Hess  ich 
—  im  Widerspruch  mit  dem  Verfasser  —  diese  Forderung 
fallen  und  begnĂĽgte  mich  mit  den  mannichfaltigen  zwischen 
den  Vorstellungen  geknĂĽj^ften  Beziehungen  der  Gleichheit  und 
Aehnlichkeit.  Jetzt  wiederum  scheint  es,  als  mĂĽsse  doch  ein 
solcher  fixer  Mittelpunkt  zugestanden  werden  und  als  verlange  der 
Sprachgebrauch,  dass  der  Name  denselben  abgebe.  Ist  dem 
so,  dann  hat  der  Sprachgebrauch  einen  Vorzug  der  Worte 
vor  sonstigen  Vorstellungen  richtig  erkannt.  Es  ist  nämlich 
in  der  That  nichts  so  wie  sie  zum  festen  Mittelpunkt  einer 
Vielheit  von  Vorstellungen  geeignet.  Fälle  ich  die  Bezeich- 
nungsurtheile :  R,  S,  T  u.  s.  w.,  sie  alle  tragen  den  Namen  P, 
dann  ist  eben  damit  jedes  der  Objecte  in  gleicher  Weise  mit 
P  verknĂĽpft,  und  in  Folge  davon  auch  mit  jedem  andern  zu 
einem  alles  Fremde  ausschliessenden  Ganzen  verbunden. 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenninkstheorie  etc.  51 

Diese  Annahme  der  Nothwendigkeit  des  Wortes  ziun  Be- 
griff wird  noch  bestätigt  durch  ein  weiteres  Moment.  Der 
Begriff  schliesst  das  Bewusstsein  der  Nothwendigkeit  einiger, 
der  blossen  Möglichkeit  anderer  Elemente  in  sich.  Dies  Be- 
wusstsein entsteht  aber  erst  mit  der  Bezeichnmig.  Nicht  ĂĽber- 
haupt, nicht  weil  das  Merkmal  durch  die  Vorstellung  der  Er- 
nährung und  Fortpflanzung  mit  gefordert  wäre,  sondern  nur, 
weil  das,  was  ich  denke,  den  Namen  Pflanze  tragen  soll, 
muss  ich  mit  den  genannten.  Elementen  den  Mangel  der  Em- 
pfindung verbinden. 

Wenn  ich  nun  aber  die  beiden  Ăśrtheile :  R,  S,  T  u.  s.  w. 
tragen  den  Namen  P,  und :  Zum  Sinn  des  Wortes  P  gehören 
nothwendig  die  Elemente  a,  b,  c  und  keine  andern^  mit  ein- 
ander verbinde,  was  fehlt  dton  noch  zur  Vollkommenheit  des 
Begriffes  P? 

Wie  dem  aber  sei,  jedenfalls  bleibt  dies  bestehen,  dass 
bei  Entstehung  unserer  Begriffswelt  —  ich  rede  nicht  von 
den  Anfangen  der  Begriffsbildung  ĂĽberhaupt,  die  erst  in  zwei- 
ter Linie  in  Frage  kommen  sollten  —  die  Bezeichnung  in  der 
Regel  sogar  den  Ausgangspunkt  bildet.  Ich  hörte  erst  dies, 
dann  jenes  Object  als  Pflanze  bezeichnen.  Dadurch  entstand 
eine  Einheit  mannichfaltiger  Vorstellungen,  in  der  das  Wort 
Pflanze  den  Mittelpunkt  bildete.  Allmälig  lernte  ich  erkennen, 
weldies  die  letzten  und  unerlässlichen  Bedingungen  seien, 
unter  denen  der  Sprachgebrauch  das  Wort  anwende.  Damjt 
gewann  ich,  was  der  Verfasser  die  herrschende  Einzelvorstel- 
long  nennt.  Wo  diese  Bedingungen  erfüllt  wären,  glaubte 
ich  nun  jedesmal  von  einer  Pflanze  sprechen  zu  dĂĽrfen.  Da- 
mit war  ich  in  den  vollen  Besitz  des  Begriffes  gelangt.  Der 
Weg  aber,  auf  dem  ich  zu  dem  allgemeinen  Benennungsurtheil 
und  damit  zum  Begriffe  gelangte,  ist  kein  anderer,  als  der 
der  Induction.  Ins  Kapitel  von  der  Induction  gehört  —  we- 
nigstens auch  —  die  Lehr^  von  der  Entstehung  der  Begriffe. 

Der  Verfasser  nun  ist  weit  davon  entfernt,  den  Namen 
als  etwas  dem  Begriffe  Irrelevantes  zu  betrachten.  Nur  dass 
ihm  sein  Vorhandensein  mehr  wie  eine  selbstverständliche! 
besondere  Untersuchung  nicht  erfordernde  Thatsache  zu  gel- 
ten sdieint.    Zwar  spricht  er  die  Ueberzeugung  aus,   dass 


52  Th.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

den  Worten  eine  „ursprüngliche  innere  Affinität  zu  den  Vor- 
stellungen'^ zugestanden  werden  mĂĽsse  der  Art,  dass  in  der 
Urzeit  der  Sprache  den  Menschen  „der  Sprachlaut  irgendwie 
eki  acustisches  Bild  der  Vorstellung  selbst'^  gewesen  sei.  Er 
gibt  aber  damit  keinen  AuÂŁschluss  ĂĽber  die  Frage,  wie  jetzt 
und  für  uns  die  „Symbole  der  Sprache^'  psychologisch  be- 
greiflich seien,  und  er  gibt  selbst  für  die  „Urzeit^'  keine  Ant- 
wort auf  die  Frage,  was  die  Worte  zu  Symbolen  der  Gegen- 
stände machen  könne,  sondern  sagt  nur,  welche  Voraus- 
setzungen erfĂĽllt  gewesen  sein  mĂĽssen,  wenn  sie  zu  Symbo- 
len sollten  werden  können.  Es  macht  sie  aber  zu  Symbolen 
das  Benennungsurtheil,  das  Bewusstsein  der  Zusammengehö- 
rigkeit also,  und  dies  kann  durch  kein  noch  so  enges  Zusam- 
men sein  ersetzt  werden.  Nehmen  wir  an,  mir  wäre  das 
eigenthĂĽmliche  Klappern  der  MĂĽhle  so  aufgefallen,  dass  ich 
an  keine  Mühle  denken  könne,  ohne  jene  Töne  vor  Allem 
mitvorzustellen,  so  wĂĽrde  das  Klappern  fĂĽr  mich  doch  noch 
nicht  die  Bedeutung  einer  Bezeichnung  des  Gegenstandes  haben. 
Es  wird  mir  aber  dazu,  so  bald  irgendjemand,  um  mich  an 
die  MĂĽhle  zu  erinnern,  den  eigenthĂĽmlichen  Ton  nachahmt 
und  ich  sein  Thun  verstehe,  d.  h.  mir  sage,  ich  solle  nach 
der  Meinui^  des  Jemand  an  die  MĂĽhle  denken,  es  bestehe 
also  zwischen  den  beiden  Vorstellungen  in  diesem  Falle  ein 
Verhältniss  der  Zusammengehörigkeit,  statt  des  schon  vorher 
stattfindenden  gleichgĂĽltigen  Zusammenseins. 

Wie  sehr  der  Verfasser  das  Wort  mit  zum  Begriffe  rech- 
net, dies  wird  besonders  deutlich,  wo  es  sich  um  die  weitere 
Entwicklung  handelt,  der  der  Begriff  fähig  sei.  Er  bezeichnet 
nämlich  als  solche  weitere  Entwicklung  die  Verdunklung  der 
mit  den  herrschenden  Elementen  verschmolzenen  repräsenta- 
tiven Vorstellung  und  die  damit  parallel  laufende  der  herr- 
schenden Elemente  selbst  und  ihre  Ersetzung  durch  ihr  äus- 
seres Zeichen,  den  Sprachlaut.  Lassen  wir  hier  die  Verdunk- 
lung, die,  wenn  sie  stattfindet,  doch  wohl  besser  als  ein 
völliges  Verschwinden  und  zwar  selbstverständlich  gleich  der 
ganzen  repräsentativen  Vorstellung  einschliesslich  der 
herrschenden  Elemente  zu  bezeichnen  wäre,  zur  Seite,  dann 
bezeichnet  allerdings  die  Ersetzung  des  Begriffs  durchs  Wort, 


Th.  Liipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  53 

das  Denken  in  Worten,  eines  der  interessantesten  Probleme 
der  Erkenntnisslehre.  Was  unterscheidet  fĂĽr  unser  Bewusst- 
sein  das  sinnvolle  einzelne  Wort  auch  dann  noch  voh  dem 
blossen  Klange,  wenn  von  dem,  was  es  bezeichnet,  sich  gar 
nichts  mehr  in  uns  findet,  was  unterscheidet  ebenso  das  sinn- 
volle Sprechen  auch  dann  noch  von  dem  blossen  Aneinander- 
reihen von  Klängen,  wenn  weder  die  den  Worten,  noch  die 
ihrer  Zusammenstellung  entsprechenden  Vorstellungen  in  uns 
thatsächlich  gegenwärtig  sind;  was  mit  andern  Worten  heisst 
es,  wenn  wir  uns  dort  bewusst  sind,  etwas  gesagt  und  nicht 
bloss  Töne  hervorgebracht,  hier  Wahrheiten  ausgesprochen, 
wohl  gar  logisch  richtig  geschlossen  und  bewiesen,  nicht  bloss 
Wortvorstellung  an  Wortvorstellung  gefägt  zu  haben?  Dies 
sind  die  Fragen,  um  die  es  sich  dabei  handelt.  Und  sie  wer- 
den nicht  beantwortet,  indem  man  sich  in  den  dunkeln  Raum 
des  Bewusstseins  flächtet  oder  „unbildliche  Gedanken''  zu 
HĂĽlfe  nimmt  ^),  denen  man  zumuthet,  mit  unglaublicher  Ge- 
schwindigkeit den  Worten  zur  Seite  zu  laufen,  sondern  nur 
dadurch,  dass  man  deutlich  zeigt,  welche  Elemente  in  Begriff 
und  Urtheil  ^ch  finden  oder  damit  in  Zusammenhang  stehen, 
die  nicht  den  durch  die  Worte  bezeichneten  VorsteDungs- 
inhalten  angehörig,  eben  deswegen  von  ihnen  ablösbar  und 
nach  irgend  welchen  Gesetzen  der  Association  auf  blosse 
Worte  fibertragbar  sind. 

Der  Begriff  ist  das  letzte  Erzeugniss  der  simultanen  Apper- 
ceptionsverbindung.  Es  folgen  die  successiven  und  damit  das- 
jenige, was  der  Verfasser  speciell  als  Gedankenverlauf  bezeich- 
net Der  appöTceptive  Vorstellungsverlauf  unterscheidet  sich 
Ton  dem  lediglich  associativen  durch  das  Gesetz  der  Zwei- 
giiederung.  Von  einer  Vorstellung  geht  die  Apperception 
immer  nur  zu  einer  anderen  ĂĽber.  Die  einfachste  Form 
eines  Gedankens  ist  im  einfachen  Urtheil  gegeben,  worunter 
man  den  Akt  der  Zerlegung  einer  Gesammtvorstellung  in 
zwei  mit  einander  verbundene  Theile  zu  verstehen  hat.  Das 
Verhältniss  der  beiden  Theile  ist  das  prädikative.  In  diese 
prädikative  Verbindung   gehen  aber,   wenn   man   sie  isolirt 

1)  Liebmann  «Analysis  der  Wirklichkeit"  in  der  Abhandlung  über 
ibstracte  Begriffe. 


54  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

nimmt,  alle  apperceptiven  Verbindungen,  die  in  zusammen- 
gesetzten Denkakten  sich  finden,  die  attributive,  objective  und 
adverbiale,  ĂĽber,  so  dass  die  zwischen  ihnen  bestehenden 
Unterschiede  „lediglich  durch  die  Stellen  veranlasst  werden", 
die  ihnen  innerhalb  des  Gedankens  „angewiesen  werden".  - 
Es  folgen  auf  diese  Grundbestimmungen  Auseinandersetzungen 
ĂĽber  Complicationen  der  apperceptiven  Gliederungen  mit  Asso- 
ciationen, ĂĽber  die  mannichfachen  Weisen  der  Verkettung  der 
Gedanken,  endlich  ĂĽber  die  Wechselwirkung  zwischen  Be- 
griffsbildung und  Gedankenverlauf. 

Wiederum  begnĂĽge  ich  mich,  mit  Uebergehung  der  eben 
genannten,  wie  mir  scheint  höchst  werthvollen  Erörterungen, 
einen  Punkt  herauszuheben,  ich  meine  die  Bestimmung  des 
Urtheils.  Man  nehme  folgenden  Fall:  Ich  erinnere  mich  des 
Anfangs,  sagen  wir  der  ersten  n  —  1  Töne  eines  einmal  ge- 
hörten, aus  n  Tönen  ti  t2  .  .  .  t»  bestehenden  musikalischen 
]^otivs,  während  das  fehlende  nte  Glied  mir  nicht  einfallen 
wUl.  Da  ich  Zeit  und  an  dergleichen  Phantasiespiel  aus  irgend 
welchen  GrĂĽnden  Gefallen  habe,  so  beginne  ich  das  Motiv  fflr 
mich  zu  ergänzen.  Ich  verbinde  zu  dem  Zweck  nacheinander  alle 
möglichen  Töne  xi,  rs,  ra  mit  der  Reihe  ti  ts  . .  tu-i  zu  emem 
Ganzen  und  fasse  jedesmal  erst  die  n — 1  Töne  ins  „Auge", 
um  dann  zu  dem  von  mir  hinzugefĂĽgten  r  in  Gedanken  ĂĽber- 
zugehen. Dann  vollziehe  ich  lauter  apperceptive  Zweigliede- 
rungen nach  Wundt'scher  Vorschrift.  Trotzdem  wird,  so 
lange  ich  keinen  anderen  Zweck  habe  als  zu  Spielen,  höch- 
stens die  GefĂĽhlswirkung,  die  mein  Thun  zur  Folge  hat,  zu 
beobachten.  Niemand  die  Vorgänge  Urtheile  nennen.  Nun 
ändert  sich  aber  die  Sache.  Ich  fange  an  ein  Thatsachen- 
interesse  an  der  Tonfolge  zu  nehmen.  Dann  wiederholt  sich 
zunächst,  scheinbar  wenigstens,  das  alte  Spiel.  Ich  fahre  fort, 
bald  diese,  bald  jene  Gesammtvorstellung  zu  bilden,  um  inner- 
halb derselben  vermöge  activer  Apperception  jetzt  den  meiner 
Erinnerung  präsenten  Torso,  dann  meine  Ergänzung,  mein  n 
oder  TB  oder  rs  etc.  also,  hervortreten  zu  lassen.  Plötzlich 
aber  springe  ich  auf  —  wäre  es  auch  nur  innerlich  —  und 
erkläre:  So  und  nicht  anders  lautete  der  letzte  Ton.  Dann 
gebe   ich  damit  zu  erkennen,   dass  ich  ein,   gleichgĂĽltig  ob 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnissiheorie  etc.  56 

richtiges  oder  falsches,  Urtheil  gefällt  habe.  Und  worin  be- 
steht dies?  In  nichts  anderem  offenbar,  als  darin,  dass  ich 
nach  mannichfachem  Sachen  zu  emem  Tn  gekommen  bin,  dessen 
VerknĂĽpfung  mit  b  . . .  tn-i  von  dem  Bewusstsein  begleitet 
ist,  sie  sei  nicht  so  wie  ihre  Vorgängerinnen  bloss  Sache  der 
Willkär,  dürfe  darum  auch  nicht  ebenso  wie  sie  beliebig  wie- 
der aufgelöst  werden,  sie  setze,  anders  ausgedrückt,  dem  Ver- 
sach der  Wiederauflösung  einen  Widerstand  entgegen,  sei  mit 
einem  Wcfrte  eine  Zusammengehörigkeit,  nicht  ein  blosses 
thatsächliches  Zusammensein  von  Vorstellungen  in  meinem 
Bewusstsein ;  denn  die  Zusammengehörigkeit  ist  eben  die  Noth- 
wendigkeit  des  Zusammenseins.  Wenigstens  steht  fest,  dass 
ich  sonst  keinen  Unterschied  zwischen  dem  ehemaligen  Phan- 
tasiespiel und  dem  jetzt  gewonnenen  Urtheil,  der  jetzt  in 
meinen  Besitz  gelangten  wirklichen  oder  vermeintlichen  Er- 
kenntniss  aufzufinden  vermag.  Auf  völlig  gleiche  Weise  wie 
In  hatte  ich  auch  die  n  n  etc.  mit  ti  . . .  ta~i  und  den  son- 
stigen Elementen,  die  mit  dieser  Tonreihe  verbunden  gewesen 
sein  mögen,  der  Erinnerung  an  die  zeitlichen,  örtlichen  und 
sonstigen  Umstände,  die  mein  Hören  des  Motivs  begleiteten, 
Yerknäpfl,  und  niemals  hatte  die  apperceptive  Zweigliederung 
gefällt.  —  Nun  nennen  wir  wirlich,  was  unserer  Freiheit  vor- 
zusteDen  und  das  Vorgestellte  wieder  aufzuheben,  um  es 
durch  ein  anderes  zu  ersetzen,  Schranken  auferlegt,  sich  uns 
ehm  darum  als  etwas  relativ  Selbstständiges,  nicht  bloss  von 
uns  Gemachtes  zu  erkennen  gibt,  anders  und  bestimmter  aus- 
gedrĂĽckt, wir  nennen  so,  was  wir  uns  bewusst  sind,  unter 
gewissen  Umständen  oder  an  einer  gewissen  Stelle  der  Welt 
unseres  Vorstellens  vorstellen  zu  sollen.  Somit  kann  ich  das 
Eigenartige  jenes  Urtheils  und  des  Urtheils  ĂĽberhaupt  auch 
so  bezeichnen,  dass  ich  sage,  es  sei  ein  Bewusstsein,  es  nicht 
mehr  mit  einem  subjectiven  Spiel,  sondern  mit  objectiver 
Wirklichkeit  zu  thun  zu  haben.  Urtheilen  heisst  dann  ĂĽber- 
haupt, VerknĂĽpfungen  von  Vorstellungen  fĂĽr  wirklich  halten, 
daran  glauben,  sie  logisch  anerkennen,  oder  welche  AusdrĂĽcke 
man  sonst  fĂĽr  das  Bewusstsein  des  Gebundenseins  an  gewisse 
VerknĂĽpfungen,  des  so  und  nicht  anders  vorstellen  SoDens 
wählen  mag.  Das  Bewusstsein  des  Sollens  ist  aber  eui  Willens- 


56  Th.  Lipps:  Die  Au^g^abe  «ier  Erkenntnisstheorie  etc. 

Phänomen,  wenn  auch  nicht  ein  Phänomen  des  frei  wahlen- 
den, sondern  des  gebundenen  Willens.  Mithin  bestätigt  sich 
uns,  was  wir  frĂĽher  dem  Verfasser  zugestanden,  dass  das 
EigenthĂĽmliche  des  Denkens  im  Gegensatz  zum  blossen  Vor- 
stellungsspiel in  begleitenden  Willensakten  zu  suchen  sei. 

Es  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass  das  hier  weniger 
beschriebene,  als  im  Allgemeinen  gekennzeichnete  Bewusstsein, 
das  in  den  mannichfaltigsten  gleichbedeutenden  oder  doch  nur 
zur  Bezeichnung  verschiedener  Stufen  und  Arten  dienenden 
Namen,  als  Wahrheitsgeföhl,  Ueberzeugung,  Glauben,  Wissen, 
Meinen  u.  s.  w.  auch  im  täglichen  Leben  wiederkehrt,  für 
die  Erkenntnisstheorie  von  grosser  Wichtigkeit  ist,  so  wichtig, 
dass  man  sagen  kann,  die  Logik  habe  gar  kein  anderes  Thema, 
als  dies  Bewusstsein,  keine  andere  Aufgabe,  als  die  Unter- 
suchung seines  Wesens  und  seiner  Gesetaonässigkeit,  seiner 
Arten  und  Modificationen ,  seiner  Bedingungen  und  schliess- 
lichen  Leistungen.  Um  so  auffallender  muss  es  erscheinen, 
dass  in  der  Erkenntnisslehre  unseres  Vaterlandes  —  in  der 
englischen  verhält  es  sich  seit  Hume  theilweise  anders  —  die 
Frage,  worin  das  Glauben,  Ueberzeugtsein,  worin  das  Bewusst- 
sein der  Wirklichkeit  imd  Wahrheit  bestehe,  welche  genau 
bestimmten  Thatsachen  wir  in  »uns  finden,  wenn  wir  behaup- 
ten, ein  solches  Bewusstsein  zu  haben,  fast  keine  Rolle  spielt, 
obgleich  man  dodi  nicht  umhin  kann,  mit  jenen  Begriffen  zu 
rechnen  und  eine  bestimmte  Bedeutung  derselben  ĂĽberall  vor- 
auszusetzen. Es  steht  aber  auch  der  Verfasser  auf  dem  Stand- 
punkt, die  Beantwortung  der  Frage  nicht  für  unumgänglich 
zu  halten. 

Zwar  erfahren  wir  im  dritten  Kapitel  des  ersten  Ab- 
schnitts, der  es  mit  der  Entwicklung  der  logischen  Normen 
zu  thun  hat,  dass  Spontaneität,  Evidenz  und  Allgemeingültig- 
keit  die  Kennzeichen  des  logischen  Denkens .  sind.  Wir  be- 
gegnen aber  bei  Behandlung  des  zweiten  Punktes  nirgends 
der  Frage,  welcher  Bewusstseinsinhalt  denn  dieser  Evidenz 
entspreche,  vielmehr  begnĂĽgt  sich  die  Auseinandersetzung  mit 
der  Erklärung,  jede  Art  der  Evidenz  komme  zu  Stande  durch's 
beziehende  und  vergleichende  Denken,  nur  dass  bei  der 
unmittelbaren  die  unmittelbaren  in  der  Anschauung  gegebe- 


Tb.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  57 

neu  {demente  verknüpft  werden,  während  bei  der  mittelbaren 
die  in  den  unmittelbar  entstandenen  Verbindungen  selbst 
wiederum  als  Elemente  weiterer  VerknĂĽpfungen  dienen.  So 
werden  in  einem  späteren  Kapitel  die  Arten  des  Wahr- 
heit^fuhles,  Meinen,  Glauben,  Wissen  unt^schieden  und 
Fälle  ihres  Vorkommens  bezeichnet,  ,ohne  dass  doch  auch 
hier  die  Frage  auftauchte,  was  denn  diese  Verhaltungsweisen 
des  menschlichen  Geistes  ihrem  Wesen  nach  sein  könnten. 
Und  doch,  leuchtet  ein,  dass  diese  Fragen  gestellt  werden 
mäss«[i.  Die  Evidenz  ist  ja  nicht  ein  einfacher  Geistesinhalt 
neben  dem  Roth,  Sauer,  SĂĽss,  der  Lust  und  Strebung  u.  s.  w., 
das  Glauben,  Wissen  etc.  nicht  eine  besondere  seelische  Thä- 
tigkeit  neben  dem  Vorstellen,  Fühlen  Wollen,  —  vorausgesetzt, 
dass  man  es  für  erlaubt  hält,  diese  beiden  letzteren  jener 
ersteren  „Thätigkeit^^  zu  coordiniren.  Dann  muss  es  doch 
auch  möglich  sein,  die  genannten  Inhalte  oder  Thätig^eiten 
ihrer  gehehnnissvoUen  Natur  zu  entkleiden,  zu  sagen,  was  in 
aller  Welt  man  denn  mit  /den  Worten  sagen  wolle,  ĂĽnter- 
lässt  man  die  Beantwortung  solcher  fundamentalen  Fragen, 
oder  beantwortet  man  sie  in  AusdrĂĽcken,  von  denen  selbst 
wiederum  zweifelhaft  bleibt,  welchen  Sinn  sie  haben,  d.  h. 
welcher  bestimmt  aufzeigbare  Geistesinhalt  ihnen  zukomme, 
dann  können  sich  die  sonstigen  erkenntnisstheoretischen  Un- 
tersuchungen, selbst  die  ĂĽber  Principien  und  allgemeine  Rich- 
tungen, auf  keinem^  festeren  Boden  bewegen,  als  etwa  die 
Ethik  es  thut,  wenn  sie  über  Eudämonismus  oder  Pflichtbe- 
wusstseui  streitet  und  nur  darum  nicht  sieht,  dass  sie  gröss- 
tentheils  um  Worte  sich  ereifert,  weil  es  ihr  nicht  in  den 
Sinn  kommt,  Worte  wie  „Sollen",  „Pflicht"  u.  s.  w.  auf  ihre 
eigentliche  Bedeutung  zu  prĂĽfen. 

Kehren  wir  aber  zurĂĽck  zu  dem,  wovon  wir  ausgingen. 
Es  steht  uns  fest,  dass  eine  blosse  apperceptive  Zweigliede- 
nmg  nicht  dasjenige  ist,  was  man  insgemein  als  Urtheil  be- 
zeichnet. Trotzdem  muss  dem  Verfasser  unverwehrt  bleiben, 
den  Namen  auch  in  jenem  Sinne  anzuwenden,  vorausgesetzt, 
dass  er  der  weiteren  Fassung  des  Begriffs  getreu  bleibt. 
Dies  scheint  denn  auch  zunächst  der  Fall  zu  sein.  W^ir  wis- 
sen, dass   nach  ihm   die    attributive  Verbindung    innerhalb 


58  Th.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

eines  Urtheils  mit  der  prädicativen  an  sich  übereinstimmt 
und  sich  nur  durch  die  Stelle  unterscheidet,  die  ihr  in  einem 
zusammengesetzten  Denkvorgang  zukommt.  So  ist  die  attri- 
butive Verbindung  „guter  Mann"  an  sich  äquivalent  dem  Ur- 
theil  „der  Mann  ist  gut'^  Offenbar  aber  trifft  dies  nicht  zu, 
wenn  man  das  Urtheil  im  gewöhnlichen  Sinne  fasst,  nämlich 
als  Behauptung  einer  wirklichen  oder  vermeintlichen  Wahr- 
heit. Denn  das  Urtheil :  absolut  gute  Menschen  können  keine 
Missgunst  empfinden,  kann  ich  fallen,  und  mir  dabei  deutlich 
bewusst  sein,  dass  Mensch  und  absolut  gut  —  thatsachlich, 
nicht  in  der  blossen  Vorstellung  —  sich  ausschliessen.  Nun 
geht  aber  der  Verfasser  an  anderer  Stelle  ebenso  deutlich 
ĂĽber  seine  Definition  hinaus,  so  dass  es  doch  scheint,  als  ver- 
stehe er  unter  dem  Urtheil  eine  ZweigĂĽederung ,  der  das 
Bewusstsein  der  Zusammengehörigkeit  der  Theile  nicht  fehle. 
So  ist  ihm  in  dem  Urtheil  „Petrus  und  Paulus  predigten" 
Petrus  mit  Paulus  nur  associativ  verknĂĽpft,  die  Verbindung 
ist  keinem  Urtheil  äquivalent,  ol^leich  bei  Fällung  dieses  Ur- 
theils der  predigende  Petrus  und  der  predigende  Paulus  eben 
so  ^ut  in  eine  Gesammtvorstellung  vereinigt  sein  können,  als 
dies  nach  des  Verfassers  Anschauung  bei  dem  UrtheO  „der 
predigende  Petrus  stand  neben  dem  predigenden  Paulus"  d^ 
Fall  sein  müsste,  und  obgleich  denmach  das  „Petrus  und 
Paulus"  in  jenem  Urtheil  ebensowohl  eine  apperceptive  Zwei- 
gliederung repräsentiren  kann,  als  das  „Petrus  stand  neben 
Paulus"  in  diesem.  Allerdings  ist  ja  ein  psychologischer  Un- 
terschied zwischen  beiden  Verbindungen.  Aber  der  besteht 
nur  darin,  dass  ich  dort  Petrus  und  Paulus  in  irgendwelche 
Beziehung  setzen  kann,  auch  in  die  des  räumlichen  Neben- 
einander, während  ich  hier  das  Bewusstsein  habe,  sie  als 
nebeneinanderstehend  vorstellen  zu  mĂĽssen.  Hat  demnach 
die  Verbindung  „Petrus  und  Paulus"  in  dem  ersten  Urtheil 
nicht  selbst  den  Werth  eines  Urtheils,  so  kann  dies  nur  da- 
von kommen,  dass  zum  Urtheil  noch  etwas  anderes  gehört, 
als  das  blosse  Zweigliedern  von  Gesammtvorstellungen,  näm- 
lich das  Bewusstsein  der  Zusammengehörigkeit. 


L.  Weis:  Schelliiig-Ckm  redivivus.  59 


SeiielliHg-Ok«B  redivins. 


Der  heliocentrische  Standpunkt  der  Wettbetrachtung.  Grundlegung 
gen  zu  einer  wirklichen  Naturphilosophie  von  S.  Alphons 
BĂĽharz,  Mit  13  Holzschnitten.  Stuttgart,  Verlag  der  J.  G. 
Cotta'schen  Buchhandlung.     1879.    (XVI  u.  326  S.)   8^. 

Der  Verf.  sagt  S.  VII:  „Hiermit  übergebe  ich  dem  den- 
kenden Publikum  eine  philosophische  Untersuchung  —  die  Frucht 
achtzehnjährigen  Ringens.  Das  Resultat  ist  die  der  Grund- 
bge  Dach  vollständige  Versöhnung  von  Philosophie  und  Na- 
turwissenschaft —  ein  Resultat,  über  dessen  Bedeutung,  falls 
es  richtig  ist.  Niemand  im  Unklaren  sein  kann.  Dennoch 
wird  die  Lösung  des  erkenntniss  -  theoretischen  Welträthsels 
durdi  die  Lösung  des  an  Wichtigkeit  Alles  überragenden  Pro- 
blems der  praktischeil  Philosophie  oder  die  Auffbidung  des 
Fondaments  der  Moral,  wodurch  diese  ihres  transscenden- 
ten  Gehalts  entlastet  und  zur  eigentlichen  Wissenschaft 
g«nacht  wird,  bei  Weitem  überboten.'^  „Die  Gefahr,  S.  IX, 
vor  dem  Materialismus  ist  in  der  That  dringend  gross;  ich 
hoffe  aber  von  dem  Leser  das  Zeugniss  zu  erhalten,  dass  die 
Arbeit  der  Vernichtung  dieser  gefährlichen  Weltanschauung 
grĂĽDdlich  gethan  und  nichts  mehr  zu  thun  ĂĽbrig  gelassen 
sei"  Wen  soDten  solche  Verheissungen  nicht  zum  Weiter- 
lesen locken?  „Dem  an  sich  unverwundbaren  Materia- 
lismus, S.  IX,  kann  nur  dadurch  die  Lebensfähigkeit  unter- 
bunden werden,  dass  man  seĂĽien  siamesischen  Zwillingsbruder 
Spiritualismus  zuerst  vernichtet."  „Bisher,  S.  XI,  ver- 
mochte die  Wissenschaft  das  Dogma  nicht  völlig  von  sich 
abzuwälzen;  sie  zerstörte  mehr  als  sie  aufbaute.  Die  einzig 
positive  Leistung  aber,  der  Schopenhauer'sche  Willensbegriff, 
glich  einem  ungeschliffenen  Diamanten,  fĂĽr  eine  Busennadel 
in  Gesellschaf t  zu  tragen  gar  nicht  geeignet.  Aber  ich  denke, 
dass  sich  die  hier  aufgerichtete  Scheidewand  zwischen  Dog- 
matismus und  Wissenschaft  als  haltbar  erweisen  wird.  Re- 
igion  ist  der  Versuch,  das  metaphysische  Räthsel  der  Welt 


60  L.  Weis:  Scheliiuf-Oken  redivivus. 

mittelst  des  theistischen  Princips  zu  lösen;   Philosophie 
der  Versuch,  ohne  diesPrincip  zu  demselben  Resultat  zu  ge- 
langen ;  abseits  steht  die  materialistische  Auffassung,  welche 
brutal  die  Existenz  eines  metaphysischen  Welträthsels  leugnet, 
und   welche  sofort  unter  der  Last  ihrer  eigenen  Ungeheuer- 
lichkeit erdrĂĽckt  wird,  wenn  man  sich  entschliesst,  den  Gol- 
tesbegriflf  als  einen  solchen  anzusehen,  der  nicht  der  Wissen- 
schaft, sondern  der  Dogmatik  angehört."    Ob  diese  Scheide- 
wand als  haltbar  erkannt  werden  wird  ?  Ich  wenigstens  achte 
dafür,   dass  der  Gottesbegriff  voll  zur  Wissenschaft   gehört 
und  von  je  dazu  gehörte,  denn  insofern  unter  Gott  das  ewig 
Seiende,   der  Urgrund  des  Vielen  gedacht  wird,   so  lag  das 
Leben  und  die  Mähe  aller  Wissenschaft  gerade  darin,  diesen 
Gott  zu  denken;   mag  er^nun  durch  die  von  Bilharz  geprie- 
senen Eleaten  als  das  Eine,  oder  durch  den  von  ihm  gefeier- 
ten Schopenhauer  als  Wille  zu  denken  versucht  worden  sän. 
Auch  die  Scheidewand,   welche  ^Iharz  m   der  Anmeldung 
S.  253  aufstellt,  ist  schwankend;  er  sa^:  „Religion  kana  für 
uns  nur  eine  Abart  der  Metaphysik  sein.    Der  Begriff  Meta- 
physik schliesst  die  zwei  Parallelbegriffe  Religion  und  Philo- 
sophie ein.    Religion  aber  ist  der  Mantelbegriff  fĂĽr  die  Got- 
tesidee und  wird  von  der  letzteren  ganz  und  gar  au^geföUt.^^ 
Bilharz  denkt  dabei  nicht  an  einen  Soldatenmantel  oder  Re- 
genmantel,  sondern   an   den  Mantel   eines   stereometrischen 
Kegels.    Nun  frage  ich  nicht:  Was  ist  es  fĂĽr  einGevinn,  zu 
sagen:  Religion  ist  ein  Mantelbegriff?    Ich  frage:  Wenn  Re- 
ligion und  Philosophie  Parallelbegriffe  sind,   warum  ist  nur 
Religion  eine  Abart  und  nicht  auch  Philosophie?    Parallele 
Linien  als  gleichstrebende  oder  gleichgerichtete  Linien   sind 
auch   gleichwerthige   Dinge.    Deshalb   aber   gibt   es   so    gut 
schlechte  Philosophien  wie  es  schlechte  Religionen  gibt,    und 
es  gibt  gute  Religionen  so  gut  wie  gute  Philosophien. 

Bilharz  verspricht  noch  S.  VIII:  „Ich  führe  nun  »mit 
bedächtiger  Schnelle«  den  Leser  vom  Himmel  durch  die  Welt 
zur  HöUe.'^  Er  hofft  S.  XIV:  „die  Klippe  zu  umgeben,  an 
der  Kant  gescheitert  ist*^  und  wäre  befriedigt  S.  XV,  „wenn 
es  ihm  gelänge,  durch  das  aufgerollte  Weltgemälde  die  Seele 
des  deutschen  Volkes  im  Tiefsten  zu  erschĂĽttern.*^ 


*  L.  Was:  Scbening^ken  redivivus.  61 

Bilharz  betritt  nun  den  „aufsteigenden  Weg'\  in  dem  er 
zuerst  „Vorbereitendes  bringt",  und  zwar  „eine  historisch- 
kritische Einleitung".  „Mit  Recht  beginnt  mit  den  Griechen 
die  Geschichte  der  Philosophie"  S.  8,  aber  nur  „die  Eleaten, 
S.9,  fassen  den  Stier  bei  den  Hörnern.  Dass  das  Veränder- 
liche dem  reinen  Sein  nicht  angehören  könne  —  dieser  Ge- 
danke wird  von  ihnen  mit  solcher  Kraft  festgehalten,  wie  vor 
and  nach  ihnen  im  ganzen  Alterthum  nicht  wieder."  „Die 
e^ntliche  Leistung  der  eleatischen  Schule,  S.  10,  war  in  der 
Leugnung  derRealit&t  der  Sinnenwelt  enthalten;  doch  nicht 
in  der  Lösung,  in  der  Aufstellung  des  Problems  liegt  ihr  Ver- 
dienst." „In  selbstständiger  imd  geistreicher  Weise  wird  das 
Problem  noch  einmal  von  dem  berĂĽhmtesten  und  erfolgreich- 
sten Philosophen  des  Alterthums  von  Plato  in  seiner  Ideen- 
lehre in  Angriff  genonunen ;  aber  am  Besten  ist  das  WillkĂĽr- 
liche, Dogmatische  der  Lehre  aus  ihrer  späteren  Geschichte 
ersichtlich:  die  Theosophie  bemächtigt  sich  ihrer  als  eines 
vollkommenen  Deckmantels  ihrer  unphilosophischen  Blosse,^* 
S.  12.  „Die  platonische  Idee  ein  äusserstes  Verallgemeine- 
rungsproduct  der  abstrahirenden  Vemunftthätigkeit  ist  zur 
Eridärung  der  Welt  ganz  werthlos,  aber  auch  voll  Anmas- 
sung  und  daher  von  allen  Feinden  der  Wissenschaft  mit  Freu- 
den aufgegriffen,  was  denn  auch  den  grossen  Einfluss  der 
platonisdhen  Philosophie  genügend  erklärt,"  S.  211.  iBilharz 
sagt  auch  S.  12:  „Die  platonische  Idee  verräth  zu  sehr  ihre 
Abstammung  aus  dem  Reich  der  Gedanken."  Darin  hat  Bil- 
harz recht,  und  ich  bekenne  freudig  meine  Bewunderung  vor 
platonischer  Gedankentiefe,  obgleich  ich  mir  gefallen  lassen 
muss,  von  Bilharz  jetzt  zu  den  Feinden  der  Wissenschaft  ge- 
zahlt zu  werden,  die  kein  Recht  haben,  seine  nicht  „aus  dem 
Reich  der  Gedanken  stammende"  Weisheit  zu  recensiren. 

„Nach  Plato  folgt  eine  lange  Nacht.  Der  Faden  derPhi- 
losoi^ewird  plötzlich  abgebrochen,"  S.  12.  Aristoteles  scheint 
fär  Bilharz  nicht  gelebt  zu  haben.  Nun  aber  kam  „von  Osten 
her,  wie  dn  Sturmwind,  eine  neue  fremdartige  Lehre,  welche 
die  Selbstbeschränkung,  die  Ueberwindung  des  eigenen  Wil- 
lens zum  höchsten,  unbedingten  Gebot  machte,"  S.  12.  „Aber 
bald  verwandelt  sich  die  Herrschaft  der  Lehre,   wie   es   in 


62  L.  Weis:  ScheUing-Oken  redivivus.  * 

menschlichen  Dingen  zu  geschehen  pflegt,  in  eine  Herrschaft 
des  Lehrenden,  mit  beispieDoser  Tyrannei.  Kein  ui^ĂĽnstige- 
rer  Boden  ist  denkbar  fĂĽr  die  Philosophie,  die  freieste  Tochter 
des  Menschengeistes.  Alles  Philosophiren  auf  religiös-präpa- 
rirter  Grundlage  kann  daher  nichts  sein  als  blosse  Spiegel- 
fechterei," S.  13.  Nun,  da  selbst  Plato  von  Bilbarz  so  mit 
Koth  beworfen  wird,  dann  Gnade  Gott  uns  armen  Sterb- 
lichen, wenn,  „wie  es  menschlich  ist",  statt  Bilharz'  Lehre 
die  Bilharze  selbst  herrschend  werden!  Also  blosse  Spiegel- 
fechterei war  im  philosophirenden  Mittelalter?  Nun,  in  der 
That,  die  Wahrheit  in  Bilharz'  Anschauung  stammt  nur  aus 
einem  Funken  dieser  sog.  Spi^elfechterei. 

Die  ganze  griechische  Philosophie,  auch  die  eleatische, 
hatte  keine  Vorstellung  davon,  dass  der  Urgrund  des  Seins 
eine  Kraft  sei;  nur  Lenkerund  Ordner,  nicht  Schöpfer  und 
Ursprung  der  Dinge  war  Gott.  Erst  die  mittelalterliche  Phi- 
losophie macht  Gott  zum  Schöpfer,  somit  zu  einer  tbatigen 
Kraft.  Aber  die  Griechen  hielten  ihren  höchsten  B^friff  auch 
rein  von  allem  Willen  und  FĂĽhlen,  da  sie  meinten.  Beides 
mache  das  ewige  Wesen  zu  einem  Unvollkommenen,  Unseli- 
gen. Deshalb  ist  es  das  Verdienst  der  christlichen  Philoso- 
phie, dass  sie  den  Urgrund  der  Dinge  nicht  bloss  wie  die 
Griechen  als  reines  Sein  oder  Denken,  sondern  als  ein  im 
Denken,  FĂĽhlen  und  Wollen  einheitliches  Kraftwesen  auf- 
fasste.  Kleinkrämer  sehen  freilich  nur,  dass  dieser  Versuch 
in  der  Aufstellung  der  Trinitätslehre  misslang;  aber  wie  Bil- 
harz von  den  Eleaten,  so  mĂĽssen  wir  auch  von  den  mittel- 
alterlichen Denkern  sagen,  nicht  die  Lösung,  aber  die  Auf- 
stellung des  Problems  ist  ihr  Verdienst;  des  Problems,  Gott 
nicht  bloss  als  denkendes  Sein,  sondern  auch  als  E[raft,  als 
Wille  zu  denken.  Die  Resultate  der  BemĂĽhungen  um  dieses 
Problem  zeigten  sich,  als  das  Streben  erwachte,  dies  Problem 
von  anderen  Seiten  her,  wie  die  mittelalterliche  Philosophie, 
aufzugreifen.  Denn  es  war  gar  keine  Rede  mehr  davon, 
dass  Gott  nur  Lenker,  nicht  Schöpfer  sei.  Das  ewig  Seiende 
ward  sofort  als  schöpferische  Kraft,  als  treibender,  quellender 
Urgrund  betrachtet,  von  den  einen,  wie  Giordano  Bruno, 
ward  freilich  dieser  Urgrund  mehr  als  unbewusst  treibende 


L.  Was:  ScheUiiig-Oken  rediTivus.  63 

Mutter  Natur,  von  Anderen  als  vernĂĽnftiger  Wille,  als  schaf- 
fenda:  Gott  gedacht.  Eant's  Verdienst  ist,  dass  er  auch  den 
menschlichen  Geist  als  eine  Wahrheit  erringende  Kraft  voll 
Vermögen  der  Sittlichkeit  erkannte,  und  Fichte  liess  dieses 
menschlidie  Ich  durch  seine  Thatkraft  sogar  das  ganze  Nicht- 
Ich  erzeugen.  Bei  Hegel  scheint  dies  Kraftmoment  wieder 
mehr  in  den  Hintergrund  zu  treten ;  das  reine  Sein,  das  reine 
Denken  ist  ihm  wie  bei  Eleaten  und  Aristoteles  das  ewig 
Seiende.  Indess  dieses  ewig  Seiende  in  seiner  vollendetsten 
Entwicklung  ist  ja  auch  der  absolute  Geist,  und  als  solcher 
ist  er  eben  die  Kraft  der  Dinge  und  er  ist  absolut  xnur  inso- 
fern er  auch  Wille  ist,  nur  dass  er  diesen  Willen  seiner  Ver- 
nunft völlig  unterwarf.  Mit  Unrecht  stellt  man  daher  Hegel 
ganz  in  Zusammenhang  mit  den  Eleaten  und  Aristoteles,  auch 
bei  ihm  ist  das  ewig  Seiende  eine  Kraft,  ein  vernĂĽnftiger 
Wille.  Schopenhauer,  sich  einseitig  an  den  HegeFschen 
Ausdruck:  reines  Sein,  reines  Denken  haltend,  stellte  nun  den 
mit  der  christlichen  PhOosophie  zu  Ehren  gekommenen  Begriff 
des  Willens  oben  hin,  während  später  andere,  so  z.B.  Hart- 
mann als  anonymer  Kritiker  seiner  eigenen  Philosophie  des 
Unbewussten,  und  Zöllner  in  der  „Natur  der  Kometen'*  die  Em- 
pfmdung  oben  hin  stellten.  Das  mittelalterliche  Problem: 
den  Urgrund  der  Dmge  als  eine  im  Denken,  Wollen  und  FĂĽhlen 
einheitliche  Kraft  zu  denken,  ist  daher  heute  aufgegeben;  man 
begnĂĽgt  sich,  diesen  Urgrund  einseitig  nur  als  Denken,  oder 
als  Willen,  oda:  als  Empfindung  festzuhalten. 

Bilharz,  der  als  einzige  Leistung  der  Neuzeit  die  That 
Schopenhauer's  den  Willen  zum  Weltprincip  zu  erheben  an- 
erkamt,  und  einseitig  im  Willen  alles  Heil  sieht,  sollte  daher 
der  mittelalterlichen  Philosophie,  statt  sie  nur  als  Spiegelfech- 
terd  gelten  zu  lassen,  danken,  dass  sie  im  Fortschritt,  den 
Eleaten  gegenĂĽber,  den  Willen  der  Ehre  wĂĽrdig  erkannte,  am 
Unendlichen  Theil  zu.  haben. 

Wie  Bilharz  in  seiner  einseitigen  Werthschätzung  des 
Willens  die  Geschichte  der  Philosophie  weiter  beschreibt,  lässt 
sidi  vermuthen.  Nur  noch  folgende  Sätze:  „Vor  Kant  lag, 
S.  254,  der  Schwerpunkt  im  Object,  Kant  verlegt  ihn  ins 
Snbject.    Das  Gleichgewicht  zwischen  Idealismus  und  Realis- 


64  L.  Wds:  Scfaelling-Oken  redivivus. 

mus  ist  nicUt  hergestellt,  sondern  das  Uebergewicht  einfach 
verlegt.  Die  subjective  Wagschaale  senkt  sich,  zum  Erstau- 
nen der  Menschheit  Der  plumpe  Fichte  aber  springt  mit 
allen  Vieren  hinein,  und  —  der  Wagbalken  stellt  sich  senk- 
recht/^ „Die  höchste  Stufe,  S.  32,  dieser  Art,  Hirngespinnste 
zu  machen,  erreicht  Hegel,  der  in  diesem  Sinne  wirklich 
»summus  philosophus«.  Es  wäre  für  unsere  Zwecke  ganz 
überflässig,  die  Gegensätze  aller  dieser  Pseudophilosophen, 
richtiger  Theosophen,  herauszuheben;  denn  sie  bewegen  steh 
ganz  im  Pathologischen.  Sie  segeln  auf  fremdem  Schiffe  und 
haben  nur  die  philosophische  Flagge  aufgezogen.  Wenn  Kant 
die  Skeptiker  Nomaden  nennt,  so  sind  diese  Gontrebandiers, 
denen  das  Handwerk  ein  fĂĽr  allemal  gelegt  werden  sollte 
durch  ZurĂĽckweisen  ihrer  falschen  Waare."  Man  darf  sol- 
cher Ausdrucksweise  gegenĂĽber  es  wohl  Vagabundenthum 
nennen,  was  in  solcher  Leichtfert^keit  die  Geschichte  der 
Philosophie  durchwandelt.  RĂĽckblicl^end  ragen  demselben 
„aus  einem  ungeheuren  Nebelmeer  als  höchste  Bergspitze  die 
Namen  der  Philosophen  hervor,  in  welchen  das  eleatische 
Grundproblem  in  originaler  Wdse  lebendig  geworden,  und 
die  wirklich  etwas  zu  seiner  endlichen  Lösung  beigetragen 
haben:  im  Alterthum  Parmenides  und  Zeno,  in  der  neueren 
Zeit  Kant  und  Schopenhauer;  ihnen  zunächst  die  jenglischen 
Kritiker  Locke  und  Hume,^^  S.  63.  „Lidess  bei  Kant  werden 
die  Leser  abgeschreckt  durch  die  Unvollkonmienheit  der  Be- 
weisfĂĽhrung in  der  schwerfalligen  Sprache,  und  so  verliert 
sich  die  höchste  Leistung  des  originellsten  Denkers  aus  dem 
Bewusstsem  des  Volkes.  Jedermann  beruft  sich  zwar  auf 
den  alten  Kant,  nicht  ohne  jedesmal,  als  Fägenblatt,  »den 
grossen  Denker  von  Königsberg€  hinzuzufügen ;  Niemand  kennt 
ihnj  mehr,"  S.  257.  „Kant  ist  —  man  darf  wohl  sagen  — 
vergessen.  Die  Tradition  seiner  Lehre  hat  sich  nur  durch 
die  Schopenhauer'sche  Philosophie  erhalten,"  S.  52,  S.  XV. 
„Die  Schopenhauer*sche  Philosophie  fangt  jetzt  an  aus  dem 
Dunkel  der  Unbeachtung  herauszutreten,"  S.  52.  „Schopen- 
hauer gleicht  einem  tiefen,  krystaUenen  Bergsee,  in  dessen 
Tiefe  die  klaren  Kiesel  glänzen  und  die  silbernen  Fische  spie- 
len," S.  38.    „In  Schopenhauer's  Satz,   dass  der  Wille   das 


S.  AlphoDs  Bilharz:  Schellin  g-Oken  redivivus.  65 

Wesen  oder  den  Inhalt  des  Seins  repräsentire,  ist  nach  mei- 
ner Ansicht  die  einzige  Bereicherung  unserer  metaphysischen 
Erkenntniss  seit  Kant  gegeben/'  S.  41.  „Indem  aber  Scho- 
penhauer dem  Ding  an  sich  den  absoluten  Charakter  nehmen 
will,  bezeichnet  er  selbst  deutlich  den  Urquell  aller  Schief- 
heiten und  Verzerrungen  seines  Systems.  Damit  verlegt  er 
thatsächlich  den  Mittelpunkt  der  Welt  in  das  Subject  und 
nimmt  thatsächlich  den  Standpunkt  des  »theoretischen  Egois- 
mus€  ein,  den  er  selbst  in's  Tollhaus  verlegt,"  S.  44.  Armer 
Schopenhauer!  Also  auch  du  klarer  Bergsee  schwimmst  voll 
fauler  Fische,  voll  Schiefheiten,  wohl  auch  voll  Himge- 
spinnste!  Und  obgleich  einzig  das  Nebelmeer  ĂĽberragend, 
wohnst  du  doch  eigentlich  im  Tollhaus!  Da  ist  es  denn  frei- 
lich Zeit,  dass  „der  einsame  Philosoph,  der  auf  dem  Wacht- 
ihurm  seinen  Sitz  aufgeschlagen,  Heil  verkĂĽndet  allen  kom- 
menden Geschlechtem,"  S.  62. 

Nach  Bilharz  ist  „der  Kant  und  Schopenhauer  gemein- 
same Mangel,  dass  sie  das  Weichbild  des  Subjects  nicht  ver- 
lassen, dass  der  Weltmittelpunkt  bei  ihnen  in*s  Subject  ver- 
legt ist,"  S.  54.  Diesen  Irrthum  zu  vermeiden,  „muss  die 
Spaltung  der  Relation  Subject  —  Object  in  das  Wesen  des 
Seins  selbst  hinein  verlegt  werden :  das  Sein  selbst  muss  dem 
Inhalt  nach  in  Subject  und  Object  zerfallen.  Nicht  ein  Punkt 
ist  als  Weltmittelpunkt  besonders  ausgezeichnet,  sondern  jeder 
Punkt  des  All  ist  Subjectpunkt  gegenĂĽber  dem  All  als  Ob- 
ject, mit  ihm  untrennbar  verbunden  (wenn  auch  als  nicht 
aufzuhebender  Gegensatz)  zu  einer  gemeinschaftlichen  Einheit, 
dem  reinen,  gegensatzlosen  Sein.  Durch  diese  Abtrennung 
des  Subjectpunktes,  dem  Wesen  nach,  als  Eins  dem  All 
gegenĂĽber,  bewegt  sich  aber  nothwendig  der  Objectpunkt  aus 
dem  gemeinschaftlichen  Schopenhauer'schen  Weltmittelpunkt 
heraus.  Wir  erhalten  statt  eines  einzigen,  drei  Punkte. 
Hiermit  wird  aus  der  Schopenhauer'schen  Weltkugel  ein 
Weltellipsoid,  mit  dem  Objectpunkt  als  Brennpunkt,  der 
dem  Weltmittelpunkt  (dem  geometrischen  Mittelpunkt),  da 
ausser  ersterem  nur  der  Subjectpunkt  ĂĽbrig  bleibt,  freilich 
unendlich  nahe  steht,  aber  niemals  mit  ihm  zusammen- 
fällt    Es   ist   dies  mutatis   mutandis   dieselbe   Aenderung, 

Philowph.  MonaUhefle  1881,  I  o.  H.  5 


66  S.  Alphons  BilLarz:  Schelling-Oken  redivivus. 

welche  Kepler  einst  an  den  Kopernikanischen  Kreisen  vorge- 
nommen, indem  er  sie  in  Ellipsen  verwandelte.  Und  hiermit 
ist  der  von  Schopenhauer  gesuchte  »objective  Gesichtspunkte, 
der  heliocentrische  Standpunkt  gewonnen." 

Mit  dieser,  die  Seiten  72  und  73  nicht  einmal  ganz  fĂĽl- 
lenden Auseinandersetzung  „scheint  die  eigentliche  Aufgabe 
gelöst",  S.  74.  Wer  es  glauben  mag,  mag's  glauben.  Ich 
nicht.  Denn  da  Bilharz  selbst  S.  76  sagt:  „Das  Universum 
ist  als  unendlich  grosse  Kugel  zu  betrachten,  bei  deren 
Unendlichkeit  jeder  Punkt  als  Mittelpunkt  zu  setzen  ist,"  so 
ist  es  doch  einerlei,  ob  man  die  Welt  kugelig  oder  ellipsoi- 
disch  annimmt,  denn  auf  die  im  Unendlichen  liegende  Be- 
grenzung kommt  es  nicht  an.  Ueberhaupt,  wozu  die  Frage, 
ob  Ellipse  oder  Kreis?  Bilharz  ist  der  Meinung,  die  seithe- 
rige Philosophie,  selbst  die  Schopenhauer'sche,  habe  dasSub- 
ject,  den  Geist,  zu  einseitig  beachtet;  er  will  auch  das  Ob- 
ject,  die  Welt,  zur  Geltung  bringen,  und  deshalb  meint  er 
jedes  Ding  als  Subject  und  Object  gelten  lassen  zu  mĂĽssen. 
Ist  aber  damit  xiuch  gesagt,  dass  Subject  und  Object  sich  in 
einer  Kreislinie  oder  Ellipse  um  einander  bewegen?  Bei 
Kepler^s  Erdumlauf  kann  man  vier  Punkte  unterscheiden: 
den  Punkt,  wo  in  jedem  Augenblick  die  Erde  steht,  den 
einen  Brennpunkt  der  Ellipse  wo  die  Sonne  steht,  den  zwei- 
ten Brennpunkt,  wo  die  Sonne  nicht  steht  und  den  geome- 
trischen Mittelpunkt  der  Ellipse.  Die  Analogie  zwischen  Kep- 
ler und  Bilharz  fällt  daher  ganz  fort.  Bilharz  hat  nur  drei 
Punkte,  nur  die  zwei  Brennpunkte,  die  zu  den  Seiten  eines 
Mittelpunktes  liegen;  der  Punkt,  der  die  Kreis-  oder  Ellipsen- 
bahn machen  soll,  fehlt  ganz.  Nur  drei  Punkte  hat  also  Bil- 
harz, und  diese  kann  man  sich  durch  eine  Linie  verbunden 
denken,  wobei  man  das  Bild  einer  zweiarmigen  Wage  mit 
Hebelarmen  erhält.  Bilharz  selbst  entwickelt  S.  79  dieses 
Bild,  und  es  bleibt  in  der  ganzen  Folge  sein  Lieblingsbild, 
weshalb  er  selbst  bei  den  Nerven  von  der  Nervenwage  spricht. 
Der  zwischen  Subjectpunkt  und  Objectpunkt  liegende  Punkt, 
also  der  StĂĽtzpunkt  oder  das  Hypomochlion  der  Wage, 
ist  ihm  der  Weltmittelpunkt,  das  Welthypomochlion,  der 
Punkt,  wo  das  reine  Sein,  die  Verschmelzung  der  Gegensätze 


S.  AIphoDs  Bilharz:  Schelling-Oken  rediviyus.  67 

statt  hat.  Er  spricht  an  derselben  Stelle,  S.  79,  sogar  von 
„der  Trinität  der  Punkte  unter  dem  Bilde  der  Wage".  Also 
auch  Bilharz,  der  alle  Mängel  der  Philosophie  vom  Dogma- 
tismus herleitet,  kann  nicht  umhin,  eine  Trinität  zu  erfinden ! 
Hätte  indess  Bilharz,  statt  in  den  Werken  der  Trias,  Fichte, 
Schelling,  Hegel  nur  „Hochmuth,  willkürliches  Spielen  mit 
Begriffen,  empörende  Gleichgültigkeit  gegen  die  Wahrheit, 
eingebildetsten  Subjectivismus,  hohlen  Klang  von  Töpfen", 
S.  33,  zu  vennuthen,  diese  Werke  studirt,  er  wĂĽrde  gefun- 
den haben,  dass  seine  Welthypomochlionslehre  schon  von 
Schelling  aufgestellt  war.  Nur  sagt  Schelling  Indifferenzpunkt 
statt  Hypomochlion,  und  statt  von  Endpunkten  von  Hebel- 
armen spricht  er  von  Polen.  Schelling  denkt  sich  die  drei 
Punkte  verbunden  unter  dem  Bild  eines  Magneten,  eines  Com- 
passcs;  Bilharz  unter  dem  Bild  einer  Wage.  Da  nun  Schel- 
ling's  Bild  als  Spiel  mit  Begriffen  erkannt  wird,  so  wird  Bil- 
harz' Bild  kein  anderes  Schicksal  treffen;  aber  wir  werden 
noch  andere  Aehnlichkeit  mit  Schelling' scher  Schulphilosophie 
finden. 

Das  Erste  ist  nun,  dass  Bilharz,  um  die  Möglichkeit  des 
Gleichgewichts  um  seinen  Indifferenz-Mittelpunkt  zu  erhalten, 
Subject  und  Object  gleichsetzt,  und  dies  geschieht,  indem  er 
beide  als  Wille  und  Kraft  für  einerlei  erklärt.  „Wir  nennen 
die  Kugel  des  Mondes,  von  uns  aus  gesehen,  eine  Scheibe, 
und  dieses  Verhältniss  stellt  ganz  genau  das  Verhältniss 
der  Begriffe  von  Kraft  und  Wille  dar.  Kraft  ist  der  von 
aussen  gesehene  Wille,  und  Wille  die  von  innen  gesehene 
Kraft,"  S.  83,  84.  Wer  dies  glauben  mag,  mag!s  glauben. 
Ich  selbst  als  Subject  fĂĽhle  und  weiss  mich  in  meinem  Willen 
als  Kraft,  aber  ich  weiss^  auch  das  Du,  das  mir  feindlich  oder 
freundlich  entgegenstehende  menschliche  Object,  als  ein 
Subject,  als  einen  Willen,  als  eine  Kraft.  Aber  ich  halte  es 
fĂĽr  ein  Spiel  mit  Begriffen,  die  Sonne,  die  mir  als  Attractions- 
kraft  erscheint,  nun  auch  als  Willen  zu  denken.  Bilharz 
findet  freilich  in  solcher  poetischen  Spielerei  Wissenschaft. 

Von  Bilharz'  Vorgänger  Schelling  sagt  Hegel,  dessen 
System  sei  wie  aus  der  Pistole  geschossen,  und  wenn  man 
das  Kunststück  dabei  einmal  gelernt  habe«   so  sei  es  leicht, 


68  S.  Alphons  Ăźilharz:  Schelling-Oken  redivivus. 

dasselbe  ĂĽberall  anzuwenden.  Dasselbe  gilt  von  Bilharz, 
dessen  ganze  Gedankentiefe  darin  aufgeht,  jedes  Ding  von 
aussen  anzusehen  und  Objectpunkt  =  Kraft  zu  nennen ,  und 
dann  von  innen  anzusehen  und  es  Subjectpunkt  =  Wille  zu 
nennen.   Die  Formel  der  Mechanik,  wonach  Geschwindigkeit  v, 

Zeit  t  und  Weg  s,  in  dem  Verhältniss  v  =  —  stehen,  nimmt 

denn  Bilharz  geradezu  auf,  nur  dass  er  k  =  Kraft  fĂĽr  v  = 
Geschwindigkeit  setzt,  da  die  Geschwindigkeit  von  der  Kraft 
abhänge.  Es  ist  unwissenschaftlich  und  willkürlich,  v  allge- 
mein durch  k  zu  ersetzen,  denn  die  Formel  gilt  nur  fĂĽr  gleich- 
massige  Bewegung,  aber  da  Bilharz  einmal  die  Gleichsetzung 
vornimmt  und  da  ihm  die  Kraft  ganz  abstract  nur  ein  Punkt 
ist,  so  kann  er  statt  in  Hebelarmlängen  und  Schwingungs- 
bogen  der  Hebelarme,    die  Beziehung  von  Subjectpunkt  und 

Objectpunkt   auch  in  Polarcoordinaten   ausdrĂĽcken,   S.  102, 

g 
und  die  Gleichung  k  =  7-  verwandelt  sich  ihm  in  tang.  a  = 

^.  Natürlich  kann  er  auch  Formeln  bilden  ^g"  ° '  *^^*-  " 
cot.  a  2 

=    ßt ^«    Bilharz  verwundert  sich  freilich,  dass 


seine  Resultate  mit  mechanischen  Resultaten  stimmen,  aber 
sie  mĂĽssen  stimmen,  da  er  nur  die  mechanischen  Resultate 
aufnimmt  und  die  mathematischen  Begriffe  einfach  durch 
metaphysische  Begriffe  ersetzt,  ohne  zu  firagen,  ob  er  dazu  be- 
rechtigt ist  oder  nicht,  und  obgleich  seit  Schopenhauer-Hart- 
mann es  Mode  wurde,  jede  Kraft  als  Wille  anzusehen,  so 
werden   doch   viele   sein,    die   es   Phantasterei   nennen,    die 

s  s 

Formel  k  =  -j-  gleichzusetzen  der  Formel  w"  =  t-,  wobei  w*  == 

Wille  =  Subjectpunkt  sein  soll.  Die  Wunderlichkeiten  treten 
sofort  zu  Tage,  wenn  wir  einzelne  Sätze  citiren,  die  diesem 
Streben,  alles  als  Kraft  zu  fassen,  entspringen.  „Wenn  wir 
in  Betracht  ziehen,  dass  unser  Subjectpunkt  selbst  eine  cyc- 
lische  Bewegung  von  der  Wiege  (Aphelium)  zur  Sonnenhöhe 
des  Daseins  und  von  da  bis  zum  Grab  (wieder  zum  Aphe- 
lium zurĂĽck)  durchmacht,   so  dĂĽrfte  es  uns  wirklich  schwer 


S.  Alphons  BĂĽharz:  Schelling-Oken  redivivus.  69 

werden,  den  wesentlichen  Unterschied  eines  erkennenden 
Individuums  von  einem  im  unendlichen  Raum  rotirenden  Welt- 
körper anzugeben.  Wir  kommen  der  Sa4ie  am  nächsten, 
wenn  wir  uns  als  Weltkörper  betrachten,  wie  die 
Erde,  oder  wie  die  Sternschnuppen,  nur. von  innen 
gesehen,  und  das  Erkennen  ĂĽberhaupt  nur  als  Specialfall 
der  Willensäusserung  auffassen,  so  gut  wie  irgend  eine  Be- 
wegung von  innen  gesehen",  S.  131.  „Verfolge  ich  den  Gang 
des  Subjectpunktes ,  welcher  im  gegenwärtigen  Augenblick 
mein  Ich  vorstellt,  nach  rückwärts  durch  alle  vorangegan- 
genen Generationen  hindurch,  so  ist's  als  sähe  ich  in  die  Höh- 
lung eines  Kegels,  dessen  Spitze  sich  in  die  nebelgraue  Un- 
endlichkeit verliert  und  dessen  Mantel  aus  lauter  dichtgedräng- 
ten Spiralcycloiden  gebildet  ist,  welche  die  Lebensläufe  von 
Ahnen-Individuen,  von  deren  Entstehung  (Abschleuderung  des 
Subjectpunktes)  an  bis  zum  Eintritt  des  letzteren  in  ein  neues 
(kindliches)  Individuum  darstellen.  Das  Leben  des  Indivi- 
duums ist  nur  ein  Epicykel  auf  der  Curve  der  Species.  Die 
Species,  Gattung  u.  s.  f.  bildet  eine  elliptische  Curve,  oder 
zeigt  ein  wellenartiges  An-  und  Abschwellen  in  der  Stufen- 
leiter des  Lebendigen.  Der  Typus  ist  ein  Wellenberg  zwischen 
zwei  Thälem,  eine  Schlinge  in  der  elliptischen  Curve",  S.  170. 
, J>ie  Veränderung,  die  das  Subject  durch  das  Object  erleidet, 
ist  gleich  der  Veränderung,  die  das  Object  durch  das  Sub- 
ject erleidet",  S.  183.  Der  Verfasser  macht  diesen  Satz  und 
erkennt  darin  das  Gesetz  der  Erhaltung  der  Kraft  wieder; 
aber  wenn  der  Dolch  als  Object  einen  Menschen  als  Subject 
tödtet,  erleidet  der  Dolch  die  gleiche  Aenderung  wie  der 
Mensch? 

Schliessen  wir  diese  Gitate  mit  semer  Charakteristik  des 
Gemfiths:  „Wie  ein  Torfmoorboden,  dessen  Substanz 
ausschliesslich  aus  Pflanzentheilen  besteht,  welche  einmal 
wirkliche,  lebendige  Pflanzen  gewesen  sind  und  in  jedem 
Aug^iblick  durch  eine  neue  Schicht  verstärkt  werden:  so  ist 
das  Gemuth  die  Ablagerungsstätte  der,  so  zu  sagen  com- 
primirten,  verdichteten,  moorartig  umgewandelten,  d.  h.  ins 
Unbewusste  oder  in  die  Organisation  ĂĽbergeg^genen  Vor- 
stellungen, welche  aber  (genau  wie  die  Torftnoorreste  einmal 


70  S.  Alphons  Bilharz:  Schelling-Oken  redivivus. 

lebendige  Pflanzen)   bewusste    Vorstellungen   gewesen    sind; 
oder  vielmehr  das  GemĂĽth  besteht  aus  solchen",  S.  190. 

Diese  Wortttgeben  uns  das  Recht  zu  sagen,  dass  die 
ganze  Bilhai*z'sche  "Philosophie  auf  einem  Torfmoorboden  er- 
wachsen ist;  es  sind  unbewusst  gewordene  Vorstellungen,  die  er 
wieder  aufleben  lassen  will.  Die  drei  Punkte,  welche  Schelling  im 
Bilde  der  magnetisclien  Linie  vereinte,  verbindet  Bilharz  durch 
die  Linie  eines  zweiarmigen  Hebels.  Auch  Schelling  wollte 
einseitigem  Subjectivismus  gegenĂĽber  durch  seine  drei  Punkte 
das  Object  zur  Geltung  bringen.  Er  hat  also  dasselbe  Streben 
wie  Bilharz.  Aber  seit  man  in  der  frĂĽheren  Naturphilosophie 
nur  Unsinn  sieht,  ist  es  ungewusst  und  unbewusst  geworden, 
dass  Bestrebungen,  die  heute  neu  heissen,  schon  in  der  ver- 
gessenen Zeit  lebendig  waren.  Dies  gilt  auch  z.  B.  von  dem 
Gedanken  der  Entwicklung,  den  Bilharz  so  sehr  rĂĽhmt  und 
von  dem  er  meint,  er  sei  erst  durch  Darwin  entdeckt  worden. 
Stellen  wir  daher  den  Gitaten  aus  Bilharz  einige  Gitate  aus 
dem  1837  erschienenen  Handbuch  des  natĂĽrlichen  Pflanzen- 
systems von  L.  Reichenbach,  einem  SchĂĽler  der  Schelling- 
Okcn'schen  Schule  entgegen.  „Die  ganze  Natur  ist  ein  sich 
veränderndes  Lebendiges,  sie  ist  das  unveränderliche  Princip 
in  der  veränderlichen  Erscheinung.  Alle  Veränderung  im 
Leben  ist  ein  Entwickeln,  ein  Zu-  und  Abnehmen;  all  dieses 
Entwickeln  erscheint  im  Materiellen  und  Zeitlichen  bedungen, 
in  gewissen  Typen  und  Stadien.  Die  Typen  sind  die  erstreb- 
ten Ruhepunkte  der  Stadien,  die  Stadien  sind  das  Streben 
selbst."  Dieser  Satz  ist  analog  der  Bilharz'schen  Entwick- 
lung des '  Ich  aus  der  Spiralcycloiden  der  Ahnen  und  dem  An- 
und  Abschwellen  in  der  Stufenleiter  der  Typen.  Nur  statt 
Streben  sagt  Bilharz:  Wille  zum  Leben,  und  die  Typen  sind 
ihm  erschienene  Hemmungen  dieses  Willens  zum  Leben,  die 
Wellenberge  zwischen  zwei  Thälern  in  der  cyclischen  Be- 
wegung der  Entwicklung.  Als  Parallele  zu  Bilharz'  Streben 
alles  in  Form  von  Perpendikeln,  Ellipsen,  Krämer -Wagen 
u.  s.  w.  anzuschauen,  citiren  wir  nachfolgende  Definitionen 
Reichenbadi's :  Die  Pflanze  ist  das  Perpendiculär  -  Lebendige. 
Die  Halbpflanze  ist  die  organische  Kugel  in  ihren  Modifica- 
tionen.    Der  Pilz  ist  die  in  der  Kugelform  und  deren  Seg- 


Maximilian  Drossbach:  Ueber  Kraft  und  Bewegung  etc.  71 

menten  stabilisirte  Pflanze  mit  innerer  Antithese  als  Kegel. 
Die  Flechte  ist  die  aus  der  Kugelform  und  deren  Segmenten 
wuchernde  Pflanze  mit  nach  Aussen  gekehrter  Antithese 
u.  s.  w."  Bilharz  hofft,  „das  deutsche  Volk  durch  seine  Lei- 
stung aufs  Tiefste  zu  erschĂĽttern."  Das  deutsche  Volk  wird 
sagen :  Bilharz,  obgleich  er  ausser  Schopenhauer  nur  Pseudo- 
philosophen  und  Contrebandiers  (S.  32)  kennt,  welche  „hoch- 
muthsvoU  willkĂĽrlich  mit  Begriffen  spielen",  wird  die  Welt 
nicht  erschĂĽttern,  da  er,  im  alten  Fahrwasser  der  sogen. 
Pseudophilosophen  sich  bewegend,  in  Wahrheit  selbst  nur  ist 
ein  Schelling-Oken  redivivus.  L.  Weis. 


Ueber  Kraft  und  Bewegung  im  Hinblick  auf  die  Lichtwellenlehre 
und  die  mechanische  Wärmetheorie  von  Maximilian  Dross- 
bach. Halle,  C.  E.  M.  Pfeffer.  1879.  (VIII,  120  S.)  8^ 
Diese  Schrift,  deren  Verfasser  sich  bereits  durch  eine 
Reihe  philosophischer  Arbeiten  bekannt  gemacht  hat,  behan- 
delt einige  der  fundamentalsten  Probleme  der  Erkenntniss- 
lehre und  Naturphilosophie  in  eingehender  und  oft  origineller 
Weise.  Hat  auch  Herr  Drossbach  seine  Aufstellungen  da- 
durch beeinträchtigt,  dass  er  mit  ihnen  hier  und  da  zu  weit, 
hier  und  da  nicht  weit  genug  gegangen  ist,  und  dass  er 
neben  einigen  recht  glĂĽcklichen  Formulirungen  doch  wie- 
derum auch  bei  Ungenauigkeiten,  selbst  WidersprĂĽchen  stehen 
geblieben  ist,  so  erscheint  seine  Schrift  dennoch  näherer  Auf- 
merksamkeit werth  und  fordert  zum  ernsten  Studium  auf. 
Die  Besprechung  wird  sich  am  Besten  an  die  folgenden  vier 
Hauptpunkte  anschliessen  lassen. 

Der  Verfasser  geht  in  seiner  kritisch-metaphysischen  Er- 
örterung davon  aus,  die  gewöhnliche  empiristische  Behauptung 
zu  widerlegen,  dass  wir  die  Dinge  als  solche  wahrnehmen. 
Diese  sog.  Dinge  sind,  wie  er  es  ganz  richtig  darstellt,  nur 
Erscheinungen,  sie  sind  subjective  Annahmen  und  Producte 
unserer  Einbildungskraft,  aber,  wie  er  ebenso  richtig  hinzu- 
setzt, nicht  willkĂĽrlich  von  uns  gemacht,  sondern  uns  aufge- 
Qöthigt,  daher  wir  ihre  von  ims  unabhängigen  Ursachen  auf- 
suchen mĂĽssen.    Als  solche  bezeichnet  nun  der  Verfasser  die 


7S  Maximilian  Drossbach:  Ueber  Kraft  und  Bewegung  etc. 

„immateriellen  Kräfte",  die  aber  doch,  wie  er  sich  ausdrückt, 
nichts  ĂĽnsinnliches,  nichts  Metaphysisches  sind,  sondern  wahr- 
genommen werden.  —  Wenn  nun  schon  dieser  Satz,  dass 
die  „unsinnlichen"  Kräfte  „wahrgenommen"  werden,  auf- 
fallen muss,  so  wohl  mehr  noch  der  fernere,  dass  „die 
Kräfte  ihrer  Natur  nach  alle  gleichartig"  seien  und  „nur  ihr 
Wirken  sich  in  verschiedenen  Formen  vollziehe"  —  wobei 
sich  der  Verfasser  auf  Grove*s  Buch  ĂĽber  die  Verwandtschaft 
der  Naturkräfte  und  das  sog.  Aequivalenzverhältniss  beruft. 
Allerdings  kann  er  darauf  hinweisen,  dass  die  sog.  specifi- 
sehen  Sinnesenergien  fĂĽr  unsere  Empfindung  Verschiedenheiten 
setzen,  die  in  der  Natur  an  sich  nicht  vorkommen,  indessen 
lässt  sich  die  Mannigfaltigkeit  der  Natur  schwerlich  auch  ,nur 
.  annäherungsweise  aus  jenem  Umstand  herleiten,  wie  denn 
auch  da^  oft  gebrauchte  Wort  „alle  Thätigkeit  ist  Bewegung" 
die  qualitativen  Verschiedenheiten  der  Erscheinungen  schlech- 
terdings nicht  erklären  kann. 

Mag  es  sich  nun  aber  mit  der  Qualität  der  Kräfte  ver- 
halten wie  es  wolle,  der  Verfasser  geht  dazu  ĂĽber,  aus  den 
gleichzeitigen  Wahrnehmungen  verschiedener  Orte  das  Dasein 
vieler  örtlich  bestimmter  oder  individuell  verschiedener  Kräfte 
zu  erschliessen.  Dadurch  werden  ihm  die  Kräfte  zu  „Kraft- 
individuen, Kraftwesen"  —  mit  denen  der  Verfasser  nunmehr 
an  Stelle  des  blossen  Abstractums  „Kraft"  oder  „Kräfte" 
operirt.  Er  kehrt  damit  aber  nicht  etwa  zur  Anerken- 
nung eines  Stoffes  neben  der  Kraft  zurĂĽck,  sondern  spricht 
von  „Krafteinheiten"  nur  in  dem  Sinne,  dass  sie  die  Aus- 
gangs- oder  Mittelpunkte  ihrer  Kraftäusserungen  sind.  Er 
denkt  sich  die  Kräfte,  d.  h.  die  Kraftwirkungen  der  Kraft- 
wesen als  überall  im  Räume  vorbreitet,  gewissermassen  all- 
gegenwärtig, ihrem  Mittelpunkte  nach  aber  als  nur  an  je 
einem  Punkte  des  Universums  vorhanden.  Dadurch  erhält 
er  „viele  durch  ihre  Orte  bestimmte  unterscheidbare  Kraft- 
einheiten ohne  Grenze  und  ohne  leeren  Räum  zwischen  ihnen". 
Er  wird  dadurch  allerdings  die  kuriose  „Wirkung  in  die  Feme" 
los  und  zugleich  den  leeren  Raum,  den  er  mit  Recht  fĂĽr  ein 
blosses  Gebilde  der  Abstraction  erklärt.  Aber  indem  er  diese 
beiden  Phantome  der  Femwirkung  und  des  leeren  Raumes 


Maximilian  Drossbach:  Ueber  Kraft  und  Bewegung  etc.  73 

richtig  eliminirt,  hat  er  doch  nicht  —  wie  er  zu  glauben 
scheint  —  erklärt,  wi^  denn  nun  die  Kräftewirkung  eigent- 
lich vor  sich  gehe  und  warum  dieselbe  in  dem  bekannten 
Verhältniss  mit  der  Entfernung  abnehme.  Oder  wird  etwa 
z.  B.  die  Sonnenwirkung  des  Schneeschmelzens  .  an  sich 
begreiflicher,  wenn  man  sie  in  unmittelbarer  Nähe  auf 
Erden,  als  wenn  man  sie  aus  25  Millionen  Meilen  Ent- 
fernung vor  sich  gehen  lässt?  Auch  verträgt  sich  der  be- 
kannte Umstand,  dass  die  Kräfte  Zeit  gebrauchen,  um 
zur  Wirkung  zu  kommen,  nur  schlecht  mit  der  Lehre  von 
ihrer  Allgegenwart  (ein  schon  vor  der  Zeit  der  Erbauimg  des 
ägyptischen  Thebens  ins  Glühen  gerathener  Weltkörper  er- 
scheint erst  jetzt  als  leuchtender  Stern  an  unserm  Him- 
mel u.  s.  w.).  Indessen  liesse  sich  vielleicht  auch  nach  der 
Theorie  des  Verfassers  dafĂĽr  Auskunft  finden,  nur  dass  er 
sie  nicht  gibt  oder  auch  nur  andeutet. 

Der  dritte  wichtige  Pimkt  ist  die  Auffassimg  der  Gausalität, 
welcher  der  Verfasser  im  vierten  und  fĂĽnften  Abschnitt  eine 
ausserordentlich  interessante  Untersuchung  widmet.  Er  kommt 
zu  dem  Resultate:  „Die  Ursache  aller  aufeinanderfolgenden 
Vorgänge  sind  die  beharrlichen,  zu  jeder  Zeit  gegenwärtigen 
Wesen.  Die  Verursachung  besteht  zwischen  den  veränder- 
lichen Vorgängen  und  ihren  beharrlichen  Ursachen,  nicht  zwi- 
schen den  veränderlichen  Vorgängen.  Es  gibt  keine  solche 
Reihe,  in  welcher  das  vorhergehende  Glied  irgendwie  die  Ur- 
sache des  nachfolgenden  wäre,  sondern  alle  Glieder  dieser 
Reihe  sind  bewirkt  von  den  in  aller  Vergangenheit  und  zu 
jedem  Zeitpunkt  gegenwärtigen  Kraftw;esen;  nur  mit  beharr- 
lichen Ursachen  ist  eme  Reihe  von  Veränderungen  möglich, 
und  zwar  gleichviel,  ob  diese  Reihe  endlich  oder  unendlich 
ist."  Mit  anderen  Worten:  die  Gausalität  ist  eine  subjective 
und  einseitige  Vorstellungsform  behufs  der  Zusammenfassung 
von  Erscheinungen,  deren  realen  Hintergrund  die  allein  wirk- 
lichen und  allein  wirksamen,  mit  immer  sich  gleich  bleiben- 
den Kräften  ausgerüsteten,  in  immerwährender,  jedoch  ver- 
änderlicher Wechselwirktmg  zu  einander  begriffenen  Wesen 
bflden. 

Damit  gewinnt  der  Verfasser  viertens  ein  sicheres  Funda- 


74  Maximilian  Drossbach:  lieber  Kraft  und  Bewegung  etc. 

ment  der  Freiheitslehre,  insofern  die  angebliche  Causalitäts- 
kette  die  Spontanität  der  Kraftwesen  nicht  beeinträchtigen 
darf.  „Die  Form  der  Bethätigung  meiner  Freiheit  ist  abhän- 
gig von  der  Form  meines  Zusammenseins  mit  den  Anderen 
—  nicht  aber  meine  Freiheit,  und  wenn  ich  nur  das  unter 
bestimmten  Verhältnissen  Mögliche  zu  thun  vermag,  so  kann 
ich  dies  nicht  eine  Beschränkung  meiner  Freiheit .  nennen." 
Wir  sind  also  selbstständige  Wesen,  so  dass  die  Triebfeder 
alles  Wirkens  und  Handelns  in  uns  selbst  liegt:  der  Grund- 
trieb der  Wesen  ist  auf  Abänderung  der  Verbindungsform 
gerichtet  und  kommt  „beim  Menschen  zum  Bewusstsein  als 
eine  Macht,  welche  gebietet,  du  sollst  den  aUgemeinen  Zu- 
sammenhang vervoUkonunnen,  und  welche  verbietet,  nur  das 
einseitige,  particuläre  Interesse  anzustreben.  Auf  der  Stufe 
des  menschlichen  Bewusstseins  begriffene  Wesen  empfinden 
ihren  Ruf  nach  Vervollkommnung  des  allgemeinen  Zusammen- 
hangs als  Sittengesetz."  Sie  ist  aber,  fahrt  der  Verfasser 
fort,  nicht  bloss  im  Menschen,  im  bewussten  Wesen  vorhan- 
den, sondern  in  allen  Wesen,  wie  denn  alle  Wesen  gleichartig 
und  verwandt,  nur  auf  verschiedenen  Stufen  der  Entwicklung 
stehend  angesehen  werden  müssen,  „Es  gibt  nur  eine  Welt, 
die  der  wirklichen  Wesen,  nur  einen  Grund  alles  Bewegens 
und  Handelns,  alles  Lebens  —  das  Sittengesetz  —  und  nur 
ein  Ziel,  —  die  Ausführung  desselben  —  das  Sittengesetz  ist 
das  Weltgesetz."  „Während  bei  den  unbewussten  Wesen  die 
klare  Unterscheidung  und  damit  die  Wahl  fehlt",  so  dass  ihr 
Thun  blinden  Kräften  folgt,  kann  der  Mensch  von  seiner 
Selbstthätigkeit  freien  Gebrauch  machen,  dergestalt,  dass  was 
„in  den  niedrigeren  Bildungen  als  blindwirkende  Naturkrafl 
erscheint,  sich  bei  ihm  als  frei  handelnder  Geist  entfaltet,  der 
sich  als  Urheber  seiner  Handlungen  und  der  Verantwortlich- 
keit fĂĽr  dieselben  bewusst  ist."  So  sehr  Ref.  hier  mit  des  Ver- 
fassers Auffassung  darin  sympathisirt,  dass  er  in  der  natĂĽr- 
lichen Spontanität  die  Grundlage  auch  der  sittlichen  Freiheit 
erblickt  und  einen  Gegensatz  von  Freiheit  und  Causalität  nicht 
zulässt,  welcher  nur  auf  einer  missverständlichen  Auffassung, 
sei  es  der  Freiheit,  sei  es  des  Causalitätsprincips  fussen  kann, 
so  sehr  er  femer  auch  die  Herrschermacht  des  Sittengesetzes 


Maximilian  Drossbach:  Ueber  Kraft  und  Bewegung  etc.  75 

mit  dem  Verfasser  anerkennt,  so  kann  er  doch  nicht  umhin, 
in  dessen  AusfĂĽhrungen  eine  eigentliche,  wissenschaftlich  halt- 
bare Vermittlung  zwischen  der  blossen  Spontanität  und  dem 
Sittengesetz  schmerzlich  zu  vermissen.  Wenn  es  nach  des 
Verfassers  Ausdruck  nur  einen  Grimd  alles  Bewegens  und 
Handelns,  alles  Lebens  und  Strebens  gibt,  das  Sittengesetz  — 
wie  kann  es  dann  geschehen,  dass  der  Mensch  sich  doch  dem- 
selben so  oft  und  entschieden  entzieht?  Ist  nicht  gerade  mit 
der  von  dem  Verfasser  so  stark  betonten  Freiheit  des  Wol- 
fens ebensowohl  die  Möglichkeit  der  Nichtsittlichkeit  als  der 
Sittlichkeit  gegeben?  Aber ^ der  Verfasser  befindet  sich  ĂĽber- 
haupt in  dem  brrthum,  durch  seine  Aufstellungen  den  Dua- 
lismus besiegt  zu  haben,  indem  er  Alles  auf  ein  emheitliches 
Princip  zurĂĽckfuhren  will.  Der  Dualismus  wird  doch  durch 
Reduction  der  Erscheinungen  auf  blosse  Kraftwesen  nicht  fort- 
geschafft, denn  es  gilt,  um  zu  einer  abschliessenden  Weltan- 
sicht zu  gelangen,  nicht  bloss  die  Erklärung  der  mechani- 
schen Ordnung  der  Dinge,  sondern  auch  der  organischen 
Wesen,  ja  des  Bewusstseins  —  was  mit  den  von  dem  Verfasser 
aufgestellten  Kategorien  nicht  geleistet  werden  kann.  Den 
Kraftwesen  ferner  Empfindung  beizulegen,  wie  er  es  thut, 
hilft  auch  zu  nichts.  Denn  abgesehen  davon,  dass  man  sich 
von  Empfindungen  ohne  Bewusstsein  gar  keine  Vorstellung 
machen  kann,  und  bei  Wesen,  die  kein  ausgebildetes  Nerven- 
system besitzen,  Empfindungen  anzunehmen,  rein  willkĂĽrlich 
ist,  so  begreift  man  auch  noch  nicht,  wie  die  Empfindungen 
als  solche  zu  Bewegungen,  zur  Attraction,  Gohäsion  u.  s.  w. 
fĂĽhren,  man  mĂĽsste  denn  mit  der  Phantasie,  statt  mit  dem 
kritischen  Verstände  arbeiten.  —  Trotz  der  mancherlei  Ausstel- 
hmgen,  welche  man  der  Drossbach'schen  Schrift  gegenĂĽber 
geltaid  zu  machen  nicht  umhin  kann,  und  welche  im  Obigen 
nur  fluchtig  angedeutet  werden  konnten,  muss  Referent  am 
Schluss  doch  auf  das  Anfangs  ausgesprochene  Urtheil  zurĂĽck- 
kommen, dass  dieselbe  an  mehr  als  einem  Pimkte  recht  be- 
aehtenswerthe  Argumentationen  ĂĽber  Grundfragen  der  Meta- 
physik bietet 

C.  S. 


76  Ernest  NaYille:  La  logique  de  Thypothte. 

La  logique  de  Thypothtee,  par  Emest  NavĂĽle,  correspondant 
de  rinstitut  de  France.  Paris,  G.  Baillifere  et  Co.  1880. 
(Vm  u.  288  S.)    8^ 

„Die  Wissenschaft  hat  nie  anders  als  mittels  der  wahren 
Methode  Fortschritte  gemacht,  d.  h.  durch  die  Anwendung 
richtiger  Voraussetzungen;  aber  die  Theorie  der  Wis- 
senschaft, wie  man  sie  allgemein  gefasst  hat,  findet  sich  in 

• 

diesem  Punkte  mit  dem  wirklichen  Gange  der  Wissenschaft 
in  völligem  Widerspruch.  In  unsern  Tagen  fangt  man  an, 
die  Wahrheit  zu  erkennen:  aber  wenn  man  die  gebrauchtesten 
Lexiken  und  die  verbreitetsten  philosophischen  BĂĽcher  aber 
den  Ursprung  unserer  Erkenntnisse  zu  Rathe  zieht,  so  wird 
man  finden,  dass  die  Hypothese  entweder  mit  Stillschwei- 
gen ĂĽbergangen  (das  ist  der  Fall  in  fast  aflen  Lexiken  des 
17.  Jahrhunderts)  oder  verbannt  ist  (das  ist  der  Fall  in  den 
meisten  Lexiken  des  18.  Jahrhunderts),  oder  dass  sie  als  ein 
Verfahren  bezeichnet  wird,  zu  dem  man  in  gewissen  Aus- 
nahmefällen und  gleichsam  in  der  Verzweiflung  an  einer  Ur- 
Sache  seine  Zuflucht  zu  nehmen  gezwungen  ist,  wenn  die 
regelrechten  Verfahrungsweisen  der  Induction  und  Deduction 
nicht  ausreichen.  So  findet  sich  der  wesentliche  Factor  der 
Wissenschaft  entweder  unterdrĂĽckt  oder  auf  einen  unterge- 
ordneten Platz  verwiesen,  und  wird  fast  immer  mit  einem 
Zeichen  des  Misstrauens  begleitet.^'  In  diesen  Worten  hat 
der  Verfasser  den  Standpunkt  bezeichnet,  von  welchem  aus 
er  seine  Untersuchung  und  Darlegung  des  Wesens  der  Hy- 
pothese unternimmt.  Ein  andermal  sagt  er  geradezu:  „ Ari- 
stoteles hat  die  Logik  der  Deduction  formulirt;  die  Logik  dei 
Induction  ist  von  den  Neueren  bedeutend  vorwärts  gebracht 
worden;  die  Logik  der  Hypothese  ist  noch  zu  machen." 
Er  geht  nun  damit  so  zu  Werke,  dass  er  im  ersten  Theile 
seines  Werkes  die  historischen  Ursachen  des  Uisscredits  auf- 
sucht, in  welchem  die  Hypothese  steht,  und  dann  ihre  Stel- 
lung in  der  mathematischen  und  der  Realwissenschaft  ent- 
wickelt. In  allen  wissenschaftlichen  Untersuchungen,  so  lautet 
sein  Resultat,  besteht  das  methodische  Verfahren  aus  drei 
Elementen:  der  Beobachtung  (der  Erscheinungen  oder  That- 


Emest  NaÂĄĂśle:  La  logique  de  Thypoth^se.  77 

Sachen),  der  Voraussetzung  (zur  Erklärung  jener)  und  der 
Verification  (der  Voraussetzung).  Die  Hypothese  ist  von 
diesen  drei  bestimmt  zu  unterscheidenden,  aber  doch  von 
einander  nicht  zu  trennenden  Elementen  das  mittlere,  indem 
sie  an  die  Beobachtimg  anknäpft  und  durch  die  Verification 
entweder  zerstört  oder  bestätigt  wird.  —  Im  zweiten  Theile 
des  Buches  wird  das  Wesen  der  wissenschaftlichen  Hypothese 
(conditions  des  hypoth^ses  serieuses)  näher  erörtert:  sie  dürfe 
weder  der  Vernunft  noch  der  Erfahrung  widerstreiten  und 
mĂĽsse  sich  verificiren  lassen;  sie  sei  dasProduct  einer  freien 
selbstständigen  Geistesthätigkeit,  welche  der  Verfasser  als  „ge* 
male*'  im  allgemeineren  Sinne  des  Wortes  bezeichnet,  und 
deren  Bedingungen  er  auseinandersetzt  Der  dritte  Theil 
handelt  von  den  bei  der  Bildung  von  Hypothesen  leitenden 
Grundsätzen  (principes  directeurs  des  hypothtees)  und  ist 
(wie  ĂĽbrigens  das  ganze  Werk)  reich  an  feinen  und  scharfsinnigen 
Bemerkungen,  wie  z.B.  dass  bei  biologischen  Hypothesen  die 
Idee  des  Zwecks  das  eigentlich  leitende  Princip  sein  mĂĽsse, 
in  der  Psychologie  aber  die  richtig  gefasste  Idee  der  Freiheit. 
„Bei  den,  sei  es  auf  das  Individuum,  sei  es  auf  die  mensch- 
Gehe  Gesellschaft  bezĂĽglichen  Theorien  darf  man  niemals  die 
Freiheit  und  die  Schranke  der  Freiheit  vergessen,  die  Rea- 
lität des  Individuums  und  die  Solidarität,  welche  das- 
selbe nicht  nur  mit  seinem  ganzen  Geschlechte,  sondern  mit 
dem  gesanmiten  Universum  verknĂĽpft:  das  ist  hier  (in  der 
Psychologie)  das  leitende  Princip."  —  Sodass,  wie  man  ersieht, 
der  Verfasser  weder  vom  Positivismus  etwas  wissen  will,  des- 
sen Kritik  auch  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet  ist,  noch 
von  der  landläufigen  Pseudomoral  des  Utilitarianismus.  In 
den  letzten  Kapiteln  erhebt  sich  Naville  zu  allgemeinen  An- 
sichten ĂĽber  die  letzten  Principien  des  wissenschaftlichen  Ver- 
fahrens imd  fügt  in  einem  grösseren  Anhange,  „Fragen  und 
Antworten"  ĂĽberschrieben,  weitere  Bemerkungen  ĂĽber  das 
in  seinem  Buche  Vorgetragene  hinzu,  die  ihm,  nachdem  er 
seme  Arbeiten  ĂĽber  die  Hypothese  in  der  Revue  philoso- 
pUque  (Juli  1876  bis  September  1877)  publicirt  und  in  Folge 
dessen  allerhand  Uittheilungen  darĂĽber  von  wissenschaftlichen 
Fremiden  empfangen  hatte,  als  Entgegnung  darauf  nöthig  er- 


78     Anton  von  Leclair:  Der  Realismus  der  modernen  Naturwissenschaft. 

schienen  sind  und  in  der  That  zur  Erläuterung  seiner  Lehren 
wesentlich  beitragen. 

Der  Verfasser  hat  in  seiner  Schrift  weniger  durch  An- 
schluss  an  philosophische  Vorgänger  Stütze  gesucht,  als  er 
sich  durch  das  Studium  der  Geschichte  der  Naturwissenschaf- 
ten, worin  er  sich  ausserordentlich  bewandert  zeigt,  licht- 
gebende Exemplificationen  und  fördersame  Begründungen  ver- 
schafft hat.  Damit  erhält  das  Buch  allerdings  etwas  Eigen- 
artiges, wodurch  es  anziehend  und  anregend  wirkt;  aber  man 
vermisst  doch  ungern  darin  die  nähere  Rücksichtnahme  auf 
die  ĂĽber  den  verhandelten  Gegenstand  in  der  philosophischen 
Litteratur  bereits  vorhandenen  Theorien,  so  auf  Kant,  welcher 
bekanntermaassen  in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  einge- 
hend von  der  Hypothese  gehandelt  hat,  so,  um  von  den 
Zeitgenossen  nur  zwei  zu  nennen,  auf  Lotze  und  Wigand, 
welcher  letztere  in  seinem  Werke  ĂĽber  den  Darwinismus 
gleichfalls  das  Wesen  der  wissenschaftlichen  Hypothese  unge- 
mein eingehend  und  scharfsinnig  beleuchtet.  Nichts  desto  weniger 
ist  Naville's  Buch  auch  von  uns  Deutschen  als  eine  wesentliche 
Ergänzung  der  wissenschaftlichen  Methodenlehre  anzuerkennen, 
und  man  wird  nicht  unterlassen  dĂĽrfen,  den  von  ihm  so  be- 
deutend erweiterten  Begriff  der  Hypothese  in  nähere  Erwägung 
zu  ziehen,  wobei  das  oft  wiederholte  Hervorkehren  der  psy- 
chologischen Seite  (z.  B.  p.  261 :  la  logique  de  Thypoth^se 
met  en  evidence  la  valeur  de  Findividualit^  —  —  eile  est 
Foeuvre  de  genie  etc.)  von  ganz  hervorragendem  Interesse 
ist  und  unzweifelhaft  einen  bemerkenswerthen  Fortschritt 
bezeichnet.  G.  S. 


Der  Realismus  der  modernen  Naturwissenschaft  im  Lichte  der 
von  Berkeley  und  Kant  angebahnten  Erkenntnisskritik.  Kri- 
tische StreifzĂĽge  von  Dr.  Anton  van  Ledair.  Prag,  1879. 
F.  Tempsky.   (VH,  282  S.)   8«. 

Der  Verfasser  bekämpft  in  diesem  Buche  den  von  ihm 
so  geheissenen  realismus  vulgaris  der  modemefl  Naturwissen- 
schaft, hat  aber  in  der  Hitze  des  Gefechtes  gänzlich  über- 
sehen, dass  es  auch  einen  Idealismus  vulgaris  geben  kann  und 


Anton  Ton  Leclair:  Der  Realismus  der  modernen  Naturwissenschaft.     79 

dass  er  selbst  dieser  Denkweise  mit  unglaublicher  Naivetät 
sich  verschrieben  hat.  Es  ist  nämlich  noch  ein  grosser  Sprung 
von  der  Bekämpfung  der  realistischen  Theorien  der  modernen 
Naturwissenschaft  bis  zur  Aufstellung  des  subjectiven  Idealis* 
mus  als  der  endgültigen  Fixirung  des  Verhältnisses  von  Denken 
und  Sein,  der  in  dem  Satz  gipfelt,  das  Bewusstsein  sei  der 
Rahmen  oder  die  Form  jedes  uns  erreichbaren  Seins  (S.  9). 
Der  subjective  Idealismus  ist  im  Rechte,  so  lange  er  sich 
^en  die  mannichfachen  Abarten  jenes  naiven  Realismus 
wendet,  der  die  Realität  des  Seins  nun  einmal  nicht  anders 
retten  zu  können  glaubt,  als  wenn  er  sie  dem  Bewusstsein 
gleichsam  als  einen  harten  undurchsichtigen  Stoff  gegenĂĽber- 
stellt, an  welchem  das  Denken  nachträglich  seine  Leistungs- 
fähigkeit zu  versuchen  hat.  Dass  das  freilich  ein  sonderbares 
Denken  ist,  welches  seinen  Inhalt  erst  suchen  muss,  noch 
dazu  ohne  die  geringste  Garantie  ihn  zu  finden,  ist  bis  jetzt 
aUerdings  noch  zu  wenig  gewĂĽrdigt.  Wir  stimmen  deshalb 
dem  Verf.  bei,  wenn  er  beispielsweise  unsere  Wahrnehmun- 
gen nicht  als  blosse  Symbole,  Zeichen  jener  sonst  unbekannten 
Dinge  betrachten  will,  denen  eine  von  jedem  Acte  des  )Vahr- 
nehmens  unabhängige  Existenz  zuzugestehen  sei  (S.  31).  Auf 
diesem  Wege  kommt  man  consequent  zu  der  (auch  von 
Caspari  vertretenen)  VerflĂĽchtigung  des  Begriffes  zu  einem 
blossen  Symbol  der  Wirklichkeit  und  der  Nominalismus  ist 
fertig.  Der  Verf.  scheint  jedoch  der  Ansicht  zu  sein,  als  ob 
die  Wissenschaft  mit  dem  „folgerichtig  und  furchtlos  ausge- 
dachten Eant'schen  Idealismus^S  d.  h.  mit  der  Beseitigung 
aller  und  jeder  dem  Bewusstsein  autoritativ  und  normativ 
gegenüberstehenden  Realität  ihr  letztes  Wort  gesprochen  habe. 
Und  eben  diese  Ansicht  können  wir  nicht  anders  denn  als 
eine  merkwürdige  Naivetät  taxiren,  w^elche  den  Kernpunkt 
der  erkenntnisstheoretischen  Grundfrage  völlig  ausser  Acht 
lässt.  Gerade  an  dem  Punkte  nämlich,  wo  der  Verf.  seine 
Aufgabe  als  eine  vermeintlich  gelöste  hat  fallen  lassen,  be- 
ginnt die  eigentliche  Fragestellung  nach  dem  Verhältniss  von 
Denken  und  Sein  aufs  Neue.  Aller  Kampf  gegen  die  reali- 
stischen Anschauungen  Icann  ja  doch  nicht  den  Sinn  haben, 
die  Objectivität  und  Realität  des  Daseins  schlechterdings  ent- 


80     Anton  von  Leclair:  Der  Realismus  der  modernen  Naturwissenschaft. 

fernen  zu  wollen,  denn  auf  diese  Art  wĂĽrde  allerdings  der 
Illusionismus  unvermeidliche  Folge  sein,  sondern  nur  darum 
handelt  es  sich,  alle  Hindernisse  zu  beseitigen,  welche  einer 
principiellen  Fassung  und  Begründung  der  Objectivität 
und  Realität  alles  Seins  und  Denkens  im  Wege  stehen.  Wir 
mĂĽssen  ĂĽber  alles  dogmatisch  vom  Realismus  vorausgesetzte, 
vom  Bewusstsein  absolut  unabhängige,  in  sich  selbst  quali- 
tativ bestimmte  Sein  hinwegschreiten  und  kritisch  den  Ge- 
danken des  Bewusstseins  selber  fassen  als  des  alleinigen  Aus- 
gangspunktes aller  Philosophie.  Aber  eben  damit  ist  lediglich 
der  Ausgangspunkt  der  Erkenntnisslehre  gegeben  und  die 
richtige,  kritische  Stellung  der  Frage  ermöglicht,  welchen 
Sinn  und  welche  Bedeutung  denn  die  Objectivität  der  Welt 
innerhalb  unseres  Bewusstseins  haben  könne  und  müsse. 
Der  Verfasser  hat  gänzlich  übersehen,  dass,  wenn  dem  Be- 
wusstsein das  Ding  an  sich  vollständig  unter  den  Füssen 
weggezogen  wird,  dann  auch  seine  SteUung  im  Erkenntniss- 
prozesse eine  vollständig  andere  und  demnach  eine  erneute 
Untersuchung  des  Wesens  imd  Inhaltes  des  Bewusstseins 
nöthig  wird.  Die  Streichung  des  Dinges  an  sich,  d.  h.  die 
Wegschaffung  alles  dogmatischen  Realismus,  ist  eine  ein- 
schneidende Thatsache  von  so  ungeheurer  Tragweite,  dass 
dadurch  eben  auch  das  Bewusstsein  in  der  empfindlichsten 
Weise  mitbetroffen  wird,  und  das  Problem  seines  Verhältnisses 
zur  objectiven  Welt  eine  durchaus  neue  Lösung  erheischt. 
Der  subjective  Idealismus  vollzieht  t  die  Radicalkur  nur  am 
naiven  Realismus,  am  Ding  an  sich;  im  Uebrigen  aber  be* 
hält  er  unkritisch  das  Bewusstsein  des  naiven  Realismus  bei 
und  ändert  nur  insoweit,  als  er  demselben  einfach  dogma- 
tisch die  ganze  vom  naiven  Realismus  nach  aussen  gesetzte 
Realität  aufbürdet.  Allein  die  Kritik  muss  nun  auch  den 
letzten  Schritt  thun  und  die  Radicalkur  an  dem  durch  Strei- 
chung des  Dinges  an  sich  wesentlichst  mitbetroffenen  Be- 
wusstsein vornehmen,  indem  sie  sich  die  Frage  vorlegt, 
durch  welchen  Begriff  der  Objectivität  und  Realität  innerhalb 
des  Bewusstseins  das  Ding  an  sich  des  naiven  Realismus  er- 
setzt werden  mĂĽsse,  da  man  sich  doch  bei  der  unkritischen 
Einseitigkeit    des    zum   Illusionismus    fĂĽhrenden    subjectiven 


Anton  Ton  Ledair:  Der  Realismus  der  modernen  Natm'wissenschaft.     Sl 

Idealismus  nicht  beruhigen  könne.  Der  Verfasser  irrt  gar 
sehr,  wenn  er  in  den  Positionen  der  naiven  Realisten  nur 
Fehler,  Irrthünier,  Täuschungen  aeht,  die  man  um  jeden 
Preis  von  der  Wurzel  an  auszurotten  habe.  Ich  behaupte 
dem  gegenĂĽber,  der  naive  Realismus  vertrete  ein  durchaus 
berechtigtes  Moment:  den  unserm  Denken  angeborenen  Drang 
sich  einer  Realität  und  Objectivität  zu  versichern,  welche  die 
Denkacte  des  Einzelnen  über  die  blosse  Subjectivität  und 
Particularität  hinaushebt  und  ihnen  den  Gharacter  der  Noth- 
wendigkeit  und  unbestreitbaren  Allgemeingultigkeit  verleiht. 
Die  Wissenschaft  kann  sich  allerdbgs  bei  der  Gestalt  nicht 
beruhigen,  welche  dieser  Drang  beim  naiven  Realismus  an- 
genommen hat;  sie  muss  aber  auch  ĂĽber  die  Halbheit  des 
subjectiven  Idealismus  hinausschreiten  imd  einen  kritischen 
Idealismus  begründen,  in  welchem  jene  Objectivität  mid  Rea- 
lität als  die  Wahrheit  und  Wirklichkeit  des  Bewusstseins 
selbst  und  das  Bewusstsein  mit  der  Aufgabe  betraut  erscheint, 
jene  ihm  inmianente  Objectivität  denkend  zu  immer  höheren 
Graden  der  Klarheit,  Nothwendigkeit  und  AllgemeingĂĽltigkeit 
zu  erheben.  Erst  dann,  wenn  der  Philosoph  seine  Aufgabe 
kritisch  zu  Ende  gefĂĽhrt  hat,  kann  er  den  Naturforscher  mit 
Recht  und  GrĂĽnden  auffordern,  seinen  unkritischen  Realismus 
aufzugeben,  während  der  subjective  Idealist  dem  naiven  Rea- 
listen nur  als  Dogmatiker  gegenĂĽbersteht,  der  noch  dazu  ein 
wahres  und  wirkliches  BedĂĽrfniss  des  Letztem  nur  abzustrei- 
ten, selbst  aber  dafĂĽr  nichts  Besseres  zu  bieten  weiss.  Es 
ist  hier  natĂĽrlich  nicht  des  Ortes,  die  Andeutungen  eines 
kritischen  Idealismus  weiter  zu  verfolgen;  wenn  indess  unsere 
gegenwärtige  philosophische  Generation  sich  einmal  von  der 
unverzeihlichen  Selbsttäuschung  frei  machen  wollte,  als  hätten 
wir  in  den  nachkantischen  Philosophemen  lediglich  glänzende 
ĂśTthumer  zu  beklagen,  wenn  man  sich  beispielsweise  wieder 
einmal  die  MĂĽhe  nehmen  wollte,  die  Fichte'sche  Wissenschafits- 
lehre,  Hegel's  Phänomenologie  des  Geistes,  Schleiermacher's 
Dialektik  u.  dgl.  einer  erneuten  Revision  zu  unterziehen  und 
in  diese  Heisterwerke  einer  tiefsinnigen  Dialektik  nicht  mit 
der  hochnäsigen  Blasirtheit  des  Besserwissens,  sondern  mit 
dem  grĂĽndlichen  Ernste  eines  fleissigen  SchĂĽlers  einzudringen: 

Pilowph.  MonatBhefta  1881,  I  u.  II.  6 


82  Harald  Höfiding:  Die  Grundlage  der  huEumen  Ethik. 

dann,  meine  ich,  wĂĽrde  unser  philosophisches  Streben  nicht 
immer  wieder  hinter  das  von  jenen  Mannern  Erreichte  zurĂĽck- 
sinken, sondern  wir  wĂĽrden  gegrĂĽndete  Hoffnung  haben,  in 
ihren  Fussstapfen  wieder  einmal  etwas  vorwärts  zu  kommen; 
als  das  endgĂĽltige  Ziel  unserer  Erkenntnisslehre  aber  wĂĽrde 
sich  dann  immer  klarer  ein  kritischer  Idealismus  herausstellen, 
zu  dem  jene  grossen  Systematiker  nach  Kant  die  werthvoll- 
sten  Grundlagen  bereits  gelegt  haben,  während  die  Gegenwart 
jene  Errungenschaften  geflissentlich  zu  ignoriren  scheint. 

J.  KreyenbĂĽhl. 


Die  Grundlage  der  humanen  Ethik.  Von  Dr.  Harald  Höffding.  Aus 
dem  Dänischen.    Bonn,  E.  Strauss.    1880.    (II,  106  S.)    8^ 

Im  Vorwort  theilt  der  als  Docent  der  Philosophie  an  der 
Universität  zu  Kopenhagen  wirkende  Verfasser  mit,  dass  die 
vorliegende  kleine  Schrift  ein  Theil  seiner  im  Jahre  1875  an 
der  genannten  Hochschule  gehaltenen  Vorlesungen  ĂĽber  Ethik 
sei,  den  er  im  Jahre  darauf  in  dänischer  Sprache  veröffent- 
licht habe.  Sie  versucht  in  fĂĽnf  Kapiteln  (Psychologische  Be- 
merkungen —  Individuelle  Ausgangspunkte  —  Die  Autorität  — 
Das  ethische  Gesetz  und  der  Fortschritt  —  Die  Freiheit  des 
Willens)  eine  Grundlegung  der  Ethik,  wobei  zunächst  zwar 
vom  subjectiv-psychologischen  Standpunkt  ausgegangen  wird, 
im  Laufe  der  Argumentation  aber  auch  anderweitige  Gesichts- 
punkte hervortreten.  Da  der  Verfasser  nämlich  ganz  richtig 
erkannt  hat,  dass  eine  BegrĂĽndung  der  Ethik  vom  Standpunkt 
des  Emzelsubjects  allein  aus  nicht  möglich  ist,  zieht  er  auch  die 
Wechselwirkung  der  Individuen  mit  der  Gesellschaft  in  Be- 
tracht, sowie  ferner  die  Idee  des  menschlichen  Geschlechts 
ĂĽberhaupt,  sowie  es  historisch  wird  ,  und  geworden  ist  und 
zur  Natur  in  innigster  Beziehung  steht.  Seine  ethische  Be- 
trachtung fasst  demnach  den  Menschen  als  Glied  einer  unend- 
lichen Kette  von  Wesen,  wie  er  einerseits  durch  die  ganze 
Vergangenheit  seines  Geschlechtes,  ja  der  Natur  ĂĽberhaupt  be- 
dingt, andererseits  mit  einem  idealen  Vervoilkommnungsstreben 
ausgestattet  ist.  Daraus  ergibt  sich  ihm  alsPrincip  der  „hu- 
manen Ethik"  die  Idee  der  „harmonischen  Vereinigung  freier 


Harald  HMding:  Die  Grundla^  der  humanen  EthiL  83 

Persönlichkeiten^',  oder  wie  er  es  ein  andermal  ausdruckt, 
„die  Idee  des  Menschengeschlechtes  als  eines  Reiches  von  Per- 
sönlichkeiten oder  als  einer  lebenden  Einheit  individueller 
Kralle"  —  welche  Idee,  so  fahrt  er  fort,  nicht  die  Frucht 
willkĂĽrlicher  Speculation  ist,  sondern  ein  Ideal,  das  sich  im 
Laufe  der  Geschichte  fĂĽr  das  menschliche  Bewusstsein  gebil- 
det hat,  indem  der  Gedanke  auf  känstlerische  Weise  die  Ele- 
mente zum  Bilde  des  Vollkommenen  aus  der  unvollkommenen 
Wirklichkeit  holte,  ein  Ideal,  dessen  unvollständige,  aber  fort- 
schreitende Verwirklichung  man  nachweisen  kann.  Mit  die- 
sem seinem  ethischen  Principe  sucht  Dr.  Höffding  eine  mitt- 
lere Stelle  einzunehmen  zwischen  denen,  welche  wieBentham 
mid  St  Mill,  das  menschliche  Handeln  ganz  materialistisch 
auffassen,  und  denen,  welche  wie  Kant,  es  von  einem  ab- 
stracten  Vemunftgebot  oder,  wie  die  theologischen  Ethiker, 
vom  Gehorsam  an  eine  göttliche  Offenbarung  wollen  geleitet 
wissen.  Er  bekämpft  Bentham  ausdrücklich,  welcher  für  das 
central-ethische  Verständniss  keinen  Blick  gehabt  habe,  indem 
er  „Pflicht",  „Sollen"  verbannen  wollte,  und  macht  geltend, 
dass  das  ethische  Verhältniss  erst  entstehe,  wenn  der  Mensch 
sich  nicht  nur  als  Zweck,  sondern  auch  als  Mittel,  nicht  bloss 
als  Herr,  sondern  auch  als  Diener  —  Mittel  und  Diener  um- 
fassenderer Zwecke  fĂĽhle,  als  seine  eigne  Lust  und  Unlust 
ist  Aber  wie  den  Individualismus,  findet  er  auch  die  Sym- 
pathiemoral dazu  ungenügend :  „die  Liebe  muss  sich  der  Ge- 
rechtigkeit (die  nach  Leibniz  Caritas  sapientis,  die  Liebe  des 
Weisen  ist)  als  dem  leitenden,  ausgleichenden  und  Harmonie 
schaffenden  Princip  in  der  menschlichen  Gesellschaft  unter- 
ordnen." Liegt  darin,  daĂĽss  nicht  auf  Grund  unmittelbarer 
Triebe,  sondern  erst  des  Bewusstseins  von  Regel  und  Gesetz 
ethisches  Handeln  möglich  sei,  so  darf  man  nach  dem  Ver- 
fasser doch  nicht  glauben,  dass  die  Vernunft  als  solche  das 
Moralprincip  ergeben  könne.  „Denken  wir  uns,  so  sagt  er 
wörtlich,  eine  klare  und  allseitig  entwickelte  Vernunft,  in  Ueber- 
dostimmung  mit  welcher  der  Wille  unmittelbar  wirkt,  so  wird 
eine  solche  Erscheinung  nicht  zu  dem  Ethischen  zu  rechnen 
sein."  Umgekehrt  muss  vielmehr  die  reine  Vernunft  ihre  Vor- 
steDung  einer  allgemeinen  Gesetzgebung  durch  die  Erfahrung 


84  Harald  Höffding:  Die  Grundlage  der  humanen  Bthik. 

empfangen,  deren  Elementen  sie  nur  eine  „ideale  Einfachheit" 
gibt.  „Denn  stets  liegt  die  Erfahrung  zu  Grunde;  nur  aus 
ihr  können  die  Elemente  idealer  Gonslructionen  geschöpft  wer- 
den." Insbesondere  weist  die  Ethik  auf  die  Geschichte  zu- 
rĂĽck, als  deren  Resultat  Individuum  wie  Gesellschaft  betrachtet 
werden  müssen.  Nicht  die  „individuelle  Vernunft"  Also  kann 
nach  ihm  das  ethische  Princip  sein,  sondern  die  höhere  Macht 
eines  auf  geschichtlicher  Grundlage  ruhenden  Gesetzes  muss 
dazu  eintreten,  welches  das  Reich  der  Humanität  zu  verwirk- 
lichen dient. 

Diese  höhere  Macht  darf  aber  nicht,  so  fährt  er  fort, 
unter  der  Form  der  Autorität  gesucht  werden.  Der  Verfasser 
erkennt  freilich  die  erziehende  Macht  der  Autorität  an,  aber 
er  vermag  nicht,  sie  als  das  rein  Ethische  anzuerkennen.  „So 
lange  die  Autorität  als  ein  Drittes  zwischen  dem  Handelnden 
einerseits  und  dem  Gesetz  und  Zweck  der  Handlung  anderer^ 
seits  steht,  so  lange  ist  das  Handehi  nur  indirect  ein  ethi- 
sches, weil  andere  Motive  herrschen,  als  eben  die  Anerken- 
nung des  Gesetzes  und  die  Ehrfurcht  vor  demselben." 

„Die  Autorität  ist  eine  Lebensbedingung  für  das  öffentliche 
und  dadurch  auch  fĂĽr  das  ethische  Leben,  aber  das  Leben 
erreicht  erst  seine  höhere  Entwicklung,  wenn  die  Autorität 
sich  unterordnet."  „Die  Gültigkeit  und  der  Werth  der  ethi- 
schen Ideen  beruht  auf  ihnen  selbst,  auf  ihrem  innerlichen 
Zusammenhange  mit  dem  Wesen  und  den  Grundbedingungen 
des  menschlichen  Lebens,  obschon  sie  sich  historisch  unter 
dem  Schutz  der  Autoritäten  entwickeln.'^ 

Der  Gedanke,  dass  wir  das  Leben  der  Menschheit  als 
Resultat  eines  langen  Entwicklungsprocesses  anzusehen  haben, 
liegt  allen  Erörterungen  des  Verfassers  zu  Grunde.  Diesen 
Entwicklungsprocess  fasst  er  zunächst  als  eben  rein  natür- 
lichen, „der  nicht  erst  mit  dem  Auftreten  des  Menschen  be- 
gonnen habe",  als  einen  „organischen  und  physischen",  und 
steht  damit  auf  dem  Boden  der  sog.  Evolutions-  oder  Des- 
cendenzlebre.  Aber  zweitens  gibt  er  derselben  die  Wendung, 
dass  der  Mensch  als  das  höchste  Glied  der  Eutwicklungsreihe 
den  von  ihm  errungenen  Platz  nicht  bloss  zu  behaupten, 
sondern  auf  Grund  idealer  VorwĂĽrfe    mit   relativer  Freiheit 


Harald  Höffdmg:  Die  Grandlage  der  humanen  Ethik.  S5 

auch  zur  Weiterbildung  zu  benutzen  habe.  „Sein  Kampf  um 
das  Dasein  wird  ein  Kampf  fĂĽr  die  Wurde  der  Menschheit." 
Der  Mensch  hat  im  Laufe  der  Zeiten  die  Anschauung  von 
Aufgaben  und  Pflichten  gewonnen,  die  nicht  nur  aber  den 
blossen  Selbsterhaltungstrieb,  sondern  auch  ĂĽber  die  Sym- 
pathie hinausgehen,  welche  in  der  That  Vernunft  voraussetzen 
—  Vernunft  in  dem  Sinne,  dass  sie  mehr  als  ein  bloss  for- 
melles Vermögen  ist,  vielmehr  ihren  lebendigen  und  reichen 
Inhalt  durch  die  Anschauung  des  Lebenslaufs  der  Mensch- 
heit, der  Gesetze  und  Bedingungen  empfängt,  unter  welchen 
er  sich  vollzieht  Diese  Art  der  Vernunft  schliesst  aber  fĂĽr 
den  Menschen  zugleich  die  Einsicht  in  seine  Vergänglichkeit 
mit  ein,  was  nicht  hindert,  dass  er,  mit  Dante  zu  reden,  „als 
fröhliches  Glied  in  der  Kette  der  Weltordnung"  in  „heiterer 
Resignation^'  lebe;  sogar  religiöse  Stimmung  wird  er  bewah- 
ren, insofern  sein  Abhängigkeitsgefühl  in  Ehrfurcht  übergeht, 
da  ihm  die  Weltordnung  nicht  länger  als  eine  physische,  son- 
dern als  eine  ethische  erscheint.  Denn  Ethik  und  Religion 
sind  eng  verbunden;  „auf  beiden  Gebieten  spielt  das  Gefühl 
der  Ehrfurcht  eine  Hauptrolle,"  „der  Unterschied  besteht  nur 
darin,  dass  in  der  Ethik,  wo  der  Mensch  handelnd  auftritt, 
dieses  Gefühl  mit  seiner  eigenen  höchsten  Erkenntniss  der 
Zwecke  und  Aufgaben  verbunden  ist,  während  er  in  der  Re- 
ligion weiter  zurĂĽckgeht  und  sieht,  dass  sowohl  seine  Hand- 
lungen wie  sein  ganzes  Wesen,  mit  allen  seinen  WĂĽnschen 
und  Zwecken,  ein  Glied  des  Menschen-  und  Naturlebens,  und 
dessen  Bedingungen  unterworfen  ist." 

Hiemach  lässt  sich  der  Standpunkt  des  Verfassers  fol- 
gendennassen charakterisiren.  Er  sieht  die  Menschheit  als 
das  Resultat  eines  natĂĽrlichen  Entwicklungsprocesses  an,  der 
Ton  unten  beginnt,  und  von  der  Thierheit  zu  einem  zunächst 
rohen  menschlichen,  dann  zum  civilisirten  menschlichen  Leben 
ĂĽbergeht.  h\  diesem  Process  ist  das  Seelische  als  etwas  aus 
der  körperUcben  Organisation  Hervorgegangenes  urid  darum 
Vergängliches  anzusehen,  das  sich  aber  zu  der  mit  dem  In- 
halt der  Erfahrung  erfĂĽllten  und  mit  idealem  Streben  ausge- 
wählten Vernunft  erhebt.  So  entspringt  die  Idee  des  allge- 
meineD  Humanitäiszweckes,  welcher  bei  relativer  Freiheit  die 


86  Harald  HöfFding:  Die  Grundlage  der  humanen  Ethik. 

Vorstellung  und  Anerkennung  sittlicher  Verpflichtung  und  die 
Idee  einer  sittlichen  Weltordnung  zur  Folge  hat,  welche  trotz 
der  Elimination  eines  göttlichen  Wesens  das  religiöse  Abhän- 
gigkeitsgefühl unterhält. 

Dieser  Ansicht  nun  lässt  sich  die  Anerkennung  nicht  ver- 
sagen, dass  sie  über  den  falschen  Individualismus  der  Ehidä- 
monisten  und  Utilitarier  sich  erhoben,  sowie  die  Einseitigkeit 
eines  abstracten  Rationalismus  glĂĽcklich  vermieden  habe.  Was 
der  Verfasser  femer  über  das  Autoritätsprincip  bemerkt,  wird 
man  im  Allgemeinen  auch  als  zutreffend  bezeichnen  können. 
Der  Gedanke  endlich  eines  der  Menschheit  gemeinsamen  Zieles, 
zu  dessen  Erreichung  Jedweder  mitzuwirken  verpflichtet  ist, 
bildet  in  der  That  das  höchste  Ideal  der  humanen  Ethik. 
Insofern  also  hat  Dr.  Höffding  gewiss  das  Richtige  getroffen. 
Aber  hier  erhebt  sich  nun  sogleich  die  Frage  nach  dem  Inhalt 
jener  Idee,  nach  dem  Wesen  jenes  allgemein  menschlichen 
Zieles  —  und  auf  diese  Frage  sehen  wir  uns  vergebens  in  seinem 
Buche  nach  einer  Antwort  um.  Er  sagt  uns  nicht,  worin  die 
„harmonische  Vereinigung  freier  Persönlichkeiten"  bestehe, 
welche  er  fordert,  oder  was  „die  lebende  Einheit  individueller 
Kräfte"  soll,  von  der  er  redet.  Seine  Ausdrücke  darüber 
sind  so  allgemein  gehalten,  dass  die  verschiedensten  Ansich- 
ten darunter  gefasst  werden  könnten,  denen  er  selbst  doch 
sicherlich  fern  steht,  z.  B.  die  päpstliche  Gesammtmonarchie  der 
Jesuiten  und  der  Socialdemokraten  Zukunftsstaat.  Auch  die 
Berufung  auf  die  Erfahrung  und  das  historische  Werden  hilft 
dabei  zum  näheren  Verständniss  nichts,  denn  jede  Partei,  also 
auch  die  der  Jesuiten  und  Socialdemokraten,  pflegt  zu  be- 
haupten, dass  ihre  Principien  das  letzte  Resultat  des  histori- 
schen Processes  darstellen.  Es  wird  also  in  Dr.  Höffding's 
Schrift  das  Kriterium  vermisst,  an  dem  das  wahrhaft  ethische 
Menschheitsziel  erkannt  werden  kann.  Was  aber  noch  schlim- 
mer ist,  er  beeinträchtigt  sein  zunächst  unbestimmt  gehaltenes 
Princip  durch  die  Einmischung  eines  der  Moralphilosophie  ge- 
genüber feindlichen  Dogmatismus.  Indem  er  nämlich  die  (von 
Gh.  Darwin  aufgefrischte)  Entwicklungslehre  für  die  „wahr- 
scheinlichste Hypothese"  erklärt,  hat  er  auf  sie  durchweg 
sein  Raisonnement  gestĂĽtzt.   Setzen  wir  nun  einmal  den  Fall, 


Harald  Höffding:  Die  Grundlage  der  humanen  Ethik.  87 

dass  es  mit  dieser  naturalistischen  Evolutionstheorie  seine  Richtig* 
keithabe,  was  wurde  daraus  folgen?  Sicherlich  doch  zunächst 
dies,  dass  der  Mensch  ein  schlechthin  vergängliches  Wesen,  ein 
blosser  Durchgangspunkt  des  allgemeinen  Naturlebens  sei.  Diese 
Consequenz  hat  der  Verfasser  denn  auch  wenigstens  andeutungs* 
weise  gezogen.  Aber  was  daraus  weiter  folgt,  hat  er  nicht 
erwogen,  nämlich  dass  damit  die  innere  Verantwortlichkeit, 
das  sittliche  Gewissen,  und  also  auch  das  Pflichtbewusstsein 
des  Menschen  aufgegeben  wird.  Allerdings  spricht  Dr.  Hoff* 
ding  davon,  dass  das  Naturgesetz  in  der  Menschheit  zu  einem 
Sittengesetz,  zu  einer  moralischen  Weltordnung,  und  der  Kampf 
ums  Dasein  zu  ein^n  Kampf  fĂĽr  die  WĂĽrde  der  Menschheit 
werde,  aber  wie  dieser  Uebergang  denkbar  sei,  das  hat  er 
Dicht  gezeigt.  Er  kann  es  nicht  zeigen,  denn  wie  soll  doch 
aus  dem  abstract  gefassten  Naturgesetz,  welches  als  aus* 
nahmslos  und  unbewusst  wirkend  gedacht  wird,  ein  ethisches 
Gesetz  werden,  da  dieses  Bewusstsein  und  Freiheit  voraus- 
setzt; jenes  mechanisch,  dieses  teleologisch  ist?  Das  schlecht- 
hin Verbindliche  der  Pflicht,  welches  der  Verfasser  so  treff- 
lich hervorhebt,  erträgt  keine  Beeinträchtigung  durch  die  dog- 
matische Annahme  der  Vergänglichkeit  des  menschlichen  We- 
sens. Es  gibt  eben  keine  Vermittlung  zwischen  dem  Evan- 
gelium des  Fleisches  und  dem  des  Geistes;  sie  sind  und 
bleiben  unversöhnliche  Gegensätze.  Wer  dem  ersteren  folgt, 
fĂĽr  den  gibt  es,  wenn  er  logisch  fortdenkt,  kein  Gewissen 
und  darum  auch  keine  Pflicht  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes;  wer  dagegen  die  Pflicht  und  ein  ideales  Ziel  der 
Menschheit  anerkennt,  wie  Dr.  Höffding  doch  thut,  der  muss 
auch  daran  festhalten,  dass  das  Naturgesetz  bloss  relative, 
werkzeugliche  Bedeutung  fĂĽr  die  Menschheit  habe.  Aber 
gehen  wir  ferner  auf  den  Grund  des  ganzen  Raisonnements 
Dr.  Hdffding's  ein,  auf  seine  Annahme  eines  allgemeinen  bio-^ 
logischen  Entwicklungsprocesses,  so  muss  doch  darauf  hinge- 
wiesen werden,  dass  dieser  von  ihm  als  „wahrscheinlichste^- 
bezeichneten  Hypothese  aus  den  Thatsachen  der  Natur  selbst 
keine  Verification  geschafft  werden  kann,  sondern  sie  nur  auf 
der  logisch  unberechtigten  Ausdehnung  vager  Analogien  fusst. 
Das  ist  doppelt  schlimm  fĂĽr  einen  Autor,  der  immer  auf  die 


88  Harald  Höilding:  Die  Grundlage  der  humanen  Ethik. 

Erfahrung  als  Erkenntnissprincip  hinweist.  Gibt  es  aber 
keine  Erfahrung  darĂĽber,  dass  eine  Species  lebender  Wesen 
in  eine  andere  ĂĽbergegangen  sei,  sprechen  vielmehr  alle  Er- 
fahrungen dagegen,  so  kann  auch  die  —  im  Sinne  eines 
Ueberganges  der  Thierheit  zur  Menschheit  —  gefasste  Evo- 
lutionshypothese nicht  als  Fundament  einer  ethischen  Theorie 
dienen  oder  zu  deren  BegrĂĽndung  beitragen. 

Diejenige  Erfahrung,  diejenige  Thatsache,  von  welcher 
die  Ethik  ohne  Zweifel  auszugehen  hat,  ist  die  von  Dr.  H. 
so  bestimmt  anerkannte  Thatsache  des  Pflichtbewusstseiiis. 
Diese  wirft  ihr  Licht  zugleich  vorwärts  und  zurück,  um  mit 
Homer  zu  reden:  Nach  vom  fĂĽhrt  sie  uns  zur  Idee  der  sitt- 
lichen Weltordnung,  welche  fĂĽr  den  logisch  Denkenden  selbst- 
verständlich nicht  nur  ein  ordo  ordinatus,  sondern  ein  ordo 
ordinans  ist,  d.h.  ein  lebendiger  Geist,  der  das  Ganze  leitet, 
da  doch  die  einzehien  Glieder  (Dr.  Höffdings  freie  Persönlich- 
keiten) als  solche  die  Weltordnung  nicht  vertreten  können, 
da  sie  deren  Gesetze  nicht  einmal  zu  begreifen  im  Stande 
sind.  (Die  freien  Persönlichkeiten  sind  ja  nicht  einmal  im 
Stande,  die  Gesetze,  nach  denen  die  Vorsehung  des  ordo  or- 
dinans sie  selbst,  d.  h.  jede  einzelne  von  ihnen  leitet,  zu  be- 
greifen —  oder  doch  nur  zum  geringsten  Theile  und  sehr 
spät,  —  viel  weniger  die  des  Ganzen.)  Rückwärts  gewandt 
zeigt  uns  das  Pflichtbewusstseiu  des  Menschen  Erhebung  ĂĽber 

« 

und  seine  Selbstständigkeit  gegen  die  Natur,  ein  Verhältniss, 
welches  seinem  innersten  Wesen  zwar  sehr  räthselhaft  sein 
mag,  aber  als  thatsächlich  nichts  destoweniger  anerkannt 
werden  muss  und  auch  von  dem  Verfasser  durch  seine  Frei- 
heitstheorie ganz  richtig  anerkannt  wird.  Wenn  derselbe,  wie 
ich  ihn  zu  bitten  mir  erlauben  möchte,  die  Grundlagen  seiner 
ethischen  Anschauung  einer  genaueren  kritischen  Revision 
unterzieht,  wird  er  sich  am  Ende  selbst  der  Einsicht  nicht 
verschliessen  können,  dass  der  von  ihm  versuchte  Compro- 
miss  der  Ethik  mit  der  apsychistischen  und  atheistischen  Elvo- 
lutionshypothesc  sich  nicht  aufrecht  halten  lässt  ohne  ver- 
derbnissdrohende Schädigung  der  ersteren,  und  er  wird  dann 
nicht  anstehen,  den  faulen  Frieden  zwischen  jenen  beiden 
unversöhnlichen  Gegensätzen   zu  Gunsten   einer  reinen   und 


Richard  FäkkenberiT:  Ueber  den  intelligiblen  Gfaarakter.  89 

wahrhaft  freien  MoralitAt  aufzulösen,  zumal  das  an  sich  löb- 
liche Streben,  den  von  der  Menschheit  gewandelten  dunkeln 
Pfad  wissenschaftlich  aufzuhellen,  mit  HĂĽlfe  der  im  Grunde 
genommen  ganz  nebelhaften  Evolutionslehre  gewiss  nicht  ge- 
fördert wird.  Ein  so  scharfsinniger  Denker,  wie  Dr.  Höffding, 
der  dazu  so  viel  richtiges  GefĂĽhl  fiir  das  specifische  Wesen 
des  Sittlichen  in  seiner  Schrift  bekundet,  kann,  denke  ich, 
sich  unmöglich  auf  die  Dauer  der  Einsicht  verschliessen,  dass 
das  ethische  Lebensideal  eines  „Reiches  freier  Persönlichkei- 
ten" sich  mit  dem  puren  und  consequent  durchgefĂĽhrten  Na- 
turalismus keineswegs  verträgt,  vielmehr  eine  ganz  andere 
Anschauung  von  der  Natur,  vom  Wesen  der  Seele  und  der 
Bestimmung  der  Menschheit  fordert,  als  der  empiristische  und 
relativistische  Standpunkt  seiner  Erkenntnisstheorie  zul&sst. 

G.  Schaarschmidt. 


lieber  d«i  intelligibleii  Charakter.  Zur  Kritik  der  Eantischen 
Freihcitslehre.  Von  Dr.  Richard  Faickenberg.  Halle,  C.  E. 
M.  Pfeffer.    1879.   (97  S.)   8^ 

Diese  Erstlingsschrift  hat  das  Verdienst,  die  Kantische 
Lehre  von  der  intelligiblen  Freiheit  als  dem  Vermögen,  einen 
absohlten  Anfang  zu  machen,  consequenter  durchdacht  zu 
haben,  als  dies  von  ihrem  Urheber  geschehen  ist.  Kant  will 
die  ununterbrochen  causale  VerknĂĽpfung  der  Erscheinungs- 
welt, die  ihm  nun  einmal  durch  seine  theoretische  Philoso- 
phie feststeht,  auch  gegenüber  der  inteUigiblen,  absolut  schö- 
pferischen Freiheit  um  jeden  Preis  aufrechterhalten.  Er  hält 
es  für  möglich,  dass  in  der  intelligiblen  Welt  Akte  vollzogen 
werden,  die  absolut  von  sich  selbst  aus  anfangen,  also  im  streng- 
sten Sinne  unverursacht  sind,  und  dass  trotzdem  in  den  streng 
correspondirenden  Erscheinungsreihen  die  causale  VerknĂĽpfung 
gerade  so  ununterbrochen  weiter  laufe,  als  wenn  es  in  dem 
intelligiblen  Bereiche  zu  «olchen  absolut  freien  Akten  über- 
haupt gar  nicht  gekommen  wäre.  Dieser  Halbheit  gegen- 
über hebt  Faickenberg  nachdrucksvoll  hervor,  dass  „von 
ununterbrochenem  Gausalzusammenhang  nach  Naturgesetzen 
nor  bei  Handlungen  die  Rede  sein  könne,  welche  auf  subjec- 


90  Riehard  FUckenberg:  Ueber  den  intelUgiblen  Charakter. 

tive  Triebfedern  der  Sinnlichkeit  erfolgen,"  dass  aber,  so- 
bald die  Idee  der  Pflicht  wirksam  sei,  „das  Naturgesetz 
suspendirt  werde"  (S.  19;  67).  Ihm  ist  die  durchgängig  cau- 
sale  VerknĂĽpfung  der  Naturerscheinungen  kein  unantastbares 
Axiom,  er  ist  so  ehrlich  und  muthig,  ^  zu  fordern,  dass  das 
Naturgesetz  mit  Räcksicht  auf  die  moralischen  Resultate  „be- 
richtigt und  eingeschränkt  werde"  (S.  69).  —  Es  bleibe  hier 
dahingestellt,  inwieweit  er  etwa  mit  dieser  Maxime  Recht 
habe;  soviel  indessen  ist  sicher,  dass,  wer  einmal  die  Frei^ 
heit  im  Eantischen  Sinne  für  ein  unerlässliches  Postulat  an- 
sieht, jenen  Respect  vor  der  causalen  VerknĂĽpfung  aufgeben 
und  die  Durchlöcherung  des  Gausalzusammenhanges  der  Natur- 
erscheinungen als  Gonsequenz  anerkennen  muss. 

Diese  Anerkennung  ist  mit  noch  weiteren,  von^Kant  ver- 
miedenen Consequenzen  verknüpft.  Bethätigt  sich  der  intel- 
ligible  Charakter  stets  dadurch,  dass  er  die  causale  VerknĂĽp- 
fung der  Erscheinungen  zerreisst,  so  kann  derselbe  unmöglich 
das  dem  empirischen  Charakter  entsprechende  Ding  an  sich 
sein  (S.  37).  „Das  empirische  Ich  ist  nicht  Erscheinung  des 
absoluten  Ich"  (S,  9).  In  der  That,  der  empirische  Charakter 
kann  nur  dann  als  Erscheinung  des  intelUgiblen  gelten,  wenn 
dieser  —  im  Gegensatz  zur  Eantischen  Ansicht  —  als  etwas 
sich  mit  innerer  Nothwendigkeit  in  eigenthĂĽm- 
licher  Weise  Auswirkendes  gedacht  wird.  Macht  man 
dagegen  mit  Kant  das  sittliche  Wollen,  indem  man  ihm  abso- 
lute Spontaneität  zuschreibt,  zu  etwas  dem  naturlichen  Re- 
geren absolut  Heterogenem,  so  muss  man  dann  auch  niit 
Falckenberg  sagen,  dass  der  empirische  Charakter  nicht  die 
Erscheinung  des  intelUgiblen  sei.  —  Unser  Verfasser  spricht 
nun  allerdings  diesen  Satz  nicht,  wie  es  hier  geschehen,  in 
der  Form  einer  ausdrĂĽckUchen  Consequenz  seiner  Auffassung 
der  intelUgiblen  Freiheit  aus;  er  beruft  sich  fĂĽr  ihn  vielmehr 
auf  die  Erfahrung,  dass  das  sinnliche  Begehren  sich  so  oft 
dem  sittUchen  Wollen  kämpfend  entgegenstellt 
(S.  7;  10).  Allein  diese  „tägUch  erlebte  Thatsache"  beweist 
nur  dann  jenes  Nichtentsprechen  von  SinnUchem  und  Intelli- 
giblem,  wenn  das  sittliche  Wollen  schon  von  vornherein 
als  ein  absolut  spontanes  Wollen,  als  ein  Unterbrechen  d?r 


Richard  Falckenberg:  Uöber  den  inteUigiUen  Charakter.  91 

natĂĽrlichen  Causafareihen  und  daher  als  etwas  der  natĂĽrlichen 
Gaosalitat  Heterogenes  aufgefasst  wird.  Wenn  man  dagegen 
das  sittliche  Wollen  nicht  mit  der  absoluten  Spontaneität  im 
Eantischen  Sinne  ausrastet  und  vielmehr  den  intelligiblen 
Charakter  als  etwas  sich  mit  innerer  Nothwendigkeit  dgen- 
thämüch  Auswirkendes  ansieht,  so  wird  dieser  ein  mehr  oder 
weniger  complicirtes,  causal  verknĂĽpftes  Ineinander  von  ver- 
schiedenen Seiten  darstellen,  und  es  kann  dann  ganz  wohl 
dem  sinnlichen  Begehren  ein  bestimmtes  Moment  des  intel* 
ligiblen  Charakters  und  dem  in  Erscheinung  getretenen  sitt- 
lichen Wollen  ein  anderes  Moment  des  intelligiblen  Charakters 
und  daher  auch  dem  Kampfe  zwischen  bösen  und 
guten  Trieben  ein  Kampf  zwischen  den  verschie- 
denen Factoren  des  intelligiblen  Charakters  ent- 
sprechen. —  So  ist  also  bei  Falckenberg  das  Nicht  entspre- 
chen des  empirischen  und  intelligiblen  Charakters,  wenn  er 
dies  auch  nicht  bewusst  hervorhebt,  dennoch  eine  Consequenz 
seines  schroff  gefassten  Freiheitsbegriffes. 

Endlich  hängt  es  mit  dem  Freiheitsbegriffe  des  Verfassers 
zusammen,  dass  er  den  empirischen  Charakter  wie  etwas 
schlechtweg  Nichtmoralisches  behandelt.  Es  ist  klar: 
wer  das  Moralische  (sei  es  nun  das  Gute  oder  das  Böse) 
anzig  in  das  absolute  Anfangen  des  Wollens  setzt,  fĂĽr  den 
kann  alles  der  Causalität  unbedingt  Unterworfene,  also  auch 
der  empirische  Charakter,  in  keiner  inneren  Beziehung  zum 
Moralischen  stehen.  So  erklärt  denn  Falckenberg,  dass  Tem- 
perament, Naturtrieb,  angeborener  Charakter  nicht  aus  dem 
Ich  als  Ding  an  sich  stamme,  sondern  dass  uns  das  Ansich, 
der  Ursprung  dieser  empirischen  Seite  gänzlich  unbekannt 
bleibe  (S.  8  f.;  70  f.).  Wir  mĂĽssen  uns  mit  dem  Glauben 
begnügen,  dass  wir  den  empirischen  Charakter  „aus  den 
Händen  einer  unbekannten  Macht  als  ein  zu  bearbeitendes 
Hatmal  empfangen*^  (S.  37).  So  haben  also  die  individuellen 
Verschiedenheiten  der  Menschen  zur  Moral  gar  kein  inne- 
res Verhältniss.  „Für  die  Beschaffenheit  des  angeborenen 
Charakters  kann  Niemand  verantwortlich  gemacht  werden" 
(S.  34;  vgl.  S.  38).  Das  Individuelle  als  solches  fällt  ganz 
ausserhalb  der  moralischen  Sphäre,  es  ist  nicht  moralischen 


92  Richard  Falckenberg:  Ueber  den  intelligiblen  Charakter. 

Ursprungs,  es  ist  „der  Moral  völlig  gleichgältig^*  (S.  43). 
Hierin  liegt  ein  fundamentaler  Differenzpunkt  fĂĽr  die  Auffas- 
sung des  Moralischen.  Bei  Schopenhauer  ist  der  empi- 
rische Charakter  geradezu  Ergebniss  des  intelligiblen  Morali- 
schen; auch  Hegel  gibt  dem  NatĂĽrlichen,  Angeborenen  in- 
sofern moralische  Bedeutung,  als  er  behauptet,  der  Mensch 
sei  von  Natur  böse  und  sei  darum  böse,  weil  er  ein  Natür- 
liches sei;  und  Beide  s^nrechen  im  Sinne  des  Ghristenthums, 
das  in  seiner  Lehre  von  der  ErbsĂĽnde  die  Beschaffenheit  des 
natĂĽrlichen  Triehlebens  des  Menschen  als  Gonsequenz  eines 
moralisch  bedeutungsvollen  Aktes  ansieht.  Falckenbei^  da- 
gegen reisst  die  natĂĽrlichen  Triebe  aus  allem  inneren  Ver- 
hältniss  zum  Moralischen;  ihnen  kommen  keine  moralischen 
Prädikate  zu;  er  weiss  darüber  nur  zu  sagen,  dass  sie  von 
einer  unbekannten  Macht  niiit  unserem  intelligiblen  Charakter 
vereint  wurden,  und  dass  es  „unbegreiflich^*  sei,  warum  der 
intelligible  Charakter  bei  dem  Einen  mit  diesen,  bei  einem 
Anderen  mit  anderen  psychischen  Anlagen  verknĂĽpft  auftrete. 
Wegen  dieser  absoluten  Trennung  des  empirischen  und  intel- 
ligiblen Charakters  darf  es  uns  dann  auch  nicht  wundern, 
wenn  unserem  Verfasser  als  Ziel  des  moralischen  Handelns 
die  „Vernichtung  der  Individualität",  das  Handeln  in  „völli- 
ger Eigenschaftslosigkeit",  der  Zustand  des  Ueberindividuellen, 
schlechtweg  Gattimgsmässigen  gilt  (S.  41).  Die  Verschieden- 
heit individueller  Ausbildung  ist  also  —  so  müsste  Falcken- 
berg  consequent  sagen  —  kein  ursprünglich  moralisches  Intef- 
esse;  die'  Welt  wĂĽrde  moralisch  genau  dieselbe  Bedeutung 
haben,  wenn  es  lauter  „farblose  Willenspunkte",  keine  Indi- 
viduen gäbe. 

Es  ist  nicht  meine  Aufgabe,  diese,  wie  man  sieht,  con- 
sequente  Auffassung  des  Moralischen  nach  dem,  was  fĂĽr  sie 
spricht,  und  nach  den  grossen  Schwierigkeiten  und  Undenk- 
barkeiten, in  die  sie  uns  verwickelt,  zu  prĂĽfen.  Nach  meuier 
Ueberzeugung  ist  diese  zweite  Seite  doch  so  ĂĽberwiegend, 
dass  es  unmöglich  ist,  unserem  Verfasser  beizustimmen.  Nur 
das  muss  ich  hervorheben,  dass  sich  mir  bei  der  LectĂĽre  des 
Schriftchens  sehr  oft  der  Wunsch  nahe  gelegt  hat,  dass  auf 
die  BegrĂĽndung  dieses  Standpunktes  und  auf  die  Beseitigung 


Riebard  Fakkenberg:  lieber  den  intelligiblen  Gbarakter.  93 

der  Schwierigkeiten,  die  sich  sicherlich  auch  dem  Verfasser 
ao^edrängt  haben,  näher  eingegangen  worden  wäre.  Freilich 
war  seine  Hauptaufgabe,  die  Eantische  Freiheitslehre  zu 
prüfen,  und  diese  Aufgabe  hat  er  insofern  glücklich  gelöst, 
als  er  die  Ausfuhrung  ihres  Fundamentalsatzes  von  erheb- 
lichen Inconsequenzen  reinigte.  Allein  das  Eingehen  auf  die 
Sdiwierigkeiten  dieses  Fundamentalgesetzes  und  seiner  Con* 
Sequenzen  ist  doch  zu  nahe  mit  jener  Aufgabe  verknĂĽpft,  als 
dass  er  dies  gänzlich  hätte  bei  Seite  lassen  dürfen.  So  hätte  er 
sich  z.  B.  nicht  begnĂĽgen  sollen,  wiederholt  darauf  hinzu- 
weisen, dass  mit  Leugnung  der  absoluten  Ursächlichkeit  des 
sittlichen  Entschlusses  die  Moralität  geopfert  sei  (z.  B.  S.  14; 
18;  66);  .er  hätte  doch  auf  den  Einwand  Rücksicht  nehmen 
sollen,  dass  ein  absolut  ursachloscs,  auch  der  inneren  Noth- 
wendigkeit  entbehrendes  Wollen  sich  durch  nichts  vom 
absolut  gesetzlosen  Zufall  unterscheide.  Und  trat 
ihm  denn  femer  nicht  der  Gedanke  entg;egen,  dass,  wenn  der 
empirische  Charakter  und  alles  Individuelle  moralisch  bedeu- 
tungslos sei,  sich  die  geradezu  Vernichtung  drohende  Frage 
erhebe,  wie  es  denn  in  einer  Welt,  die  doch  nach  seiner 
eigenen  Ansicht  ganz  und  gar  unter  dem  Gesichtspunkt  des 
absoluten  Sollens  zu  betrachten  und  nur  um  des  ethischen 
tiandehis  willen  geschaffen  ist,  zu  einer  so  umfangreichen 
moralisch  geradezu  werthlosen  Sphäre  kommen  könne.  Wie 
kommt  das  moralisch  schlechtweg  GleichgĂĽltige  in  die  Welt, 
wenn  doch  das  Moralische,  wie  Falckenberg  annimmt  (z.  B. 
S.  58),  der  letzte  Grund,  Anfang  und  Ende  von  Allem  sein 
soll?  Wie  geschieht  es,  dass  die  absolut  gute  Gottheit  mo- 
ralisch Werthloses  erschafft?  Warum  belastet  sie  jeden 
menschlichen  intelligiblen  Charakter  mit  einer  empirischen 
hdividualität,  wenn  doch  diese  für  moralischen  Werth  und 
Unwerth  schlechterdings  bedeutungslos  ist?  Wacum  blieb  es 
mcht  bei  „farblosen  Willenspunkten"  ?  —  Doch  ich  gehe  noch 
weiter.  Wenn  der  empirische  Charakter  nicht  Folge  eines 
intelligiblen  moralischen  Aktes  der  Iddividualität  ist,  so  ist  es 
die  nackteste  Ungerechtigkeit  und  muss  das  mora- 
lische Bewusstsein  geradezu  empören,  dass  der 
intelligible  Charakter  des  Einen  mit   einem   selbstsĂĽchtigen, 


94  Richard  Falckenberg:  Ueber  den  inteili^len  Charakter. 

wilden,  moralisch  schwer  zu  bändigenden  empirischen  Cha- 
rakter, der  eines  Anderen  mit  wohlwollenden,  sanften,  leicht 
lenksamen  Naturtrieben  verknĂĽpft  ist.  Um  so  mehr  aber 
mĂĽsste  dies  Falckenberg  zu  denken  geben,  als  er  jeden  Wis- 
senssatz, der  „dem  moralischen  Bewusstsein  widerspricht", 
für  falsch  und  verwerflich  erklärt  (S.  67;  73  f.;  96).  Er  kommt 
auch  an  einer  Stelle  (S.  91)  auf  diese  Schwierigkeit  zu  spre- 
chen, allein  er  hilft  sich  darĂĽber  mit  dem  angesichts  der  Er- 
fahrung doch  sicherlich  nicht  Stand  haltenden  Tröste  hinw^, 
dass  eben  faktisch  fĂĽr  alle  empirischen  Charaktere  die  mo- 
ralische Anstrengung  eine  gleiche  sei,  indem  jede  angeborene 
Anlage,  welche  die  moralische  Arbeit  erleichtert,  mit  einer 
anderen  diese  Erleichterung  gerade  aufwiegenden,  .  moralisch 
hemmenden  Naturanlage  verbunden  sei. 

Mit  dem  Angegebenen  ist  der  Inhalt  von  Falckenberg's 
Schrift  lange  nicht  erschöpft.  Sie  enthält  ausserdem  viele 
andere  beachtenswerthe  Erörterungen,  z.  B.  über  die  Motiv- 
losigkeit  des  sittlichen  Handelns,  über  das  Verhältniss  des 
Bösen  zum  intelligiblen  Willen,  über  den  ethischen  Werth  dei 
Gewohnheit  u.  s.  w.  Ueberall  aber  wird  man  zu  seiner 
Freude  finden,  dass  Jemand  zu  uns  spricht,  der  es  sich  in 
einem  wohldurchdachten  ethischen  Standpunkte  heimisch  ge- 
macht hat  und  sinnreich  und  geschickt  mit  den  moralischen 
B^n^ffen  operirL  Wir  werden  uns  freuen,  wenn  wir  dem 
Verfasser  auf  diesem  in  unseren  Tagen  mit  so  grossem  Un- 
recht arg  vernachlässigten  Gebiete  noch  öfter  begegnen  wer- 
den. Besonders  wohlthuend  wirkt  ausserdem  die  Sprache 
des  Schriftchens ;  ĂĽberall  zeigt  sie  ein  gewisses  freundliches, 
stilles  und  sinniges  Heranziehen  des  Concreten  und  Anschau- 
lichen fĂĽr  den  Zweck  der  Verdeutlichung  des  Abstracten  und 
Greistigen.  Dabei  weiss  sie  auch,  wo  es  der  Gegenstand  for- 
dert, denJSmst  und  die  Energie  des  moralischen  Bewusstseins 
in  kräftig  und  tre£Eend  zusammenfassenden  Worten  zum  Aus- 
druck zu  bringen. 

Jena.  Volkelt. 


Gustav  Roflkoff:  Dm  Rd^ionswasen  der  rohesten  Naturyölker.      86 

Dal  Retigioiitweten  der  rohesten  NaturvBiker  von  Guskw  Boshoff. 
Leipzig,  F.  A.  Brockhaus.  1880.  (XIV,  179  S.)  8^ 
Mit  der  Thesis  der  Darwinisten,  dass  die  Menschheil  aus 
anfänglich  thierischen  Zuständen  es  zu  ihrer  gegenv^ärtigen 
Höhe  eines  dvilisirten  und  vemönftigen  Lebens  gebracht  habe, 
verbindet  sich  gern  die  andere,  dass  die  sogenannten  Wilden 
oder,  wie  der  Verf.  obigen  Werkes  sie  nennt,  rohesten  Natur- 
völker als  Repräsentanten  der  früheren,  mehr  ursprunglichen 
Stofen  menschlichen  Daseins  anzusehen  seien.  FĂĽr  diese  li- 
iere Annahme  der  Evolutionisten  bildet  nun  das  Vorhanden- 
sein religiöser  Vorstellungen  bei  auch  ganz  uncivilisirten  Völ- 
kerschaften, welche  ihrer  Meinung  nach  den  Uebergang  von 
der  Thierheit  zur  eigentlichen  Menschheit  bilden,  einen 
bedeutenden  Stein  des  Anstosses,  denn  das  religiöse  Element, 
auch  in  seiner  kununerlichsten,  verzerrtesten  Gestalt,  legt  doch 
noch  immer  von  dem  Vorhandensein  einer  höheren,  über 
das  unmittelbar  Gegebene  der  Sinnlichkeit  hinausgehenden  Be- 
wusstseinsstufe  oder  eines  geistigen  Zuges  Zeugniss  ab.  Die 
Evolutionisten  sehen  sich  daher,  um  Thierheit  und  Menschheit 
in  dem  von  ihnen  angenommenen  solidarischen  Zusammen- 
hang zu  erhalten,  in  die  Alternative  gestellt,  entweder  dem 
Thiere  religiöse  Neigungen  und  Vorstellungen  zuzuschreiben, 
oder  den  sogenaimten  Wilden  möglichst  alle  Religion  abzu- 
sinrechen.  Da  nun  das  Erstere,  nachdem  es  versucht  wor- 
den, zumal  bei  der  einem  Jeden  durch  die  Beobachtung  des 
Thierlebens  möglichen  Conlrole  alsbald  dem  Fluche  der  Lä- 
cherlichkeit anheimgefallen  war,  blieb  nur  das  Letztere  ĂĽbrig, 
and  Sir  John  Lubbock  versuchte  denn  auch,  nach  unbedeu- 
tenderen Anfangen  Anderer,  in  seinen  Prehistoric  Times  den 
Beweis  anzutreten,  dass  allerdings  eine  ganze  Reihe  sogen, 
wilder  oder  roher  Naturvölker  ohne  Religion  sei.  Diese  An- 
sicht wurde  nun  unserm  Verfasser,  welcher  in  seiner  Geschichte 
des  Teufels  die  entgegengesetzte  geäussert  und  behauptet 
hatte,  dass  auch  „bei  den  rohesten  Völkerstämmen  Spuren 
von  religiösen  Vorstellungen  wahrzunehmen*^  seien,  von  einem 
Recensenten  in  den  Göttinger  gelehrten  Anzeigen  (Stück  13. 
1870.  S.März)  als  die  eines  „gründlichen  Kenners  der  Natur- 
völker" entgegengehalten.    Roskoff  aber  fand  sich  nicht  nur 


96      Gustav  Roskofi:  Das  Religionswesen  der  rohesten  NataiT(Vlker. 

nicht  bewogen,  die  seinige  zurĂĽckzunehmen,  sondern  wurde 
yiehiiehr  durch  jene  Phrase  zur  neuen  Untersuchung  und  for- 
dersamen  Begründung  der  Behauptung,  dass  bisher  keinVöl- 
kerstamm  ohne  Spur  von  Religion  entdeckt  worden  ist,  be- 
wogen. Das  vorliegende  Buch  ist  die  Frucht  seiner  darauf 
bezfiglichen  Studien. 

Dasselbe  zerfällt  in  drei  Abschnitte,  von  denen  der  erste 
die  Frage  selbst  und  ihre  verschiedene  Beantwortung  in's 
Auge  fasst,  der  zweite  (der  eigentliche  Antilubbock)  von  den 
angeblich  religionslosen  Völkerschaften  im  Einzelnen  handelt, 
der  dritte  das  Religionswesen  der  rohesten  Völkerstämme 
nach  seiner  Quelle,  sdnen  Aeusserungen  und  seinem  Ver- 
hältniss  zur  Sittlichkeit  m  Betracht  zieht. 

Es  versteht  sich,  dass  bei  der  Untersuchung  der  vorlie- 
genden Frage  in  erster  Linie  festgestellt  werden  muss,  was 
denn  eigentlich  Religion  sei.  Versteht  man  darunter  eine  wis- 
senschaftlich geläuterte  Ansicht  vom  göttlichen  Wesen  und 
ein  dem  entsprechendes  Verhältniss  des  Menschen  zu  Gott, 
indem  man  zugleich  alle  davon  abweichenden  Ansichten  ĂĽber 
höhere,  göttliche  Wesen  und  alle  zu  deren  Cultus  im  Schwange 
gehenden  GeBräuche  unter  der  Gesammtbezeichnung  des  „Aber- 
glaubens" zusammenfasst,  dann  freilich  gibt  es  viele  religions- 
lose Völker  und  Menschenkinder,  aber  diese  ebenso  unpsy- 
chologische wie  unhistorische  Meinung  weist  Roskoff  mit  Recht 
zurĂĽck;  und  daran  anknĂĽpfend  zeigt  er,  wie  Lubbock  sich 
mit  seinem  negirenden  Urtheil  vielfach  auf  Zeugnisse  solcher 
Reisenden  und  Missionare  stĂĽtze,  welche  alles  das,  was  eben  in 
ihre  dogmatisch  kirchliche  Schablone  nicht  passte,  fĂĽr  religions- 
losen Aberglauben  gehalten  und  erklärt  haben.  Aber  er  weist 
auch  femer  nach,  dass  sehr  viele  Zeugnisse  von  Besuchern  frem- 
der Länder  darum  für  die  vorliegende  Frage  bedeutui^slos 
sind,  weil  dieselben  aus  Mangel  an  Zeit  oder  an  Sprach- 
kenntniss  oder  an  Beobachtungsgabe  durchaus  nicht  in  der  Lage 
gewesen  waren,  über  die  oft  schwer  verständlichen,  oft  schwer 
zugänglichen,  ja  oft  geflissentlich  versteckt  gehaltenen  Ceremonien 
und  Religionsansichten  roher  Völkerschaften  ein  richtiges  Ur- 
theil zu  gewinnen.  Daher  die  WidersprĂĽche  der  PrĂĽfenden 
mit  einander,   daher  handgreifliche  brrthĂĽmer  derselben,    die 


Gustav  Roskoff:  Das  Religionswesen  der  rohesten  Naturvölker.      97 

sich  theils  selber  widerlegen,  theils  hinterher  ihre  Widerlegung 
empfingen.     Im  zweiten  Abschnitt  legt  Roskoff  im  Einzehien 
dar,  wie  kritiklos  der  „gründliche  Kenner  der  Naturvölker" 
in  seinem  Buche  zu  Werke  gegangen  sei.    Welcher  unglaub- 
lichen Leichtfertigkeit  (die  wohl  nur  aus  einer  Art  darwini- 
stischen  Fanatismus  zu  erklären  ist,   von  der  wir  auch   in 
Deutschlapd  traurige  Beispiele  haben)  sich  Sir  John  L.  schul- 
dig  gemacht  habe,  geht  unter  Anderem  aus  dem  Umstände 
hervor,   dass  er  Völkerschaften  schlechtweg  für  religionslos 
erklärt,  wenn  nur  irgend  ein  Reisender  behauptet,  keine  reli- 
giösen Gebräuche  oder  Spuren  religiösen  Glaubens  bei  seinem 
Besuche  ubter  ihnen  bemerkt  zu  haben.    Roskoff  stellt  auf 
Grand  glaubwürdiger  Zeugnisse   in   den   allermeisten  Fällen 
fest,  dass  auch  die  verkommensten  Völkerstämme  mit  den 
Resten  menschlichen  Bewusstseins  auch  noch  Reste  religiöser 
Anschauungen  und  entsprechender  Gebräuche  verbinden,  wel- 
che freilich  oft  in  der  groteskesten,  wunderUchsten,   abstos- 
sendsten  Form  erscheinen,   und  dass,   wo  dergleichen  nicht 
beobachtet  worden  ist,   dies  gegen  das  Vorhandensein  von 
irgendwelchen  Spuren  religiösen  Wesens  noch  nichts  beweist, 
da  oft  langer  Umgang  mit  den  Naturmenschen  dazu  gehört, 
um  hinter  manche   ihrer  Sitten   und   das  Geheimniss   ihrer 
eigentlichen  Denkweise  zu  kommen,  welche  sie  oft  geflissent- 
lich und  sehr  schlau  zu  verbergen  verstehen. 

Im  letzten  Abschnitt  geht  R.  dazu  ĂĽber,  das  Religions- 
wesen der  rohen  Völkerstämme  feiner  näheren  Beleuchtung  und 
Wesensbestimmung  zu  unterziehen.  Er  weist  nach,  dass  das 
menschliche  GemĂĽth  selbst  die  Quelle  der  Religion  sei,  und 
dass,  weil  dieses  bei  den  Wilden  zwar  vorhanden,  jedoch  roh 
ist,  auch  ihre  Religion  so  ausfalle,  darum  aber  doch  nicht  des  Stu- 
dimns  unwerth  erscheine.  Er  fasst  dann  besonders  den  Glau- 
ben an  böse  Wesen  als  eine  den  Wilden  eigenthümliche  Form 
des  religiösen  Bewusstseins  näher  in's  Auge,  mit  dem  sich 
dami  das  Zauberwesen  verbindet  —  Dinge,  deren  Analogien 
ja  auch  bei  den  Gulturvölkem  nicht  eben  fehlen;  zuletzt  aber 
mitersücht  er  das  Verhältniss  der  Zauberei  zur  Sittlichkeit, 
wobei  das  eigentliche  Wesen  des  Religionsglaubens  der  Wil- 
den erörtert  imd  gegen  Lubbock  der  Nachweis  geführt  wird, 

Phikwoph.  Monatshefte  1881,  I  u.  U.  7 


dS      Gustav  Roskoff:  Das  Rellgionsweaen  der  rohesten  Natarrölker. 

dass  die  Sittlichkeit  der  rohen  Naturvölker,  die  niemals  ganz 
erlischt,  unabhängig  von  ihren  religiösen  Vorstellungen  gar 
nicht  gedacht  werden  könne.  Dieser  Satz  liegt  freilich  für 
Jeden,  der  die  Sache  unbefangen  nimmt,  nahe  genug,  und  es 
ist  zu  dessen  Anerkennimg  nicht  erst  nöthig,  dass  man  ein 
„gründlicher  Kenner  der  Naturvölker'^  sei,  indessen  muss  man 
den  vom  Verf.  im  Einzelnen  gelieferten  Beweis  desselben  doch 
deswegen  willkommen  heissen,  weil  er  die  Falschheit  der  ent- 
gegenstehenden These  zur  Evidenz  bringt. 

RoskofTs  Buch  hat  ein  doppeltes  Verdienst.  Cinmal  wi- 
derlegt es  an  der  Hand  kritisch  gesichteter  und  wissenschaft- 
lich interpretirter  Thatsachen  die  ethnographischen  und  an- 
thropologischen IrrthĂĽmer  Sir  John  Lubbock's,  welche  von 
einseitigen  und  theilweise  selbst  ganz  unhaltbaren  Voraus- 
setzungen ausgehend,  jenen,  den  Thatsachen,  Zwang  anthun, 
aber  weil  sie  dem  darwinistischen  Zuge  des  heut  zu  Tage 
weit  verbreiteten  naturwissenschaftlichen  Dilettantismus  schmei- 
chelnd entgegenkamen,  dennoch  vielfachen  Anklang  fanden; 
andererseits  ist  es  als  ein  sehr  werthvoUer  Beitrag  zu  dem, 
was  Lazarus  die  Völkerpsychologie  genannt  hat,  zu  betrach- 
ten. Man  wird  vielleicht  nicht  mit  Allem  und  Jedem,  was  Ros- 
koff  an  der  Hand  seiner  Autoritäten  über  das  V^esen  der  Re- 
ligion und  :dem,  was  damit  zusammenhängt,  vorbringt,  einver- 
standen sein  können,  aber  er  hat  doch  im  Ganzen  und  Grossen 
die  vorliegende,  sehr  schwierige  und  dunkele  Frage  von  ge- 
sunden Anschauungen  aus  angegriffen  und  ist  auf  Grund  ein- 
gehenden Studiums  der  Ethnographie  zu  Resultaten  gekom- 
men, welche  uns  in  das  Religionswesen  der  Naturvölker  klare 
Einsichten  eröffnen.  Das  ist  um  so  schätzbarer,  als  die  meisten 
der  bisherigen  Darstellungen  sich  entweder  in  pseudo  -  aprio- 
rischen Gesammtconstructionen  gefallen  oder  von  untergeord- 
neten, oft  ganz  falschen  Gesichtspunkten  aus  das  wohl  dĂĽrf- 
tige und  bizarre,  dabei  versteckte  und  schwerverständliche,  aber 
doch  immer  interessante  und  fĂĽr  die  Wissenschaft  vom  Men- 
schen bedeutsame  Geistesleben  der  sog.  Wilden  aufzufassen 
pflegen.  C.  S. 


A.  Thilo:  Kurze  pragmatische  Geschichte  der  Philosophie.         99 

Kurze  pragmatische  Geschichte  der  Philosophie.  Von  Chr,  A.  Thilo, 
Oberkonsistorialraäi.  Zweite,  verbesserte  und  vermehrte 
Auflage.  In  zwei  Theilen.  I.  Theil:  Geschichte  der 
griechischen  Philosophie.  1880.  (XU. 403  S.)  ILTheU: 
Geschichte  der  neuern  Philosophie.  1881.  (XII. 
434  S.)  Cothen,  Schulze. 

Von  den  andern,  zum  Theil  vortrefflichen  Bearbeitungen 
der  Geschichte  der  Philosophie  unterscheidet  sich  die  so  eben 
in  zweiter  Auflage  erschienene  von  Thilo  hauptsächlich  da- 
darch,  dass  sie  eine  pragmatische  ist.  Als  solche  macht  sie 
schon  in  der  Einleitung  auf  die  eigentlichen  Aufgaben  der 
Philosophie  und  deren  Eintheilung  aufmerksam.  Sodann  lässt 
sie  Alles  bei  Seite,  was  nur  literarische  oder  kulturgeschicht' 
liehe  Bedeutung  hat  und  hält  sich  lediglich  an  diejenigen  Phi- 
losophen und  Philosophien,  welche  auf  irgend  eine  Weise  fĂĽr 
die  Lösung  der  philosophischen  Probleme  von  Wichtigkeit 
sind,  sei  es  durch  Auffindung  und  Aufstellung  der  Probleme, 
sei  es  durch  Vorbereitung  oder  auch  Behinderung  ihrer  Lö- 
sungen. Darum  finden  keine  oder  doch  nur  sehr  wenig  Be- 
achtung z.  B.  Xenophon,  die  Popularphilosophie  vor  und  nach 
Kant,  Baader,  Krause,  Schopenhauer,  Fries  u.  a.  Aber  auch 
bei  den  ausfĂĽhrlich  dargestellten  Systemen  kommt  es  Thilo 
hauptsächlich  auf  Eindringen  in  das  eigentliche  Gedanken- 
gefuge und  Blosslegung  der  besondern  Gedankenarbeit  nach 
ihren  Anlässen,  dem  Beweisverfahren,  den  Zielen  und  Folgen 
an.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  er  sich  ĂĽberall  lediglich  an 
die  unmittelbaren  Quellen  hält  und  sich  nicht  von  sonst  gang- 
baren historischen  Auffassungen  beeinflussen  lässt.  Um  die 
philosophische  Bedeutung  der  dargestellten  Lehren  noch  mehr 
hervorzuheben,  weist  der  Verf.,  sei  es  in  der  Darstellung  selbst, 
sei  es,  wie  namentlich  im  zweiten  Theile,  in  besondem  Be- 
merkungen auf  den  Werth  oder  ĂĽnwerth  und  den  Einfluss 
der  betreffenden  Philosopheme  hin.  Dabei  zeigt  sich,  vne  sich 
gewisse  Sätze,  die  noch  heute  in  verschiedenen  Systemen 
fortwirken,  bis  in  die  allerfrĂĽheste  Zeit  des  Philosophirens 
zurĂĽckverfolgen  lassen.  Um  nur  einige  solcher  Theoreme 
aus  der  allerersten  Zeit  zu  neimen,  sei  angefĂĽhrt  der  Begriff 


100       A.  Thilo:  Kurze  pragmatische  Geschichte  der  Philosophie. 

des  qualitätslosen  Stoffes  bei  Anaximander,  des  absoluten 
Werdens,  der  unbewussten  Vernunft,  sowie  der  Gleichsetzung 
von  Leben  und  Werden  bei  Heraclit;  die  Identität  von  Sein 
und  Denken,  die  immanente  Zweckmässigkeit,  die  Beweise 
fĂĽr  die  Einheit  des  Absoluten  bei  den  Eleaten;  die  Identi- 
ficirung  von  Ortsveränderung  und  Denken  bei  den  Atomikem 
u.  s.  w.  NatĂĽrlich  sind  derartige  Beziehungen  der  alten  und 
neuen  Philosophie  noch  viel  häufiger  bei  Plato  und  Aristo- 
teles. Aber  ganz  besonders  interessant  ist  in  dieser  Hinsicht 
die  Darstellung  von  Plotin,  indem  hier  fast  die  gämmtlichen 
Begriffe  und  Sätze,  mit  denen  der  neuere  absolute  Idealismus 
operirt,  nicht  bloss  im  Keime,  sondern  oft  in  sehr  ausge- 
prägter Gestalt  aufgezeigt  werden. 

In  Betreff  des  Unterschiedes  der  zweiten  Auflage  von 
der  ersten  hebt  der  Verf.  selbst  hervor,  dass  seine  kritischen 
Bemerkungen  mehr,  als  zuvor,  mit  dem  Text  selbst  verwoben, 
und  die  Darstellungen  von  Aristoteles,  Plotin  und  Leibniz 
völlig  umgearbeitet  seien.  Bei  letzterm  werden  ähnlich  wie 
bei  Kant  zwei  verschiedene  Perioden  unterschieden,  und  auch 
sonst  weicht  hier  die  Auffassung  namentlich  der  Begriffe  von 
der  Materie  und  dem  Raum  von  der  herkömmlichen  Dar- 
stellung ab. 

Da  nach  dem  Verf.  jede  Bearbeitung  der  Geschichte,  vor 
allem  der  Philosophie  den  Zweck  hat,  nicht  allein  die  Gegen- 
wart aus  der  Vergangenheit  zu  begreifen,  sondern  auch  eben 
dadurch  zur  HerbeifĂĽhrung  einer  bessern  Zukimft  mitzuhelfen, 
so  schliesst  er  sein  Werk  mit  Herbart  und  einigen  hieran 
geknĂĽpften  Andeutungen  ab,  welche  Wege  die  heutige  Spe- 
culation  zu  vermeiden  und  welche  sie  einzuschlagen  hat,  um 
zu  einem  in  seinen  Principien  festen  imd  unverrĂĽckbaren 
Wissen  zu  gelangen,  das  in  seiner  AusfĂĽhrung  einer  in's  Un- 
ermessliche  gehenden  Ausbreitung  und  Verfeinerung  zugäng- 
lich ist,  ähnlich  wie  es  die  Mathematik  auf  ihrem  Felde  darbietet 

0.  FlĂĽgel. 


Kano  Fischer:  Geschichte  der  neueren  Philosophie.  101 

GetchieMe  der  neueren  Philosophie.  Von  Kuno  Fischer.  Bd.  I. 
Thl.  2.  (Fortbildung  der  Lehre  Descartes'.  Spinoza.)  Dritte 
neu  bearbeitete  Aufl.  MĂĽnchen,  Fr.  Bassermann.  1880. 
(XVI,  556  S.)  8^ 
Auch  in  dem  •  vorliegenden  Bande  der  dritten  Auflage 
seiner  Darstellung  der  neueren  Philosophie  hat  der  Verfasser 
eine  neue  Eintheilung  gemacht,  die  nicht  ohne  Bedeutung  ist. 
In  der  zweiten  Auflage  wurde  noch  „Descartes'  Schule"  mit 
Inbegriff  Spinoza's  in  24  Kapiteln  abgehandelt;  in  dieser 
dritten  Auflage  ist  der  Stoff  in  drei  BĂĽcher  getheilt  worden, 
von  denen  das  erste  die  Fortbildung  der  Lehre  Descartes*, 
das  zweite  und  dritte  aber  Spinoza  fĂĽr  sich  behandelt.  Die 
sieben  Kapitel  des  ersten  Buches  entsprechen  den  fĂĽnf  ersten 
Kapiteln  der  zweiten  Auflage,  welche  wie  äusserlich,  so  auch 
innerlich  mancherlei  Umbildungen  erhalten  haben.  —  Gleich 
im  ersten  Kapitel  ist  der  niederländische  von  dem  französi- 
schen Gartesianismus  getrennt  und  erst  im  zweiten  Kapitel 
der  Anfang  der  Fortbildung  jener  Lehre  besprochen  worden; 
auch  in  der  Darstellung  der  Lehre  Malebranche's  (Kap.  5 — 7) 
ist  eine  schärfere  Gliederung  eingetreten.  —  Unter  den  Quellen 
der  Lebensnachrichten  über  Spinoza  hätte  der  sonstigen  Ge- 
nauigkeit entsprechend  der  von  Guhrauer  in  der  Schmidt'- 
schen  Zeitschrift  für  Geschichte  1847  veröffentlichten  Notizen 
6.  Stolle's  Erwähnung  geschehen  sollen;  auch  ist  die  Angabe 
(p.  192)  über  die  beiden  Handschriften  der  „Körte  Verbände- 
ling"  (des  sog.  Tractatus  brevis  etc.)  —  dahin  zu  verbessern, 
dass  gegenwärtig  beide  der  Kgl.  Bibliothek  im  Haag  ange- 
hören. In  der  Auffassung  der  Genesis  der  Philosophie  Spi- 
noza's  ist  Fischer  seinem  bisherigen  Standpunkt  treu  geblieben, 
den  Spmozismus  als  eine  Entwicklung  des  Gartesianisöius  zu 
fassen:  in  diesem  Sinne  bekämpft  er  Sigwart  und  Joel,  die 
wohl  im  Einzelnen  geirrt  haben  mögen,  im  Grossen  und  Ganzen 
aber  gewiss  darin  Recht  behalten  werden,  dass  die  eigenthĂĽm- 
Uche  Fassung  der  Lehre  Spinoza's  andere  Grundlagen,  als  den 
blossen  Gartesianismus  voraussetzt.  Darum  kann  Ref.  auch 
der  ,JLösung  der  Frage"  durch  Fischer  (p.  259  folg.),  wonach 
Spinoza  nicht  bloss  Cartesianer  war,  sondern  nie  aufgehört 
haben  soD,  ein  solcher  —  in  erweitertem  Sinne  —  zu  sein, 


103    G.  J.  Gerhardt:  Die  philos.  Schriften  vod  Gottfir.  Wilh.  Leibniz. 

nicht  beitreten.  Er  muss  sogar  bestreiten,  dass  Spinoza,  der 
nie  Dual  ist  war,  jemals  Cartesianer  gewesen  ist.  —  Die  Dar- 
stellung der  Lehre  selbst  ist  bei  Fischer  gleichfalls  im  Ganzen 
dieselbe  geblieben,  sie  zeichnet  sich  nicht  minder  durch  Voll- 
ständigkeit als  durch  scharfe  Charakteristik  aus  und  schliesst 
wieder  (im  13.  Kap.  des  3.  Buches)  mit  jener  pointirten,  viel- 
seitigen Charakteristik  und  Kritik,  welche  nach  Hegel'schem 
Rhythmus  den  Uebergang  zu  Leibniz  zu  vermitteln  dient. 

C.  S. 


Die  philosophischen  Schriften  von  Gottfried  Wilhelm  Leibniz. 

Herausg.  von  C,  J.  Gerhardt.  Bd.  IV.  Berlin,  Weidmann'sche 
Buchh.  1880  (VIII,  595  S.)    8^ 

Mit  dem  vorliegenden  Bande  beginnt  der  Herausgeber 
die  Publikation  der  zweiten  Abtheilung  der  philosophischen 
Schriften  Leibnizens,  nachdem  die  erste,  welche  die  Correspon- 
denzen  umfassen  soll,  bis  zum  zweiten  Bande  vorgeschritten 
war  (vgl  Philos.  Monatshefte  BiXV  S.399f.).  Der  jetzt 
erschienene  Band  ist  in  drei  Abtheilungen  geschieden.  Von 
diesen  enthält  die  erste  die  von  Leibniz  bis  1671  ausgearbei- 
teten philosophischen  Schriften:  seine  Doctordissertation  de 
principio  individui  aus  dem  Jahre  1663,  welche  schon  Guh- 
rauer  im  Jahre  1837  in  einem  Separatabdruck  mit  allerlei 
Bemerkungen  wieder  publicirt  hatte,  die  dissertatio  de  arte 
combinatoria  vom  Jahre  1666,  sodann  die  während  seines 
Aufenthaltes  in  Frankfurt  a.  M.  und  Mainz  (1667—1672)  ab- 
gefassten,  zunächst  die  ursprünglich  als  Anhang  zu  einem 
Buche  Theo.  Spizel's  erschienene  confessio  naturae  contra 
atheistas,  die  Leibnizischen  Zuthaten  zur  Schrift  des  M.  Nizo- 
lius  de  Vera  ratione  philosophandi  etc.  vom  Jahre  1670,  end- 
lich die  Hypothesis  physica  nova,  der  als  zweiter  Theil  die 
Theoria  motus  abstracti  folgt  und  als  Beilage  ein  Brief  des 
Jesuiten  Fabri  an  Leibniz  und  des  Letzteren  Antwort,  die 
sich  beide  auf  die  Leibniz'sche  Hypothese  vom  Weltsystem 
und  dessen  Bewegungen  beziehen,  beigegeben  ist.  Die  zweite 
Abtheilung  „Leibniz  gegen  Descartes  und  den  Cartesianismus 
1677— -1702**  überschrieben,  gibt  eine  Zusammenstellung  von 


G.  J.  Gerhardt:  Die  philo«.  Schriften  von  Gottfr.  Wilh.  Leibniz.    103 

dreizehn  Stucken  polemischen  Inhalts,  in  welchen  Leibniz 
sich  mit  der  Gartesischen  Philosophie,  wie  man  heut  zu  Tage 
zu  sagen  pflegt,  auseinandersetzt.  Darunter  sind  ein  Paar 
bisher  noch  nicht  gedruckte;  noch  mehrere  erscheinen  in  voll- 
ständigerem oder  correcterem  Abdruck.  Das  Hauptstäck  dieser 
Abtheilung  ist  das  zehnte,  die  schon  von  Guhrauer,  jedoch 
nicht  so  vollständig  herausgegebenen  Animadyersiones  in  par- 
tem  gener.  Principiorum  Cartesianorum,  demnächst  das  neunte, 
Reponse  aux  reflexions  etc.  nebst  Beilage,  aber  auch  einige 
andere,  wie  z.  B.  die  beiden  Briefe  unter  Nr.  3  und  4,  die 
Remarques  sur  Tabr^^  de  la  vie  de  Ms.  des  Gartes  u.  s.  w. 
sind  von  grossem  Interesse.  Die  dritte  Abtheilung  endlich 
enthält  die  acht  „Philosophischen  Abhandlungen^',  welche 
Leibniz  in  den  Jahren  1684 — 1703  als  Beiträge  in  Zeitschrif- 
ten inserirte.  Den  Anfang  machen  die  bekannten  Meditatio- 
nes]  de  cognitione,  veritate  et  ideis  vom  Jahre  1684,  auf 
welche  ihr  Verfasser  nicht  geringes  Gewicht  legte,  da  er  sie 
so  häulBg  citirt,  die  zweite  ist  der  für  A.  Arnauld  bestimmte 
und  Anfang  1686  geschriebene  Discours  de  metaphysique,  in  dem, 
wie  der  Herausgeber  mit  Recht  bemerkt,  Leibniz  die  Sunune 
seiner  ganzen  bis  dahin  gehenden  Speculation  niedergelegt  hat, 
die  dritte  zwei  Schreiben  an  den  Herausgeber  des  Journal 
deg  Savants  von  1691  u.  1693;  die  vierte  der  kurze  Aufsatz 
de  primae  philosophiae  emendatione  et  de  notione  substan- 
tiae,  die  fĂĽnfte  die  wichtige  Abhandlung  Systeme  nouveau  de 
la  nature,  einmal  in  einem  ersten  Entwurf,  den  der  Heraus- 
geber wegen  der  „frischen,  durchsichtigen  Darstellung'^  so  be- 
merkenswerth  fand,  dass  er  ihn  hier  abdrucken  liess  und 
sodann  nach  einer  Reinschrift,  welche  mit  dem  im  Journal 
des  Savants  erschienenen  Texte  stimmt;  dazu  kommen  noch 
verschiedene  Erläuterungen,  die  Objections  de  M.  Foucher, 
Leibnizens  Remarques  darĂĽber,  das  ^aircissement  nebst  einer 
Nachschrift  und  dem  extrait  d'une  lettre.  Das  sechste  StĂĽck 
bildet  die  in  den  Acta  eruditorum  auf  Veranlassung  des 
Streites  zwischen  J.  Chr.  Sturm  und  6.  Chr.  Schelhammer 
eingerĂĽckte  Abhandlung  de  ipsa  natura^  das  siebente  die 
Streitschriften  g^en  P.  Bayle;  das  achte  die  Reponse  auf 
Lami's  Objections,  von  der  Leibniz  nur  einen  Auszug  im 


104  M.  Jo6I:  Blicke  in  die  Religiousgeschichte  etc. 

Journal  des  Savants  von  1 709  bekannt  gemacht  hatte,  die  aber 
jetzt  nach  der  Handschrift  zum  ersten  Male  vollständig  er- 
scheint. Allen  drei  Abtheilungen  hat  der  Herausgeber  orien- 
tirende  Einleitungen  hinzugefĂĽgt,  welche  sich  auf  das  Lite- 
rarische, al?er  auch  auf  den  Inhalt  der  vorgelegten  Schriften 
beziehen,  und  insbesondere  die  Gründe  oder  Anlässe  zur  Ent- 
stehung derselben  erörtern.  Der  vorliegende  Band,  der  sich 
durchaus  wĂĽrdig  den  bereits  frĂĽher  erschienenen  beiden  ersten 
anschliesst,  gibt  über  die  schriftstellerische  Thätigkeit  Leib- 
nizens  auf  philosophischem  Gebiete  während  der  ersten  grös- 
seren Hälfte  seiner  litterarischen  Laufbahn  die  fördersamsten 
und  vollständigsten  Aufschlüsse.  G.  S. 


Blicke  in  die  Religionsgeschichte  zu  Anfang  des  zweiten  christ- 
lichen Jahrhunderts.  1.  Der  Talmud  und  die  griechische 
Sprache  nebst  zwei  Excursen :  a)  Aristobul  der  sogenannte 
Peripatetiker,  b)  die  Gnosis.  Von  Dr.  M.  Jo&,  Rabbiner 
der  israel.  Gemeinde  zu  Breslau.  Breslau  und  Leipzig, 
S.  Schottlaender.     1880.     8^    (VII,  177  S.) 

Von  den  beiden,  der  Untersuchung  ĂĽber  den  Talmud  ange- 
hängten umfangreichen  Excursen,  deren  Besprechung  in  diePhilos. 
Monatshefte  gehört,  handelt  der  erste  von  dem  vermeintlichen 
Aristoteliker  Aristobul,  der  unter  einem  Ptolemäer,  sei  es  nun 
Philometor  oder  Physkon,  gelebt  haben  soll,  und  unter  dessen 
Namen  vom  zweiten  christlichen  Jahrhunderte  an  allerhand 
Fragmente  in  den  Stromata  des  Clemens,  besonders  aber  bei 
Eusebius  auftreten.  Joel  weist,  an  Lobeck  und  noch  ältere 
Forscher  anknĂĽpfend,  nach,  dass  nicht  nur  das  Pseudoorphicon 
bei  Justinus  auf  AristohuPs  Namen  weiter  gefälscht  worden  ist, 
sondern  dass  auch  die  prosaischen  Aristobulea  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  blosse  Fälschungen  sind,  wobei  es  z.  B. 
vorkommt,  dass,  was  Clemens  noch  in  eigenem  Namen  vor- 
trägt, später  als  Citat  aus  dem  vermeintlichen  Aristobul  bei 
Eusebius  zu  lesen  ist.  Joel  schlägt  daher  vor,  den  Aristobul 
aus  der  Reihe  der  Autoren  zu  streichen,  von  denen  Bruch- 
stücke auf  uns  gekommen  sind,  und  dem  in  Fälschungen  so 
ĂĽberaus  fruchtbaren,  zweiten  Jahrhundert  auch  die  Erzeugung 


Litteraturbericht.  105 

der  Arislobulea  nicht  zu  nehmen.  —  In  dem  zweiten,  noch 
wichtigeren  und  sehr  zu  beachtenden  Excurse  ĂĽber  die  Gnosis 
bebt  Joel  deren  vorherrschend  griechischen,  d.  h.  neupytha- 
goreisch-platonischen Charakter  hervor  und  zeigt,  dass  die 
Gnostiker  aus  Plato,  besonders  aus  dessen  Timaeus  geschöpft 
haben.  Auch  das  weist  er  nach,  dass  die  palästinischen 
Lehrer,  die  jĂĽdischen  Gnostiker,  vielfach  platonisch-pythagorei- 
sche Anschauungen  hatten.  Demnach  ist  denn  auch  der  Kab- 
halah,  der  Tochter  ,  oder  Schwester  der  Gnosis ,  ein  stark 
neuplatonisch-pytbagorisches  Element  eigen.  G.  S. 


Litteratnrberielit 


Zur  SriBnemng  an  Karl  GlirlBtiaii  Planek,  Dr.  der  Philos.,  Ephorus 
des  E.  Evang.  Seminars  in  Maulbronn,  geb.  d.  17.  Jan.  1819,  gest.  d. 
7.  Juni  1880.    TObingen,  H.  Laupp.    (49  S.)    1880. 

Die  vorliegende  Broschüre  enthält  ausser  den  verschiedenen  am  Grabe 
Phmck^s  gesprochenen  Reden  einen  von  M.  Planck  verfassten  Lebens- 
abriss  des  Verstorbenen,  der  in  schlichter  Weise  die  wichtigsten  Momente 
aas  Planck's  äusserer  Laufbahn  und  dessen  innerer  Entwicklungsgeschichte 
beibringt,  sowie  ein  Verzeichniss  seiner  zahlreichen  grösseren  und  kleine- 
ren Schriften.  Zur  Ergänzung  des  Lebensabrisses  dient  der  am  21.  Octo- 
ber  in  der  Beilage  znr  Allgemeinen  Zeitung  erschienene  mit  ebenso  viel  Geist 
and  Yerständniss  als  warmer  Theünahme  und  Freundschaft  geschriebene 
Aufsatz  K.  KOstlin's,  auf  den  wir  unsere  Leser  verweisen,  indem  wir  an 
dieser  Stelle  uns  begnĂĽgen  mĂĽssen,  den  Verlust  eines  so  wackem  Mit- 
arbeiters, wie  Planck  fĂĽr  die  Philos.  Monatshefte  war,  lebhaft  und  auf- 
richtig zu  beklagen.  Möge  die  unermüdliche  Thätigkeit  dieses  tiefschöpfen- 
den Mannes,  aus  dessen  Feder  noch  ein  grösseres  philosophisches  Opus 
posthnmum  vorhanden  ist  und  demnächst  publicirt  werden  wird,  unver- 
gessen und  un verloren  sein! 


Ueber  die  aristotelische  Psychologie  und  Sinnenlehre. 

1)  Die  Theorie  des  Sehens  und  der  Sinne  fiberhanpt  bei  Aristoteles« 

Medidnische  Inaugural  -  Dissertation  von  M.  Ă„,  Issigonia  aus  Smyrna. 
Basel,  üniversitätsbuchdruckerei.    1880.    61  S.    8. 

2)  Die  Gmndprinoipien  4er  aristotelischen  Seelenlehre.  Ein  histo- 
risch-kritischer Versuch  YonDr.  Bernhard  Ritter.  (Gymnasialprogramm.) 
Jena,  Neuenhahn.    1880.    32  S.    4. 

Wie  ĂĽberall,  so  kann  man  auch  in  der  gelehrten  Aristoteles-Litteratur 
dentfich  zwei  Arten  von  Schriften  unterscheiden.  Die  einen  gehen  völlig 
io  ihrem  Stoffe  auf;  sie  sind  rein  archäologischer  Natur,   und  man  kann 


106  Litteraturbericht. 

m 

ihnen  oft  schlechterdings  nicht  ansehen,  warum  der  Verfasser  gerade  auf 
dieses,  warum  er  nicht  eben  so  gut  auf  irgend  ein  anderes  Thema  ver- 
fallen ist.  Ganz  anders  die  zweite  Art:  in  ihnen  ist  der  gelehrte  Stoff 
einem  Zwecke  dienstbar  gemacht;  sie  haben  —  wir  gebrauchen  das  Wort 
im  guten  Sinne  —  eine  Tendenz.  Zu  dieser  zweiten  Art  gehören  offenbar 
die  beiden  vorliegenden  Schriften:  beide  verfechten,  die  eine  mehr  in  bei- 
läufiger, die  andere  in  ausgesprochener  Weise,  eine  persönliche  Uebeneu- 
gung,  mit  dem  Unterschiede  allerdings,  dass  dieselbe  dem  einen  Verfasser 
a  priori  feststeht  und  ihm  nur  nachträglich  durch  die  Studien  bestätigt 
wird,  während  der  andere  uns  seine  Ueberzeugung  als  die  a  posteriori 
mühsam  errungene  Frucht  langjähriger  Arbeit  darbietet. 

Es  liegt  nun  natĂĽrlich  nicht  in  den  Intentionen  dieser  Zeitschrift,  auf 
den  Credankengang  kleiner  Monographien  einzugehen,  und  wir  mĂĽssen  uns 
daher  leider  im  Wesentlichen  darauf  beschränken,  eben  diese  Grundgedan- 
ken beider  Schriften,  gldchsam  ihre  geistigen  Themata,  hervorzuheben, 
während  das  materielle  Object  mehr  im  Hintergrunde  bleiben  mag. 

Issigonis,  ein  geborener  Grieche,  seines  Zeichens  Medianer  und  der 
Specialität  nach  Ophthalmolog,  unternimmt  es,  an  der  Hand  einer  Unter- 
suchung ĂĽber  die  aristotelische  Optik  seinen  grossen  Landsmann  in  Schutz 
zu  nehmen  gegen  die  Angriffe  aus  alter  und  neuer  Zeit.  Obschon  er  sel- 
ber Empiriker  ist,  kann  er  doch  den  Verdaramungsurtheilen  eines  Arago, 
Whewell  und  Tyndall  durchaus  nicht  beistimmen,  sondern  glaubt  im  Gegen- 
tbeile,  in  mehrfacher  Hinsicht  von  einem  wissenschaftlichen  Prophetenthum 
des  Aristoteles  sprechen  zu  dĂĽrfen.  Ja,  einen  bekannten  Ausspruch  Gicero's 
gegen  die  Philosophen  ĂĽberhaupt  kehrt  I.  in  allerdings  etwas  ĂĽbertriebener 
Weise  geradezu  um  und  sagt:  „Man  kann  sich  kaum  eine  Theorie  der 
alten  griechischen  Philosophen  denken,  auch  nicht  die  scheinbar  absur- 
deste, welche  nicht  durch  die  neuesten  Forschungen  ihre  Erklärung  und 
theilweise  Bestätigung  gefunden  hätte. '^ 

Das  Verdienstvolle  d^r  Arbeit  liegt  einmal  darm,  dass  sich  ĂĽberhaupt 
einMediciner  an  diese  philologisch  zumTheil  ausserordentlich  schwierigen 
aristotelischen  Schriften  gewagt  und  es  dabei  zu  einer  anerkennenswerthen 
Herrschaft  ĂĽber  seinen  Stoff  gebracht  hat;  dann  aber  namentlich  darin, 
dass  der  Verfasser,  was  ja  nur  ein  Naturkundiger  kann,  die  Lehren  des 
Aristoteles  jeweilen  zu  den  Resultaten  der  modernen  Naturwissenschaft  in 
Beziehung  bringt.  Freilich  dĂĽrfte  diese  Beziehung  zuweilen  eine  etwas  su 
nahe  geworden  sein,  so  z.  B.,  wenn  L  an  den  geeigneten  Stellen  den  A. 
gleichsam  zum  Vorläufer  der  Lehre  von  den  specifischen  Sinnesenergien 
oder  gar  der  Darwin*schen  Lehre  von  der  VerkĂĽmmerung  der  Sinnesorgane 
bei  deren  Nichtgebrauch  macht. 

FĂĽr  den  aristotelischen  Antiquar  bringt  die  Schrift  aUerdings  nichts 
Neues;  aber  sie  wird  Demjenigen  Freude  machen,  welcher  sich  in  einem 
lebendig  geschriebenen  Werkchen  ĂĽber  das  so  wichtige  Object  orientiren 
möchte. 

Von  materiellen  IrrthĂĽmern,  die  bei  einem  so  schwierigen  Stoffe  kaum 
zu  vermeiden  sind,  notire  ich  nur  den,  dass  S.  15  die  dritte  Art  der  Far- 


Litteratnrbericht.  107 

I 

benmiscfauDg  â–Ľorgeasen  ist,  die  lai^if  oAioc  Trir^rg  nayrtK  (De  sensu  et 
sens.  3.  440.  b.  3)  oder  das  nayrn  /u«/i^/^t  (ibid.  11).  Etwas  allzu 
sduroff  ist  die  Behauptung  S.  27:  ,Dass  dieses  unterscheidende  Princip 
(nämlich  das  Gentralsinnesvermögen)  die  Vernunft  {yovf)  sei,  ist  kaum 
nothivendig  su  bemerken.*  Dies  ist  trotz  De  anima  III,  2  und  anderen 
Stellen  nicht  so  YöUig  ausgemacht.  Auch  ist  nicht  wahr,  was  I.  S.  50 
sagt,  dass  nSmlich  A.  nicht  Tiel  Werth  auf  den  Parallelismus  der  vier  Ele- 
mente mit  den  fönf  Sinnen. gelegt  habe. 

Was  nun  die  Schrift  Ritter's  anbelangt,  so  soll  dieselbe  einen  vor- 
UUiilgen  Ausschnitt  bieten  aus  einem  spfiter  zu  erwartenden  grösseren 
Werke  Aber  die  Prindpien  der  aristotelischen  Philosophie  Oberhaupt.  Der 
Yer&sser  will  sieh  im  Gegensatze  zu  der  rein  historischen  WĂĽrdigung  des 
Phflosophen  «auf  einen  mehr  absoluten  Standpunkt*  stellen,  der  «das 
Kritische  über  das  Historische  walten  Ifisst*.  «Denn  die  Frage  ist  doch 
gewiss  auch  der  Beantwortung  werth,  welche  Elemente  in  einem  philoso* 
idiiscben  System  nicht  nur  Durchgangspunkte,  sondern  bleibender  Besitz 
seien,  ĂĽber  den  man  bis  jetzt  wenigstens  noch  nicht  hinausgekommen  sei.* 
Während  nun  die  historische  Würdigung  «nach  verschiedenen  Seiten  hin 
anerkennende  Bewunderung*  fĂĽr  Aristoteles  haben  muss,  gelangt  die  ab- 
scrfote  Betrachtungsweise  R.*s  zu  dem  Resultate,  dass  «das  aristotelische 
Denken  empfindliche  Mftngel  zeigt*,  deren  schlimmster  dem  Verfasser  «in 
der  Unf&higkeit  der  Fassung  der  letzten  Principien  zu  bestehen  scheint*. 
Wer  sich  mit  der  aristotelischen  Psychologie  eingehender  beschäftigt 
hat,  der  wird  allerdings  den  Eindruck  davongetragen  haben,  dass  sich 
darin  eine  grosse  Anzahl  von  WidersprĂĽchen  befindet,  die  man  sich  nun 
vorläufig  aus  einer  verschiedenen  Abfassungszeit  der  einzelnen  Abschnitte 
oder  irgend  anderswie  erklären  mag.  Der  Verfasser  unserer  Schrift  führt 
diese  Widersprüche,  im  Anschluss  an  mehr  beiläufige  Andeutungen  in  der 
bisherigen  Aristoteles-Litteratur  (besonders  Freudenthal  und  Kampe),  syste- 
matisrh  darauf  zurĂĽck,  dass  A.  nicht,  wie  man  vielfach  stillschweigend 
annimmt,  von  einer  durchgearbeiteten,  klaren  philosophischen  Grundan- 
scfaanung  ausgegangen  sei,  sondern  dass  sich  bei  ihm  vielmehr  verschie- 
dene Principien,  die  sich  der  gewöhnlichen  Logik  nach  ausschliessen,  un* 
vermittdt  neben  einander  fänden.  Auch  sei  das  ja  insofern  dem  A.  nicht 
znm  Vorwurf  zu  machen,  als  ja  «unser  Denken  nicht  mit  den  letzten 
Prineipien  beginnt*,  sondern  diese  sich  erst  im  Laufe  der  wissenschaft- 
liebeii  Arbeit  herausschälen. 

R.  ^ubt  drei  Grundanschauungen  bei  Aristoteles  unterscheiden  zu 
dürfcD.  «Die  eigentliche  Grundanschauung  der  wissenschaftlichen  Praxis 
unseres  Denkers*  ist  nach  ihm  der  Materialismus,  und  diese  These, 
wdche  allerdings  heut  zu  Tage  nicht  mdir  viel  AuffaUendes  hat,  wird 
zonädist  durch  eine  gründliche  Kritik  der  berühmten  Seelendefinition, 
dann  aber  noch  durch  eine  ganze  Reihe  von  Untersuchungen  gestĂĽtzt. 
«Hinter  dieser  Grundanschauung  ziemlich  bescheiden  zurücktretend*,  läset 
sieh  eine  relativ  -  spiritualistische  nachweisen;  dahin  gehört  vor 
ASem  die  Auffossung  der  Seele  als  der  aixia  und  ovirl«  des  Körpers.    In 


108  Litieraturbericht. 

einer  dritten  und  letzten  Grundanschauung  endlich  wird  der  spirituaJi- 
stische  Dualismus  zum  absoluten  Dualismus,  in  welchem  der  Stoff 
,zu  einer  Macht  wird  gegenĂĽber  der  Seele,  der  sie  in  mehrfacher  Hin- 
sieht nicht  gewachsen  erscheint*.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  R. 
die  modernen  AusdrĂĽcke  Materialismus  und  Spiritualismus  cum  grano  salis 
will  verstanden  haben. 

R.  hat  seine  Beweise  mit  anerkennenswerthem  Scharfsinn  und  mit 
Entwicklung  grosser  Gelehrsamkeit  gefĂĽhrt;  aber  es  liegt  uns  ferne,  jetzt 
schon  ĂĽber  das  Resultat  seiner  Forschungen  ein  abschliessendes  Urtheil 
f&ĂĽen  zu  wollen,  um  so  mehr,  da  die  vollstAndige  BeweisfĂĽhrung  erst  von 
seinem  grösseren  Werke  zu  erwarten  steht,  welches  dem  Einzelnen  auch 
«eine  andere  Beleuchtung **  und  grössere  „Ueberzeugungskrait*  zu  verleihen 
verspricht.  Wenn  aber  auch  die  Anschauung  R/s  zur  allgemeinen  Ueber- 
zeugung  werden  sollte,  so  liessen  sich  die  WidersprĂĽche  des  A.  doch  viel- 
leicht noch  aus  einem  anderen  Grunde,  als  aus  der  «Unfthigkeit  der  Fas- 
sung der  letzten  Principien''  erklären;  es  wäre  ja  immerhin  möglich,  da» 
in  dem  Geiste  eines  A.  Verschiedenes  neben  einander  Platz  hätte,  was 
sich  in  unseren  Durchschnittsköpfen  gegenseitig  ausschliesst.  Ueberhaupt 
sollte  man  sich  davor  hĂĽten,  auch  in  berechtigter  Polemik,  eitfem  A.  gegen- 
über von  , Unfähigkeit  der  Fassung  der  letzten  Principien*  (S.  3),  von 
«unwissenschaftlichem  Wechsel  der  Methode*  (S.  6),  von  «Mangel  an 
jeder  wissenschaftlichen  Schärfe  (S.  12),  ja  von  «Mangel  an  klarem 
Denken  (ibidem),  von  «inhaltslosen  Phrasen*  (S.  24),  und  dann 
wieder,  schulmeisterlich  lobend,  von  dem  «gesunden  Blick  unseres  Phi- 
losophen* (S.  21)  zu  reden.  Der  Verfasser  sagt  es  selber  am  Deutlichsten, 
dass  es  nicht  leicht  sei,  «bei  Aristoteles  die  rechte  Höhe  zu  erreichen*. 
Und  das  hat  seinen  guten  Grund.  Ein  grosser  Schriftsteller  sagt  von 
Lionardo  da  Vinci:  «Die  Ungeheuern  Umrisse  von  Lionardo's  Wesen  wird 
man  ewig  nur  von  ferne  ahnen  können*.  «Die  Ungeheuern  Umrisse*  des 
A.,  des  antiken  wissenschaftlichen  Antipoden  jenes  modernen  KĂĽnstlers 
und  Menschen,  brauchen  wir  nicht  nur  «von  ferne  zu  ahnen*,  sondern 
wir  kennen  sie  aus  seinen  Werken;  ergo  favete  linguis. 

R.  will  ausser  dem  angedeuteten  Werke  eine  Herausgabe  der  aristo- 
telischen Psychologie  in  der  Art  von  Trendelenburg's  Elementa  logioes 
Aristoteleae  veranstalten;  «der  Stoff  ist  schon  aus  den  sämmtlichen  Wer- 
ken ausgezogen  und  bedarf  nur  noch  der  systematisdien  Anordnung*. 
Im  Hinblick  auf  diese  beiden  Unternehmungen,  zu  welchen  wir  dem  Ver- 
fasser von  Herzen  Glück  wünschen,  sprechen  wir  die  Bitte  aus,  er  möchte 
in  Zukunft  bei  seinen  Gitaten  aus  A.,  wie  es  Trendelenburg,  Kampe, 
Eucken  u.  A.  thun,  der  blossen  Seitenzahl  jeweilen  auch  den  Titel  der 
betreffenden  aristotelischen  Schrift  beifĂĽgen,  damit  der  Leser  gleich  wass, 
mit  welchem  Opus  er  es  zu  thun  hat. 

Basel.  Dr.  Hans  Heusdler. 


Litteratnrbericht.  109 

Nene  Schriften  Aber  Nieolans  Ton  Knes. 

Der  Wunsch,  den  ich  vor  etwa  zwei  Jahren  in  den  philosophischen 
Monatsheften  (Bd.  XIV,  S.  460)  äusserte,  es  möge  bei  eindringender  Be- 
schäftigung mit  Nicolaus  von  Kues  Tomehmlich  seine  Lehre  vom  Er- 
kennen eine  ausfĂĽhrliche  Behandlung  finden,  ist  rascher  in  ErfOllung 
gegangen  als  bei  dem  Zustande  dieses  Forschungsgebietes  zu  erwarten  war. 
Es  liegen  uns  zwei  so  eben  erschienene  Schriften  vor,  welche  jenen  Gegen- 
stand zum  Ausgangspunkt  einer  Gesammtdarstellung  des  cusanischen  Sy- 
stems machen:  1)  J.Uebinger:  „Philosophie  des  Nicolaus  Gusanus"  (Würz- 
burger Dissertation).  2)  R.  Falckenberg:  „Grundzüge  der  Philosophie  des 
Nicolaos  Gusanus,  mit  besonderer  BerĂĽcksichtigung  der  Lehre  vom  Er- 
kennen*' (ein  TheU  dieses  Werkes  ist  als  Jenenser  Habilitationsschrift 
erschien^.  Uebinger^s  Schrift  ist  kĂĽrzer  und  verhftlt  sich  zu  ihrem 
Objecte  lediglich  darstellend,  Falekenberg's  Untersuchung  findet  bei  grösse- 
rer Ausdehnung  und  genauerem  Eingehen  ihren  Schwerpunkt  in  der 
Analyse.  Beide  Arbeiten  bekunden  ein  grĂĽndliches  Studium  des  Nicolaus 
ond  sind  yon  warmem  Interesse  fĂĽr  den  Gegenstand  getragen. 

Uebinger  sucht  unter  Goncentration  auf  die  Erkenntnisslehre  den 
Kern  des  Systems  in  möglichst  treuem  Anschluss  an  die  eigenen  Aufstel- 
lungen des  Philosophen  darzulegen.  Den  einzelnen  Abschnitten  liegen 
bestimmte  Schriften  desselben  zu  Grunde.  Der  erste  handelt  vom  Werden 
des  Erkennens,  der  zweite  von  seinem  Wirken,  der  dritte  von  seiner  Wir- 
kung. Bei  diesem  letzten  Abschnitt  unterscheidet  der  Verfasser  drei  Ent- 
wicklungsstufen des  Denkers.  Das  Ganze  ist  als  eine  einleitende  Arbeit 
zu  betrachten  und  verdient  als  solche  wegen  gewissenhafter  Behandlung 
des  Gegenstandes  und  energischer  Zusammenhaltung  des  schwer  Ăśberseh- 
baren Stoffes  aufrichtige  Anerkennung. 

Hinsichtlich  der  Auffassung  des  Philosophen  wird  man  dem  Verfasser 
hie  und  da  Einwendungen  machen  können,  wir  möchten  hier  nur  einen 
Punkt  berĂĽhren,  der  vielleicht  ein  allgemeineres  Interesse  hat.  Den  Aus- 
druck docta  ignorantia  (bekanntlich  Titel  einer  Hauptschrift  des  Nicolaus) 
möchte  Uebinger  unter  Ablehnung  der  gewöhnlichen  Erklärungen  („Wissen- 
schaft des  Nichtwissens**,  „gelehrte  Unwissenheit")  einfach  übersetzen  als 
„Belehrung  der  Unwissenheit".  Abgesehen  von  sprachlichen  Bedenken 
steht  dem  die  Erwägung  entgegen,  dass  die  ignorantia  im  specifischen 
Sinne  den  Mystikern  nicht  als  ein  aufzuhebendes  gilt,  sondern  jene  letzte 
Erfassung  Gottes  kennzeichnet,  welche  alles  vemunftmässige  Wissen  über- 
steige, ja  ausschliesse.  Dem  Inhalt  nach  geht  diese  Anschauung  auf  Dio- 
nysius  zurĂĽck,  namentlich  auf  seine  Schrift  de  divinis  nominibus;  dem 
Seotus  Erigena  ist  das  Schauen  Gottes  selber  zugleich  ignorantia  und  in- 
finita  sdentia  (s.  de  div.  nat.  U,  597  b);  auch  Bonaventura  kommt  immer 
wieder  darauf  zurück,  dass  bei  der  höchsten  Weisheit  alles  erlösche,  was 
wir  sonst  Wissen  nennen  (s.  z.  B.  myst.  th.  ed.  Ven.  II 460  b :  consurrectio, 
qoae  per  ignorantiam  dicitur,  nihil  aliud  est,  nisi  immediate  moveri  per 
ardorem  amoris  sine  omni  creaturae  speculo,  absque  praevia  cogitatione. 


110  Litteratorbericht. 

sine  etiam  motu  intelligentiae  concomitante,  ut  solus  affectus  iangat  et  in 
ipso  actuali  ezercitio  nihil  cognoscat  speculativa  dogniiio).  Es  lag  nahe, 
die  hier  gemeinte  ignorantia  auch  im  Ausdruck  abzusondern;  weswegen 
man  sie  aber  gerade  docta  nannte,  ist  nicht  so  leicht  zu  ersehen.  Ob 
hier  der  von  Bonaventura  oft  ausgefĂĽhrte  Gedanke  mitwirkt,  daas  jene 
Weisheit  nicht  von  Menschen  hervorgebracht,  sondern  allein  von  Gott 
gelehrt  werde  (s.  myst.  th.  ed.  Yen.  II,  463  a:  illa  scientia  quae  est  per 
ignorantiam  solius  Dei  doctrina  percipitur),  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 
Docta  ignorantia  selber  kann  ich  bei  Bonaventura  nur  an  einer  (ĂĽbrigens 
auch  schon  von  Stöckl  angeführten)  Stelle  nachweisen  (s.  brevisloq.  ed. 
Yen.  1, 129  a:  quo  quidem  desiderio  ferventissimo  ad  modum  ignis  spiritns 
noster  non^solum  agilis  ad  ascensum,  verum  etiam  quadam  ignorantia 
docta  supra  se  ipsum  rapitur  in  caliginem  et  excessum).  Später  ist  der 
Ausdruck  oft  anders  verwandt,  so  bedeutet  z.  B.  bei  Gassendi  exerdt 
parad.  YI  ignorantia  doctissima  «kritisches  Wissen  des  Nichtwissens',  bei 
Locke  (hum.  und.  III  cp.  ]iO)  leamed  ignorance  „durch  erkünstelte  Gelehr- 
samkeit sich  verdeckende  Unwissenheit*;  bei  Nicolaus  muss  docta  igno- 
rantia jedenfalls  aus  dem  geschichtlichen  Zusammenhange  verstanden 
werden.  Doch  genug  dieser  Abschweifung  I  Wie  wir  vernehmen,  bereitet 
Dr.  Uebinger  weitere  Untersuchungen  ĂĽber  Nicolaus  vor,  das  schon  Ge- 
leistete berechtigt  uns,  denselben  mit  guten  Erwartungen  entgegenzusehen. 
Auch  bei  Fälckenberg  ist  die  Lehre  von  der  Erkenntniss  Hittelpunkt 
der  Erörterung,  aber  er  verfolgt  die  Yoraussetzungen  und  Zusammen- 
hänge weiter  und  nimmt  eine  erheblich  freiere  SteUung  zu  seinem  Stoffe 
ein.  Indem  er  die  wichtigsten  Lehren  des  Nicolaus  in  selbstständiger  An- 
ordnung darlegt,  geht  er  vornehmlich  darauf  aus,  die  verschiedenen  €re- 
dankenricbtungen  und  Interessen  nachzuweisen,  welche  bei  dem  Philosophen 
wirken  und  sich  oft  in  merkwürdigster  Weise  verschlingen.  Und  zwar  lässt 
er  solche  Behandlung  nicht  nur  den  Ergebnissen  zu  Gute  kommen,  son- 
dern er  ergreift  auch  die  Elemente,  die  leitenden  Begriffe,  und  zeigt  an 
ihnen  das  sich  durchkreuzen  und  sich  verweben  grosser  Gedankenreihen. 
So  geschieht  es  z.  B.  bei  den  Begriffen  des  Glaubens,  der  Entwickelung, 
*der  docta  ignorantia  u.  s.  w.  Ein  derartiges  Unternehmen  ist  eben  bei 
einem  Hanne,  der  an  der  Grenze  zweier  Welten  steht,  und  bei  dem  es 
gilt,  das  Neue  und  Entscheidende  präcis  festzustellen,  wichtig  und  dankens- 
werth,  und  man  wird  anerkennen  mĂĽssen,  dass  der  Yerfasser  in  Yerfol- 
gung  dieser  Aufgabe  treffliches  geleistet  hat.  Er  besitzt  die  nothwendige 
Yoraussetzung  einer  solchen  Untersuchung:  Orientirtheit  ĂĽber  die  za- 
sammentreffenden  Weltbegreifüngen  und  ihre  Gonsequenzen ,  er  bewährt 
einen  feinen  Tact  in  der  Schätzung  und  Subsumirung  des  Einzelnen,  und 
er  versteht  es,  die  einmal  ergriffenen  Fäden  sowohl  mit  liebevoller  Hin- 
gebung an  den  Gegenstand  zu  verfolgen,  als  sie  an  richtiger  Stelle  fallen 
zu  lassen.  Die  Darstellung  ist  eine  geschmackvolle,  manchmal  sich  fein 
zuspitzende.  Was  den  Inhalt  anbelangt,  so  ist  die  Arbeit  durchaus  grĂĽnd- 
lich und  zuverlässig.  Ein  Zurückgreifen  auf  die  historischen  Yoraus- 
setzungen wäre  hie  und  da  wünschenswerth  gewesen.    Ob  das  Bild  des 


Litteraturb«rieht.  111 

Denke»  ein  ganz  und  gar  vollständiges  sei,  und  ob  es  überhaupt  bei 
einem  solchen  am  Problem  des  Erkennens  gefĂĽhrten  Querschnitt  yoU- 
ständig  sein  könne,  daran  wird  sich  zweifeln  lassen.  Es  vermag  z.  B. 
bei  diesem  Problem  die  Lehre  von  der  Bedeutung  der  Individualität  keine 
hinreichende  Würdigung  zu  finden.  Eher  könnte  man  dem  Verfasser 
daraus  einen  Vorwurf  machen,  dass  er  die  hervorragende  Stellung,  welche 
die  Mathematik  bei  Nicolaus  einnimmt,  nicht  mehr  zur  Geltung  gebracht 
bat  Und  endlich  hätten  wir  zum  Schluss  eine  Zusammenfassung  dessen 
gewĂĽnscht,  was  durch  die  Untersuchung  als  wesentlich  und  neu  an  Nico- 
lais herausgestelU  ist.  Der  Verfasser  denkt  zu  bescheiden  von  seiner 
Arbeit,  wenn  er  hinsichtlich  einer  Gesamratcharakteristik  der  Art  und 
Grösse  des  Nicolaus  auf  andere  verweist.  Kommt  doch  seinem  Buche 
anbestreitbar  das  Verdienst  zu,  den  schwierigen  Gegenstand  zuerst  in  der 
exacten  und  kritisch  eindringenden  Weise  behandelt  zu  haben,  welche  die 
gegenwfirtige  Wissenschaft  fordert. 

Jena.  B.  Eucken. 


Ueber  das  FandamentalgesetB  der  Intelligeiu  im  Thierreiolie«  Ver- 
such einer  vergleichenden  Psychologie  von  Tito  Vignolu  Leipzig,  F.  A. 
Brockhaus.  1879  (Liternationale  wissenschaftliche  Bibliothek  Bd.  36). 
(279  S.)    8*. 

Im  Anschluss  an  die  mancherlei,  besonders  unter  unsem  westlichen 
Nachbaren  neuerdings  hervorgetretenen  Bestrebungen  zur  GrĂĽndung  einer 
vergleichenden  Psychologie  versucht  der  Verf.  die  Grundlinien  einer  sol- 
chen Wissenschaft  und  zwar  aus  dem  Gresichtspunkte  der  monistischen 
Descendenz-  und  Fortschrittstheorie  zu  entwerfen.  Dieser  Gedanke  der 
continnirlichen  Entwicklung  beherrscht  die  biologische  und  psychologische 
Anschauung  l%noli's  so,  dass  er  nicht  Anstand  nimmt,  zu  erklären,  von 
den  Sternhaufen  und  Nebelflecken  bis  zum  organischen  Pflanzen-  und  Thier- 
reicbe,  ja  bis  zum  Menschen  gehe  eine  nicht  unterbrochene  beständige 
Kette  von  Umformungen,  von  reflexiven  Acten,  und  in  diesen  Umformun- 
gen durch  Raum  und  Zeit  hindurch  ein  sich  bethätigender  universeller 
Fortschritt  Der  Verfasser  hat,  von  dem  Pflanzenleben  anhebend,  diese 
stufenweise  Entwicklung  in  sehr  interessanter  Weise  dargelegt;  er  bestinunt 
den  Unterschied  des  Pflanzen-  und  Thierlebens  mit  grosser  Schärfe  und 
weiss  iimerhalb  des  letzteren  die  Empfindung,  den  Willen  und  die  Intelli- 
genz wohl  zu  sondern;  was  er  aber  nicht  geleistet  hat  und  nach  des  Ref. 
Ansicht  auch  nicht  leisten  konnte,  ist  der  Nachweis,  ,wie  das  Thier  in- 
teSectuell  Mensch  wird"  (Kap.  10).  Hier  ist  nämlich  die  Meinung  des 
Verfassers,  dass  die  menschliche  Seelenthätigkeit  im  Grunde  nichts  wei- 
ter, als  Verdoppelung  der  thierischen  Seelenthätigkeit,  also  Empfinden  des 
Empfindens,  Wollen  des  Wdlens  u.  s.  w.  bedeute.  Kann  denn  aber  wohl 
auf  diese  Weise  die  Begriffsbildung,  das  Selbstbewusstsein,  die  sittliche 
Freihat  des  Menschen  erklärt  werden,  die  der  Verf.  doch  als  solche  in 
ibrer  Eägenthflmlichkeit  anzuerkennen  durchaus  bereit  ist?    Auf  welche 


112  Litteraturbericht. 

Weise  fäD|^  die  Empfindung  es  denn  an,  sich  auf  sich  selbst  zu  richten, 
oder  der  Wille,  sich  selbst  zu  wollen  —  wie  der  Verf.  sagt?  Das  sind 
dem  Ref.  ganz  unverstfindliche  Dinge.  Das  Wesen,  welches  im  Stande  ist, 
über  sich  selbst  zu  reflectiren  und  sich  Über  sich  selbst  zu  erheben,  — 
mag  man  es  nun  (Menschen-)  Seele  oder  Greist  oder  sonst  wie  nennen, 
indem  man  es  unter  die  Kategorie  der  Substanz  fasst  —  dieses  Wesen  ist 
und  bleibt  doch  specifisch  verschieden  von  jenen  andern  Wesen,  welche, 
wie  das  Thier,  das  Vermögen  der  freien  Reflexion  und  der  Bildung  allge- 
meiner Begriffe,  das  Wollen  wie  Vollbringen  uneigennĂĽtziger  Handlun- 
gen nicht  besitzt.  Eine  solche  Kluft  kann  durch  allgemein  gehaltene 
Behauptungen  und  durch  die  Versicherung,  dass  das  Thier  durch  Ver- 
doppelung seiner  Fähigkeiten  zum  Menschen  aufsteige,  nicht  ausgefüllt 
werden.  Sieht  man  von  diesem  Streben  des  Verf.  ab,  seine  ununter- 
brochene Kette  der  Descendenz  theils  durch  MachtsprĂĽche,  theils  auch  ge- 
legentlich durch  Paralogismen  (z.  B.  Umdeutung  der  Conditio  sine  qua 
non  zur  causa  ponens)  nachzuweisen,  so  muss  anerkannt  werden,  dass 
sein  Werk  die  vergleichende  Psychologie  insofern  nicht  unbeträchtlich  for- 
dert, als  es  in  die  bunte  FĂĽlle  der  einschlagenden  Thatsachen  durch  Zu- 
sammenfassung des  Zusammengehörigen  bessere  Ordnung,  und  durch  die 
allerdings  unentbehrliche  Hinzuziehung  des  Pflanzenlebens,  auf  der  Vignoli 
mit  Recht  besteht,  nicht  wenig  Licht  bringt;  ausserdem  ist  die  Darstel- 
lung leicht  und  allgemein  verständlich  gehalten. 


Der  Uebergang  der  Philosophie  ni  den  Dentsehen  im  Tl.— XI.  Jahr- 
hundert. Von  Prof.  Dr.  A.  Bichter,  Halle,  Buchdr.  des  Waisenhauses 
1880.  (Progranun  der  R.- Schule  I.  Ordn.  im  Waisenhause  zu  Halle 
für  1879—80.)    (31  S.)    4*. 

Die  vorliegende  Abhandlung  will  ein  Beitrag  zu  der  noch  ungelösten 
Aufgabe  einer  vollständigen  Geschichte  der  deutschen  Philosophie  sein, 
fĂĽr  deren  frĂĽheste  Epoche  sie  reichliches  und  interessantes,  weil  urkundliches 
Material  beibringt  Was  Richter  im  ersten  Abschnitt  seiner  Schrift  ĂĽber 
Boetius  sagt,  drĂĽckt  zwar  die  allgemeine,  durch  Prantl  in  Umlauf  gesetzte 
Meinung  aus,  bedarf  aber  ^nach  des  Ref.  Ueberzeugung  einer  Gorrectur, 
die  er  jedoch  erst  bei  einer  späteren  Gelegenheit  zu  machen  gedenkt. 
Hier  sei  nur  bemerkt,  dass  dem  Boetius  die  ihm  von  Prantl  und  Richter 
zugeschriebenen  Uebersetzungen  logischer  Schriften  des  Aristoteles  bei 
Weitem  nicht  alle  zukommen,  wie  sich  dies  aus  dem  Befund  der  Hand- 
schriften und  ältesten  Editionen  nachweisen  lässt.  Der  zweite  Abschnitt 
ĂĽber  die  Angelsachsen,  Alcuin  und  Fredegis,  sowie  ĂĽber  die  eigentlichen 
Anfänge  der  deutschen  Schulphilosophie  durch  Hraban  kann  vielleicht  durch 
Aufsuchen  weiterer  Spuren  philosophischer  Thätigkeit  im  südwestlichen 
Deutschland  noch  erweitert  werden.  Dec  dritte  Abschnitt  handelt  von 
St.  Gallen  und  hebt  unter  dessen  Litteratoren  mit  Recht  besonders  Notker 
hervor,  von  dessen  philosophischen  Arbeiten  wir  hier  einen  willkommenen 
Ueberblick  erhalten.  Möge  der  Verf.  sein  verdienstvolles  Unternehmen,  die 


Litteraturbericht  113 

Origines  der  deatschen  Philosophie  in  der  angefangenen  Weise  auch  was 
die  folgende  Zeit  betrifft,  klar  zu  stellen,  nur  unverdrossen  weiterfĂĽhren, 
und  möge  es  ihm  namentlich  gelingen,  über  die  philosophischen  Studien 
in  Deutschland  während  der  noch  ziemlich  unerforschten  Uebergangszeit 
des  Xn.  Jahrhunderts  Licht  zu  verbreiten. 


Im  XV.  Bande  dieser  Zeitschrift  (S.  479  ff.)  hat  Herr  Professor  Weis 
in  objectiver  und  anerkennender  Weise  eine  Anzeige  der  drei  ersten  Bände 
meines  „Systems  der  Philosophie,  als  exakte  Wissenschaft**  geliefert.  Von 
den  Ausstellungen  und  Einwänden  gegen  dasselbe  beschränke  ich  mich 
hier  darauf,  Einen  Punkt  herauszuheben,  weil  der  Referent  ihn  selbst  fĂĽr 
einen  höchst  wichtigen  und  zur  Aufklärung  und  Förderung  der  Wissen- 
schaft sehr  geeigneten  hält.  Lediglich  um  der  Verständigung  willen  ant- 
worte ich  Folgendes,  in  Erwartung  einer  gefölligen  Erwiderung. 

Es  handelt  sich  um  den  berĂĽhmten  Versuch  des  Physikers  Ritter 
am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  ĂĽber  die  Wirkung  des  Galvanismus  auf 
das  Wasser.  Diesen  in  der  ganzen  langen  Zeit  von  den  Philosophen 
gĂĽnstig  aufgenommenen,  von  den  Physikern  weder  berĂĽcksichtigten,  noch 
widerlegten  Versuch  hat  Weis  nunmehr  als  falsch  nachzuweisen  unter- 
nommen. Die  Frage  ist  nämlich,  ob  das  Wasser  durch  den  galvanischen 
Process  in  seine  zwei  „Bestandtheile",  wie  die  Chemiker  sich  ausdrücken, 
zerlegt  werde,  oder  ob  der  positive  Pol  aus  dem  Wasser  nur  den  Sauer- 
stoff, der  negative  nur  den  Wasserstoff  entwickele.  Die  Philosophie  hält 
den  Sauerstoff  und  den  Wasserstoff  nicht  für  absolut  feste,  unvergängliche 
Substanzen,  die  mit  den  63  andern  einfachen  Körpern  die  ewig  unver- 
änderlichen Principien  der  Natur  sein  sollen ,  sondern  sieht  sie  für  blosse 
Weisen  an,  in  welche  das  Wasser  wohl  aufgelöst,  und  damit  zerstört 
werden  könne ;  das  Wasser  selbst  aber  sei,  als  concreter,  individualisirter, 
mit  substantieller  Form  und  immanenter  Kraft  ausgestatteter  Naturkörper 
das  Höhere,  xard  tpvaiv  Erste,  gegen  jene  abstracten  Elemente.  Ist  das 
Wasser  zersetzt,  so  hat  der  Chemiker  zwar,  wie  Göthe  sagt,  „die  Theile  in 
seiner  Hand,  Fehlt  leider  nur  das  geistige  Band**. 

Ăśeber  diese  entgegengesetzte  Auffassung  sollen  nun  die  Thatsacben 
entscheiden.   Die  Thatsache  aber  ist,  dass,  wenn  man  eine  gebogene  Glas- 
röhre mit  Wasser  füllt,    und   dann    einen   galvanischen   Apparat   daran 
bringt,   der  Zinkpol  nur  Sauerstoff,    der  Kupferpol  nur  Wasserstoff  zeigt. 
.        Um  die  Zersetzung  des  Wassers  in   beide  Elemente   an  jedem  Pole   zur 
i        Thalsache   zu   erheben,    wird    die  Hypothese    aufgestellt,    dass  sich    der 
•        Wasserstoff  vom  Zinkpol   zum  Kupferpol,    und  der  Sauerstoff  von  diesem 
i        zn  jenem   sich   hinbegebe.    Diese  Ortsveränderung  hat   kein  Physiker  a 
f         posteriori  gesehen,  und  die  Philosophie  hat  daher  das  Recht,  sie  a  priori 
I        ni  Terwerfen.    Um  die  Hypothese   aber   auch  thatsächlich   zu  beseitigen, 
hat  Ritter  Quecksilber   in  den  Scheitel   der  Glasröhre   angebracht,   damit 

Phiolosph.  MonatsheRe  1881.  I  u.  II.  8 


114  Litteraturbericht. 

jede  Möglichkeit  einer  solchen  Wanderung  Yon  Pol  zu  Pol  abgeschnitten 
wflrde;  und  dennoch  blieb  die  Erscheinung  dieselbige.  Gegen  dieses 
Experiment  wendet  sich  nun  Weis,  indem  er  sagt,  das  Quecksilber  in  der 
Glasröhre  werde  selbst  galvanisch:  seine  dem  Zinkpol  zugekehrte  Wand 
werde  negativ,  die  dem  Kupferpol  zugekehrte  positiv  electrisch,  so  dass 
in  jeder  Hälfte  der  Röhre  je  ein  Zersetzungsprocess  stattfindet.  Weis  will 
daher  auch  Gas-Entwickelungen  an  allen  vier  Punkten  bemerkt  haben. 

Ich  lasse  unentschieden,  ob  wirklich  zwei  galvanische  Processe  ein- 
getreten seien,  da  das  Quecksilber  sehr  wohl  den  Indifferenzpunkt  bilden 
könnte,  wie  bei  den  vielfach  Ober  einander  gelegten  Platten  der  Voltaischen 
Säule.  Hätte  nun  Weis  mit  seinem  doppelten  Processe  Recht,  so  w&re 
freilich  die  Ritter'sche  Vorrichtung  hinfällig.  Aber  die  Hypothese  des  Hin- 
und  Herwandems  wĂĽrde  doch  immer  das  widerlegen,  was  der  Physik  auf- 
recht zu  erhalten  vor  Allem  am  Herzen  liegen  muss,  —  die  entgegen- 
gesetzte Thätigkeit  der  Pole.  Denn  jeder  zöge  zuerst  auf  seiner  Seite 
sowohl  Sauerstoff  als  Wasserstoff  aus  dem  Wasser  heraus.  Warum  aber 
vermöchte  er  dann  hinterher  nun  das  eine  Element  an  sich  zu  behalten, 
um  das  Andere  von  sich  zu  stossen?  Entgegnet  der  Empirismus,  jeder 
Pol  ziehe  nur  das  eine  Element  aus  dem  Wasser  an  sich  und  stosse  das 
andere  ab:  so  konnte  man  geneigt  sein  anzunehmen,  das  sei  blos  ein 
Wortunterschied  gegen  den  Satz  der  Philosophie,  dass  jeder  Pol  nur  das 
eine  Element  aus  dem  Wasser  entwickele.  Indessen  können  beide  Ausdrucks- 
weisen als  Tautologien  nur  dann  zugegeben  werden,  wenn  die  Physiker 
das  Hin-  und  Hergehen  der  Elemente  faUen  lassen.  Thun  sie  dies  nicht, 
so  bleibt  der  principielle  Unterschied  bestehen:  Entweder  tilgt  die  quali- 
tative Form  des  Wassers  jene  Elemente  als  solche,  4a  selbst,  wenn  es  aus 
ihnen  im  Verbältniss  von  etwa  85 :  15  hergestellt  worden  wäre ,  jedes 
kleinste  Theilchen  Wasser  immer  nur  Wasser  ist;  oder  aber  die  un ver- 
tilgbaren Elemente  existiren  als  wirkliche  Götter  in  jedem  noch  so  kleinem 
Quantum  Wasser,  dann  wäre  das  Wasser  nicht  Wasser,  sondern  nur  ein 
Gemisch  dieser  Elemente. 

Im  letztern  Falle  sänke  die  Chemie  wieder  zur  blossen  Mechanik  herab, 
wie  zu  den  Zeiten  des  Gartesius,  da  sie  sich  doch  jetzt  bis  zur  Organik 
versteigen  will.  Alle  von  mir  aufgeworfenen  Fragen  gipfeln  in  der  wich- 
tigsten: Wie  verträgt  sich  der  Begriff  der  Polarität  mit  der  an  beiden 
Polen  in  ganz  gleicher  Weise  auftretenden  Zersetzung  des  Wassers.  Und 
nun  fĂĽge  ich  zum  Schluss  noch  eine  Frage  hinzu:  Wird  die  feuchte  Lult 
darum  zersetzt,  weil  das  E|sen,  wenn  es  rostet,  Sauerstoff  aus  ihr  ent- 
nimmt? 

Dies  sind  die  Punkte,  Ăśber  welche  ich  von  meinem  Herrn  Recensenten 
Erklärung  und  Belehrung  erbitte. 

Berlin.  Michelet. 


Lilteraturbericht.  116 

Erwiderung. 

Mich  freat  die  Anfrage  meines  verehrten  Lehrers,  Herrn  Professor 
Mi  che]  et,  da  sie  mir  Gelegenheit  giht,  das  Bd.  XV  S.  479  ff.  dieser  Zeit- 
schrift Gesagte  zu  bestätigen  und  ins  Gedftchtniss  zurückzurufen.  Die  Aus- 
fOhrang  der  Frage  ft'eilich  zwingt  mich,  das  Thatsächliche  noch  einmal 
ausfĂĽhrlich  wiederzugeben. 

Taucht  man  in  die  beiden  OefiTnungen  einer  mit  Wasser  gefĂĽllten, 
hofeisenfOrmig  gebogenen  Glasröhre  die  beiden  Pole  einer  galvanischen 
Batterie,  so  erscheint  am  negativen  Pol  WasserstofiT,  am  positiven  Pol 
Sauerstoff  und  zwar  vom  ersteren  die  doppelte  RaumgrOsse  des  letzteren. 
Chemie  und  Physik  sagen :  Jedes  WassermolecOl  besteht  aus  zwei  Atomen 
Wasserstoff  und  einem  Atom  Sauerstoff;  die  Electricität  zersetzt  nun  die 
WassennolecQIe  und  während  je  ein  Atom  Sauerstoff  zum  positiven  Pol 
wandert,  wandern  zwei  Atome  Wasserstoff  zum  negativen  Pol,  daher  hier 
die  doppelte  Raummenge  von  Gas,  da  die  Atome  der  Elemente  in  Gas- 
zustand gleich  gross  sind. 

Wird  nun  die  Krümmung  der  Glasröhre  mit  Quecksilber  gefüllt,  so 
dass  jeder  Schenkel  derselben  seine  eigene,  von  der  anderen  getrennte 
Wassersäule  besitzt,  so  soll  nach  H.  Ritter  ebenfalls  am  negativen  Pol 
Wasserstoff,  am  positiven  Pol  aber  Sauerstoff  auftreten.  Wäre  dies  rich- 
tig, wo  doch  von  einer  Atomwanderung  aus  einem  Schenkel  des  Glases 
iB  den  anderen  keine  Rede  sein  kann,  so  wäre  die  atom  istische  und  mole- 
culäre  Vorstellung  Unsinn;  man  müsste  mit  Ritter  -  Michelet  annehmen, 
dass  jeder  Pol  das  Wasser  specifisch  verwandle  oder  modificire. 

Mit  meinem  Gollegen,  dem  Physiker  Professor  Dr.  Kfllp  stellte  ich  da- 
her den  entscheidenden  Versuch  an;  ich  gestehe  gern,  dass  ich  mit  etwas 
Voreingenommenheit  fĂĽr  den  berĂĽhmten  Physiker  Ritter  an  den  Versuch 
ging,  obgleich  ich  voraussagen  konnte,  dass  ein  Irrthum  bei  seiner  An- 
gabe sein  mĂĽsse.  Sofort  sahen  wir  denn,  dass  beiderseits  gleiche  Raum- 
mengen Gas  auftraten  und  nicht,  wie  es  sein  sollte,  am  negativen  Pol 
doppelt  so  viel,  wie  am  positiven.  Und  als  wir  die  aus  jeder  Wasser- 
maase  aufgetretene  Gasmasse  prüften,  so  erwies  sie  sich  beim  Annähern 
eines  Lichtes  als  Knallgas,  also  als  eine  Mischung  aus  Sauerstoff  und  Was- 
serstoff. Das  heisst,  es  zeigte  sich,  dass  in  jeder  Wassersäule  das  Wasser 
in  seine  beiden  Elemente  zerlegt  wurde.  Wir  wiederholten  den  Ver- 
such mehrmals,  steckten  auch  nach  Ritter's  Angabe  einen  Draht  durch  das 
Quecksilber;  aber  jedesmal  das  gleiche  Resultat.  Nur  dass  man  von  den 
spitzen  Enden  des  Drahtes  leichter  eine  Gasentwicklung  wahrnimmt,  wie 
an  der  Fläche  des  Quecksilbers.  Innerhalb  jeder  Wassersäule  findet  daher 
eine  Wanderung  von  Atomen  Statt  und  zwar  wandern  die  Wasserstoff- 
atome zum  negativen,  die  Sauerstoffatome  zum  positiven  Pol  einer  jeden 
ZersetzoBgszelle.  Man  sieht  daher  zwei  Gasentwicklungsstellen  in  jeder 
Wassersäule,  im  Ganzen  also  vier.  Herr  Michelet  scheint  dieser  Beobach- 
toDg  nicht  zu  trauen,  er  sagt:  Weis  will  gesehen  haben.  Ich  habe 
d^ber  aus  Anlass  der  Anfrage  die  Versuche  wiederholt,  und  darf  behaup* 


116  Litteraturbericht. 

ten:  Prof.  EĂĽlp,  verschiedene  Gollegen,  ich,  die  SchQler,  denen  ich  jetzt 
zur  Belehrung  die  Sache  in  den  Lehrstunden  zeigte,  wir  Alle  haben  die  Gas- 
entwicklung an  vier  Stellen  gesehen,  und  ich  bitte  Herrn  M.,  bei  einem 
Berliner  Chemiker  oder  Physiker  prQfen  zu  lassen,  ob  wir  recht  gesehen. 

Ritter *s  Angabe  k'ann  nicht  richtig  sein.  Wahrscheinlich  hat  er  sich 
begnĂĽgt,  zu  sehen,  dass  beiderseits  vom  Quecksilber  Gase  auftreten,  aber 
er  hat  nicht  der  Mähe  werth  gefunden,  die  Natur  der  Gase  zu  prüfen. 
Es  kann  die  Angabe- nicht  richtig  sein;  es  muss  jeder  Schenkel  der  Glas* 
röhre  eine  Zersetzungszelle  sein,  in  welcher  der  eine  Pol  von  der  Batterie 
stammt,  der  andere  von  einem  Ende  des  Quecksilbers  gebildet  wird.  Es 
ist  falsch,  wenn  Herr  M.  meint,  das  Quecksilber  bilde  einen  Indifferenz- 
punkt. Das  Quecksilber  ist  so  wenig  indifferent,  dass  wenn  es  möglich 
wäre,  von  Berlin  nach  Darmstadt  ein  Kabel  aus  einer  Wassersäule  zu 
legen,  dies  Kabel  die  Electricität  rascher  leiten  würde,  wenn  man  Queck- 
silber zwischen  das  Wasser  bringen  wĂĽrde.  So  leitet  auch  das  Queck- 
silber in  der  gebogenen  Röhre  die  Electricität  der  beiderseitigen  Wasser- 
säulen, und  da  der  Strom  von  +  nach  —  und  von  —  nach  -f  geht,  so  ist 
das  eine  Ende  des  Quecksilbers  \  selbst  +  und  zwar  da,  wo  der  negative 
Pol  der  Batterie  eintaucht,  das  andere  Ende  des  Quecksilbers  ist  —  elec- 
trisch.    Jede  Wassersäule  bildet  somit  einen  Zersetzungsapparat. 

Um  die  Richtigkeit  dieser  Erklärung  zu  zeigen,  habe  ich  etwas  ganz 
UeberflĂĽssiges  gethan,  aber  ich  that  es  den  Zweiflern  zu  Liebe.  Ich  schal- 
tete an  Stelle  des  Quecksilbers  einen  wirklichen  Indifferenzpunkt  ein.  Das 
heisst,  ich  fĂĽllte  die  Biegung  mit  Schwefel,  den  ich  schmolz  und  wieder 
erstarren  liess.  Der  Schwefel  ist  ein  Nichtleiter  der  Electricität  und  nun 
wo  (vorausgesetzt,  dass  der  krystallinisch  erstarrende  Schwefel  keine  Hohl- 
räume im  Innern  bildet,  welche  das  Wasser  hindurchlassen)  die  Wasser- 
säulen durch  diesen  für  die  Stromleitung  indifferenten  Stoff  getrennt 
waren,  wo  also  keine  Strömung  der  Electricität  mehr  von  +  nach  — 
und  von  —  nach  +  stattfinden  konnte,  da  trat  kein  electrischer  Strom, 
somit  auch  keine  Wasserzersetzung  auf,  während  nach  Ritter-Michelet  auch 
jetzt  die  Gasentwicklung  stattfinden  könnte,  da  nach  ihnen  die  Polarität 
allein  es  ist,  welche  das  Wasser  modificirt.  Diese  Zersetzung  des  Wassers 
trat  aber  sofort  ein,  wenn  ich  durch  den  Schwefel  einen  den  Strom  leiten- 
den Platindraht  hindurchgehen  liess.  Sofort  zeigte  sich  an  seinen  beiden 
Enden  Gasentwicklung,  wie  an  dei)  ihnen  gegenĂĽberstehenden  Polen  der 
Batterie.  Ein  Beweis,  dass  der  Draht  oder  auch  das  Quecksilber  selbst 
polar  electrisch  ist. 

FĂĽr  die  Richtigkeit  der  chemischen  Vorstellung  spricht  indess  noch 
etwas,  das  ich  bei  der  ersten  Angabe  meines  Versuches  als  etwas  zu 
speciell  Chemisches  wegliess.  Die  eingeschaltete  Quecksilbersäule  wird,  wie 
gesagt,  durch  Leitung  selbst  polarisch.  Das  eine  Ende,  das  negative,  wo 
sich  der  Wasserstoff  in  grossen  Bläschen  ausscheidet,  bleibt  dabei  ganz 
blank,  das  andere  Ende  aber,  das  positive,  wo  sich  Sauerstoff  abscheidet, 
wird  trübe,  es  Überzieht  sich  mit  einem  dünnen  Häutchen  von  Queck- 
silberoxyd, also  einer  Verbindung  von  Quecksilber  und  Sauerstoff.  Dieser 


Litteratarbericht.  117 

letztere  tritt  daher  Anfangs  |ar  nicht  in  Form  von  Gasblasen  auf;  elrst 
nach  einiger  Zeit  steigen  Sauerstoffbläschen  auf,  die  aber  viel,  viel  kleiner 
sind  wie  die  Wasserstoffblasen  am  negativen  Ende  des  Quecksilbers.  Diese 
das  sofortige  Auftreten  von  Sauerstoffgas  hindernde  Oxydschicht  bildet 
sich,  wie  zu  beachten,  da,  wo  oben  der  negative  Pol  der  Batterie  eintaucht,, 
wo  also  nach  Ritter  nur  Wasserstoff  erzeugt  werden  soll.  Nimmt  man 
statt  der  Platindrähte,  die  keine  Neigung  zur  Oxydation  haben,  Kupfer- 
drähte zu  diesen  Versuchen,  so  kann  es  geschehen,  da  Kupfer  leicht  oxy- 
dirt,  dass  unter  Bildung  von  Kupferoxyd  aller  Sauerstoff  zurĂĽckgehalten 
wird.  In  diesem  Falle  ist  alles  aufgefangene  Gas  nur  Wasserstoff.  Aber 
wohl  zu  merken,  sowohl  das  am  positiven,  wie  das  am  negativen  Pol  auf- 
gefangene Gas  ist  Wasserstoff,  und  nicht  wie  Ritter  angibt  am  einen 
Wasserstoff  am  andern  Sauerstoff.  Möglich  indess,  dass  Ritter  mit  Kupfer- 
drähten arbeitend  nur  Wasserstoff  frei  werden  sah,  statt  eine  Mischung 
von  Wasserstoff  und  Sauerstoff.  Indess  eine  Zersetzung  im  Sinne  der 
Chemiker  findet  auch  hier  Statt,  wo  nur  eine  Art  von  Gas  sich  zeigt.  Nur 
wird  der  Sauerstoff  durch  die  Verwandtschaft  des  Metalls  zu  ihm  unter 
Bildung  von  Oxyd  zurĂĽckgehalten.  Deshalb  ist  Platin  das  geeignetste  Me- 
tall zur  Stromleitung,  weil  es  bei  seiner  geringen  Verwandtschaft  zu 
Sauerstoff  am  wenigsten  dessen  gasförmiges  Aufsteigen  hindert. 

Uns  Nicht  -  Identitätsphilosophen  sind  nun  freilich  die  Atome  keine 
»wirklichen  Götter*,  da  sie  keine  sittlichen  Kräfte  sind  und  nur  kraft  ab- 
soloten  Willens  Dasein  haben.  Auch  sind  uns,  die  wir  die  Naturverhält- 
nisse  nicht  aus  Begriffen,  das  ist  aus  einem  Wortinhalt,  entwickeln,  son- 
dern mit  Benutzung  der  Induction  aus  Thatsachen  erforschen  wollen, 
Wasserstoff  und  Sauerstoff  keine  „abstracten*  Elemente,  sondern  sie  sind 
uns  wie  das  Wasser  „concrete  und  individualisirte,  mit  substantieller  Form 
und  immanenter  Kraft  ausgestattete  Naturkörper  **.  Diese  Scheidung  ,ab- 
stracter'  und  ,concreter*  Körper  erinnert  mich  an  die  Jahre  1856  und  57, 
wo  ich  in  Berlin  in  einem  philosophischen  Golleg  ĂĽber  Humboldt's  Kosmos 
hörte:  «Der  Chemiker  macht  relativ,  Gott  macht  absolut  Materie.*  Ich 
hörte  dies  nicht  von  Ihnen,  Herr  Professor,  aber  noch  heute,  1880,  ist 
mir  die  Rede,  dass  Körper  in  luftigem  Aggregatzustande  noch  nicht 
eigentliche,  sondern  nur  „abstracte*  Materie  seien,  dass  sie  erst  im  festen 
Aggregatzustande  „concref*  seien,  mehr  ein  Spiel  mit  einem  Wortinhalt 
als  eine  denkende  Gonstruction  und  Erfassung  realer  Verhältnisse.  Ich 
gestehe,  dass  mir  solches  Wortspielen  frĂĽh  meine  noch  heute  warme  Be- 
geisterung für  HegePsche  Philosophie  dämpfte,  dass  ich  aber  freilich  noch 
keine  Naturphilosophie  fand,  die  nicht  in  diesem  Spielen  mit  Worten 
verharrt  sei.  Ich  unterscheide  nicht  «abstracte  und  concrete*  Körper, 
sondern,  wie  schon  seit  etwa  1810  Avogadro  that  und  seit  etwa  1850  all- 
gemeiner anerkannt  ist,  einfache,  elementare,  durch  chemische  Kraft 
nicht  weiter  zerlegbare  Massen theilchen,  die  Atome,  und  zusammen- 
gesetzte, verbundene, .  durch  chemische,  aber  nicht  durch  physika- 
lische Kräfte  zerlegbare  Massentheilchen ,  die  Molecüle.  Danach  ist 
nicht  von  einem  Wasseratome  zu  reden,  sondern  nur  von  einem  Wasser- 


118  Litteraturbericht. 

mo]ecĂĽI,  das  aus  zwei  Atomen  Wasserstofi|  und  einem  Atom  Sauerstoff 
besteht. 

Sie  fragen,  ob  beim  Rosten  von  Eisen  die  Luft  zersetzt  werde.  Ich 
könnte  einfach  Ja  antworten.  Als  Chemiker  muss  ich  jedoch  sagen,  dass 
Luft  keine  chemische  Verbindung,  sondern  nur  eine  mechanische  Mischung 
von  Sauerstoff  und  Stickstoff  ist,  aber  diese  Mischung  wird  getrennt,  in- 
dem das  Eisen  den  Sauerstoff  anzieht  und  den  Stickstoff  zurücklässt  Wo- 
durch Mischung  und  Verbindung  sich  unterscheiden?  Das  ist  schwer,  in 
KQrze  zu  nagen.  Reiben  Sie  Eisenfeile  und  Schwefelpulver  so  viel  Sie 
wollen,  es  bleibt  eine  Mischung,  man  kann  mit  dem  Magneten  das  Eisen 
herausziehen,  und  wenn  man  V^asser  auf 'die  Masse  giesst,  setzt  sich  das 
schwerere  Eisen  zuerst  zu  Boden.  Wenn  man  aber  die  Mischung  erhitzt 
bis  sie  glüht,  so  wird  dadurch  die  wechselseitige  Affinität  von  Eisen  und 
Schwefel  angeregt,  die  Verbindung  beider  Körper  wird  gebildet,  diese  las- 
sen sich  nicht  mehr  so  mechanisch  wie  vorher  trennen,  und  selbst  mit 
dem  stärksten  Mikroskope  kann  man  die  verschiedenen  Bestandtheile  nicht 
mehr  sehen.  Man  sieht  die  Atome  einer  Verbindung  nicht,  weil  sie  fĂĽr 
unsere  Netzhaut  zu  klein  sind.  Will  man  doch  berechnen,  dass  in  einem 
Gubikcentimeter  gasförmigen  Körpers  21  Trillionen  Molecüle  sind;  man 
schätzt  die  Entfernung  zweier  Molecüle  bei  Normaldruck  und  -Temperatur 
zu  3  bis  4  Milliontel  Millimeter ;  man  schätzt  den  Durchmesser  eines  Was- 
serstofimolecĂĽls  zwischen  1  und  6  Zehnmilliontel  Millimeter. 

Ich  lasse  den  Werth  solcher  Berechnungen  ganz  dahingestellt;  jeden- 
falls sind  aber  die  Atome  zu  klein  fĂĽr  unsere  sinnliche  Wahrnehmung. 
Ist  nun  bei  solcher  Kleinheit  und  Nähe  der  Atome  von  Intussusception, 
Durchdringung  oder  von  Juxtaposition,  Nebeneinanderlagerung  zu  reden? 
Sie  fürchten,  Herr  Professor,  wenn  Aneinanderlagerung  stattfände,  so  «sinke 
die  Chemie,  welche  Organik  sein  wolle,  zur  Cartesius'schen  Mechanik  zu- 
rĂĽck*. Da  muss  ich  leider  meine  Ketzerei  bekennen,  nicht  an  die  Organik 
der  Chemie  zu  glauben.  Chemie  ist  mir  nur  Mechanik,  Lehre  von  der 
Bewegung  der  Atome.  Der  chemische  Process  erzeugt  nur  MolecĂĽle,  nur 
Verbindungen,  die  als  unorganische  Verbindungen  die  Mineralien  bilden, 
als  organische  Verbindungen  Bausteine  fĂĽr  die  Organismen  sind.  Ich 
glaube  nicht  daran,  dass  der  chemische  Process  einen  Organismus,  eine 
Zelle  bilde. 

Aber  ist  darum  solche  mechanische  Vorstellung  von  Atomen  und  ihrer 
Bewegung  roh  und  unphilosophisch?  Hat  Gott,  hat  das  Absolute  roh  und 
unphilosophisch  gehandelt,  als  es  die  Mechanik  der  kosmischen  Massen, 
der  Weltatome  ins  Dasein  treten  Hess?  Sind  die  Sternbilder  nicht  auch 
juxtaponirte  Weltatome?  Das  heisst:  im  Raum  zusammengelagerte  und 
fĂĽr  uns  Menschen  wohl  im  Gedanken,  aber  nicht  in  der  Wirklichkeit  theil- 
bare  Wirkungseinheiten?  Damit  ist  jedoch  noch  nicht  gesagt,  dass  wir 
Cartesius'sche  Mechanik  treiben.  FĂĽr  diesen  waren  die  Welt- Atome  gleichsam 
Ziegelsteine  und  brauchten  äussere  Hülfe,  die  Aetlierwirbel  (die  neuerdings 
wieder  bei  gewissen  Leuten  in  Mode  zu  kommen  scheinen)  zur  Bewegung. 
Gartesius  stellte  seine  Mechanik  auf  in  Opposition  gegen  Newton,  welcher 


Nea  eingegangene  Schriften.  119 

zeigte,  dass  jedes  Weltatom  selbst  als  Dynamls,  als  Eraflwirker  propor- 
tional seiner  Masse  zu  betrachten  sei.  Die  Sterngruppen  sind  danach  jux- 
taponirte  Weltatome,  die  durch  ihre  wechselseitige  Anziehung  einander 
festhalten,  tragen  und  im  Räume  schweben.  Seit  Kant  ist  die  dynamische 
Ă„ofFassung  der  Materie  philosophisch  begrĂĽndet  und  heutzutage,  wogegen 
die  Philosophie  ftreilich  immer  blind  geblieben,  will  kein  Empiriker  ein 
Atom  anders  denn  als  eine  Dynamis  betrachten.  Eine  chemische  Verbin- 
dung ist  daher  eine  Vereinigung  ungleichartiger  Atome,  welche  durch  ihre 
wechselseitige  Dynamis  oder  Affinltfit  einander  in  Gleichgewichtsstellung 
festhalten  und  dabei  als  juxtaponirt  zu  betrachten  sind.  Der  Dynamiker 
Kant  wollte  freilich  von  Atomen  nichts  wissen;  aber  ich  behaupte  immer 
noch,  was  man  mir  freilich  schon  als  Frevel  an  der  unfehlbaren  Autorität 
Kants  auslegte,  dass  Kant  nur  deshalb  keine  Atome  gelten  Hess,  weil  er 
im  Februar  desselben  Jahres  starb,  in  welchem  Dalton  das  die  Atome 
induetiv  begründende  Gesetz  der  jrielfachen  Verhältnisse  entdeckte.  Doch 
hier  muss  ich  freilich  abbrechen,  und  will  fĂĽr  das  Weitere  nur  auf  meinen 
Antimaterialismus  Bd.  II.  oder  auf  diese  Zeitschrift  Bd.  XII.  verweisen, 
wo  ich  meine  hierher  gehörigen  Ansichten  entwickelt  habe. 

Darmstadt.  Prof.  L.  Weis. 


Nen  eingegrangene  Sehrlften. 

C  der  US,  J.,  Leven  van  Spinoza.    Nieuwe  Uitgave. 

Knoodt,  P^  Anton  GĂĽnther.    Eine  Biographie.    Bd.  1.  2. 

Frey  er,  W„  Naturwissenschaftliche  Thatsachen  und  Probleme. 

Ziller,  Tuiskon,  Allgem.  Philosophische  Ethik. 

Stein thal,  H.,   Gesammelte  kleine  Schriften.    I.  Sprachwissenschaftliche 

Abhandlungen  und  Recensionen. 
Mendelssohn,  Moses,  Schriften  herausg.  v.  M.  Brasch.    Bd.  I.  II. 
Rehmke,  Job.,  Die  Welt  als  Wahrnehmung  und  Begriff. 
Bahnsen,  Jul.,  Der  Widerspruch  im  Wissen  und  Wesen  der  Welt. 
Fellner,  Gompendium  der  Naturwissenschaften  an  der  Schule  zu  Fulda 

im  DC.  Jahrb. 
Falcrenberg,  Rieh.,  GrundzĂĽge  der  Philosophie  des  Nicolaus  Gusanus. 
Jankowski,  Ed.,  Pistidsmus  und  Substanzialismus. 
Arbes,  Job.,  Meine  Forschungen  im  Gebiete  des  Geistes. 
Reth wisch,  E.,  Der  Begriff  der  Definition. 
Lehmann,  0.,  Ueber  Kants  Principien  der  Ethik. 
Ballinger,  A.,  Aristoteles  und  Professor  Zeller  in  Berlin. 
Ders.,  Denkzettel  fĂĽr  die  Recensenten  meines  Katharsis-SchlĂĽssels. 
Meurer,  Chr.,  Das  Verhältniss  der  SchUler^scben  zur  Kant 'sehen  Ethik. 
6.,  F.  P^  Ben  Sirah  Militans.    Abgebrochene  Sätze  für  ABC-Kinder. 
Hertling,  G.  v.,  Albertus  Magnus.    Festschrift. 
Albertus  Magnus  in  Geschichte  und  Sage.    Festschrift. 
Bergmann,  Jul.,  Sein  und  Erkennen. 


120  Bibliographie. 

Bibliographie 

von 

Dr.  F.  Ascherson. 

I.  Encyclopildie.  Gesammelte  Schriften.  BIbllegraphie.  Zeitschriften.  Lotze,  U., 
System  der  Philosophie.  1.  Bd.  Logik.  Drei  Bucher  vom  Denken, 
vom  Untersuchen  und  Erkennen.    2.  Aufl.    8.   Leipzig,  Hirzel.    n.  9  M. 

—  Gen  er,  P.,  Contribution  ä  T^tude  de  Tövolution  des  id6es:  la  mort 
et  le  diable;  bistoire  et  philosophie  des  deux  n^gations  supr^roes.  Pre- 
c^^e  d'une  lettre  ä  Tauteur  d'  E.  Littr6.  8.  Paris,  Heinald.  12  fr.  — 
Viseber,  F.  Tb.,  Altes  und  Neues.  1.  Heft.  8.  Stuttgart,  Bonz  u.  Co. 
n.  4  M.  —  Vierteljahrs- Ca talog  aller  in  Deutschland  erschie- 
nenen Werke  aus  dem  Gebiete  der  Theologie  und  Philosophie. 
Jahrg.  1880.  Juh  bis  September.  8.  Leipzig,  Hinrichs'sche  Buchh., 
Verlags -Conto,  pro  10  Expl.  n.  1  M.  50  Pf.  —  Zeitschrift  für 
Philosophie  und  philosophische  Kritik.  Redigirt  von  H.  ĂĽlrici.  Neue 
Folge.  77.  Bd.  Ergänzungsheft.  8.  Halle,  Pfeffer,  n.  3  M.  —  Zeit- 
schrift für  Völkerpsychologie  und  Slprachwissenscbaft.  Herausg.  von 
M.  Lazarus  und  M.  Steinthal.  12.  Bd.  3.  Heft.  8.  Berlin,  DĂĽmmler's 
Verlagsbuchh.  n.  2M.  40  Pf.  •—  Verhandlungen  der  philosophi- 
schen Gesellschaft  zu  Berlin.  18.  Heft.  8.  Leipzig,  Koschny.  n.  1  M. 
[S.  ob.  Bd.  XVI  S.  307.]  —  Zeichen  der  Zeit.  Eine  Monatsschrift 
fQr  Religion,  Philosophie  und  Gesellschaft  in  ihrer  Zusammengehörigkeit. 
Red.:  Chronik.  3.  Jahrg.  1880.  Octoberheft.  8.  Vierteljährlich  n. 
1  M.  50  Pf. 

II.  Zur  Geschichte  der  Philosophie  und  Wissenschaft.  Harms,  F.,  die  Phi- 
losophie in  ihrer  Geschichte.  2.  Thl.  Geschichte  der  Logik.  8.  Berlin, 
Tb.  Hofmann.  n.  4  M.  80  Pf.  [S.  ob.  Bd.  XIV  S.  118  und  Bd.  XVI 
S.  123.]  —  üeberweg's,  F.,  Grundriss  der  Geschichte  der  Philosophie. 
1.  Thl.  Das  Alterthum.  6.  Aufl.,  herausg.  von  M.  Heinze.  8.  Berlin, 
Mittler  u.  Sohn.  n.  5  M.  —  Lewes,  G.  H.,  the  history  of  philosophy 
from  Thaies  to  Comte.  5th  edition.  2  vols.  8.  1  1.  12  s.  —  Lange's, 
F.  A.,  history  of  materialism  and  criticism  of  its  present  importance. 
Translated.  3  v.  Vol.  2.  8.  10  s.  6  d.  —  Zeller,  E.,  die  Philosophie 
der  Griechen  in  ihrer  geschichtlichen  Entwickelung  dargestellt.  3.  Thl. 
1.  Abth.  3.  Aufl.  8.  Leipzig,  Fues'  Verlag,  n.  16  M.  [S.  ob.  Bd.  XV 
S.  109.]  —  Zeller,  E.,  the  Stoics,  Epicureans  and  sceptics.  Translated 
by  0.  J.  Reichel.  New  edition.  8.  15  s.  —  Ab  bot,  Evelyn,  Helle- 
nica,  a  collection  of  essays  on  Greek  poetry,  philosophy,  history  and 
religion.  8.  16  s.  —  Piatonis  opera  quae  feruntur  omnia.  Ad  Co- 
dices denuo  coUatos  ed.  M.  Schanz.  Vol.  2.  Fase.  2.  Theaetetus.  8. 
Leipzig,  B.  Tauchnitz.  n.  3  M.  [S.  ob.  Bd  XVI  S.  307.] Das- 
selbe. Schul -Ausg.  No.  2.  Cratylus.  Theaetetus.  8.  Ebda.  75  Pf. 
[S.  ob.  Bd.  XVI  S.  307.]  —  Plato's  Meno.  New  Iranslation  from  text 
ofBaiter.  Introduction,  marginal  analyses  and  short  explanatory  notes. 
8.  2  s.  —  Plato's  trial  and  death  of  Socrates:  the  Euthyphron,  Apo- 
logy,  Crito  and  Phaedo.  Translated  by  F.  J.  Church.  8.  4  s.  6  d.  — 
Schmidt,  H.,  exegetischer  Commentar  zu  Plato's  Theätet.  8.  Leipzig, 
Teubner.  n.  3  M.  20  Pf.  —  Bruns,  J.,  Plato's  Gesetze  vor  und  nach 
ihrer  Herausgabe  durch  Phihppos  von  Opus.  Eine  kritische  Studie.  8. 
Weimar,  Böhlau.  n.  3  M.  —  Plotini  Enneade.s  rec.  H.  F.  Mueller. 
Vol.  2.  8.  Berlin.  Weidmann 'sehe  Buchh.  9  M.  [S.  ob.  Bd.  XV  S.  109.] 

—  Plotin,  die  Enneaden.  Uebersetzt  von  H.  F.  Möller.  2.  Bd.  8. 
Berlin,  Weidmann'sche  Buchh.  n.  7  M.  [S.  ob.  Bd.  XV  S.  109.]  - 
Juliani  imperatoris  librorum  contra  Christianos  quae  supersunt.  Ed. 
C.  J.  Neumann.    (Scriptorum  Graecorum  qui  christianam  impugnave- 


Bibliographie.  121 

rant  religionem  quae  supersunt  fasc.  III.)  8.  Leipzig,  Teubner.  n.  6  M. 
—  Neu  mann,  K.  J.,  Kaiser  Julian's  Bucher  gegen  die  Christen.  Nach 
ihrer  Widerherstellung  übersetzt.  8.  Leipzig,  Teubner.  n.  IM.  — 
Stählin,  A.,  Justin  der  Märtyrer  und  sein  neuester  Beurtheiler.  8. 
Leipzig,  Dörffling  u.  Franke,  n.  1  M.  —  Werner,  K.,  Beda  der  Ehr- 
wĂĽrdige und  seine  Zeit.  Neue  [Titel-]  Ausgabe.  Wien,  BraumĂĽller, 
n.  3M.  —  Werner,  K,  Alcuin  und  sein  Jahrhundert.  Neue  [Titel-] 
Ausgabe.  Wien,  Braumüller,  n.  5  M.  —  Haur^au,  B.,  histoire  de 
la  Philosophie  scolastique.  Seconde  partie.  Tome  I.  8.  8  fr.  —  von 
Hertling,  G.  Frhr.,  Albertus  Magnus.  Beitrag  zu  seiner  WĂĽrdigung. 
8.  Köln,  Bachern,  n.  2  M.  —  Albertus  Magnus  in  Geschichte  und 
Sage.  Festschrift.  8.  Köln,  Bachern,  n.  1  M.  50  Pf.  —  Werner,  K., 
Gerbert  von  Aurillac,  die  Kirche  und  Wissenschaft  seiner  Zeit.  Neue 
[Titel-]  Ausgabe.  8.  Wien,  Braumuller.  n.  4  M.  —  Bloch,  Ph.,  vom 
Glauben  und  Wissen.  Saadiah's  Emunoth-we-Deoth.  [Einleitung  und 
Kosmologie.]  Aus  dem  Hebräischen  des  Jehuda  -  ihn  -  Tibbon  übersetzt. 
8.  München,  Th.  Ackermann,  n.  1  M.  60  Pf.  —  Kaufmann,  D.,  die 
Spuren  Al-BatlajĂĽsi's  in  der  jĂĽdischen  Religions-Philosophie.  Nebst  einer 
Ausgabe  der  hebräischen  Uebersetzungen  seiner  Bildlichen  Kreise.  8. 
Leipzig,  Brockhaus*  Sortiment,  n.  5  M.  —  Falckenberg,  R.,  Grund- 
zfige  der  Philosophie  des  Nicolaus  Gusanus  mit  besonderer  BerĂĽcksich- 
tigung der  Lehre  vom  Erkennen.  8.  Breslau,  Koebner.  n.  4  M.  — 
Dessauer,  M.,  Blüthen  und  Knospen  der  Humanität  aus  der  Zeit  von 
Reuchlin  bis  auf  Lessing.  8.  Zürich,  Schmidt,  n.  1  M.  20  Pf.  — 
Koch,  A.,  die  Psychologie  Descartes' systematisch  und  historisch-kritisch 
bearbeitet.  8.  München,  Kaiser,  n.  6  M.  —  de  Spinoza,  fethique. 
Premiere  partie.  De  Dieu.  Traduit  et  annot6e  par  J.  G.  Prat.  8. 
4  fr.—  Locke*s,  John,  some  thoughts  concerning  education.  With 
introducüon  and  notes  by  Rev.  Evan  Daniel.  8.  4  s.  —  Lockens, 
John,  sdlie  thoughts  concerning  education.  With  introduction  and  notes 
by  Rev.  R.  H.  Quick.  3  s.  6  d  —  L  o  cke's,  John,  the  priiiciples  of  education. 
With  inlroductory  essay  by  J.  Gill.  Is.  —  Danzel,  Th.  W.,  und  G.  E. 
Guhrauer,  Gotthold  Ephraim  Lessing.  Sein  Leben  und  seine  Werke, 
S.  Aufl.  Herausg.  von  W.  v.  Maltzahn  und  R.  Boxberger.  Liefg.  11. 
12,  13.  8.  Beriin,  Th.  Hofmann,  ä  n.  1  M.  [S.  ob.  Bd.  XVI  S.  633.]  — 
Dickraann,  E.,  Lessing  als  Theologe.  8.  Zürich,  Schmidt,  n.  50Pf.  — 
Mendelssohn's,  M.,  Schriften  zur  Philosophie,  Aesthetik  und  Apo- 
logetik. 2  Bde.  8.  Leipzig,  L.  Voss.  n.  12  M.  —  Steck,  R., 
Goethe's  religiöser  Entwicklungsgang.  8.  Dresden,  v.  Zahnes  Verlag 
in  Ck>mm.  haar  50  Pf.  —  Marbach,  0.,  Goethe's  Faust,  1.  u.  2. 
TW.  erklärt.  8.  Stuttgart,  Göschen'sche  Verlagshandl.  n.  8  MT  — 
Wohlrabe,  W.,  Kant's  Lehre  vom  Gewissen  historisch- kritisch  darge- 
stellt. 8.  Gotha,  Thienemann.  n.  80  Pf.  —  Düntzer,  H.,  Schiller's 
Leloen.  8.  Leipzig,  Fues'  Verlag,  n.  7  M.,  geb.  9  M.  —  Meurer,  Gh., 
das  Verhältniss  der  Schi  Herrschen  zur  Kant*schen  Ethik.  8.  Freiburg  i.  B., 
Herder'sche  Verlagshandl.  n.  1  M.  —  Frantz,  C.,  Schelling's  positive 
Philosophie  nach  ihrem  Inhalt  wie  nach  ihrer  Bedeutung  fĂĽr  den  all- 
gemeinen Umschwung  der  bis  jetzt  noch  herrschenden  Denkweise  fĂĽr 
gebildete  Leser  dargestellt,  3.  abschliessender  Theil.  8.  Coethen,  Schett- 
ler's  Verlag,  n.  6  M.  [S.  ob.  Bd.  XVI  S.  377.]  —  Schopenhauer, 
pensees,  maximes  et  fragments.  Traduit  annote  et  pr4c^^  d'nne  vie 
j  de  Schopenhauer  par  J.  Bourdeau.    18.   Paris,  G.  Bailliöre.    2  fr.  50  c. 

~  Ferraz,  histoire  de  la  philosophie  en  France  au  XIX.  si^cle.    Tra- 
ditionalisme  et  ultramontanisme.    8.    7  fr.  50  c. 
IH.   Zur  philosophischeii  Weltanschauung.    Corleo,  S.,  il  sistema  della  filo- 
aofia  universale,  owero  la  filosofia  deir  identitä.  Roma,  1879.  8.  10  1. 
—  Bonscinescq,  J.,    ^tudes  sur  divers  points  de  la  philosophie  des 


c 


in  Bibliographie. 

sciences.  4.  Paris,  Gauthier- Villars.  3  fr.  —  Lanigan,  St  M.,  sdence 
and  scepticism,  a  study  of  some  principles  which  influence  modern 
thought.  8.  3  s.  6  d.  —  Robert,  L.,  de  la  certitude  et  des  formes 
röcentes  du  scepticisme.  8.  Paris,  Thorin.  5  fr.  —  Power,  M.,  das 
Wesen  der  Form.  Stunden  des  Nachdenkens  ĂĽber  die  Erscheinungen 
des  Erdenlebens.  8.  Leipzig,  Wartig.  n.  2  M.  —  Wipprecbt,  R., 
der  Spiritualismus  vor  dem  Forum  der  Wissenschaft.  8.  Leipzig,  Mutze, 
n.  50  Pf.  —  Maurer.  R.,  Kampf  gegen  Materialismus  oder  die  Elec- 
tricitätslehre.  16.  Leipzig,  Finde!,  n.  1  M.  20  Pf.  —  Jankowski,  E., 
Pisticismus  und  Substanzialismus.  8.  Göthen,  Schettler^s  Verlag.   n.SM. 

IV.  Zur  Logik.  Lindner,  6.  A.,  Lehrbuch  der  formalen  Logik.  5.  Aufl. 
8.  Wien,  C.  Gerold's  Sohn.  n.  2  M.  60  Pf.  —  Bertini,  la  lopca, 
opera  postuma,  ordinata  e  pubblicata  per  cura  di  A.  Capello.  Torino. 
12.    5  1.  —  Naville.  E.,  la  logique  et  Thypothöse.    8.    5  fr. 

V.  Zur  Metaphysik.  Desdonits,  Th.,  la  metaphysique  et  ses  rapports 
avec  les  autres  sciences.    8.    5  fr. 

VI.  Zur  Naturphilosophie.  Darwin's,  Gh.,  gesammelte  Werke.  Auswahl 
in  6  Bänden.  1.  bis  4.  Liefg.  8.  Stuttgart,  Schweizerbart'sche  Ver- 
lagsbuchh.  ä  n.  1  M.  —  Pf  äff,  F.,  Schöpfungsgeschichte  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  des  biblischen  Schöpfungsberichtes.  3.  (Titel-) 
Ausg.  8.  Heidelberg,  G.  W^inter's  Univ.-Buchhandl.  n.  12  M.  —  Jen- 
sen, W.,  ĂĽber  die  Vivisection,  ihre  Gegner  und  Herrn  Richard  Wagner. 
3.  Aufl.    8.    Stuttgart,  Levy  u.  MĂĽller,    n.  75  Pf. 

VII.  Zur  Ethik,  Culturgeschlchte  und  Rechtsphilosophie.  Kirchner,  F.,  Ethik. 
Katechismus  der  Sittenlehre.  (Weber 's  illustrirte  Katechismen.  Nr.  98.) 
8.  Leipzig,  Weber,  geb.  n.  2  M.  50  Pf.  —  Dymond,  essays  on  the 
principles  of  morality.  7th  edition.  8.  7  s.  6  d.  —  Bestmann,  H.  J., 
Geschichte  der  christlichen  Sitte.  1.  Theil.  Die  sittlichen  Stadien.  8. 
Nördlingen,  Beck'sche  Buchh.,  Verlags-Gonto.  n.  8  M.  —  Ebhardt,  F., 
der  gute  Ton  in  allen  Lebenslagen.  5.  Aufl.  8.  Berlin«  Ebhardt. 
n.  8  M.,  geb.  n.  10  M.  —  Vogler,  M.,  die  Verwahrlosung  des  modernen 
Gharakters.  8.  Leipzig,  Frohberg.  n.  1  M.  20  Pf .  —  Lasker,  E., 
Wege  und  Ziele  der  Gulturentwickelung.  Essays.  8.  Leipzig,  Brock- 
haus, n.  6  M.,  geb.  n.  7  M.  20  Pf.  —  Gas  sei,  P.,  die  Juden  in  der 
Weltgeschichte.  8.  Berlin,  Gerschel.  n.  60  Pf.  —  Du  bring,  E.,  die 
Judenfrage  als  Rachen-,  Sitten-  und  Gulturfrage.  Mit  einer  weltgeschicht- 
lichen Autwort.  8.  Karlsruhe,  Reuther.  n.  3  M.  —  Lilla,  V.,  filosofia 
del  diritto.  Parte  generale.  Napoll.  8.  L.  5.  —  Stahl,  F.  J.,  histoire 
de  la  Philosophie  du  droit.  Traduite  de  Tallemand  et  pr^cöd^e  d'une 
introduction  par  A.  Ghauffard.  8,  Paris,  Thorin.  12  fr.  —  Spen- 
oer's,  H,,  the  study  of  sociology.  8th  ed.  8.  5  s.  —  Gumplowicz,  L., 
Rechtsstaat  und  Socialismus.  8.  Innsbruck,  Wagnerische  Universitäts- 
Buchh.    n.  10  M.  80  Pf. 

VIII.  Zur  Anthropologie  und  Psychologie.  He  nie,  J.,  anthropologische  Vor- 
träge. 2.  Heft.  8.  Braunschweig,  Vieweg  u.  Sohn.  n.  2  M.  40  Pf.  — 
Bain,  A.,  Geist  und  Körper.  Die  Theorien  über  ihre  gegenseitigen 
Beziehungen.  (Internationale  wissenschafU.  Bibliothek.  Bd.  30  2.  Aufl. 
8.  Leipzig,  Brockhaus.  n.  4  M.,  geb.  n.  5  M.  —  v.  Hellwald,  F., 
Naturgeschichte  des  Menschen.  Liefg.  2.  8.  Stuttgart,  Spemann.  n.  50  Pf. 
[S.  ob.  Bd.  XVI  S.  634.]  -  Hahn,  Th.,  diätetisches  Laienbrevier.  Eine 
populäre  Physiologie  und  Philosophie  der  gesunden  und  kranken  Ernäh- 
rung. 8.  Göthen,  Schettler's  Verlag,  n.  1  M.  60  Pf.  —  Wundt,  W., 
GrundzOge  der  physiologischen  Psychologie.  2.  Aufl.  2  Bde.  8.  Leip- 
zig, Engelmann.  n.  18 M.  —  Schneider,  G.,  Entwurf  einer  rationalen 
Seelenläire.  8.  Magdeburg,  Greutz'scbe  Buchh.  n.  3M.  --  Sieb  eck,  H.. 
Geschichte  der  Psychologie.  1.  Tbl.  1.  Abth.  Die  Psychologie  vor 
Aristoteles.  8.    Crotha,  F.  A.  Perthes,   n.  6  M.  —  Marion,  de  la  soll- 


Bibliographie.  123 

darit^  morale.  Essai  de  Psychologie  appiiqu^e.  8.  Paris,  6.  Bailli^re. 
5  fr.  —  Macosh,  J.,  the  emotions.  8.  9  s.—  Av^-Lallemant, 
F.  Ch.  B.,  der  Magnetismus  mit  seinen  mystischen  Verirrungen.  8. 
Leipzig,  Brockhaus.  n.  4  M.  —  Henne  -  am -Rhyn,  0.,  das  Jenseits. 
CulturgeschichUiche  Darstellung  der  Ansichten  über  Schöpfung  und  Welt- 
untergang, ^lie  andere  Welt  und  das  Gei.sterreich.  8.  Leipzig,  0.  Wi- 
gand.  n.  4  M. 
IX.  Zur  RailgiMsphllosophle.  MĂĽller,  F.  M.,  Vorlesungen  ĂĽber  den  Ur- 
sprung und  die  Entwickelung  der  Religion.  2.  Aufl.  8.  Strassburg, 
Trübner.  n.  7  M.  —  Gaird,  J.,  an  introduction  to  the  philosophy  of 
religion.  8.  10  s.  6  d.  —  Ehren hauss,  M.,  die  neuere  Philosophie 
und  der  christliche  Glaube  in  ihrem  Verhältnisse.  8.  Wittenberg, 
Wonschmann.  n,  2  M.  40  Pf.  —  6 laubrecht,  C,  Bibel  und  Natur- 
wissenschaft in  vollständiger  Harmonie,  nachgewiesen  auf  Grund  einer 
neuen  empirischen  Naturphilosophie.  2.  Bd.  8.  Leipzig,  H.  Schnitze, 
SortimenU- Conto,  n.  6  M.  [S.  ob.  Bd.  XIV  S.  120.]  —  Grübnau, 
der  Lehrbegriff  der  Kirche  aus  dem  Standpunkte  der  wissenschaftlichen 
Naturerkenniniss  betrachtet.  2.  Aufl.  8.  Berlin,  Denicke's  Verlag. 
D.  3  M.  —  Bluntschli,  J.  C,  Gespräche  über  Gott  und  Natur  und 
über  Unsterblichkeit.    8.  Nördlingen,  Beck'sche  Buchh.    n.  1  M.  50  Pf. 

—  Baur,  A.,  die  Weltanschauung  des  Ghristenthums,  8.  Blaubeuren, 
Mangold'sche  Buchh.  n.  4  M.  —  v.  Rougemont,  F.,  Man  muss  wäh- 
len. Vertheidigung  des  Ghristenthums  gegen  den  Deismus  und  Mate- 
rialismus. 8.  Hamburg,  Agentur  des  Rauhen  Hauses,  n.  3  M.,  geb. 
D.  4  M.  —  Raden  hausen,  G.,  Christen  thum  ist  Heidenthum,  nicht 
Jesu  Lehre.  8.  Hamburg,  0.  Meissner.  4  M.  50  Pf.  —  Grund  zu  ge, 
die,  der  Gesellschaflswissenschaft,  oder  physische,  geschlechtliche  und 
naifirlicbe  Religion.  6.  Aufl.  8.  Berlin,  Staude,  n.  2  M.  50  Pf.,  geb. 
n.  3  M.  50  Pf.  —  Schober  lein,  L.,  das  Princip  und  System  derDog- 
matik.  Einleitung  in  die  christliche  Glaubenslehre.  8.  Heidelberg, 
C.  Winter 's  Universitäts-Buchh.  n.  16  M.  —  Michelis,  F.,  katholische 
Dograatik.  2  Theile  in  1  Bd.  8.  Freiburg  i.  B.,  Wagnerische  Buchh. 
n.  2  M.  50  Pf. 

X  Zv  PhilMophie  der  GetcMehte.  Diercks,  G.,  Entwicklungsgeschichte 
des  Geistes  der  Menschheit.  1.  Bd.  Das  Alterthum.  8.  Berlin,  Th. 
Hoftnann.  n.  5  M.  —  Doisenberg,  W.,  Theismus  und  Pantheismus. 
Eine  geschichtsphilosophische  Untersuchung.  8.  Wien,  Faesy  u.  Frick. 
n.  5  M. 

XI.  Zur  SpradipMIosophle.  Mahn,  A.,  ĂĽber  das  Wesen  und  den  Ursprung 
der  Sprache,  sowie  auch  ĂĽber  den  Ursprung  des  Menschengeschlechts. 
8.  Berlin,  DĂĽmmler 's  Verlagsbuchhandlung.  60  Pf. -~  Steinthal,  H., 
Abriss  der  Sprachwissenschs^t.  1.  Theil.  Die  Sprache  im  Allgemeinen. 
1.  Abtheilung.  8.  Berlin,  DĂĽmmler's  Verlagsbuchhandlung,  n.  7  M. 
50  Pf.  —  Paul,  H.,  Principien  der  Sprachgeschichte.  8.  Halle,  Nie- 
meyer, n.  6  M.  —  Techmer,  F.,  Phonetik.  Zur  vergleichenden  Phy- 
siologie der  Stimme  und  Sprache.  2  Theile.  8.  Leipzig,  Engelmann, 
n.  18  M.  Inhalt:  1.  Text  und  Anmerkungen,   n.  lOM.   2.  Atlas.  n.8M. 

XIL  Zir  Pldagoglk.  Vierteljahrs-Katalog  aller  in  Deutschland  erschie- 
nenen Werke  aus  dem  Gebiete  der  Pädagogik.  Jahrgang  1880.  Juli 
bis  September.  8.  Leipzig,  Hinrichs'sche  Buchhandlung.  Verlags-Gonto. 
pro  10  Expl.  n.  2  M.  50  Pf.  —  Encyklopädie  des  gesammten  Erzie- 
huogs-  und  Unterrichtswesens,  herausgegeben  von  E.  A.  Schmid.  4.  Bd. 
1.  Abth.  2.  Aufl.    8.  .  Gotha,  Besser,    n.  6  M.    [S.  ob.  Bd.  XVI  S.  379.] 

—  Gentralblatt  für  die  gesammte  Unterrichts- Verwaltung  in  Preus- 
sen.  Registerband  zu  den  acht  Jahrgängen  1872  bis  1879.  8.  BerUn, 
BesBv'sche  Buchh.  n.  3  M.  —  Repertorium  der  Pädagogik.  Heraus- 
gegeben yon  J.  B.  HeindL  Neue  Folge.   13.  Jahrgang.   1881.   (12  Hefte.) 


124  Bibliographie. 

1.  Heft.  8.  Ulm,  EbnerVhe  Buchhndlg.  pro  cpll.  n.  5  M.  40  Pf.  — 
Rundschau  über  das  Unterrichts wesen  aller  Länder,  herausgegeben 
von  Konze  und  H.  Klosen.  1.  Jahrg.  (24  Hefte.)  1.  und  2.  Heft.  8. 
Berlin,  Issleib.  Vierteljährlich  3  M.  —  Schule  und  Haus.  Blätter 
fĂĽr  Erziehung  und  Unterricht.  2.  Jahrg.  1880-81.  (24  Nrn.)  Nr.  1. 
4.  Zürich.  Orell,  FüssH  u.  Co.  Verlag.  Halbjähri.  n.  50 Pf.  —  Schulpra- 
xis, deutsche.  Wochenblatt  fĂĽr  Praxis,  Geschichte  und  Litteratur  der 
Erziehung  und  des  Unterrichts.  1.  Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1.  4. 
Leipzig,  Wunderiich.  Vierteljährlich  1  M.  60  Pf.  —  Studien,  pädago- 
gische. Neue  Folge.  Herausgegeben  von  W.  Rein.  4.  Heft.  8.  Leip- 
zig, Pfeil,  n.  1  M.  [S.  ob.  Bd.  XVI  S.  511.]  —  Sammlung  selten  ge- 
wordener pädagogischer  Schriften  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  Her- 
ausgegeben von  A.  Israel.  Nr.  7.  8.  Zschopau,  Raschke.  2  M.  50  Pf. 
[S.  ob.  Bd.  XVI  S.  565.]  Inhalt:  Sieben  böse  Geister,  welche  heutiges 
Tages  guten  Theils  die  KĂĽster  oder  sogenannte  Dorfschulmeister  regie- 
ren. —  Di  nter's,  G.,  ausgewählte  Schriften.  Herausgegeben  von  F.Sei- 
del. Lief.  3—6.  8.  Langensalza,  Beyer  und  Söhne,  ä  n.  50  Pf.  [S. 
ob.  Bd.  XVI  S.  565.]  —  Pestalozzi,  wie  Gertrud  ihre  Kinder  lehrt. 
Bearbeitet  von  A.  Richter.  4.  Aufl.  8.  Leipzig,  Siegismund  und  Vol- 
kening.  n.  2  M.,  geh  n.  80  Pf.  —  Kellner,  L.,^ Erziehungsgeschichte 
in  Skizzen  und  Bildern.  3.  Aufl.  1.  und  2.  Bd.  8.  Essen^  Bädeker. 
ä  n.  3  M.  —  Niedergesäss,  R.,  Leitfaden  der  Geschichte  der  Päda- 
gogik. 8.  Wien,  Pichler^s  Wittwe  und  Sohn.  n.  2  M.  —  Debes,  H., 
das  Ghristenthum  Pestalozzi's.  Neue  Untersuchung  einer  alten  Streit- 
frage. 8.  Gotha,  Thienemann.  n.  1  M.  — Benfey,  R.,  Erinnerungen 
an  Friedrich  Fröbel.  8.  Goethen.  Schettler's  Veriag.  1  M.  50  Pf.  - 
Dittes,  F.,  Schule  der  Pädagogik.  3.  Aufl.  8.  Leipzig,  Klinkhardt. 
n.  10  M.  —  Niedergesäss,  R.,  allgemeine  Unterrichtslehre.  2.  Aufl. 
8.  Wien,  Pichler's  Wittwe  und  Sohn.  n.  1  M.  40  Pf.  —  Ascher,  F., 
allgemeine  Grundsätze  der  vorbeugenden  und  der  correctionellen  Erzie- 
hung. 8.  Leipzig,  Klinkhardt.  n.  60  Pf.  —  M eurer,  H.,  über  Erzie- 
hung und  Erziehungsvereine.  8.  MĂĽnster,  Nasse*sche  Verlagshandlung, 
n.  IM.  —  Förster,  E.,  der  Normal-Lehrplan  für  die  Elementarschulen 
in  Elsass-Lothringen.  8.  Strassburg,  Schmidt's  Universitäts-Buchhand- 
lung, n,  1  M.  60 Pf.  —  Krause,  F.  W.  D.,  Methodik  des  Unterrichtes 
in  den  Lehrgegenständen  der  Volksschule.  l.Thl.:  Methodik  des  Sprach- 
unterrichtes. 2.  Aufl.  1.  Heft:  Sprechen  und  Lesen.  8.  Göthen,  Schett- 
ler's  Verlag,  n.  1  M.  20  Pf.  —  Eberhardt,  K.,  die  Poesie  in  der 
Volksschule.  8.  Langensalza,  Beyer  und  Söhne,  n.  1  M.  60  Pf.  — 
Verhandlungen  der  Directoren- Versammlungen  in  den  Provinzen  des 
Königreichs  Preussen  seit  dem  Jahre  1879.  Bd.  6  u.  7.  8.  Berlin. 
Weidmännische  Buchhandlung,  n.  12  M.  [S.  ob.  Bd.  XVI  S.  565.]  - 
Inhalt:  6.  1.  Directoren-Versammlung  in  der  Provinz  Schleswig-Holstein, 
n.  7  M.  —  7.  3.  Directoren-Versammlung  in  der  Provinz  Sachsen,  n. 
3  M.  —  Hasse,  P.,  die  Ueberbürdung  unserer  Jugend  auf  den  höheren 
Lehranstalten  mit  Arbeit  im  Zusammenhange  mit  der  Entstehung  von 
Geistesstörungen.  8.  Braunschweig,  Vieweg  und  Sohn.  n.  2  M.  — 
Ueber  den  Einfluss  der  UeberbĂĽrdung  unserer  Jugend  auf  den  Gymna- 
sien und  höheren  Töchterschulen  mit  Arbeit  auf  die  Entstehung  von 
Geistesstörungen.  8.  Greifswald,  Abel.  30  Pf.  —  Symbolae  loachi- 
micae.  Festschrift  des  königl.  JoachimsthaVschen  Gymnasiums.  %  Thl. 
8.  Berlin,  Weidmann'sche  Buchh.  n.  8  M.  —  Pilger,  R.,  über  das 
Verbindungswesen  auf  norddeutschen  Gymnasien.  2.  Aufl.  8.  Berlin, 
Weidmännische  Buchh.  n.  2  M.  —  Jordan,  P.,  pro  domo.  Erwide- 
rung auf  die  BroschĂĽre  des  Gymnasial- Directors  Dr.  Pilger:  Ueber  das 
Verbindungswesen  auf  norddeutschen  Gymnasien.  8.  Luckau.  (Berlin, 
Gaertner.)    n.  60  Pf.  —  Siecke,  E.,  die  Judenfrage  und  der  Gymna- 


Recensionen-Verzeichniss.  125 

siaJlehrer.    Ein  Beilrag  zur  Richtigstellung  der  ö£fentlichen  Meinung.   8. 

Berlin,   Fr.  Luckhardt.    n.  60  Pf. 2.  Aufl.    8.    Ebda.   n.  60  Pf. 

3.  Aufl.  8.  Ebda.  n.  60  Pf.  —  Wieding,  K.,  zur  Rechtsstel- 
lung und  Verfassung  der  Christian  -  Albrechts  -  Universität  in  Kiel  seit 
ihrer  Errichtung.  4.  Kiel,  Universitäts-Buchhandlung,  n.  1  M.  20  Pf. 
—  Chronik  der  Universität  zu  Kiel.  1879.  4.  Kiel,  Universitäts- 
Buchhandlung,  n.  2  M.  —  Auzias-Turenne,  runiversitä  de  Paris 
au  Xllle  siecle.  Organisation ;  ^tudes ;  vie  des  escholiers.  Paris.  8.  — 
Rfihle,  H.,  über  die  Bedeutung  der  deutschen  Universitäten  für  das 
Gedeihen  des  Vaterlandes.  8.  Bonn,  Cohen  und  Sohn.  n.  60  Pf.  — 
de  Lag ar  de,  P.,  aus  dem  deutschen  Gelehrtenleben.  AktenstĂĽcke  und 
Glossen.    8.    Göttingen.  Dieterich'sche  Buchh.    n.  2  M.  50  Pf. 


Becensionen  -Yerzeichniss. 

Adamson,  ĂĽber  Kantus  Philosophie,  ĂĽbers,  von  Schaarschmidt.    (Dtsche. 

Literaturztg.  10  v.     .  Eucken.) 
Apulei  de  deo  Socratis  ĂĽber.  Ed.  LĂĽtjohann.   (Academy  443  v.  R.Ellis.) 
Äristotelis  Ethica  ed  Ramsauer.     (Philol.  Anzeiger  1879 — 80,  Nr.  4  ▼. 

F.  Susemihl.) 
Ă„ristotelis  ethica  Nicomachea  recogn.  Susemihl.    (L.  C.  44.) 
Aristo tle  the  fifth  book  of  the  Nicomachean  Ethics  ed  Jacobson.  (Philol. 

Anz.  1879—80,  4  v.  Susemihl.) 
Aristo  tle,   the  moral  philosophy  by  W.  M.  Hat  eh.    (Philo!.  Anzeiger 

1879—80,  Nr.  4  v.  F.  Susemihl.) 
Bahnsen,  der  Widerspruch  im  Wissen|  u.  Wesen  der  Welt.  (Voss.  Ztg.  317.) 
Bernays,  zwei  Abhandlungen  ĂĽber  die  Aristotelische  Theorie  des  Drama. 

(L.  C.  48.) 
Bernays,   Grottsched   und  Goethe.    (Voss.  Ztg.,   Sonntagsbeil.  46.  47.  v. 

H.  Pröhle.) 
Bernstein,  Natur  und  Cultur.    (Literar.  Mercur  1.) 
Bestmann,  Geschichte  der  theologischen  Sitte.  1.  Thl.   (Theol. Litbl. 47.) 
Bocke nmĂĽller,  Studien  zu  Lucrez  und  Epicur.    (Jahresbericht  d.  class. 

Allerthumswiss.  1879,  11  v.  A.  Brieger.) 
Bell  ig  er,  Das  Princip  der  Causalität.    (Ztschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Kritik, 

N.  F.  77,  Ergänzungsheft.) 
BĂĽchner,  aus  dem  Geistesleben  der  Thiere.    (Lit.  Mercur  1.) 
Carriöre,   Kunst  im  Zusammenhange  der  Culturentwickelung.    Band  5. 

Das  Weltalter  des  Geistes  im  Aufgange.    (Gegenwart  49.) 
Cook  Wilson,  Aristotelean  studies.    I.    (Philol.  Anz.  1879—80,   Nr.  4 

V.  F.  Susemihl.) 
Danzel  und  Guhrauer,  Lessing.    (Lit.  Mercur  1  v.  B.  A.  Wagner.) 
Döring,  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik.    (Vierteljahrsschr.  für  wiss. 

Philos.  4,  4.) 
Doxographi  Graeci  rec  Diels.    (Dtsche.  Literaturztg.  7  v.  E.  Zeller.) 
du  Prel,  die  Planetenbewohner  und  die  Nebularhypothese.    (L.  C.  45.) 
Ecker,  Lorenz  Oken.    (Dtsche  Literaturztg.  6  v.  H.  Cohen.) 
Eucken,  R.,  ĂĽber  Bilder  und  Gleichnisse  in  der  Philosophie.   (L.  C.  48.) 
Fröhlich,  Grundlehren   der   Schulorganisation.     (Dtsche.   Schulztg.   44, 

Beilage  von  Dr.  Färber.) 
Girard,  la  philosophie  scientifique.  (Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  4, 4.) 
Goebel,  K.,  ĂĽber  den  Platonischen  Parraenides.  (L.C.46  v.  W[o]hlr[a]b.) 
Grant- Allen,  der  Farbensinn.    (Dtsche  Literaturztg.  6.) 
Grimm,  Goethe.    2.  Aufl.    (L.  C.  47.) 
GrĂĽn,  CiĂĽturgeschichte  des  17.  Jahrhunderts.    (Liter.  Mercur  4.  5.) 


1 26  Recensionen  -  Verzeichniss. 

Harms,  die  Philosophie  in  ihrer  Geschichte.   (Ztschr.  f.Philos.  u.  philos. 

Kritik  77,  Ergänzungsheft  ▼.  Ulrici;  Voss.  Ztg.,  Sonntagsheil.  48.) 
y.  Hartmann,  zur  Geschichte  und  BegrĂĽndung  des  Pessimismus.  (Voss. 

Ztg.  305.) 
V.  Hartmann,  die  Krisis  des  Ghristenthums.    (Voss.  Ztg.  307.) 
Hill  ehr  and,  six  lectures  on  the  history  of  Grerman  thaught  from  the  se- 

Yen  year*s  war  to  Goethe^s  Death.    (Academy  443  â–Ľ.  M.  Greighton.) 
Hoff  ding,   die  Grundlage  der  humanen  Ethik.    (Dtsche  Literaturztg.  9 

V.  G.  V.  Gizycki.) 
V.  Holtzendofff,  Wesen  und  Werth  der  öflFentlichen  Meinung.    (Jahrb. 

f.  Gesetzgeb.  u.  Volkswirthsch.  4,  3.  4.) 
Hoppe,  J,  J.,  die  persönliche  Denkthätigkeit.  (Voss.  Ztg.,  Sonntagsbeil. 46.) 
Huber,  das  Gedächtniss.    (Ztschr.  f.  Philos.  u.  phil.  Kritik,  N.  F.  77,  Er- 
gänzungsheft.) 
V.  Humboldt,  Ansichten  ĂĽber  Aesthetik  und  Literatur.    (L.  C.  48.) 
Jensen,  Vivisection.    (Dtsch.  Frauenanwalt  11  v.  A[nna]  S[imsou].) 
Kaas,   die  Lehre  des  Aristoteles  von  der  Lust.    (Philol.  Anz.  1879—80, 

Nr.  4  V.  F.  Susemihl,) 
Kirchmann,  dieTheodicee  vonLeibniz.   (Theol. Quartalschr. 62, 4 v. Ege.) 
Knauer,  G.,  Seele  und  Geist  und  das  Phantom  der  Ichlichkeit.    (Dtsche. 

Literaturztg.  6  v.  G.  Ueberhorst.) 
Laban,  die  Schopenhauer-Literatur  (Im  neuen  Reich  44.) 
Lasker,  Wege  und  Ziele  der  modernen  Culturentwickelung.   (LitHercur 

4.  5  â–Ľ.  Dr.  L.  Hamburger.) 
Lehmann,  Kant*s  Principien  der  Ethik  und  Schopenhauer *s  BeurtheĂĽung 

derselben.    (Lit.  Hercur  3.) 
Lippert,  der  Seelencult.  (Lit.  Mercur  3;  Voss.  Ztg.,  Sonntagsbeil.  48.) 
Lorenz,  0.,  über  Gymnasialwesen,  Pädagogik  und  Fachbildung.  (Ztschr. 

f.  Gymnasialwesen  10  v.  Heien.) 
Meydenbauer,  Kant  oder  La  Place?    (L.  C.  50.) 
'Monrad,  Denkrichtungen  der  neueren  Zeit.    (Dtsche. 'Literaturztg.,  Nr.  8 

V.  J.  B.  Heyer.) 
MĂĽller  StrĂĽbing,  die  attische  Schrift  vom  Staate  der  Athener.  (Philol. 

Anz.  10.  6  V.  F.  KĂĽhl.) 
V.  Orelli,  Rechtsschulen  und  Rechtsliteratur  in  der  Schweiz  vom  Ende 

des  Mittelalters  etc.    (Jahrb.  f.  Gesetzgebg.  u.  Volksw.  4,  3.  4.) 
Pf  leiderer,  Grundriss  der  christl.  Glaubens-  und  Sittenlehre.  ,(Prot.Kir- 

chenztg.  43.  44.  45  v.  R.  A.  Lipsius.) 
Pöhlmann,    hellenische  Anschauungen   über  den   Zusammenhang  von 

Natur  und  Geschichte.    (Philol.  Anz.  1879—80,  Nr.  4  v.  Kühlewein.) 
Preyer,  naturwissenschaftlidie  Thatsachen  und  Probleme.    (Lit.  Mercur  3 

V.  Dr.  H.  Spatzier.) 
Quäbicker,  Karl  Rosenkranz.    (Ztschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Kritik.  N.  F. 

77,  Ergänzungsheft  v.  Richter.) 
R^e,  der  Ursprung  der  moralischen  Empfindungen.  (Im  neuen  Reich 44.) 
Rethwisch,   der  Begriff  der  Definition   und  seine  Bedeutung  fĂĽr  die 

menschliche  Entwicklungslehre.    (Voss.  Ztg.  331.) 
Rethwisch,  der  Staatsminister  Freiherr  von  Zedlitz.    (Dtsche.  Schulztg. 

44,  Beilage.) 
Richter,  der  Uebergang  der  Philosophie  zu  den  Deutschen  im  6.  bis  11. 

Jahrh.    1.  ThI.    (Ztschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Kritik  77,   Ergänzungs- 
heft V.  Hoffmann.) 
Riehl,   der  philosophische  Kriticismus.    Bd.  1.    (Viertel jschr.  f&r  wiss. 

Philos.  4,  4  V.  Gizycki.) 
Rosenthal,  die  monistische  Philosophie.    (L.  G.46  von  C.  U[eberhor]st.) 
RĂĽlf,  der  Einheitsgedanke.    (Liter.  Mercur  2.) 
gayce,  introduction  to  the  science  of  language.    (L.  G.  49.) 


Aus  Zeitschriften.  127 

Schcllwien,  der  Wille.    1,  Thl.    (Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  4,  4). 
Schneider,  6.  H.,  der  thierische  Wille.  (Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  4, 4.) 
SchĂĽtze,  praktische  Katechetik.    (Dtsche.  Schulztg.  44,  Beil.) 
Simehowitz,  der  Positivismus  im  Hosaismus.    (Im  neuen  Reich  47.) 
Sterne,  Werden  und  Vergehen.    (Gegenwart  49  v.  F.  v.  Hellwald.) 
Strümpell,  psychologische  Pädagogik.    (AUg.  Ztschr.  f.  Lehrerinnen  22 

Y.  Wendt;  L.  C.  50.) 
Susemi  hl,  de  recognoscendis  Ethicis  Nicomacheis  diss.  I.  IL  (Philol.  Anz. 

1879-80,  Nr.  4.) 
TeichmĂĽller,  neue  Studien  zur  Geschichte  d)Ăźr  Begriffe.   Heft  3.   (Philol. 

Anz.  1879—80,  Nr.  4  v.  F.  Susemihl.) 
Tobias,  Grenzen  der  Philosophie.    (Altpreussische  Honatsschr.  17,  5—6 

V.  Bahnsen.) 
Witte,  die  Philosophie  unserer  Dichterheroen.    Bd.  1.    (L.  G.  50.) 
Wandt,  Logik.    1.  Bd.    (Ztschr.  für  Philos.  u.  philos.  Kritik  77,   Ergän- 

zungsfaeft  Y.  Rabus.) 


Aus  ZeltBchrlften. 

V1«rtdl«lirtt€hrift  «r  wlttenschaftltche  Philosophie.  Bd.  IV.  Heft.  1. 
£.  Laas,  Die  Gausalit&t  des  Ich  (I.).  —  F.  Tönnes,  Anmerkungen  über 
die  Philosophie  des  Hobbes  (IL).  —  Schmitz -Dumont,  Zur  Raum- 
frage. —  A.  Spir,  Drei  Grundfragen  des  Idealismus.  II.  Von  dem  Unter- 
schied zwischen  der  normalen  und  der  empirischen  Natur  der  Dinge.  — 
Recensionen:  A.  Sidgwick,  The  Methods  of  Ethics,  «Ethics*  in  Encyclo- 
paedia  Britannica.  —  Entgegnungen :  A.  Horwicz,  W.  Wundt,  Die  Prio- 
rität des  Gefühls;  W.  Wundt,  Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  des  Herrn 
B.  Erdmann  «zur  zeitgenössischen  Psychologie  in  Deutschland.  —  Selbst- 
anieigen.  —  Heft  2.  G.  Sem  per,  Ueber  die  Anwendbarkeit  der  monophy- 
ktischen  und  polyphyletischen  Abstammungshypothese.  —  E.  Laas,  Die 
Caosalität  des  Ich  (IL).  —  J.  Bergmann,  Idealistische  Differenzen  etc. — 
Eine  Entgegnung.  —  Recensionen.  —  Selbstanzeigen.  —  Heft  3.  A.  Hor- 
wicz.  Zur  Lehre  Yon  den  körperlichen  Gemeingefühlen.  -~  E.  Laas,  Die 
Gaosalität  des  Ich.  —  A.  Spir,  Drei  Grundfragen  des  Idealismus.  IIL 
(SehlnsB.)  Von  der  Natur  und  der  Einheit  des  Ich.  —  Recensionen.  — 
Seihstanzeigen.  —  Heft  4.  J.  Jacobson,  Ueber  physische  Geometrie.  — 
P.  Tönnies,  Anmerkungen  über  die  Philosophie  des  Hobbes  (IIL).  — 
C  Sigwart,  Logische  Fragen:  Ein  Versuch  zur  Verständigung  (L).  — 
Recensionen.  —  Berichtigung,  von  W.  Schuppe.  —  Selbstanzeigen. 

Verhaftdluiigeii  der  phllotophitchen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Heft  18. 
l.Discussion  ĂĽber:  Es  gibt  kein  Leben  ohne  Bewusstsein.  2.  Hau,  Jul., 
Ueber  Wesen  und  Bedeutung  des  Wahrnehmens. 

â– hid.  A  quarterly  review  etc.  London,  Williams  and  Norgate.  Nr.  XXI. 
January  1881.  Sully,  T.,  Illusions  of  Introspection.  —  Venn,  J.,  Our 
Gontrol  of  Space  and  Time.  —  Shadworth  H.  Hodgson,  M.  Renouvier^s 
Philosophy-Logic.  —  D.  Greenleaf  Thompson,  The Sumnum  Bonum. — 
Herb.  Spencer,  Replies  to  Griticisms  on  The  Data  of  Ethics.  —  Notes 
and  Discusdons.  —  Gritical  Notices.  —  New  Books.  —  Miscellaueous. 

Revne  phllMopMqiio  de  la  France  et  de  Tätranger.  Dir.  par  Th.  Ribot. 
Paris,  S.  BaiUiöre  et  Go.  1880.  Nr.  12.  L.  Liard,  La  m^thode  et  la 
mathi^atique  universelle  de  Descartes.  —  G.  Gompayrä,  La  folie  chez 
Tenfant.  —  Herbert  Spencer,  II,  De  Torganisation  politique  en  g^n^ral. 
—  Notes  et  discussions:  Sur  la  fusion  des  sensations  semblables,  par  J. 
Ddboeaf.  —  Analyses  etcomptes  rendus:  Karl  Rosenkranz;  Von  Hagde* 


128  MisceUen. 

bürg  bis  Königsberg.  —  Notices  bibliographiques:  Dr.  Netter,  De  l'in- 
tuition  dans  les  d^ouvertes  etainventions,  etc.  —  A  Poley,  M.  Littr^  et 
A.  Comte.  —  Goste,  Dieu  et  Täme;  essai  d'id^alisme  exp^rimental.  — 
Th.  Bernard,  Elements  de  philosophie.  —  R.  Euckeu,  Ueber  Bilder 
und  Gleichnisse  in  der  Philosophie.  —  TeichmQller,  Die  Reihenfolge 
der  platonischen  Dialoge.  —  Bloch,  Quellen  und  Parallelen  zu  Lessing's 
Nathan.  —  Sergi,  Le  dottrine  morali  in  relazione  alla  realtä.  —  E.-J. 
Varona,  La  evolucion  psicologica.  —  Revue  des  p^riodiques:  Brain, 
Archives  de  physiologie.  —  La  critique  philosophique.  —  La  philosophie 
positive.  -     Revue  de  Thistoire  des  religions,  etc.  etc. 

La  ffllosofia  delle  tcuole  Itallane,  rivista  bimestrale.  Roma  Vol.  XXII. 
2a.  Fei.  Tocco,  Filosofia  di  Kant.  —  L'Analitica  dei  principii.  —  Te- 
renzio  Mamiani,  Sulla  Psicologia  e  la  Gristica  della  Gonoscenza.  Quarta 
ed  ultima  lettera  al  prof.  Sebastiano  Turbiglio.  — -  A.  Ghi  anpell i,  Del 
vero  senso  deir  airia  (causa)  nel  Filebo  platonico.  —  Bibliografia:  1)  F. 
Balsano  e  V.  Julia.  —  2)  A.  Valdarnini.  —  3)  J.  T.  Hoppe.  —  4)  Vin- 
cenzo  di  Giovanni.  —  5)  A.  Pozzi.  —  Periodici  di  Filosofia. 


Miseellen. 


Prof.  L.  Rah  US  in  Erlangen  bat  sich  an  der  dortigen  Universität 
als  Docent  der  Philosophie  habilitirt.  Dr.  Neudecker  dagegen  ist  nicht 
in  Erlangen,  wie  irrthQmlich  gemeldet  worden  war,  sondern  in  WĂĽrzbuiig 
Privatdocent  geworden. 


Spinoza -Ausgabe. 

Das  Haupt-Gomit^  fĂĽr  die  Errichtung  eines  Denkmals  fĂĽr  Spinoza 
hat  bei  seiner  Auflösung  den  Beschluss  gefasst,  die  noch  übrigen  Gelder 
zur  Unterstützung  einer  neuen  stattlichen  Ausgabe  der  sämmtlichen  Werke 
Spinoza's  zu  verwenden,  und  hat  die  Herren  Dr.  J.  van  Vioten  und 
Prof.  Dr.  J.  P.  N.  Land  beauftragt,  diese  Ausgabe  vorzubereiten. 

Im  Interesse  der  Unternehmung  wird  jetzt  eine  freundliche  Bitte  ge- 
richtet an  alle  Herren  Bibliothekare  und  Besitzer  von  Autographen  um 
Mittheilung  etwaiger  Hss.  und  Autographen  Spinoza's,  damit  die  Ausgabe 
so  vollständig  wie  möglich  erscheine. 

Gef.  Mittheilungen  aller  Art  bittet  man  zu  richten  an  die  Verlags- 
buchhandlung von  Martinus  Nijhoff  im  Haag. 


Bvchdnickerei  Ton  P.  Nvusserin  Bonn. 


DeiMr  tie  tegisekeR  Sckwierigkeiteo  ir  der  eiRfaekstoR  Von 

der  Begriffgbildug. 


Bis  zu  welcher  Tiefe  und  Strenge  man  auch  die  Bedeu- 
tung des  Begriffes  im  logischen  Sinne  entwickelt  zu  sehen 
wĂĽnschen  mag,  so  wird  man  es  doch  keinesfalls  als  unrichtig 
bezeichnen  dĂĽrfen,  wenn  der  Logiker  von  der  einfachen, 
weiten  und  allbekannten  Bestimmung  den  Ausgang  nimmt, 
dass  der  Begriff  etwas  vielem  Einzelnen  Gemeinsames 
zusammenfasse.  Freilich  wird  man  bei  dieser  Bestimmui^ 
nicht  stehen  bleiben  dĂĽrfen.  Denn  versteht  man  unter  Begriff 
nichts  Anderes  als  das  Denken  gemeinsamer  Merkmale,  so 
können  die  Vorstellungen  „blaues  Glas",  „rauchiges  Zinuner'\ 
,4iolpriger  Vers"  u.  dgl.,  falls  ihnen  eine  Mehrheit  entsprechender 
Einzelanschauungen  zu  Grunde  liegt,  den  gleichen  Anspruch 
auf  den  Namen  Begriff  erheben,  wie  etwa  die  Vorstellung 
mit  dem  Inhalte  „Figur  von  drei  geraden  Linien  begrenzt" 
oder  „sinnlich-vernünftiges  Wesen"  u.  dgl.  Und  doch  konunt 
unstreitig  den  zuletzt  genannten  Vorstellungen  ein  wesentlich 
anderer  und  ungleich  grösserer  logischer  Werth  zu.  Es  wird 
daher  Aufgabe  der  Logik  sein,  zu  untersuchen,  welche  be- 
stimmteren und  bedeutungsvolleren  logischen  Forderungen 
sieh  an  jene  ganz  allgemeine,  allen  beliebigen  Möglichkeiten 
Spiekaum  lassende  logische  Nöthigung,  die  Einzelvorstellungen 
nach  ihren  gemeinsamen  Merkmalen  zusammenzufassen,  mit 
unabweisbarer  Nothwendigkeit  knĂĽpfen;  sie  wird  die  auf  das 
Gemeinsame  im  weitesten  Sinne  sich  beziehende  Einigung  der 
Vorstellungen  in  eine  strengere,  logisch  werthvoUere  Bindung 
derselben  umzuprägen  haben,  wobei  jene  laxere  Emigung  als 
erste  Stufe  des  Begriffs  bestehen  bleibt. 

Gegen  die  Bestimmung  des  Begriffs  als  der  Zusammen- 
iassong  des  Gemeinsamen  hat  man  viele  Bedenken  erhoben. 
Wird  freilich  der  Begriff,  wie  dies  z.  B.  bei  Drobisch  der 
Pall  ist  (Logik,  4.  Aufl.  §  1 8  ff.),  über  diese  Auffassung  nicht 
wesentlich   hinausgefĂĽhrt,  so  sind  solche  Bedenken  nur  zu 

Philosoph.  Monatahefte  1881,  III.  9 


130  J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

begrĂĽndet.  Dagegen  wĂĽsste  ich  nicht,  was  sich  Erhebliches 
gegen  jene  Bestimmung  einwenden  Hesse,  wenn  man  ihr 
lediglich  die  Geltmig  einer  ersten,  noch  ganz  abstracten  und 
daher  zu  ĂĽberschreitenden  Stufe  zuerkennt.  Dabei  kommt 
es  nicht  darauf  an,  ob  man,  wie  Ueberweg  thut  (Logik, 
3.  Aufl.  §  51),  das  Reflectiren  auf  die  gemeinsamen  oder 
gleichartigen  Merkmale  noch  nicht  als  Begriff,  sondern  erst 
als  „allgemeine  Vorstellung",  „Gemeinbild^*  u.  dgl.  bezeichnen 
und  den  Ausdruck  „Begri£f^^  für  die  Vorstellung  der  wesent- 
lichen Gattungsmerkmale  aufsparen  will.  Diese  Frage  betrifft 
nur  die  sprachliche  Benemiung. 

Die  Logik  hat  zur  unumgänglichen  Voraussetzung,  dass 
man  die  logische  oder  denknothwendige  VerknĂĽpfung 
der  Vorstellungen  als  eine  absolute  Forderung  anerkenne. 
Ohne  diese  Voraussetzung  kann  die  Logik,  was  ich  hier  frei- 
lich nicht  darthun  kann,  auch  nicht  den  kleinsten  Schritt 
thun.  In  der  Lehre  vom  Begriff  mm  wird  sie  zu  zeigen 
haben,  dass  die  logische  VerknĂĽpfung  der  Vorstellungen  nur 
unter  der  Bedingung,  dass  diese  den  Charakter  des  Allge- 
meinen tragen,  möglich  sei,  und  dass  daher  die  logisch 
unabweisbare  Forderung  bestehe,  die  Vorstellungen  auf  die 
Stufe  des  Allgemeinen,  d.  h.  der  Begriffe  zu  heben;  das 
erste  Stadium  nun  in  der  ErfĂĽllung  dieser  Forderung  sei  die 
Zusammenfassung  der  gemeinsamen  Merkmale  im^weitesten 
Sinne  des  Wortes. 

Nur  auf  einen  der  neuesten  Bekämpfer  dieser  Bestimmung 
des  Begriffs  will  ich  hinweisen:  auf  Sigwart.  Er  wendet 
ein,  dass,  wenn  die  Begriffe  durch  eine  Sonderung  der  gemein- 
samen Merkmale  der  Objecte  von  den  sie  unterscheidenden 
Merkmalen  und  durch  die  Zusammenfassung  jener  zur  Einheit 
entstünden,  hierzu  selbst  schon  Begriffe  nöthig  wären;  denn 
wer  ein  Object  überhaupt  in  seine  Merkmale  auflösen  wolle, 
mĂĽsse  doch  urt heilen;  im  Urtheilen  aber  seien  stets  Begriffe 
enthalten  (Logik,  I,  S.  273  f.).  Indessen  verschwindet  dieser 
scharfeinnige  Einwand,  wenn  man  das  Werden  des  Begriffs 
unbefangen  psychologisch  betrachtet.  Erstlich  geschieht  es 
in  der  Seele  ganz  unwillkürlich,  dass  ähnliche  Vor- 
stellungen in  ihren  gemeinsamen  Merkmalen  in  gewisser  Welse 


J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc.  181 

zusammengehen,  sich  uns  als  relativ  gleich  kund  thun  und 
so  zu  beweglichen,  schwankenden  Vorstellungsschemata  zu- 
sammenrinnen. Es  ist  fĂĽr  uns  einerlei,  aus  welchen  Functionen 
der  Seele  man  diesen  Vorgang  ableitet;  genug,  es  ist  klar, 
dass  ffir  diese  schon  in  der  frĂĽhesten  Kindheit  beginnende 
unwillkĂĽrliche  Vereinheitlichung  der  Vorstellungen  nach  ihren 
gemeinsamen  Merkmalen  kein  Operiren  mit  Begriffen  nöthig 
ist.  Sind  nun  einmal  diese  Vorstellungsschemata  gebildet, 
dami  bedarf  es  nur,  wenn  hieraus  Begriffe  entstehen  sollen, 
einer  gewissen  geschärften,  bewusstenEinheitsfunction  der 
Seele.  Die  gemeinsamen  Merkmale,  die  schon  in  den  Vor- 
stellungsschemata zu  einer  ungefähren  Einheit  zusammen- 
gegangen sind,  werden  uns  dadurch  als  gemeinsame  Merk- 
male, d.  h.  in  ihrer  die  entsprechenden  Objecte  einigenden 
Function  ausdrĂĽcklich  bewusst,  wodm'ch  es  sofort  zu 
einer  schärferen  und  sichereren  Fixirung  des  Gemeinsamen 
kommen  muss.  -  Ohne  die  Bethätigung  einer  solchen  der  Seele 
ursprĂĽnglich  innewohnenden  Function  der  Einigung  wird  sich 
die  Sonderung  und  Zusammenfassung  der  gemeinsamen  Merk- 
male allerdings  nicht  begreifen  lassen;  ja  selbst  bei  dem 
Entstehen  jener  Vorstellungsschemata  ist  die  einigende  Thätig- 
keit  der  Seele  unbewusst  betheiligt.  Doch  ist  diese  Einheits- 
function  durchaus  noch  kein  fertiger  Begriff,  so  dass  der  von 
Sigwart  gerĂĽgte  Cirkel  in  der  Definition  des  Begriffes  keines- 
wegs vorhanden  ist  *). 

Nebenbei  sei  hier  bemerkt,   dass  diejenigen,  welche  die 


1)  Sigwart  weist  in  demselben  Zusammenhange  noch  auf  einen 
anderen  Cirkel  hin,  der  in  der  obigen  Definition  des  Begriffes  enthalten 
sein  soll.  Wer  den  Begriff  aus  dem  Abstractionsprocess  entstehen  lasse» 
setze  voraus,  dass  der  Kreis  der  zu  vergleichenden  Objecte  schon  irgend- 
wie begrenzt  sei;  dies  aber  sei  nur  möglich,  wenn  bereits  eine  allge- 
meine Vorstellung  vorhanden  war,  mit  deren  HĂĽlfe  dieser  bestimmte 
Kree  von  Objeeten  als  zusammengehörig  herausgehoben  wurde  (a.a.O.I, 
S,974).  Dieser  vermeintliche  Cirkel  Ifisst  sich  ganz  ähnlich  wie  der  obige 
beseitigen.  —  Ud^rigens  kommt  auch  Sigwart  schliesslich  zu  der  Bestimmung, 
dass  im  Begriff  das  Gemeinsame,  das  schon  im  Einzelnen  unbestimmt 
QDd^  mit  ihm  vermischt  gedacht  werde,  sicher  fizirt  und  genau  abgegrenzt 
worde  (a.  a.  0. 1,  S.  277).  Etwas  Anderes  will  ja  aber  doch  wohl  die  von 
SSgwart  angegriffene  Definition  nicht  sagen. 


132  J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

Mitwirkung  einer  der  Seele  innewohnenden  einigenden  Thätig- 
keit  bei  der  Bildung  des  Begriffes  leugnen,  eine  grosse  Unbe- 
sonnenheit begehen.  Der  Sensualismus  hält  es  für  selbst- 
verständlich, dass  das  Nebeneinanderbestehen  oder  Aufein- 
anderfolgen von  Vorstellungen  als  solches  schon  zugleich  ihr 
FĂĽreinandersein,  ihr  Aufeinander- bezogen -werdefti,  ihr 
Zusammentreffen  in  einem  ideellen  bewussten  Einheitspunkte 
in  sich  enthalte  oder  aus  sich  erzeugen  könne.  Und  d^ch 
wĂĽrden  die  .Vorstellungen  in  alle  Ewigkeit  sozusagen  von 
einander  getrennte  ideelle  Atome  bleiben,  wenn  nicht  eine 
ideeUe  Einigungsfunction  da  wäre,  die  sie  für  einander 
bewusst,  sich  gegenseitig  durchsichtig  machte  und  so  in 
eine  bewusste  Einheit  zusammengehen  Hesse.  Sonst  wĂĽrden 
ja  die  Vorstellungen  nebeneinander  hin-  und  hertaumeln, 
ohne  dass  die  eine  von  der  anderen  wĂĽsste. 

Wundt  stellt  die  Ansicht  auf,  dass  es  hauptsächlich  die 
Constanten  Bewegungsempfindungen,  und  die  gleichfalls  con- 
stanten  GemeingefĂĽhle  seien,  woraus  das  Selbstbewusstsein 
entspiinge  (Psychologie,  S.  716).  Allein  es  fragt  sich,  woher 
es  komme,  dass  wir  dieser  Empfindungen  in  der  Form  des 
Constanten  inne  werden,  und  warum  nicht  vielmehr  ein 
jedes  der  Empfindungselemente,  aus  denen  sie  sich  successive 
zusammensetzen,  mit  discreter  Bewusstheit  ausgestattet  sei. 
Und  die  Berufung  auf  die  einheitliche  Verbindung  der  ver- 
schiedenen Nervenorgane  (a.  a.  O.  S.  715)  ist  doch  wohl  eine 
allzuschwache  StĂĽtze  fĂĽr  die  Concentration  der  Empfindungen 
auf  einen  ideellen  Punkt,  als  dass  sie  einer  ernsthaften  Wider- 
legung bedĂĽrfte. 

Ist  nun  also  schon  zu  diesem  Zwecke  des  einfachen 
bewussten  Zusammenbringens  der  Vorstellungen  ein  ideeller 
activer  Einheitspunkt  nöthig,  um  wieviel  dringender  wird 
diese  Forderung,  wenn  es  sich  um  das  Zustandekommen 
einer  viel  complicirteren  und  eigenthĂĽmlicheren  Einheit,  der 
Einheit  des  Begriffes,  handelt! 

Ich  komme  nun  wieder  auf  meinen  Gegenstand  zurĂĽck 
und  gehe,  wie  gesagt,  davon  aus,  dass  der  Begriff  zunächst 
in  der  Aussonderung  und  Zusammenfassung  des  Gemeinsamen 
in  den  Vorstellungen  bestehe.   Und  ich  habe  ĂĽberhaupt  nicht 


J.  Volkeli:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc  133 

die  Absicht,  in  diesem  Aufsatze  ĂĽber  diese  primitive  Gestalt 
des  B^friffes  hinauszngehen.  Es  erheben  sich  nämlich  gleich 
auf  dieser  einfachsten  Stufe  soviel  Schwierigkeiten,  und  zwar 
nicht  nur  hi  psychologischer,  sondern  auch  —  und  dies  wird 
uns  hier  vor  Allem  beschäftigen  —  in  logischer  Beziehung, 
dass  es  wohl  lohnt,  diese  vielfach  missachtete  Bestimmung 
des  Begriffs  auftnerksam  zu  betrachten. 

Man  sa|^  gewöhnlich,  dass  die  Begriffe  durch  „Abstrac- 
tion"  gebildet  werden,  d.  h.  durch  Absonderung,  Fortlassung 
der  nicht  gemeinsamen  Merkmale.  Hiemach  wĂĽrde  man  in 
dem  Begriffe  ausschliesslich  die  gemeinsamen  Merkmale 
denken.  So  stellt  z.  B.  Dro bisch  die  Sache  dar  (Logik, 
§18 f.);  und  auch  Ueberweg  lässt  den  Begriff,  wiewohl  er 
ihn  in  anderer  Beziehung  weit  ĂĽber  die  Bestimmungen  der 
herkömmlichen  Logik  hinausfährt,  durch  „Reflexion  auf  die 
gleichartigen  und  Abstraction  von  den  ungleichartigen  Merk- 
malen*' entstehen  (Logik,  §51).  Indessen  ist  doch  leicht  ein- 
zusehen, dass  hiermit  etwas  nicht  etwa  bloss  Unvollständiges, 
sondern  logisch  Unmögliches  gefordert  ist. 

Soviel  freilich  ist  klar,  dass  beim  Denken  eines  Begriffes 
(z.  B.  der  Bewegung)  in  ausdräcklicher  Bestimmtheit 
weder  an  ein  einzelnes,  noch  an  mehrere,  noch  auch  an  alle 
unterscheidende  Merkmale  gedacht  werden  darf.  Das  Ziel 
des  Vorstellens  darf,  wenn  dabei  ein  Begriff  herauskommen 
soll,  nicht  in  den  unterscheidenden  Merkmalen  liegen.  Sobald 
ich  mär  die  Bewegung  ausdrucklich  als  einen  gewissen 
Grad  von  Geschwindigkeit  besitzend  oder  als  geradlinig,  oder 
als  theils  geradUnig,  theils  krummlinig  vorstelle,  habe  ich 
jener  unumstösslichen  Hauptforderung,  die  Vorstellungen  auf 
die  Stufe  des  Allgemeinen  zu  erheben,  nicht  GenĂĽge  geleistet. 
Doch  wenn  auch  nicht  ausdrucklich  an  die  unterscheidenden 
Merkmale  gedacht  werden  darf,  so  dĂĽrfen  sie  doch  auch  nicht 
geradezu  fortgelassen  werden.  Die  gemeinsamen  Merkmale 
als  solche,  d.  h.  absolut  getrennt  von  aller  Beziehung  auf 
die  unterscheidenden  Merkmale,  sind  ein  logisches  Unding; 
sobald  man  sie  ernstlich  denken  will,  lösen  sie  sich  auf  in 
an  undenkbares  Nichts.  Das  Gemehisame  erhält  Sinn  nur  durch 
die  mitgedachten  Unterschiede,  es  hängt  untrennbar  an  ihnen. 


134  J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

Hierauf  wurde  man  schon  öfters  au&nerksam.  Fortlage 
hält  den  seiner  „beweglichen^*  Elemente  entkleideten  Begriff 
fĂĽr  eine  Fiction,  fĂĽr  etwas,  was  sich  im  Processe  unseres 
wirklichen  Denkens  niemals  vollziehe.  Im  besten  Fall  sei 
der  Begriff  eines  Baumes,  welcher  weder  Blätter  hat,  noch 
auch  keine  hat,  welcher  weder  jung  noch  alt  ist,  ein  „Frage- 
zeichen", eine  Art  HĂĽlfslinie  der  Logik  (Psychologie  I,  S.  131  ff.). 
Und  Lotze  sagt:  zur  Bestimmung  des  Metalls  reiche  offen- 
bar nicht  die  Verneinung  aus,  es  sei  weder  roth  noch  gelb 
noch  weiss  oder  grau ;  ebenso  unentbehrlich  sei  die  Bejahung, 
dass  es  jedenfalls  irgend  eine  Farbe  habe;  es  habe  zwar 
nicht  dieses,  nicht  jenes  specifische  Gewicht,  aber  seine  Vor- 
stellung wĂĽrde  entweder  gar  nichts  bedeuten  oder  doch  sicher 
nicht  die  des  Metalles  sein,  wenn  ihr  jeder  Gedanke  an  Ge- 
wicht ĂĽberhaupt  fehlte  (Logik  1874;  S.  40).  Wir  mĂĽssen  die 
Sache  nur  noch  schärfer  ausdrücken:  es  ist  geradezu  eine 
logische  Unmöglichkeit,  die  gemeinsamen  Merkn^iale  „Figur 
von  drei  Geraden  eingeschlossen^^  zu  denken  und  dabei  von 
Grösse,  Verhältniss  der  Seiten  und  Winkel  zu  einander  und 
dgl.  schlechtweg  abzusehen.  Was  soll  denn  eine  dreiseitige 
Figur  sein,  die  ausdrĂĽcklich  weder  gleichseitig  noch  gleich- 
schenklig noch  ungleichseitig,  weder  rechtwinklig  noch  spitz- 
noch  stumpfwinklig,  weder  gross  noch  klein  ist?  Diesen  Ge- 
danken streng  zu  vollziehen,  ist  nur  dem  Gedankenlosen 
möglich ;  wer  bei  jenen  Worten  das  ihnen  streng  Entsprechende 
wirklich  vorstellen  will,  muss  finden,  dass  ihm  zugemuthet 
wird,  eine  logische  Ungeheuerlichkeit  vorzustellen.  Einerseits 
besteht  das  absolute  Verbot,  das  Verhältniss  der  drei  Seiten 
zu  einander  u.  s.  w.  in  den  Begriff  hereinzuziehen,  und 
andererseits  wird  doch  gefordert,  drei  Seiten  zu  einer  Figur 
zusammenzufĂĽgen.  Soll  ich  diese  Forderung  vollziehen,  so 
habe  ich  es  unmittelbar  mit  etwas  zu  thun,  von  dem  das 
Bestehen  in  bestimmter  Grösse,  in  bestimmten  Verhältnissen! 
mit  bestimmten  Winkeln  unabtrennbar  ist,  und  das  abge- 
sehen von  diesem  Verhältniss  der  Unabtrennbarkeit  (und 
insofern  der  Immanenz)  ein  pures  Nichts  ist.  Volkmann 
spricht  in  seiner  Psychologie  (H,  S.  239  f.)  die  präeise  Forde- 
rung aus,  dass,  während  das  Gemeinbild  in  Bezug  auf  das 


J.  Volkdt:  Ueber  die  logisehen  Schwierigkeiten  etc.  135 

Anschauliche  zwischen  einem  Entweder-Oder  schwanke, 
der  Begriff  ein  Weder-Noch  darzustellen  habe.  Gerade 
dieses  Weder-Noch  drückt  jedoch  die  Unmöglichkeit  der  Ab- 
trennung des  Begriffs  von  den  Einzelvorstellungen  (der  Trans* 
scendenz  des  Begriffes)  mit  besonderer  Schärfe  aus.  Wie 
schon  Berkeley  bemerkte,  hört  alles  Denken  auf,  w^in  wir 
z.  B.  die  Vorstellung  „Körper ^'  fassen  und  dabei  doch  nichts 
von  den  Unterschieden  des  Festen,  Fläss^en,  Gasförmigen 
einmischen  sollen.  Die  Begriffe  mĂĽssen  vielmehr  das  So  wohl- 
Als  auch  aller  ihrer  möglichen  Besonderheiten  in  sich  schhes- 
sen«  Der  Gedanke  des  Allgemeinen  wird  für  uns  nur  in  seiner 
Unabtrennbarkeit  von  dem  Anschauen  des  Einzelnen  logisch 
haltbar.  In  dieser  Weise  ist  die  Hegel'sche  Bestinunung  von 
der  Identität  des  Allgemeinen  und  Einzelnen  umzugestalten. 

So  liegen  demnach  im  Begriff  die  beiden  logischen  Forde- 
rui^n :  einersats  die  unterscheidenden,  individualisirenden  ^) 
Merkmale  nicht  ausdrĂĽcklich,  nicht  in  ihren  bestimmten  Unter- 
schieden vorzustellen,  und  sie  andererseits  doch  auch  nicht 
geradezu  fortzulassen.  Wie  lassen  sich  beide  Forderungen 
Yereinigen? 

Nur  so,  dass  die  unterscheidenden  Merkmale  mit  den 
gemeinsamen  als  mögliche  mitgedacht,  als  in  diesen  im* 
plicite  enthalten  vorgestellt  werden.  Weder  eines,  noch 
mehrere  der  unterscheidenden  Merkmale  dĂĽrfen  in  ihrer  Be- 
stimmtheit fixirt,  bejaht,  ausgezeichnet  werden.  Der  Begriff 
muss  jedes  derselben  als  mitgedacht,  jedoch  zugleich  als  in 
seinem  Fursichbesteben,  in  seiner  Bestimmtheit  verneint,  ent- 
hatten. Wenn  irgend  eines  der  unterscheidenden  Merkmale 
(z.  B.  beim  Dreiecksbegriff  gleichschenklig  oder  stumpfwinklig) 
fehlte,  so  wĂĽrden  damit  die  ĂĽbrigen  in  einer  gewissen  Be^ 
stimmtheit  fixirt  werden,  und  es  wurde  sonach  nicht  mehr 
das  geleistet,  was  der  Begriff  vor  Allem  fordert:  dass  näm- 
Bcfa  nicht   das   Einzelne,    sondern   das   Allgemeine   gedacht 

1)  Ich  setze  beide  AusdrĂĽcke  hier  gleich,  weil  es  die  unterscheiden- 
den Merkmale  sind,  die  unaufhaltsam  zur  Individualisirung  hintreiben, 
^d  einmal  die  unterscheidenden  Merkmale  in  den  Begriff  aufgenommen, 
so  ist  eben  damit  der  Begriff  in  die  gleich  innige  Bezi^ung  zu  den  Einzel* 
TonteDimgeQ  gesetst. 


136  J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  SchwierigkeĂĽen  etc. 

werde.  Der  Gegenstand  des  Begriffs  ist  das  Gemeinsame  als 
solches,  doch  lässt  sich  dieses  nur  in  und  mit  der  Totalität 
der  unterscheidenden,  individualisirenden  Merkmale,  jedoch 
als  bloss  möglicher,  denken.  Natürlich  dürfen,  wenn 
dieser  Act  vollzogen  werden  soll,  die  unterscheidenden  Merk- 
male nicht  in  successiver  Vorstellung  vor  dem  geistigen 
Auge  vorĂĽberschreiten.  Wenn  ich  jetzt  die  Vorstellung  des 
Spitzwinkligen,  dann  die  des  Rechtwinkligen  und  hierauf  die 
des  Stumpfwinkligen  habe,  so  habe  ich  drei  spedalisirte 
Dreiecksvorstellungen,  nicht  aber  den  Begriff  „Dreieck/^ 
Werden  die  unterscheidenden  Merkmale  successive  vorgestellt, 
so  werden  sie  der  Reihe  nach  in  ihrer  Bestimmtheit  gesetzt 
und  äxirt.  Der  Begriff  aber  fordert,  dass,  indem  das  Denken 
sie  setzt,  es  sie  zugleich  in  ihrem  Gesetztwerden  aufhebe  und 
sie  also  nicht  explicite  vorstelle.  Dies  lässt  sich  offenbai*  nur 
so  vollziehen,  dass  das  Denken  die  Totalität  der  unter- 
scheidenden Merkmale  mit  einem  Schlage  durchläuft,  mit 
einem  Blicke  ĂĽberschaut.  Nur  ein  intuitiver  Verstand 
also  .kann  die  im  Begriffe  liegende  logische  Forderung  erfĂĽllen. 
Der  Verstand  muss,  indem  er  die  gemeinsamen,  gleichartigen 
Merkmale  denkt,  ungetrennt  davon  und  als  implicite  darin 
enthalten  den  Inbegriff  der  ins  Besondere  und  Einzelne  hin 
fĂĽhrenden  Merkmale  mit  einem  Schlage  vorstellen.  Das 
Denken  muss  zugleich  schauend  sein,  sich  sub  specie  aeter- 
nitatis  vollziehen. 

So  erhalten  wu- denn  das  bedeutsame  Resultat,  dass  die 
primitivste  Form  des  Begriffes  in  ihren  Gonsequenzen  zu  der 
Forderung  eines  intuitiven  Verstandes  fährt.  Nur  ein  solcher 
ist  im  Stande,  die  gemeinsamen  Merkmale  zu  denken.  Es 
bedarf  keiner  BegrĂĽndung,  dass  wir  hiermit  zu  einem  Resul- 
tate gekommen  sind,  das,  wiewohl  logisch  nothwendig,  uns 
doch  nach  seiner  näheren  Wesensbeschaffenheit  unbegreiflich 
ist.  Es  ist  dies  ein  Fall,  der  sehr  häufig  in  der  Philosophie 
vorkommt,  sobald  man  die  Energie  hat,  die  Probleme  wirklich 
bis  zu  Ende  zu  durchdenken.  Die  Lösung  der  Probleme 
wird  in  solchen  Fällen  nur  darin  bestehen  können,  dass  zwar 
die  Forderung  ausgesjurochen  wird,  dass  zwei  oder  mehrere 
Bestimmungen  in  Zusammenhang  und  Einheit  nĂĽt  einander 


J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc.  137 

ZU  denken  seien,  dass  jedoch  ebenso  sehr  hervorgehoben 
wird,  wie  das  Vollziehen  dieser  Forderung  das  beschränkte 
menschliche  Denk^i  zu  Unbegreiflichkeiten  und  WidersprĂĽchen 
hinfĂĽhrt.  So  mĂĽssen  auch  wir  in  unserem  Falle  aussprechen, 
dass  uns  einerseits  die  Nöthigung  des  Denkens  zwingt,  den 
B^priff  als  eine  untrennbare  Einheit  der  gemdndamen  Merk- 
male und  der  implicite  und  der  blossen  Möglichkeit  nach 
darin  enthaltenen  Totalität  der  unterscheidenden  Merkmale 
anzusehen,  und  dass  es  uns  doch  andererseits  unbegreiflich 
ist,  wie  sich  dieses  Ineinsschauen  des  Allgemeinen  und  der 
darin  aufgehobenen  unendlichen  Totalität  des  Besonderen  voll- 
ziehen soll. 

Der  intuitive  Verstand  enthält  aber  für  uns  nicht  nur 
eine  FĂĽlle  von  Unbegreiflichkeiten,  sondern  das  menschliche 
Denken  besitzt  auch  factisch  keine  derartige  Fähigkeit.  Und 
dies  ist  fĂĽr  unseren  Zweck  noch  wichtiger.  Denn  dies  heisst 
mit  anderen  Worten:  der  menschliche  Verstand  ist  ausser 
Stande,  das,  was  der  Begriff  uns  zu  denken  aufgibt,  wirklich 
zu  denken.  Der  Begriff  ist  fĂĽr  uns  ein  logisches  Ideal,  das 
wir  nur  andeutungsweise  zu  erfüllen  vermögen.  Es  erhebt 
sich  daher  hier  die  Frage:  bis  zu  welchem  Grade  ist  das 
menschliche  Denken  im  Stande,  sich  jenem  Ideale  anzunähern  ? 
In  welcher  Weise  vermag  es,  wenn  es  sein  Höchstes  leistet, 
jenen  Forderungen  nachzukommen?  Welche  Gestalt  nimmt 
der  absolute  Begriff  an  mit  RĂĽcksicht  auf  die  mit  Schranken 
behaftete  logische  Nöthigung  des  menschlichen  Denkens?  — 
Schon  hier  bemerke  ich  nachdrĂĽcklich,  dass  damit  keineswegs 
gesagt  ist,  dass  sich  unser  Denken,  wenn  es  Begriffe  bildet, 
immer  in  der  nun  zu  erörternden  grösstmöglichen  Weise 
dem  BegrüEside^l  annähert.  Wir  werden  vielmehr  später  sehen, 
dass  dieses  Maximum,  das  unserem  Denken  in  der  Begriffs- 
bildnng  zugemuthet  werden  kann,  bei  Weitem  nicht  inmier 
von  ihm  geleistet  wird. 

Die  aufgeworfene  Frage  gehört  nicht  in  die  Psychologie, 
sondern  in  die  Logik.  Die  Psychologie  fragt:  durch  welche 
seelischen  Processe  entspringen  die  Begriffe?  Hier  dagegen 
handelt  es  sich  um  die  Nothwendigkeit  des  Denkens  als  solche, 
allerdings   nicht  um   die   absolute  logische  Nothwendigkeit, 


138  J.  Volkeli:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiteii  etc. 

sondern  um  die  annähernde  logische  Nothwendi|^eit  des  end- 
lichen menschlichen  Denkens.  Dies  ist  ein  Gesichtspunkt,  der 
in  der  Logik  nicht  ausser  Acht  zu  lassen  sem  wird. 

Wie  ich  schon  bemerkte,  hat  die  gesanmite  Logik  den 
Begriff  der  Denknothwendigkeit  zu  ihrer  Voraussetzung.  In- 
dessen darf  die  Logik  schon  darum  nicht  einfach  als  eine 
Entwicklung  der  denknothwendigen  Formen  ĂĽberhaupt  be- 
zeichnet werden,  weil  die  logische  Nothwendigkeit  des  sub- 
jectiven  menschlichen  Denkens  nur  annähernd  der  ab- 
soluten Denknothwendigkeit  entspricht,  die  ein  absolut  getreues 
Abbild  der  Nothwendigkeit  des  Seienden  ist  Die  Logik  wird 
daher  genau  auf  diejenigen  Punkte  in  den  Formen  des  mensch- 
lichen Denkens  zu  achten  haben,  wo  dasselbe  sich  dessen 
bewusst  wird,  dass  es  sich  nicht  in  voller  Uebereinstimmung 
mit  den  Formen  der  absoluten  Denknothwendigkeit  oder  der 
Seinsnothwendigkeit  befindet.  Es  wird  in  der  Logik  ĂĽberall 
darauf  einzugehen  sein,  inwieweit  die  nothwendigen  Formen 
unseres  Denkens  ein  Abbild  der  Verhältnisse  des  objectiv^i 
Seins  und  inwiefern  sie  nur  subjective  Mittel,  Veranstaltungen, 
AushĂĽlfen  sind,  um  sich  der  Formen  der  absoluten  Denknoth- 
wendigkeit oder  des  objectiven  Seins  annähernd  zu  bemächtigen. 

Vor  Allem  ist  nun,  wenn  wir  den  subjectiven  Reprajsen- 
tanten  des  Begriffsideals  zu  bestimmen  unternehmen,  daran 
festzuhalten,  dass,  wie  auch  immer  derselbe  aussehen  mag, 
er  doch  niemals  in  dem  abstracten,  von  allen  unterscheidenden 
Merkmalen  oder  —  was  auf  dasselbe  hinausläuft  —  von 
allen  Einzelvorstellungen  gesonderten  Denken  der  gemein- 
samen Merkmale  bestehen  kann.  Es  gibt  in  unserem  Denken 
keine  abstracten  Begriffe  in  dem  Sinne,  dass  dabei  die 
Einzelvorstellungen  ganz  ferne  blieben.  Jeder  Begriff  kommt 
in  uns  nur  durch  beständige  Beziehung  auf  die  unterschei- 
denden Merkmale,  auf  die  concreten  Einzelvorstellungen  zu 
Stande.  Jeder  Begriff  hat  in  diesem  Sinne  eine  anschau- 
liche Hülle,  in  der  er  lä>t  und  von  der  gesondert  er  nicht 
bestehen  kann.  Unter  den  Ausdruck  ««anschaulich''  beJhsse 
ich. hier  nicht  bloss  das  Räumliche,  denn  die  Einzelvorstel- 
lungen haben  ja  nicht  immer  ein  Räumliches  zum  Gegen- 
stande;  sie  könnm  sich  auch,    wie  beim  Gehörssinne,   bei 


J.  Volkeit:  lieber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc.  139 

den  Zustanden  des  Fühlens  u.  s.  w.,  auf  Unräumliches  be- 
ziehen. Unter  dem  ,;Anschaulichen^^  ist  also  hier  nur  das 
Charakteristische  der  Einzelvorstellung  ĂĽberhaupt  zu  verstehen. 
Es  ist  ebenso  unmögUch,  den  Begriff  „Ton*'  zu  bilden  ohne 
Beziehung  auf  die  dem  Phantasie  -  Hören  vorschwebende 
Mannichüaltigkeit  von  einzelnen  Tönen,  als  es  unmöglich  ist, 
den  Begriff  „Baum**  in  strenger  Absonderung  von  den  unter- 
scheidenden, individualisirenden  Merkmalen  zu  denken.  Und 
zwar  ist  dies  nicht  etwa  nur  eine  psychologische,  sondern 
eine  logische  Unmöglichkeit.  Wer  die  gemeinsamen  Merk- 
male ohne  die  umspielende  HĂĽlle  des  Anschaulichen  zu  denken 
anteniimmt,  will  etwas  setzen  und  dabei  doch  zugleich  die 
unumgängliche  Bedingung  seines  Bestehens  negiren.  Es  gibt 
daher  auch  keinen  solchen  Gegensatz^  wie  ihn  z.  B.  Wundt 
zwischen  „Allgemeinvorstellungen**  und  „abstracten  Begriffen** 
annimmt  (Psychologie,  S.  673).  Jene  nennt  er  mit  Recht 
„Schemata  der  Einzelvorstellungen**,  dagegen  gibt  es  keine* 
),abstracten  Begriffe**  in  seinem  Sinne.  Denn  diese  sollen 
„kerne  Allgemeinvorstellung  zur  Grundlage  haben**,  also  von 
den  Einzelvorstellungen  ganz  losgelöst  sein.  Selbst  Begriffe 
wie  Werden,  Ursache,  Zweck  u.  dgl.  gewinnen  nur  dadurch 
Bedeutung  fĂĽr  uns,  dass  die  betreffenden  Einzelvorstellungen 
gleichsam  den  Schooss  bilden,  aus  dem  sie  entspringen  und 
zu  dem  sie  sich  stets  in  Beziehung  erhalten.  Lotze  deutet 
dies  in  trefflicher  Weise  an.  Er  setzt  auseinander,  wie  z.  B. 
das  Allgemeine  der  Farbe,  des  Tones  nur  so  zu  fassen  sei, 
dass  man  sich  anschauend  auf  die  einzelnen  Farben,  Töne 
beziehe.  Durch  die  Allgemeinbegriffe  befehlen  wur,  so  sagt 
er,  unserem  Bewusstsein,  die  betreffenden  Einzelvorstellungen 
zu  bilden  und  zu  vergleichen,  in  dieser  Vergleichung  aber 
das  Gemeinsame  zu  ergreifen,  das  nach  dem  Zeugniss  unserer 
Empfindung  in  ihnen  enthalten  ist,  das  jedoch  durch  keine 
Anstrengung  des  Denkens  von  dem,  wodurch  sie  verschieden 
siod,  sich  wirklich  ablösen  lässt  (Logik,  S.  30  f.).  Und  eme 
ähnliehe  Richtung  haben  die  Erörterungen  Schleiermacher's 
in  seiner  Dialektik  §  110  ff.  Er  hebt  hervor,  dass  die  all- 
gememen  Begriffe,  wenn  sie  wĂĽrklich  gedacht  werden,  die 
einzelnen  sinnhchen  Vorstellungen,  welche  darunter  subsumirt 


140  J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

sind,  in  sich  enthalten.  —  Wir  werden  später  auf  einen  Punkt 
stossen,  der  es  in  erster  Linie  begreiflich  macht,  wodurch 
die  so  verbreitete  Täuschung  entstehen  konnte,  als  ob  der 
Begriff  ganz  abgetrennt  von  den  Einzelvorstellungen  gebildet 
wĂĽrde. 

Diese  Gebundenheit  unserer  Begriffe  an  die  Einzelvor- 
stellungen  ist  kein  Mangel;  sie  findet  vielmehr  gerade  darum 
statt,  weil  das  Ideal  des  Begriffs  dieselbe  EigenthĂĽmlichkeit 
enthält.  Der  Mangel  liegt  nur  in  der  Art,  wie  unser  mensch* 
liches  Denken  diese  Gebundenheit  zu  voUziehen  im  Stande 
ist.  Allerdings  gewinnt  fĂĽr  unser  Denken  das  Allgemeine, 
je  mehr  es  zu  den  unterscheidenden  Merkmalen  in  Beziehung 
gesetzt,  je  mehr  es  als  Princip  des  Individuellen  torgestellt  wird, 
an  Deutlichkeit  und  Bestimmtheit.  Doch  aber  sind  wu*  ausser 
Stande,  in  dem  Individuellen  das  Allgemeine  als  solches  zu 
fixiren,  in  den  unterscheidenden  Merkmalen  das  Allgemeine 
in  seiner  Reinheit  und  Bestimmtheit  zu  ergreifen.  Wir  wissen 
von  frĂĽher  her,  dass  das  Allgemeine  als  solches,  abgetrennt 
von  den  Einzelvorstellungen,  ein  Ungedanke  ist.  Allein  auch 
in  und  mit  den  Einzelvorstellungen,  als  ihre  Seele,  als  ihr  Prin- 
cip, kann  das  Allgemeine  in  seiner  eigenthĂĽmfichen  Bestinunt- 
heit  nicht  von  uns  erfasst  werden.  Wäre  es  denn  also  über- 
haupt für  uns  unfassbar,  und  hätten  am  Ende  die  extremen 
Nominalisten  mit  der  Behauptung  Recht,  dass  es  auch  in  dem 
subjectiven  Denken  nichts  Allgemeines  gebe  ?  So  sagte  H  o  b  b  e  s, 
dass  das  Allgemeine  nicht  nur  nicht  in  rerum  natura,  sondern 
auch  nicht  als  idea  oder  phantasma  in  uns  existire,  dass  dem 
Ausdrucke  „Thier"  oder  „Stein"  in  unserem  Geiste  lediglich 
die  Vorstellungen  der  einzelnen  Thiere  oder  Steine  entsprechen 
(De  corpore  Cap.  2,  §  9;  Leviathan  Gap.  4).  Und  ähnlich  besteht 
nach  Berkeley  das  Allgemeine  nicht  in  the  absolute,  posi- 
tive nature  or  conception  of  anything,  sondern  nur  in  der 
Beziehung  einer  Ein2elvorstellung  zu  anderen;  wir  besitzen 
ausschliesslich  particular  ideas  (Principles  of  Human  Know- 
ledge, Introduction  §  15).  Sicherlich  hat  diese  Ansicht  ihre 
Wurzel  in  dem  Factum,  dass  wir  in  keiner  Weise  das  All- 
gemeine als  solches  in  seiner  Bestimmtheit  und  EigenthĂĽmlich- 
keit als  Gegenstand  unseres   Denkens  fixiren  können;   allein 


J.  Volkelt:  ĂĽeber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc.  141 

sie  Yergisst,  dass,  indem  wir  einen  Be{^fiF  denken,  wir  zu- 
gleich die  Einzelvorstellungen,  an  die  er  sich  knĂĽpft,  in  ihrer 
Bestimmtheit  negiren.  Wenn  wir  z.  B.  den  Begriff  „Mensch^* 
oder  „Dreieck"  bilden,  so  schweben  uns  freilich,  wenn  auch 
noch  so  unbestimmt,  lauter  Einzelvorstellungen  vcm  Mensch- 
lichem, resp.  Einzelbilder  von  Dreiecken  vor,  allein  zugleich 
verknĂĽpft  sich  damit  das  Bewusstsein,  dass  wir  nicht 
diese  Einzelvorstellungen  und  Einzelbilder  meinen, 
sondern  das  ihnen  gemeinsam  Zukommende.  Wir  haben  das 
Bewusstsein,  nicht  diese  vorschwebenden  Einzelvorstellungen 
seien  das,  worauf  es  ankomme,  sondern  der  Begriff  bestehe 
in  etwas  Anderem,  in  Etwas,  was  in  ihnen  enthalten  ist,  das 
wir  jedoch  in  seiner  Reinheit  und  EigenthĂĽmlichkeit  nicht 
erfassen  können.  Wenn  ich  einen  Begriff  bilde,  muss  es  mir 
feststehen,  dass  gewisse  Merkmale  an  den  Einzelvorstellungen 
fĂĽr  den  B^riff  gleichgĂĽltig  sind,  dagegen  andere  Merkmale  der- 
selben den  Charakter  des  Gemeinsamen  tragen  und  daher  in 
der  Fonn  des  Allgemeinen  gedacht  werden  sollen.  Diese 
^Aufgabe  kann  ich  nun  freilich  nicht  vollziehen,  das  Gemeuisame 
als  solches  zerfliesst  mir  stets,  wenn  ich  es  erfassen  will,  in 
eine  dunkle  Mehrheit  von  Einzelvorstellungen;  allein  indem 
ich  diese  Aufgabe  nicht  vollziehen  kann,  sage  ich  mir  doch, 
dass  ich  sie  vollziehen  soll.  Ich  weiss,  dass  gewisse  an  den 
Einzelbildern  des  Menschen  oder  des  Dreiecks  vorkommende 
Merkmale  lediglich  individuell,  also  als  gleichgĂĽltig  zu  betrachten 
sind,  andere  dagegen  als  das  in  allen  Unterschieden  Identische, 
als  das  von  ihnen  UnberĂĽhrte  gesetzt  werden  mĂĽssen.  Ich 
weiss  also  sehr  bestimmt,  in  welcher  Richtung  mein  Denken 
vorzugehen,  welche  Acte  es  vorzunehmen  hat;  ich  kenne 
Ziel  und  Mittel  genau,  allein  es  ist  nur  geradezu  unmöglich, 
diese  genau  gekannte  Aufgabe  zu  vollziehen.  Doch  habe  ich 
in  dem  NichtvoUziehenkönnen  das  Vollziehensollen  als 
Ziel,  als  das,  worin  der  Begriff  bestehe,  vor  Augen. 

Wir  besitzen  daher  doch  nicht  bloss  Einzelvorstellungen. 
Sonst  wĂĽrden  wir  ja  nie  ĂĽberhaupt  nur  den  Gedanken  des 
Gemeinsamen  fassen,  sondern  einfach  bei  der  Wahrnehmung 
stdien  bleiben,  dass  sich  ein  gewisses  Merkmal  an  dieser  und 
^  jener  und  an  einer  dritten  Einzelvorstellung  findet.   Unser 


142  J.  Volkelt:  lieber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

Denken  negirt  bei  jeder  Begriffsbildung  die  Einzelvorstelhingen 
als  solche,  zielt  auf  das  in  ihnen  Identische  hin,  fasst  es  mit 
seiner  einigenden  Kraft  zusammen.  In  unserem  Denken  funetio- 
nirt  daher  eine  ĂĽber  die  Einzelvorstellungen  ĂĽbergreifende, 
einigende  Kraft,  und  das,  was  dabei  als  Resultat  herauskommt, 
sind  eben  die  in  gewissen  Merkmalen  geeinigten  Einzelvor- 
Stellungen.  Unsere  Seele  ist  also  erfĂĽllt  von  Producten,  die 
als  universalia  bezeichnet  werden  mĂĽssen ;  nur  dass  wir  nicht 
im  Stande  sind,  das  Geeinigtsein  der  Einzelvorstellungen  als 
solches  zu  fixiren.  Unser  Denken  bildet  die  Einzelvorstellungen 
um,  macht  aus  ihnen  etwas  qualitativ  Anderes;  nur  dass 
sich  diese  in  der  Richtung  des  Allgemeinen  vor  sich  gehende 
Umbildung'  nicht  vollendet,  sondern  fĂĽr  unser  Bewusstsein 
ins  Dunkle  verläuft.  Unsere  Seele  besitzt  das  in  den  Einzel- 
vorstellungen Identische  als  ein  solches  Identisches,  d.  h.  als 
Gemeinsames;  nur  vermag  es  unser  Bewusstsein  sich  nicht 
in  seiner  Reinheit  und  EigenthĂĽmlichkeit  zum  Gegenstande  zu 
machen  *).  —  Nur  in  dieser  vorsichtigen ,  complicirten,  zum 
Theil  zustimmenden  Weise,  nicht  aber  dadurch,  dass  man 
das  einfache  Gegentheil  behauptet,  lassen  sich  die  nomi- 
nalistischen  EinwĂĽrfe  Berkeley's  widerlegen. 

Doch  noch  ein  anderer  wesentlicher  Mangel  haftet  der 
menschlichen  Begriffsbildung  an.  Er  bezieht  sich  nicht,  wie 
der  frĂĽhere,  auf  das  Fixiren  des  Gemeinsamen,  sondern  auf 
das  Mitdenken  der  unterscheidenden  Merkmale.  Wir  hab^ 
gesehen,  dass  im  Begriffe  die  logische  Forderung  liegt,  sämmt- 
liche  unterscheidende  Merkmale  in  der  Form  der  Möglichkeit 
mitzudenken,  in  dem  Allgemeinen  zugleich  die  Gesammtheit 
der  Gliederungen  und  Besonderungen  bis  zum  Individuellen 
hin  (mit  Einem  Blicke  zu  ĂĽberschauen.  Und  femer  sahen 
Wff,  dass  zu  solcher  Leistung  nur  ein  intuitiver,  von  den 
Formen  der  Endlichkeit  und  Zeitlichkeit  losgelöster  Verstand 
befähigt  sei;  Wir  dürfen  nun  als  zugegeben  betrachten,  dass 
unser  Vorstellen  sich  wesentlich  in  den  Formen  der  zeitlichen 
Succession  bewegt  und  an  all  den  weiteren  Schranken  und 


1)  Wie  man  sich  den  psychologischen  Vollzug  dieser  logischen  Lei- 
stung zu  denken  bat,  bleibt  hier  unerflrtert. 


J.  Volkett:  Udier  die  logisdien  Sehwieric^eiten  etc.  143 

Mängeln  der  Endlichkeit,  so  besonders  an  der  sogenannten 
Enge  des  Bewusstseins,  leidet.  Nur  Annäherungen  an  die 
Weise  des  intuitiven  Verstandes  gibt  es  in  unseren  Seelen- 
bethätigungen ;  so  vor  Allem  in  der  Phantasie  und  dem  ver- 
nĂĽnfĂĽgenf  speculativen  Denken.  Doch  so  hochbedeutend  auch 
diese  Seite  des  Seelenlebens  sein  mag,  hier  brauchen  wir 
sie  nicht  näher  zu  verfolgen.  Wir  müssen  hier  vielmehr 
allen  Nachdruck  darauf  legen,  dass  unser  Denken,  eben 
wegen  des  weiten  Abstandes  von  dem  Ideal  eines  intuitiven 
Verstandes,  auch  nicht  im  Entferntesten  fähig  ist,  mit  dem 
Vorstellen  der  gemeinsamen  Merkmale  zugleich  den  bibegrifT 
aller  individualisirenden  Zage  zu  äberblicken.  Unsere  Leistung 
hält  sieh  in  dieser  Beziehung  in  den  bescheidensten  Grenzen. 
Nur  andeutungsweise  und  in  ungemein  abgekĂĽrzter  Form 
vermögen  wir  jenes  Mitdenken  zu  vollziehen.  Auch  wenn 
wir  einen  Begriff  noch  so  deutlich  und  bestimmt  zu  denken 
uns  bemĂĽhen,  so  sind  es  doch  immer  nur  ganz  wenige  und 
ĂĽberaus  unbestimmte  und  wandelbare  Einzelbilder,  an  die 
sieh  fĂĽr  uns  die  gemeinsamen  Merkmale  heften.  Es  tritt  uns 
Tor  Augen  ein  in  unbestimmten,  sich  wandelnden,  flĂĽchtigen 
Formen  hin-  und  herschwankendes  Bild,  ein  Schema  mit  sich 
verschiebenden  Linien.  Dabei  aber  wird  dieses  Schema  stets 
von  der  selbstverständlichen  Voraussetzung  begleitet,  dass 
sich  der  Begriff  nicht  bloss  auf  die  eben  vorschwebenden 
Einzelbilder,  sondern  auf  alle  möglichen  hierher  gehöri- 
gen Einzelbilder  beziehe.  So  bestimmt  und  umfassend  ich 
z.  B.  auch  den  Begriff  „Kreis"  denken  mag,  so  wird  sich  mir 
doch  das  Gemeinsame  desselben  nur  in  einem  oscillirenden 
Hin  und  Her  gewisser  weniger  ui^efährer  Kreisbilder  dar- 
stellen. An  SteUe  des  geforderten  Inbegriffs  der  Einzelbilder 
tritt  mir  niemals  mehr  als  ein  innerhalb  gewisser  nicht 
allzuweiter  Grenzen  sich  undeutlich  verschiebendes  Bild 
vor  das  mnere  Auge. 

Bei  den  verschiedenen  Menschen  ist  dies  den  Begriff 
begleitende  *  BUd  begreiflicher  Weise  sehr  verschieden.  Be- 
sonders wird  es  dabei  auf  zweierlei  ankommen:  erstlich  auf 
die  Beschaffenheit  derjenigen  Einzelvorstellungen,  die  fĂĽr  das 
Individuum  von  starkem  Eindrucke,  von  weitreichenden  Folgen 


144  J.  Volkelt:  lieber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

gewesen  sind,  und  zweitens  darauf,  in  welchen  Gestalten  sich 
ein  Begriff  dem  Individuum  am  häufigsten  darbietet.  So  setzt 
sich  das  den  Begriff  „Frau^'  begleitende  Schema  bei  dem 
Einen  aus  den  Einzelbildern  von  geputzten,  vornehmen,  zarten 
Damen  der  Grossstadt,  bei  dem  Anderen  aus  Merkmalen  zu- 
sammen, die  sich  vorwiegend  bei  einfachen,  derben,  Feld- 
arbeit verrichtenden  Bäuerinnen  finden.  Bei  dem  Einen 
kann  die  den  genannten  Begriff  umkleidende  Anschauui^- 
hĂĽlle  etwas  von  dem  Bilde  seiner  alten,  ehrwĂĽrdigen,  sorgen- 
den Mutter,  bei  dem  Anderen  etwas  von  dem  Bilde  seiner 
jungen,  anmuthigen,  scherzenden  Frau  besitzen.  Dem  Afrika- 
reisenden wird  sich  zum  Begriffe  „Kameel'^  ein  ganz  anderes 
Schema  hinzugesellen  als  demjenigen,  der  das  Kameel  nur 
aus  Abbildungen  und  zoologischen  Gärten  kennt;  auch  ange- 
nommen, dass  beiden  die  charakteristischen,  wesentlichen 
Merkmale  dieses  Thieres  gleich  genau  bekannt  sind.  Indessen 
wird  sich  bei  aller  Verschiedenheit  doch  im  Allgemeinen 
sagen  lassen,  dass  sich  das  Schema  vorzugsweise  aus  den 
normalen,  von  deii  Extremen  entfernten,  durchschnittsmassigen 
Repräsentanten  des  Begriffs  zusammensetzt.  Beim  Begriff 
„Dreieck^*  werde  ich  weder  an  meilengrosse  noch  an  mikros- 
kopisch kleine,  weder  an  allzu  schlanke  noch  an  allzu  flach 
gedrĂĽckte  Exemplare  denken,  sondern  zumeist  an  solche,  die 
etwa  in  der  Mitte  zwischen  diesen  Extremen  liegen.  Dies 
hat  schon  darin  seinen  Grund,  dass  das  Mittlere,  Durchschnitts- 
massige  in  der  Regel  auch  das  fĂĽr  jeden  am  Meisten  Vor- 
kommende ist. 

Wie  lässt  sich  dann  aber  der  Begriff  noch  von  dem  un- 
bestimmten Vorstellungsschema  unterscheiden?  Wir  geben 
dem  Begriffe  auch  in  seiner  streng  logischen  Gestalt  eine 
schwankende,  zerfliessende  AnschauungshĂĽlle.  Welchen  Vor- 
zug hat  er  da  noch  vor  den  ungefähren  Bildern,  die  sich 
etwa  im  Kinde  erzeugen,  wenn  es  das  Wort  „Mensch^^  oder 
„Baum^^  hört  ?  Die  Antwort  liegt  in  dem  oben  Entwickelten. 
Das  Vorstellungsschema  (Allgememvorstellung,  Gemeinbild) 
wird  dadurch  zum  Begriffe,  dass  sich  mit  den  zerfliessenden, 
oscillirenden  Einzelvorstellungen  das  bestimmte  Bewusstsein 
verknĂĽpft,   dass  das  Ziel  unseres  Vorstellens  nicht  in  diesen 


J.  Volkelt:  Ueber  die  logiaehen  Schwierigkelten  ete.  145 

EinzelYorsteBuDgen,  auch  nicht  in  dem  ungefähren  Mittieren, 
das  sich  bei  diesem  .Oscilliren  derselben  ergibt,  sondern  in 
den  darin  enthaltenen  gemeinsamen  Merkmalen  bestehe. 
Naturlich  mĂĽssen,  wenn  dies  geschehen  soll,  Yerschiedene 
Proeesse  vorangegangen  sein,  m  denen  sich  die  Masse  der 
Merkmale  der  betrelSenden  EinzelYorstellungen  in  sich  gnippirt 
und  geschieden  hat  und  vor  Allem  in  die  beiden  Arten  der 
gemeinsamen  und  unterscheidenden  auseinandergetreten  ist* 
Allerdings  verschwindet,  wenn  diese  Arbeit  geschehen  ist, 
das  aas  Einzelvorstellungen  bestehende  Schema  keinesw^ps, 
wohl  aber  tritt  dann  zu  ihm  das  Bewusstsein  von  den  festen 
Zielpunkten  hinzu,  nach  denen  wir  das  Gemeinsame  zu  be- 
stimmen haben.  Dieser  Vorzug  des  Begriffes  vor  dem  Schema 
wird  dadurdi  nicht  beeinträchtigt,  dass  das  Ungef&hre,  Zer- 
fliessende  des  Schemas  bei  dieser  Entwicklung  zum  Begriffe 
mäst  noch  bedeutend  zunimmt 

Wundt  hebt  sehr  richtig  hervor,  dass  der  Begriff  ein 
Postulat  ist.  Wir  köimen  uns  nach  seiner  Ansicht  die 
gemeinsamen  Merkmale  nur  in  Form  eines  sich  an  das  Vor- 
stellungsschema knĂĽpfenden  Postulates  vorstellen  (a.  a.  0.  S.  672). 
Auch  unsere  Erörterung  hat  uns  gezeigt,  dass  der  Begriff  — 
und  zwar  rein  logisch  betrachtet  —  keine  geschlossene  Vor- 
stellung, sondern  die  Andeutung  und  Abbreviatur  eines  fĂĽr 
ODS  unvollziehbaren  logischen  Aktes  ist.  Wenn  wir  Alles 
zosammenfassai,  so  gehört  zum  Begriffe,  wie  er  für  unser 
Denken,  wenn  es  das  Höchste  leistet,  als  logische  Nothwendig- 
keit  besteht,  dreierlei:  Erstlich  liegt  in  dem  Begriffe  die 
Forderung,  dass  das  Gemeinsame  in  voller  Bestimmtheit  und 
ESgenthumHchkeit  gedacht  und  ungetrennt  davon,  als  eme 
darin  enthaltene  Möglichkeit,  die  Gesammtheit  der  individuali- 
sirenden  Merkmale  mit  einem  Schlage  angeschaut  werde. 
Das  Zweite  ist,  dass  diese  Forderung  fĂĽr  unser  Denken 
unvollziehbar  ist.  Es  treten  demnach  in  doppelter  Beziehung, 
sowohl  fĂĽr  die  Seite  des  Gemonsamen  als  auch  fĂĽr  die  des 
mitgedachten  Unterscheidenden,  andere  abgekĂĽrzte  Operatio- 
nen ein,  wie  ich  dies  ausfĂĽhrlich  dargestellt  habe.  Das  Dritte 
ist  mm,  dass  diese  abgekĂĽrzten  Operationen  au^efasst  werdai 
^  Stellvertreter  jener  unvollziehbaren  Forderung, 

PUloMph.  Vonatsliene  18B^,  m.  10 


14«  h  Volkih:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiteii  eto. 

als  Stellvertreter  von  etwas,  was  man  als  bestimmtes  ZSel 
vor  Augen  hat,  aber  nie  erreicht.  Ich  will  nun  keineswegs 
behaupten I  dass  wir  bei  jedem  Begriffe,  selbst  wenn  wir 
ihn  ausdräcklich  und  bestimmt  denken,  jenes  Ideal  des 
Begriffes  deutlich  im  Bewusstsein  haben  und  die  Abbreviatur 
in  unserem  Vorstellen  auf  jenes  Ideal  bewusst  beziehen.  Ja 
ich  gebe  zu,  dass  dies  wohl  nur  sehr  selten  in  deutlich  be- 
wusster  Weise  geschieht.  Allein  dies  spricht  nicht  gegen 
meine  Auffassung.  Denn  soviel  ist  sicher,  dass  wir  jenen 
abgekarrten  Vorgang  bei  unserer  Begriffisbildung  nach  der 
Richtung  jenes  Ideals  hin  ei^^änzen.  Jedermann,  der 
einen  deutlichen  Begriff  bildet,  wdss,  dass  er  nicht  das  Un- 
bestimmte, das  dabd  seinan  Bewusstsein  gegenwärtig  ist, 
sondern  das  Gemeinsame  in  seiner  Bestimmtheit  und  Rein- 
heit meint,  und  er  weiss  femer,  dass  sich  die  gemeinsamen 
Merkmale  nicht  bloss  auf  die  ihm  eben  vorschwebenden, 
sondern  auf  alle  nur  denkbaren  hierher  gehörigen  Einzel- 
bilder beziehen.  Eben  dieses  von  Jedermann,  wenigstens  still- 
schweigend, vorgenommene  Ergänzen  fuhrt  nun,  wenn  man 
es  consequent  zu  Ende  denkt,  auf  jenes  von  mir  ange- 
deutete Ideal,  schliesslich  also  auf  den  intuitiven  Verstand. 
Jeder,  der  in  der  Begriffsbildung  sein  eigenes  Thim  versteht, 
mässte  jenes  Ideal  als  im  Hintergrpnde  stehend  entdecken. 

So  offenbart  sich  auch  in  der  einfachsten  Form  der  Be- 
griffsbildung, also  in  einem  so  trockenen,  primitiven  ThĂĽn,  die 
eigenthĂĽmlich  widerspruchsvolle  Doppelnatur  des  menschlichen 
Geistes:  seine  Eingeschlossenheit  in  das  Zeitliche,  Endlidie  und 
seine  darĂĽber  hinausreichende  Kraft  des  Unendlichen.  Blicken 
WUT  auf  das,  was  unser  Bewusstsein  der  idealen  logischen 
Forderung  des  Begriffes  gegenĂĽber  wirklich  zu  vollziehen  im 
Stande  ist,  so  erscheint  uns  unser  Geist  in  seiner  ganzen  Enge 
und  DĂĽrftigkeit,  in  der  Unbestimmtheit  und  FlĂĽchtigkeit  seines 
Thuns.  Und  doch  meinen  wir  mit  diesem  dĂĽrftigen,  unvoll- 
ständigen bildlichen  Thun  das  unbildliche,  bleibende 
Gemeinsame  und  seine  Bezogenheit  auf  den  Inbegriff  der 
betreffendai  Einzelbilder  und  operiren  mit  diesem  Gemeinten 
in  durchaus  sicherer,  präciser,  unzweideutiger  Weise.  So  über- 
wmden  wir  das  Einzelne  durch  das  Allgemeine,  das  Successive 


J.  Volkelt:  Ueber  die  logieehen  Schwierigkeiten  etc.  147 

durch  das  Bleibende  und  so  letztlich,  indem  wir  zum  Ideal 
eines  intuitiven  Verstandes  gelangen,  das  Endliche  durch  das 
Unendliche.  Die  WidersprĂĽche,  die  m  dieser  Doppelheit  liegen, 
ganz  zu  lösen,  ist  f£ir  unser  Denken  unmöglich.  Die  auf- 
fallendste Unbegreiflichkeit  besteht  darin,  dass  wir  einerseits 
das  Allgemeine  nicht  zu  fixiren  vermögen  und  insofern  immer 
im  Einzehien  stecken  bleiben,  und  dass  wir  es  andererseits  doch 
als  ganz  bestimmten  Zielpunkt  unseres  Denkens  vor  Augen 
haben  und  damit  aufs  Präciseste  operiren,  also  mit  unserem 
Geiste  doch  zugleich  im  Allgemeinen  leben. 

Zum  SchlĂĽsse  will  ich  noch  auf  einen  Punkt  hinweisen, 
dessen  Erörterung  allerdings  nicht  in  die  Logik,  sondern  in 
die  Psychologie  gehört,  der  jedoch,  da  er  durch  manches 
FrĂĽhere  vorbereitet  wurde,  hier  nicht  mit  Stillschweigen  ĂĽber- 
gangen werden  darf.'  Wir  sagten,  die  oben  charakterisirte 
Stdlvertretung  des  Begriffsideales  sei  das  Höchste,  was  das 
menschliehe  Denken  in  dieser  Hinsicht  zu  leisten  im  Stande 
sei;  es  werde  daher  die  durch  sie  geforderte  logische  Ope- 
ration vergleichsweise  nur  selten  von  uns  vollzogen.  Wenn 
wir  efaien  Begriff  zum  ersten  Male  mit  Bewusstsein  bilden 
oda-  wenn  es  uns  auf  einen  Begriff  besonders  ankommt,  dann 
werden  wir  uns  in  der  charakterisirten  Weise  dem  Begriffs- 
ideale annähern.  Sonst  geht  es  dagegen,  wenn  wir  in  Begriffen 
denken,  fast  immer  noch  weit  einfacher  und  abgekĂĽrzter  zu.  So 
sahen  wir  schon  vorhm,  dass  wir  die  Ergänzung  der  oben 
geschilderten  Abbreviatur  durch  das  hinzugedachte  Begriffs- 
ideal, selbst  wenn  wir  einen  Begriff  ims  deutlich  zu  denken 
bemĂĽhen,  durchaus  nicht  immer  in  der  Weise  vornehmen, 
wie  dies  die  grösstmögliche  Annäherung  an  das  Begriflls- 
ideal  Cnrdem  wurde.  Allein  auch  dabei  bleibt  es  nicht.  In 
der  Regel  nämlich  erfährt  jene  Abbreviatur  noch  eine  weitere 
beträefatfiche  Abkürzung.  Und  darauf  soll  hier  noch  hingedeutet 
werden. 

Jedermann,  der  genau  auf  das  achtet,  was  in  seinem 
VorsteOen  geschieht,  wenn  er  liest  oder  an  einem  Gespräche 
theilnimmt,  wird  finden,  dass,  wiewohl  ihm  dabei  durch  eine 
Menge  oft  sehr  rasch  aufeinanderfolgender  Schrift-,  resp. 
Lautzeichen  zugemuthet  wird,  entsprechende  Begriffe  zu  bilden, 


148  J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc. 

er  doch  auf  Veranlassung  dieser  Zeichen  durchaus  nicht  so 
verfahrt,  wie  es  jene  grösstmögliche  Annäherung  an  den  ab- 
soluten Begriff  erheischt.  Wenn  mir  z.  B.  Jemand  im  Gespräche 
sagt:  „Wie  doch  die  Freude  an  den  Schönheiten  der  Natur 
selbst  in  Augenblicken,  wo  die  Seele  heiter  gestimmt  ist,  etwas 
Melancholisches  an  sich  hatl^^  so  verstehe  ich  diesen  Satz 
augenblicklich,  und  doch  wird  uns  in  den  allermeisten  Fällen 
bei  den  Ausdrücken:  Freude,  Schönheiten,  Natur,  Augen- 
blicke, Seele,  heiter  u.  s.  w.  etwas  bei  Weitem  Unbestimmteres 
und  Dunkleres  vorschweben,  als  es  nach  den  in  jenem  Maxi- 
mum der  Stellvertretung  liegenden  Forderungen  der  Fall  sein 
mässte.  Was  in  unserem  Vorstellen  auf  Veranlassung  jener 
Worte  vorgeht,  hat  zwei  Bestandtheile.  Der  eine  ist  sehr 
bestimmter  Natur:  es  sind  die  Gehörsempfindungen,  die  sprach- 
lichen EindrĂĽcke.  Damit  verknĂĽpft  sich  nun  ein  kaum  zu 
bestimmendes  Etwas,  ein  gewisses  Anidingen  in  GefĂĽhl  und 
Anschauung.  Am  Meisten  scheint  sich  mir  darin  ein  eigen- 
thĂĽmliches  GefĂĽhl  des  Bekanntseins,  ein  GefĂĽhl,  das  uns  sagt, 
das  durch  das  Wort  Bezeichnete  habe  einen  bekannten  und 
vertrauten'  Sinn,  bemerkbar  zu  machen.  Offenbar  wird  hier 
der  Sprachlaut  (resp.  das  Schriftzeichen)  zum  Vertreter  des 
Begriffes.  Es  scheinen  die  Laut-  und  Schriftbilder  eine  her- 
vorragende Kraft  des  Fixirens  zu  besitzen;  es  ist,  als  ob  die 
gemeinsamen  Merkmale  durch  Laut  und  Schrift  in  unserem 
Vorstellen  in  ganz  besonders  bestimmter  und  unverwischbarer 
Weise  befestigt  wĂĽrden.  Es  erhebt  sich  daher  hier  die  Frage, 
wie  es  komme,  dass  den  Laut-  und  Schriftzeichen  diese  Kraft 
des  Fixirens  eigen  ist.  Allein  eine  andere  Frage  ist  dringen- 
der und  schwieriger.  Wie  kommt  es,  dass,  wiewohl  nichts 
in  uns  vorgeht  als  die  Vorstellung  von  Laut-  oder  Schrift- 
zeichen und  ein  sich  hieran  knĂĽpfendes  ganz  unbestimmtes 
FĂĽhlen  und  Anschauen,  wir  doch  ganz  genau  wissen, 
um  wa]s  es  sich  jedesmal  handelt?  Wir  verstehen 
das  Gehörte  oder  Gelesene,  wir  sind  also  über  die  mit  den 
verschiedenen  AusdrĂĽcken  bezeichneten  gemeinsamen  und  unter- 
scheidenden Merkmale  nicht  in  Zweifel,  und  doch  fhiden  wir 
in  uns  trotz  der  angestrengtesten  Aufmerksamkeit  nichts 
von  einem  Vorstellen  dieser  Merkmale.    Man  sollte  meinen, 


J.  Volkelt:  Ueber  die  logischen  Schwierigkeiten  etc.  149 

es  sei  der  Umstand,  dass  wir  den  Sinn  eines  Satzes  ver- 
stehen, ein  Beweis  dafĂĽr,  dass  wir  die  Vorstellungen  der 
den  Sinn  der  einzelnen  Worte  ausmachenden  gemeinsamen 
und  unterscheidenden  Merkmale  wirklich  in  uns  vollziehen. 
Wie  soll  denn  ein  blosses  Laut-  oder  Schriftbild,  begleitet 
von  einem  ganz  vagen  GefĂĽhl,  ohne  die  Vorstellung  dessen, 
was  jenes  Bild  bedeutet,  ein  Verstehen,  d.  h.  ein  Gewisssein 
über  die  Bedeutung,  hervorrufen  können?  Und  doch  verhält 
es  sich  so,  dass  das  Verstehen  in  den  meisten  Fällen  auf 
diese  so  unbegreiflich  schemende  Weise  zu  Stande  kommt. 
Es  drängt  sich  daher  die  Frage  auf,  durch  welche  psycho- 
logische Processe  dieses  so  unerwartete  Resultat  möglich 
werde.  Hier  will  ich  auf  diese  Frage  Oberhaupt  nur  nach- 
drĂĽcklich hinweisen.  Bemerkt  sei  nur  noch,  dass  man,  um 
nur  einiges  Licht  in  diesem  Dunkel  zu  schaflfen,  zu  der  An- 
nahme wird  kommen  mässen,  dass  sich  in  unserer  Seele 
beim  Lesen,  Sprechen,  Hören  unbewusst  und  so  für  imsere 
Beobachtung  unzugänglich  etwas  unseren  obigen  Forderun- 
gen Aehnllches  vollziehe.  Die  Hauptleistung  beim  Ver- 
stehen einer  Rede  u.  dgl.  wird  den  unbewussten  psy- 
chischen Processen  zugeschrieben  werden  mässen.  Diese  Rich- 
tmig  in  der  Erklärung  des  in  Frage  stehenden  psychischen 
Phänomens  schlägt  Liebmann  in  seinem  anregenden  Auf- 
satze über  „die  Existenz  der  abstracten  Begriffe'*  ein  (Zur 
Analysis  der  Wirklichkeit,  2.  Aufl.  S.  470  ff.).  Die  meisten 
Psychologen  freilich  gleiten  ĂĽber  derartige  Schwierigkeiten 
ohne  jedes  Bedenken  hinweg. 

Diese  Vertretung  des  Begriffes  durch  das  Wort  ist  denn 
aach  der  schon  oben  von  mir  angekĂĽndigte  Punkt,  wo  es 
zam  grossen  TheOe  begreiflich  wird,  wie  die  Ansicht  entstehen 
komite,  dass  der  Begriff  in  der  abstracten,  bildlosen  Vorstellung 
des  Gemeinsamen  bestehe.  Hat  das  anschauliche  Schema  schon 
in  den  FäDen,  wo  wir  den  Begriff  in  voller  Ausdrucklichkeit 
denken  und  die  oben  dargelegten  Forderungen  erfĂĽllen,  eine 
unbestimmte,  schwankende  Gestalt,  so  wird  es  da,  wo  der 
Begriff  am  Worte  haftet,  vollends  undeutlich.  Dieses  völlige 
Fehlen  emer  bestimmten  Anschauung  ist  es  wohl,  was  am 
Meisten  zu  der  Entstehung  des  Irrthums  beitrug,   dass  der 


160  Dr.  A.  Döring:  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik. 

Begriff  in  der  anschauungslosen  Vorstellung  der  gem^nsamen 
Merkmale  bestehe.  In  Wahrheit  enthält  diese  äusserste  Abbre- 
viatur der  Begriffsbildung  ebenso  wenig  eine  irgendwie  bestinunte 
Vorstellung  des  Gemeinsamen  als  eine  irgendwie  deutliche 
Vorstellung  von  Einzelbildern.  Neben  der  Vorstellung  des 
Laut-  oder  Schriftbildes  ist  lediglich  eine  kaum  zu  deutende 
dunkle  Erregung  von  Fühlen  und  Anschauen  wahrzunehmen.  — 
Uebrigens  hat  auf  der  anderen  Seite  dieser  abgekĂĽrzte  Vor- 
gang unzweifelhaft  auch  zur  Entstehung  der  nominalistischen 
Täuschung  beigetragen.  Unstreitig  hat  die  sprachliche  Be- 
nennung für  uns  etwas  Fixirendes,  Erleuchtendes;  wir  hören 
die  Worte,  fügen  zu  den  gehörten  Worten  nichts  als  ein 
vages  GrefĂĽhl  hinzu  und  verstehen  doch  unmittelbar  den  Sinn 
derselben.  Es  ist  daher  kein  Wunder,  wenn  sich  die  schwierige 
Frage,  worin  der  Begriff  bestehe,  für  solche  Eöpfe,  die  um 
jeden  Preis  nach  absolut  räthselloser  Klarheit  streben,  dahin 
beantwortet,  dass  es  in  unserem  Vorstellen  etwas  Allgemeines 
ĂĽberhaupt  nicht  gebe,  sondern  das,  was  uns  die  Allgemein- 
begriffe zu  leisten  seheinen,  lediglich  eine  Leistung  der  Worte 
in  Verbindung  mit  den  Einzelvorstellungen  sei. 

Jena  Johannes  Volkelt 


Grundzttge  der  allgemeinen  Logik  als  einer  allgemeinen  Metho- 
denlehre des  theoretischen  Denkens.  Von  Dr.  A.  DSring, 
Director  des  Gymnasiums  zu  Dortmund.  I.  Theil.  Einlei- 
tung und  Naturlehre  des  theoretischen  Denkens.  Dortmund, 
Koppen  (Otto  ühlig).     1880.    (Vin  u.  168  S.)    8». 

In  einer  frĂĽheren  Schrift  ĂĽber  den  Begriff  der  Philoso- 
phie (Dortmund  1878,  angezeigt  in  den  Philos.  Monatsh.  XV, 
p.  87  ff.)  hatte  der  Verf.  letztere  gefasst  „als  eine  Zusanunen- 
stellung  von  Erkenntnissen  unter  einem  Zwecke,  der  ausser- 
halb und  jenseits  des  blossen  Erkennens  liegend  ein  Lebeils- 
interesse  seV\  nämlich  als  „Wissenschaft  von  den  für  das 
menschliche  Handeln  unabänderlichen  Bedingungen  und  Schran- 
ken menschlicher  GlĂĽckseligkeit' ^  Solche  Begriffsbestiumiung 
„an  einem  bestimmten  materiellen  Gedankenkreise  in  concreto 
zur  Anwendung  und  DurchfĂĽhrung  zu  bringen  und  zu  ver- 


Dr.  A.  Döring:  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik.  151 

anschaolichai,  und  hinsichtlich  ihrer  praktischen  Verwendbar- 
keit auf  die  Probe  zu  steUen",  mochte  immerhin  wĂĽnacbens* 
werth  sein.  Vor  Allem  aber  schien  dem  Verf.  eine  „Aus- 
einandersetzung mit  der  aller  strengen  Wissenschaft  gemein- 
schaftlichen erkenntnisstheoretischen  Grundfrage  nach  den 
GrĂĽnden  und  Stufen  der  wissenschaftlichen  Gewissheit**  nft- 
thig.  So  erwuchs  ihm  die  nach  sdner  Ansicht  „nicht  speeiell 
philosophische,  sondern  allgemein  wissenschaftliche  Aufgabe, 
das  erkenntnisstheoretische  Fundament  fĂĽr  den  beabsichtigten 
phOosophischen  Aufbau  zu  legen*'  und  als  ,, Voraussetzung  de? 
Erkenntnisslehre"  die  Logik  zu  bearbeiten,  von  deren  Grund- 
zägen  der  erste  Theil  hier  vorliegt. 

Dem  herkömmlichen  „Uebergreifen  auf  das  Gebiet  der 
EAenntnisslehre"  entgegen  will  der  Verf.  die  Logik  „streng- 
stens auf  das  Gebiet  des  Denkens  im  Gegensatze  gegen  das 
Erkennen,  naher  des  theoretischen  oder  immanenten  Denkens 
im  Unterschiede  vom  praktischen  oder  transscendenten  Den- 
ken einschranken'^  Denn  alles  Denken  hat  zum  Material  die 
„Vorstellungen*'  in  ihren  unterschiedlichen  Abstufungen,  und 
besteht  in  einer  „Verknüpfung  oder  Synthese  jener  objectiven 
Bestandtheile  des  Bewusstseins'*,  und  zwar  in  einer  nothwen- 
digen,  d.  h.  „durch  den  Zweck  geleiteten"  Verknüpfung  von 
Vorstellungen.  Auf  der  Verschiedenheit  des  Zweckes  beruht 
flun  der  Unterschied  zwischen  dem  theoretischen  und  prakti- 
schen Denk^:  beim  praktischen  Denken  ist  der  Zweck  „ein 
ausserhalb  des  Gebietes  der  VerknĂĽpfung  selbst  und  des  ver- 
knĂĽpften Materials  gelegener",  beim  theoretischen  dagegen  ist 
„die  Nothwendigkeit  eine  ganz  in  seinem  eigenen  Gebiete  und 
im  Gebiete  des  von  ihm  verknĂĽpften  Materials  selbst  liegende". 
Damm  wird  von  dem  Värf.  das  theoretische  Denken  auch 
als  „immanent"  bezeichnet,  sofern  „das  Gebiet  seiner  Thätig- 
kdt  ganz  innerhalb  des  Bewusstseins  liegt".  Sein  Zweck  er- 
gibt sich  als  „Herstellung  einer  Uebersicht  und  Beherrschung 
des  unendlichen  Materials  der  Bewusstseinselemente  durch 
Gewinnung  einer  der  Natur  und  Beschaffenheit  dieser  Ele- 
mente entsprechenden  Ordnung",  aus  welcher  „eine  leichte  Re- 
produdrbarkeit  des  inhaltlich  Zusammengehörigen  entspringt". 
Dabei  ist  jjias  theoretische  Denken  „seiner  eigentlichen  Grund- 


153  Dr.  A.  Döring:  Grundznge  der  ailgemeinen  Logik. 

richtung  nach^^  synthetisch,  d.  h.  „zusammenfassend,  aufbauend, 
vereinigend";  erst  „in  räckläufiger  Bewegung  vom  Allgemei- 
nen  zum  Einzebien   wird  es  analytisch".     Wohl  eignet  ein 
theoretisches  Verhalten  aucti  dem  Erkennen;  aber  „der  tren- 
nende Unterschied  vom  theoretischen  Denken"  ist  auf  Seite 
des  Erkennens  die  „Verifidrung  der  Vorstellung  durch  das 
verglichene  Seiende",  während  das  theoretische  Denken  „sich 
mit  der  Vorstellung  allein  als  solcher  befasst".    An  diesem 
theoretischen  Denken  nun  hat  die  Logik  angeblich  ihren  Ge- 
genstand;  es  ist  „ein  psychischer  Naturprocess,  näher  die- 
jenige Association  der  im  Bewusstsein  gegebenen  Vorstellungs- 
elemente, die  nicht  nach  willkĂĽrlichen  oder  zufalligen  Moti- 
ven, sondern  nach  innerer  Verwandtschaft  sich  vollzieht  und 
daher  dem  Zwecke  der  sachlich  geordneten  Aufbewahrung 
und  Reproduction  zu  dienen  geeignet  ist".    Demgemäss  soll 
das  „natürliche,  instinctive  Verfahren  in  einer  Naturlehre  des 
theoretischen   Denkens   ins  Bewusstsein   erhoben,   descriptiv 
dargestellt  und  auf  die.  in  ihm  waltenden  Gesetze  zurĂĽckge- 
führt werden",  eine  Aufgabe,  welche  die  gegenwärtige  Schrift 
als  „Naturlehre  des  theoretischen  Denkens"  zu  erfüllen  sucht. 
Das  Fernere  wäre  nach  des  Verf.  Forderung  eine  „Kritik" 
vom  Gesichtspunkte  der  Zweckmässigkeit,   und  endlich  eine 
„Umsetzung  der  kritisch  geläuterten  Gesetze  in  ein  System 
von  Regeln"  oder  in  die  „Methodenlehre"  des  betreffenden 
Verfahrens  (Logik  im  engeren  Sinne).    Die  PrĂĽfung  des  na- 
türlichen,  instinctiven  Verfahrens  auf  seine  Zweckmässigkeit 
und  die  daraus  sich  erhebende  Logik  im  engeren  Sinne   ist 
einem   kĂĽnftigen  zweiten   und  vielleicht  dritten  Theile  vor- 
behalten. 

Hier  dagegen,  in  der  Naturlehre  des  theoretischen  Den- 
kens, entwirft  der  Verf.  „eine  Art  von  empirischer  Psycho- 
logie unter  dem  vorherrschenden  Gesichtspunkte  der  Vorgänge 
des  natĂĽrlichen  theoretischen  Denkens"  und,  wie  er  hinzu- 
fügt, „vom  Standpunkte  strenger  wissenschaftlicher  Voraus- 
setzungslosigkeit".  Die  „Bewusstseinsvorgänge"  unterscheidet 
er  in  „zustandbildende"  und  in  „Verknüpfungen";  jene  lie- 
fern „gewissermassen  das  Material  für  die  Vorgänge  der  an- 
deren Gattung".    Bei  ihnen  werden  von  einander«  gesondert 


1 

I 

I 

I 

â–  

I 

I 

I 

! 


Dr.  A.  Döring:  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik.  153 

„die  reinen  Zustandsqualitäten^S  z.  B.  der  Grundzustand  der 
Befriedigung  oder  Lust,  und  die  „zuständliche  Qualität  des 
VorsteUens,  deren  Eigenthumlichkeit  in  dem  Empfangen  eines 
Gegebenen  oder  vielmehr  in  dem  Entgegennehmen  eines  sich 
Aufdrängenden  besteht'^;  zufolge  der  Mannigfaltigkeit  der  ob- 
jeetiven  Qualität  „entsteht  in  dem  Zustande  des  VorsteUens 
die  Mannigfalt^keit  der  Vorstellungen".  Bezüglich  der  „Ver- 
knäpfui^en"  hinwieder  ,,ergeben  sich  sieben  Gesichtspunkte, 
unter  denen  sie  möglicherweise  vorkommen  können",  Inten- 
sität, zeitliches  Verhältniss,  Geffihlsqualität  u.  s.  f.,  wobei  her- 
vorgehoben wird,  dass  eine  Art  der  im  Vorstellen  unmittelbar 
g^benen  Verknäpfungen  in  Urtheilsform  auftritt  und  sich 
in  den  sog.  Urtheilen  ex  datis  findet.  Zweck  aber  der  „sy- 
stematischen Durchmusterung  der  Verknäpfungsweisen"  soll 
der  Nachweis  der  eigenthämlichen  Natur  eben  des  theoreti- 
schen Denkens  sein,  ein  Zweck,  den  der  Verf.  in  befriedigen- 
der Weise  erreicht  zu  haben  glaubt,  meinend,  dass  das  theo- 
retische Denken  „sich  deutlich  absondert  von  den  übrigen 
VerknĂĽpfungsweisen,  theils  durch  seine  auf  der  objectiven 
Qualität  der  Vorstellungen  beruhenden  Universalität,  theils 
durch  die  auf  dem  Zwecke  beruhende  Nothwendigkeit,  vor 
allen  Dingen  aber  durch  die  Unabhängigkeit  des  Zweckes  von 
GefĂĽhl  und  Streben'\  Diesem  wesentlichen  Merkmal  gegen- 
ĂĽber soll  es  von  nur  untergeordneter  Bedeutung  sein,  ob  die 
Synthese  äusserlich  in  der  Form  des  Urtheils  auftritt  oder 
als  unmittelbare  Verschmelzung  erscheint:  denn  „das  Urtheil 
ist  durchaus  nicht  die  charakteristische  Form  des  theoreti- 
schen Denkens^S  „es  sind  nur  ganz  bestimmte  Arten  von  Ur- 
theOen,  die  beim  theoretischen  Denken  in  Betracht  kommen*  ^ 
hl  Beschreibung  und  Behandlung  des  theoretischen  Den- 
kens selbst  unterscheidet  der  Verf.  als  ;,die  ersten  Zusammenfas- 
sungen der  Vorstellungen"  einfache  und  complete  Vorstellun- 
gen; darüber  hinaus  ergibt  sich  sowohl  „extensive"  Erweite- 
rung nach  Seite  des  Umfangs,  als  auch  „intensive"  nach  Seite 
des  Inhalts,  und  zwar  durch  Urtheile,  welche  der  Verf.  „ge- 
mäss der  allgemeinen  Tendenz  der  Zusammenfassung,  der 
sie  dienstbar  sind",  synthetische  Urtheile  nennt,  in  subsumi- 
rende  oder  Urtheile  des  Umfangs  sie  eintheilend,  und  in  de- 


154  Dr.  A.  Döring:  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik. 

terminirende  oder  Urtheile  des  Inhalts.  Das  sonst  sog.  ne- 
gative Urtheil  ist  „im  besten  Falle  eine  kritische  Vorstufe  der 
richtigen  Synthese'^  Partikuläre  UrtheUe,  die  nur  eine  un- 
bestimmte Mehrheit  betreffen,  sind  werthlos;  „betreffen  sie 
aber  eine  bestimmte,  durch  Zahlen  oder  sonstige  Bezeichnun- 
gen abgegrenzte  Mehrheit  von  Fällen,  so  stellen  sie  nur  rine 
der  Bequemlichkeit  dienende  Abkfireung,  eine  Addition  von 
singulären  Urtheilen  dar".  Dagegen  sollen  die  universellen 
Urtheile  „von  der  höchsten  Bedeutung"  sein  und  „nur  durch 
Induction  entstehen"  können.  Das  {Mroblematische  Urtheil 
soll,  wie  das  negative,  vom  synthetischen  Denken  ausgeschlos- 
sen, fĂĽr  das  natĂĽrliche  Denken  nur  das  assertorische  Ur- 
theil in  Anspruch  genommen  v^erden,  das  apodiktische  fĂĽr 
„das  logisch-methodische  Denken"  aufbewahrt  bleiben«  Dazu 
hält  der  Verf.  „die  Auffiihrung  der  drei  Stufen"  der  subjec- 
tiven  Gewissheit  als  Arten  „für  einen  logischen  Fehler",  so 
wie  wenn  man  „den  Wein  eintheilen  wollte  in  Reben,  Most 
und  Wein".  Die  Relation  endlich  soll  gar  nicht  in  die  Logik, 
sondern,  weil  sie  die  Beziehung  der  Urtheilsverknäpfung  zur 
Wirklichkeit  angeht,  in  die  Erkenntnisslehre  gehören.  Sonach 
macht  sich  der  Verf.  zunächst  nur  mit  den  Formen  bejahend- 
singulär-assertorisch  zu  thun,  sowie  mit  den  Formen  bejah^id- 
universal-assertorisch,  indem  er  1)  die  Erweiterungen  durch 
singulare  UrtheĂĽe  und  2)  die  Erweiterungen  durch  universelle 
synthetische  Urtheile  oder  durch  hiduction  bespricht;  hierbei 
fordert  er  strenge  Scheidung  „zwischen  der  Induction  mit 
Erkenntnisscharakter  und  zwischen  der  Induction  des  theo- 
retischen Denkens"« 

Indessen  hat  „das  natürliche  Denken  ausser  der  Ten- 
denz der  Zusammenfassung  auch  die  der  Wiederauflösung 
des  Zusammengefassten  in.  die  ursprĂĽnglicheren  Bestandtheile". 
Daher  nimmt  der  Verf.  Anlass,  1)  von  der  „extensiven  Ana- 
lysis",  d.  h.  Verdeutlichung,  und  zwar  sowohl  von  der  „to- 
talen", hiermit  von  Division  und  Partition,  als  auch  von  der 
„partialen",  und  im  Ausschluss  daran  vom  Syllogismus  zu 
handehi,  der  ihm  also  „ein  analytischer  Vorgang"  ist,  2)  von 
der  „intensiven  Analysis",  in  deren  Bereich  er  als  eine  ab- 
gekĂĽrzte Form  die  Definition  verweist 


Dr.  A.  Döring:  GrundzOge  der  allgemeinen  Logik.  155 

In  dieser  Folge  legt  der  Verf.  seine  Naturlehre  des  theo- 
retischen Denkens  auseinander.     Nicht  als  einen  Theil  der 
Philosophie  betrachtet  er  seine  Logik.    Denn  zwei  Gruppen 
von  Wissenschaften  werden  zu  oberst  unterschieden;   solche, 
„die  nicht  im  Wissen  selbst  ihren  Endzweck  haben",    und 
solche,  welche  „gleichsam  als  Vorrathskammer  im  Wissen  die 
Erfüllung  ihres  Zweckes  finden";   zu  jenen   gehören  1)  die 
„Theorien,  in  welchen  Anleitung  ertheilt  wird  zu  einem  mensch- 
liehen  Schaffen  oder  Handeln  behufs  Hervorbringung  von  Ver- 
änderungen im  Seienden  für  Zwecke  des  menschlichen  Wohl- 
seins",   und  2)  die  Philosophie,   welche  nach  Wissen  strebt, 
„um  die  unabänderlichen  Bedingungen  und  Schranken  unse- 
rer GlĂĽckseligkeit  kennen  zu  lernen",    so  dass  weder  Physik 
und  Metaphysik,  noch  Ethik  und  Aesthetik  zur  Philosophie 
gehört     Gleichfalls  eine  „nicht  speciell  philosophische  Auf- 
gabe"  ist   die  Erkenntnisstheorie,   deren  Voraussetzung  die 
Logik  sein  soll,   während  dieser  umgekehrt  die  Erkenntniss- 
theorie (S.  24)  und  letzterer  hinwieder  die  Psychologie   zur 
Voraussetzung   dient:   sie   alle   liegen  demnach  jenseits   der 
Philosophie.     Solche  Ablösung   der  Logik  aus  dem  Ganzen 
der  Philosophie  ist  freilich  entgegen  der  geschichtlichen  Ent- 
wicklung, welche  die  Philosophie  ĂĽberhaupt  und  die  moderne 
Logik  selbst  genommen  hat,  erklärt  sich  aber  schon  aus  der 
Unzulänglichkeit  einer  Begriffsbestimmung,   wonach  die  Phi- 
losophie ihre  Aufgabe  von  Aussen  her  zu  empfangen  hätte 
oder  einem  nur  untergeordneten  Zwecke  ihrerseits  unterworfen 
wäre:  sonst  müsste  sie  bekennen,  dass  sie  gerade  am  höch- 
sten Prindp  das  höchste  Interesse  nehme,  von  solchem  Princip 
aus  alles  Einzelne  zu  verstehen  suche,   und  daher  auch  die 
Logik  als  ein  Glied  des  wissenschaftlichen  Ganzen,   das  eben 
sie  selbst  wäre,  darzustellen  hätte.    Es  könnte  darum  schei- 
nen, als  ob  der  Verf.  den  Stand  und  Gang  der  heutigen  Wis- 
senschaft verliesse;  aber  es  ist  auch  einzusehen,  dass  solcher 
Schein  leicht  hervorgerufen  wird  vom  Bestreben,  selbstständig 
ein  Gebiet  des  Wissens  zu  reformiren.    Trotzdem  bleibt  be- 
denklich und  ohne  Zweifel   hinderlieh   die   so   zu  nennende 
mechanische  Weise  des  Verf.,  die  Herrschaft  einer  Synthese, 
welche  „zusammensteUt",   auch  „zusammenfasst",   aber  des 


156  Dr.  A.  Döring:  Grundsüge  der  allgemdiien  Logik. 

schöpferischen  Triebes  und  Vermögens  entbehrt,  und  nur 
eine  Analysis  zulässt,  welche  nichts  Anderes  zu  thun  hat,  als 
zum  Anfang  der  Synthese  zurĂĽckfĂĽhrend  deren  That  oder 
vielmehr  Schwäche  und  Abhängigkeit  in  das  Licht  zu  setzen, 
ohne  Besseres  dafür  bieten  zu  können.  Der  Wissenschaft 
vom  Denken  thut  vor  Allem  Noth  die  Anerkennung  der 
Selbstheit  des  Denkens,  welches  aus  eigener  Kraft  sich  un- 
terscheidet von  dem,  was  es  nicht  ist,  und  sich  auf  sich  zu- 
rĂĽckbezieht und  als  die  Einheit  seiner  Akte  sich  begreift. 

Der  Verf.  will  der  Logik  „die  erste  SteUe  in  der  Reihen- 
folge der  menschlichen  Erkenntnissgruppen^^  anweisen;  allein 
es  handelt  sich,  selbst  wenn  die  Reihenfolge  klar  gestellt 
wäre,  für  die  Wissenschaft  nicht  sowohl  um  Reihenfolge,  als 
um  ein  organisches  Ganzes  und  um  die  organische  Function 
der  Logik  in  demselben.  Er  sieht  das  „Grundgebrechen  der 
bisherigen  Logik  in  dem  von  ihrem  Urheber  Aristoteles  er- 
erbten apodiktischen  Charakter",  strebt  jedoch  an  seinem 
Theile  nach  einem  „System  von  Regeln  (Methodenlehre)",  auf 
Grund  der  „kritisch  geläuterten  Gesetze"  des  Denkens,  nach 
Regeln,  welche  ohne  apodiktischen  Charakter  keine  Regeln 
wären.  Gegenüber  der  „mystischen"  Nothwendigkeit  einer 
unbedingten  apriorischen  Wahrheit,  „vor  der  uns  gleichsam 
der  Verstand  stille  steht",  rühmt  er  sich  einer  „Ableitung  der 
Nothwendigkeit  aus  dem  Zwecke",  während  jeder  immanente 
Zweck  jenen  „mystischen"  Hintergrund  bildet,  ein  transeunter 
aber  als  hypermystisch  fĂĽr  die  Erkenntniss  des  davon  beein- 
flussten  Gebietes  mindestens  imzureichend  ist.  Er  glaubt, 
dem  Begriff  des  Formalen  „eine  allgemeinere  Bedeutung"  ge- 
geben zu  haben,  sofern  ,jede  allgemeine  Regel  eines  Verfah- 
rens, wefl  durch  Abstraction  vom  Concreten  der  SpecialfSIle 
gewonnen,  formalen  Charakter"  besitze;  aber  solche  auf  Ab- 
straction beruhende  Formalität  ist  jedenfalls  specifisch  ver- 
schieden von  einer  mit  dem  Wesen  erfĂĽllten  und  daher  nur 
Nebenart,  also  nicht  von  genereller  Bedeutung.  Als  Eigen- 
thĂĽmlichkeit  seiner  Behandlungsweise  bezeichnet  der  Verf. 
auch  dies,  dass  er  die  Logik  als  „Organon"  und  als  „allge- 
meine" fasst;  doch  kann  nicht  fĂĽr  eine  EigenthĂĽmlichkeit 
gelten,  was  dem  Verf.  mit  vielen  anderen  Logikern  gemeinsam 


Dr.  A.  Döring:  GnuidsOge  der  allgemeinen  Logik.  167 

ist  Er  rĂĽhmt  sich,  die  Logik  auf  das  theoretische  Denken 
bezogen  zu  haben  im  Gegensatz  zmn  praktischen  Denken 
und  zmn  Erkennen;  aUein  die  Logik  als  Organon  imd  als  all- 
gemeine hat  es  mit  dem  Denken  ĂĽberhaupt  zu  thun,  und  das 
Erkennen  als ,, Vorstellen  eines  Seienden  wie  es  ist",  ist  selbst 
immer  Denken.  Er  behauptet,  „die  Naturlehre  als  Wissenschaft 
von  den  Gesetzen  des  natĂĽrlichen  theoretischen  Denkens  unter- 
schieden zu  haben  von  der  Methodenlehre  als  dem  norma- 
tiven  hibegriff  der  Regeln  für  ein  vollkommenes  zweckmäs- 
siges theoretisches  Denken'^;  indess  bleibt  eine  auf  Abstraction 
beruhende,  wennschon  durch  die  „Kritik"  gestützte  Methoden- 
lehre des  Denkens  nur  eine  auf  allgemeine  Formen  reducirte 
Naturlehre  desselben. 

Wie  viele  Andere  vor  ihm  und  neben  ihm  wird  der  Verf. 
aufs  tiefste  bewegt  von  der  Unterscheidung  der  Logik  als 
einer  Naturlehre  und  als  emer  Kunstlehre.  In  ihr  liegt  ohne 
Zweifel  ein  wichtiges  Problem,  das  gelöst  werden  muss.  Aber 
die  Lösung  wird  nicht  durch  Abstraction  von  Regeln  auf 
Grund  gegebener  Denkweisen  gewonnen,  noch  durch  das  Ge- 
wicht praktischer  BedĂĽrfnisse.  Sondern  den  letzteren  wird 
erst  genügt  durch  Vertiefung  in  des  Denkens  Bethätigung  selbst, 
welches  gemäss  seiner  Natur  auch  seine  «genen  Normen  in 
sich  trägt  und  um  seiner  selbst  willen  aus  sich  geltend  macht 

Dergleichen  Forschen  mĂĽsste  den  Kern  der  logischen 
Frage  treffen.  In  der  That  befleissigen  sich  dermalen  Viele 
mit  nicht  geringer  Kraft,  die  Schale  zu  brechen  und  den 
kamf&higen  Inhalt  zum  Wachsthum  zu  bringen.  Auf  Seite 
Der^,  welche  einer  sog.  psychologischen  Grundlage  die  Logik 
abzugewinnen  hoffen  und  sich  bemĂĽhen,  steht  der  Verfasser. 
Allen  was  da  und  was  sonst  als  psychologische  Grundlage 
bezeichnet  wird,  ist  zumeist  ungeschieden  theils  das  erk^int- 
oisstheoretische  Object  des  Denkens  ĂĽberhaupt,  theils  eme 
Stufe  und  Art  des  sich  bethätigenden  Denkens  selbst,  welche 
anderen  Stufen  und  Arten  zum  Hervortreten  Anlass  gibt  und 
als  Denkakt  im  Verein  mit  den  anderen  Denkakten  das  Ge- 
biet der  Denkwissenschaft  auszumachen  hätte.  Der  Psycho- 
logie gilt  viebnehr  die  Frage  nach  dem  Sub  ject  des  Denkens, 
während  in  der  Frage  nach  des  Denkens  Gegenstand  das  er* 


158  Peter  Enoodt:  AnUm  Gflnther. 

keimtnisstheoretische  Moment  sich  bethätigt.  Zwischen  bei- 
den bewegt  sich  das  Denken  mit  seinen  immanenten  Unter- 
schieden; nach  diesen  Seiten  abgegrenzt,  durfte  es  zum  sicheren 
Gegenstand  dem  Logiker  sich  bieten. 

Erlangen.  Rabus. 


Anton  Günther.  Eine  Biographie  von  Peter  Knoodt.  2  Bände. 
Mit  dem  Bildnisse  A.  GĂĽnther's.  Wien,  Wilhehn  Brau- 
müUer.     1881.    (I.  XXII  u.  414  S.;  IL  XV  u.  566  S.)   8». 

Ein  treflfliches  Buch  zur  rechten  Zeit,  dachten  wir,  als 
wir  die  beiden  stattlichen  Bände  von  Enoodt's  Biographie 
Anton  GĂĽnther's  sorgfaltig  durchgelesen  hatten  und  darauf 
die  Fälle  seines  Inhaltes  noch  einmal  im  Geiste  uns  vergegen- 
wärtigten! Nicht  eine  gewöhnliche  Biographie  und  nicht  das 
Leben  eines  Gewöhnlichen  sondern  das  eines  Heros  im  Reiche 
des  Gedankens  tritt  dem  Leser  in  dem  Buche  entgegen.  Das- 
selbe ist  mn  so  anziehender,  wir  möchten  sagen,  um  so  dra- 
matischer, je  weniger  der  Verfasser  von  dem  Seinigen  hinzu- 
getban  und  je  mehr  er  es  sich  ziu*  Aufgabe  gesetzt,  GĂĽnther 
und  seine  Zeitgenossen  selbst  sprechen  zu  lassen. 

Nach  dem  Vorworte,  in  welchem  die  bis  auf  die  Gegen- 
wart hinausgeschobene  Veröffentlichung  der  Biographie  be- 
grĂĽndet, das  Quellenmaterial  derselben  angegeben  und  auf 
die  bisher  erschienenen  objectiven  und  zuverlässigen  Darstel- 
lungen der  Philosophie  GĂĽnther's  hingewiesen  wird,  beginnt 
der  erste  Band  mit  einer  „Selbstbiographie"  Günther's,  welche 
derselbe  aber  nur  bis  zum  Jahre  1828,  der  Zeit  des  Erschei- 
nens seines  Hauptwerkes,  „der  Vorschule  zur  speculativen 
Theologie  des  positiven  Gliristenthums",  fortgefĂĽhrt  hat.  Der 
Leser  erfahrt  durch  dieselbe  von  der  Biederkeit  aber  auch 
von  der  Noth  in  GĂĽnther's  elterlichem  Hause,  von  der  fast 
unsagbaren  Bedürftigkeit  Günther's  während  seiner  Studien- 
zeit, von  seiner  intellectuellen  und  ethischen  Entwickelung  auf 
dem  Gymnasium  und  der  Universität,  seiner  Erzieherlauf  bahn 
in  mehreren  vornehmen  Häusern,  seinem  Eintritt  in  die  Theo- 
logie, das  Priesterthum  und  den  Jesuitenorden,  sdnen  Erleb- 
nissen in  dem  letzteren  und  endlich  seinem  Austritt  aus  dem- 


Peter  Knoodt:  Anton  CMnther.  159 

selben,  nadidem  ihm  klar  geworden,  dass  „er  nicht  für  die 
Jesuiten  und  die  Jesuiten  nicht  fĂĽr  ihn  passten^'  (1, 157).  Auf 
die  Selbstbiographie  folgen  zur  Vervollständigung  derselben 
zunächst  mehrere  vor  dem  Jahre  1828  verfasste  Briefe  an 
Gänther,  und  darauf  eine  Besprechung  von  Gänther's  „litte-- 
rarischen  Arbeiten  vor  dem  Erscheinen  der  Vorschule".  Die- 
selben bestehen  aus  einer  Reihe  von  Recensionen  aber  da- 
mals erschienene  Schriften,  welche  Günther  in  der  „Wiener 
AUgemein^i  litteraturzeitung"  oder  in  den  „Wiener  Jahr- 
bächern  der  Utteratur"  veröffentlichte.  Mit  Recht  hat  Knoodt, 
wiewohl  er  „eine  Skizzirung  der  Philosophie  Günther's  von 
seiner  Biographie  ausgeschlossen,  weil  dieselbe  dadurch  zu 
umfangreich  geworden  wäre"  (I,  XI),  doch  aus  den  erwähn- 
ten bisher  so  gilt  wie  ganz  unbeachtet  gebliebenen  Recen- 
sionen „ausgiebige  Auszüge  gemacht,  um  durch  dieselben  die 
ersten  Anfänge  und  das  allmälige  Werden  jener  originellen 
PhQosophie  an's  licht  treten  zu  lassen'^  (I,  Xu).  Der  erste 
Band,  von  Seite  251  an,  und  der  ganze  zweite  Band  bringen 
die  ,J^ortsetzung  der  Autobiographie'^  GĂĽnther's ;  sie  umfassen 
den  Zeitraum  vom  Jahre  1828  bis  zu  dem  am  24.  Februar 
1863  erfolgten  Tode  des  Philosophen.  Es  ist  ein  gutes  StĂĽck 
Zeit-  und  Eirchengeschichte,  weiches  hier  vor  den  Augen  des 
Lesers  aufgerollt  wird,  um  so  wichtiger,  da  die  Verhandlun- 
gen nicht  so  sehr  mit  äusseren,  in  die  Augen  fallenden  Er- 
eignissen, als  viebnehr  in  erster  Linie  und  hauptsächlich  mit 
den  tief  verborgenen,  die  Geschichte  bewegenden  Mächten, 
nut  Ideen  und  Weltanschauungen,  sich  befassen.  Dieses  reiche 
Gemälde  gruppirt  sich  naturgemäss  um  die  Persönlichkeit 
Gfinther's.  Das  Erscheinen  der  „Vorschule^^  machte  Günther 
in  vielen  Kreisen  bekannt.  Nicht  Wenige  begrĂĽssten  das  in 
ibm  au^hende  Gestirn  am  Horizonte  der  Philosophie  mit 
hoher  Freude,  welche  in  demselben  Masse  sich  steigerte  und 
wäter  verbreitete,  als  Günther  seitdem  Jahre  1828  in  rascher 
fidge  dne  namhafte  Zahl  neuer,  umfangreicher  und  tiefsinni- 
ger W^ke  erschauen  Hess,  die  wesentlich  dazu  beitrugen, 
den  Lesern  derselben  das  Verständniss  seines  Gredankensystems 
zu  erleichtem  und  von  der  grossen  Bedeutung  und  Tragweite 
desselben  mehr  und  mehr  zu  ĂĽberzeugen.   Die  Folge  hiervon 


100  Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther. 

war,   dass   ihrem  Verfasser  von   verschiedenen  Regierungen 
öfter   als   vielleicht  irgend   einem   anderen  Philosophen  des 
Jahrhunderts    akadeniische   Professuren    angeboten   wurden. 
Im  Jahre  1831  verhandelten  Görres  und  Bischof  Salier,  Letz- 
terer im  Auftrage  des  Königs,   mit  Günther  wegen  Ueber- 
nahme  einer  Professur  an  der  Universität  München  (1, 272  fg.), 
während  gleichzeitig  das  Cultusministerium  in  Berlin  ihn  zu 
bewegen  suchte,   die  durch  Hermes'  Tod  erledigte  Professur 
der  Dogmatik  in  Bonn  oder  auch,  falls  ihm  das  erwĂĽnschter 
wäre,  eine  solche  in  Breslau  zu  übernehmen  (1, 281  fg.).  Und 
um  dieselbe  Zeit  „wurden  auch  von  der  österreichischen  Re- 
gierung zu  diesem  Ende  wiederholte  Anläufe  gemacht.    So 
hatte  man  insbesondere  ihn  zum  Vice-Director  der  philoso- 
phischen  Lehranstalt  ernannt,  um  ihm  dann  später  eme  phi- 
losophische Professur  verleihen  zu  können^S    Aber  alle  diese 
Anerbietungen,  sowie  eine  spätere  nochmalige  Berufung  nach 
MĂĽnchen  (I,  326)  und  eine  gleiche  nach  TĂĽbingen  (I,  366) 
lehnte  Günther  ab,   vorzugsweise  in  „der  Besorgniss,    durch 
den  Eathedervortrag  seiner  Speculation  nicht  nur  mit  seinen 
Special-CoUegen  in  Kampf,   sondern  auch  mit  der  Hierarchie 
in  Collision  zu  gerathen,  und  dadurch  die  Zukimft  seiner  Phi- 
losophie,  an  der  ihm  unvergleichlich  mehr  lag,   als  an  der 
Verbesserung  seiner  persönlichen  Lage,   ernstlich   zu  gefähr- 
den'^    Und  ausserdem  „bestinunte  ihn  auch  sein  ehemaliges 
Jesuiten  -  Noviziat,  jeden  Antrag  einer  Lehrkanzel  im  katholi- 
schen und  protestantischen  Auslande  abzulehnen,  damit  man 
ihm   nicht  hinterher   den  Jesuiten  als  PrĂĽgel  zwischen    die 
Füsse  werfe"  (I,  284  und  285).     „Inzwischen  gewann  aber 
GĂĽnther  auch  ohne  Katheder   eine  von  Jahr  zu  Jahr  wach- 
sende Schaar  von  SchĂĽlern  und  Verehrern;"   andere,  Wort- 
führer in  der  Wissenschaft  oder  in  der  Kirche,  „näherten  sich 
ihm  freundschaftlichst",    so  „die  späteren  Bischöfe:   Amoldi, 
Diepenbrock,  Förster  und  vor  Allem  der  Fürst  Cardinal  Schwar- 
zenberg  von  Prag,  der  „ihm  stets  hülfsbereite  treue  Liebe  be- 
wahrte"; imter  den  Protestanten:  Harless,  Erdmann,  Tholuck, 
Rosenkranz,  Hinrichs,  Lange  u.  A."  (1, 286  fg.).    Um  dieselbe 
Zeit  fand  seine  Philosophie  ihre  Vertretung  auch  an  mancher 
bischöflichen  Lehranstalt  und  Universität.   So  erhielt  Mertens, 


Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther.  161 

der  ,,6ĂĽnther's  Schriften  grĂĽndlich  studirt  hatte  und  auch  in 
einen  Briefwechsel  mit  GĂĽnther  getreten  war^^  (I,  324),  im 
Jahre  1843  die  Professur  der  Philosophie  am  bischöflichen 
Seminar  zu  Trier  (I,  325  u.  326);  im  Herbste  1845  wurde 
Knoodt  zunächst  ausserordentlicher  (I,  346)  und  bald  darauf 
ordentlicher  Professor  der  Philosophie  zu  Bonn.  An  der  Uni- 
versität zu  Breslau  lehrten  in  Günther's  Sinne  und  Geiste 
Baltzer,  Elvenich,  Reinkeni},  zu  Prag  Löwe,  in  Gratz  und 
später  in  Prag  Ehrlich,  zu  Tübingen  Zukrigl,  in  Paderborn 
Kayser,  in  Braunsberg  Gerkrath,  in  Bamberg  Spörlein  und 
Mayer  u.  s.  w.  Doch  in  demselben  Maasse,  als  die  Gänther'sche 
Philosophie  an  Umfang  und  Bedeutimg  gewann,  mehrten  sich 
auch,  ganz  vorzugsweise  in  katholischen  oder  richtiger  in  je- 
suitisch gesinnten  Kreisen,  die  gegen  sie  unternommenen  An- 
griffe und  ihre  Feinde.  Mit  einer  wissenschaftlichen  Be- 
kämpfung der  Principien  und  Ausführungen  des  Günther'schen 
Gedankenbaues  ist  man  von  dieser  Seite  niemals  hervorge- 
treten; um  so  energischer  aber  waren  die  Angriffe  von  An- 
bng  an  dahin  gerichtet,  Günther's  Orthodoxie  zu  verdächti- 
gen, ihn  und  seine  Anhänger  zu  verketzern,  den  öffentlichen 
Lehrern  seiner  Philosophie  ihre  Wirksamkeit  zu  zerstören  und 
ein  Verdammungsurtheil  Roms  ĂĽber  die  freilich  durch  und 
durch  antijesuitische,  aber  um  so  mehr  acht  christliche  Wis- 
senschaft herbeizufuhren.  Schon  am  6.  Mai  1836  hatten  GĂĽn- 
ther's Feinde  es  so  weit  gebracht,  dass  der  Wiener  Nuntius 
dem  damaligen  jungen  Erzbischofe  von  Salzburg  (Schwarzen- 
berg)  zu  sageti  wagte:  „Via  Guentheri  non  est  acatholica  qui- 
dem  al  est  inutilis  et  periculosa*'  (I,  313).  Seitdem  mehrten 
sich  die  Gegner  Günther's  fortwährend.  Wie  dieser  über  die 
Leistungen  derselben  im  Gebiete  der  Wissenschaft  urtheilte,  gibt 
ein  Brief  vom  7.  Mai  1842  zu  erkennen,  in  welchem  es  ĂĽber  die 
Arbeiten  eines  Herrn  von  Schätz  wörtlich  heisst:  „Das  sind 
die  sauberen  FrĂĽchte  der  Hermesischen  Damnation.  Solcher 
Wahnwitz  hätte  sich  doch  nicht  blicken  lassen  dürfen,  wenn 
auf  katholischer  Seite  dem  soliden  Gedankengange  nicht  aller 
und  jeder  Anspruch  auf  Existenz  confiscirt  worden  wäre. 
Syst^natische  Gedankenlosigkeit  ist  seitdem  wie  der  Pilz  aus 
fanatischem  Glaubenseifer  herausgewachsen*'  (1,314).   Endlich 

Plu]oM]kli.  Monatohefto  l»i,  Ul.  1 1 


162  Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther. 

erfolgte  im  Jahre  1851  „die  (förmliche)  Anklage  Günther's  in 
Rom.  Und  zwar  war  der  Anklageäct  in  Bonn -Köln  unter 
dem  Auspicium  des  Gardinais  von  Geissei  abgefasst.**  GĂĽn- 
ther hatte  „keine  Ahnung  davon,  dass  das  römische^  Damo- 
klesschwert schon  über  seinem  Haupte  hing",  denn  „erst  im 
Jahre  1852  wurde  ihm  und  seinen  Anhängern  bekannt,  dass 
der  Process  gegen  ihn  bei  der  Index-Congregation  eingeleitet, 
ja  schon  so  gut  wie  beendet  sei"  (II,  85).  Allein  GĂĽnther's 
Gegner  erreichten  einstweilen  ihr  Ziel,  die  Damnation  seiner 
Schriften  von  Seiten  Roms,  noch  nicht.  Es  verwendeten  sich 
nämlich  für  Günther  die  beiden  Bischöfe  und  Gardinäle  von 
Diepenbrock  und  von  SchwarzeAberg  in  einem  nach  Rom 
eingesandten  Promemoria  (II,  132  fg.),  was  zur  Folge  hatte, 
dass  der  Papst  auf  kurze  Zeit  der  GĂĽnther'schen  Philosophie 
sogar  gĂĽnstig  gestimmt  wurde  (II,  139).  Doch  auch  hier  war 
das  Aufgeschoben  kein  Aufgehoben.  Das  römische  Eirchen- 
wesen  war  schon  auf  dem  besten  Wege,  eine  grosse  Meta- 
morphose an  sich  zu  vollziehen,  und  die  nöthigen  Vorberei- 
tungen zu  treffen,  um  sich  in  den  reinen,  nackten  Je- 
su itismus  aufzulösen  und  seine  Identität  mit  diesem  durch 
eine  dogmatische  Declaration  fĂĽr  alle  Zukunft  zu  fixiren. 
Was  Wunder,  dass  man  in  dieser  Institution  GĂĽnther's  durch 
und  durch  antijesuitische  Wissenschaft  nicht  brauchen  konnte ! 
Günther's  Freunde  kämpften  für  das  Unmögliche.  Ihre  Geg- 
ner, an  deren  Spitze  die  Gardinäle  von  Rauscher,  Erzbischof 
von  Wien,   von  Geissei,  Erzbischof  von  Köln,   und  von  Rei- 

• 

sach,  früher  Erzbischof  von  München,  später  Gardinal  in 
Rom  standen,  sahen  im  Anfange  des  Jahres  1857  ihr  Werk 
gekrönt  (11,  313  fg.).  In  dem  VerdammungsurtheQ  der  Gün- 
ther'schen Schriften  hiess  es:  Günther's  Lehre  „weiche  gänz- 
lich ab  von  dem  orthodoxen  Pfade  der  Wahrheit,  und  ihre 
weitere  Verbreitimg  könne  der  katholischen  Kirche  und  der 
theologischen  Bildung  der  jungen  Geistlichen  nur  zum  gröss- 
ten  Schaden  gereichen"  (H,  317).  Richtig  ist  dieses  ĂĽrtheil, 
wenn  in  demselben  statt  „orthodox"  und  ,',katholisch"  ,je- 
suitisch"  und  statt  „Wahrheit"  „Erforschung  der  Wahrheit" 
gesetzt  wird.  Nach  der  Verurtheilung  galt  es,  GĂĽnther's  An- 
hänger unschädlich  zu  machen,  und  nach  den  langen  authen- 


Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther.  163 

tischen  AusfĂĽhrungen,  die  Knoodt  auch  darĂĽber  gibt,  wird 
man  nicht  sagen  können,  dass  Günther's  Gegner  irgend  ein 
Sfitiel  dazu  unbenutzt  gelassen  haben.  Die  Mittheilungen  des 
zweiten  Bandes,  etwa  von  Seite  144  an,  machen  einen  hoch- 
tragischen Eindruck.  Das  Schwanken  zwischen  Hoffnung  imd 
Hoffnungslosigkeit  auf  Seiten  der  Anhänger  6änther*s  in  ilu'em 
riesenhaften  Kampfe  gegen  eine  unbezwingliche  Uebermacht, 
ihr  endliches  Unterliegen,  der  Sieg  des  jesuitischen  Fanatismus 
ĂĽber  das  helle  Licht  einer  durchaus  autonomen,  freien  and 
doch  wahrhaft  christlichen  Wissenschaft,  das  klare  Bewusst- 
sein  GĂĽnther's  und  seiner  Freunde,  momentan  zwar  unter- 
druckt aber  nicht  getödtet,  sondern  unterliegend  doch  sieg- 
reich zu  sein,  —  das  sind  die  Momente,  deren  Schilderung 
der  zweite  Band  der  Biographie  dem  Leser  vor  Augen  fĂĽhrt 
und  die  ihm  eine  so  grosse  Anziehungskraft  und  einen  ganz 
eigenthumlichen  Reiz  verleihen.  Doch  nicht  bloss  anziehend 
ist  Enoodt's  Buch,  sondern  auch  höchst  bedeutsam  für  Alle, 
(fie  in  unserer  schwĂĽlen  Zeit  dem  Kampfe  fĂĽr  die  sittlichen 
Mächte  der  Wahrheit,  des  Rechtes,  des  Glaubens,  aber  auch 
des  Wissens,  der  Offenbarungen  Gottes,  aber  auch  der  Ver- 
naoflforschung  noch  ein  Interesse  bewahrt  haben. 

Die  Biographie  ist  vor  Allem  eine  glänzende  Apologie 
A.  Günther's  selbst  Sie  zeigt  den  Mann  voll  gläubigen  Sin- 
nes und  voll  Verehrung  fĂĽr  das  positive  Christenthum  und 
seme  hohen  Interessen,  aber  ebenso  voll  Begeisterung  fĂĽr  die 
Rechte  des  freien  Geistes  und  der  Wissenschaft.  „Ich  habe 
mir  während  meines  ganzen  Lebens'^  schreibt  er,  „nie  etwas 
Anderes  gewĂĽnscht,  als  ruhig  und  ungeneckt  im  Dienste  des 
christlichen  Glaubens  mein  Tagewerk  zu  beschliessen"  (11,28). 
Aber  andererseits  beklagt  er  es  auch  bitter,  dass  „das  ka- 
tholische Europa'*  nicht  einmal  „das  Nöthigste  aus  der  Re- 
formation gelernt  habe'\  nämlich :  „die  Achtung  vor  der  Auc- 
torität  des  creatürlichen  Qeistes'*  (II,  151).  In  dem  Gegen- 
satze der  Wissenschaft  zum  positiven  Christenthum  erblickte 
GĂĽnther  vor  Allem  das  Unheil  Europas  und  der  modernen 
Welt,  in  der  Versöhnung  beider,  wenn  sie  gelänge,  die 
sicherste  Garantie  einer  besseren  Zukimft.  Und  er  war  von 
der  Grösse  und  Bedeutung  dieser  Aufgabe  so  sehr  durch- 


164  Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther. 

dnmgen»  dass  er  auch  bereit  war,  alle  irdischen  Gäter  und 
jede  Bequemlichkeit  des  Lebens  ihr  zum  Opfer  zu  bringen. 
Zwar  wm'den  ihm  von  den  Pflegestätten  der  Wissenschaft 
aus  viele  Ehrenbezeigungen  zu  Theil.  Die  betreffenden  Fa- 
cultäten  der  Universität  Prag  creirten  ihn  honoris  causa  zum 
Doctor  der  Theologie  und  Philosophie  (11, 25) ;  von  der  MĂĽn- 
chener Academie  der  Wissenschaften  wurde  er  auf  den  An- 
trag von  Lasaulx'  zum  „auswärtigen  Mitgliede  der  philoso- 
phisch-philologischen Klasse*^  ernannt  (II,  149),  dasselbe  ge- 
schah von  der  Wiener  Academie  (II,  167).  Während  Gün- 
ther diese  Auszeichnungen,  zum  Theil  freilich  nur  auf  Bitten 
seiner  Freunde,  annahm,  schlug  er  dagegen,  wie  schon  er- 
wähnt, jedes  Anerbieten,  das  seine  finanzielle  Lage  hätte 
verbessern  können,  lediglich  seiner  Philosophie  zu  liebe  stets 
aus.  Und  so  kam  es  denn,  dass  einer  der  ausgezeichnetsten 
Denker  unserer  und  aller  Zeiten,  da  er  von  Hause  aus  vöHig 
mittellos  war,  nach  den  grossartigsten  und  verdienstvollsten 
Leistungen  im  Gebiete  der  Wissenschaft  „alle  Aussicht  hatte, 
in  der  bittersten  Armuth  seine  Tage  zu  beschliessen,  wie  der 
Astronom  Kepler,  der  mit  Kalenderschreiben  sein  Leben  fri- 
sten musste*'  (II,  29).  Knoodt's  Schrift  liefert  auch  den  Be- 
weis dafĂĽr,  dass  GĂĽnther  wirklich  wenigstens  theilweise  in 
der  dĂĽrftigsten  Lage  sich  befunden  hat.  Und  er  wĂĽrde  wohl 
auch  für  immer  in  derselben  geblieben  sein,  wären  ihm  seine 
vielen  Freunde  nicht,  wie  mit  den  Waffen  des  Geistes,  so 
auch  mit  finanziellen  UnterstĂĽtzungen  zu  HĂĽlfe  gekonmien. 
Es  ist  gut,  dass  Knoodt  auch  nach  dieser  Seite  hin  ĂĽber 
GĂĽnther's  Leben  volles  Licht  verbreitet  hat,  denn  auch  von 
ihr  gut  GĂĽnther's  prophetisches  Wort  aus  dem  Jahre  1860: 
„Wir  stehen  offenbar  an  der  Schwelle  einer  neuen 
Zeit,  der  nicht  vorenthalten  werden  darf,  wie  die 
alte  mit  ihren  christlichen  Denkern  umgegangen 
ist"  (n,  453). 

Knoodt's  Biographie  ist  femer  sehr  bedeutsam  fĂĽr  GĂĽn- 
ther's Wissenschaft;  mit  Recht  hebt  Jener  hervor,  dass  „aus 
ihr,  insbesondere  aus  GĂĽnther^s  Briefen,  die  wesentUchen 
Punkte  seiner  Speculation  deutlich  hervortreten"  (I,  XII).  Und 
welches  sind  diese  wesentlichen  Punkte?  GĂĽnther  hebt  sie  in 


^ 


Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther.  165 

einem  Briefe  an  seinen  alten  bewährten  Freund  und  Gesin- 
nungsgenossen J.  Veith  aus  dem  Jahre  1851  ebenso  kurz  als 
schlagend  mit  den  Worten  hervor :  „ Ausserweltlichkeit  Gottes 
der  Substanz  nach  und  Aussergöttlichkeit  der  Welt  in  der- 
selben Beziehung,  hmerweltlichkeit  Gottes  und  Innergöttlich- 
keit der  Welt  dem  Gedanken  nach  —  diese  Trilogie  in  der 
Theologie  und  Philosophie  kann  uns  allein  helfen.  FĂĽr  diese 
lass'  uns  ausschliesslich  th&tig  sein^^  (ĂĽ,  90).  Aber  dieser 
Kernpunkt  der  GĂĽnther'schen  Wissenschaft  in  der  Behaup- 
tung, dass  die  Welt  in  all'  ihren  Factoren  als  Geist,  Natur 
und  Mensch  zwar  ein  realisirter  oder  substanziali- 
sirter  Gedanke  Gottes  sei,  ohne  aus  Gottes  Wesen  zu 
sein,  und  dass  mithin  der  Grundirrthum  ialler  Philosophie  in 
der  wie  immer  modificirten  Identificirung  Gottes  und  der  Welt 
der  Substanz  oder  dem  Wesen  nach,  d.  i.  in  dem  ganz 
.oder  halb  durchgefĂĽhrten  Pantheismus  erschaut  werden 
müsse,  —  dieser  Kern  des  ganzen  Systems,  sage  ich,  ist  kei- 
neswegs das  Erzeugniss  einer  ausschweifenden  Phantasie  oder 
einer  transscendenten  Speculation,  sondern  er  ruht  auf  einer 
durch  und  durch  empirischen  Basis,  nämlich  auf  dem  durch 
empirische  Forschung  festzustellenden  und  von  GĂĽnther  wirk- 
lich festgestellten  Wesens-Dualismus  von  Geist  und  Natiu*  in 
der  Sphäre  des  relativen  oder  creatürlichen  Daseins.  Auf 
diesen  Wesens  -  Dualismus  in  der  Form,  wie  er  denselben 
ermittelt,  legt  daher  Günther  allenthalben  das  allergrösste 
Gewicht;  er  ist  ihm  die  alleinige  Grundlage,  von  der  aus  die 
endliche  Versöhnung  von  Glauben  und  Wissen,  Christenthum 
und  Vemunftforschung  mit  Sicherheit  sich  erwarten  lässt. 
,JEs  darf  kein  Jota",  schreibt  er,  „vom  Dualismus  gestrichen 
werden,  etwa  um  katholische  Auetoritaten  des  Mittelalters 
nicht  herabzusetzen.  Jener  hat  fĂĽr  die  That Sachen  des 
Christenthums,  nicht  aber  fĂĽr  die  Deutungen  derselben 
in  der  Schule  einzustehen.  Gibt  die  erste  Schöpfung  (d.i. 
die  Welt  in  ihren  Factoren :  Geist  und  Natur)  kein  Zeugniss 
mehr  für  die  zweite  Schöpfung  (d.  i.  die  Erlösung  in  und 
durch  t][hristu6),  dann  ist  es  um  den  Sieg  der  Kirche  ĂĽber 
den  Antichrist  geschehen,  geschehen  um  die  HĂĽlfeleistung 
Sanct  Peters  für  den  Lahmen  an  der  schönen  Tempelpforte'* 


166  Peter  Knoodt:  Anton  GOnther. 

(II,  81).  Zwar  wollen  und  können  wir  nicht  behaupten^  we- 
der dass  die  empirische  Basis,  noch  dass  die  ĂĽbrigen  Theile 
des  grossartigen  w)n  GĂĽnther  errichteten  Gedankenbaues  schon 
nach  allen  Seiten  hin  vollkommen  entwickelt  und  ausgebil- 
det seien,  oder  dass  die  Ausbildung,  welche  sie  unter  den 
Händen  ihres  Erbauers  erhalten,  gar  keiner  Verbesserung  fähig 
oder  bedürftig  wäre.  Günther  selbst  ist  von  einer  solchen 
Auffassung  seines  Werkes  weit  entfernt  (vergl.  I,  304  fg.)- 
Aber  wie  dem  auch  sein  mag,  so  viel  ist  gewiss,  dass  GĂĽn- 
ther in  einem  Punkte  sich  nicht  geirrt  hat,  und  das  ist 
gerade  der,  auf  welchen  fĂĽr  den  endlichen  Friedensschluss 
zwischen  Glauben  und  Wissen,  Vernunft  und  Offenbarung, 
Wissenschaft  und  Christenthum  alles  ankommt,  nämlich:  in 
der  wissenschaftlichen  Feststellung  der  Wesens-  Verschieden- 
heit von  Gott  und  Welt  oder  der  wahrhaften  CreatĂĽr- 
lichkeit  der  letzteren,  d:i.  in  der  Vermeidung  alV  und  jeden 
Pantheismus.  HierfĂĽr  liefert  Enoodt's  Biographie  wieder 
neue  und  schlagende  Beweise,  weshalb  denn  auch  die  von 
diesem  ausgesprochene  Hoffnung  nicht  vergeblich  sein  wird, 
dass  sein  Buch  „zur  Wiederbelebung  des  Studiums  der  Schrif- 
ten Günther's  etwas  beitragen  möge"  (I,  XIII).  und  wie 
wäre  es,  so  fragen  wir  mit  Günther,  wenn  „die  Greations- 
idee",  welche  das  verjesuitisirte  römische  Kirchenwesen  durch 
die  Damnation  der  GĂĽnther'schen  Philosophie  mitverworfen 
hat,  von  nun  an  „von  der  evangelischen  Kirche  in  Schutz 
genommen  wĂĽrde,  um  Rom  hierĂĽber,  wie  ĂĽber  vieles  Andere, 
die  Augen  zu  öffnen?  Wir  können  das  nur  wünschen,  denn 
es  hat  die  neue  gleich  der  alten  Synagoge  eine  Decke. vor 
den  Augen,  die  sie  hindert,  klar  zu  sehen,  was  das  Wort 
sagen  wolle :  mein  Reich  ist  nicht  von  dieser  Welt"  (II,  443). 
Hat  ja  doch  selbst  ein  WortfĂĽhrer  in  der  evangelischen 
Kirche  schon  vor  Jahren  sich  dahin  ausgesprochen,  dass  „der 
Protestantismus  den  Günther  ohne  Timidität  anhören  könne*^ 
(ĂĽ,  247).  Wir  aber  erweitern  diesen  Ausspruch,  indem  wir 
hinzusetzen,  nicht  bloss  „anhören",  sondern  auch  „benutzen'^ 
kann  der  Protestantismus  den  GĂĽnther  zu  dem  grossen  Kveecke, 
um  das  herrliche  Ziel  der  Reformatoren  des  16.  Jahrhunderts: 
„die  Säuberung  der  Kirche  von  allem  Papismus  und  Ultra- 


Peter  Knoodt:  Anton  GrĂĽnther.  167 

montanismus  und  die  Wiederherstellung  derselben  ohne  Ma- 
keln und  Runzeln  nach  der  Idee  ihres  Stifters'*  besser  und 
wirksamer  als  bisher,  namentlich  auch  in  den  Kreisen  der 
Gelehrten  imd  auf  dem  Boden  der  Wissenschaft,  endlich  zu 
erreichen. 

Noch  in  einer  dritten  Beziehung  ist  die  Bedeutung  der 
Knoodt'schen  Arbeit  nicht  zu  unterschätzen;  sie  ist  eine  aus- 
serordentlich reiche  Quellenschrift  für  die  Geschichte  der  rö- 
mischen Kirche  seit  den  letzten  50  Jahren»    Das  Ueberhand- 
nehmen,  ja  die  bis  zur  Alleinherrschaft  sich  steigernde  Macht 
des  Jesuitismus,  die  von  Jahr  zu  Jahr  wachsende  Intoleranz 
gegen  alle  anderen  Kirchen  und  religiösen  Gülte,    die  Knech- 
tung der  Bischöfe  unter  die  Herrschaft  der  von  den  Jesuiten 
regierten  römischen  Curie,  die  Indolenz  des  weitaus  grössten 
Theiles  der  Bischöfe  und  die  Ohnmacht  einiger  wenigen  unter 
ihnen  gegenĂĽber  dem  alles  beherrschenden  Treiben,  das  Sin- 
ken des  religiösen  Geistes  und  das  Ueberwuchern  eines  blin- 
den Fanatismus  und  Köhlerglaubens,  die  Verachtung  der  Wis- 
senschaft und  das  alleinige  Pochen  auf  Kirchlichkeit,  die  plan- 
massig  und  systematisch  betriebene  Heraufbeschwörung  des 
Hittelalters,  die  von  langer  Hand  mit  Schlangenklugheit  vor- 
bereitete und  endlich  auch  durchgesetzte  Dogmatisu*ung  der 
Unfehlbarkeit  des  römischen  Papstes,   —   dieses  und  vieles 
andere  die  unheilvollen  und  Gefahr  drohenden  Zustände  des 
römischen  oder  vatikanischen  Kirchenwesens  Charakterisirende 
zieht  sich  durch  Knoodt's  Schrift  von  Anfang  bis  zu  Ende 
wie  em  rother  Faden  hindurch  und  legt  uns  den  WĂĽnsch 
auf  die  Zunge,  dass  dieselbe  ebensowohl  von  den  deutschen 
Staatsmännern  als  von  den  Wüi'denträgern  der  evangelischen 
Kirche  nicht  ungelesen  bleiben  möge.    Wir  wollen  nur  Eines 
aus  dem  vielen  hierher  Gehörigen  mittheilen.    Im  November 
des  Jahres  1857  berichtet  GĂĽnther  seinem  Freunde  Ehrlich 
ĂĽber  ein  in  Paris   erschienenes  Buch,   dessen  Verfasser  zu 
2000  Francs  Geldbusse  verurtheilt  worden  war.    In  demsel- 
ben heisst  es:    „Die  religiöse  Toleranz  ist  eine  Frucht  des 
A^eismus  und  der  Gleichberechtigung  der  Gonfessionen.   Die 
katholische  Kirche  darf  nicht  dulden,   dass  neben  ihr  feind- 
liche Culte  ihre  Altäre  errichten.    Sie  hat  die  Aufgabe,  Gö- 


168  Peter  Knoodt:  Anton  GĂĽnther. 

tzendienst  und  Eetzerthum  auszurotten;    sie  braucht  nur  das 
Beispiel  frĂĽherer  Jahrhunderte  zu  befolgen,   in  denen  ganze 
Bevölkerungen   niedergemetzelt   wurden,    um   den   göttlichen 
Zorn  zu  besänftigen.     In  den  Zeiten  der  Inquisition  und  der 
Autodafö's  ist  der  Glaube  festgestanden.    Der  Staat,  der  den 
Protestantismus   duldet,   verdient   den   göttlichen   Zorn.     In 
Frankreich  hat  der  Papst  das  Recht,   sich  in  die  weltliche 
Regierung  zu  mischen.   Die  gallikanische  Kirche  ist  ein  Schisma, 
d.  i.  Ketzerei."    Und  nun  fragt  Günther  seinen  Freund:  „Was 
sagen  Sie  zu  dieser  Bescheerung?"     Aber  er  selber  gibt  die 
Antwort  auf  seine  Frage  mit  den  Worten:    „Die  Wieder- 
geburt Europas  wird  nicht  dadurch  gefeiert,  dass 
es  in  den  Schooss  der  Scholastik  (mit  ihrer  Ansicht 
vom  Verhältnisse  der  Kirche  zum  Staate)  zurückkehrt" 
(II,  391  u.  392).    Da  nun  aber  das  römische  Kirchenwesen 
diese  RĂĽckkehr  mit  Fahne  und  klingendem  Spiel,  freilich  erst 
nach   GĂĽnther's  Tode,   auf  dem   sogenannten   vatikanischen 
Concil  des  Jahres  1870  ein-  fĂĽr  allemal  bereits  vollzogen  hat, 
so  muss  GĂĽnther  unter  der  Kirche,  welcher  er  nicht  weniger 
als  der  Wissenschaft  noch  einen  Triumph  in  Aussicht  stellt, 
auch  etwas  ganz  anderes  als  jenes  mit  religiösen  Lappen  ver- 
brämte römische  Weltreich  verstanden  haben.    Am  Schlüsse 
des  Jahres  1856  schreibt  er  an  Knoodt:  „Was  uns  das  neue 
Jahr  bringen  wird,  weiss  der  ĂĽber  den  Sternen  und  zur  Rech- 
ten des  Vaters  und  nicht  minder  sein  heiliger  Geist,  der  Ad- 
vokat seiner  Braut  sine  rugis  et  maculis.    Dieser  wird  seine 
Kirche  in  alle  Wahrheit  zu  fĂĽhren  nie  ermĂĽden,  in  alle  Wahr- 
heit, die  in  der  zweiten  Offenbarung  (d.  i.  der  Erlösung)  auf 
dem  Gründe  der  ersten  (d.  i.  der  Schöpfung)  liegt.     Er  ist 
zugleich   der  BeschĂĽtzer   der  Wissenschaft,   die   es  mit  der 
ersten  Offenbarung  zu  thun  hat,  denn  unter  seinen  sieben 
Gaben  kommt  auch  die  des  Verstandes  und  der  Wissenschaft 
vor.^    Und  wie  die  Kirche  vor  dem   AbschlĂĽsse  der  Welt- 
geschichte noch  einen  Triumph  erleben  wird,   so  auch  die 
Wissenschaft,  die  bisher  nur  als  ancilla  theologiae  anstatt  als 
ancilla  Domini  behandelt  wurde"  (H,  312).    Sollen  diese  pro- 
phetischen Worte  des  weitblickenden  und  ausserordentlichen 
Mannes  noch  einmal  in  ErfĂĽllung  gehen,  so  wird  seine  Wis- 


Dr.  Joh.  H.  Witte  :^e  Philosophie  unserer  Dichterheroen.        169 

senschaft  dazu  einen  grossen  Beitrag  zu  liefern  haben.  Und 
eben  deswegen  sei  sowohl  das  Studium  dieser  als  dieLectäre 
der  Enoodt'schen  Biographie  AUen,  denen  der  Lärm  des  Tages 
das  hiteresse  für  die  religiöse  Gesittung  und  den  wissenschaft- 
lichen Ruhm  des  deutschen  Volkes  noch  nicht  genommen  hat« 
angelegentlichst  empfohlen. 

Breslau.  Weber. 


Mi  PhlMophie  unterer  DicMerheroen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
des  deutschen  Idealismus.  Von  Dr.  Joh.  H.  WĂĽte.  I.  Band: 
Lessing  und  Herder.  Bonn«  Eduard  Weber's  Verlag  (Julius 
FKttner).    1880.   (XÜ,  355  S.)   8«. 

Freudig  begrĂĽssen  wir  die  oben  genannte  Schrift,  welche 
sich  zur  Aufgabe  macht,  „in  einer  Zeit,  in  welcher  durch 
eine  übertriebene,  oft  lächerlich  minutiöse  Detailforschung 
unsere  grossen  Dichter  ganz  zerstĂĽckelt  werden,  uns  aufs 
Neue  die  Bedeutsamkeit  ihres  Wirkens  als  eines  Ganzen,  ihr 
Dichten  und  Denken  aus  einem  Gusse  vor  Augen  zu  stellen.^^ 
Sie  zeigt  dieses  ^iDichten  und  Denken  aus  einem  Gusse"  als 
geschehen  aus  dem  wissenschaftlichen  und  philosophischen 
Geist,  der  die  Dichter  beseelte.  Und  um  so  mehr  freut 
uns,  auf  diese  Schrift  hinweisen  zu  können,  als  die  Treue 
zur  Wahrheit  und  der  ideale  Geist,  der  sie  beseelt,  wohl 
angethan  scheinen^  Dichtung  und  Philosophie  wieder  mehr 
einander  zu  nähern  und  miteinander  zu  versöhnen.  Frei- 
lich ist  nicht  zii  leugnen,  dass  die  Macht  der  Dichter  auf 
das  Volksleben  gerade  in  der  Darstellung  einer  von  volks- 
thmnlichen  Anschauungen  und  religiösen  VorsteDungen  beleb- 
ten GefĂĽhlswelt  wurzelt.  Nicht  zu  leugnen  wird  femer  sem, 
dass  Lessing's  Bedeutung  gerade  deshalb  so  gross  ist,  weil 
seine  Philosophie,  wie  Witte,  ein  Wort  DanzeFs  wiederholend, 
sagt:  „nur  eine  Steigerung  seiner  virtuosesten  Thätigkeit  — 
nämlich  der  literarisch-kritischen  —  im  Interesse  der  Religion 
ist**  Dies  muss  aber  gerade  auch  als  der  Grundzug  der 
deutschen,  idealistischen  Philosophie  angesehen  werden.  Harms, 
den  Witte  öfters  anfuhrt,  sagt  daher  treffend  in  seiner  Rede 
auf  flehte :  „Das  Ziel  der  deutschen  Philosophie  ist  die  Ver- 


170       Dr.  Joh.  H.  Witte:  Die  Fbiloeophie  luiserer  Dichterheroen, 

söhüung  und  die  Verbindung  der  Wahrheiten  der  weltliehen 
Wissenschaften  mit  denen  der  Theologie.  Nicht  in  derLeog- 
nung  des  lebendigen  Gottes,  sondern  in  dem  Streben,  ihn  zu 
erkennen,  und  mit  dieser  Erkenntniss  zugleich  die  der  welt- 
lichen Wissenschaften  zu  verbinden,  besteht  der  Wille  der 
Philosophie  seit  Kant."  Dass  aber  dieses  Ziel  vor  Allem  auch 
die  grossen  Dichter  sich  gesteckt  hatten,  das  hat  Witte  vor- 
erst an  Lessing  und  Herder  klar  gemacht. 

Nach   einer  Einleitung   „Ueber  Philosophie   und  Poesie 
und  das  allgemeine  Verhältniss  unserer  ersten  Dichtcir  zu  den 
grossen  Denkern"  handelt  der  Verfasser  zuerst  von  Lessing's 
^philosophischer  Anschauung,   indem  er  ĂĽber   dessen  littera- 
rische Stellung  und  Lebensgeschichte  das  Wichtigste  voraus- 
schickt.  Lessmg's  Philosophie  ist,  wie  Witte  auseinandersetzt, 
wesentlich  vom   Standpunkte   der   Religion   aus    entworfen, 
wobei  seinel  speculative  Gruudanschauung  sich   sowohl  von 
einer  mystischen  Metaphysik,   als  auch  von  der  sogen.  Auf- 
klärungsphüosophie  und  dem  gesammten  freidenkerischen  Ra- 
tionalismus unterscheidet.   Vier  ^auptgesichtspunkte  hebt  der 
Verfasser  bei  Lessing  hervor:    1)  Hält  dieser  solche  Anwen- 
dung des  Verstandes  auf  Gegenstande  des  Glaubens,  wie  sie 
damals  ĂĽblich  war,    fĂĽr  eine  Halbheit   und  nimmt  eine  ent- 
schieden abweisende  Stellung  gegen  die  Naturalisten  inner- 
halb  imd  ausserhalb  des  Ghristenthums  ein.     2)   Statt  mit 
dem  Verstände  Erfahrungsobjecte  abstrahjrend  in  ein  Allge- 
meines zu  vereinigen,   erhebt  er  sich  zur  wahrhaften  Specu- 
lation   von  einem  umfassenden,   das  Ganze  ĂĽberschauenden 
Gesichtspunkt  aus.     3)  Aus  seinem  eigenen  Drange  hatte  er 
sich  dies  Ziel  gesetzt,  aber  genährt  ward  dieser  Drang  durch 
seine  Eenntniss  von  Spinoza  und  Leibniz.    4)  Er  steht  Leib- 
niz  näher  wie  Spinoza,  aber  dabei  selbstständig  über  Beiden. 
Menschliches  Vorurtheil  ist  es  fĂĽr  Lessing,  dass  wir  den  Ge- 
danken als  das  Erste  und  Vomehn^ste   betrachten;   Ausdeh- 
nung, Bewegung,  Gedanken  sind  nach  ihm  offenbar  in  einer 
höheren   Kraft   gegründet.    Er  findet   ein    der  Gesammtheit 
des  besonderen  Daseins  ĂĽbergeordnetes  Wesen,  nicht  extra- 
mundan,  nicht  praeter-  oder  supramundan,  auch  nicht  intra- 
mundan  im  Sinne  des  Spinozismus,  sondern  so  intr^mundan, 


Dr.  Joh.  H.  Witte:  Die  Philosophie  unserer  Dichterhoroen.       171 

dass  es  nicht  in  dem  Mannigfaltigen  der  Welt,  sondern  dies 
in  ihm  ist  Nach  Lessing  ist  Gott  Schöpfer  der  Welt,  und 
da  seine  Schöpfmig  immerwährend  sein  mid  bestehen  soll,  ist 
er  ewiger  Schöpfer  und  Erhalter  derselben,  ein  lebendiger 
Gott,  der  die  ganze  Welt  erhält  und  durchdringt,  freilich  in 
einer  fär  unsere  an  Zeit  und  Raum  gebundene  Vorstellung 
unfassbären  Weise.  Auch  der  Mensch  ist  göttlichen  Ursprifngs 
und  repräsentirt  eine  göttliche  Vollkommenheit  in  sich,  häm- 
fich  darin,  dass  Gott  auch  ein  Bewusstsein  seiner  Vollkom- 
menheiten im  Einzelnen  besitzt  und  eine  ihm  entsprechende 
Fähigkeit  zu  handeln.  Denkt  Gott  seine  Vollkommenheiten 
gleichzeitig,  so  ist  und  denkt  er  sich  selbst,  denkt  er  sie  ab- 
gesondert nach  Graden,  so  entsteht  eine  Vielheit  von  Wesen, 
in  unendlicher  Reihe,  in  welcher  der  Mensch  ausgezeichnet 
ist  durch  seine  Begabung  mit  fĂĽnf  Sinnen,  deren  andere 
Wesen  vielleicht  noch  mehrere  haben.  Aber  da  Gott  nach  unend- 
lichen Graden  seine  Vollkommenheiten  zertUeilt,  und  das 
letzte  Glied  enthält  was  die  unteren  enthalten,  so  folgt,  dass 
die  ganze  materielle  Welt  bis  in  ihre  kleinsten  Theile  beseelt 
ist;  jedes  Stäubcfaen  der  Materie  kann  einer  Seele  zu  einem 
Sinn  dienen.  Auf  der  untersten  Stufe  haben  die  Seelen 
zwar  Sinn  ĂĽberhaupt,  d.  h.  Grenzen  ihrer  Vorstellung  oder 
Materie,  aber  keine  Differenzirung  oder  Vielheit  der  Sinne. 
Die  unorganischen  Wesen  sind  einfach,  haben  nur  einen  Smn, 
sobald  aber  ein  Wesen  auch  niu*  zwei  Sinne  hat,  tritt  es  in 
die  höhere  Ordnung,  in  die  der  Wesen  mit  organischen  Kör- 
pern. Je  höher  die  Zahl  der  Sinne,  um  so  höher  das  Wesen. 

Lessing  hat  somit  eine  Entwicklung,  aber  als  Folge  der 
Schöpfung,  nicht  wie  die  moderne  Descendenzlehre  als  Reihe 
mechanischer  und  organischer  Wirksamkeit.  Mit  diesem  Ge- 
danken continuirlicher  Entwicklung  geht  Lessing  wesentlich 
über  Spinoza  hinaus  und  zwar  noch  ehe  er  Leibniz  näher 
liannte. 

In  der  Reihe  der  Individuen  nehmen  die  Menschen  die 
Stelle  von  moralischen  Wesen  ein;  sie  können  sich  ihrer 
eigenen  Natur  und  damit  ihres  eigenen  Selbstes  bewusst 
werden.  Als  soldie  Wesen  können  sie  ihrem  eigenen  Ge- 
setze folgen,  und  insofern  dies  Gesetz,  dem  gemäss  sie  han- 


173       Dr.  Joh.  H.  Witte:  Die  Philosophie  unserer  Dichterheroen. 

dein,  eine  ihnen  selbst  innewohnende  Nonn  ist,  ihrer  Natur 
entnommen  ist,  sind  sie  jeder  anderen  Individualität  gegen- 
•  über  frei,  jedoch  ihrem  eigenen  Gesetz  verpflichtet  nach 
dem  Gebot :  Handle  deinen  individualischen  Vollkommenheiten 
gemäss.  Kein  Mensch  muss  müssen;  aber  indem  für  den 
Menschen  das  innewohnende  Gesetz,  das  er  erkeimt,  zu  sei- 
nem unverbrĂĽchlichen  eigenen  Willen  wird,  ist  er  diesem  Ge- 
setz verpflichtet;  er  muss  das  Beste.  Dieses  „Müssen  des 
Besten**  ist  kein  Widerspruch  jenes  Satzes :  kein  Mensch  muss 
mĂĽssen.  Es  ist  dieses  Thun  des  Besten  eine  That  freier  Ein- 
sicht, freien  Willens.  Lessing  verwirft  damit  nur  die  Will- 
kĂĽrfreiheit  und  preist  die  Nothwendigkeit  des  Besten  oder  des 
Guten.  Auch  ist  dieses  „Müssen  des  Besten**  nach  Witte 
kein  Determinismus,  vielmehr  eine  Vorahnung  von  Eant's 
Autonomie  der  reinen  Vernunft,  bei  welchem  Letzteren  aber 
auch  noch  mehr  als  bei  Lessing  die  Beziehung  zur  mensch- 
lichen Gesellschaft  zur  Geltung  kommt.  Durch  Lessing's  Satz : 
„Alle  Wesen  sind  gleichsam  eingeschränkte  Götter**,  wird  das 
Individuum  zu  sehr  als  abgeschlossenes  Glied  der  Entwicklung 
und  auch  nur  als  Glied  der  Entwicklung  betrachtet;  daher 
kommt  es  auch,  dass  Lessing  in  politischer  Hinsicht  nur  zu 
emem  übertriebenen  Eosmopolitismus  neigt  Er  unterschätzt 
die  ethische  Bedeutung  des  Staates,  verkennt,  dass  die  natio- 
nale Gliederung  und  Trennung  der  Völker  mehr  ist  als  racen- 
hafte  EigenthĂĽmlichkeit,  und  dass  der  Mensch  durch  seine 
sittliche  Seite  als  Persönlichkeit  in  die  Geschichte  eintritt 
und  ĂĽber  das  Individuelle  sich  erhebt.  Lessing  erkennt  daher 
mehr  das  Naturrecht  als  die  ethische  Bedeutung  des  Volkes 
und  Staates  an,  und  diese  tritt  ihm  zurĂĽck  hinter  der  Hoheit 
eines  kosmopolitischen  Ideals,  das  dem  Streben  nach  Huma- 
nität als  Ziel  vorschweben  soll. 

Entsprechend  der  pofitischen  ist  die  geschichtsphiloso- 
phische  Auffassung  Lessing's,  in  seiner  „Erziehung  des  Men- 
schengeschlechtes**, durch  die  er  neben  Herder  Urheber  der 
Philosophie  der  Geschichte  wurde.  Wie  die  Schöpfung  von 
Gott  abhängt,  so  auch  die  Geschichte,  sie  ist  für  Lessing  eine 
Erziehung  des  Menschengeschlechtes  durch  göttliche  Offen- 
barung. Ihm  ist  jede  Offenbarung  etwas  relativ  VernĂĽnftiges, 


Dr.  Joh.  H.  Witte:  Die  Philosophie  unserer  Dichterheroen.        173 

weshalb  er  das  Vernünftige  thatsächlich  zu  begreifen  sucht, 
und  damit  steht  Lessing  höher  als  der  Rationalismus  seiner 
Zeit,  welcher  aUes  nach  abstracten  Begriffen  meisterte  und 
als  der  von  David  Strauss,  welcher  verkennt,  dass  die  That- 
sachen  der  Geschichte  so  gut  wie  die  der  Natur  vernĂĽnftig 
begriffen  sein  wollen.  Er  ist  aufgeklärter  wie  Luther,  der 
im  N.  T.  eine  in  jeder  Hinsicht  absolute  Wahrheit  erblickt. 
Anerkennend,  dass  das  Ganze  frĂĽher  als  die  Theile,  dass  die 
Reli^on  ursprĂĽnglicher  und  inhaltsvoller  als  ihr  Abbild,  unter- 
scheidet er  die  Religion  Christi  und  die  christliche  Religion, 
welche  er  die  positive  Religion  nennt.  Bei  seinem  Gedanken 
der  Nothwendigkeit  eines  allmäligen  vernünftigen  Fortschrittes 
in  der  Geschichte  verkennt  Lessing,  dass  dabei  ein  Moment 
oda*  Glied  der  Entwicklung  schon  ein  ewig  GĂĽltiges  sein 
kann,  z.  B.  das  Ideal  ästhetischer  Formvollendung  in  der 
griechischen  Kunst,  der  Monotheismus  als  solcher  in  der  jĂĽdi- 
schen Religion,  der  in  Bezug  auf  das  Verhältniss  Gottes  zu 
den  Menschen  gereinigte  Begriff  des  Monotheismus  im  Christen- 
thum  sowie  des  letzteren  Humanitätsideal.  Für  Lessing  ist 
das  Historische  stets  nur  relativ  vernĂĽnftig.  Indess  da  die 
Thaien^  der  Geschichte  freie  Entwicklung  selbstbewusster  ver- 
antwortlicher Persönlichkeiten  darstellen  und  keine  Kette  blos 
mechanischen  Causalzusammenhangs,  so  gibt  es  hier  Ereig« 
nisse,  welche  ein  absolut  VernĂĽnftiges  zum  Ausdruck  bringen. 
Lessing  aber  verkennt  daher  auch  das,  was  ewiges  Ferment 
im  Ghristenthum  ist  und  erwartet  die  Periode  einer  Vernunft^ 
reĂĽgion  als  Epoche  eines  neuen  ewigen  Evangeliums. 

So  Lessing's  philosophische  Grundanschauung  nach  Witte. 
Wir  vermissen  die  Angabe,  wie  Lessing  das  Böse  erklärt. 
Zu  den  Vollkommenheiten,  welche  Gott  denkt,  gehört  auch 
der  Mensch.  Wie  wird  nun  der  vollkommen  gedachte  Mensch 
unvollkommen  und  böse?  Lessing  muss  bei  Erklärung  des 
Bösen,  wie.  bei  dem  „Müssen  des  Besten''  nach  Witte  auf 
Kant's  Boden  stehen,  aber  Citate  wären  für  diese  Behaup- 
tung erwĂĽnscht  gewesen.  Witte  geht  nun  dazu  ĂĽber,  Les- 
sing's  Anschauung  mit  der  Spinoza's,  Kant's  und  neuerer 
Denker  zu  vergleichen,  wovon  nur  als  Hauptpunkt  hervor- 
gäioben  werden  m^,   dass  Spinoza  gegenüber  Lessing  an 


174       Dr.  Joh.  H.  Witte:  Die  Philosophie  unserer  Dichterheromi. 

Stelle  des  mechanischen  &  yual  tiop  ein  dynamisches  &  yucd 
Tvav  gemäss  der  Einheit  eines  schöpferischen  und  willens- 
kräftigen göttlichen  Gedankens  setzt.  Das  Einzehie  erscheint 
in  Folge  dessen  nicht  mehr  als  blosse  Modification,  sondern 
als  etwas  fĂĽr  sich  Seiendes,  Individuelles. 

Mit  Recht  sieht  der  Verf.  in  dieser  Lessing'schen  Gottes- 
idee das  Princip  der  Individualität  wurzeln,  aber  wir  hätten 
gewĂĽnscht,  dass  er,  welcher  bedauert,  dass  Lessing  den  Men- 
schen blos  als  Individuum  und  nicht  als  Persönlichkeit  auf- 
fasst,  der  geradezu  die  von  heutiger  Philosophie  noch  vielfach 
als  ketzerisch  verschriene  Behauptung  ausspricht:  „Gott  kann 
nicht  etwas  Beschränktes  sein,  er  muss  Person  sein,  und 
Lessing's  Idee  war  eine  Vorstufe  fĂĽr  den  reinen  Begriff  der 
reinen  Persönlichkeit";  wir  hätten  gewünscht,  dass  Witte  bei 
Gelegenheit  dieser  Lessing'schen  Gottesidee  ihr  Verhältniss 
zum  Begriff  der  Peraönlichkeit  näher  dargelegt  hätte.  W^ir 
vermissen  den  Hinweis  auf  Sengler,  der  vor  Allem  diesen 
Begriff  zu  entwickebi  suchte  (Idee  Gottes,  11.  Theil  4 — 140. 
Vergl.  Fichte,  Ulrici's  Zeilschrift;  Bd.  45.)  Wir  vermissen 
Sengler's  Namen,  da  wir  mit  Verwunderung  Virchdw  da^  wo 
von  Lessing's  Gottesidee  die  Rede  ist,  citirt  finden.  Was 
Virchow  eine  Einheit  von  Theilen  nennt,  nennt  Sengler  Col- 
lectiveinheit,  und  dieser  Name  macht  anschaulich,  dass  die 
Einheit  eines  Individuums,  mit  Lessing  zu  reden,  „offenbar 
in  einer  höheren  Kraft  gründet",  als  in  einer  darwinistisch 
gewordenen  Gomplicirung  von  Theilen.  Und  wenn  Virchow 
das  Atom  eine  Theileinheit  nennt,  so  ist  dies  werthlos,  inso- 
fern das  Atom  als  reales  Wesen,  mit  Lessing  zu  reden,  die 
niederste  Stufe  der  Individualität  ist. 

Der  Verf.  geht  nun  dazu  ĂĽber,  zu  zeigen,  dass  Lessing's 
speculative  Grundanschauung  seine  ganze  ästhetisch-  und  re- 
ligiös-kritische Thätigkeit  durchgeistet;  aber  nirgends  gewan- 
nen wir  dabei  den  Eindruck,  dass  Witte  seiner  von  Lesi»ng 
gewonnenen  Anschauung  wegen  etwas  in  Lessing  hineinge- 
kĂĽnstelt  habe. 

Mit  eingehender  AusfĂĽhrlichkeit  wird  femer  Lessing's 
Thätigkeit  auf  dem  Felde  der  Religionsphilosophie  behandelt. 
Auch  hier  können  wir  nur  Einzelnes  hervorheben.   Mit  Recht 


Dr.  Job.  H.  Witte:  Die  Philosophie  unserer  Diditerfaeroen.        175 

beginnt  W.  damit,  das  frĂĽhzeitige  und  andauernde  Interesse 
Lessing's  fĂĽr  Religion,  wie  dessen  frĂĽhreife  Anschauung  zu 
zeigen,  mit  Recht  bekämpft  er  zuerst  Hettner,  welcher  Les- 
sing's  Ghristenthum  der  Vernunft  „ein  sophistisches  Fechter- 
StĂĽckchen   der   speculativen   Theologie^^   nennt.     Witte    hat 
Recht,  wenn  er  diese  Schrift  in  Uebereinstimmung  findet  mit 
der  Erziehung   des  Menschengeschlechtes.     Dabei   aber   be- 
kämpft W.  Lessing's  Begriff  der  Offenbarung  als  einer  Erzie- 
hung, dies  setze  eine  Schwäche  der  menschlichen  Vernunft 
voraus,   welcher  die   göttliche   Vernunft   zu   Hülfe   kommen 
mĂĽsse.    Aber  ist  Lessing's  Ansicht  nicht  in  seiner  Vorstellung 
von  einer  Welt  im  schaffenden  Gott  begrĂĽndet?    Darf  Gott 
keine  Thätigkeit  in  der  Welt  behalten?    Namentlich  nicht  in 
der  Menschenwelt?    Wozu  denn  ein  Gott,   der  in  keine  thä- 
tige  Beziehung  zu  seiner  Welt  treten  dĂĽrfte?    Witte  scheint 
die  Selbstthätigkeit  des  Menschen  gefährdet  zu  seh^,   wenn 
Gott  durch  Offenbarung  erziehe.   Indess,  wenn  man  die  M^- 
lichkeit  solcher  Erziehung  leugnet,   so  behauptet  man  damit, 
dass  der  Mensch  durch  seine  Thätigkeit  allein  alle  Wahrheit 
erwerben,  aUes   Gute  verwurklichen  mĂĽsse.    Dadurch  wird 
der  Entwicklungsgang  der  Menschheit  ein  Naturprocess  und 
hört  auf  zu  sein,  was  Witte  will,   ein  Geschehen  durch  die 
Thaten  freier  Persönlichkeiten.    Denn  da  der  Mensch  keine 
absolute  Sittlichkeit  ist,   so  muss  zugegeben  werden,   dass, 
weil  im  Menschenleben   sittliche  Freiheit  waltet,   auch   die 
Möglichkeit  des  Sinkens  und  Verharr^ds  im  -Schlechten  stets 
vorhanden  ist.   Und  bleibt  denn  andererseits  neben  der  Offen- 
barung nicht  die  Freiheit  des  Menschen  bestehen?    Gesetzt, 
es  sei  buchstäblich  so  gewesen,  wie  der  buchstabenklaubendste 
orthodoxeste  Engsinn  es  behauptet,   blieb  nicht  trotzdem  die 
durch  Christus   offenbarte  Wahrheit  nur  ein  Angebot,   das 
Jeder  annehmen  oder  verwerfen  kann?    Es  bleibt  immer  die 
That  der  freien  Persönlichkeit,  das  Angebotene  sich  zum  gei- 
stigen Eigenthum  zu  machei.    So ,  finde  ich  Lessing's  Begriff 
der  Offenbarung  gerade  vom  Boden  sittlicher  Freiheit  aus  ge- 
rechtfertigt und  finde  in  diesem  Boden  auch  seine  Unterscheid* 
dang  einer  Religion  Christi   und  einer  christlichen  Religion 
gegrOndet.  ; 


176       ]>;  Joh«  H.  l?ntter  Die  üiflosophie  unserer  Dichterberooi. 

Noch  Ems  möchte  ich  berühren.  Witte  scheint  es  zu 
missbiiligeu,  dass  Lessing  sich  auch  mit  Dogmatischem  abgab, 
und  auch  ich  billige  nicht  die  Art,  wie  er  die  Dreieinigkeit 
erklaxt.  A.ber  darf  sich  die  Philosophie  nicht  um  Dogmatik, 
die  «doch  nur  ein  Erzeugmss  philosophierender  Logik  ist,  be- 
kĂĽmmern? Namentlich  die  Vorstellung  von  der  Dreieinigkeit 
steht  der  Philosophie  nicht  fem.  Die  Bedeutung  dieser  Drei- 
einigkeitsl  ehre  fĂĽr  dte  Philosophie  wird  stets  die  bleiben,  dass 
dabei  zunr.  ersten  Male  versucht  ward,  Gott,  wie  Lessing  will, 
als  etwas  mehr  wie  als  ein  blosses  Denken,  als  einen  blossen 
vovg  zu  denken;  er  soll  lebendige  Persönlichkeit  sein.  Und 
da  jetzt  i)  n  19.  Jahrhundert  die  Dreiheit  des  Denkens,  FĂĽh- 
lens  und  Wollens  in  abstracten  Einseitigkeiten  auseinander 
gel^  urid  zu  Principien  der  Welterklärui^  erhoben  wurde, 
so  haben,  wir  dem  Dichter  Lessing  zu  danken,  dass  er  im 
lebhafter  i  Interesse  für  die  geschichtlich  gewordenen  religiösen 
Volksvo  rstellungen  sie  als  Probleme  der  Philosophie  lebendig 
erhielt  Auf  solche  Schriften  aber,  wie  die  von  Witte,  grĂĽn- 
den wijr  die  Hofbung,  dass  die  Philosq)hie  bald  wieder  Ton 
ihren  abstracten  Gottheiten  fortschreiten  werde  zu  dem  im 
Denkea,  FĂĽhlen  und  Wollen  dreieinigen  Urgrund  einer  con- 
creten  WirLUchkeit. 

In  Betre*ff  der  einzelnen  Beweise  Witte's,  dass  Lessing 
religiös,  Theib^  ein  Christ,  dass  er,  der  so  oft  zum  Schild 
des  Unglaubens  gemacht  wird,  kein  Freigeist  war,  verweisen 
wir  auf  die*6ch\rift  selbst;  heben  jedoch  noch  besonders  her- 
vor den  Excurs  ĂĽber  das  ewige  Ferment  im  Christenlhum, 
seine  Erklärung  von  Lessing's  Gespräch  mit  Jacobi  unt^  der 
Festhaltung  von  Xessing's  Theismus,  ferner  seine  Erklärung 
von  Nathan  dem  Weisen.  Wir  geben  ihm  Recht,  wenn  er 
Werth  darauf  legt,  JiasiS  es  heisst,  der  Ring  mache  angenehm, 
falls  man  ihn  in  dieser  Gesinnung  trage.  Nicht  der  Besitz, 
sondern  die  Gesinnung  i'st  danach  fĂĽr  Lessing  das  Werth- 
schaffende,  und  in  prote&^tantischem  Geiste  betont  er  damit 
die  Nothwendigkeit  innerer  Tugend  gegenüber  äusserer  Werk- 
thätigkeit 

Witte's  Darstellung,  von  welcher  das  Obige  nur  einige 
wesentliche  ZĂĽge  zu  geben  bestimmt  ist,  zeigt  uns,   wie  voll 


Dr.  Joh.  H.  Witte:  Die  Philosophie  unserer  Dichterheroen.        177 

« 

Lessing  auf  dem  Boden  jenes  deutschen  Idealismus  steht, 
der  nach  Harms'  oben  erwähntem  Ausspruch  die  Erkenntniss 
des  GröttHchen  mit  der  der  Welt  zu  verknüpfen  berufen  ist. 
Man  muss,  wenn  Lessing  auch  das  Ghristenthum  in  den  Be- 
reich seiner  Philosophie  zu  ziehen  sich  nicht  scheute,  Witte 
beistimmen,  wenn  er  sagt,  „dass  Lessing,  wenn  hinter  Kant 
zurĂĽckbleibend  in  der  Kenntniss  und  Bestinunung  der  Schran- 
ken des  Erfahrungswissens,  doch  Kant  voransteht  im  Fest- 
halten des  Zieles  einer  ĂĽber  die  Erfahrung  hinausgehenden 
theoretischen  Erkenntniss.  So  dass  Fr.  Schlegel  das  Rechte 
geahnt  haben  dürfte  durch  jenes  Wort:  „es  würde  sich  die 
deutsche  Philosophie  vielleicht  glĂĽcklicher  entwickelt  haben, 
wenn  Lessing's  freier  und  kühner  Geist  dazu  mitgewirkt  hätte, 
als  es  nachher  durch  Kant  allein  geschah.*^ 

Auch  in  der  Darstellung  Herder's  als  Philosophen  be- 
währt sich  der  umfessende  Blick,  mit  welchem  Witte  seine 
Aufgabe  ergreift.  Es  liegt  aber  in  der  Natur  der  Sache-,  dass 
die  Herder  betreffende  Darstellung  viel  kĂĽrzer  ausgefallen  ist 
als  die  Lessing's,  denn  Herder  hat,  wie  Harms  sagt,  im  Grunde 
nur  einen  erhabenen  Gedanken.  Dieser  aber  umspannt  dafĂĽr 
auch  eine  ganze  Welt  und  ist  enthalten  in  seinen  „Ideen  zur 
Geschichte  der  Philosophie  der  Menschheit/^  Wenn  aber 
Hanns  femer  behauptet,  dass  Herder  die  Philosophie  der 
Geschichte  zu  einer  Philosophie  der  Geschichte  der  Natur  ge- 
macht habe,  so  streitet  dag^en  Witte,  und  mit  Recht,  inso- 
fern Herder  „die  Erziehung  durch  Gott  nicht  bloss  auf  die 
menschliche  Gattung,  wie  Lessing,  sondern  auch  auf  die  Gat- 
tungen alles  Lebendigen  ausdehnt^^  Indess  faktisch  hat 
Harms  Recht,  wenn  man  auf  den  Erfolg  von  Herder's  An- 
schauung achtet,  welche,  was  Witte  zugibt,  die  Naturphilo- 
sophie und  ausserdem  gerade  Männer  einer  universellen  und 
kosmischen  Naturbetrachtung  anregte,  wie  A.  von  Humboldt, 
K.  Ritter,  Cuvier.  Dieser  Erfolg  rĂĽhrt  von  der  Sprachweise 
Herder's  her,  der  stets  von  Natur,  statt  von  Gott  spricht. 
In  seiner  Vorrede  zu  den  Ideen  der  Philosophie  der  Gesch. 
der  Menschheit  sagt  er:  „Niemand  stosse  sich  daran,  dass  ich 
zuweilen  den  Namen  der  Natur  personiflcirt  gebrauche.  Die 
Natur  ist  kein  selbstständiges  Wesen,   sondern  Gott  ist  Alles 

Philosoph.  MonaUhefte  1881,  III.  12 


178  Litteraturbericht. 

in  seinen  Werken;  indess,  ich  wollte  diesen  hochheiligen  Namen 
nicht  durch  öfteren  Gebrauch  missbrauchen.^^  Im  directen 
Gegentheil  sagt  Darwin  in  seiner  natural  Selection:  ,,Wenn 
ich  den  Namen  der  Natur  personificirt  gebrauche,  so  verstehe 
ich  darunter  keine  Gottheit,  sondern  bloss  die  vereinte  Thä- 
tigkeit  und  Leistung  der  mancherlei  Naturgesetze/'  Dieser 
Unterschied  in  der  Auffassung  der  Natur  zwischen  Herder 
und  Darwin  zeigt,  wie  weit  Herder's  Vorstellung  einer  Schö- 
pfung und  Fortentwicklung  der  Welt  durch  Gott  entfernt  ist 
von  der  neueren  Descendenzlehre.  Wir  brauchen  auf  diesen 
Unterschied  nicht  näher  einzugehen,  da  wir  bereits  (Bd.  XIV 
dieser  Zeitschrift)  „Herder  und  die  moderne  Naturphilosophie'^ 
besprachen.  Witte  untersucht  in  unserem  Sinne  mit  Sorgfalt 
die  gleiche  Frage  und  ist  entrĂĽstet,  dass  man  Herder  einen 
Vorgänger  der  modernen  Lehre  nenne.  Indess,  mich  freut 
die  Täuschung,  kraft  welcher  die  modernen  Herren  ältere 
philosophirende  Geister  als  ihre  Vorgänger  studiren,  kann 
doch  dabei  nicht  ausbleiben,  dass  ältere  ideale  Kraft  befruch- 
tend die  moderne  NĂĽchternheit  beseelt. 

Bei  Einzelnheiten  der  Herder'schen  Philosophie,  seiner 
ästhetischen  und  wissenschaftlichen  Kritik  müssen  wir  auf 
Witte's  Buch  selbst  verweisen.  Zumal  der  Verf.  selbst,  wie 
er  sich  ausdrückt,  „ein  abgeschlossenes  und  von  einem  und 
demselben  Gesichtspunkte  aus  aufgefasstes  Bild  der  Gesammt- 
leistung  unserer  ersten  Dichter  zu  bringen  wĂĽnscht",  was  ihm 
bis  jetzt  gelungen  ist.  Es  ist  ein  einheitliches  umfassendes 
Bild,  das  er  von  Lessing  und  Herder  gibt.  Hoffen  wir,  dass 
dem  Verf.  die  Fortsetzung,  das  Bild  von  Schiller  und  Goethe, 
gleichfalls  gelinge.  Prof.  L.  Weis. 

LittentorlMrielit 


Der  Tentand  von  Hlppolit  Taine.  Ă„utorisirte  deutsche  Ausgabe,  ĂĽber- 
setzt von  L.  Siegfried,  Dr.  med.  Bd.  I.  II.  (390  u.  372  S.)  Bonn, 
E.  Strauss.    1880.    8*. 

In  dieser  Schrift,  die  wir  als  eine  auf  psychologischer  Analyse  begrĂĽn- 
dete Erkenntnisslehre  bezeichnen  können,  bespricht  der  bekannte  franzö- 
sische Academiker  die  Elemente  der  Erkenntniss,  ihre  physiologische  Ver- 
mittlung und  ihre  verschiedenen  Arten.  Wenn  es  sich  hier  um  eine  eigent- 
liche Besprechung  des  Buches  handelte  —  während  wir  nur  eben  diesen 


* 

Litteraturbericht.  179 

Avis  an  die  Leser  beabsichtigen  —  so  würden  wir  in  gar  manchen  Punkten 
bei  aller  Anerkennong  der  Sorgfalt  und  wissenschaftlichen  Akribie  des 
Yerfiiasers  ansehen  G^ensatz  geltend  zu  machen,  wir  wĂĽrden  ĂĽberhaupt  die 
Ansicht  zu  vertreten  haben,  dass  das  vorliegende  vom  Verfasser  gesam- 
melte und  gesichtete  Material  noch  lange  keine  abschliessende  Erkenntniss- 
lehre sein  kann,  wie  wir  uns  in  Deutschland  Aufgabe  und  Inhalt  einer 
solchen  vorzustellen  gewohnt  sind.  So  aber  können  wir  die  deutschen 
Leser  nur  einladen,  sich  die  inhaltvolle  Schrift  in  der  vorliegenden  Ueber- 
setzung  des  Dr.  Siegfried  zugänglich  zu  machen,  welche  zwar  dem  fran- 
zösischen Original  nicht  in  allen  Fällen  gerecht  geworden  ist,  indessen 
dodi  als  klar  und  fliessend  bezeichnet  werden  kann. 


Ais  der  neaen  Hexenküche«  Skizze  des  Spiritistentreibens  von  Prof. 
Dr.  Hermaim  W,  Vogd,  Lehrer  der  Photochemie  u.  s.  w.  Berlin,  Roh. 
Oppenheim.   1880.  (IV,  88  S.)  8^ 

Der  als  Reiseschriftsteller  wohlbekannte  Prof.  Vogel  tritt  in  dieser 
BroschĂĽre  als  Gegner  des  Spiritistentreibens  auf,  dem  er  schon  durch 
einen  öffentlichen  Vortrag  in  Berlin,  welcher  später  durch  die  Presse  ver- 
breitet wurde,  den  Krieg  erklärt  hatte.  Er  verfolgt  in  dem  vorliegenden, 
mit  bekanntem  Humor  und  Greschick  auf  Grund  eingehender  Bekanntschaft 
der  betrefEenden  Vorgänge  und  der  darauf  bezüglichen  Litteratur  geschrie- 
benen BĂĽchlein  zuerst  die  Geschichte  des  Spiritismus,  der  sich  aus  dem  Tisch- 
rĂĽcken und  Tischklopfen  in  dem  Vaterlande  alles  Humbugs  entwickelt  hat. 
Er  beleuchtet  sodann  die  Art  und  Weise  der  sogenannten  spiritistischen 
Sitzungen,  als  deren  Resultat  er  die  höchst  charakteristischen  Aeusserungen 

Fechner*s,  welcher  doch  an  den  Spiritismus  glaubt,  citirt:   , Auch 

Terkehrt  sich*s  im  Allgemeinen  recht  harmlos  mit  den  Spirits.  Sie  ver- 
rathen  keinen  Unmuth  darüber,  aus  dem  Jenseits  aufgestört  zu  werden; 
meist  scheint  es  ihnen  eher  Unterhaltung  und  Vergnügen  zu  gewähren, 
den  Anwesenden  etwas  vorzumachen  (sie)  oder  sich  mit  ihnen  dui'ch  die 
spiritistisch  hergebrachten  Verkehrsmittel  auf  Unterhaltung  einzulassen; 
and  sie  wieder  weg,  so  ist  man  freilich  danach  so  klug  oder  dĂĽmmer 
wie  vorher.'  In  einem  dritten  Abschnitt  schildert  V.  noch  verschiedene 
siüritistische  Phänomene,  wobei  er  die  Entstehung  der  sog.  Geisterphoto- 
^q)hien  in  sachkundiger  Weise  erklärt:  «Für  Fachmänner, **  so  sagt  er, 
•baben  diese  Photographien  wenig  Uebematürliches.  Photographen  wissen, 
wie  sie  die  Person,  welche  im  Bilde  als  Geist  erscheinen  soll,  kĂĽnstlich 
auf  der  Platte  erzeugen  können,  ohne  dass  der  Uneingeweihte  etwas  davon 
loerkt.*  In  diesem  Abschnitt  beschreibt  er  dann  die  von  den  Spiritisten 
niit  höchstem  Enthusiasmus  aufgenommenen  Erscheinungen  im  Hause  des 
englischen  Physikers  Grookes,  welche  durch  die  schöne  Florence  Cook 
^hervorgerufen  und  die  Ursache  wurden,  dass  Grookes,  später  auch  Zöllner, 
sich  zum  Spiritismus  bekehrten.  VogePs  Buch  erschien  eher,  als  dieEnt- 
luTung  des  betreffenden  Mediums  Flor..  Gook  in  London  erfolgte,  von  der 
^vor  einigen  Monaten  alle  Zeitungen  voll  waren,   sonst  hätte  er  gleich  bei 


180  Litteraturbericht. 


« 


dieser  Gelegenheit  die  Nutzanwendung  ziehen  können,  die  freilich  für  jeden 
Unbefangenen  ohnehin  nahe  genug  liegt,  dass  auch  Gelehrsamkeit  und  Scharf- 
sinn, welche  weder  dem  englischen  Crookes  noch  dem  deutschen  Zöllner 
abgesprochen  werden  können,  vor  Weiberlist  nicht  immer  schützen,  zumal 
wenn  diese  mit  dem  Reize  der  Schönheit  bewaffiiet  auftritt,   wie  bei  be- 
sagter Florence  Cook  in  hohem  Maasse  der  Fall  sein  soll.    Aber  auch 
die  Nutzanwendung  dörfen  wir  hier  anknüpfen,   dass  das  Argument  der 
Spiritisten,  die  von  ihnen  angenommenen  Wunder  mĂĽssten  von  Jedermann 
geglaubt  werden,  weil  so  gelehrte  Leute  und  ,ezacte  Forscher*  wie  Croo- 
kes und  Zöllner  daran  glauben,  nach  der  Entlarvung  der  Florence  Cook 
vollständig  hinfällig  geworden  ist.   Vielmehr  darf  die  Spitze  des  Arguments 
umgekehrt  und  gesagt  werden:  Wenn  selbst  so  kluge,  «exacte"  und  in  den 
Tiefen  der  Naturwissenschaft  versirende  Leute  wie  Crookes  und  Zöllner 
sich  von  der  List  und  Gewandtheit  spiritistischer  Medien  haben  täuschen 
lassen,  wie  viel  weniger  sind  wir  anderen  armen  Sterblichen,  die  keine 
neuen  Metalle,  keine  LichtmĂĽhle,  keine  astrophysischen  Gesetze  u.  s.  w. 
entdeckt  haben,  vor  solcher  Bethörung  geschützt!    Wir  müssen  also  dem 
Spiritismus  um  so  mehr  fem  bleiben!   Einen  ähnlichen  Standpunkt  nimmt 
denn  auch  Vogel  im  vierten  Abschnitt  seines  BĂĽchleins  ein.    Er  will  ver- 
nünftigerweise keineswegs  das  Thatsächliche  aller  spiritistischer  Phänomene 
rundweg  ableugnen,  da  manche  derselben  von  zuverlässigen  Beobachtern 
so  bezeugt  wqrden  sind,  dass  man  an  der  Richtigkeit  der  Wahrnehmang 
nicht  zweifeln  kann.    Aber  er  erhofft  (und  darin  stimmt  ihm  Ref.  durch- 
aus bei)  eine  einstige  anderweitige  Erklärung  dieser  Erscheinungen,    als 
die  Spiritisten  sie  geben,  indem  sie  auf  die  Geisterwelt  verweisen,  von  der 
sie  sich  zu  diesem  Zweck  die  allercuriosesten,  um  nicht  zu  sagen  albern- 
sten und  unwĂĽrdigsten  Vorstellungen  zu  bilden  pflegei);   er  macht  ganz 
passend  darauf  aufinerksam,  was  auch  Ref.  schon  bei  anderer  Gelegenheit 
gethan  hat,  dass  der  Spiritismus,  soweit  man  sehen  kann,  schwer- 
lich jemals  eine  wohlverbürgte  neue  Wahrheit  zu  Tage  geför- 
dert habe,  was  nach  so  unendlich   vielem   angeblichem  Verkehr    mit 
Geistern  geradezu  vernichtend  fĂĽr  die  spiritistische  Theorie  ist.    Und  dies 
bestätigt  Fechner  selbst,  indem  er  erklärt,  dass  „alle  Manifestationen  der 
aus  dem  Jenseits  beschworenen  Spirits  nur  wirre  Vorstellungen  von  diesem 
Jenseits  lieferui  die  aller  Erbaulichkeit,  Klarheit  und  Festigkeit  ermangeln.*^ 
Und  ganz  elend  erscheint  hier  die  Ausflucht  der  Spiritisten,   dass  sie  es 
in  der  Regel  mit  sehr  niedem  und  ungebildeten,  wohl  auch  lĂĽgnerischen 
Geistern  zu  thun  haben.    Ist  dies  der  Fall,  so  wäre  es  ja  schlimmer  als 
Thorheit,  sich  mit  solchen  Wesen  abzugeben!    Vogel  ist  vollständig  be- 
rechtigt, am  Schluss  seiner  BroschĂĽre  insbesondere  phantastische  Naturen 
vor  der  Beschäftigung  mit  dem  Spiritismus  zu  warnen,  die  im  besten  Falle 
eine  hiebt  unbedenkliche  zwecklose  Spielerei  ist,  aber  fĂĽr  Manche  gewiss 
mehr  oder  weniger  Gefahren  in  sich  birgt,  wie  denn  in  den  spiritistischen 
Kreisen  Geistesstörungen  viel  häufiger  auftreten  sollen,  als  anderswo.    Man 
ĂĽberlasse,  so  ruft  er  warnend  aus,  das  Studium  dieser  Zeitkrankheit  den 
Aerzten,  Physiologen  und  Physikern,  ^ie  sich  dazu  berufen  fĂĽhlen.  E^  ist 


Litteratarbericht.  181 

ein  schlimmes  Zeichen,  wenn  junge  Studenten,  die  sich  erst  in  der  drei- 
dimensionalen Welt  zurechtzufinden  lernen  sollen,  ihre  Zeit  mit  spiritistischen 
Studien  yergeuden  und  sogar  in  BroschĂĽren  ihre  Gommilitonen  dazu  ver- 
fOhren  woDen.  

Beiträge  m  einer  exaeten  Psydio-Physiologie  von  Dr.  Eugen  Dreher, 
Priyatdocent  an  der  K.  Univers.  Halle.    Halle,   C.  ÂŁ.  M.  Pfefifer.    1880. 
(91  S.)    S\ 
Diese  Beiträge,  welche  aus   einer  ,  Probevorlesung  "*  über  das  Wesen 
der  Sinneswahmehmungen,   einer  .Einladungsschrift*  ĂĽber  die  vierte  Di- 
mension des  Raumes,  einer  „Antrittsvorlesung*  über  ,  Nervenfunction  und 
psychische  Thätigkeit,  einer  Notiz  betitelt  , Studien  am  Lebensrad  u.  s.  w.*, 
endlich  aus  .Beiträgen  zur  Theorie  der  Farbenwahmehmung  —  Resum^ 
aus  gehaltenen  Vorträgen*  bestehen,   legen  davon  Zeugniss'*' ab,  dass  der 
Verfasser  mit  Eifer,   Einsicht  und  Erfolg  auf  dem  von  ihm  als  Psycho- 
Phjsiologie  bezeichneten  Gebiete  thfttig  gewesen  ist.   Freilich  wäre  es  nach 
des  Refer.  Ansicht  besser  gewesen,  wenn  Dr.  Dreher  das  Resultat  seiner 
bisherigen  Studien  in  anderer  Form   dem   wissenschaftlichen   Publikum 
vorgelegt   h&tte,    als    hier   geschehen   ist,   denn    man  muss  in  diesen 
Vorlesungen  und  Beiträgen  gar  Manches  mit  in  den  Kauf  nehmen,  was 
bekannt,  und  wiederum  Manches,  was  nichts  weniger  als  «exact*  gedacht 
ist.    Sehen  wir  jedoch  davon  in   dem  Vertrauen   ab,   dass  der  Verfasser 
im  Fortgang  seiner  Arbeiten  sich  der  falschen  Autoritäten,  die  ihn  zur 
Zeit  noch  gefesselt  halten,  entschlagen  und  damit  von  gewissen  Hypothe- 
sen, welche  wenigstens  in  dem  von  ihm  angenommenen  Umfang  unhalt- 
bar sein  dĂĽrften,  sich  losmachen  werde.  Auch  den  weitgehenden  Gebrauch 
des  ,ünbewussten*  in  der  inneren  Thätigkeit  wird  er  einschränken  und 
vor  aUen  Dingen  näher  bestimmen  müssen.     Im  Leben  der  Seele  spielt 
das  Unbewusste  ja  unzweifelhaft  eine  wichtige  und  leider  zur  Zeit  noch 
wenig  aufgeklärte  Rolle,   aber  es  darf  doch  nicht  (vielleicht  im  Hinblick 
auf  die  Hartmann'sche  Ansicht)  als  eine  Macht,   ein  Vermögen   für  sich 
betrachtet  werden,  wie  wenn  der  Verfasser  einmal  sagt:  «das  Unbewusste 
in  der  Seele  vollzieht  die  der  Realität  entsprechende  Scheidung  zwischen 
imierer  und  äusserer  Welt*.  Der  bei  dieser  Gelegenheit  von  dem  Verfasser 
gemachte  Unterschied  zwischen  dem,  was  dem   Bewusstsein  entspringt, 
und  dem,  was,   ursprĂĽnglich  unbewusst,  nur  seinen  Resultaten  nach  ins 
Bewusstsein  gelangt,  ist  dem  Referenten  auch  nicht  klar  geworden.   Denn 
was  .ins  Bewusstsein  gelangt*,  kai^n  doch  nicht  als  unbewusste  Seelen- 
thäügkeit  gefasst  werden;  was  aber  den  Process  des  Zustandekommens 
der  Empfindungen   und  Vorstellungen   angeht,  so  ist  derselbe  allerwege 
und  in  jedem  Falle  dem  Bewusstein  entzogen. 

Die  Phantasie  die  «mächtigste  von  allen  unbewussten  Gestaltungs- 
kräften* zu  nennen,  geht  doch  auch  zu  weit,  denn  die  Phantasie  ist  weit 
davon  entfernt,  bloss  unbewusst  zu  wirken,  und  die  relative  Bewusstlosig- 
kdl,  mit  der  manche  ihrer  Bildungen  oder  vielmehr  Manches  bei  ihren 
Bildungen  vor  sich  geht,  ist  wohl  zu  unterscheiden  von  der  absoluten  Be- 


l 


182  Litteraturbericht. 

wusstlosigkeit  anderer  psychischer  Vorgänge.  —  Die  Widerlegung  der 
Hypothese  von  einer  vierten  Raumdimension  ist  Dr.  Dreher  zwar  im  All- 
gemeinen gelungen,  hätte  aber  noch  einfacher  geschehen  können,  wenn 
er  auf  den  Begriff  selbst  der  Dimension  zurückgegangen  wäre.  Für  den, 
welcher  an  dem  alten  Satze  festhält,  dass  sich  in  jedem  Punkte  des  Raumes 
nur  drei  Linien  rechtwinklich  schneiden,  kann  es  nur  drei  Dimen- 
sionen geben;  lässt  man  freilich  das  , rechtwinklich*  weg,  so  können  sieh 
unzählige  Linien  in  demselben  Punkte  schneiden  und  somit  unendlich 
viele  Dimensionen  entstehen,  aber  Dimensionen,  die  doch  alle  in  die 
drei  alten  Dimensionen  hineinfallen  und  den  Slade*schen  Spirits  keine 
Intermundien  bieten.  Es  bleibt  also  dabei,  dass  die  vierte  Dimension 
unter  allen  Umständen  ein  vollkommener  Widerspruch  ist,  gleich  geheim- 
nissvoll fĂĽr  Weise  wie  fĂĽr  Thoren.  Ein  richtiger  Geist  darf  als  Ding  an 
sich  oder  als  Einheit  von  Sein  und  Können  ohnehin  gar  keine  Dimension 
haben,  am  allerwenigsten  vier. 


Prof.  Zöllners  Hypothese  einer  vierten  Dimension  des  Baumes  durch 

VemunftgrĂĽnde   und  Thatsachen   widerlegt  von  C.   von  Ru^Uer,   beei- 
digtem Rechtsanwälte  zu  Moskau.  Leipzig,  Fr.  Wagner.  1880.  (30  S.)  8*. 

Zöllner  hat  in  seinen  , wissenschaftlichen  Abhandlungen'  bekanntlich 
die  Annahme  einer  vierten  Dimension  des  Raumes  als  nothwendig  hinge- 
stellt, um  zu  einer  geforderten  Erweiterung  unserer  Raumes -Vorstellung 
zu  gelangen;  er  hat  die  Möglichkeit  jener  Annahme  einer  vierten  Dimen- 
sion aus  Thatsachen  nachzuweisen  versucht,  und  drittens  aus  seiner 
Hypothese  gewisse  Thatsachen  des  sogenannten  Spiritismus  zu  erklären 
unternommen.  Dem  entgegen  weist  uns  der  Verf.  der  oben  angefĂĽhrten 
BroschĂĽre  nach,  dass  wir  durch  richtiges  Urtheilen  und  Schliessen  nicht 
die  Nothwendigkeit,  sondern  vielmehr  die  Unmöglichkeit  der  vierten  Di- 
mension im  Sinne  der  von  Zöllner  aufgestellten  Protections  -  Hypothese 
erkennen.  Soll  .diese  Hypothese  der  vierten  Dimenson  eine  richtige  sein, 
so  muss  sie  ferner  nicht  nur  die  von  Zöllner  angenommenen  spiritis- 
tischen Thatsachen  erklären,  sondern  darf  sich  auch  nicht  in  Widersprüche 
mit  anderen  Thatsachen  der  Erfahrung  verwickeln.  Hier  zeigt  nun  der 
Verf.,  dass  die  Projections-Hypothese  die  angeblichen  Geistererscheinungen 
statt  sie  zu  erklären,  vielmehr  ganz  unerklärlich  macht  und  uns  ausser- 
dem mit  den  Thatsachen  der  Erfahrung  in  Widerspruch  setzt.  Der  Verf. 
sohliesst  folgendermassen :  „Ist  Alles  in  der  Welt  Protection ,  so  fehlt  ja 
der  an  eine  Projection  gebundenen  Seele  jedes  Kriterium,  um  Wahrheit 
von  Trug  zu  unterscheiden.  —  Dass  unsere  Raum  Vorstellung  an  gewisse 
Schranken  gebunden  ist,  können  wir  nicht  leugnen;  das  ist  schon  daraus 
zu  ersehen,  dass  es  uns  ebenso  unmöglich  ist,  uns  das  Universum  als 
begrenzt,  sowie  auch  als  unbegrenzt  vorzustellen,  während  es  eines  von 
beiden  doch  realiter  sein  muss.  Die  Mangelhaftigkeit  aber  unserer  Raum- 
vorstellung berechtigt  uns  noch  gar  nicht  dazu,  dem  empirisch  uns  gege- 
benen dreidimensionalen  Raum  sammt  den  darin  befindlichen  Objecten 


Liitteraturbericht.  183 

jede  selbständige  Realität  abzosprecb^.  —  Ob  es  uns  je  gelingen  wird, 
uns  von  dem  so  eben  erwähnten  wirklichen  Widerspruche  zwischen  dem 
begriJĂĽichen  Denken  und  dem  Vorstellen  zu  befreien  und  unsere  Raum- 
vorsteUung  zu  erweitern?  Die  -  Möglichkeit  dürfen  wir  a  priori  nicht 
teognen.  JedenfaDs  könnte  eine  solche  Erweiterung  nicht  im  Sinne  der 
(ZöUner*schen)  Projections-Hypothese  stattfinden/ 


Ueber  Bestrebuiiron  und  Ziele  der  wissenscluiftllclien  Chemie.   Von 

Dr.  Bi€h.  Meyer  in  Gbur.  (Sammlung  gemeinverst.  wissensch.  Vorträge, 
herausg.  von  R.  Virchow  und  Fr.  y.  Holtzendorff.  XV.  Ser.  Heft  343.) 
Berlin,  G.  Habe).  1880.  8*.  (52  S.) 
Dieser  Vortrag  legt  von  einem  höheren,  wahrhaft  philosophischen  Stand- 
punkt ans  das  Wesen  der  chemischen  Forschung  in  kurzer  gemeinverständ- 
licher Weise  dar,  indem  er  zugleich  die  Grenze  bezeichnet,  zu  der  das  wirk- 
liche Wissen  hinsichtlich  der  Constitution  der  Körperwelt  bisher  gelangt  ist. 
Was  die  Grundlage  der  heutigen  Chemie  anbetrifft,  die  Atomentheorie,  so 
drOckt  sich  der  Verfasser  hinsichtlich  derselben  mit  grosser  Vorsicht  aus,  in- 
dem er  nichts  weiter  behauptet,  als  dass  wir 'nach  dem  augenblicklichen 
Stande  der  Wissenschaft  der  Atome  als  einer  unentbehrlichen  H3^othese 
bedfirfen;  er  entwickelt  aber  vom  Standpunkt  dieser  Theorie  aus  die  der  che- 
mischen Forschung  vorliegenden  näheren  und  entfernteren  Fragen,  so  z.  B.  die 
nach  dem  Wesen  der  chemischen  Verwandtschaft,  deren  Beantwortung  viel- 
leicht die  Ermittelung  deriGestalt  und  räumlichen  Gruppirung  der  Atome  zur 
Voraussetzung  hat;  femer  die  nach  der  Natur  der  Elemente  und  nach  der 
Ursache  ihrer  Verschiedenheit,  wobei  es  sich  wieder  firagt,  ob  die 
Atome  wirklich  untheilbar  und  einfach  sind,  wie  die  bisherige  Annahme 
ist,  oder  ob  sie  vielleicht  aus  noch  einfacheren  Grundstoffen,  am  Ende  gar 
aus  sehr  feinep  Theilen  einer  einzigen  Urmaterie  bestehen,  worauf  merk- 
wĂĽrdige Beziehungen  zwischen  den  physikalischen  und  chemischen  Eigen- 
schaften der  Elemente  und  ihrer  Atomgewichte  hinweisen.  Der  Vortrag, 
dem  eine  Reihe  höchst  instructiver  Anmerkungen  beigefOgt  ist,  erscheint, 
da  sein  Inhalt  aus  gründlicher  Kenntniss  und  eingehender  Beschäftigung 
mit  der  Sache  geschöpft  ist,  im  hohen  Grade  geeignet,^  auch  dem  mit 
chemischen  Dingen  weniger  Vertrauten  ein  klares,  lebendigesIBild  von 
dem  innem  Leben  dieser  Wissenschaft  zu  geben,  über  deren  so  häufig 
rein  handwerksmässigen  Betrieb  man  nicht  die  tieferen,  eigentlichen  Auf- 
gaben, denen  sie  obliegt,  ĂĽbersehen  darf. 


Teltaire-Stsdien*  Von  Dr.  Bkhard  Mayr.  Wien,  G.  Gerold*s  Sohn. 
1879.  (190  S.)  8^  (Aus  dem  Julihefte  des  Jahrg.  1879  der  Sitzungs- 
berichte der  phU.-hist.  Klasse  der  k.  Acad.  d.  W.  besonders  abgedruckt.) 

Diese  Studie  kann  als  Ergänzung  der  berühmten  Strauss'schen  Vor- 
lesungen betrachtet  werden,  insofern  sie  Voltaire  als  Historiker  und  Ge- 
sänchtspbilosophen  näher  schildert.  Wir  erhalten  darin  ein  mit  Elar- 
Ittit,  Lebendigkeit  und  Geist  ausgefĂĽhrtes,  durch  eine  ^grosse  Menge  Gitate 


184  Neu  eingegangene  Schriften. 

aus  Voltaire's  Schriften  verdeutlicUes  Bild  des  Vaters  der   , Philosophie 
der  Greschichte",   das  der  Verfasser  mit  viel  Liebe,  vielleicht  nur  mit  all- 
zuviel Vorliebe  gezeichnet  hat.    Denn  so  wenig  Ref.  in  die  meistens  von 
ultramontaner  Seite  ausgehenden  heftigen  Schmähungen  auf  Voltaire,  die 
seit  den  Tagen  der  Romantik  sich  mit  ungeschwftchter  Zähigkeit  immer 
wieder  erneuern,  einstimmen  mag,   so  wenig  kann  er  doch  dem  fast  un- 
bedingten Panegyrlkus  sich  anschliessen,  den  Mayr,  von  Strauss*  kritischerer 
Webe  abweichend,  seinem  Helden  hält  und  gegen  den  er  doch  selbst  ein 
hinlängliches  Gegengewicht   schafft  durch  Beibringung  zahlreicher  wört- 
licher AnfQhrungen  aus  Voltaire,  aus  welchen  dessen  oft  irrthĂĽmliche,  ein- 
seitige und  oberflächliche  Auffassung,  ja  starke  Uebertreibungen  und  Bos- 
heiten erhellen.    Voltaire's  Verdienst  als  Historiker,   als  Geschichts-  und 
Religionsphilosoph  ist  es,  dem  officiellen  Schein  einer  optimistisch  geĂźiib- 
ten  Weltanschauung  gegenĂĽber  einen  nĂĽchternen  Ton  angeschlagen  und 
von  einer  gesunderen  Psychologie  aus,  durch  Witz  und  Geist  unterstĂĽtzt, 
eine  unbefangenere  Ansicht  der  menschlichen  Dinge  geltend  gemacht  zu 
haben.    Er  hat  immer  Vernunft  und  Toleranz  gepredigt,  immer  gegen 
Verfinsterung  und  Tyrannei  gekämpft.    Dies  Lob  soll  ihm  ungeschmälert 
bleiben.    Aber  mit  der  Aufklärung  als  Oppositionsprincip  allein  ist's  doch 
nicht  gethan.    Voltaire  hat  vielfach,   wie  das  SprĂĽchwort  sagt,   das  Kind 
mit  dem  Bade  ausgeschĂĽttet;   er  hat  ĂĽberhaupt  die  tiefem  Fragen  des 
sittlichen,  religiösen  und  socialen  Lebens  entweder  gar  nicht  berührt,  oder 
sie  mit  irgend  einer  klingenden  Formel  abgethan,  die  dem  eingehenderen 
Denken  nicht  Stirb  hält.   So  anregend  daher  auch  seine  historischen  An- 
sichten sind,  so  wenig  können  sie  doch  befriedigen,  und  Mayr's  schliess- 
liche  Parallele  Kant's  und  Voltaire's  gibt,  wenn  sie  auch  nur  kurz  und 
flüchtig  ausfällt,  schon  der  Fiugflfrzeige  genug,  aus  denen  hervorgeht,  dass 
des  Letzteren  religions-  imd  geschichtsphilosophische  Ideen  nur  als  ein 
Durchgangspunkt  fĂĽr  die  Entwicklung  dieser  noch  so  wenig  fortgeschritte- 
nen Wissenschaft  betrachtet  werden  dĂĽrfen. 


Neu  eingegangene  Schriften. 

Kant 's  Kritik  der  reinen  Vernunft.    Herausg.  von  J.  H.  v.  Kirchmann. 

5.  Aufl. 
Uphues,  K.,  Das  Wesen  des  Denkens  nach  Piaton. 
Koch,  Ant.,  Die  Psychologie  Descartes'. 
Schneider,  Gottfried,  Entwurf  einer  rationalen  Seelenlehre. 
Krause,   Albr.,   Populäre  Darstellung  von  L  Kant's  Kritik   der  reinen 

Vernunft. 
Seoane,  Marquis  de,  Philosophie  elliptique  du  latent  operant.    P.  U. 
Deisenberg,  W.,  Theismus  und  Pantheismus. 
Radenhausen,  G.,  Ghristenthum  ist  Heidenthum,  nicht  Jesu  Lehre. 
Verhandlungen  der  philosophischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Heft  XVIII. 
Kirchner,  Fr.,  Katechismus  der  Sittenlehre. 
Fischer,  Kuno,  G.  E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur. 

TheU  1.  2. 
Kampe,  Fr.,  Der  Mendelssohn'sche  Phaedon  in  seinem  Verhältniss  zum 

platonischen.    Hallesche  Inaugural-Dissertation. 


Bibliographie.  185 

Schmidt,  P.,   Kant,  Schiller,  Vischer:   Ueber  das  Erhabene.    Hallesche 

Inaug.-Dissertation. 
Lorenz,  O.,  Begriff  und  Wesen  des  Uebels.  Hallesche  Inaug.-Dissertation. 
Schwarze,  AI.,  Die  Stellung  der  Religionsphilosophie  in  Herbart's  System. 

Hallesche  Inaug.-DisserUtion. 
Stein,  P.,  De  Aristophanis  Ecclesiazusarum  argumento  e  quarto  reipublicae 

Piatonis  libro  sumpto.     Hallesche  Inaug.-Dissertation. 
Harnisch,  F.  W.,  Das  Leiden,   beurtheilt  Tom  christlichen  Standpunkt. 

Hallesche  Inaug.-Dissertation. 
Ranze,  Max,  Kant*s  Kritik  an  Hume*s  Skepticismus.   Greifewalder  Inaug.- 
'   Dissertation. 


Bibliographie 

von 

Dr.  F.  Ascherson. 

L  Zir  Encyclopldlt.  ZefftchriftoiL  Michel  et,  G.  L.,  das  System  der  Phi- 
losophie als  ezacter  Wissenscnaft.  4.  Bd.,  enthaltend  die  Philosophie 
der  Geschichte.  2.  Abth.  8.  Berlin,  Nicolai'sche  Verlagsbuchhandlung, 
n.  6  M.  [S.  ob.  Bd.  XV  S.  563.]  —  v.  Kirchmann,  Katechismus  der 
Philosophie.  (Weber*s  illustrirte  Katechismen,  No.  84.  3.  Aufl.  8. 
Leipzig,  Weber.  Geb.  n.  2  M.  50  Pf.  —  Zeitschrift  für  Völkerpsy- 
chologie und  Sprachwissenschaft.  Herausgegeben  von  M.  Lazarus  und 
E  Steinthal.  12.  Bd.  4.  Heft.  8.  Berlin,  Dflmmler^s  Verlagsbuchh. 
n.  2  M.  40  Pf. 

IL  Zur  Getchlciiie  der  PhilotopMe.  Uphues,  K.,  das  Wesen  des  Denkens 
nach  Piaton.  8.  Landsberg  a.  W. ,  Schönrock's  Verlag,  n.  3  M.  — 
Freund,  W.,  Cicero  historicus.  Cicero *s  Geschichtsangaben  Ober  die 
bedeutendsten  griechischen  und  römischen  Staatsmänner,  Dichter.  Histo- 
riker, Philosophen,  Mathematiker,  Redner  und  Kfinstler.  8.  Leipzig, 
Violet.  n.  2  M.  —  Werner,  K.,  Johannes  Duns  Scotus.  8.  Wien, 
Braumfiller.  n.  10  M.  —  Danzel,  Th.  W.,  und  G.  E.  Guhrauer, 
Gotthold  Ephraim  Lessing.  Sein  Leben  und  seine  Werke.  2.  Aufl. 
Herausgegeben  von  W.  v.  Maltzahn  und  R.  Bozberger.  Lief.  14,  15. 
8.  Berlin,  Th.  Hofmann.  *ä  n.  1  M.  [S.  ob.  S.  121.J  —  Fischer,  K., 
G.  E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur.  2  Bde.  8. 
Stuttgart,  J.  6.  Cotta'sche  Buchh.  n.  8  M.,  I.  n.  4  M  50  Pf.,  II.  3.  Aufl. 
n.  3  M.  50  Pf.  —  Krause,  A.,  populäre  Darstellung  von  Imm.  Kant*s 
Kritik  der  reinen  Vernunft.  8.  Lahr,  Schauenburg.  n.  2  M.  40  Pf.  — 
Knoodt,  P.,  Anton  GĂĽnther.  Eine  Biographie.  2  Bde.  8.  Wien, 
BraomflUer.    n.  12  M. 

HL  Zur  pMlotopMtclien  WeKantchauung.  Reichenbach,  A.,  die  einheit- 
liche Weltanschauung  und  die  Grundzflge  des  menschlichen  Gesellschafts- 
lebens.   8.    Berlin,  Issleib.    n.  6  M.,  geb.  n.  7  M.  50  Pf. 

IV.  Zur  NaittrpMIosophia.  Darwin^s,  Gh.,  gesammelte  Werke.  Auswahl 
in  6  Bänden.  Lief.  5,  6,  7,  8,  9,  10.  8.  Stuttgart,  Schweizerharfsche 
Bnchh.  ä  n.  1  M.  [S.  ob.  S.  122.]  —  Maxwell,  J.  C,  Substanz  und 
Bewegung.  Ud[)ersetzt  von  E.  von  Fleisch].  2.  Abdruck.  8.  Braun- 
schweig, Vieweg  &  Sohn.  n.  1  M.  20  Pf.  —  Schmidt,  A.,  zur  Vivi- 
sectionsfrage.    Vier  offene  Briefe.    8.    Dorpat,  Karow.    n.  1  M. 

V.  Zar  Ellilk  uml  Culiurgetchichta.  Carneri,  B.,  Grundlegung  der  Ethik. 
Wien,  BraumfiDer.  n.  9  M.  —  Grapengiesser,  C,  Sprüche  aus  dem 
Leben  fOr  das  Leben.   16.  Dresden,  v.  Grumbkow.  n.  3  M.,  geb.  haar  4  M. 

VI.  Zur  Airtiropologle  md  Psychologie.  Archiv  fOr  Anthropologie.  Zeit- 
sdirift  fĂĽr  Naturgeschichte  und  Urgeschichte  des  Menschen.  Heraus- 
gegeben von  A.  Ecker  und  L.  Lindenschmit.    13.  Bd.    1  u.  2.  Viertel- 


186  Bibliographie. 

Jahrsheft.  4.  Braunschweig,  Vieweg  4b  Sohn.  n.  18  H.  —  Reich,  E., 
das  Leben  des  Menschen  als  Individuum.    8.    Berlin,  Hempel.  n.  7  M. 

—  Hagemann,  6.,  Psychologie.  Ein  Leitfaden  für  akademische  Vor- 
lesungen etc.  4.  Aufl.  8.  Freiburg  i.  Br.,  Herder'sche  Verlagshandi. 
n.  3  M.  25  Pf.  —  Studien,  psychische.  Herausgegeben  und  redigirt 
von  A.  Aksakow.  8.  Jahrg.  1881.  1.  Heft.  8.  Leipzig,  Mutze.  Halb- 
jährlich n.  5  M.  —  Arbes,  J.,  meine  Forschungen  im  Gebiete  des 
Geistes.  Zwei  empirisch  -  philosophische  Untersuchungen.  8.  Pilsen, 
Maasch.  n.  1  M.  50  Pf.  —  Kant,  L,  von  der  Mad^t  des  Gemflths, 
durch  den  blossen  Vorsatz  seiner  krankhaften  GefĂĽhle  Meister  zu  sein. 
(Haus-Bibliothek  Bd.  2.)    16.    Leipzig,  Goldhausen,    n.  20  Pf. 

VII.  Zur  Rellglontphllotophle.  Pf  äff.  F.,  Gott  und  die  Naturgesetze.  (Samm- 
lung von  Vorträgen,  herausgegeben  von  W.  Fromme!  und  F.  Pfaff. 
5.  Bd.  (10  Hefte.)  Heft  1.  Heidelberg,  G.  Winter^s  Universitäts-Buchh. 
Einzelpreis   n.  60  Pf.,   Subscriptionspreis  pro   10  Hefte    n.  4  M.    — 

'  Haupt.  E.,  die  pädagogische  Weisheit  Jesu  in  der  allmäligen  Enthül- 
lung seiner  Person.  8.  Gütersloh,  Bertelsmann  n.  60  Pf.  —  Schnee- 
mannn,  G.,  weitere  Entwickelung  der  thomistisch - molinistischen  Gon- 
troverse.  Dogmengeschichtliche  Studie.'  8.  Freiburg  i.  B.,  Herder*sche 
Verlagsbuchh.    n.  3  M.  20  Pf. 

VIII.  Zur  Pädagogik.  Beiträge  zum  deutscheu  Unterrichtswesen.  8. 
Berlin,  A.  Kleines  Verlag,  n.  IM.  50 Pf.  —  Anzeiger  für  die  neueste 
pädagogische  Litteratur.  Herausgegeben  von  H.  E.  Stötzner.  10.  Jahrg. 
1881.  Nr.  1.  4.  Leipzig,  Klinkhardt.  Halbjährlich  n.  1  M.  — Archiv, 
pädagogisches.  GentraJorgan  für  Erziehung  und  Unterricht.  Heraus- 
gegeben von  Krumme.  23.  Jahrg.  1881.  (10  Nrn.)  Nr.  1.  8.  Stettin, 
Herrcke  und  Lebeling.  pro  cplt.  n.  16  M. -«  Blätter,  christlich-päda- 
gogische, für  die  österreichisch-ungarische  Monarchie.  4.  Jahrg.  1881. 
Nr.  1.  8.  Wien,  Steckler.  pro  cplt.  n.  4  M.  —  Blätter,  rheinische, 
fĂĽr  Erziehung  und  Unterricht.  BegrĂĽndet  von  A.  Diesterweg,  fortge- 
fĂĽhrt von  W.  Lange.  Jahrg.  1881.  (6  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Frankfurt 
a. M.,  Diesterweg.  pro  cplt.  n.  8M.  — Cornelia,  Zeitschrift  für  häus- 
Uche  Erziehung,  herausgegeben  von  G.  Pilz.  35.  Bd.  Leipzig,  Kempe. 
pro  cplt.  2  M.  25  Pf.  —  Lehrerzeitung,  allgemeine  deutsche.  Red.: 
M.  Kleinert.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  4.  Leipzig,  Klinkhardt.  Halbjährlich 
n.  4  M.  —  Lehrerzeitung,  allgemeine  österreichische.  Herausgege- 
ben von  J.  Heinrich.  9.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  4.  Prag,  Tempsky.  Vier- 
teljährlich n.  2M.  —  Literaturblatt,  pädagogisches,  und  Rundschau 
auf  dem  Gebiete  der  Pädagogik.  Herausgegeben  von  W.  Werther.  3. 
Jahrgang.  (12  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Berlin,  Wohlgemuth's  Verlagsbuch- 
handlung, pro  cplt.  n.  4  M.  —  Magazin  für  Lehr-  und  Lernmittel. 
Herausgegeben  von  G.  Schröder.  5.  Jahrg.  1881.  (24  Nru.)  Nr.  1. 
4.  Magdeburg,  Friese.  Vierteljährlich  n.  1  M.  —  Sammelmappe, 
pädagogische.  Heft  48.  8.  Leipzig,  Siegismund  und  Volkening.  n. 
1  M.  20  Pf.  Inhalt:  Vorträge^  gehalten  in  der  pädagogischen  Gesell- 
schaft zu  Leipzig.    Herausgegeben  von  F.  Dix.    [S.  Bd.  XVI  S.  186  f.] 

—  Schulblatt,  evangelisches,  und  deutsche  Schulzeitung.  Herausge- 
geben von  F.  W.  Dörpfeld.  25.  Bd.  1881.  (18  Hefte.)  1.  Heft.  8. 
Gütersloh.  Bertelsmann,  pro  cplt.  n.  6  M.  —  Schulblatt,  katholi- 
sches. 27.  Jahrg.  1881.  (8  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Ober-Glogau,  Han- 
del, pro  cplt.  n.  3  M.  —  Schulblatt,  preussisches.  Jahrg.  1881. 
Nr.  1.  4.  Danzig,  Homann's  Buchh.  Vierteljährlich  n.  1  M.  50  Pf.  — 
Schulblatt  fĂĽr  die  Provinz  Brandenburg,  herausgegeben  von  K.  Bor- 
mann, G.  Reichhelm  und  Schaller.  46.  Jahrg.  1881.  1.  und  2.  Hefl. 
8.    Berlin,  Wiegandt  unl  Grieben  in  Gomm.    pro  cplt.  n.  5  M.  50  Pf. 

—  Schulbote,  süddeutscher.  Eine  Zeitschrift  für  das  deutsche  Schul- 
wesen.   Red.:  F.  Kübel.    45.  Jahrg.    1881.    Nr.  1.  4.    Stuttgart,   J.  F« 


Bibliographie.  187 

Steinkopf,    pro  cplt.  n.  4H.  —  Schulfreund.  Tyroler.    Herausgege- 
ben Von   J.  Fischnaler.    2.  Jahrg.    1881.    (IS  Nrn.)    Nr.  1.  8.    Inns- 
bruck, Wagnerische  Universitäts-Buchhndlg.    Vierteljährlich  n.  1  M.  — 
Schulmann,  der  praktische.    Archiv  fĂĽr  Materialien  zum  Unterricht 
m  der  Real-,  Borger-  und  Volksschule.    Herausgegeben  von  A.  Richter. 
30.  Bd.     1.  HefL    8.     Leipzig,   Brandstetter.    pro  cplt.  n.  10  M.  — 
Schulwochenblatt,  wflrttembergisches.    Red.:  Burk.    33.  Jahrgang. 
1881.    Nr.  1.  4.    Stuttgart,  Belser*sche  Verlagsbuchhandlung,    pro  cplt. 
n.  5  M.  90  Pf.  —  Schulzeitung,  neue  deutsche.   Red.:  Winkler.   11. 
Jahrg.    1880.    (52  Nrn.)    Nr.  1.     Fol.     Berlin,   Schwartz'sche  Buchh. 
Vierteljährlich  n.  1  M.  50  Pf.  —  Schulzeitung,  hannoversche.    Her- 
ausgegeben von   H.   Wanner.    17.  Jahrg.     1881.    (52  Nrn.)    Nr.  1.  4. 
Hannover,  Hellwig*sche  Verlagsbuchhandlung.    Vierteljährlich  n.   1   M. 
50 Pf.  —  Schulzeitung,  preussische.   Organ  des  Landesvereins  preus- 
sischer  Volafischullehrer.    Herausg.  von  L.  W.  Seyffarth  und  W.  Lahn. 
19.  Jahrg.    1881.    (104  Nrn.)    Nr.  1.  4.    Oranienburg,  Freyhofif.    Vier- 
teljährlich n.   1  M.  50  Pf.  —  Sc  hui  Zeitung,   sächsische.    Herausg.: 
Berthelt,  Heger,  Lansky,  Petenhann.    Jahrg.  1881.    Nr.  1.  4.    Leipzig, 
Klinkhardt.    Halbjährlich  n.  4  M.  —  Schulzeitung,   schleswig-hol- 
steinische, eine  pädagogische  Wochenschrift.    Red.  von  A.  Stolley.    29. 
Jahrg.    1881.    Nr.  1.  4.   Flensburg,  Westphalen.   Vierteljährlich  n.  1  M. 
50  Pf .  —  Studien,  pädagogische.    Neue  Folge.     Herausgegeben  von 
W.  Rein.    Jahrg.   1881.    (4  Hefte.)    1.  Heft.    8.    Leipzig,   Pfeil,    pro 
cplt.  n.  3  M.  60  Pf.;   einzeln  k  Heft  n.  1  M.  —  Zeitschrift,   katho- 
lische, fQr  Erziehung  und  Unterricht.    Herausgegeben  von  Veiten.    30. 
Jahrg.  1881.   1.  Liefg.    8.    DĂĽsseldorf,  Schwann'sche  Verlagshandlung, 
pro  cplt.  n.  3M.  —  Böhm,  J.,  praktische  Erziehungslehre  för  Semina- 
risten und  Volksschullehrer.    München,  Expedition  des  Rönigl.  Central- 
Schulbücher- Verlags.    8.    haar  2  M.  50  Pf.  —  Ho  ff  mann,  H.,  die  Er- 
ziehung zur  Production,  die  Aufgabe  der  realistischen  Pädagogik.    8. 
Köfai,  Hayer.    n.  4  M.-~  Kellner,  L.,  Erziehungsgeschichte  in  Skizzen 
and  Bildern.    3.  Aufl.    3.  Bd.    8.    Essen ,   Bädeker.    n.  3  M.    [S.   ob. 
S.  124.]  —  Schumann,  J.  Gh.  G.,  Geschieht  der  Pädagogik  im  Um- 
riss.    2.  Aufl.    8.    Hannover,   Meyer,    n.  3  M.  —   Gras  berger,   L., 
Erzidiung  und   Unterricht  im  classischen   Alterthum.     3.  Theil.    Die 
Ephebenbildung  oder  die  musische  und  militärische  Ausbildung  der  grie- 
chisdien  und  rĂźmischen  JĂĽnglinge.    8.    WĂĽrzburg,   StahePsche  Buch- 
handhmg.    n.  12  M.  30  Pf.  —  Walter,   L.,  Bertha  von  Marenholtz- 
Bulow  in  ihrer  Bedeutung  fĂĽr  das  Werk  Friedrich  FrĂĽbers.    Ihr  Leben 
and  ihre  Schriften.    8.    Dresden,  Huhle.    n.  1  M.  50 Pf.  —  Kehr,  G., 
Geschichte  der.  Methodik  des  deutschen  Volksschulunterrichts.    9.  Heft. 
8.  Gotha,  Thienemann.   n.  2  M.   [S.ob.Bd.XVIS.511.J  —  Schalze,G., 
Gnmdriss  der  Volksschul-Pädagogik.    2.  Theil:    System  der  Volksschul- 
Pädagogik.    2.  Aufl.    8.    Rheydt.  Langewiesche.  ~  Zeitschrift  für 
das  Gymnasial  Wesen.    Herausgegeben  von  W.  Hirschfelder  und  H.  Kern. 
35.  Jahrg.    1881.    1.  Heft.    8.    Berlin,   Weidmännische  Buchhandlung, 
pro  cpH.  n.  20  M.  —  Lieven,  H.,   die  Revision   des  Lehrplanes   der 
GymnasieD  des  Dorpater  Lehrbezirks  nach  ihren  allgemeinen  Gesichts- 
punkten erörtert.   8.   Riga,  Kymmel's  Verlag,   n.  1  M.  50  Pf.  —  Rap- 
pold,  J.,  unser  Gymnasium.    Erwägungen  und  Vorschläge  zu  Methode 
und  Lehrplan.    8.    Pichler*s  Wittwe  und   Sohn.    n.  2  M.  40  Pf.  — 
Menge,  Gymnasium  und  Kunst  (Jahrb.  f.  Philol.  u.  Pädagogik.)  10  11 
Ton  H.  Blümner.   —   —   der  Kunstunterricht  am  Gymnasium.   (Desgl.) 
-7  —  Einführung  in  die  antike  Kunst.  (Desgl.)  —  Gentralorgan  für 
die  Interessen  des  Realschulwesens,  herausgegeben  von  M.  Strack.  9.  Jahrg. 
1^1.   (12  Hefte.)    1.  Heft.    8.    Berhn,  Friedberg  k  Mode.    Halbjähri. 
u.  B  M.  —  Zeitschrift  für  das  Realschulwesen.    Herausgegeben  von 


188  Recensionen-Verzeichniss. 

J. Kolbe,  A. Bechtel  und  M. Kuhn.  6. Jahrg.  1881.  I.Heft.  8.  Wien, 
Holder,  pro  cplt.  n.  12  M.  —  Oesterreichs  Realschule.  Zeitschrift 
fĂĽr  den  heimischen  Lehrerstand.  Redigirt  von  J.  Umlauft  1.  Jahrg. 
1881.  Nr.  1.  8.  Wien,  Salhnayer'sche  Buchh.  pro  cplt.  n.  8  M.,  halb- 
jährl.  n.  4  M.  <^  Pf.,  vierteljährl.  n.  2  M.  20  Pf.  —  Mittelschulen, 
die  deutsch-evangelischen,  in  SiebenbĂĽrgen  und  die  denselben  drohende 
Gefahr.  8.  Leipzig,  0.  Wigand.  IM. 50 Pf.  —  Schmidt-Rimpler,  H., 
Universität  und  Specialistenthum.  Rede.  8.  Marburg,  Elwert'sche  Ver- 
lagsbuchh.  75  Pf.  —  Bildungs- Verein,  der,  Zentralblatt  fOr  das 
freie  Fortbildungswesen  in  Deutschland.  Red.:  J.  Lippert.  11.  Jahrg. 
1881.  Nr.  1.  Fol.  Berlin,  Gesellschaft  fĂĽr  Verbreitung  von  Volksbil- 
dung. Vierteljährl  n.  1  M.  —  Zeitschrift  für  weibliche  Bildung  in 
Schule  imd  Haus.  Herausgegeben  von  R.  Schornstein.  9.  Jahrg.  1881. 
1.  Heft.  8.  Leipzig,  Teubner.  Halbjährl.  n.  6  M.  —  Bahnen,  neue. 
Organ  des  allgemeinen  deutschen  Frauen- Vereins.  Herausge.  von  L.  Otto 
u.  A.  Schmidt.  Jahrg.  1881.  24  Nrn.  Nr.  1.  4.  Leipzig,  Schäfer,  pro 
cplt.  n.  3  M.  ^  Zeitschrift  fĂĽr  mathematischen  und  naturwissen- 
schaftlichen Unterricht.  Herausgegeben  von  J.  G.  V.  Hofi^ann.  12.  Jahrg. 
1881.  (6  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Leipzig,  Teubner.  pro  cplt.  n.  10  M.  80  Ff. 


Reeensionen  -  Yerzeiehniss. 

Aristotelis  de  arte  poetica  rec.  Christ.  (Philol.  Anz. 8.  9  v.  F.Susemihl.) 

Bahnsen,  Realdialektik.    (Gegenwart  3  v.  H.  Herrig.) 

Bahnsen,  der  Widerspruch  im  Wissen  und  Wesen  der  Welt.    (Gegra- 

wart  3  V.  H.  Herrig;  Liter.  Merkur  7  v.  H.  Spatzier.) 
Bernays,  zwei  Abhandlungen  ĂĽber  die  aristotelische  Theorie  des  Drama. 

(Dtsche.  Literaturztg.  4.) 
Bernheim,   Geschichtsforschung  und  Geschichtsphilosophie.    (Grött.  gel. 

Anz.  51  V.  A.  Stern;  Im  neuen  Reich  52;  Dtsche.  Literaturztg.  3  v. 

H.  Spitta.) 
Beyersdorf,  die  Raumrorstellungen.    (Dtsche.  Literaturztg.  1881  Nr.  1 

V.  C.  Stumpf.) 
Biedermann,  Philosophie  der Begriffswissenschs^.   3.Thl.:  Die  Lebens- 
weisheit.   (L.  G.  51.) 
Binde:  Das  Soll  und  Haben  der  Menschheit.    (L.  G.  1881,  1.) 
B  o e t  ii  commentarii  in  Aristotelis  nsgi  kqu^vBiag  reoensuit  Meiser.  (Dtsche. 

Literaturztg.  1880,  11  v.  H.  Usener;  L.  G.  1881,  2.) 
Brown,  Science  for  all.    (Academy  449.) 
Bruni,  Jordani,  opera  latine  conscripta  rec.  Fiorentino«    (Gott.  gel.  Anz. 

1881,  Nr.  1.  2  V.  G.  Sigwart.) 
Budinszki,  die  Universität  Paris.    (Histor.  Ztschr.  N.  F.  9,  2.) 
Giceronis  Gato  maior  von  Lahqaeyer.    4.  Aufl.    (Ztschr.  f.  Gymnasial- 
wesen 12  V.  Tb.  Schiebe.) 
Ă–icero  Gato  maior  von  Sommerbrodt.    8.  AufL    (Ztschr.  f.  Gymnasial- 

wesen  8,  12  v.  Th.  Schiebe.) 
Giceronis  Gato  maior   von  TĂĽcking.    (Ztschr:  f.  Gymnasialwesen  12  v. 

Th.  Schiebe.) 
Giceronis  Laelius  von  TĂĽcking.    (Ztschr.  f.  Gymnasial wesen  12  v.  Th. 

Schiebe.) 
Cicero  de  officiis  ed.  Heine.    5.  Aufl.    (Ztschr.  f.  Gymnasialwesen  12  v. 

V.  Th.  Schiebe.) 
Giceronis  scripta  philosophica  recogn.   G.  F.  W.  MĂĽller,     (Ztschr.  fĂĽr 

Gymnasialwesen  12  v.  Th.  Schiebe.) 
Giceronis  somnium  Scipionis,  erkl.  von  Meissner.    3.  Aufl.    (Ztschr.  f, 

Gymnasialwesen  12  v.  Th.  Schiebe.) 


Recensionen  •  Verzeichniss.  189 

Giceronis  Tusculanarum  disputationum  v.  Tischer-Sorof.   7.  Aufl.  (Ztsch. 

f.  Gymnasialwesen  12  v.  Th.  Schlehe.) 
Co  rasen  de  Posidonio  Rhodio.    (Ztschr.   f.  Gymnasialwesen  12  v.  Th. 

Schlehe.) 
Cotterill,  Peregrinus  Proteus.    (Dtsche.  Litteraturztg.  13  â–Ľ.  E.  Z.) 
Dessauer,  Blüten  und  Knospen  der  Humanität.    (Voss.  Ztg.  351.) 
D  i  e  r  ck  s ,  Entwickelungsgeschichte  des  Geistes  der  Menschheit.   (Voss.  Ztg., 

SonntagsbeĂĽ.  61.) 
Dreher,  Ton  nnd  Wort.    (Neue  Berl.  Musikztg.  2.) 
du  Prel,  die  Planetenbewohner  u.  die  Nebularhypothese.    (Dtsche.  Lite- 

raturztg.  11.) 
Falckenberg,  GrundzĂĽge  der  Philosophie  des  Nicolaus  Gusanus.   (Dtsche. 

Literaturztg.  4  v.  R.  Eucken.) 
Falke,  Creschichte  des  modernen  Geschmacks.   (Gegenwart  1  v.  F.  Luthner.) 
Fischer,  Geschichte  der  neueren  Philosophie.    1.  Bid.    1.  und  2.  Abth. 

3.  Aufl.    (Dtsche  Literaturztg.  1881,  Nr.  2  v.  Z[eller].) 
Frantz,  Schelling's  positive  Philosophie.    (Gegenwart  3  v.  H.  Herrig.) 
Gierke,  Johannes  Althusius  und  die  Entwickelung  der  naturrechtlichen 

Staatstheorien.    (L.  G.  4.)  ^ 

Göbel,  R.,   über  den  platonischen  Parmenides.    (Philol.  Anz.  8.  9  von 

E.  J.  Uebhold.) 
Griffith,  the  ABC  of  philosophy.    (Academy  449.) 
Gude,  die  Gesetze  der  Physiologie  und  Psychologie  ĂĽber  Entstehung  der 

Bewegungen  etc.    (L.  G.  4.) 
GĂĽdemann,  Geschichte  des  Erziehimgswesens  und  derCultur  der  Juden. 

(L.  C.  51.) 
Gustafs on,  de  Giceronis  primo  de  finibus  bonorum  et  malorum  libro. 

(Ztschr.  f.  Gymnasialwesen  12  v.  Th.  Schiebe.) 
Hartfelder,  die  QueUen  von  Gicero's  BĂĽchern  de  divinatione.    (Ztschr. 

f.  Gymnasialwesen  12  v.  Th.  Schiebe.) 
V.  Hartmann,  zur  Geschichte  und  BegrĂĽndung  des  Pessimismus.  (Dtsche. 

Literaturztg.  4  v.  F.  Paulsen.) 
V.  Hartmann,  die  Krisis  des  Ghristenthums  in  der  modernen  Theologie. 

(Liter.  Merkur  6  v.  H.  Spatzier.) 
Haym,  Herder.    (Prot.  Kirchenztg.  51  v.  O.  Pfieiderer. 
Heine,  de  ratione  quae  Piatoni  cum  poetis  Graecorum  intercedit.  (L.  G. 

1881,  1.) 
T.  Hellwald,  der  vorgeschichtliche  Mensch.    (L.  G.  4.) 
T.  Hellwald,   Naturgeschichte   des  Menschen.    (Literar.  Merkur  7  von 

Ph.  Stein.) 
Hirzel,  Untersuchungen  zu  Gicero^s  philosophischen  Schriften.    (Ztschr. 

f.  Gymnasialwesen  12  v.  Th.  Schiebe.) 
Hoffmann,  L.,  Tbier-Psycbologie.    (L.  G.  1881,  1.) 
Hoppe,  die  persönliche  Denkthätigkeit.    (Ztschr.  f.  kathol.  Theo!.  5,  1 

V  l^i^ser  i 
Kirchner,  Ethik.    (Voss.  Ztg.  351.) 
Kreyher.  die  mystischen  Erscheinungen  des  .Seelenlebens.  (Theol.  Lite- 

raturbL  1880,  51.) 
Laas,  Idealismus  und  Positivismus.    (Dtsche.  Literatu]:ztg.  3  v.  A.  Riehl.) 
T.  Leclair,  der  Realismus  der  modernen  Naturwissenschaft.    (Ztschr.  f. 

österr.  Gymnasien  31,  11  v.  Meinong.) 
Lehmann,  ĂĽber  Kant's  Principien  der  Ethik  und  Schopenhauer 's  Be- 

urtheilung  derselben.    (Voss.  Ztg.  351;  Dtsche.  Literaturztg.  1861,  1.) 
Liard,  die  neuere  englische  Logik.  (Dtsche.  Literaturztg.  5  v.  Ebbinghaus.) 
Lippert,  der  Seelencult.    (Dtsche.  Literaturztg.  1881,  Nr.  1.) 
Luthardt,   die  modernen  Weltanschauungen  und  ihre  praktischen  Gon- 

Sequenzen.    (Friedensbote  10.) 


190  Litteraturbericht. 

Mayr,  Beiträge  zur  Beurtheilung  6.  E.  Lessing^s.  (Dtsche.  Literaturztg. 
13  V.  Erich  Schmidt.) 

M.  Mendelssohn's  philosophische  Schriften  zur  Philosophie,  Aesthetik 
und  Apologetik  von  M.  Brasch.    (Voss.  Ztg.,  Sonntagsbeil.  4.) 

Mettauer,  de  Piatonis  scholiorum  fontibus.  (Dtsche.  Literaturztg.  1881, 
2  V.  U.  V.  Wilamowitz-Möllendorf.) 

V.  Meyer,  unsere  Sprachwerkzeuge  und  ihre  Verwendung.  (Dtsche.  Lite- 
raturztg. 12.) 

Monek,  an  introduction  of  logic.    (Academy  449.) 

^  M.  MĂĽller,  Ursprung  der  Religion.    (Gegenwart  3  y.  H.  Herrig.) 

MĂĽnz,  die  Erkenntniss-  und  Sensationstheorie  des  Protagoras.    (Dtsche. 

Literaturztg.  12  v.  E.  Heitz.) 
MĂĽnz,  die  Keime  der  Erkenntnisstheorie  in  der  voirsophistischen  Periode 

der  griechischen  Philosophie.    (Dtsche.  Literaturztg.  12  v.  E.  Heitz.) 
V.  Oettingen,  Goethe's  Faust.    2.  Tbl.    (L.  G.  51.) 

Ost  hoff,  das  physiologische  und  psychologische  Moment  in  der  sprach- 
lichen Formbildung.    (Ztschr.  f.  Gymnasialwesen  12  v.  F.  Seiler.) 

Pascal,  the  provincial  letters  ed.  by  John  de  Soyres.    (Academy  452  v. 

Mark  Pattison.) 
Pesch,  institutiones  philosophiae  naturalis.    (Ztschr.  f.  kathol.  Theol.  5, 

1  V.  Egger.) 
P  r  e  y  e  r ,  naturwissenschaftliche  Thatsachen  und  Probleme.  (Voss.  Ztg.  27.) 

Rabus,  die  neuesten  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  Logik.  (L.G. 3; 

Dtsche.  Literaturztg.  5  v.  Ebbinghaus.) 
Radenhausen,  Ghristenthum  und  Heidenthum.    (Voss.  Ztg.  350.) 
Reich,  das  Leben  4es  Menschen  als  Individuum.    (Voss.*  Ztg.  357.) 
Rethwisch,  der  Begriff  der  Definition.    (Liter.  Merkur  7  y.  H. Spatzier.) 
Ritter,   nouvelles  recherches  sur  les  Gonfessions  et  la  correspondance 

de  J.  J.  Rousseau.    (Revue  crit.  3.) 
Ryland,  a  student's  handbook  of  psychology  and  ethics.  (Academy  449.) 
Schmitz,  Matrikeln  der  Universität  Köln.    (Histor.  Zeitschr.  N.  F.  9,  2.) 
SchĂĽtz,  der  sogenannte  Verstand  der  Thiere.    (L.  G.  1881,  1.) 
Senecae  dialogi  ed.  Vahlen.    (Revue  critique  52  v.  E.  Ghatelain.) 
S  e  n  e  c  a  e  epistulas  ed.  Buecheler.  (Dtsche.  Litteraturztg.  12  v.  H.  J.  MĂĽller.) 
V.  Stein,  L.,  die  Frau  auf  dem  socialen  €rebiete.    (L.  G.  4.) 
Steinthal,  gesammelte  kleine  Schriften.    I.    (GOtt.  gel.  Anz.  3  von  A. 

Bezzenberger.) 
Stern,  die  Philosophie  und  die  Anthropogenie  des  Prof.  Dr.  Ernst  Hae- 

ekel.    (L.  G.  1881,  1.) 
Strauss'  gesammelte  Schriften.    (Histor.  Ztschr.  45,2  v.  H.  Holtzmann.) 
Stricker,  Studien  ĂĽber  die  Sprachvorstellungen.    (L.  G.  1881,  1.) 
Stugau,  philosophische  Briefe  an  eine  Frau.  (Im  neuen  Reich  1881,  3.) 
Taine,  der  Verstand.    (Dtsche.  Litteraturztg.  12  v.  0.  Liebmann;    Im 

neuen  Reich  3.) 
Thilo,  kurze  pragmatische  Geschichte  der  Philosophie.  2.  Aufl.  (Dtsche. 

Litteraturztg.  11  v.  Freudenthal.) 
Scientific  transcendentalism  by  D.  M.    (Academy  449.) 
Tschofen,  die  Philosophie  A.  Schopenhauer *s.    (L.  G.  3.) 
Vahlen^   adnotationes  ad  libellum  de  sublimitate.    (Dtsche.  Litteratur- 
ztg. 11  V.  V.  Wilamowitz-Möllendorf.) 
V  o  1  k  e  1 1 ,  Immanuel  Kant's  Erkenntnisstheorie.    (Dtsche.  Litteraturztg.  1 1 

V.  Vaihinger.) 
Windelband,  Geschichte  der  neueren  Philosophie.    Bd. 2.  (Gegenwart 3 

V.  H.  Herrig;  Im  neuen  Reich  5  v.  H.  V[aihinger?].) 
Witte,  die  Philosophie  unserer  Dichterheroen.    (Dtsche.  Litteraturztg.  13 

V.  E.  Laas.) 


Miscellen.  191 

Z  e  1 1  e  r,  Vortrage  und  Abhandlungen.  (Histor.  Ztschr.  45»  2  v.  H.  Holtzmann.) 

Zoechbauer,  zu  Gicero's  Böchern  de  divinatione.    (Ztschr.  f.  Gymna- 
sialwesen 12  y.  Th.  Schiebe.) 


Aus  Zeitsehrlfteii. 

â– onatsbericht  der  K.  Preussischen  Academie  delr  Wissenschaften,  1880, 
Sept-Oct.    Gerhardt  Zwei  neu  aufgefundene  Leibnizische  Manuscripte. 

ftofue  pMlotophique  de  Ja  France  et  de  T^tranger.  Dir.  par  Th.  Ribot. 
Paris,  G.  Bailliöre  et  Go.^  1881.  No.  1.  '  A.  Fouill^e,  Le  n^o-kantisme 
en France.  I.  La  morale  criticiste.  —  E.  Naville,  Les  cons6quences  phi- 
lofiophiques  de  la  physique  moderne.  —  Herbert  Spencer,  III.  De  Tin- 
tjgration  politique.  —  Notes  et  documents:  Descartes  et  la  Convention 
nationale.  ->  Analyses  et  comptes  rendus:  Fowler,  Bacon^s  Novum  Or- 
ganum with  Introduction  etc.  —  Wundt,  Crehim  und  Seele.  —  Revue 
des  p^riodiques  ^trangers :  Mind.  —  The  Journal  of .  speculative  Philosophy. 

—  The  Platonist.  —  No.  2.  A.  Espinas,  La  philosophie  en  £cosse 
depuis  le  conunencement  du  XIII*  sidcle:  Premiere  Periode.  —  Herbert 
Spencer,  De  la  diff<6renciation  politique.  —  H.  Lachelier,  L'enseigne- 
ment  de  la  philosophie  dans  les  universitös  allemandes.  —  Analyses  et 
comptes  rendus:  Colsenet,  La  vie  inconsciente  de  Tesprit.  —  Pompeyo 
6 euer,  La  mort  et  le  diable:  histoire  et  philosophie  de  deux  n^atiens 
suprömes.  —  E.  Krause  et  Gh.  Darwin,  Erasmus  Darwin. —  A. Mar ty. 
Die  Frage  nach  der  geschichtlichen  Entwickelung  des  Farbensinnes.  — 
Sergi,  Sulla  natura  dei  fenomeni  psichici:  studio  di  psicologia  generale. 
--  Mauger i,  n  positivismo  e  il  rationalismo.  —  Revue  des  p^riodiques 
Etrangers:  La  Filosofia  delle  scuole  italiane. 

La  filosofia  delle  scuole  Italiane,  rivista  bimestrale.  Roma.  Vol. 
nn.  2a.  F.  Tocco,  Filosofia  diKant.  —  Ter.  Mamiani,  Sulla  Psicologia 
e  la  Critica  della  Gonoscenza.  Quarta  ed  ultima  lettera  al  prof.  Seb.  Tur- 
biglio.  —  A.  Ghiappelli,  Del  vero  senso  deir  airkc  (causa)  nel  Filebo 
platonico.  —  Bibliografia:   1)  F.  Balsano  e  V.  Julia.  —  2)  A.  Valdarnini. 

—  3)  J.  i,  Hoppe.  —  4)  Vinc.  di  Giovanni.  —  5)  A.  Pozzi.  —  Periodici 
di  FUosofia.  —  Vol.  XXII.  3a.  Francesco  Bertinaria,  II  problema  cri- 
tieo  esaminato  dalla  Filosofia  trascendente.  —  P.  D'Ercole,  Le  idee  cos- 
mologiche  positive  di  R.  Ardigo.  —  LuigiFerri,  II  Positivismo  e  la 
Metafisiea.  —  Bibliografia:  1)  Bonafede.  —  2)  Naville.  —  3)  Flammarion. 
4)  Paoli.  —  Notizie.  —  Recenti  pubblicazioni. 


Miscelleih 

Francesco  Buonamici  in  einem  kaum  mehr  dem  Namen  nach  be- 
kannten Werke  Ăśber  die  Poetik  des  Aristoteles  unter  dem  Titel: 

„Discorsi  poetici  nella  accademia  Fiorentina.  In  difesa 
d'Aristotile.  DelP  Eccellentiss.  Filosofo  Messer  Francesco 
Buonamici.    Fiorenza.    MDXGVIL' 

tbeilt  im  zweiten  Ragionamento ,   worin  delle  parti  essentiali  della  poesia 
gehandelt  wird,  das  folgende  vergessene  Gedicht  von  Petrarca  mit: 


192  Miscellen. 

S.  28.        Fondo  le  mie  speranz*  in  fragil*  vetro, 
E*  miei  vani  t>ensier*  dipingo  in  aria: 
Penso  pur*  gir*  avanti,  e  torno  a  dietro 
Forlun*  al  mio  vo]er*  sempre  k  contraria. 
Face  domando,  e  crudel  guerra  impetro: 
Ne  puoss*  altro  sperar*  in  donna  varia. 
Perehö  Tö  piü  leggier*  ch*al  vento  foglia, 
E  miUe  volte  il  giorno  cangia  voglia. 

Buonamici  selbst  bemerkt,  dass  es  im  Ganzoniere  fehle,  und  gibt  an,  dass 
er  es  bei  einem  gelehrten  Freunde  Lorenzo  Romuleo,  nach  andern  Dingen 
suchend,  entdeckte,  und  zwar  in  Musik  gesetzt.  Hier  sind  seine  eigenen 
Worte: 

S.  27.  Et  io  scorrendo,  per  altri  miei  affari,  i  canzonieri  an- 
tichi  a*  quattro,  scritti  da  Guittone  &  da  altri  di  que  primi 
tempi,  nello  studio  di  Lorenzo  Romuleo,  huopao  intendente  delle 
lettere  pulite,  ne  ritrovai  uno  in  musica  del  Petrarca,  il  quale 
non  6  saltato  nel  canzoniere,  6  perch^  di  giä  pubblicato, 
ö  pure  rifiutato  tla  lui,  per  la  sorte  della  rima,  o  per  bassezza 
del  concetto,  non  so. 

Schliesslich  meint  Buonamici  (S.  28),  Petrarca  habe  dieses  Gedicht 
vielmehr  des  erniedrigenden  Gedankens  wegen  (per  humiltä  di  sentenza), 
den  es  zum  Ausdruck  bringt,  als  aus  einem  andern  Grunde  verworfen 
und  ausgeschieden:  ein  Schicksal,  das  wie  Buonamici  bemerkt,  auch  dem 
andern,  uns  durch  eine  glQckliche  FĂĽgung  erhaltenen  ,  Amor  quando  fioria* 
(vgl.  Rime  di  Petr.,  Mailänder  Ausg.  v.  1834,  Vol.  II.,  S.  72)  von  Seite  des 
strenge  Selbstkritik  ĂĽbenden  Dichters  zugedacht  war.  Buonamici  glaubt 
dies  erschliessen  zu  dĂĽrfen  aus  gevrissen  Aufzeichnungen  Petrarca*s  selbst 
(ove  egli  notava  diversi  giudicij),  welche  sich  in  Händen  Lodov.  Beca- 
delli*s,  Erzbischofs  von  Raugia,  befanden,  wo  das  Lied  ,Amor  quando 
fioria*  vom  Dichter  selbst  als  ein  „plebejisches  Lied*  bezeichnet  war. 

Sollte  dieser  litterarische  Fund  in  einem  philosophischen  Werke  nicht 
fĂĽr  die  Leser  der  philosophischen  Monatshefte  von  einigem  Interesse  sein? 

Innsbruck.  "  G.  S.  Bar  ach. 


Spinoza  -  Ausgabe. 

Das  Haupt-Gomit^  fĂĽr  die  Errichtung  eines  Denkmals  fĂĽr  Spinoza 
hat  bei  seiner  Auflösung  den  Beschluss  gefasst,  die  noch  übrigen  Gelder 
zur  Unterstützung  einer  neuen  stattlichen  Ausgabe  der  sämmtlichen  Werke 
Spinoza's  zu  verwenden,  und  hat  die  Herren  Dr.  J.  van  Vloten  und 
Prof.  Dr.  J.  P.  N.  Land  beauftragt,  diese  Ausgabe  vorzubereiten. 

Im  Interesse  der  Unternehmung  wird  jetzt  eine  freundliche  Bitte  ge- 
richtet an  alle  Herren  Bibliothekare  und  Besitzer  von  Autographen  um 
Mittheilung  etwaiger  Hss.  und  Autographen  Spinoza*s,  damit  die  Ausgabe 
so  vollständig  wie  möglich  erscheine. 

Gef.  Mittheilungen  aller  Art  bittet  man  zu  richten  an  die  Verlags- 
buchhandlung von  Martinus  Nijhoff  im  Haag. 


Buchdruckerei  von  P.  Nensser  in  Bonn. 


lessing  ind  Ktnt 


Ein  kleines  Gedenlcblatt 


«vreig  in^i  {ihf  jovxo  yät^og  natu  yaXa  xaXv%ff8, 
Toi  für  &al/ioyig  €iai  Jiog  fieyaXov  &m  ßiwXaf 
ia&Xo{f  imx^'^wioiy  <pvXax9s  &tftiraty  dy&QtSniay, 

Hesiod.  Op.  et  D.  t.  121—3. 

Schwand  auch  schon  längst  die  goldene  iZeit  dahin. 

So  walten  ae  dorch  Gottes  Rath  hlenieden 

Zum  Schutz  der  Menschheit  noch  als  edle  Greister. 

Grade  sind  es  hundert  Jahre,  seit  Lessing  starb,  und  zu 
gleicher  Zeit  Kant  sein  grösstes  Werk,  die  Kritik  der   reinen 

Vernunft  vollendete*).    Da  erscheint  es  angemessen,  hier  mit 

â–  

einigen  Worten,  zwar  ohne  Ostentation  und  eitle  Lobrednerei, 
aber  doch  in  gerechter  Dankbarkeit  und  Verehrung  an  die 
Verdienste  beider  grossen  Männer  zu  erinnern,  mögen  auch 
diese  Verdienste  noch  so  oft  schon  und  viel  besser  hervor- 
gehoben worden  sein. 

Wohl  lassen  Lessing  und  Kant  sich  untereinander 
vergleichen,  denn  wenn  auch  ihre  Wege  sich  vielfach  trenn- 
ten, so  waren  sie  doch  ĂĽber  die  letzten  Ziele  menschlichen 
Strebens  miteinander  einig,  und  so  Eigenartiges  Jeder  von 
ihnen  leistete,  so  lässt  sich  doch  nicht  verkennen,  dass  die 
aus  der  Tiefe  des  Zeitbewusstseins  stammende  Anschauung, 
welche  allen  ihren  Geistesthaten  den  Stempel  aufgedrĂĽckt  hat, 
wesentlich  dieselbe  ist.  Beide  nämlich  beseelt  dieselbe  Idee 
der  energischen  Selbstständigkeit  der  Vernunft,  die  sich  selbst 


1)  Lessing  starb  am  15.  Februar  1781,  und  Kants  Dedication  an  den 
Ifinister  y.  Zedlitx  ist  am  29.  März  desselben  Jahres  datirt. 

PhUcNoph.  KoiMtahcft«.  1881.    IV  o.  ▼.  13 


M  Scbaarechinidt:  LessinB  und  Eont. 

lud  an  ihr  altes  Andere  misst.  Diese  Vernunft  scheint  ihnen 
lazu  bestimmt,  ihr  inneres  Wesen  in  beharrlichem  Streben 
iber  das  unmittelbar  Gegebene  hinweg  freithätig  zu  einer 
Veit  geistiger  Schönheit  und  Herrlichkeit  auszuprägen,  hi- 
lem  sie  beide,  jeder  auf  seine  Art  diese  Grundanschaunng 
oit  ebenso  viel  Tiefsinn  als  logischer  Schärfe  in  unvergfing- 
ichen  literarischen  Schöpfungen  geltend  zu  machen  rerstan- 
len,  sind  sie  dadurch  ihrem  Zeitalter  reformatorisch  voran- 
leschritten  und  werden  allen  nachfolgenden  Geschleditem  ein 
lachahmungswerthes  Vorbild  bleiben. 

Lessii^,  den  Jahren  nach  der  jĂĽi^re,  seinen  Werken 
lach  der  frĂĽhere  von  Beiden,  hatte  unsere  deutsche  National- 
iteratur  in  zwax  unverächtlichen,  aber  doch  unfertigen  und 
inseitigen  Bestrebungen  befangen  vorgefunden.  Aus  diesen 
rhob  er  sie  durch  eine  glĂĽckliche  Vereinigung  des  idealen 
ind  des  realistischen  Elementes,  der  Kunst'  mit  der  Natur, 
ind  gelai^e  nach  manchen  Ansätzen  und  Versuchen  lu 
enem  l^ttelmass  des  poetischen  Mustertypus,  nach  welchem 
päter  noch  die  grossen  Dioscuren  von  Weimar  weiter  bauen 
oUten.  Als  Kunstkritiker  erschloss  er  das  Wesen  der  verschie- 
lenen  Dichtungsarten  und  das  Vcrhältniss  der  Poesie  überhaupt 
ur  Plastik  und  Malerei,  indem  er  deren  Grenzen  und  inneres 
â– ebensprinzip  bestimmte,  blieb  aber  nicht  bei  der  blossen  Theorie 
tehen,  sondern  trat  zugleich  selbst  mit  dichterischen  Schöpfun- 
en  hervor.  Insbesondere  verdanken  wir  seinen  Dramen  die 
rrĂĽndui^  einer  deutschen  SchaubĂĽhne,  welcher  er  zur  Bestim- 
mung gab,  das  nationale  Moment  mit  dem  allgemein  mensch* 
eben  auszugleichen.  Dann  aber  griff  er  nicht  minder  bahn- 
rechend, wie  er  auf  dem  Felde  des  aesthetischen  Geschmacks 
nd  der  Dichtkunst  gewaltet  hatte,  in  jenen  anderen  grösse- 
en  Kampf  ein,  der  auf  theologischem  und  philosophischem 
lebiete  zwischen  der  Orthodoxie  und  der  Aufklärung  schon 
inger  entbrannt  war.  Hier  entfaltete  er  erst  seine  ganze 
[raft.  Nicht  die  Lust  am  Streit  als  solchen  leitete  ihn  bei 
er  Theilnahme  an  diesem  Kampf,  sondern  die  brennende 
liebe  zur  Wahrheit,  jener  unwiderstehliche  Drang  eines  stets 
ach  Klarheit  und  Wahrheit  ringenden  Geistes,  welcher,  um 
en  Dingen  auf  den  Grund  zu  kommen.  Alles  daransetzt  und 


Sehaanchmidt:  Lessing  und  Kant.  195 

den  grossen  Problemen  des  Daseins  nachzutrachten  nie  mĂĽde 
wird,  wenn  er  ihnen  auch  nicht  eine  letzte  Lösung  abzuge- 
winnen vermag.  In  diesem  Streite  hat  er  den  aus  dem  Bann 
verworrener  Traditionen  und  verknöcherter  Dogmen  erlös- 
ten reinen  Geist  des  Christenthums,  das  praktische  Gebot 
der  uneigennĂĽtzigen  Liebe  zu  Gott  und  den  Mitmenschen, 
gegen  Verächter'  wie  falsche  Freunde  siegreich  behauptet,  da- 
bei aber  zugleich  des  schon  halb  vergessenen  und  ganz  miss- 
verstandenen Spinoza  Weltanschauung  wieder  zu  Ehren  ge- 
bracht, ja  mit  HĂĽlfe  des  leibnizischen  Individualismus  zu 
einer  speculativea  Theologie  und  Philosophie  der  Geschichte 
den  fruchtbaren  Anstoss  gegeben.  War  es  ihm  auch  mit 
seinen  theologischen  und  philosophischen  Arbeiten  eben  nur 
vergönnt,  in  meisterhafter  Polemik  und  sinnvollen  Apercus 
Keime  auszustreuen,  so  schloss  er  in  diese  doch  einen  solchen 
Inhalt  ein,  dass  wir  noch  immer  zu  ihm,  als  zu  einer  leben- 
digen Quelle  wissenschaftlicher  Gesinnung,  Besonnenheit  und 
GrĂĽndlichkeit  zurĂĽckkehren,  daran  wir  uns  nicht  nur  zu  er- 
frischen, sondern  auch  zu  kräftigen  und  zu  erheben  im 
Stande  sind. 

Kants  Reformen,  wenn  sie  auch,  wie  gesagt,  im  Grunde 
dasselbe  Ziel  verfolgten  oder  doch  von  demselben  Prinzip  aus- 
gingen, setzten  doch  an  einem  ganz  andern  Punkte  ein.  War 
für  Lessings  thatkräftige  Beweglichkeit  die  Poesie  der  Alten 
und  Neuem,  insbesondere  das  Drama,  der  erste  Tummelplatz 
einer  auf  das  poetisch  Schöne  gerichteten  Sehnsucht  ge- 
wesen, so  lenkte  Kant  seine  Studien  zunächst  auf  die  ernsteste 
aber  zugleich  universellste  Naturwissenschaft,  die  mathema- 
tische Kosmologie  und  Physik.  Und  wenn  Lessings  Phan- 
tasie sich  in  der  Bildung  poetischer  Gestalten  und  dramatischer 
Kunstwerke  gefiel,  so  erhob  sich  Kant  zu  jener  erhabenen, 
nie  genug  zu  bewundernden  Conception  einer  allgemeinen 
Naturgeschichte  des  Himmels,  mit  welcher  er,  den  Spuren 
Newtons  und  Wrights  folgend,  die  nach  Laplace  benannte  Theo- 
rie vom  Bau  des  Weltgebäudes  gründete:  Allein  sein  eigentliches 
Werk  war  und  blieb  doch  immer  die  systematische  Apalyse 
des  Bewusstseins  ĂĽberhaupt,  nicht  der  Ausbau  einzehier 
Theile  der  Wissenschaft.     Nachdem   ihn  Hume's  kritisches 


196  Schaarschmidt:  Leasing  and  Kant. 

Unternehmen  zu  noch  weiteren  Schritten  angefeuert,  verliess 
er  die  Bahn  der  dogmatischen  Metaphysik,  um  jene  um- 
fassende, tiefgreifende  Untersuchung  aller  Verrichtungen  und 
Vermögen  der  Vernunft  anzustellen,  deren  Resultate  er  in 
den  drei  grossen  „Kritiken"  niedergelegt  hat.  Jedermann 
weiss,  dass  diese  drei  Werke,  insbesondere  die  Kritik  der 
reinen  Vernunft,  der  Speculation  und  dadurch  der  allgemei- 
nen wissenschaftlichen  Weltanschauung  eine  neue  Aera  er- 
öfTnet  haben.  Zur  Quelle  alles  Wissens  zurückkehrend,  deckte 
Kant  die  Bedingungen  der  Möglichkeit  des  Erkennens  über- 
haupt durch  die  Aufstellung  eines  Systems  reiner  Formen 
auf,  dessen  nähere  Begründung  und  Ausbildung  als  Erkennt- 
nisstheorie seitdem  eine  der  wesentlichsten  Aufgaben  der 
Philosophie  geblieben  ist.  Durch  die  möglichst  scharfe  Be- 
stinunung  der  Schranken  menschlichen  Wissens  hoffte  Kant 
den  Verirrungen  bisheriger  Speculation,  dem  Skepticismus 
und  Dogmatismus,  sowohl  idealistischen  (positivistischen)  als 
materialistischen  Bekenntnisses,  den  Boden  entzogen  zu  haben; 
aber  die  menschlichen  IrrthĂĽmer  wachsen  freilich,  wie  das 
Unkraut  auf  dem  Felde,  immer  aufs  Neue  nach.  Nicht  min- 
der wichtig  war,  dass  Kant  zu  dem  von  den  Vertretern  der 
Wissenschaft  so  oft  vergessenen  Satz  zurĂĽckkehrte,  des  Menschen 
eigentlicher  Zweck  (ganz  ebenso  denkt  Lessing)  sei  nicht  im  Er- 
kennen, sondern  im  Handeln  zu  suchen.  Hier  nun  auf  dem  prak- 
tischen Felde  zerstörte  er  den  Irrthum  der  Vernünftler,  —  „die, 
wenn  sie  den  Determinismus  mit  ihren  SchlĂĽssen  begrĂĽnden  zu 
können  sich  einbilden,  die  menschliche  Natur  besser  verstehen 
woDen,  als  sie  sich  selbst  versteht"  — ,  durch  den  Begriff  der 
transscendentalen  Freiheit  als  unbedingter  Causalität  des  Thuns, 
und  führte  der  in  immer  neuen  Wandlungen  sich  aufdrängenden 
Lustlehre  gegenĂĽber  die  Idee  der  Pflicht,  das  Prinzip  des 
unselbstischen,  aber  autonomen  Handebis,  in  die  Ethik  wieder 
ein.  Was  war  dies  anders,  als  die  Vorschrift  des  natĂĽrlichen, 
unverfälschten  reinen  Gewissens  selbst  an  die  Spitze  der 
Moral  stellen  ?  Endlich  leitete  er  den  religiösen  Glauben,  dessen 
Gegenstand  zwar  niemals  logisch  erwiesen  und  eben  darum 
auch  niemals  eigentlich  erkannt  werden  kann,  jedoch  als  gemein- 
samer Grimd  der  Natur-  und  der  moralischen  Welt-Ordnung 


Schaarschmidt :  Lessing  and  Kant.  197 

stets  die  Voraussetzung  unseres  Denkens  bleiben  muss,  —  er 
leitete  diesen  Glauben  als  das  oberste  Streben  der  Vernunft 
aus  jenem  so  klar  erkannten  und  so  scharf  bestimmten  sitt- 
lichen Wesen  des  Menschen  her,  um  dadurch  der  Religion 
eine  Festigkeit  zu  geben,  welche  die  blosse  Theorie  ihr  niemals 
geben  kann.  So  darf  man  also  sagen,  dass  durch  Kant  die 
sittliche  Enei^e  der  Vernunft  als  Freiheit  zur  Gesetzgeberin 
der  Wissenschaft  wie  des  Lebens  erklärt  worden  ist. 

Eriticismus  nannte  Ean^  seine  Philosophie  und  Lessings 
Arbeiten  —  denkt  man  nun  ah  die  Dramaturgie,  an  den 
Laokoon  oder  die  zahlreichen  Streitschriften  —  haben  gleich- 
falls diesen  kritischen  Charakter.  Die  Wirksamkeit  beider 
Männer  ist  ein  hibewegungsetzen  und  Anspannen  der  inner- 
sten Triebfedern  des  deutschen  Geistes  gewesen,  und  wer 
spĂĽrte  nicht  noch  heutzutage  diese  von  ihnen  ausgegangene 
und  noch  immer  ausgehende  Anregung  wie  einen  lebendigen 
Odem?  Aber  nicht  auf  Negation  und  Zersetzung  war  jene 
ihre  Kritik  aus.  Wie  ihnen  Beiden  als  schĂĽtzender  Genius 
die  in  frommer  häuslicher  Erziehung  empfangene  Gottesfurcht, 
welche  aller  Weisheit  Anfang  ist,  bei  allen  frrgängen  mensch- 
lichen Strebens  zur  Seite  stand,  so  bewahrten  sie  mitten  in 
der  Zeit  der  Aufklärung  ihr  Humanitätsideal  vor  der  Ver- 
flachung in  das  rein  Weltliche,  wiesen  vielmehr  mit  ihm  auf 
das  Ewige  als  den  Grund  und  auf  das  Vollkommene  als  das 
Ziel  unserer  Seele  hin.  Die  Begeisterung  für  das  Höchste  war 
die  heilige  Fackel,  welche  sie  aus  der  Hand  ihrer  Vorgänger, 
eines  Elopstock,  eines  Leibniz  empfingen,  und  sie  machten 
sie  noch  heller  erglĂĽhen.  Von  diesem  Enthusiasmus,  diesem 
unablässigen  Eifer  für  die  idealen  Gäter  wurden  sie  aus  der 
Sphaere  des  Scheins  in  jene  W^elt  echter  Wirklichkeit  und 
Schönheit  geführt,  die  Plato  und  Dante  geschaut  hatten  und 
in  der  Spinoza  verweilt  war.  Aber  sie  sind  zugleich  auch  zu 
Lehrern,  mehr  noch  zu  Vorbildern  fĂĽr  die  Folgezeit  geworden, 
und  es  hat  sich  an  ihr  Erscheinen  eine  gewaltige  Bewegung, 
man  kann  wohl  sagen,  Umwälzung  geknüpft,  in  der  neue  Wis- 
senschaften und  besonders  neue  Methoden,  neue  Lebensideale 
und  Weltanschauungen  auftauchten,  vor  Allem  eine  FĂĽlle  un- 
geahnter Kräfte  entbunden  ward.  Dieser  speculativen  und  poe^ 


19S  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

tisch  literarischen  Hochfluth  ist  dann  freilich  wieder,  wie  nun  ein- 
mal die  menschlichen  Dinge  sind,  eine  schlimme  Ebbe  gefolgt, 
in  der  aufs  Neue  das  Kleine  zum  Grossen,  das  Falsche  zum 
Wahren  gemacht  und  dem  deutschen  Geist  zugemuthet 
wird,  als  verlorener  Sohn  nach  Vergeudung  des  väterlichen 
Erbes  zu  den  niedrigsten  Trebern  hinabzusteigen  —  alles 
dies  im  Namen  der  Wissenschaft  und  des  Fortschritts  —  aber 
wer  darf  daran  verzweifeln,  dass  eine  neue  bessere  Zeit  an- 
brechen wird,  welche,  was  Lessing  und  Kant  mit  hellem  Blick 
erfasst,  mit  rechtschaffiiem  Muth  erstrebt  und  in  selbstver- 
leugnendem Schaffen  gefördert  haben,  aus  vorhandenen  Ver- 
suchen und  Anfängen  zur  vollen  Wirklichkeit  macht?  Möge 
deren  Mörgenroth  nicht  allzulange  auf  sich  warten  lassen! 

G.  Schaarschmidt 


Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  nnd  die  Windt'sehe  Logik. 


IIL 

Der  zweite  Abschnitt  des  Wundt'schen  Werkes  handelt 
von  den  Begriffen,  jetzt  nicht  mehr  als  Resultaten  einer 
psychologischen  Entwicklung,  sondern  als  Elementen  des  logi- 
schen Denkens.  Sie  sind  —  so  wird  erklärt  —  die  Ele- 
mente des  logischen  Denkens ;  daher  ihre  Behandlung  vor  der 
des  Urtheils.  Freilich,  inwiefern  ihnen  jene  Bedeutung  zu- 
komme, wie  demnach  diese  SteDung  sich  rechtfertige,  vermag 
ich  mir  aus  des  Verf.  Erörterungen  nicht  deutlich  zu  machen. 
Zwar  wird  uns  später  gesagt,  dass  das  Urtheil  —  von  dem 
ehemals  nur  feststand,  dass  es  eine  GesammtvorsteUung  in 
Bestandtheile  zerlege,  —  zu  bezeichnen  sei  als  die  „Zerlegung 
des  Gedankens  in  seine  begrifflichen  Bestandtheile^^;  nnd 
darnach  könnte  allerdings  die  Erklärung,  Begriffe  seien  die 
Elemente  des  Denkens,  sogar  selbstverständlich  scheinen.  Wir 
erfahren  aber  nicht  zugleich,  wie  der  Verf.  zu  jener  genaue- 
ren Bestimmung  des  Urtheils  komme,  und  wir  erfahren  noch 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  199 

weniger,  wie  denn  die  unzähligen  Erkenntnissakle,  die  tag- 
täglich vollzogen  werden,  ohne  dass  die  Begriffe  darin  auch 
nur  die  mmdeste  Rolle  spielten,  heissen  mĂĽssen,  wenn  sie 
nicht  den  Namen  von  Urtheilen  tragen,  nicht  zum  Denken  hin- 
zugerechnet werden,  nicht  als  logisches  Geschehen  gelten  sol- 
len. Nur  vermuthen  können  wir,  obgleich  auch  diese  Ver- 
mathung  mir  jene  Erklärung  nicht  völlig  verständlich  machen 
wurde,  es  sei  dem  Verf.  fĂĽr  seine  Erkenntnisstheorie  der 
sprachliche,  also  begriffliche  Ausdruck  des  Gedankens  so  her- 
Yorragend  wesentlich,  dass  er  das  Denken,  abgesehen  davon, 
ausser  Betracht  lassen  wolle.  Es  wĂĽrde  dann  doch  die  For- 
derung gelten,  dass  eine  umfassendere  Erkenntnisstheorie  auch 
der  Erkenntniss,  die  nicht  begrifflich  ist,  wissenschaftlich  nach- 
gehe, ja  von  derselben  ihren  Ausgang  nehme. 

Allen  Begriffen  konunen  dem  Verf.  zufolge  zwei  funda- 
mentale Eigenschaften  zu.  „Diese  Eigenschaften  sind:  Be- 
stimmtheit und  AUgemeingfiltigkeit,  sofern  sie  als  Postulate 
gedacht  werden."  Dagegen  wendet  sich  die  Untersuchung 
gegen  die  Forderung  der  Begriffsallgemeinheit,  sie  wendet 
sidi  noch  entschiedener  gegen  das  Bestreben,  bei  Betrachtung 
der  Begriffe  die  grössere  oder  geringere  Allgemeinheit,  und 
damit  die  Subsumtion  derselben  unter  einander  zum  allbe- 
herrschenden Gesichtspunkte  zu  machen.  Ich  notire  den  Ge- 
gensatz g^en  die  HerrschgelĂĽste  der  Subsumtion  als  einen 
der  FäDe,  in  denen  der  Verf.  Fehler  der  herkömmlichen  Logik 
mit  Klarheit  aufdeckt,  ohne  doch  seinen  Widerspruch  so  weit 
zu  treiben,  als  es  mir  im  Interesse  der  wissenschaftlichen  Er- 
kenntnisslehre nöthig  scheint.  Wie  dieses  UrtheO  hier  An- 
wendung finde,  wird  sich  später  zeigen. 

Es  folgt  die  Frage  nach  den  abstracten  Begriffen  und 
dem  Abstractionsverfahren.  Was  die  Einzelerörterung  angeht, 
so  scheint  mir  der  Vorschlag,  abstracte  Begriffe  solche  zu 
nennen,  denen  eine  adäquate  repräsentative  Vorstellung  nicht 
entspricht,  deren  einziges  Zeichen  darum  das  Wort  bildet, 
einleuchtend,  die  Annahme  abstract-individueller  und  generell- 
concreter  Begriffe  zutreffend,  die  Polemik  gegen  das  vermeint- 
lich durchgängige  reciproke  Verhältniss  von  Inhalt  und  Um- 
f^  gerechtfertigt.     Ich  habe  dagegen  zunächst  gegen  die 


900  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenniniastheorie  etc. 

Meinung,  der  Unterschied  zwischen  abstracten  und  concreten 
Begriffen  sei  unwesentlich,  des  Verf.  eigene  Anschauung  von 
der  Bedeutung  der  repräsentativen  Vorstellung  in*s  Feld  zu 
führen.    Wie  kann  ein  Begriff,  der  der  repräsentativen  Vor- 
stellung entbehrt  —  denn  eine  Vorstellung,  die  den  Begriff 
A  nicht  adäquat  rspräsentirt,  kann  überhaupt  nicht  eine  die- 
sen bestimmten  Begriff  A  repräsentirende  Vorstellung  heissen 
—  noch  den  Anspruch  machen,  als  Begriff  zu  gelten,   wenn 
doch  das  Wesen  des  Begriffes  in  nichts  Anderem  besteht,  als 
in  dem  Bewusstsein,   dass  unter  Voraussetzung  der  Geltung 
einer  Benennung  A  eine  bestimmte  Vorstellung  Ai  am  Platze, 
aber  durch  andere,  ebenso  bestimmte  Vorstellungen  As,  Aa  etc. 
ersetzbar  sei?    Man  nehme  als  Beispiel  den  Begriff  der  Ge- 
rechtigkeit und  suche  den  in  jener  W^eise  zu  vollziehen,  und 
man  wird  einsehen,   dass  dies  nicht  angeht,   oder  dass  die 
Vollziehung  dieses  Begriffes  mit  der  Vollziehung  «des  Begriffes 
des  Gerechten  völlig  in  Eins  zusammenfallt:   so  bleibt,  um 
den   Begriff  zu   constituiren ,   nur  das    Wort   ĂĽbrig.      Aber 
das  Wort  ist  nicht  der  Begriff,    es  hat  logische  Bedeutung, 
nur  insoweit  ich  im  Stande  bin,   die  Forderung,   die  es  an 
mein  Vorstellen  richtet,  auszufĂĽhren,  d.  h.  einen  von  ihm  be- 
zeichneten Geistesinhalt  zum  Bewusstsein   zu   bringen.    Die 
Forderung  ist  in  unserem  FaUe  unerfĂĽllbar.    Somit  ist  das 
Wort  hier  ein  imaginäres  Begriffszeichen  oder  wohl  richtiger 
das  Zeichen   eines   imaginären  Begriffes.     Ich  stelle  hiermit 
den  Begriff  Gerechtigkeit  nicht  auf  eine  Stufe  mit  dem  „höl- 
zernen Eisen^^    Dieser  Name  ist  sinnlos,   die  damit  bezeich- 
nete Vorstellung  absolut  unvollziehbar.    Ich  setze  ihn  aber 
gleich  den  imaginären  Begriffen  der  Mathematik,   dem  —  a 
und  dem  dx,  Begriffen,  die  in  anderer  Weise  imaginär  als 
das  V  — 1,   darum  doch  durchaus  imaginär  heissen  müssen. 
Die  haben  das  EigenthĂĽmliche,  nicht  absolut,  aber  fĂĽr  sich 
unvollziehbar  zu  sein.    Sie  bekommen  Bedeutung  im  Verein 
mit  gewissen  Ergänzungen,  so  das  —  a  in  der  Addition  2  a — a, 

dx 
das  d  X  in  dem  Quotienten  -r.   Ganz  analog  nun  verhält  es 

sich  mit  der  Gerechtigkeit.    Der  Begriff  ist  an  sich  nichts;  er 
bekommt  logische  Bedeutung  als  Determinator :   der  Mensch, 


^ I 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkeoninissiheorie  etc.  ^1 

der  Gerechtigkeit  besitzt  oder  ihrer  entbehrt  Die  Zeichen- 
sprache der  Mathematik  erlaubt  unter  Umstanden  eine  Los- 
trennung  und  selbstständige  Behandlung  dessen,  was  begriff- 
lich, d.  h.  in  Gedanken  nicht  verselbstständigt  werden  kann. 
Dasselbe  gilt  vom  Zeichensystem  der  Sprache.  Der  Satz, 
Gerechtigkeit  ist  Tugend,  steht  auf  gleicher  Linie  mit  dem 
di  =  f(a)dy.  —  Es  leuchtet  ein,  zu  welchen  weiteren  Fragen 
die  Thatsache  Veranlassung  geben  muss.  Die  Mathematik 
muss  ihre  Rechnung  mit  imaginären  Grössen  mathematisch 
rechtfertigen.  Die  Logik  muss  ihr  entsprechendes  Verfahren 
ebenso  logisch  rechtfertigen.  Die  Erkenntnisstheorie  vollends 
hat  die  psychologische  Erklärung  für  beides  zu  geben. 

Ich  meine  weiter,  dass  des  Verfassers  Erörterung  des 
Abstractionsverfahrens  nur  auf  einem  die  psychologische  Er- 
klärung ausschliessenden  Standpunkt  genügen  könne.  „Um 
die  geläufige  Ansicht  über  das  Abstractionsverfahren  zu  be- 
richtigen, mĂĽssen  wir  davon  ausgehen,  dass  jeder  Begriff  aus 
Elementen  besteht,  die  selbst  wieder  Begriffe  sind  und  in  den 
verschiedensten  Verhältnissen  wechselseitiger  Beziehung  stehen 
können.  Sobald  wir  nun  aus  gegebenen  Begriffen  abstractere 
bilden  woUen,  lösen  wir  bestimmte  unter  jenen  Beziehungen 
ans  den  Verbindungen,  in  denen  sie  sich  befinden,  um  sie 
isolirt  vorzustellen.  In  der  Regel  und  besonders  bei  den  ab- 
stractesten  schliesst  sich  dann  an  dies  analytische  Verfahren  als 
zweite  Stufe  ein  synthetisches  an,  welches  in  Verbindung  ver- 
schiedener auf  diese  Weise  isolirter  Begriffsschemata  mit  ein- 
ander besteht,  wobei  die  verbundenen  Elemente  nun  wieder 
die  manchfaltigsten  Formen  wechselseitiger  Beziehung  dar- 
stellen können.'^  Ich  finde  in  dieser  Bestimmung  zunächst 
eine  höchst  werthvolle  Erkenntniss.  Begriffe  sind  nicht  Hau- 
fen oder  Additionen  von  Elementen,  sondern  Einheiten,  in 
denen  Elemente  auf  manchfache  Weise  zu  einander  in  Be- 
ziehung stehen.  Darum  darf  auch  das  Abstrahiren  nicht  als 
ein  blosses  Subtrahiren  gedacht  werden.  Wenn  nun  aber 
Verii  an  die  Stelle  dieser  Subtrahirung  ein  Auslösen,  eine 
Analyse  und  entsprechende  Synthese  setzt,  so  scheint  mir 
durch  Einführung  dieser  Thätigkeitsbegriffe  dem  Bedürfnisse 
der  Beschreibung  des  Vorgangs  auch  nicht  völlig  genügt.  Von 


202  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenninisstheorie  etc. 

Thätigkeiten  der  Seele,   dies  habe  ich  schon  betont,   wissen 
wir  überhaupt  nichts;   was  wir  kennen,  sind  die  Vorgänge, 
die  thatsächlichen  Veränderungen  der  psychischen  Inhalte  und 
ihrer  VerknĂĽpfungen.    Solche  gilt  es  darum  auch  hier  auf- 
zufinden und  mit  aller  Bestimmtheit  festzustellen.    Es  kann 
sonst  nicht  fehlen,   dass  jene  Universalnamen,  die  Alles  und 
darum  nichts  mehr  bedeuten,  Missverständlichkeiten  zur  Folge 
haben.    Ich  meine  denn  nun  auch,  dass  dies  bei  des  Verf. 
Erörterung  zutrifft.    Begriffselemente  werden  aus  ihrem  Zu- 
sammenhang gelöst  und  isolirt  vorgestellt.    Von  diesen  bei- 
den Sätzen  ist  der  erstere  zu  unbestimmt,  der  letztere  ent- 
hält genau  genommen  Unmögliches.    Der  Begriff  des  Dinges, 
meint  der  Verf.,  sei  zunächst  hervorgegangen  „aus  der  Los- 
trennung des  in  zahlreichen  Einzelbegriffen  wiederkehrenden 
Elementes  einer  Verbindung  von  Sinneswahmehmungen^^    Es 
ist  aber  weder  möglich,  eine  Verbindung  von  Sinneswahmeh- 
mungen  isolirt,  d.  h.  so,  dass  die  Mitvorstellung  von  Sinnes- 
empflndungen  selbst  unterbliebe,  vorzustellen,  noch  kann  ge- 
sagt werden,    es  verschwinde  um  des  Abstractionsprocesses 
willen  irgend  eine  der  Associationen,  Verschmelzungen,    die 
zwischen  der  Verbindung  von  Sinneswahmehmungen   einer- 
seits und  beliebigen  anderen  Vorstellungsinhalten  andererseits 
bestanden  haben  mögen.    Allerdings  besteht  die  Abstraction 
in  etwas,  das  als  Loslösen  und  Hinzufügen  bezeichnet  werden 
kann,  aber  dies  muss  genauer  bestimmt  werden  als  logisches 
Loslösen  und  Hinzufügen,   mit   anderen  Worten   als  Fällen 
von  negativen  und  positiven  Bcnennungsurtheilen.    Ich  löse 
die  Verbindung  von  Sinneswahmehmungen  aus,   das  heisst, 
ich  mache  sie  speciell  zur  Bedingung  fĂĽr  die  Anwendung  des 
Namens  Ding,   komme  irgendwie  dazu,    den  Namen  ĂĽberall 
da  fĂĽr  am  Platze  zu  halten,  wo  die  Verbindung  von  Sinnes- 
wahrnehmungen sich  findet,  gleichgĂĽltig  welcher  Art  die  Sin- 
neswahrnehmungen selbst,  deren  Mitvorstellung  ich  doch  nicht 
vermeiden  kann,   sein  mögen,  und  ihn  überall  da  als  nicht 
hierher  gehörig  abzuweisen,  wo  diese  Bedingung  nicht  erfüllt 
ist;   ich  verbinde  damit  —  darin  besteht  dem  Verf.  zufolge 
die  Synthese,  die  bei  der  Entstehung  des  Begriffes  Ding  zu 
jenem  Auslösen  hinzukommt  —  die  Vorstellung  eines  theils 


Tb.  Lipps:  Die  Auflgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  203 

stetig  beharrenden,  theils  stetig  veränderlichen  Complexes 
von  Eigenschaften,  dies  heisst :  ich  modiflcire,  gleichgĂĽltig  wo- 
durch veranlasst,  mein  generelles  Benennungsurtheil  der  Art, 
dass  ich  den  Nanien  Ding  auch  dann  fĂĽr  unerlaubt  halte, 
wenn  zwar  die  Verbindung  von  Sinneswahmehmungen  vor- 
handen ist,  aber  die  stetige  Beharrlichkeit  oder  Veränderlich- 
keit der  Eigenschaften  fehlt.  -  Die  Abstraction  gehört  in  die 
Lehre  von  der  Gewinnung  genereller,  positiver  und  negativer 
Urtheile,  also  in's  Kapitel  von  der  Induction.  Dies  ergibt 
sich,  wie  ich  meine,  sobald  man  sich  entschliesst,  die  allge- 
meinen AusdrĂĽcke  Analyse  und  Synthese  auf  ihren  Sinn  zu 
prüfen,  den  mit  ihnen  bezeichneten  „Thätigkeiten^^  das  Miss- 
trauen entgegen  zu  bringen,  das  sie  sammt  ihren  zahllosen 
Schwestern,  den  Thätigkeiten  des  Beziehens,  \ßrgleichens, 
Unterscheidens  etc.  in  so  reichem  Maasse  verdienen. 

Der  weitere  Gang  der  Untersuchung  zerfällt  die  Begriffe 
in  die  vier  Kategorien  der  Gegenstands-,  Eigenschafts-,  Zu- 
stands-  und  Beziehungsbegriffe.  Die  Zustandsbegriffe  vereini-' 
gen  in  sich  „die  divergirenden  Bedeutungen  des  Verbums". 
Ich  mache  darauf  aufmerksam,  wie  hier  die  RĂĽcksicht  auf 
die  Sprache  Veranlassung  gibt,  logisch  Heterogenes  zu  ver- 
einigen. Allerdings  wird  die  Zusammenordnung  der  Zustands- 
begriffe mit  den  Begriffen,  dife  ein  Werden  oder  eine  Thätig- 
keit  enthalten,  nicht ,  mit  dem  Hinweis  auf  die  Sprachform, 
sondern  ndit  der  Bemerkung  begrĂĽndet,  dass  wir  uns  Zu- 
stande als  wechselnd  denken.  Aber  diese  Thatsache  scheint 
mir  die  Trennung  von  den  constanter  gedachten  Eigenschaf- 
ten ebensowenig  zu  rechtfertigen,  als  die  Wahrnehmung,  dass 
Pflanzen  vergehen  und  anderen  Platz  machen,  die  Ausschei- 
dung derselben  aus  den  Gegenstandsbegriffen  rechtfertigen 
wĂĽrde. 

Wichtiger  indessen  ist  eine  andere  Bemerkung,  die  sich 
bei  dieser  Begriffseiqtheilung  sofort  aufdrängt.  Von  Gegen- 
standen, Eigenschaften,  Thätigkeiten,  wechselnden  Zustän- 
den etc.  wird  hier  gehandelt,  ohne  dass  man  doch  erfahren 
batte,  worin  das  erkenntnisstheoretisch  Eigenartige  dieser  Be- 
griffe bestehe,  oder  durch  welche  logische  Arbeit  dieselben 
in  uns  zu  Stande  kommen  können.    Denn  dass  kein  Gegen- 


204  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstfaeorie  etc. 

stand,  keine  Eigenschaft,  keine  Thätigkeit,  kein  Werden  irgend 
welcher  Art  in  der  unmittelbaren  Wahrnehmung  gegeben  ist, 
unterliegt  doch  wohl  keinem  Zweifel.  Es  scheint  mir  aber, 
als  könne  nicht  einmal  die  Klassification,  auf  die  es  dem  Verf. 
hier  im  Wesentlichen  ankömmt,  den  Anspruch  wissenschaft- 
licher Berechtigung  erheben,  wofern  nicht  zuvor  gezeigt  ist, 
welche  Akte  des  beziehenden,  vergleichenden,  zusammenfas- 
senden Denkens,  welche  Akte  selbst  des  inductiven  Schlies- 
sens  jenen  Begriffen  zu  Grunde  liegen,  bezw.  in  ihnen  ent- 
halten sind. 

Des  Verf.  Stellung  zur  Sprache  bekunden  auch  die  Er- 
örterungen über  die  kategoriale  Verschiebung  der  begriffe, 
die  Umformung  verschiedener  Begriffsformen  in  einander. 
Zwar  wird^zugegeben,  dass  der  Wechsel  der  grammatischen 
Kategorie  nicht  sofort  auch  den  der  logischen  nach  sich  ziehe, 
dass  also  Gerechtigk^t  trotz  der  substantivischen  Form  zu- 
nächst eben  so  gut  ein  Eigeaschaftsbegriff  sei  wie  gerecht, 
dennoch  soll  die  logische  Umwandlung  durch  den  grammati- 
schen Wechsel  vorbereitet  werden.  Ich  meine  dagegen,  Ge- 
rechtigkeit sei  logisch  unter  allen  Umstanden  derselbe  ima^- 
näre  Eigenschaftsbegriff,  dessen  sprachliches  Zeichen  zwar 
zum  grammatischen  Subject  für  alle  möglichen  Prädicate,  der 
aber  selbst  niemals  zum  logischen  Subjecte  irgend  eines  Prä- 
dicates  dienen  könne.  Gerechtigkeit  ist  Tugend,  diesem  Satz 
entspricht  eben  so  wenig  ein  denkbarer  Gedanke  wie  dem 
—  2a=  —  a— -a.  Beide  werden  in  gleicher  Weise  erst  denk- 
bar, wenn  wir  sie  durch  gedankliche  Ergänzungen  ihres  ima- 
ginären Charakters  entkleiden.  —  Auch  die  sogenannte  logische 
Umwandlung  der  Begriffsformen  ist  demnach  eine  sprachliche, 
die,  immerhin  der  erkenntnisstheoretischen  Erklärung  bedürf- 
tig, diese  doch  nur  finden  kann  unter  der  Voraussetzung, 
dass  das  Logische  erst  fĂĽr  sich  Gegenstand  der  Untersuchung 
geworden  sei. 

Ich  übergehe  die  „Begriffsverhältnisse"  von  der  Ueber- 
und  Unterordnung,  Disjunction  u.  s.  w.,  um  nur  ĂĽber  die 
Bestimmung  der  negativen  Begriffe  eine  Bemerkung  zu  ma- 
chen. „Als  negative  bezeichnen  wir  solche  Begriffe,  die  aas 
gegebenen  positiven  durch  die  blosse  HinzufĂĽgung  der  Ne- 


Th.  Lipps:  Die  Auf|epabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  f05 

gation  gebfldet  werden/'   Es  ist  klar,  aus  dem  Worte  schwarz 
wird  das  Wort  nichtschwarz  durch  Hinzufü^ung  des  „nicht^^ 
Aber  entstdit  der  Begriff  des  Schwarzen,   ich   meine   der 
eigenthumlich  manchfaltige  Geistesinhalt,  auch  durch  Hinzu- 
fĂĽguDg  eines  besonderen  Geistesinhaltes,  Negation  genannt? 
Gibt  es  ĂĽberhaupt  eine  Negation  ausser  in  Urtheilen?    So 
viel  ich  sehe,   sind  rein  negative  Begriffe  ĂĽberhaupt  nicht 
aufzufinden;   sicher   darum,   weil   sie   völtig   nutzlos   wären. 
Aber  auch  hinsichtlich  der  partiell  negativen,   das  nicht  Ge- 
rechte etc.,    hat  die  obige  Bestimmung  keinerlei  logische  Be- 
deutung.'^.lch  weiss,  ich  muss  irgend  ein  (natĂĽrlich  positives) 
Etwas  vorstellen,   und   ich   darf  nichts  vorstellen,   das  den 
Namen   eine^   Gerechten   verdient,   wenn  nämlich   ich   dem 
Worte  das  „nicht  Gerechte"  genügen  will.    In  jenem  positi- 
ven und  diesem  negativen  ĂĽrtheil   besteht   der  Hauptsache 
nach  der  Begriff  des  nicht  Gerechten.    Und  analog  verhält 
es  sich  mit  den  immerhin  möglichen  rein  negativen  Nicht- 
Mensch, Nicht-Gerechtigkeit  u.  s.  w.    Hier  erlaubt  das  Wort 
die  Vorstellung  jedes  beliebigen  Geistesinhaltes,  um  bloss  die 
Torstellung  des  Menschen,   der  Gerechtigkeit  zu  untersagen. 
~  Das  Kapitel  von   den  Begriffsverhältnissen   schliesst   der 
wohhnotivirte  und  in  Kürze  näher  ausgeführte  Vorschlag,  an 
die  Stelle  der  geometrischen  Vorstellung  der  Begriffsverhält- 
nisse durch  Kreise  eine  solche  durch  gerade  Linien  zu  setzen. 
Von  den  Verhältnissen,    „die  unabhängige  Begriffe  zu 
einander  darbieten"  können,  werden  im  folgenden  4.  Kapitel 
die  ,3eziehungen"   unterschieden,   in   welche  Begriffe   dann 
treten,  wenn  sie  miter  Hinzutritt  einer  Beziehungsform  eine 
Verbindung  zu  einem  complexen  Begriffe  ergeben.    Die  Be- 
ziehungen sind  entweder  Beziehungen  der  inneren  oder  der 
äusseren  Determination.    Der  ersteren  Art  ist  die  attributive, 
wo  das  Attribut  den  Gegenstands-   oder  Verbalbegriff  und 
die  objective,  wo  das  Object  den  Verbalbegriff  innerlich  de- 
tenninirt    Der  letzteren  Art  sind  die  locale,   temporale  und 
con(fitionale  Beziehung.   Sie  unterscheiden  sich  von  der  attri- 
butiven und  objectiven  Beziehung   dadurch,    dass  bei  ihnen 
die  Beziehungsform  nicht  aus  dem  Inhalt  der  in  die  Bezie- 
hung eintretenden  Begriffe  reralürt  und  daher  eines  äusseren 


S06  TIl  Lippn:  Die  Aufis^abe  der  Erkenntnisstlieorie  eto. 

Zeichens  zu  ihrem  Ausdruck  bedarf.  Dass  wir  es  hier  wie- 
derum wesentlich  mit  Grammatik  zu  thun  haben,  diese  Be- 
merkung drängt  sich  sofort  auf.  Der  thatsächliche  Unter- 
schied der  äusseren  und  inneren  Determination  besteht  in 
der  Anwendung  oder  Nichtanwendung  der  Präposition. 

Ich  knĂĽpfe  an  diese  Bemerkung  die  andere,  dass  es  mir 
völlig  unthunlich  scheint,  die  attributive  temporale  etc.  Be- 
griffsbeziehung ĂĽberhaupt  mit  diesem  Namen  zu  bezeichnen. 
Steht  es  ja  fest,  dass  in  dem  Gesammtbegriff  Vogel  auf  dem 
Baume  nicht  der  Begriff  Vogel  mit  dem  Begriff  Baum  in  die 
durch  das  Wort  „auf*  bezeichnete  Beziehung  tritt,  sondern 
lediglich  die  einzehien  Vögel  mit  den  einzelnen  Bäumen ;  wäh- 
rend bei  den  diesen  Begriffsbeziehungen  unmittelbar  coordi- 
nirten  Begriffsverhältnissen  das  Verhältniss  (der  Subsumtion  etc.) 
allerdings  die  Begriffe  trifft.  So  könnte  allgemein  der  durch 
Determination  aus  zwei  Begriffen  entstandene  complexe  Be- 
griff, vorausgesetzt  dass  a  und  b  die  unter  die  beiden  Begriffe 
fallenden  Objecte  bedeuten,  tp  (x)  als  Zeichen  eines  die  Objecte 
X  zusammenfassenden  Begriffs  und  f  (x,  y)  ebenso  als  Zeichen 
eines  aus  x  y  und  ĂĽ*gend  einer  zwischen  ihnen  geknĂĽpften 
Beziehung  bestehenden  complexen  Geistesinhaltes  genommen 
wird,  nur  durch  die  Formel  g>  (f  [a,  b])  dargestellt,  niemals 
=  f  (9  [a],  (p  [b])  gesetzt  werden.  Der  Verf.  aber  mĂĽsste 
dem  Wortlauts  einer  Erklärung  zufolge  durchaus  die  letztere 
Formel  wählen. 

Der  dritte  Abschnitt  des  Werkes  hat  es  zu  thun  mit  dem 
Urtheile.  Indem  ich  Gesagtes  nicht  wiederhole  und  nur  neben- 
bei bemerke,  dass  mir  des  Verfassers  Definition  des  UrtheĂĽs 
als  einer  Zerlegung  von  Gesammtvorstellungen  in  ihre  Be- 
standtheile,  abgesehen  von  der  fehlenden  Zusammengehö- 
rigkeit, auch  wegen  des  Ausdrucks  „Zerlegung'^  ungeeignet 
scheint,  gehe  ich  sogleich  zu  Einzelbestinunungen  ĂĽber.  Die 
beiden  Bestandtheile  des  Urtheüs,  Subject  imd  Prädikat,  wer- 
den, ohne  Zweifel  zutreffend,  so  von  einander  unterschieden, 
dass  das  Subject  als  der  constanter  gedachte  Begriff,  das 
Prädikat  als  die  veränderlichere  Vorstellung  bezeichnet  wird. 
Nur  scheinen  mir  die  Gomparative  constanter  imd  veränder- 
licher die  Sache  unnöthig  abzuschwächen.    Dies  ergibt  sich, 


Tb.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntniflstheorie  etc.  S07 

sobald  man  den  Unterschied  lo(psch  schärfer  formulirt,  als 
dies  vom  Verf.  geschieht.  Es  scheint  mir  nämlich  logischer 
Weise  als  Prädikat  nur  dasjenige  gelten  zu  können,  auf  das 
sich  der  Urtheilsentscheid  bezieht,  als  Subject  nur  dasjenige, 
an  dem  er  sich  vollzieht.  Das  Subject  erscheint  dann  noth- 
wendig  als  das  Feststehende,  das  eine  so  oder  so  geartete 
positive  oder  negative  Bestimmung  ruhig  erwartet,  dessen 
eigenes  Vorgestelltwerden  dagegen  von  vornherein  gar  nicht 
in  Frage  kommt.  —  Dass  beim  Verf.  die  Frage  nach  dem 
Verhfiltniss  zwischen  grammatischem  und  logischem  Subject 
zurĂĽcktritt,  darf  nicht  Wunder  nehmen.  Thatsache  scheint 
mir,  dass  sich  die  beiden  in  der  Mehrzahl  der  möglichen  Fälle 
nicht  decken«  So  kann  in  dem  Satze  der  Vogel  ßitzt  auf 
dem  Dache  nach  einander  der  Vogel,  sitzt,  auf,  Dach,  auf 
dem  Dache  und  sitzt  auf  dem  Dache  logisches  Prädikat  sein, 
während  grammatisch  immer  das  „sitzt  auf  dem  Dache"  die 
RoDe  spielt  Wir  deuten  in  Fällen  der  Nichtcongruenz  das 
Prädikat  meist  durch  die  Betonung  an.  Andere  Sprachen 
verwenden  dies  Mittel  sparsamer  und  sehen  sich  darum  ge- 
Qöthigt,  in  höherem  Maasse  auf  Gongruenz  bedacht  zu  sein: 
c'est  l'oiseau  qui  etc.,  c'est  sur  le  toit  que  etc  etc.  Auf  eigen- 
thĂĽmfiche  Weise  pflegt  dem  sprachlichen  Interesse  bei  Beant- 
wortung der  Frage  nach  demWerth  des  „ist'\  der  gramma- 
tischen Copula,  der  Subsumtionsaberglaube  sich  zu  gesellen. 
Um  so  wichtiger  ist  es,  zu  betonen,  dass  Verf.  den  Irr- 
gangen der  herkömmlichen  Logik  in  diesem  Punkte  durchaus 
nicht  Folge  leistet.  Nur  mĂĽsste  allerdings  seine  Abweisung 
der  Herrschgeläste  des  „ist'S  sein  Hinweis  auf  die  Vieldeu- 
tigkeit dieses  Wortes,  durch  eigentlich  erkenntnisstheoretische 
Behandlung  der  Frage  an  Deutlichkeit  und  Bestimmtheit  we- 
sentlich gewinnen.  —  Die  Frage  nach  den  analytischen  und 
sjmthetischen  Urtheilen  entscheidet  der  Verf.,  indem  er  bei 
der  Eaiit'schen  Bestinunung  des  Analytischen  bleibend,  ana- 
lytische Urthelle  solche  nennt,  „in  denen  ein  Element  oder 
einige  Elemente,  die  im  Subject  nothwendig  schon  mitgedacht 
wi|den  müssen,  zu  irgend  einem  Zweck  im  Prädikat  beson- 
ders h^rvoi^hoben  werden".  Es  fragt  sich,  wie  ein  Element 
daza  kommen   kann,    im   Begriffe   mitgedacht    zu    werden. 


906  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  ErkenntniaBtheorie  etc. 

worauf  mit  anderen  Worten  die  Nothwendigkeit  beruht.  Darauf 
scheint  mir  aber  nur  eine  Antwort  möglich.  Nehme  ich  einem 
Körper  die  Ausdehnung,  so  hört  er  damit  nicht  auf,  über- 
haupt denkbar  zu  sein,  er  verliert  nur  das  Recht,  sich  Kör- 
per zu  nennen.  Der  Name  also  zwingt  das  Prädikat  herbei 
und  Körper  sind  ausgedehnt,  dies  analytische  Urtheil  sagt 
uns,  unter  Voraussetzung  des  Namens  Körper  müsse  ich  die 
Eigenschaft  der  Ausdehnung  mitdenken.  So  sind  ĂĽberhaupt 
alle  analytischen  Urtheile  Benennungsurtheile  hinsichtlich  des 
Subjects.  Sie  sind  damit  nicht  weniger  synthetisch  als  jedes 
Urtheil  ĂĽberhaupt,  da  nur  die  Erfahrung  lehren  kann,  wel- 
chen Sinn  das  Wort  Körper  dem  Sprachgebrauch  zufolge  hat. 
Da  das  Urtheil  aus  vier  Elementen  besteht,  Subject,  Prä- 
dikat, VerknĂĽpfung  zwischen  beiden  und  Bewusstsein  der  Zu- 
sammengehörigkeit, so  ist  es  auch  einer  Eintheilung  nach  vier 
Gesichtspunkten  fähig.  Verf.  kann,  da  bei  ihm  die  Zusam- 
mengehörigkeit ausser  Betracht  bleibt,  nur  drei  derselben  an- 
erkennen, hn  Einzelnen  unterscheidet  er  auf  Grund  der  Ver- 
schiedenheit der  Subjecte  das  unbestimmte,  das  Einzelurtheil 
und  das  Mehrheitsurtheil.  Dass  das  unbestimmte  Urtheil  „es 
blitzt"  etc.  nicht  subjectlos  sei,  wird  ĂĽberzeugend  dargethan. 
Ebenso  mit  Recht  scheidet  der  Verf.  die  allgemeinen  Urtheile 
aus,  obgleich  ich  dem  Grund  der  Anschauung  —  sie  seien 
Relationsurtheile ,  welche  das  Verhältniss  der  vollständigen 
Unterordnung  des  Subjects  unter  das  Prädikat  bezeichnen  — 
nicht  zustimmen  kann.  Mir  scheint  die  Ausscheidung  nöthig, 
da  aUgemeine  Urtheile  ĂĽberhaupt  nicht  voUziehbare  Urtheile, 
sondern  nur  Regeln  sind,  unter  gewissen  Bedingungen  ein 
Urtheil  unweigerlich  zu  vollziehen.  Analoges  gilt  freilich  auch 
von  den  unbestimmten  pluralen  Urtheilen:  einige  A  sind  B, 
die  besagen,  dass  unter  den  mit  A  bezeichneten  Voraus- 
setzungen ein  damit  verbundenes  B  vorgestellt  werden  dĂĽrfe 
oder  sogar,  wenn  A  gewisse,  nicht  ausgesprochene  Ergän- 
zungen erfahre,  vorgestellt  werden  mĂĽsse.  Hinsichtlich  des 
Prädikats  werden  vom  Verf.  erzählende,  beschreibende  und 
erklärende  Urtheile  imterschi^den.  Der  Gesichtspunkt  ist^ 
Wesentlichen  der  grammatische,  der  nur  theilweise  mit  dem 
logischen  zusammentrifft.    Die  Urtheile   fĂĽhren  jene  Namen, 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  209 

je  nachdem  das  Prädikat  ein  Zustands-,    Eigenschafts-  oder 
Gegenstandsbegriflf  (Verbum,  Adjectivum  oder  Substantivum) 
ist     Die   verschiedenen  Beziehungen  zwischen   Subject   und 
Prädikat  ergeben  die  Gattungen  der  Identitäts-,  Subsumtions-, 
Goordinations-  und  Äbhängigkeits-  bezw.  Bedingungsurtheile. 
In  der  Erörterung  derselben  trägt  die  oben  zurückgewiesene 
Anschauung,  der  zufolge  BegrifFe  von  Beziehungen,   genauer 
von  hihalten,  die  in  gewissen  Beziehungen  zu  einander  stehen, 
ohne  Weiteres  als  Beziehungen  von  Begriffen  bezeichnet  wer- 
den, als  f  (qp[a],  qp[b])  erscheint,  was  =  9(f[a,  b])  gesetzt 
werden  mĂĽsste,  insofern  ihre  FrĂĽchte,   als  nun  jedes  Urtheil 
ohne  Unterschied,  als  eine  Darlegung  von  Begriffsverhältnissen 
auftritt  und   dem   entsprechend  auch   die  Subsumtion   eine 
weit  ĂĽber  die  Grenzen  der  Berechtigung  gehende  Bedeutung 
bekommt.    In  der  That  scheint  es  mir  Urtheile,  die  lediglich 
Beziehungen  von  Begriffen  aussagen,  im  Grunde  gar  nicht  zu 
geben  und  auch  nicht  geben  zu  können.   Alle,  die  als  solche 
erscheinen,   sind  in  Wirklichkeit  allgemein  oder  imbestimmt 
particulare  Urtheile,  also  ĂĽberhaupt  nicht  Urtheile  im  eigent- 
lichen Sinne,   sondern  Regeln  fĂĽr  ein  Urtheilen,    sprachliche 
Abbreviaturen  für  manchfache  Vorstellungsnöthigungen.   Wenn 
irgendwo  ein  Wesen  dem  Begriffe  Wolf  zugehöre,  deutlicher: 
wenn  ihm   der  Name  Wolf  zukomme,   so  sei  es   auch   zum 
Begriffe  Raubthier  zu  rechnen,    deutlicher:   so  sei  ihm  auch 
der  Name  Raubthier  zuzugestehen,  so  scheint  mir  der  Satz: 
der  Wolf  ist  ein  Raubthier,  vorausgesetzt,  dass  er  als  Aus- 
sage über  Begriffsverhältnisse  zu  gelten  hat,  bestimmter  lauten 
za  mĂĽssen.    Ich  sage:    vorausgesetzt,  dass  jene  Meinung 
besteht,  denn  derselbe  Satz  kann  noch  einen  dreifachen  andern 
Sinn  haben.    Er  kann  insbesondere:  1)  Wesen  mit  bestimm- 
ten Eigenschaften   a,  denjenigen  nämlich,    die  ein  Recht  auf 
den  Namen  Wolf    erwerben ,  gewisse  Eigenschaften   b,  die- 
jenigen nämlich,  die  durchs  Wort  Raubthier  bezeichnet  sind, 
zuschreiben  wollen,  er  kann  2)  die  Absicht  haben,  4ben  jene 
Wesen  unter  den  Begriff  Raubthier  zu  subsumiren,  deutlicher 
ihnen  den  Namen  Raubthier  zu  vindiciren,    er  kann   3)  be- 
haupten,   man    solle   zum   Sinne    des   Wortes   Wolf    auch 
die  durch  den  Namen  Raubthier   bezeichneten  Eigenschaften 

Philosoph.  MoDAtshefte  1881,  IV  a.  V.  14 


210  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

hinzurechnen.  Nur  in  den  beiden  letzten  der  drei  Fälle  hat  das 
Urtheil  mit  Begriffen  überhaupt  etwas  zu  thun,  während  im 
ersten  ein  reines  Thatsachenurtheil,  genauer  eine  Regel  zur 
Vollziehung  von  Thatsachenurtheilen  vorliegt.  Wiederum  ist 
von  jenen  zwei  Sätzen  nur  der  erstere  als  Subsumtionssatz 
oder  wie  wir,  um  dem  unglĂĽcklich  bildlichen  Ausdruck  aus 
dem  Wege  zu  gehen,  lieber  sagen  wollen  Benennungssatz  hin- 
sichtlich des  Prädikats  zu  bezeichnen.  Entsprechend  kann 
das  Urtheil:  „dies  ist  ein  Haus^^  nur  dann  als  Subsumtions- 
urtheil  gelten,  wenn  wirklich  die  Absicht  ist,  den  aufgezeigten 
Gegenstand  in  seinem  Verhältniss  zu  dem  eigenthümlichen 
Denkgebilde,  das  man  als  Begriff  des  Hauses  bezeichnet  oder 
einfacher  in  seiner  Beziehung  zu  dem  ebenso  subjectiven  Er- 
zeugniss  unserer  Benennungsthätigkeit  zu  charakterisiren.  Das 
Urtheil  kann  aber  ebensowohl  dem  Gegenstand  gewisse  Eigen- 
schaften, nämlich  diejenigen,  die  allgemein  mit  dem  Namen 
Haus  zusammengedacht  werden,  zuschreiben  wollen.  Das 
Urtheil:  „der  Vogel  sitze  auf  dem  Dache'^  vollends  hat  als 
Urtheil  mit  Begriffen  in  jedem  Falle  nichts  zu  thun,  geschweige 
dass  er  ein  Verhältniss  dieser  psychologischen  Gebilde  oder 
der  sie  zusammenhaltenden  Worte  feststellen  wollte,  meint 
viehnehr  inrnier  den  Vogel  und  das  Dach  selbst.  Wenn  es 
von  jenem  sagt,  er  sitzt  auf  diesem;  wenn  auch  allerdings 
der  sprachliche  mithin  begriffliche  Ausdruck  dieser  Beziehung 
von  Objecten  eine  gewisse  Beziehung  der  entsprechenden  Be- 
griffe zur  selbstverständlichen  Folge  hat.  —  Vollziehbare  Ur- 
theile  und  R^eln  ĂĽber  Urtheile,  Aussagen  ĂĽber  Begriffe  und 
Aussagen  ĂĽber  Thatsachen,  Subsumtion  und  was  mit  Sub- 
sumtion nichts  zu  thun  hat,  alles  dies  darf  der  sprachliche 
Ausdruck,  so  lange  daraus  kein  praktischer  Schaden  erwächst, 
in  eines  zusammenfliessen  lassen,  die  Logik  hat  dann  erst 
recht  die  Aufgabe  zu  unterscheiden. 

Wichtiger  aber  noch  als  der  Umstand,  dass  der  Verf. 
diese  Unterschiede  theüs  ausser  Betracht  lässt,  theils  nicht  mit 
der  wĂĽnschenswerthen  RĂĽcksichtslosigkeit  verfolgt,  scheint  nur 
die  Bemerkung,  dass  die  Beziehimgen  zwischen  Subject  und 
Prädikat  nur  angegeben  und  klassifidrt,  nicht  in  ihrem  Wesen 
zum  Gegenstand  der  Untersuchung  gemacht  werden.    Zwar, 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  211 

worin  die  Beziehung  zwischen  Vogel  und  Dach  in  dem  oben 
angefĂĽhrten  Satze  besteht,  dies  bedarf  keiner  weiteren  Unter- 
suchung. Wir  brauchen  nur  die  objective  Wahrnehmung  zu 
fragen,  die  sie  uns  liefert.  Bedingungen  aber  liefert,  wie 
gleichfalls  kein  Zweifel,  diese  Wahrnehmung  nirgends.  So 
musste  die  Frage  entstehen,  was  denn  das  Wesen  dieser  Be- 
ziehungen ausmache,  worin  der  Sinn  der  sie  bezeichnenden 
Worte  zu  suchen  sei,  und  diese  Frage  musste  darum  s'bhon 
hier  entstehen,  weil  die  Beantwortung  möglicherweise  das 
Recht,  die  Bedingungsurtheile  den  Urtheilen,  die  eine  räum- 
liche Beziehung  von  Subject  und  Prädikat  aussagen,  zu  coor- 
diniren,  illusorisch  machen  könnte.  Es  sind  nämlich  hinsicht- 
lich des  Sinnes  der  Abhängigkeitsbeziehungen  zwei  Meinungen 
möglich.  Der  einen  zufolge  besteht,  um  gleich  an  einem 
Beispiele  zu  -zeigen  was  ich  meine,  die  causale  Beziehimg 
zwischen  a  und  b,  dem  Stoss  und  der  Bewegung  des  gestos- 
senen  Körpers,  in  einem  Geistesinhalte,  Form,  inneres  Band, 
oder  sonstwie  genannt,  den  ich  zur  wahrgenommenen  Auf- 
einanderfolge objectiver  Weise  hinzufĂĽge  oder  ihr  substituire, 
der  Art,  dass  nach  der  HinzufĂĽgung  oder  Substitution  die 
gedachten  a  und  b  selbst  als  nicht  nur  zeitlich,  sondern 
causal  mit  einander  verknĂĽpft  gedacht  werden.  Trifft  diese 
Meinung  zu,  findet  man  bei  Betrachtung  des  Vorstellungs- 
inhaltes, der  den  Worten:  der  Stoss  ist  Ursache  der  Be- 
wegung, entspricht,  zwischen  Stoss  und  Bewegung  oder  mit 
ihnen  verbunden,  ĂĽberhaupt  auf  irgend  eine  Weise  dem  objec- 
tiven  Vorst€|llungscomplex  angehörig,  ein  Vorstellungselement, 
das  weder  mit  a,  noch  mit  b,  noch  mit  der  zeiträumüchen 
VerknĂĽpfung  identisch,  dasjenige  ausmacht,  das  wir  mit  dem 
Worte  causales  Band  meinen,  denn  ohne  Zweifel  kann  diese 
objective  Beziehung  so  gut  wie  die  räumliche  imd  zeitliche 
Gegenstand  des  das  iVerhältniss  von  ^toss  und  Bewegung  be- 
treffenden Urtheils  sein  und  der  Verf.  hat  Recht,  wenn  er 
das  ĂĽrtheil  als  ein  solches,  dessen  EigenthĂĽmlichkeit  in  der 
besonderen  Weise  der  Beziehung  zwischen  Subject  und  Prä- 
dikat besteht,  den  Urtheilen  über  ein  bloss  räumliches  oder 
zeitliches  Verhältniss  zur  Seite  stellt.  Trifft  aber  die  Voraus- 
setzung nicht  zu,   zeigt  die  innere  Wahrnehmung,   dass  wir 


912  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnigstheorie  etc. 

freilich  das  causale  Verhältniss  nach  gewissen  Gesetzen  er- 
zeugen, aber  der  Art,  dass  es  nur  eine  Weise  unseres,  nicht 
des  Verhaltens  der  Objecte,  eine  Beziehung  zwischen  Denk- 
akten, nicht  zwischen  gedachten  Objecten  sei,  die  wir  damit 
herstellen,  dann  gibt  es  zwar  causale  Urtheile,  aber  keine 
Causalitäts-,  allgemeiner  gesprochen  Abhängigkeitsurtheile, 
mit  andern  Worten,  es  können  dann  Denkakte  in  ein  Ver- 
hältniss der  Abhängigkeit  gerathen,  aber  niemals  Abhängig- 
keiten der  Objecte  untereinander  —  ausser  in  Worten  — 
bejaht  bezw.  verneint  werden.  Ich  nun  bin  der  letzteren 
Meinung.  A  ist  Ursache  des  B,  dies  heisst:  wenn  ich  A  als 
vorhanden  annehme,  so  muss  ich  das  Vorhandensein  eines 
(gleichzeitigen  oder)  darauffolgenden  B  gleichfalls  annehmen; 
und  analog  bei  den  übrigen  Abhängigkeitsurtheilen.  So  gibt 
es  ĂĽberhaupt  keine  wahrgenonunenen  und  gedachten  Bezie- 
hungen zwischen  Objecten,  ausser  den  räumlichen  und  zeit- 
lichen. Was  sonst  sich  so  nennt,  ist  Beziehung  zwischen 
Akten  unseres  Denkens  oder  Vorstellens. 

Ich  komme  hier  auf  einen  Punkt,  der  fĂĽr  die  ganze  Auf- 
fassung der  Erkenntniss  grundwesentlich  ist.  Ich  rĂĽhrte  daran 
bei  der  Lehre  von  den  Begriffen,  ich  hätte  gleich  da,  wo 
zum  ersten  Male  von  Denken  und  Objecten  des  Denkens  die 
Rede  war,  darauf  aufmerksam  zu  machen  Grund  gehabt. 
Denn  es  gibt  kein  Denken  und  kann  von  Objecten  fĂĽr  uns 
keine  Rede  sein,  ohne  das  Bewusstsein  der  Einheit  imd  Mehr- 
heit, Bedingtheit  und  Nichtbedingtheit,  ĂĽberhaupt  solcher  Be- 
ziehungen, die  im  Denken  sich  knĂĽpfen,  ohne  dass  sie  doch 
zwischen  den  Denkobjecten  geknĂĽpft  wĂĽrden.  Freilich,  dass 
dem  so  ist,  davon  gibt  nur  die  Selbstbesinnung,  die  Analyse 
der  eigenen  Bewusstseinsinhalte  Kunde  und  die  nur  dann, 
wenn  man  sie  so  anstellt,  dass  dem  trĂĽgerischen  Einfluss  der 
Worte,  die  beständig  gedeigt  sind,  zwischen  uns  imd  die  ob- 
jectiven  Bewusstseinsinhalte  in  die  Mitte  zu  treten,  kein  Raum 
bleibt.  Denn  dass  es  gelinge,  einen  objectiven  Inhalt  des 
Causalitätsbegriffs  anzugeben,  das  Wort  Causalität  durch 
andere  zu  ersetzen,  die  mit  ebensowenig  Recht  den  Anspruch 
erheben  können,  von  Objecten  etwas  auszusagen,  dies  ist  es 
ja  nicht,   warum  es  sich  handelt.    Die  Frage  ist,   welchen 


Th.  Lipps:  Die  Aufjer^die  der  Erkenntnisstheorie  etc.  213 

deumch  auffindbaren  als  Causalität  zu  bezeichnenden  Geistes- 
inhalt wir  bei  Vollziehung  des  Causalitätsgedankens  in  uns 
aufzufinden  vermögen.  Richten  wir  darauf  und  darauf  allein 
unsere  Aufmerksamkeit,  dann  meine  ich,  könne  kein  Zweifel 
bestehen,  dass,  was  wir  thatsächlich  vorfinden,  das  Streben, 
die  Nöthigung,  oder  was  sonst  in  Betracht  kommen  mag, 
nicht  als  Prädikat  der  causal  verbundenen  Objecte,  son- 
dern lediglich  als  Zustand  unseres  Denkens,  als  Bestand- 
teil, wenn  man  so  will,  unserer  Persönlichkeit  von  uns 
gewusst  werde  und  dass  wir  im  Ernst  gar  nicht  daran  den- 
ken können,  diesen  Zustand  unseres  Ich  auf  Objecte  zu  über- 
tragen. 

Nicht  als  ob  mit  der  Aufzeigung  der  subjectiven  Willens- 
phänomene und  zeitlichen  Beziehungen  zwischen  solchen,  aus 
denen  sich  im  Wesentlichen  die  verschiedenen  Denkbeziehungen 
zusammensetzen,  die  Arbeit  gethan  wäre.  Es  muss  auch 
weiter  gezeigt  werden,  auf  welche  Weise  sie  entstehen  können 
und  gesetzmässig  entstehen  müssen.  A  ist  Ursache  des  B, 
dies  heisst,  wenn  ich  die  oben  abgegebene  Erklärung  in  etwas 
deutlicheren  Worten  wiederhole:  meiner  ĂĽeberzeugung,  der 
Vorstellimgsinhalt  A  mässe  von  mir  an  irgend  einer  Stelle 
der  objectiven  Welt  als  gleichfalls  objectiv  vorhanden  aner- 
kannt werden,  folgt  die  gleiche  Ăśeberzeugung  hinsichtlich  des 
B,  der  Art,  dass  damit  zugleich  als  dritter  Bewusstseinsinhalt 
sich  die  Nöthigung  verbindet,  es  bei  der  Anerkennung  des  B 
zu  belassen,  falls  sich  nicht  auch  das  A  dem  Versuch  der 
Wiederaufhebung  und  Ersetzung  durch  gleichgĂĽltig  welches  A' 
fĂĽgt  Aber  damit  ist  nicht  gesagt,  wie  A  und  B  in  dies  sub- 
jective  Verhältniss  gerathen  können;  es  ist  noch  weniger  er- 
klärt, warum  für  jedes  B  ein  solches  A  gefordert,  für  jedes 
Geschehen  eine  Ursache  angenommen  werden  mĂĽsse.  Dass 
Gewohnheit  und  Erfahrung  dies  zuwege  zu  bringen  nicht 
ausreichen,  steht  mir  trotz  Hume's  geistvoll  originaler  und 
J.  St.  MilVs  sonderbar  im  Kreis  sich  drehender  Erörterung 
fest  Es  muss  ein  Denkgesetz  aufgezeigt  werden,  das  der 
Allgemeinheit  und  Nothwendigkeit  des  causalen  Urtheilens 
imd  des  Urtheilens  ĂĽberhaupt  zu  Grunde  liegt  und  es  muss 
deutlich  dargethan   werden,   wie   dies  Denkgesetz  mit   den 


214  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

» 

Einzelerfahrungen  zusammen  so  merkwĂĽrdige  Resultate  zu  er- 
zielen im  Stande  ist.  Da  das  Wesen  der  Causalität  in  Wil- 
lensphänomenen sich  darstellt,  so  kann  diese  Untersuchung 
wiederum  nicht  geführt  werden,  ohne  dass  die  Frage  erörtert 
wäre,  wie  denn  Willensphänomene  überhaupt  entstehen  oder 
welche  EigenthĂĽmlichkeiten  des  Vorstellungsverlaufes  sich  in 
ihnen  verrathen.  Die  Untersuchung  jener  Frage  ergibt,  dass 
Causalitäts-  (und  Substantialitäts-)  Urtheile  zu  Stande  kom- 
men durch  einen  psychologischen  Process,  dem  man  keinen 
anderen  Namen  geben  kann,  als  den  des  inductiven.  Es 
scheint  mir  demnach  auch  die  Induction  der  EinfĂĽhrung  des 
Causalitäts-  (Substantialitäts-  und  Eigenschafts-)  Begriffs  in 
der  Erkenntnisslehre  zweckmässiger  Weise  voranzugehen. 

Es  gibt  keine  Bedingungsurtheile,  diesem  Satze  tritt  der 
andere  ergänzend  zur  Seite,  dass  es  kein  Urtheil  gebe,  in 
dem  nicht  der  Begriff  der  Bedingung  Anwendung  fände.  In 
jedem  Urtheil  nämlich  ist  das  logische  Subject  die  {im  Satz 
meist  nur  unvollkommen  zum  Ausdruck  kommende)  Bedin- 
gung, unter  der  ich  den  Inhalt  des  Prädikats  vorstellen  zu 
sollen  mir  bewusst  bin.  Dieser  Stein  fallt;  sage  ich  so,  dann 
erkläre  ich  das  Fallen  nicht  überhaupt,  sondern  (zunächst 
wenigstens)  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass  es  das  Fallen 
dieses  Steines  sei,  für  thatsächlich.  So  bin  ich  mir  beim  er- 
klärenden Urtheil  Wölfe  sind  Raubthiere  bewusst,  nicht  über- 
haupt, sondern  nur  unter  der  Bedingung,  dass  der .  Name 
Wolf  Geltung  habe,  Wesen  als  mit  Raubthiereigenschaften 
begabt,  vorstellen  zu  müssen.  Das  Urtheil  ist,  so  können 
wir  unsere  ehemalige  Definition  modificiren,  das  Bewusstsein 
der  Nothwendigkeit  eines  Vorstellungsinhaltes  unter  Voraus- 
setzung eines  anderen,  mit  ihm  in  irgendwelcher  Weise  ver- 
bundenen. Auf  diesen  Thatbestand  bezieht  sich  das  allge- 
meinste Denkgesetz  (I),  das  die  in  der  Natur  des  mensch- 
lichen Geistes  gegrĂĽndete  Nothwendigkeit  zum  Ausdruck  bringt, 
unter  gleichen  Voraussetzungen  bei  der  Bejahung  oder  Ver- 
neinung gleicher  Vorstellungsinhalte  zu  beharren.  Es  ergibt 
sich  daraus  direkt  als  specieller  Fall  das  Gesetz  der  Identität 
oder  (wenn  negativ  ausgedrĂĽckt)  des  Widerspruchs  in  der 
Form,   die  ich  ihnen  glaube   geben  zu  mĂĽssen,   wenn   sie 


Tb.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  215 

wiiUich  Gesetze  des  Denkens  sein  sollen ;  und  durch  Umkehrung 
der  Satz:  jede  Veränderung  hat  ihre  Ursache,  richtiger:  jeder 
Uebergang  von  Bejahung  zur  Verneinung  eines  Vorstellungs- 
inhaltes setzt  eine  Veränderung  in  den  Bedingungen  der  ur- 
sprĂĽngUchen  Bejahung  voraus.  Fragt  man  weiter,  wie  wir 
denn  zu  den  Bedingungen  einer  Bejahung  gelangen,  so  ergibt 
sich,  dass  zunächst,  d.  h.  von  aller  Induction  der  gesammte 
objective  Weltinhalt  hierbei  in  Frage  kommt.  So  muss  das 
oben  angefĂĽhrte  Urtheil  ursprĂĽnglich  lauten:  hier  an  diesem 
Stein,  d.  h.  an  diesem  Object  d  =  aßy  das  in  den  räumlichen 
Beziehungen  ai  aa  as  etc.  zu  den  Objecten  Ai  As  Ab  etc. 
und  ui  den  zeitlichen  Beziehungen  bi  bs  bs  zu  den  Objecten 
bezw.  Vorgängen  Bi  Bs  Bs  sich  befindet,  findet  das  Fallen 
Statt.  Erfahrungen  veranlassen  dann  allmälig  eine  nach  der 
anderen  von  diesen  ursprĂĽnglichen  Bedingungen  wegzulassen 
bezw.  zuerst  ĂĽbersehene  hinzuzufĂĽgen;  dann  gilt  jedesmal 
nach  (1)  der  Inductionsschluss,  also  muss  unter  eben  diesen 
Bedingungen  das  Fallen  ĂĽberhaupt  bejaht  werden.  Schliess- 
lieh  bleiben  gewisse  Bedingungen  p  q  v,  die  nicht  fehlen  kön- 
nen, ohne  dass  zugleich  erfahrungsgemäss  die  Möglichkeit, 
das  Fallen  zu  bejahen,  aufgehoben  erscheint.  Diese  reprä- 
sentiren  dann  die  letzten,  objectiven,  Bedingungen  fĂĽr  die  Be- 
jahung dieses  Prädikats.  Selbstverständlich  gilt  wiederum  die 
V^aDgemeinerung ;  wo  diese  Bedmgungen  erfĂĽllt  sind,  muss 
das  Fallen  angenommen  werden :  die  letzten  Bedingungen  sind 
zugleich  der  objective  zureichende  Grund  der  Annahme  des 
Geschehens.  Uebertragen  wn*  die  Nöthigung,  unter  den  Vor- 
stdlungsbedingungen  pqv  allgemein  das  Fallen  mit  vorzu- 
stellen, auf  die  vorgestellten  Thatsachen,  so  wird  der  Grund 
znr  Ursache,  die  subjective  Beziehung  zum  objectiven  Band; 
treiben  wir  unsere  Anthropomorphisirungslust  noch  weiter, 
dann  legen  wir  dem  Stern  ein  Streben  zu  fallen  bei,  ohne 
zu  merken,  dass  wir  damit  doch  nur  die  eigene  Tendenz, 
das  Fallen  vorzustellen,  meinen. 

Kehren  wir  zum  Verf.  zurĂĽck.  Die  scheinbar  objectiven 
Abhängigkeitsbeziehungen  gelten  ihm  wirklich  als  solche.  Er 
stellt  darum  die  betreffenden  Sätze  denjenigen,  die  eine  that- 
sächlich  objective,  räumliche  oder  zeitliehe  Beziehung  behaupten, 


216  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  ErkeDntnisstheorie  etc. 

ohne    Weiteres    zur    Seite.      Nichtsdestoweniger    erscheinen 
auch  bei  ihm  wiederum  alle  Abhängigkeitsurtheile  als  Abhän- 
gigkeiten von  Urtheilen.     „Das  Abhängigkeitsurtheil  in  seiner 
gewöhnlichen  Form"  —  hier  erhellt  deutlich  der  grammatische 
Gesichtspunkt  —  „zerfallt  wie  jedes  Urtheil  in  zwei  Haupt- 
glieder, aber  diese  Glieder  sind  nicht  einfache   oder  zusam- 
mengesetzte Begriffe,  sondern  Unterurtheile,    deren  jedes  ein 
Begriffsverhältniss  ausdrückt  und  deren  eines  in  der  ganzen 
Abhängigkeitsbeziehung  als  das  bestimmende,  das  andere  als 
das  bestimmte  auftritt."    Ich  meine  dagegen,  dass,  objective 
Abhängigkeit  vorausgesetzt,  das  Urtheil  Der  Magnet  zieht  das 
Eisen  an  eben  so  gut  ein  Abhängigkeitsurtheil  heissen  müsse, 
als   das  andere,   „weil  der  Weltraum  von  einem  materieDen 
Medium  erfĂĽllt  ist,    so  kann  sich  das  Licht  fortpflanzen  zwi- 
schen den  Gestirnen".    Ich  meine  weiter,   dass  alle  Urtheile, 
ob  sie  sprachlich  einfach  oder  zusammengesetzt   erscheinen 
mögen,  die  Bejahung  des  Prädikats  das  eine  Mal  von  einem 
vorausgehenden  Urtheil,    das  andere  Mal  von  einem  blossen 
Vorstellungsakte  abhängig  machen  können,  ja  dass  gerade  die 
einfachen  Urtheile,  ich   meine  diejenigen,    deren  Vollziehung 
nicht  die  Vollziehung  eines  anderen  Urtheils  voraussetzt,  vor- 
zugsweise  häufig   in   hypothetisch   zusammengesetzter  Form 
auftreten  müssen.    Wenn  dies  Heer  —  ich  spreche  absicht- 
lich nicht  von  einem  Heere  ĂĽberhaupt,  da  dies  nur  eine  Ur- 
theils rege  1  ergäbe  —  geschlagen  wäre,  so  würde  es  sich  in 
Ordnung  zurĂĽckziehen  ^).    Dieses  Urtheil  sagt,   wenn  ich  es 
auf  seinen  eigentlichen  psychischen  Inhalt  zurĂĽckfĂĽhre:  indem 
ich  das  betreffende  Heer  nur  als  geschlagen  vorstelle,  ohne 
ĂĽber  die  GĂĽltigkeit  dieser  Vorstellungsverbindung  einen  posi- 
tiven oder  negativen  Entscheid  zu  fällen,  genügt  schon  dieser 
Vorstellungsakt,   um   mich   den   Vorstellungsinhalt,   den    das 
Wort  geordneter  Rückzug  bezeichnet,  als  einen  dazu  gehöri- 
gen  empfinden  zu  lassen.    Der  Satz  Das  geschlagene  Heer 


1)  Es  darf  billig  Wunder  nehmen,  dass  die  verschiedenen,  hinsichtlich 
ihres  logischen  Charakters  so  weit  von  einander  abweichenden  Arten  hy- 
pothetischer Urtheile  —  wenn  A  ist,  ist  B ;  angenommen  A  sei,  so  ist  B ; 
und:  wenn  A  (das  nicht  ist)  wäre,  so  wäre  B  —  in  der  Logik  so  wenig 
berücböchtigt  zu  werden  pflegen. 


Th.  Lippe:  Die  An/gabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  217 

zog  sich  in  Ordnung  zuräck  dagegen  lässt  ausser  der  Vorstel- 
lung des  Geschlagenseins  auch  den  positiven  Entscheid  ĂĽber 
ihre  Geltung  als  eine  der  Bedingungen  des  Prädikates  erschei- 
nen. So  sind  es  überhaupt  ,,hypothetische*^  —  ich  sage  nicht 
die  hypothetischen  Urtheile,  die  in  der  Reihe  der  Urtheile 
als  die  primären  und  ursprünglichen  zu  gelten  haben,  wo- 
gegen die  kategorischen,  wofern  sie  nicht  vielmehr  Regeln 
zu  Urtheilen  sind,  in  ihrer  Bejahung  oder .  Verneinung  jeder- 
zeit durch  eine  anderweitige  Bejahung  oder  Verneinung  be- 
dingt, also  insofern  speciellerer  und  secundärer  Natur  sein 
werden, 

Dass  der  Verf.,  nachdem  er  das,  wie  ich  meine,  dem 
urtheile  als  solchem  fernliegende  Verhältniss  der  Begriffe  zum 
Einleitungsgrund  gemacht,  nun  anderseits  den  Gegensatz  zwi- 
schen Bejahung  und  Verneinung  nicht  als  fundamental  gelten 
Ifisst,  kann  keine  Verwunderung  erregen.  Ebensowenig  be- 
fremdet, seine  Definition  des  Urtheils  vorausgesetzt,  dass  er 
negative  Urtheile  nur  secundäre  Akte  sein  und  jederzeit  po- 
sitive Urtheile  voraussetzen  lässt.  Dagegen  ist  sicher,  dass 
weder  die  eine  noch  die  andere  Auffassung  zu  recht  besteht, 
wenn  das  Urtheil  ein  Entscheid  sein  soll.  Urtheilen  heisst 
dann  bejahen  oder  verneinen  und  ich  vollziehe  kein  Urtheil, 
so  lange  ich  Gesammtvorstellungen  bilde  und  in  Elemente 
„zerlege'^  ohne  zu  einem  Entscheid  über  die  logische  Bedeu* 
tong  des  Zusammenseins  der  Elemente  zu  gelangen.  —  Nicht 
minder  steht  und  fallt  mit  jener  Anschauung  vom  Urtheil  die 
Bezeichnung  der  verneinenden  und  problematischen  Urtheile 
als  Darlegungen  unbestimmter  Begriffsverhältnisse.  Es  scheint 
mir  aber,  wenn  sie  fällt,  die  Unterscheidung  der  Urtheile  nach 
ihrer  Modalität,  wenn  auch  nicht  ganz  im  traditionellen  Sinne, 
wiederum  zu  Ehren  kommen  zu  müssen.  Urtheile  können, 
was  die  Art  des  Entscheids  angeht,  positiv,  negativ,  oder  in 
verschiedenem  Grade  schwankend  sein.  Aber  auch  wenn  wir 
uns  die  Begriffsverhältnisse  gefallen  lassen,  meine  ich,  müsse 
das  problematische  Urtheil  A  ist  vielleicht  B  nicht  als  Be- 
hauptung ehies  unbestimmten  Verhältnisses  zwischen  A  und 
B  gelten,  sondern  vielmehr  als  unbestimmte  Behauptung  eines 
i(SSo%  bestimmten,  nämlich  eben  des  Verhältnisses,   das  auch 


218  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

im  Urtheil  A  ist  B  vorliegt.  —  Schliesslich  scheint  mir  auch 
die  RĂĽckfĂĽhrung  des,  problematischen  Urtheils  A  ist  vielleicht 
B  auf  das  „negativ  alternirende^^  A  ist  B  oder  nicht,  keines- 
wegs stichhaltig.  Jenen  Satz,  der  ĂĽberhaupt  kein  Urtheil  re- 
präsentirt,  sondern  lediglich  als  Aussage  über  ein  wechselsei- 
tiges Abhängigkeitsverhältniss  von  Urtheüen  —  A  ist  B  und 
A  ist  nicht  B  —  zu  betrachten  ist,  kann  ich  aussprechen, 
auch  wenn  ich  nicht  daran  denke,  diesen,  der  ein  wirkliches 
Urtheil  involvirt,  anzuerkennen.  Jener  beruht  auf  der  That- 
sache  des  unmittelbaren  Bewusstseins,  dass  Bejahung  und 
Verneinung  die  einzigen  Arten  des  logischen  Verhaltens  sind, 
dieser  besagt  entweder,  dass  irgend  ein,  aber  nicht  zwingen- 
der, Grund  fĂĽr  die  Bejahung  des  B,  oder  dass  kein  zwingen- 
der Grund  fĂĽr  seine  Vememung  im  Bewusstsein  vorliegt 

Ich  ĂĽbergehe  die  Lehre  von  der  Umwandlung  der  Ur- 
theile,  die  mir  zur  Hervorhebung  des  Gegensatzes  der  eigent- 
lich erkenntnisstheoretisch,  also  psychologisch  verfahrenden 
und  der  zumal  in  der  Begriffs-  und  Urtheilslehre  hervorragend 
auf  Klassification  bedachten  und  dabei  dem  rein  Sprachlichen 
einen  dominirenden  Einfluss  gestattenden  Logik  des  Verfas- 
sers keine  besondere  Grelegenheit  bietet  —  diese  Hervorhebung 
und  nicht  Würdigung  ist  ja,  wie  öfter  betont,  mein  Zweck  — 
um  nur  zu  bemerken,  dass  mir  auch  die  Umwandlungslehre 
einer  erkenntnisstheoretischen  BegrĂĽndung  nicht  entbehren  zu 
können  scheint.  Dagegen  kann  ich  am  „Algorithmus  der  Ur- 
theilsfunctionen*'  einem,  wie  ich  meine,  durch  geistvolle  Durch- 
führung besonders  hervorragenden  Theile  des  Werkes  —  die 
Erörterung  umfasst  nebenbei  bemerkt  52  Seiten  —  nicht  vor- 
ĂĽber gehen,  ohne  zu  bemerken,  dass  fĂĽr  den  Standpunkt, 
auf  den  ich  mich  im  Bisherigen  glaubte  stellen  zu  mĂĽssen, 
der  ganze  logische  Calcul  nur  ein  Specialfall  des  mathemati- 
schen sein,  darum  niemals  umgekehrt  liathematik  als  einen 
Specialfall  der  Logik  deuten  könne.  Mathematik  hat  mit 
Grössen  überhaupt,  der  logische  Calcul  mit  Umfängai  von 
Begriffen,  die  er  wie  Grössen  betrachtet,  zu  thun,  Mathematik 
operirt  nĂĽt  der  Gleichheit,  der  logische  Algorithmus  mit  der 
hier  einen  Specialfall  der  Gleichheit  ausmachenden  Identität. 
Dass  trotzdem  Mathematik  ein  Specialfall  der  Lc^  hassen 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  ete.  219 

muss,  dieser  scheinbare  Widerspruch  erklärt  sich  daraus,  dass 
der  logische  Calcul  aus  der  Menge  der  logischen  Beziehungen 
nur  diejenige  herausgreift,  die,  mathematischer  Behandlungs- 
weise  zugänglich,  dennoch  logisch  nur  die  Bedeutung  eines 
gleichförmigen  Nebenerfolges  besitzt*  Alle  Menschen  sind  sterb- 
lich; wer  so  sagt,  will  diese  betrĂĽbende  Thatsache  mittheilen 
und  nicht  von  Begriffsverhältnissen,  diesen  gleichgültigen  Er- 
zeugnissen logischer  Technik,  etwas  bestimmen.  Dem  logi- 
schen Calcul  ist  eben  das  mit  dem  Aussprechen  jener  That- 
sache zugleich  geschaffene  Begriffsverhältniss  das  einzig  Werth- 
Tolle.  —  Verhält  es  sich  so  mit  der  Stellung  des  logischen 
zum  mathematischen  Calcul,  dann  liegt  es  im  hiteresse  des 
ersteren,  alles,  was  ihm  der  letztere  Brauchbares  bieten  kann, 
anzunehmen.  Vor  imaginären  Begriffszeichen  hätte  er  sich 
dabei  nicht  allzu  sehr  zu  scheuen,  da  schon  die  sprachlichen 
Begriffszeichen  zum  grössten  Theile  den*  Namen  verdienen. 
Insbesondere,  meine  ich,  könne  der  Umkehrung  der  Determi- 
nation (  ^  =  derjenige  Begriff,    der  durch  Determination  mit 

<i  zu  M  wird)  und  der  Subtraction  ein  Platz  im  logischen 
Calcul  nicht  verweigert  werden.  Die  Sätze,  dass  Identisches 
von  Identischem  abgezogen  und  durch  Identisches  reducirt  — 
unter  Reduction  verstehe  ich  eben  die  Umkehrung  der  De- 
termination—  Identisches  ergeben,  gelten  ja,  wie  sich  erwei- 
sen lässt,  ebensowohl,  wie  die  entsprechenden  Additions-  und 
Determinations  -  Regeln.  Uebrigens  muss  ich  gestehen,  dass 
meine  Versuche,  die  vom  Verfasser  gestellten  und  nach  seinen 
Grundsätzen  gelösten  logischen  Aufgaben,  mit  Hinzuziehung 
der  von  ihm  zurĂĽckgewiesenen  Subtraction  und  Reduction  zu 
lösen,  keineswegs  leichter  und  klarer  zum  Ziele  führten.  Nur 
die  Darstellung  der  Begriffs  Verhältnisse  und  Urtheilsregeln 
schien  mir  entschieden  an  Adäquatheit  und  Deutlichkeit  zu 
gewinnen. 

Der  vierte  Abschnitt  des  W^erkes  enthält  die  Lehre  von 
den  Schlussfolgerungen.  Das  Grundgesetz  des  Schliessens 
lautet:  „wenn  verschiedene  Urtheile  durch  Begriffe,  die  ihnen 
gemeinsam  angehören,  in  ein  Verhältniss  zu  euiander  gesetzt 
sind,  so  stehen  auch  die  nicht  gemeinsamen  Begriffe  solcher 


290  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  ErkenntDisstheorie  etc. 

ürtheile  in  einem  Verhältniss,  welches  in  einem  neuen  ür- 
theile  seinen  Ausdruck  findet/^  Dass  dies  Gesetz  fĂĽr  uns, 
die  wir  Urtheile  nicht  allgemein  als  Darlegungen  von  Begriffs- 
Verhältnissen  bezeichnen,  einer  wesentlichen  Aenderung  und 
genaueren  Bestimmung  bedĂĽrfte,  leuchtet  von  selbst  ein. 
Ebensowenig  brauche  ich  zu  sagen,  dass  unserm  Standpunkt 
zufolge  die  Eintheilung  der  SchlĂĽsse  in  Identitats-,  Subsum- 
tions-,  Bedingungs-  und  Beziehungsschlüsse  zunächst  darum 
nicht  ohne  Weiteres  statthaben  kann,  weil  allen  Urtheilen 
und  darum  auch  allen  SchlĂĽssen  das  gleiche  Recht,  condi- 
tional  zu  heissen,  zugestanden  werden  muss.  Ich  habe  schliess- 
lich auch  nicht  nöthig  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass 
die  Verzichtleistung  auf  eine  der  Elassification  vorangehende 
erkenntnisstheoretische  Erörterung  des  Identitats-  (Gleichheits-) 
und  Bedingungsbegriffs  und  die  nicht  völlig  radicale  Zurück- 
weisung der  unberechtigten  AnsprĂĽche  des  Subsumtionsbe- 
griffes  hier  zum  Mindesten  in  gleichem  Masse  wie  beim  Ur- 
theil  störend  einwirken  müssen. 

So  gibt  es  besonders  unzählige  Schlüsse,  die  dem  Verf. 
zufolge  unter  die  SubsumtionsschlĂĽsse  fallen  mĂĽssten,  obgleich 
sie,  ohne  an  Begriffsunterordnung  oder  Einreihung  in  eine 
Klasse  zu  denken,  nur  gewissen  Objecten  ein  Merkmal  zu 
sichern  beabsichtigen.  Da  diese  Ausdehnung  des  Subsum- 
tionsbegriffes  der  Hauptsache  nach  die  nothwendige  Folge 
einer  schon  bei  Eintheilung  der  Urtheile  zu  Tage  getretenen 
Anschauung  ist,  so  könnte  ich  hier  auf  nochmalige  Betonung 
meines  entgegengesetzten  Standpunktes  verzichten.  Es  wird 
aber  hier  häufiger  als  dort  zur  näheren  Bezeichnung  der  Sub- 
sumtion ein  Ausdruck  gebraucht,  der  diesem  Begriff  ein  an- 
deres Gepräge  zu  geben  scheinen  könnte,  ich  meine  den  Aus- 
druck Unterordnung  oder  Einreihung  in  eine  Klasse  von 
Objecten.  Dass  der  Begriff  ein  Gebilde  der  Denktechnik 
sei,  das  als  solches  keine  objective  Wirklichkeit  besitze,  dass 
demnach  einem  Urtheil  nur  nachgesagt  werden  könne,  es 
wolle  ein  Verhältniss  zu  Begriffen,  specieU  eine  BegrifFssub- 
sumtion  aussagen,  wenn  es  nicht  die  Absicht  hat,  objec- 
tive Thaibestände  zum  Bewusstsein  zu  bringen,  konnten  wir 
nicht  bezweifeln.    Um  so  mehr  könnte  man  darauf  dringen, 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  221 

die  Einreihung  eines  A  in  eine  Klasse  B  ein  objectiv 
Thatsachliches  bezeichne.  Indessen  ich  meine,  die  Sache  ver- 
halte sich  hiet  wie  dort.  Auch  die  Klasse  ist  objectiv  nichts. 
Sie  entsteht  aus  den  einzelnen  bidividuen  durch  mein  subjec- 
ĂśYes  Vergleichen,  und  sie  wird  zusammengehalten  durch  den 
ĂĽbereinstimmenden  Namen.  Was  davon  bleibt,  wenn  ich 
meioe  Weise,  die  Individuen  denkend  und  benennend  zu  ver- 
einigen, abziehe,  sind  eben  die  einzelnen,  übrigens  mög- 
licherweise unter  sich  in  den  manchfachsten  Beziehungen 
stehenden  Individuen.  Nur  zu  ihnen,  den  einzelnen  B, 
könnte  das  A  in  Beziehung  gedacht  werden,  wenn  es  ob- 
jectiv zur  Klasse  sich  irgendwie  verhalten  sollte.  Dies  meint 
man  nicht,  wenn  man  die  Zugehörigkeit  zur  Klasse  be- 
hauptet, also  kann  kein  ĂĽber  Objecte  etwas  aussagendes 
Urtheil  ein  in  Klassen  einfĂĽgendes  Subsumtionsurtheil  heis- 
sen.  —  Man  verzeihe  den  .Umschweif.  Ich  meine,  es  ist  von 
Tomherein  klar,  dass  A  gehört  zur  Klasse  B  objectiver  Weise 
nichts  heissen  kann,  als  A  hat  das  Prädikat  B,  nur  dass 
dabei  das  Nebenurtheil,  es  gebe  auch  B,  die  nicht  A  seien, 
nicht  ausgeschlossen  bleibt,  dass  mit  anderen  Worten  die 
universale  Umkehrbarkeit  des  Urtheils  nicht  zugleich  mit  ge- 
dacht wird.  Nun  ist  das  Bewusstsein  der  universalen  Um- 
kehrbarkeit eines  A  ist  B,  das  Urtheil  alle  B  sind  A  also, 
niemals  in  dem  A  ist  B  selbst  enthalten,  muss  viehnehr 
jederzeit  zu  ihm  als  ein  zweites  Urtheil  (mit  B  als  Subject 
und  A  als  Prädikat)  erst  hinzukommen;  folglich  ist  das  ob- 
jective  Subsumtionsurtheil  ein  Urtheil  ĂĽberhaupt,  ohne  irgend 
welche  dem  Worte  Subsumtion  entsprechende  besondere  Eigen- 
thĂĽinlichkeit. 

Der  Verf.  nun  sieht  in  Subsumtionsurtheilen,  hier  ent- 
schiedener als  bei  der  Urtheilslehre,  auch  objective  Ur- 
thefle.  Dann  muss  er,  so  meine  ich,  das  Subsumtionsurtheil 
dem  Urtheil  ĂĽberhaupt  und  entsprechend  den  Subsumtions- 
schluss  dem  Schluss  ĂĽberhaupt  gleich  setzen,  also  auf  den 
Versach,  andere  SchlĂĽsse  dieser  Gattung  zu  coordiniren,  ver- 
zichten. Verf.  thut  dies  nicht.  Trotzdem  bestimmt  er  schliess- 
Ăźch  den  Subsumtionsschluss  in  der  Weise  allgemein,  dass  die 
Bestinunung  im  Grunde  eine  Gleichsetzung  von  Schluss  und 


332  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

SubsumtioDsschluss   bedeutet.     Er   nennt  nämlicb   mit  dem 
letzteren  Namen  alle  SchlĂĽsse,   die  entweder  einen  einzelnen 
Begriff  einer  allgemeinen  Gattung  unterordnen  oder  eine  all- 
gemeine Regel  auf  einen  speciellen  Fall  anwenden.  Es  genĂĽgt 
aber,  soviel  ich  sehe,  die  letztere  Angabe,  um  aUe  denkbaren 
Schlässe  zu  charakterisiren.    Der  ScUuss  ist,  so  meine  ich, 
immer  die  Anwendung  einer  Regel  auf  einen  speciellen  Fall. 
Selbst  die  vom  Verf.  sogenannten  verificirenden  Bedingungs- 
schlĂĽsse, wenn  A  B  ist,  ist  C  D ;  nun  ist  A  B,  also  ist  C  D, 
können  davon  keine   eigentliche  Ausnahme  machen,   da  sie 
nur  den  Grenzfall  repräsentiren,  in  dem  der  specielle  Fall  zu- 
gleich alle  Fälle  in  sich  schliesst.   Das  allgemeine  Schema  des 
Schliessens  lautet  unter  dieser  Voraussetzung:  W^enn  A  vor- 
gestellt werden  muss,   so  muss  B  vorgestellt  werden;  nun 
muss  A  vorgestellt  werden,   also  gilt  dasselbe  von  B.    Es 
bestimmt  sich  dies  Schema  näher,    je  nachdem  zu  A  oder 
zu  B  noch  irgend  welche  hypothetisch   angenommene  oder 
als    erfĂĽllt    gedachte   Bedingungen    ihres   Vorgestelltwerden- 
müssens   hinzutreten.   —   Dass   die   vom  Verf.    sogenannten 
Identitätsurtheile  —  Urtheile,  in  denen  Subject  und  Prädikat 
sich  „decken",   oder  deutlicher:   Urtheile,-   die  mit  dem  Be- 
wusstsein  der  universalen  Umkehrbarkeit  verbunden  sind  — 
eigentlich  Doppelurtheile  heissen  mĂĽssen,  wurde  schon  gesagt. 
Der  Identitätsschluss   ist*  dann  ebenso  ein  Doppelächluss,   in 
dem  ganz  wie  sonst  Regeln  auf  einzebie  Fälle   angewandt 
werden.    Alle  A  sind  alle  B,  zerlegt  sich  in  (la)  alle  A  sind 
B  und  (Ib)  alle  B  sind  A;  ebenso  alle  B  sind  alle  G  in  (IIa) 
alle  B  sind  C  und  (IIb)   alle  G  sind  B;    aus  la   und  IIa 
folgt:   (Illa)  alle  A   sind  G  aus  Ib   und  IIb  gleicherweise 
(nib)  alle  G  sind  A.   Vereinigen  wir  Illa  und  III  b,  so  ergibt 
sich  die  identische  Gonclusion,  alle  A  sind  alle  G,  ohne  dass 
ein  anderes  Verfahren  angewandt  worden  wäre,  als  das  der 
Subsumtion  von  Fällen  uhter  Regeln.  —  Die  Art,   wie  der 
Verfasser    unter    den    verschiedenen   Identitätsschlüssen    die 
mathematischen  Gleichungsschlüsse  nur  einfach  mit  aufzählt, 
lässt  von  Neuem  den  Mangel  einer  Verständlichmachung  des 
Sinnes,  den  das  =  vertritt,  bedauern.    Wenn  irgend  etwas, 
so  scheint  mir  die  Frage,   worin  das  Wesen  der  mathemati- 


Th.  Lippe:  Die  Aufi^abe  der  Erkenntnjeetheorie  etc.  9t8 

sehen  GleichseizuBg,  das  Wesen  der  mathematischen  Grund- 
operationen ĂĽberhaupt  bestehe,  von  erkenntnisstheoretischem 
Interesse. 

Ich  habe  aber  weiter  gegen  die  Stellung,  welche  die 
Wahrscheinlichkeits-  und  AnalogieschlĂĽsse  beim  Verf.  ein- 
nehmen, eine  Einwendung  zu  machen.  Sie  scheinen  mir  der 
Hauptsache  nach  gar  nicht  in  die  Lehre  vom  deductiven 
Schluss  —  von  diesem  ist  hier  überall  die  Rede  — zu  ge- 
hören, also  sicher  nicht  den  deductiven  Subsumlionsschlüssen 
untei^eordnet  werden  zu  dĂĽrfen.  Die  Ladungen,  die  sich  auf 
dem  von  Kapitän  M  geführten  Schiffe  befanden,  sind  meist 
(wenn  man  will,  immer)  durch  Sturm  beschädigt  worden. 
X  hat  seine  Waaren  dem  Kapitän  M  anvertraut.  Also  wer- 
den sie  wahrscheinlich  auf  dieselbe  Weise  beschädigt  werden. 
Diesen  Schluss  mĂĽsste  sich  der  Verf.,  obgleich  er  ihn  nicht 
anfĂĽhrt,  seiner  Definition  zufolge  gefallen  lassen.  M  ist 
meistens  P,  S  ist  M,  also  ist  S  wahrscheinlich  P;  so  lautet 
das  der  Definition  entsprechende  Schema.  Trotzdem  ist  der 
Schluss  völlig  unerlaubt  imd  es  leuchtet  ein,  warum.  Die 
Beschädigung  durch  Sturm  hat  nichts  mit  der  Person  des 
Kapitäns  zu  thun,  d.  h.  es  kann  mein  Bewusstsein,  der  Ka- 
pitän M  führe  das  Schiff,  mich  weder  dazu  zwingen,  noch 
in  irgend  welchem  Grade  nöthigen  oder  geneigt  machen  (ich 
mfisste  denn  an  die  Fähigkeit  gewisser  Menschen  glauben, 
Sturm  herbeizuzaubem) ,  die  Vorstellung  der  Beschädigung 
ihm  anvertrauter  Waaren  durch  Sturm  zu  bejahen.  Es  ist 
mithin,  wenigstens  so  weit  ich  wissenschaftlich  denke,  unmög- 
lich, dass  ich  aus  der  Vielheit  der  Fälle  eine  unzweifelhafte 
oder  ehie  Wahrscheinlichkeitsregel  inducire.  Nur  dann  aber, 
wenn  dies  geschehen  wäre,  könnte  ich  —  aus  der  Wahrschein- 
lichkeitsregel,  nicht  aus  dem  Häufigkeitsurtheil  —  das  be- 
sondere Urtheil:  Also  wird  die  Ladung  leiden,  folgern.  All- 
gemeiner ausgedrückt.  Aus  der  Vielheit  der  Fälle,  in  denen 
ein  M  P  ist,  folgt  fĂĽr  einen  neuen  Fall  gar  nichts,  absolut  gar 
nichts.  Vielleicht  aber  lässt  sich  aus  der  Vielheit  der  Fälle, 
oder  richtiger  aus  ihrer  Verschiedenartigkeit  durch  ein  induc- 
ĂĽ?es  Verfahren  (dessen  Wesen  frĂĽher  angedeutet  wurde)  eine 
Hegel  gewinnen,   der  zufolge  M  in  gewissem  Grade  zur  Be- 


3S4  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

jahung  von  P  nöthigt,  für  diese  Bejahung  als  stärkerer  oder 
schwächerer,  vollständigerer  oder  weniger  vollständiger  Nöthi- 
gungsgrund  zu  gelten  hat,  dann  folgt  daraus  auf  dem  ge- 
wöhnlichen Wege,  dass  ein  bestimmtes  neues  M  P  sei  und 
es  folgt  mit  eben  der  Wahrscheinlichkeit,  die  auch  der  Regel 
zukommt.  —  Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Analogieschluss. 
Auch  er  ist  in  der  That  eine  Verbindung  der  Induction  mit 
landläufiger  Deduction  und  nichts  weniger  als  eine  Art  des 
einfachen  Subsumtionsschlusses. 

Haben  Wahrscheinlichkeits-  und  Analogieschluss  nach 
dem  Verf.  mit  Induction  nichts  zu  thun,  so  theilen  sich  ihm 
zufolge  andererseits  die  Beziehungsschlässe  —  so  heissen  die- 
jenigen Schlüsse,  die  „nur  die  Folgerung  ergeben,  dass  zwi- 
schen den  in  der  Gonclusion  durch  den  Mittelbegriff  verbun- 
denen Begriffen  irgend  eine  Beziehung  bestehe"  —  der  Art 
ins  Geschäft  der  hiduction,  dass  der  „Vergleichungsschluss" 
der  Begriffsbildung,  der  „Verbindungsschluss"  der  Generali- 
sation  der  Thatsachen  dient.  Nun  halte  ich  es  für  höchst 
werthvoll,  dass  Verf.  der  Unterschätzung  des  Syllogismus 
gegenĂĽber  aufs  Deutlichste  dessen  Aufgabe  betont,  solche  Er- 
kenntnisse zu  ergeben,  die  bei  der  Aufstellung  der  Prämissen 
nicht  gedient  haben,  also  neue  Erkenntnisse  zuwege  zu  brin- 
gen. Ich  meine  aber,  dass  eben  dann  die  „Beziehungsschlüsse", 
wenigstens  in  ihrer  einfachen  Form,  durchaus  nicht  SchlĂĽsse 
heissen  dĂĽrfen.  Aus  den  beiden  Urtheilen :  A  hat  das  Merk- 
mal M  und  B  hat  das  Merkmal  M,  folgt  zunächst  nicht  die 
Erkenntniss,  dass  A  und  B  ein  ĂĽbereinstimmendes  Merkmal 
haben  oder  irgendwie  sich  gleichen.  Vielmehr  setzt  die  Ent- 
stehung des  Gleichheits-  oder  Uebereinstimmungsbegriffs  voraus, 
dass  ich  in  einem  Denkakt  das  eine  M  sowohl  hiosichtlich 
des  A  als  hinsichtlich  des  B  bejahe,  oder  bestimmter,  es  be- 
steht der  Sinn  jener  Worte  eben  in  dieser  subjectiven  That- 
Sache  der  gleichzeitigen  Doppelbejahung  eines  Inhaltes, 
ebenso  wie  die  Verschiedenheit  in  nichts  Anderem  als  in  der 
Vereinigung  von  Bejahung  und  Verneinung  an  dem  einen 
M  ihr  Wesen  hat.    Habe  ich  aber   die  A  M   und  B  M   in 

A\ 

solcher  Weise  in  ein  g  J^M  verwandelt,  dann  ist  es  nichts 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  etc.  225 

als  die  Constatirung  dieser  die  Objecte   unberĂĽhrt  lassenden 
und  zum  Inhalt   der  Prämissen  nichts  Neues  hinzufügenden 
subjectiven  Weise  Urtheile  A  M  und  B  M  in  Verbindung  zu 
bringen,  wenn  ich  sage:  A  und  B  sind  gemeinsam  M,  oder 
A  stimmt  mit  B  hinsichtlich  M  ĂĽberein  und  es  ist  nichts,  als 
eine  unbestimmtere  Formulirung  desselben  subjectiven  That- 
bestandes,   wenn   ich    sage:    A   und  B   stimmen   ĂĽberhaupt 
ii^endwie  ĂĽberein.     Eine   neue  Erkenntniss   hinsichtlich  der 
Objecte  A  und  B  ist  darin  nicht  enthalten.   Indessen  ist  offen- 
bar des  Verf.  Meinung,  wenn  nicht  aus  A  M  und  B  M,   so 
doch  aus  dem  complicirteren  A  ist  Mi,  Ms,  Ms  etc.  und  B 
ist  Ml,  Ms,  Ms  etc.  die  Einsicht  folgen  zu  lassen,  also  stim- 
men A  und  B  ĂĽberhaupt  ĂĽberein,  d.  h.  die  beiden  haben 
auch  sonstige  Merkmale  gemein.    Dann  habe  ich  dagegen  zu 
bemerken,  was  ich  in  anderer  Form  schon  gesagt  habe,  dass 
aus  der  Vielheit  der  M,  die  A  und  B  gemein  sein  mögen,  für 
die  Gemeinsamkeit  eines  neuen  M  =  Mk  an  sich  gar  nichts 
folgt,  dass  vielmehr  fĂĽr  diese  Gemeinsamkeit  nur  etwas  er- 
schlossen werden  kann  unter  der  Voraussetzung,   es  bestehe 
zwischen  jenem  M  und  diesem  MkCine  nothwendige  Beziehung, 
die  sich  in  einer  Regel,  wo  Mi,  Ms,  Ms  etc.  ist,  da  ist  (sicher 
oder  wahrscheinlich),  auch  Mk,  aussprechen  lasse.    Nun  ent- 
steht jene  Regel   durch  Induction,   ich  meine  die  Induction,. 
die  vom  Verfahren  der  Deduction  absolut  verschieden  ist,  es 
entsteht  andererseits  die  Ueberzeugung,   also  haben  auch  A 
und  B  das  weitere  gemeinsame  Merkmal  Mk,  aus  jener  Regel 
durch  gewöhnliche  Deduction.    Mithin  ist  der  Vergleichungs- 
schluss  wie  der  Schluss  der  Wahrscheinlichkeit  und  Analogie 
(von  welch  letzterem  ich  ihn  freilich  gar  nicht  zu  unterschei- 
den weiss)'  eine  Vereinigung   der   beiden  ^chlussarten   und 
nicht  ein  Inductionsschluss,  der  als  solcher  eine  Art  der  De- 
duction oder  ein  Deductionsschluss,  der  um  seiner  besondern 
EigenthĂĽmlichkeit  willen  eine  Induction  heissen  mĂĽsste.    Im 
Gnmd  gibt  dies  der  Verfasser  selbst  zu,  wenn  er  gelegentlich 
verlangt,   dass  die  M,  aus  denen  eine  Uebereinstimmung  der 
A  und  B  ĂĽberhaupt  folgen  solle,    charakteristische  Merkmale 
oder  Merkmale   von  allgemeinerer  Bedeutung   seien.     Denn 
dies  heisst  nichts,   als  sie  mĂĽssen  Merkmale  sein,   die  eine 

PhiloMph.  XonaUhefte  1881.  IV  a.  V.  15 


226  Th.  Lipps:  Die  Auf|;abe  der  Erkenntnisstheorie  etc. 

Regel,  wo  Ml,  Ms,  Ms  vorhanden  sind,  sind  auch  weiteres  M 
vorhanden,  erlauben.  Es  fragt  sich  dann  nur  noch,  wie  diese 
Regel  zu  Stande  kommen  kann.  —  Einfacher  steht  die  Sache 
bei  den  „Verbindungsschlässen^\  die  den  (nothwendigen)  Zu- 
sammenhang zweier  Erscheinungen  aus  der  Vielheit  der  Fälle, 
in  denen  sie  gemeinsam  zu  Tage  treten,  folgern  sollen.  Hier 
ist  es  eben  die  Nothwendigkeit  des  Zusammenhangs  der  Er- 
scheinungen, die  nicht  aus  der  Vielheit  der  Fälle  ohne  Wei- 
teres erfolgt,  wohl  aber  möglicherweise  aus  ihrer  Verschieden- 
artigkeit durch  ein  inductives  Verfahren,  das  Wort  in  unserm 
Sinne  genommen,  gewonnen  werden  kann. 

Man  sieht,  worum  es  sich  handelt.  Um  nichts  mehr  und 
nichts  weniger,  als  die  Frage,  ob  Induction  etwas  ganz  Eigen- 
artiges sei,  oder  ob  sie  auf  eine  Art  von  Deductionsschluss 
sich  zurĂĽckfĂĽhren  lasse.  Der  Verf.  versucht  dieses.  Ich  bin 
ganz  und  gar  jener  Meinung.  Es  gibt,  so  scheint  mir,  keine 
Induction,  also  keine  Verallgemeinerung,  keine  Erkenntniss, 
die  irgendwie  ĂĽber  das  wahrgenommene  Einzelfaktum  hinaus- 
geht, oder  sie  beruht  auf  dem  Satz,  dass  unter  gleichen  (voll- 
ständigen) Bedingungen  durchweg  Gleiches  bejaht  oder  ver- 
neint werden  mĂĽsse,  auf  dem  Satze  also,  den  ich  das  Denk- 
gesetz nannte,  weil  ich  die  ĂĽbrigen  aus  ihm  ableitbar  glaube. 

Indem  ich  die  Erörterung  der  „Schlusskette"  und  des 
„Algorithmus  des  Schliessens"  übergehe,  schliesse  ich  mit 
jener  Bemerkung  überhaupt  gegenwärtigen  (vorletzten)  Ab- 
schnitt meines  Aufsatzes. 

Bonn.  Th.  Lipps. 


E.  Ton  Hartmann:  Bahn9en*8  Realdialektik.  991 


Bahnsen'»  Realdialektik  ^). 

Von 

Eduard  von  Hartmann. 


Die  frĂĽheren  Schriften  Bahnsen's  stellten  mehr  oder 
minder  Parerga  eines  eigenartigen  philosophischen  Standpunktes 
dar,  dem  eine  zusammenhängende  Skizzirung  ebenso  wie  eine 
systematische  Grundlegung  gebrach,  und  der  in  seiner  para- 
doxen Originalität  dem  Verständniss  sich  um  so  weniger  leicht 
erschloss,  als  die  ungewöhnliche  Schreibweise  des  Verf.  die 
sachlichen  Schwierigkeiten  noch  erhöhte.  Bei  dieser  Sachlage 
dĂĽrfte  die  kritische  Darstellung  dieses  Standpunktes,  welche 
ich  in  früheren  VerölBfentlichungen  *)  versucht  habe,  wesent- 
lich dazu  beigetragen  haben,  dem  In-  und  Ausland  den  Na- 
men B.'s  bekannt  zu  machen,  das  Verständniss  seiner  Inten- 
tionen zu  erleichtern  und  durch  beides  seinen  Schriften  Ein- 
gang zu  verschaffen.  Dass  ich  die  Bedeutung  B.'s  und  seiner 
Stellung  in  der  Geschichte  der  Philosophie  überschätzt  habe, 
hat  man  mir  öfters  zum  Vorwurf  gemacht  —  Hellenbach®) 
nennt  meine  Darstellung  gradezu  eine  möglichst  idealisirte  — ; 
dass  irgend  Jemand  die  ihm  von  mir  gezollte  Anerkennung 
zu  gering  gefunden  hätte,  davon  ist  mir  nichts  zu  Ohren  ge- 
kommen.    Nur  B.  selbst  ist  anderer  Meinung  und   sieht  in 

1)  Der  Widerspruch  im  Wissen  und  Wesen  der  Welt.  Princip  und 
Emzelbewfthnmg  der  Realdialektik.  Von  Dr.  Julius  Bahnsen.  Bd.  I, 
Berlin  bei  Th.  Grieben.    1880.    XXII  u.  462  Seiten. 

2)  Phil.  Monatshefte  1870  Bd.  lY  Nr.  5  S.  378—408;  Die  Gegenwart 
1876  Nr.  28,  30  u.  32;  Unsere  Zeit  1876  Nr.  21-22  S.  641-655,  767-783; 
letzterer  Aufsatz  erschien  auch  in  französischer  Uebersetzung  in  der  Re- 
▼Qe  philosopbique  und  in  spanischer  in  der  Revista  contemporänea. 
ABe  diese  journalistischen  Aufsätze  sind  zusammengefügt  in  meinem  Werk : 
»Senkantianismus,  Schopenhauerianismus  und  Hegelianismus*  (Berlin  1877) 
S.  11-14,  31—38,  175-257. 

3)  Der  IndiTidualismus  im  Lichte  der  Biologie  und  Philosophie  der 
Gegenwart  (Wien  1878)  S.  160—161.  Vgl.  auchO.Plumacher:  Zwei  Indi- 
Tidualisten  der  Schopenhauerschen  Schule  (Wien  1881)  S.  4—5. 


228  E.  Ton  Hartmann:  Bahnsen^s  Realdialektik. 

meiner  Darstellung  ein  „Zerrbild*^  seiner  Philosophie,  ein 
meuchlerisches  Attentat  auf  sein  noch  neugeborenes  System 
(S.  VIII  u.  47  seines  neuen  Werks);  —  wie  dem  auch  sei, 
er  kann  meiner  Kritik  die  Anerkennung  nicht  versagen,  dass 
sie  ihn  gespornt,  das  Versäumte  nachzuholen  imd  mit  um  so 
strammer  geschnalltem  Schwertgurt  vor  die  feindliche  Front 
zu  treten  (S.  Vni). 

Wenn  B.  sich  inzwischen  zu  persönlichen  AngriflTen  gegen 
mich  hat  hinreissen  lassen,  die  er  selbst  als  „übelriechend'^ 
bezeichnen  musste^),  so  wird  man  kaum  den  normalen  Be- 
urtheilungsmassstab  an  die  Ausfälle  eines  Mannes  anlegen 
dürfen,  der  sich  „von  allen  Seiten  mit  hämischen  Verleum- 
dungen gezwickt  und  gezwackt"  wähnt  (S.  VII).  Immerhin 
wĂĽrden  diese  beleidigenden  Angriffe,  welche  ĂĽbrigens  von 
verschiedenen  Seiten  hinlängliche  Zurückweisung  erfahren 
haben"),  mir  das  volle  Recht  geben,  die  vorliegende  Fort- 
setzung der  B.'schen  Polemik  gegen  mich  zu  ignoriren;  wenn 
ich  gleichwohl  im  Interesse  der  Sache  den  Faden  eines  lang- 
jährigen Dialog's  aufnehme,  so  glaube  ich  damit  den  stärk- 
sten Belag  zu  dem  Urtheil  Max  Schneidewin's  ')  zu  liefern,  dass 
bei  mir  die  Empfänglichkeit  für  das  Persönliche  und  Nicht- 
sachliche in  der  fremden  Beurtheilung  ĂĽberwunden  sei.  Da 
jedoch  die  Klage,  von  mir  mit  hämischer  Tücke  verfolgt  zu 
sein,  sich  wie  ein  rother  Faden  durch  B.'s  Buch  hindurch- 
zieht, so  glaube  ich  der  Situation  in  soweit  Rechnung  tragen 
zu  sollen,  dass  ich  mich  auf  eine  rein  sachliche  Erörterung 
beschränke  und  mich  jedes  Urtheils  über  den  formalen  Werth 
dieser  jĂĽngsten  Leistung  enthalte,  um  jener  grundlosen  Ein- 
bildung nicht  mehr  Nahrung  zuzufĂĽhren,  als  dies  -  auch  bei 
der  sachlichsten  Kritik  einem  Manne  gegenĂĽber  unvermeid- 
lich ist,  der  das  Hauptoperationsmittel  der  Kritik,  die  reductio 
ad  absurdum,  persönlich  übelninunt.  Und  doch  dürfte  seinem 
Princip  nach  Niemand  weniger  empfindlich  hiergegen  sein  als 


1)  Jenaer  Literatur-Zeitung  1878  Nr.  23. 

2)  Jenaer  Lit.-Ztg.  1878  Nr.  30  (ErUftrung  des  Dr.  med.  Venu); 
Zeitschr.  fĂĽr  Phil,  und  phU.  Krit.  Bd.  74  S.272  (Prof.J.  Rehmke);  Unsere 
Zeit  1879  Nr.  5  S.  328-329  (0.  Plumacher). 

3)  Die  homerische  NaiviUt  (Hameln  1878)  S.  238. 


ÂŁ.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik.  229 

der  Realdialektiker;  denn  wer  „in  sich  selber  den  Widc|r- 
spnich  aufgenommen  und  verwunden  hat,  ist  gegen  einseitig 
logische  Insulten  so  unverwundbar  und  aller  nicht  selber 
dialektischen  Kritik  gegenĂĽber  so  gefeit,  wie  der  Giftesser 
gegen  Wirkungen,  welche  fĂĽr  jeden  nicht  gleicherweise  hn- 
prägnirten  absolut  tödtlich  sind*^  (229).  Dieses  Bewusstsein 
der  „Unverwundbarkeit"  müsste  doch,  wenn  irgend  etwas, 
im  Stande  sein,  jene  „Furchtlosigkeit"  zu  erzeugen,  welche, 
auch  ohne  grade  in  Verachtung  auszumünden,  „in  die  Kühle 
einer  Atmosphäre  hinaufhebt,  wo  man  weder  grob  noch 
pathetisch  wird"  (182);  leider  hat  B.  es  vorgezogen,  einen 
persönlichen  Belag  zu  seinem  Satze  zu  liefern:  „nichts  bringt 
leichter  und  gewisser  auf,  als  die  Gelassenheit,  welche 
uns  entgegentritt,  wo  wir  das  Gegentheil  meinten  erwarten 
zu  müssen"  (57—58). 

1.   Hegel'sche  und  Bahnsen'sche  Dialektik. 

B.  bekennt,  dass  seine  Realdialektik  nicht  die  Vernunft 
sondern  die  Herzensnoth  zur  Hebeamme  gehabt,  die  Herzens- 
noth  des  Individualwesens,  „seiner  selbst  als  eines  Goncre- 
ments  unvereinbaren  Zusammens  von  Ja  und  Nein"  inne  zu 
werden;  er  fügt  aber  hinzu,  dass  diesem  „praktischen hnpuls 
individuell  subjectiven  Erlebens"  sich  alsbald  theoretische  Mo- 
tive hinzugesellen  (S.  10—11).  „Sie  war  ursprünglich  ange- 
regt durch  die  Wahrnehmung  von  der  Negativität  des  Welt- 
charakters; an  diesen  quasi-HegeFschen  Kern  hatte  sich  erst 
späterhin  die  Schopenhauer'sche  Willenslehre  herumkrystaUi- 
sirt,  zur  todten  Abstraction  das  lebendige  Beweismaterial  lie- 
fernd" (199).  Hiemach  wird  zur  geschichtlichen  Orientirung 
vor  Allem  ein  Vergleich  zwischen  Hegel's  und  B.*s  Dialektik 
erforderlich  sein,  undB.  selbst  bemĂĽht  sich  an  vielen  Stellen, 
diesen  Unterschied  klar  zu  machen,  „weil  er  nicht  in  die 
Lage  kommen  möchte,  sich  zurückziehen  zu  müssen  vor  Schreck- 
schĂĽssen, wie  man  sie  den  Vertretern  der  HegeVschen  Dia- 
lektik mit  bestem  Erfolge  aus  der  Pistole  der  Logik  entgegen- 
feuem  kann"  (4).  Die  Unterschiede,  welche  B.  angibt,  lassen 
äch  in  vier  Gruppen  sondern. 


230  ÂŁ.  von  Hartmann:  Babnsen^s  Realdialektik. 

a)  Hegel's  Dialektik  soll  blosse  Verbaldialektik,  diejenige 
B.'s  Realdialektik  sein,  die  erstere  blos  die  ,Jldethode*^  in 
der  Fortbewegung  des  Begriffs,  die  letztere  die  Form  des 
realen  Weltprocesses,  das  in  den  Dingen  selber  waltende  Ge- 
setz darstellen  (S.  1,  242).  Dies  ist  nun  entschieden  unrich- 
tig, und  der  Ausdruck  „Verbaldialektik*'  von  vornherein  irre- 
leitend. Worte  ohne  Begriflfe  will  Hegel  am  wenigsten  geben, 
seine  Dialektik  ist  also  BegrifTsdialektik  und  bewegt  sich 
nur  in  Worten,  wie  diejenige  B.'s  es  auch  muss.  Aber  auch 
als  Begriffsdialektik  will  sie  nicht  ein  unwirkliches,  ideales  oder 
subjectives  Gedankenspiel  sein,  sondern  das  subjective  Abbild 
des  realen  Weltprocesses,  das  zugleich  dessen  ideales  UrbQd 
repräsentirt.  Auch  bei  B.  zwingt  die  realdialektische  Reali- 
tät dazu,  zu  einander  wechelsweise  aufhebenden  Worten  zu 
greifen  und  durch  bewusste  contradictio  in  adjecto  den  mög- 
lichst adäquaten  sprachlichen  Ausdruck  für  die  Wahrheit  zu 
gewinnen  (45) ;  auch  B.  glaubt,  ebenso  wie  Hegel,  die  Wahr- 
heit erst  durch  die  Einheit  des  Sowohl- Alsauch  und  Weder- 
Noch  zu  erreichen  und  behauptet  ohne  Grund,  dass  Hegel 
sich  mit  dem  einseitigen  Sowohl- Alsauch  begnĂĽge  (229).  Auch 
bei  Hegel  ist  der  Widerspruch  „der  absolute  Eerngehalt  des 
Seienden**  (S.  1)  und  die  Negativität  der  Antithesis  die  Trieb- 
feder sowohl  des  realen  wie  des  gedanklichen  Processes;  in 
der  ĂĽeberwindung  des  Widerspruchs  durch  die  Synthesis 
bleibt  derselbe  bei  Hegel  ebenso  in  gewisser  Weise  als  auf- 
gehobenes Moment  conservirt,  wie  er  bei  B.  in  der  realen 
Goincidenz  der  Gegensätze  in  gewisser  Weise  aufgehoben 
wird,  und  bei  beiden  bricht  der  Widerspruch  nach  jeder  sol- 
chen momentanen  Ăśeberwindung  als  unĂĽberwindliches  Prin- 
cip  der  Negativität  neu  hervor,  weil  sonst  der  Process  er- 
löschen würde.  B.  räumt  ein,  dass  der  Widerspruch,  wenn 
er  in  der  Sache  steckt,  auch  in  deren  gedanklicher  Darstel- 
lung zum  Ausdruck  kommen  muss  (198),  dass  die  wider- 
spruchsvolle Essenz  sich  sowohl  sachlich  wie  begrifflich 
in  dialektischer  Gestalt  documentiren  muss  (250 — 251),  dass 
die  Realdialektik  allein  „auf  dem  Boden  des  Denkens  das- 
selbe Umschlagen  entgegengesetzter  Factoren  in  einander 
ehrlich  und  widerstandslos  durchmacht,    welches  sich  auch 


EL  Yon  Hartmaim:  Bahnsen's  Realdialektik.  231 

in  der  objectiven  Wirklichkeit  vollzieht"  (343).  Hiermit 
ist  zugestanden,  dass  B.'s  Realdialektik  ihrem  Prindp  nach 
ebensogut  zugleich  Begriffs-  oder  Gedankendialektik  ist,  wie 
die  Hegel'sche  Begriffsdialektik  ihrem  Princip  nach  zugleich 
Realdialektik  ist  und  sein  wQl.    • 

b)  Hegel's  Dialektik  wQl  das  Seiende  begrifflich  construi- 
ren,  B.'s  Dialektik  will  receptiver  Empirismus  sein  (33). 
Erstere  verlangt,  dass  das  Sein  sich  nach  ihrem  Denken  richte, 
letztere  entnimmt  ihre  eigenen  Maassstabe  lieber  jenem  als 
diesem  (104 — 105)  und  corrigirt  in  Collisionsfallen  die  Logik 
des  Denkens  durch  die  Dialektik  des  Seienden  (107).  Diese 
Formulirung  klingt  schon  eher- haltbar,  sie  ist  es  aber  auch 
nicht  Hegel  geht  davon  aus,  dass  die  Gesetze  des  Seins 
und  Denkens  identisch  seien,  dass  das  Sein  der  Ausdruck 
eines  objectiven  Denkens  sei,  und  dass  das  subjective  Denken 
als  reines  Denken  mit  dem  objectiven  zusammenfalle,  also 
zur  selbstthätigen  Reconstruction  des  Seienden  befähigt  sei; 
da  aber  diese  Prämissen  irrthumlich  oder  ungenau  sind,  so 
macht  er  thatsächlich  überall  von  der  Aufnahme  empirischen 
Materials  Gebrauch  und  entlehnt  den  besten  und  relativ 
haltbarsten  Theil  seiner  Begriffsdialektik  a  posteriori  aus  der 
gegebenen  Wirklichkeit.  Er  thut  also  unbeschadet  seiner 
abweichenden  Prätensionen  praktisch  und  faktisch  genau  das- 
selbe wie  B.  Dieser  trägt  dem  äusseren  Gebahren  nach  als 
Sohn  einer  anderen  Zeit  dem  empiristischen  Zeitgeist  Rech- 
nung und  behauptet  nomineU,  sich  auf  das  „aufzeigende  Nach- 
'  weisen",  auf  die  „descriptive  Präsentation"  der  realen  Wider- 
spräche zu  beschränken  (28);  aber  in  Wirklichkeit  stellt  sich 
die  Sache  ganz  anders.  Wir  werden  sehen,  wie  alle  Versuche 
B.'s,  die  Realdialektik  auf  diesem  Wege  zu  erhärten,  ihm 
unter  der  Hand  zerrinnen  und  ihm  nichts  als  das  GefĂĽhl  der 
Unächerheit  und  der  Unhaltbarkeit  dieser  phänomenal-empi- 
rischen Position  übrig  lassen;  der  Realdialektiker  muss  „aus 
dem  Phänomenalen  in's  Metaphysische  vordringen,  um 
die  eigentliche  Sphäre  seines  Forschungs-  und  Ärgumen- 
tations-Gebiets  zu  betreten"  (263).  So  hat  denn  auch  B.'s 
Realdialektik  ihre  eigentliche  Sphäre  erst  in  der  dännen 
Luft  metaphysischer  Abstractionen  (wie  z«  B.  vis  essendi  und 


232  E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  RealdialektiL 

potentia  existendi),  und  es  ist  schliesslich  nichts  als  die  sub- 
jective  Gedankendialektik  dieser  speculativen  metaphysischen 
Begriffe,  was  den  Anspruch  erhebt,  die  wahre  Grundlage  fĂĽr 
das  metaphysische  Verstandniss  der  Welt  zu  bieten  und  dem 
Prozess  des  Wirklichen  seine  unĂĽberschreitbaren  Grundgesetze 
zu  dictiren.  Nicht  Jeder  vermag  dies,  da  die  meisten  Leute 
logisch  denken  und  deshalb  der  widerspruchsvollen  Natur 
des  Seienden  nicht  gerecht  zu  werden  vermögen;  wer  aber 
wie  B.  dahin  gelangt  ist,  die  angeborenen  logischen  Prädispo- 
sitionen seines  Gehirns  der  realdialektischen  Accommodation 
des  Denkens  an  die  Wirklichkeit  unterzuordnen  und  so  weit 
als  nöthig  zum  Opfer  zu  bringen,  den  hindert  nichts  mehr 
daran,  sein  Denken  im  vollen  Einklang  mit  Wirklichkeit  zu 
wissen  (202 — 203),  und  deshalb  den  positivistischen  Empiris- 
mus der  blos  phänomenalen  Existenz  durch  realdialektische 
Durchdringung  des  metaphysischen  Gebiets  in  demselben  Sinne 
wie  Hegel  zu  ĂĽberwinden.  Andrerseits  braucht  solchem  Ver- 
fahren die  kritische  Besonnenheit  und  die  beständige  Fühlung 
mit  der  empirischen  Basis  keineswegs  zu  fehlen,  wie  denn 
thatsächlich  die  jüngeren  Hegelianer  die  Dialektik  in  diesem 
Sinne  zu  handhaben  bemĂĽht  gewesen  sind.  Ein  Unterschied 
im  Verhältniss  zur  Erfahrung  wäre  also  nur  dann  in  gewissem 
Sinne  zuzugeben,  wenn  bei  Hegel  das  Gesetz  der  Dialektik 
monistisch,  bei  B.  unaufhebbar  dualistisch  wäre,  und  dies 
fĂĽhrt  uns  auf  den  dritten  angeblichen  Unterschied. 

c)  Hegel  kennt  fĂĽr  Sein  und  Denken  nur  ein  und  das- 
selbe Gesetz,  B.  behauptet  eine  zwiefache  Legislatur  fĂĽr  beide* 
Gebiete,  einen  Widerstreit  zwischen  Realgesetzen  und  Denk- 
gesetzen, eine  Unverträglichkeit  beider  Legislaturen  mit  ein- 
ander, die  zu  beständigen  Gonflicten  führt  und  sich  in  jedem 
Menschen,  insofern  er  zugleich  wollendes  und  denkendes  Ich 
ist,  als  Gollision  zweier  einander  widerstreitender  Gesetzge- 
bungen offenbart  (6,  352).  Nach  B.  ist  das  eigentliche  Den- 
ken rein  durch  seine  eigene  Natur  bestimmt,  welche  in  den 
logischen  Formen  und  Normen  ihren  Ausdruck  findet  (197), 
und  „Begriffe,  die  mit  einem  Widerspruch  behaftet  sind,  kann 
das  Denken  nicht  gebrauchen"  (73);  dieses  Denken  ist  aber 
auf  ewig  zur  Unwahrheit  verurtheilt,   weil  die  Wirklichkeit 


E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik.  233 

wesentlich  widerspruchsvoll  ist  und  nur  in  BegrifFen  mit 
widerspruchsvoller  Definition  zum  gedanklichen  Ausdruck 
kommen  kann  (198).  Aus  beidem  fo^,  dass  das  Denken 
sich  mit  sich  selbst  im  Widerspruch  befindet,  weil  es  durch 
sein  eigenes  Gesetz  gezwungen  ist,  nach  Wahrheit  zu  streben, 
diese  aber  nur  erreichen  kann,  wenn  es  seinem  eigenen  Ge- 
setz und  damit  seiner  eigensten  Natur  untreu  wird;  diese 
Accommodation  des  Denkens  an  die  antilogische  Wirklichkeit 
erklärt  B.  für  nichts  weniger  als  unmöglich  (202—203)  und 
sieht  vielmehr  in  der  Aufnahme  des  Widerspruchs  in  das 
Denken  die  Vollendung  der  menschheitlichen  Geistesentwicke- 
lung.  Es  ist  also  eigentlich  nur  das  vorbahnsensche  Denken, 
welches  der  Wirklichkeit  widerspricht,  während  mit  der 
Errungenschaft  der  Realdialektik  dieser  Widerspruch  aufhört; 
auf  der  andern  Seite  widerspricht  das  Gesetz  des  Seins  nicht 
blos  dem  Gesetz  des  Denkens,  sondern  auch  sich  selbst,  in- 
dem es  trotz  seiner  realdialektischen  Grundnatur  dem  logischen 
Gesetz  innerhalb  seiner  Raum  gewährt.  Innerhalb  des  Seins 
bestand  der  Widerspruch  dieser  (realdialektischen  und  logi- 
schen) Doppellegislatur  schon  inmier;  zwischen  Sein  und 
Denken  bestand  er  nur  darum,  weil  und  so  lange  er  im  Den- 
ken selber  noch  nicht  bestand,  und  ist  mit  Anerkennung  der 
Realdialektik  beseitigt  und  durch  harmonische  Uebereinstim- 
mung  ersetzt.  Nur  in  den  noch  nicht  realdialektisch  adap- 
tirten  Gehirnen  dauert  die  Collision  des  Denkgesetzes  gegen 
das  Realgesetz  vorläufig  noch  fort;  im  Kopfe  des  Realdialek- 
tikers ist  auch  fĂĽr  das  Denken  das  realdialektische  Gesetz 
auf  den  Thron  erhoben,  auf  dessen  Stufen  das  logische  Ge- 
setz nur  lagern  darf.  Hiermit  verschwindet  der  Unterschied 
zwischen  HegeFs  und  B.'s  Dialektik  auch  in  Bezug  auf  das 
Verhältniss  der  Seinsgesetze  zu  den  Denkgesetzen. 

d)  Bei  Hegel  ist  das  Unlogische,  der  Widerspruch,  nur 
Durchgangsmoment  vom  Logischen  (Thesis)  zum  Logischen 
(Synthesis);  bei  B.  ist  das  Logische,  die  Negativität  gegen 
das  primär  gesetzte  Unlogische  nur  Durchgangsmoment  vom 
Alogischen  zum  Antilogischen.  Bei  Hegel  treibt  das  Logische 
(der  Begriff  oder  die  Idee),  um  zum  Prozess  zu  kommen, 
die  Negativität  seiner  selbst,  das  Unlogische  (die  Antithesis) 


234  E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik.* 

aus  sich  heraus;  bei  B.  treibt  das  Unlogische  (der  Wille), 
um  zum  Prozess  zu  kommen,  die  Negativität  seiner  selbst, 
das  Logische,  aus  sich  heraus.  Bei  Hegel  ist  die  positive, 
absolut  concrete  ĂĽrposition  der  logische  Begrifif,  bei  B.  der 
unlogische  WiUe  (S.  1,  206,  175);  bei  Hegel  ist  das  Logische 
die  absolute  Macht  und  das  Unlogische  ihr  Lehnsmann,  bei 
B.  ist  das  Antilogische  der  FĂĽrst  der  Welt  und  dasj  Logische 
sein  Unterthan  (83).  Dieser  Unterschied  ist  der  allein 
durchgreifende,  aber  gerade  er  ist  einerseits  von  B.  am  we- 
nigsten betont,  und  andrerseits  ist  auch  er  ein  sich  selbst 
aufhebender,  wozu  die  Andeutungen  bei  B.  selbst  zu  finden 
sind.  —  „Die  Idee  —  als  ein  von  Hause  aus  logisch  Ge- 
dachtes —  kann  nichts  Antilogisches,  Dialektisches  emaniren 
und  muss  ewig  Halt  machen  vor  dem  Problem  des  Wider- 
spruchs^^ (230);  diese  Emanation  des  Antilogischen  aus  dem 
Logischen  bei  Hegel  ist  also  nur  ein  Schein.  Ebenso  aber 
kann  umgekehrt  auch  das  Antilogische  aus  sich  „nur  ein 
scheinbar  Logisches  und  ĂĽberhaupt  den  ganzen  Schein 
des  Logischen  (sammt  dem  des  Teleologischen)  gebaren"  (206); 
denn  der  Wille,  als  ein  von  Hause  aus  unlogisch  Gedachtes, 
kann  nichts  Logisches,  Vemänftiges  aus  sich  emaniren  und 
muss  ewig  Halt  macfien  vor  dem  Problem  einer  objectiv 
existirenden  Vemunftigkeit.  Mit  dieser  Parallelkritik  ist  sowohl 
HegePs  als  B.'s  Dialektik  entwurzelt  und  hinĂĽbergezeigt  nach 
einem  Standpunkt,  wo  das  Unlogische  und  das  Logische 
nicht  auseinander  entspringen,  sondern  die  ewig  einander 
coordinirten  Seiten  eines  und  desselben  Wesens  bilden  (206 
Z.  23 — 27).  —  Derselbe  Schluss  ergibt  sich  auch  daraus,  dass 
B.  die  GleichgĂĽltigkeit  der  Ăśrposition  anerkennt,  also 
damit  auf  die  Hochhaltung  des  Willens  als  allein  wahrer 
Ăśrposition  verzichtet  Er  bestreitet  den  Einwurf  des  Ver- 
standes, dass  alles  Negative  nur  am  Positiven  sei,  sieht  die 
Negativität  als  solche  als  das  wesentliche  Princip  der  Dialek- 
tik an,  das  mit  der  „Realopposition"  identisch  sei,  sucht  die 
Position  nur  in  d^r  Negation  der  Negation,  und  damit  auch 
den  Gegenstand,  den  das  Negative  negirt,  nur  in  dem  Negativen 
semer  selbst,  und  erklärt  damit  die|[Namengebung  für  gleich- 
gültig, weil  Alles  als  „Negativ"  einan  andern  „Negativ"  gegen- 


E.  von  Hartmann:  Bahnsen^s  Realdialektik.  S35 

ĂĽbersteht  (175,  241).  Hierin  liegt  allerdings  eine  richtige 
Ahnung  der  fĂĽr  seine  Willensmetaphysik  erforderlichen  Correk- 
tur ;  aber  er  fuhrt  die  Correktur  nicht  durch,  und  darum  wird 
auf  dem  Boden  seines  Systems  diese  an  sich  richtige  Ahnung 
zu  einer  unwahren  Behauptung.  So  lange  das  „Ja"  des  un- 
logischen Velle  als  absolut  concrete  ĂĽrposition  gilt  (175), 
bat  der  daraus  angeblich  entspringende  Schein  des  Logischen 
nur  secundäre  Bedeutung,  ist  derselbe  nur  ein  relatives 
Nein  gegen  das  selbstständige  Unlogische  des  Willens,  und 
zugleich  in  seiner  Ohnmacht  gegen  dessen  Unaufhebbarkeit 
ein  (nicht  blos  sprachlich)  Nichtseiendes  ohne  jede  innere 
Selbstständigkeit.  Da  aber  B.  alles  dies  für  sein  Negativ  ver- 
langt (176),  so  kann  der  Schein  des  Logischen  auch  nur 
scheinbar  dem  Anspruch  der  Realdialektik  genĂĽgen,  Anti- 
thesis  gegen  den  unlogischen  Willen  zu  sein.  Sollen  beide. 
Unlogisches  und  Logisches,  wahrhaft  selbstständige  Realoppo- 
nenten sein,  so  muss  jedes  fĂĽr  sich  ebenso  concret  posi- 
tiv sein,  als  es  im  Vei'hältniss  zu  dem  andern  negativ 
ist;  d.  h.  beide  müssen  coordinirte  Selbstständigkeit  besitzen, 
ohne  ihrem  Wesen  nach  von  einander  abhängig  zu  sein.  Nur 
anter  dieser  Bedingung  kann  es  gleichgĂĽltig  scheinen  fĂĽr  den 
dialektischen  Prozess,  mit  welchem  der  beiden  Glieder  als 
mit  der  Ăśrposition  das  Sein  und  das  Denken  beginnt,  da  in 
jedem  Falle  die  Negativität  von  Seiten  des  andern  gesichert 
ist,  ohne  dass  dieses  andere  erst  durch  eine  unmögliche  Ema- 
nation aus  dem  ersten  dem  Scheine  nach  herausgeholt  zu 
werden  braucht. 

Wie  Hegel  die  Dialektik  auf  der  einseitigen  Basis  des 
Logischen,  so  hat  B.  dieselbe  auf  der  einseitigen  Basis  des 
Unlogischen  durchzufĂĽhren  versucht;  bei  beiden  lassen  sich 
die  Spuren  nachweisen  von  der  Ahnung,  dass  ihre  eigent- 
lichsten Intentionen  sich  in  Wahrheit  nur  auf  der  Basis  eines 
von  Ewigkeit  her  zugleich  logischen  und  unlogischen  Wesens 
realisuren  lassen  wĂĽrden,  soweit  sie  ĂĽberhaupt  realisirbar 
sind.  Mit  andern  Worten:  sowohl  die  panlogistische  wie 
die  panthelistische  Dialektik  sind  einseitige  Versuche,  verhal- 
ten sich  zu  einander  wie  Thesis  und  Antithesis  und  weisen 
ĂĽber  sich  hinaus  auf  eine  Synthesis,   die   sich   nur  auf  der 


236  E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik. 

Basis  des  concreten  Monismus  vollziehen  könnte.  Es  ist  aber 
damit  nicht  gesagt,  dass  eine  solche  Synthesis  HegeFscher 
und  Bischer  Dialektik  auch  wirklich  eintreten  mĂĽsse;  imGe- 
gentheil  fehlt  die  innere  historische  Nöthigung  zu  einer  sol- 
chen, weil  die  Dialektik  fĂĽr  den  Panlogismus  und  Panthe- 
lismus  nur  den  widerspruchsvollen  Behelf  zur  scheinbaren 
Ueberwindung  der  ihnen  anhaftenden  Einseitigkeit  bildete, 
der  concrete  Monismus  aber  bei  seiner  wirklichen  syntheti- 
schen Ueberwindung  jener  Einseitigkeiten  solcher  widerspruchs- 
vollen Behelfe  fĂĽglich  entrathen  kann. 

Die  Unterschiede  zwischen  der  HegePschen  und  der 
B. 'sehen  Dialektik,  welche  B.  selbst  betont,  haben  sich  als 
unstichhaltig  erwiesen;  der  wirklich  massgebende  Unterschied 
zwischen  beiden  aber  ist  nicht  der  Art,  um  die  B.'sche  Dia- 
lektik vor  der  Kritik  zu  salvben,  welcher  die  Hegel'sche  im 
Laufe  der  Zeit  verfallen  ist.  Wenn  auch  das  gegen  den 
„dialektischen  Fortschritt"  bei  Hegel  zu  Sagende  in  Bezug 
auf  B.'s  Dialektik  gegenstandslos  wird,  so  bleibt  doch  nament- 
lich alles  dasjenige  in  Kraft,  was  auf  die  Aufhebung  der  lo- 
gischen Denkgesetze  und  die  Installirung  des  Widerspruchs 
als  Bedingung  der  Wahrheit  Bezug  hat,  ja  sogar  dies  alles 
kehrt  sich  gegen  B.  mit  doppelt  verschärfter  Kraft,  weil  ihm 
die  Prätension  HegeFs  fehlt,  den  Widerspruch  durch  eine 
logische  Synthese  positiv  vernĂĽnftig  zu  ĂĽberwinden. 

2.     Die   Stellung   des   subjectiv   Logischen   im 

System  der  Realdialektik. 

Die  Realdialektik  schränkt  „die  Geltui^ssphäre  des  Lo- 
gischen auf  dessen  eigenste  Domäne,  nämlich  eben  aufs 
Denken"  ein  und  schliesst  'sie  aus  vom  Bereich  des  Seins, 
welches  „m  seiner  innersten  Qualität  die  logischen  Urgesetze 
Lügen  straft",  so  dass  „die  Wirklichkeit  als  ein,  nach  blossen 
Denknormen  bemessen.  Unmögliches  dasteht"  (94).  Nach  dieser 
ursprĂĽnglichen  Stellungnahme  zum  Problem  ist  das  Logische 
ein  blosser  subjectiver  Schein,  der  in  keiner  Weise  der  Wffk- 
lichkeit  entspricht  und  in  keinem  Sinne  Wahrheit  zu  bieten 
vermag.  Aber  diese  subjectiv-idealistische  Stellungnahme  er- 
scheint durch  eine  realistische  Accomodation  an  die  gewöhnliche 


E.  yon  Hartmann:  Babnsen^s  Realdialektik.  237 

Denkweise  in  sich  gebrochen  und  modificirt.  Zwar  erklärt 
er  ausdrĂĽcklich  die  Geschichte  des  menschlichen  Denkens 
„nur  als  die  Summe  der  psychologisch  sich  herausarbei- 
tenden Anschauungstypen''  (88);  aber  er  erkennt  doch  an, 
dass  die  Realdialektik  „für  die  Entstehung  der  logisch»[i  Kate- 
gorien doch  eine  wenigstens  psychologische  Herleitung  zu  geben 
wissen"  mässe  (67). 

Eine  solche  psychologische  Herleitimg  setzt  nun  zweier- 
lei voraus:  erstens,  dass  die  Erfahrung  „dazu  angethan 
ist,  derartige  Schemata  psychisch  zu  formiren"  (67),  d.  h. 
eine  Beschaffenheit  des  Seienden,  „auf  welche  die  Denk- 
Organisation,  qua  logisch  functionirende  accommodirt  und 
eingesteUt  ist''  (68),  und  zweitens,  dass  die  Willensnatur,  welche 
ihren  wesentlichen  Hauptinhalt  im  Wissenwollen  hat,  auch  nicht 
blos  prädisponirt,  sondern  gradezu  präformirt  für  das  Wis- 
sen und  die  Entwickelung  der  ihm  potentiell  immanenten  lo- 
gischen Erkenntnissformen  angenommen  wird  (1 65 — 1 66).  Wäre 
das  Denken  allein  logisch,  und  das  Seiende  rein  antilogisch, 
^0  wäre  die  Genesis  einer  logischen  Legislatur  im  Denken 
rein  unerklärlich;  es  bedarf  einerseits  einer  relativen  Ver- 
nĂĽnftigkeit im  Seienden,  wenn  das  Denken  durch  Anpassung 
an  die  Wirklichkeit  zur  VemĂĽnftigkeit  gelangen  soll,  und  es 
bedarf  andrerseits  einer  immanenten  VernĂĽnfligkeit  des  psy- 
chischen Lidividualwesens,  weil  ein  schlechthin  unvernĂĽnftiges 
Wesen  immer  unfähig  bleiben  würde,  seine  psychischen  Func- 
tionen der  objectiven  VemĂĽnftigkeit  der  Dinge  zu  accommo- 
diren.  Die  logische  Legislatur  des  bewussten  Denkens  ist 
also  nur  zu  begreifen  als  Product  zweier  Factoren,  einer  der 
Wirklichkeit  immanenten  unbewussten  Vernunft,  und  einer 
dem  psychischen  Entwickelungsprozess  immanenten  unbewuss- 
ten Vernunft;  da  letzterer  selbst  ein  StĂĽck  Wirklichkeit  ist, 
so  fallt  auch  letztere  Vernunftäusserung  mit  unter  die  all- 
gemeine unbewusste  Vernunft  der  objectiven  Wirklichkeit. 

Der  Versuch,  der  Vernunft  ihren  Platz  in  der  Realdia- 
lektik blos  im  subjectiven  Denken  anzuweisen,  ist  also 
gänzlich  gescheitert  und  in  sein  Gegentheil  umgeschlagen,  in 
die  Anerkennung  der  objectiven  Vernunft.  Zugleich  bleibt 
aber  noch  zweierlei  dabei  unerklärt,  nändich  erstens,  wie  es 


SS8  E.  von  Hartmann:  Balm9en*6  Realdialektik. 

kam,   dass   das  Denken   bei   seiner  Ă„ccommodation   an  die 
Wirklichkeit  sich  nicht  viehnehr  von  Anfang  an  realdialektisch 
entwickelte,   und   zweitens,   wie   der   unlogische  WiUe   dazu 
kommt,  Erkenntnisswille  zu  sein  und  die  Präformation  zu  den 
logischen   Erkenntnissformen   in   sich   zu   tragen.   —  In  der 
Wirklichkeit  soll  das  antilogische  Gesetz  das  herrschende  sein, 
und  das  logische  Gesetz  nur  stellenweise  und  stĂĽckweise  inner- 
halb dieses  geduldet  werden;   wie  kam  es,  dass  das  Denken 
nicht   von  Anfang   an   diesem  Sachverhalt  gemäss  sich  ein- 
stellte, also  zunächst  und  vor  allen  Dingen  dem  antilogischen 
Grundgesetz  der  Wirklichkeit  sich  anpasste,   und  erst'  nach- 
träglich dessen  Durchwirktsein  mit  logischem  Einschuss  nach- 
ahmte?  Bei  jeder  Anpassung  muss  doch  die  an  das  Wesent- 
liche vorangehen,  und  die  an  das  Nebensächhche  nachfolgen, 
wenn   alles   auf  einmal   zu   viel  verlangt   ist.    Beim   Beginn 
dieses  Anpassungsprozesses  existirte  ja  das  Produkt  desselben, 
die  subjectiv- logische  Legislatur  noch  gar  nicht;  die  psychi- 
schen Anpassungsfunctionen  standen  lediglich  unter  dem  Gesetz 
des  Willens,  und  dieses  war  ebenso  wie  das  der  realen  Aussen- 
welt  das   antilogische   Grundgesetz   der  Realdialektik.     Weit 
entfernt,   sich   ohne  Weiteres   mit   diesem  Gesetz   auf  eigne 
Hand   in  Widerspruch   setzen   zu   können,   musste   vielmehr 
erst  eine  Emancipation  des  Denkens  vom  Willen  erfolgt  sein, 
ehe   die  Gesetze   des  Denkens   sich   von   den   Gesetzen    des 
Willens  emancipiren  konnten.  —  Es  ist  also,   von  der  ob- 
jectiven  wie  von  der  subjectiven  Seite  gesehen,  gleich  unbe- 
greiflich fĂĽr  die  Realdialektik,  dass  es  zu  einer  logischen  an- 
statt zu  einer 'realdialektischen.  Anpassung  kam.   Mit  letzterer 
hätte  der  Wille  sein  Ziel,   das  Erkennen,   in  der  Hauptsache 
erreicht,   mit  ersterer  hat  er  es  in  der  Hauptsache  verfehlt; 
„Anpassung^^  ist  also  für  diesen  Prozess  ein  blosser  Euphe- 
mismus, und  „Verpassung*^  der  Wahrheit  wäre  die  richtigere 
Bezeichnung.    Unmöglich  war  diese  Anpassung  an  das  Anti- 
logische  keineswegs,  denn  auch  die  Denkthätigkeit  ist  Actua- 
lisation   realer  Kräfte  und  kann  sich  darum  des  Anspruchs 
auf  Exemtion  von  den  Gesetzen  der  Realdialektik  entschlagen 
(447);   der   Denkprozess,    weil   er  auf  der  realdialektischen 
Naturbestimmtheit  des  Gehirns  beruht,  gelangt  endlich  dazu, 


IL  von  Hartmann:  ^ahD8en*8  Realdialektik.  389 

womit  er  hätte  anfangen  müssen,  nämlich  dialektisch  vor  sich 
zu  gehen  (217). 

Die  andere  der  beiden  Schwierigkeiten  ist  wo  möglich 
noch  grösser.    Wie  kann  es  zmn  Wesen  eines  blinden  alo- 
gischen Willens  gehören,    ein  nach  Bewusstsein  Tendirendes 
zu  sein  (209)?    Wie  kann  ein  absolutes,  nichts  ausser  sich 
habendes  Weltwesen  mit  der  Zeit  ein  VernĂĽnftiges  werden, 
wenn  es  an  sich  mit  Vernunft  und  Vemunftigsein  von  Hause 
aus  gar  nichts  zu  thun  hat  (164)?    Wie  kann  das  Logische, 
das  Widerspiel   der   unlogischen   Willensnatur,   dennoch  fĂĽr 
nichts  andres  ausgegeben  werden,   als  fĂĽr  eine  naturgesetz- 
liche WiUensmanifestation  (207)?    Wie  kann  die  Essenz  des 
alogischen  Willens  darin  bestehen,  einen  dieser  Willensnatur 
widersprechenden  Vorstellungsinhalt  zunächst  potenzia- 
liter  in  sich  zu  tragen  und  demzufolge  auch  actualiter  aus 
sich  herauszusetzen  (207)  ?   Wie  kann  der  blinde  Wille,  dem 
jeder  ideale  hihalt  abgesprochen  wird  (206  unten),  das  Mittel 
sein,  „ein  Sein  zu  fassen,    welches  idealiter  jedem  Einzel- 
acte  seiner  Realisation  voraufgeht^'  (230)  ?    Wie  kann  endlich 
dieser  alogische  Wille  die  logischen  Denkformen  präformirt 
in  äch  tragen  und  aus  sich  entwickeln  (165 — 166)?    B.  hat 
sehr  Recht,  seinen  Willen  zum  Wissen,  der  doch  selber  nicht 
wissen  kann,   dass  er  das  Wissen  will,   als  „das  UrräthseV' 
zu  bezeichnen  (163),  und  dieses  Räthsel,   wie  der  alogische 
blinde  Wille  zugleich  wesentlich  logischer  Erkenntnisswille 
sein  könne,    wird  der  Lösung  dadurch  nicht  näher  gerückt, 
wenn  das  „wesentlich"  in  ein  „z  u  f  ä  1 1  i  g"  umgewandelt  wird  (4). 
Thatsache   ist,   dass  B.,   der   gegebenen  Wirklichkeit  Rech- 
nung tragend,  semen  Willen  mit  einem  hihalt  ausstattet,  der 
wesentlich  logisch -ideal  ist,   nur  dass  er  dabei  die  thatsäch- 
lich  vollzogene  Einfährung  eines  zweiten,   dem  Willen  coor- 
dinirten  Princips   nominell   bestreitet,   und   dadurch   sich   in 
lauter  WidersprĂĽche  mit  seinem  Princip  verwickelt  und  in 
unlösbare  Räthsel   stürzt,   welche  bei   offener  Anerkennung 
des  zweiten  Princips  von  selbst  wegfallen. 

In  Wahrheit  beninunt  sich  sein  WĂĽle  bei  der  Entwicke- 
lung  der  psychischen  Functionen  gar  nicht  antilogisch,  sondern 
ToUkoQunen  logisch;  in  Wahrheit  lässt  femer  das  vollkommen 


240  E.  von  Hartmann:  Bahnsen^s  Realdialektik. 

4 

logische  Resultat  des  Anpassungsprozesses  auf  ein  gar  nicht 
realdialektisches,  sondern  vollkommen  logisches  Anpassungs- 
object  schliessen.  Nur  wenn  der  Wille  (trotz  seiner  alo- 
gischen Form  des  WoUens)  inhaltlich  rein  vernĂĽnftig  und  die 
Welt  durch  und  durch  logisch  geartet  ist,  nur  dann  lässt 
sich  die  Logik  als  „angestammtes  Gesetz^^  des  bewussten 
Denkens  begreifen  und  genetisch  erklären. 

3.    Die   Stellung   des   objectiv   Logischen   im 

System  der  Realdialektik. 

a.  Interindividueller  Widerstreit  und  intra- 
individueller Widerspruch.  Ich  hatte  frĂĽher*)  aus- 
gefĂĽhrt, dass  B.'s  Realdialektik  fĂĽr  den  interindividuellen  Wider- 
streit der  Willenswesen  unhaltbar  sei,  und  dieselbe  von  ihrem 
Urheber  zunächst  auf  den  intraindividuellen  Widerstreit,  die 
widerspruchsvolle  Selbstentzweiung  des  Willens,  werde  ein- 
geschränkt werden  müssen.  Dies  ist  in  dem  vorliegenden 
Werke  faktisch  zugestanden,  wenn  auch  nicht  nominell  ein- 
geräumt. Dass  jede  Kraft  ein  Kraftloses  bleibt,  so  lange  sie 
nicht  auf  Widerstand  stösst  (50),  dass  dieser  negative  Wider- 
stand selbst  nur  wieder  Kraft  sein  kann  (252),  dass  diese 
sich  kreuzenden  Kräfte  an  sich  positiv  sind  und  negativ  gegen 
einander  nur  durch  ihre  Opposition  erscheinen  (393),  dass 
also  die  gesammte  Wirklichkeit  „ein  lebendiger  Antagonis- 
mus" von  sich  kreuzenden  Kräften  oder  WillenÄkten  ist'* 
(436),  das  alles  sind  Sätze,  die  jeder  Willensmetaphysiker 
unterschreibt,  und  die  nicht  im  mindesten  der  Realdialektik 
zu  gute  kommen,  so  lange  mein  Nachweis  in  Kraft  bleibt, 
dass  nur  dadurch  ein  realer  Widerstreit  von  Kräften  mög- 
lich wird,  dass  die  Wirklichkeit  des  Widerspruchs  (als  Zugleich- 
sein ihrer  entgegengesetzten  Strebensziele)  unmöglich  ist*). 

Auch  B.  erkennt  an,  „dass  der  Widerstreit  zwischen 
Zweien  das  volle  GegenstĂĽck  zum  Widerspruch  innerhalb 
eines  und  desselben  bilden  kann"  (197);  da  nun  auch  das 
Wort  Widerspruch  bei  ihm  „etwas  viel  Mächtigeres  als  die 
blosse   logische  Repugnanz   besagt",    d.   h.   selbst  schon  als 

1)  Neokantianismus,  Schopenhaueriaaismus  und  HegeUanismus  S.  S40. 

2)  A.  a.  0.  S.  236-237. 


ÂŁ.  Ton  Hartmann:  6ahiisen*s  Realdialektik.  241 

realer  Widerstreit  gemeint  ist  (255),  so  kann  der  Unterschied 
zwischen  Widerspruch  und  Widerstreit  bei  B.  nur  noch  darin 
gesucht  werden,  dass  ersterer  ein  Widerstreit  zwischen  zu- 
gleich logisch  sich  widersprechenden  Kräften,  letzterer  aber 
eine  GolĂĽsion  zwischen  logisch  sich  nicht  widersprechenden 
Kräften  ist.  Daraus  folgt,  dass  der  ganze  Antagonismus 
interindividueller  Collisionen  als  blosser,  d.  h.  widerspruchs- 
loser Widerstreit  unter  logischen  und  nicht  unter  realdialek- 
tischen Gesetzen  stehen  muss.  B.  nennt  auch  den  wider- 
spruchsvollen Widerstreit  das  Antithetische,  den  widerspruchs- 
losen Widerstreit  das  Antinomische,  und  gesteht  zu,  dass  „das 
Realdialektische  im  eminenten  Sinne"  nur  mit  dem  ersteren 
gleichzusetzen  sei  (2),  also  auch  nur  in  intraindividualen  Be- 
ziehungen vorkomme  (ebenda);  wenn  er  trotzdem  den  anti- 
nomischen,  d.  h.  logisch  gearteten,  interindividuellen  Wider- 
streit fĂĽr  die  realdialektische  Verwerthung  nicht  ganz  bei 
Seite  lässt,  und  den  Unterschied  zwischen  beiden  geflissent- 
lich „ignorirt"  (255),  so  thut  er  es  nur  darum,  weil  er 
dargethan  zu  haben  glaubt,  „dass  es  ohne  den  intraindividuellen 
Widerspruch  auch  keinen  interindividuellen  Widerstreit  geben 
wĂĽrde"  (254),  dass  der  letztere  nur  die  Folge  von  ersterem 
sei  (204). 

Diesen  Nachweis  habe  ich  bei  B.  vergeblich  gesucht; 
aber  auch  wenn  er  ihn  erbracht  hätte,  wäre  sein  Verfahren 
dennoch  unstatthaft,  und  auf  scharfe  Sonderung  des  logisch 
gearteten  interindividuellen  Widerstreites  vom  realdialektischen 
intramdividuellen  Widerspruch  zu  dringen,  damit  der  Real- 
dialektik nur  dasjenige  Gebiet  verbleibe,  welches  ihr  von 
Rechtswegen  gebührt.  Hätte  B.  diese  Markscheidung  ehrlich 
und  reinlich  durchgeführt,  so  wäre  natürlich  seine  ganze 
angebliche  Demonstration  der  Realdialektik  an  den  Thatsachen 
der  Naturwissenschaft,  also  die  ganze  realdialektische  Natur- 
philosophie (mit  Ausnahme  des  zweifelhaften  Gebietes  der 
Polarität)  von  vornherein  weggefallen,  und  die  Realdialektik  hätte 
sich  wesentlich  auf  diejenige  Sphäre  zurückziehen  müssen,  auf 
welcher  sie  erwachsen  war,  d.  h.  auf  die  Charakterologie. 

Es  finden  sich  auch  jetzt  schon  bei  B.  zerstreute  Aeusse- 
rungen,  nach  welchen  das  „Wie"  der  Willensverwirklichungen 

Philosoph.  MonaUhefte  1881,  iV  a.  V.  16 


242  E.  von  HartmaDn:  Balinsen*s  Realdialektik. 

logisch  und  nur  das  „Was"  des  Willensinhalts  realdialektisch 
sei  (202),  oder  mit  andern  Worten  das  Bereich  der  phänome- 
nalen Existenzialität  (odef-  Wirklichkeit)  die  Sphäre  logischer 
Correktheit  sei  und  der  Seinswiderspruch  nur  in  der  ElssenĂĽa 
selber  zu  entdecken  sei  (96).  Hätten  diese  Gedanken  im 
Zusammenhang  damit,  dass  die  Sphäre  der  phänomenalen 
Existenzialität  zugleich  die  Sphäre  des  logisch  gearteten  Wider- 
streits der  Willenswirkungen  ist,  ihre  .Durchbildung  erhalten, 
so  wĂĽrde  das  vorliegende  Werk  eine  ganz  andere  Gestalt 
angenommen  haben,  als  jetzt,  wo  die  einmal  statuirten  Unter- 
schiede nachträglich  zu  Gunsten  der  Realdialektik  stets  wieder 
,4gnorirt"  werden  (255). 

b.  Die  Selbstentzweiung  des  Willenswesens. 
Nachdem  in  dem  Vorhergehenden  das  Realdialektische,  insofern 
es  ein  Antilogisches  sein  will,  aus  der  Sphäre  des  interindi- 
viduellen Widerstreits  ausgewiesen  worden  ist,  könnte  man 
denken,  dass  es  dafür  nun  auch  in  der  Sphäre  des  intra- 
individuellen Widerspruchs  als  Alleinherrscher  walte.  Dem 
ist  aber  durchaus  nicht  so,  sondern  B.  muss  zugeben,  dass 
auch  hier  das  Logische  den  breitesten  Spiehraum  hat,  und 
zwar  ebensosehr  in  der  Form  des  WoUens  als  in  seinem 
Inhalt. 

Das  Wesen  der  Welt  ist  der  Wille;  das  Realdialektische 
ist  nm*  die  Seinsform  desselben,  seine  ihm  unveräusseriich 
anhaftende  formale  Natur  (157).  Insofern  nun  diese  Seins- 
form  des  Willenswesens  niemals  sich  selbst  untreu  wird, 
stets  mit  sich  selbst  ĂĽbereinstinunt,  also  ewig  sich  selbst 
identisch  bleibt,  (67,  70,  355),  verhält  sich  der  Wille  auch 
formal  dem  logischen  Identitätsgesetz  gemäss.  Allerdings  beugt 
er  sich  damit  nicht  einer  logischen  Heteronomie  (71,  157), 
sondern,  da  er  das  Prius  alles  Logischen  ist,  so  bewegt  er 
sich  in  voller  Autonomie,  indem  er  sich  selbst  und  seiner 
Natur,  nämlich  „dem  Gesetz  der  Anarchie"  (167),  treu  bleibt"); 
gleichwohl  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  die  praktische  Instal- 

1)  Wflrde  diese  Behauptung  streng  durchgefĂĽhrt,  so'mĂĽsste  die  Exi- 
stenz des  Logischen  im  objectiven  Dasein  wie  in  der  subjectiven  Erschei- 
nung schlechthin  geleugnet,  d.  h.  für  illusorischen  Schdn  erklärt  werden; 
denn  da  nichts  ist  als  das  antilogische  Willenswesen,  so  kann  dieses  nie- 


j 


E.  yon  Hartmaiin:  Bahnsen*s  ReaMialektik.  243 

linmg  des  logischen  Identitätsgesetzes  durch  den  essentiell 
antilogischen  Willen  in  formaler  Hinsicht  mehr  als  eine  bloss 
zufallige  Uebereinstimmmig  sein  muss,  dass  mit  andern  Worten 
selbst  das  Antilogische  sich  unwillkĂĽrlich  nach  logischer  Norm 
benehmen  muss,  um  auch  nur  das  Gegentheil  des  Logischto 
wirklich  sein  zu  können.  Wird  aber  gar  die  „Gonsequenz^^ 
(107)  für  das  der  realdialektischen  und  logischen  Weltsphäre 
und  deren  sich  widersprechenden  Legislaturen  gemeinsame, 
met alogische  Grundgesetz  der  Welt  erklärt  (106^-108),  so 
ist  das  nur  ein  verschämter  Ausdruck  für  das  Eingeständniss, 
dass  das  Grundgesetz  der  Welt  auch  bei  B.  dasjenige  ist, 
welches  man  allgemein  als  das  logische  Grundgesetz  bezeichnet, 
nur  dass  es  in  seiner  Anwendung  auf  zwei  entgegengesetzte 
coordinirte  Wesensbestimmungen  (unlogischen  Willen  und  lo- 
gische Idee)  selbstverständlich  zu  entgegengesetzten  Resulta- 
ten fĂĽhrt. 

Weit  wichtiger  noch  ist  die  andere  Concession,  dass 
selbst  innerhalb  jedes  selbstentzweiten  Willenswesens  jede 
einseitige  Hälfte  dieser  Doppelstrebungen  logisch  rectograd 
verlaufe,  und  nur  beide  Hälften  oder  Seiten  gegen  einander 
sich  widersprechend  und  realdialektisch  verhalten  (67 — 68, 194); 
so  lange  der  Process  der  einen  Hälfte  einseitig  ohne  Bezie- 
hung zur  andern  verläuft,  geht  alles  logisch  folgerichtig  zu, 
und  nur,  wo  die  Bezogenheit  beider  Seiten  auf  einander  in's 
Spiel  konunt,  erscheint  das  Realdialektische  (356).  Diese 
einseitige  Logicität  jeder  Hälfte  der  Selbstentzweiung  soll 
eine  streckenweise  Logicität  der  Erscheinungsreihen  zur 
unmittelbaren  Fo^e  haben  (67,  356),  während  der  Gesannnt- 
prozess,  der  diese  logischen  Einzelstrecken  in  seiner  Zickzack- 
bewegung einschliesst,  realdialektisch  zu  nennen  ist 

Gegen  diese  Auffassung  erheben  sich  wiederum  gewich- 
tige Bedenken.  Zunächst  scheint  es  unverständlich,  wie  die 
beiden  Seiten  eines  realen  Willensprozesses  dazu  kommen 
sollen,  sich  logisch  zu  widersprechen,  wenn  jede  einzelne  sich 
nach  logischen  Gesetzen  vollzieht;    der  Widerspruch  ist  nur 

mak  und  in  keiner  Weise  dazu  kommen,  logisch  zu  werden,  oder  sich 
^pedi  zu  benehmen,  wenn  es  in  seiner  antilogischen  Natur  wirklich  con- 
seqoent  Ueiben  wilL 


344  E.  von  Hartmami:  Bahnsen^s  Realdialektik. 

im  bewussten  Denken  als  Folge  des  Irrthums  möglich,  aber 
im  Wollen  wäre  er  es  doch  nur  dann,  wenn  mindestens  die 
eine  der  beiden  Seiten  schon  an  und  fĂĽr  sich  nach  antilo- 
gischem Gesetze  verliefe,  um  sich  eben  dadurch  mit  der  nach 
logischem  Gesetz  verlaufenden  in  Widerspruch  zu  setzen. 
Es  ist  zwischen  den  aus  verschiedenen  Trieben  entspringenden 
Strebui^en  sehr  wohl  ein  realer  Widerstreit  möglich,  der 
nach  logischen  Gesetzen  verläuft,  aber  ein  realdialektischer 
Widerspruch  zwischen  den  entzweiten  Willerismomenten  er- 
scheint unmöglich,  wenn  in  beiden  die  nämlichen  logischen 
Gesetze  walten  (vergl.  S.  10).  'Wäre  nur  eine  der  beiden 
Seiten  realdialektisch,  die  andere  logisch  geartet,  so  bliebe 
es  unverständlich,  wie  jede  der  coordinirten  Hälften  gerade 
zu  ihrem  Gesetz  kommt;  wären  beide  realdialektisch,  so 
bliebe  fĂĽr  logisch  rectograde  Strecken  im  intraindividuellen 
Prozess  gar  kein  Raum  mehr.  Beide  Annahmen  werden 
ĂĽbrigens  m  gleicher  Weise  von  der  Erfahrung  dementirt,  welche 
das  logisch  rectograde  Verhalten  beider  Seiten  völlig  bestä- 
tigt, eben  damit  aber  auch  der  Realdialektik  das  kaum  occu- 
pirte  intraindividuale  Gebiet  schon  wieder  entzieht. 

Geben  wu:  umgekehrt  das  realdialektische  Verhalten  der 
entzweiten  Seiten  gegen  einander  versuchsweise  einmal  zu, 
so  zeigt  sich  sofort,  dass  dieses  ebenso  das  logische  Verhalten 
der  emzebien  Seiten  unmöglich  macht,  wie  dieses  jenes.  Denn 
Veränderliches  ist  ja  nur,  wo  die  Kreuzungslinien  der  Daseins- 
formen, der  existentia,  sich  schneiden  (252),  d«  h.  wo  ein 
Gonflict  sich  kreuzender  Strebungen  stattfindet;  eine  einsei- 
tige Hälfte  kann  somit  nur  dann  ein  Veränderliches  sein  und 
einen  Prozess  durchmachen,  wenn  sie  entweder  mit  der  andern 
Hälfte  collidirt,  oder  wenn  sie  innerhalb  ihrer  wiederum  sich 
kreuzende  Strebungen  umspannt,  also  selbst  noch  einein  sich 
dirinürte  ist.  In  beiden  Fällen  müsste  aber  nach  B.'s  Grund- 
sätzen ein  solcher  Prozess  realdialektisch  und  nicht  logisch 
sein,  —  hn  ersteren  FaUe,  weil  er  nicht  mehr  einseitig  ist, 
im  letzteren  Falle,  weil  er  von  Neuem  die  Gollision  emsei- 
ĂĽger  Spaltungsmomente  zusanunenschliesst.  B.  vergleicht  im 
Hinblick  auf  die  Thatsachen  intraindividualer  Teleologie 
seine  Welt  „einem  Exerzierplatz,  wo  jeder  Unteroffizier  seine 


E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik.  245 

Recniten  nach  eigenem  GutdĂĽnken  die  Kreuz  und  die  Quere 
marschieren  lässt,"  auf  welchem  aber  ausser  der  allgemeinen 
Verwirrung  „auch  noch  innerhalb  jeder  einzelnen  Rotte  rebel- 

• 

lirt"  wird  (205).  Dieser  Vergleich  zeigt  deutlich,  wie  selbst 
der  Versuch,  den  einseitigen  Momenten  Logicität  beizulegen, 
daran  scheitern  muss,  dass  jedes  derselben  noch  weiter  in 
sich  realdialektisch  dirimirt  ist.  „Der  Riss  der  universellen 
Selbstentzweiung  geht  mitten  durch's  Herz  der  Welt,  d.  h. 
jedes  Einzelnen'^  (369);  die  intraindividuale  Selbstentzweiung 
geht  in's  Uixejidliche,  wie  der  in  noch  so  kleine  Stficke 
zerbrochene  Magnet  an  jedem  derselben  neue  Pole  heraus- 
kehrt (369 — 370).  B.  bezeichnet  den  Versuch,  diese  Erschei- 
nung mechanisch  durch  innere  Schichtung  eines  nur  schein- 
bar einheitfichen  Individuums  logisch  zu  erklären,  als  unzu- 
länglich, und  zieht  es  vor,  diese  Schichtung  als  eine  blos 
ideeUe  aufzufassen,  dafür  aber  an  die  Relativität  aller 
individuellen  Selbstständigkeit  zu  erinnern  (371);  aber  gerade 
damit  ei^lärt  er,  dass  jedes  einseitige  Willensmoment  nath- 
wendig  ein  bis  in's  Unendliche  in  sich  dirimirtes  sei,  und 
nur  in  der  Verwirklichung  dieser  realdialektischen  Selbstent- 
zweiung aus  der  starren  Ruhe  zur  Lebendigkeit  des  Prozesses 
erwachen  könne.  Die  Aufgabe  des  Realdialektikers  kann 
hiemach  nur  die  sein,  jeden  Realwiderspruch  in  seine  ein- 
seitigen Hälften  zu  verfolgen  (wie  B.  es  z.  B.  S.  389  mit 
der  Gravitation  versucht),  aber  nicht,  sich  von  einer  nach 
realdialektischen  Principien  unmöglichen  Logicität  dieser  ein- 
seitigen Hälften  blenden  zu  lassen.  JegUches,  was  aus  dem 
einen  Gesichtspunkt  einseitige  Hälfte  einer  Diremtion  ist, 
ist  aus  dem  andern  Gesichtspunkt  einheitliche  Totalität  diri- 
mirter  Momente,  und  umgekehrt,  also  mässte  in  jeglichem 
der  Prozess  der  Veränderung,  der  doch  nur  einer  ist,  in 
ersterer  Hinsicht  logisch,  in  letzterer  Hinsicht  realdialektisch 
verlaufen,  oder  ein  und  derselbe  Vorgang  mĂĽsste  in  jeder 
semer  Phasen  zugleich  von  logischen  und  realdialektischen 
Gesetzen  bestimmt  sdn,  was  unmöglich  ist. 

B.  ist  also  mit  seiner  Vereinigung  des  Logischen  und 
Realdialektischen  im  intraindividualen  Gebiet  völlig  verunglückt. 
Entweder  ist  das  Verhalten  der  einseitigen  Momente  logisch 


I 


246  E.  von  HarĂĽnann:  Bahnaen's  Realdialektik. 

geartet,  dann  findet  die  Realdialektik  hier  ebenso  wenig  eine 
Stätte  wie  im  Gebiet  der  interindividualen  GoUisionen;  oder 
das  Verhalten  derselben  ist  realdialektisch  geartet,  dann  ist 
das  Logische  der  Erfahrung  zuwider  ganz  aus  dem  intra- 
individualen  Prozess  hinauszuweisen. 

4.    Die  praktische  Logik  im  System  der  Realdialektik. 

B.  behauptet,  dass  die  Realdialektik  genau  ebenso  log^ch 
verfahre  wie  jede  andere  PhUosophie,  sich  der  logischen  De- 
duction  „nach  Bedürfhiss^'  bediene  und  sich  namentlich  in 
ihrer  Induction  von  keiner  andern  PhUosophie  unterscheide 
(30).  Die  Realdialektik  „wünscht^'  also,  sich  in  nichts  vom  Ra* 
tionalismus  zu  unterscheiden  und  „strebt  aufrichtig  nach  dem 
Lobe  untadelhafter  Logicität^'  (154);  sie  lässt  auf  dem  der 
Logik  angehörenden  Felde  den  Widerspruch  nicht  zu  (63), 
behauptet  die  Unwiderleglichkeit  und  Unfehlbarkeit  correct 
concludirter  Syllogismen  (207)  und  erkennt  die  reductio  ad 
absurdum  mit  den  Worten  an,  dass  da,  wo  reiner  Unsinn 
herauskommt,  im  Grunde  etwas  versehen  sein  muss  (280). 
Freilich  schränkt  B.  diese  Wünsche  und  Behauptungen  schon 
durch  das  Geständniss  ein,  dass  eine  vom  Widerspruch  aus* 
gehende  und  zum  Widerspruch  hinfuhrende  Wissenschaft  nur 
selten  von  jeder  Art  von  ratiocinatio  Gebrauch  machen  könne 
(28);  aber  das  Bedenken  gegen  die  Statthaftigkeit  dieses 
Gebrauchs  ĂĽberhaupt  glaubt  er  durch  die  Bemerkung  nieder* 
schlagen  zu  können,  „dass  Niemand  logisch  correcter  zu  ver- 
fahren pflegt,  als  innerhalb  ihrer  fixirten  Wahnidee  die  Irr- 
sinnigen^' (154).  Hier  handelt  es  sich  aber  nicht  darum,  ob 
B.  den  Anspruch  erhebt,  logisch  zu  verfahren,  sondern  ob 
dieser  Anspruch  ein  mit  seinen  Principien  vereinbarer  ist, 
und  diese  Frage  ist  entschieden  zu  verneinen. 

Wir  haben  gesehen,  dass  B.  den  Unterschied  des  intra* 
individuellen  Widerspruchs  und  interindividuellen  Widerstreits, 
des  Realdialektischen  und  Antinomischen  geflissentlich  igno- 
rirt,  und  beide  Alien  des  realen  Prozesses  als  antĂĽc^sch 
behandelt,  dass  er  femer  die  logische  Legislatur  des  Denkens 
und  die  antilogische  Legislatur  des  Sems  als  zwei  sich  wider- 
sprechende Welten  behandelt,   innerhalb  deren  das  Denken 


E.  von  Hartmann:  Bahns«n*s  Realdialektik.  347 

dem  Sein  niemals  Vorschriften  machen  kann,  sondern  nur 
sich  dem  empirisch  gegebenen  Seinswiderspruch  zu  beugen 
hat  (100,  105).  So  nimmt  die  Realdialektik  „ihren  Ursprung 
aus  einer  tiefen  Demut higung  des  Denkens;  ihre  Keime  ent- 
spriessen  aus  dem  Moder  der  Verzweiflung  an  einer 
logisch  correcten  Erkennbarkeit  der  Welt'^  (9),  und  ihr  Ende 
ist  ebenfalls  sowohl  in  praktischer  wie  theoretischer  Hinsicht 
der  Desperatismus,  die  Einsicht  in  die  Unentrinnbarkeit  des 
Leids  und  die  Unerreichbarkeit  des  Wissens  (390).  Das  Wissen, 
welches  sie  zu  bieten  hat,  erhebt  sich  nicht  ĂĽber  das  sokra- 
tische  Wissen  um  die  eigne  Ignoranz  (390),  nicht  ĂĽber  die 
letzte  und  äusserste  Gestalt  des  Skepticismus :  den  Zweifel 
an  der  GĂĽltigkeit  der  logischen  Gesetze  (8,  12,  151).  Ihre 
Weisheit  erschöpft  sich  darin,  zu  zeigen,  dass  „die  Vernunft 
selbst  ein  Widersinniges,  UnvemĂĽnftiges,  Antilogisches'^  ist, 
weil  sie  ihrem  Zwecke  der  Welterkenntniss  nicht  nur  nicht 
gewachsen,  sondern  antipodisch  zuwiderlaufend  ist  (87),  dass 
die  Wirklichkeit  etwas  logisch-Unmögliches,  das  logisch-Unmög- 
liche ein  faktisch-Nothwendiges,  und  das  logisch-Nothwendige 
ein  faktisch-Nichtseiendes  ist  (94),  und  dass  es  demnach  nur 
ein  llittel  gibt,  dem  Willensziel  der  Erkenntniss  näher  zu 
kommen,  nämlich  die  Umkehr  unserer  Gehimaccommodation  von 
den  logischen  zu  den  antilogischen  Denkgesetzen  (87).  Gelänge 
diese  Umkehr,  so  wäre  adäquate  Welterkenntniss  möglich; 
das  Wissen  ist  nur  darum  unerreichbar,  weil  diese  Umkehr 
nur  in  sehr  geringem  Maasse  möglich  ist,  und  wir  durch 
unsere  unzerstörbare  logische  Gehimorganisation  zu  dem  in 
sich  widersinnigen  Bestreben  Terurtheilt  bleiben,  ein  an  sich 
Antilogisches  mit  HĂĽlfe  der  ihn)  widersprechenden  logischen 
Formen  in's  Bewusstsein  aufzunehmen  (84).  Da  aber  der 
WiDe  trotz  der  Einsicht  in  die  Unerreichbarkeit  seines  Zieles 
das  Wissenwollen  nicht  aufgeben  kann,  so  muss  man  doch 
jene  Umkehr  so  sehr  als  möglich  in  sich  zu  realisiren  suchen, 
und  sich  mit  dem  Bewusstsein  begnĂĽgen,  dass  man  der  Wahr- 
heit um  so  näher  kommt,  je  mehr  dieselbe  gelingt. 

Die  Arbeit  dieser  Umkehr  ist  eine  doppelte,  negativ  die 
Gewöhnung  an  die  Aufhebung  und  Unwahrheit  der  logischen 
Gesetze,    positiv   die  Grewöhnung,    das   Denken   unter   das 


248  E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik. 

antQogische  Gesetz  der  realdialektischen  Wirklichkeit  zu  beugen 
(202 — 203).  Das  Gesetz  der  Identität  ist  von  B.  als  „meta- 
logisches Gesetz"  der  Logik  entrĂĽckt;  es  handelt  sich  also 
wesentlich  um  die  Aufhebung  der  Gesetze  des  Widerspruchs 
und  des  aufgehobenen  Dritten.  Ersteres  wird  gewöhnlich  als 
die  negative  Kehrseite  des  Gesetzes  der  Identität  behandelt, 
insofern  Identität  und  Widerspruch  einander  widersprechen 
und  darum  unvereinbar  sind;  6.  setzt  dem  die  Behauptung 
entgegen,  dass  beide  „unter  einander  selber  keinen  Wider- 
spruch bilden,  also  auch  unter  gewissen  Umständen  und  in 
gewissen  Hinsichten  mit  einander  vereinbar  bleiben"  (53).  „Ihre 
eigentliche  Opposition  kehrt  die  Realdialektik  gegen  das  soge- 
nannte Princip  vom  ausgeschlossenen  Dritten",  indem  sie  an 
Stelle  des  despotischen  aut  —  aut  die  Einheit  von  et — et  und 
nee — nee  setzt  (185);  diese  Erklärung  hindert  B.  freilich  nicht, 
sich  selbst  dieses  perhorrescirten  Princips  „nach  Bedürfhiss" 
mit  Nachdruck  zu  bedienen  (193—194). 

Vor  allen  Dingen  wird  von  der  Realdialektik  die^Wider- 
spruchslosigkeit  als  formales  Kriterium  der  Wahrheit  ausser 
Kraft  gesetzt  (198),  und  ihr  Gegentheil,  die  widerspruchsvolle 
Beschaffenheit,  als  formales  Kriterion  der  Wahrheit  procla- 
mirt.  Eine  angebliche  Wahrheit,  die  nicht  mit  einem  Wider- 
spruch behaftet  ist,  kann  nicht  wahr  sein,  „weU  sonst 
eine  Verschiedenheit  (Nichtidentität)  bestehen  würde  zwischen 
ihrem  Inhalt  mid  dem,  wovon  dieser  Ausdruck  sein  soll,  dem 
Seienden"  (54).  NatĂĽrlich  muss,  um  die  Wahrheit  eines  Satzes 
behaupten  zu  können,  zu  diesem  formalen  Kriterion  noch  ein 
materiales,  die  Uebereinstimmung  mit  der  durch  Erfahrung 
erkannten  Wirklichkeit  hinzukommen;  es  ist  also  nicht  jeder 
Unsinn,  den  die  Phantasie  sich  aushecken  kann,  schon  darum 
wahres  Abbild  einer  Wirklichkeit,  weil  er  sich  selbst  wider- 
sprechend (absurd)  ist  (55,  62,  95,  103),  aber  es  bleibt  doch 
richtig,  dass  jeder  solche  Unsinn,  danun  weil  er  dem  Denken 
für  absurd  gilt,  noch  nicht  von  der  Möglichkeit  ausgeschlossen 
ist,  von  der  Erfahrung  einmal  als  Wahrheit  erwiesen  zu  wer- 
den, wohingegen  jedes  widerspruchslose  Vorstellungsgebilde 
schon  durch  seinen  Verstoss  g^en  das  formale  Kriterion  der 
Wahrheit   für    ewig    von  der  Möglichkeit  der    empirischen 


E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik.  249 

Bewährung  ausgeschlossen  bleibt.  Also  nicht  alles  Absurde  ist 
wirkliche  Wahrheit;  aber  alles  Absurde  ist  mögliche  Wahr- 
heit und  alles  nicht  Absurde  kann  unmöglich  Wahrheit  sein. 
Dies  ist  ganz  genau  der  Standpunkt  B.*s,  und  einen  andern 
habe  ich  ihm  nie  unterstellt,  daher  seine  wiederholte  Polemik 
gegen  solche  vermeintliche  Unterstellungen  von  meiner  Seite 
Töllig  gegenstandslos  ist.  Ob  dieser  Standpunkt  noch  das 
Recht  hat,  sich  in  irgend  welchem  Sinne  Rationalismus  zu 
nennen,  kann  ruhig  dem  Urtheil  des  Lesers  fiberlassen  bleiben; 
ebenso  die  Frage,  mit  welchem  Rechte  ein  solcher  Standpunkt 
die  Kritik  fĂĽr  sich  in  Anspruch  nimmt,  welche  der-  Rationa- 
lismus des  vorigen  Jahrhunderts  gegen  den  Wunderglauben 
gefuhrt  hat  (64). 

B.  beruft  sich,  um  einen  gewissen  Gebrauch  der  Logik 
im  realdialektischen  System  zu  legitimiren,  darauf,  dass  eine 
objective  GĂĽltigkeit  der  logischen  Gesetze  in  den  einseitigen 
Hälften  der  selbstentzweiten  Willenswesen  stattfinde,  und  dass 
soweit,  als  diese  reiche,  auch  das  subjective  Denken  logisch 
rectograd  verlaufen  könne  und  müsse.  Es  ist  oben  gezeigt, 
dass  diese  Einschränkung  auf  einer  unhaltbaren  Fiction  beruht, 
weil  nach  den  Grundbegriffen  der  Realdialektik  jede  einseitige 
Hälfte  eine  Veränderung  nur  durchmachen  kann,  insofern  sie 
entweder  mit  ihrer  correlativen  Hälfte  coUidirt,  oder  aber  als 
Gomplex  weiter  innerer  Diremtion  auftritt,  also  in  beiden 
Fällen  nicht  logisch  sondern  realdialektisch  sich  verhält.  Da 
somit  die  Annahme  objectiv-logischer  Processstrecken  mit  den 
Principien  der  Realdialektik  unvereinbar  ist,  so  entfallt  auch  die 
Behauptung,  denselben  im  subjectiv  logischen  Denken  Rech- 
nmig  tragen  zu  mĂĽssen. 

Aber  gesetzt  den  Fall,  wir  räumten  diese  objectiv- logi- 
schen Processstrecken  ein,  so  wĂĽrden  doch  alle  Versuche, 
denselben  durch  parallel  laufende  syllogistische  Denkprocesse 
zu  folgen,  praktisch  werthlos  sein,  weil  das  Denken  hier  nie 
vorausbestimmen  kann,  wie  weit  die  Parallelität  der  syllo- 
gistischen  und  der  realen  Erscheinungskette  gehen  werde, 
und  wie  bald  im  gegebenen  Falle  das  Denken  vor  der  real- 
dialektisch einschlagenden  Erfahrung  werde  „kehrt  machen^^ 
mĂĽssen  (356).    Der  praktische  Werth  des  logischen  Denkens 


250  E.  von  Hartmann:  Bahnsen^s  Realdialektik. 

beruht  ja  ganz  allein  auf  der  Voraussetzung,  dass  correkte 
Schlässe  auch  unbedingt  wahre,  d.  h,  mit  der  Wirklichkeit 
ĂĽbereinstimmende  Ergebnisse  Uefem;  da  dies  aber  nach  B. 
nur  fĂĽr  eine  minimale  Strecke  einseitigen  Geschehens  gilt,  deren 
Länge  erst  durch  Erfahrung  constatirt  werden  muss,  so 
hört  jeder  mögliche  Nutzen  des  Denkens  auf,  weil  ich  das 
nicht  erschUessen  kann,  was  ich  noch  nicht  erfahren  habe, 
und  das  nicht  mehr  zu  erschliessen  brauche,  was  ich  schon 
erfahren  habe.  Das  logische  Denken  ist  also  hier  entweder 
eine  irreleitende,  oder  eine  ĂĽberflĂĽssige  BemĂĽhung,  auf  die 
man  jedenfalls  besser  thut  zu  verzichten,  um  sich  ganz  allein 
der  untrĂĽglichen  realdialektischen  Erfahrung  hinzugeben. 

Die  ratiocinatio  mĂĽsste  in  der  Realdialektik  ganz  allein 
auf  die  argumentatio  ad  hominem  beschränkt  bleiben,  wenn 
es  sich  nämlich  darum  handelt,  dem  Logiker  mit  seinen  Mit- 
teln zu  demonstriren,  dass  seine  yermeintliche  Logik  auf  Real- 
dialektik hinauslaufe;  in  diesem  Falle  hätte  sie  aber  nicht 
den  Werth  einer  sachUchen  Methode,  sondern  den  emer  per- 
sönlichen Accomodation  an  einen  sachlich  verkehrten  Stand- 
punkt zu  propädeutischen  Zwecken. 

Es  ist  mĂĽssig,  mit  B.  darĂĽber  zu  streiten,  ob  der  Welt- 
gang ein  widersinniger  ist,  oder  ob  er  nur  am  logischen 
Maassstab  des  Denkens  gemessen  so  erscheint  (202);  das 
letztere  genĂĽgt  fĂĽr  sich  allein  schon,  das  Denken  zum  Ver- 
zicht auf  Erkenntniss  mit  seinen  Mitteln  zu  zwingen,  und 
jeden  Versuch  dieser  Art  als  eine  Accomodation  an  die  gewöhn- 
liche, nichtdialektische  Denkweise  zu  betrachten,  welche  sich 
als  inconsequente  Zuthat  in  das  realdialektische  System  hin- 
eingedrängt hat. 

Die  Realdialektik  entsprang  aus  der  Verzweiflung  an  der 
eignen  Kraft,  die  Sphinx  des  Widerspruchs  in  den  Abgrund 
stürzen  zu  können  (62),  und  aus  dem  resignirten  Glauben, 
dass  es  kein  ander  Heil  gebe,  als  sich  bei  der  Einsicht  in 
diese  Unmöglichkeit  zufrieden  zu  geben  (13);  aber  dieser 
Desperations -Coup  einer  ĂĽbereilten  Resignation,  der  unter 
Verschmähung  der  «geduldigen  Mitarbeit  an  der  Ueberwindung 
der  Widerspräche  und  der  Lösung  der  Welträthsel  den  zu 
bekriegenden   Feind    als   Herrn  der   Welt    auf   den   Thron 


E.  von  Hartmaiin:  Bahnsea's  Realdialektik.  351 

erhebt,  endet  doch  schliesslich  mit  der  kläglichen  Heimkehr  in 
die  logische  Heimath,  mit  der  trĂĽbseligen  Anstrengung,  die 
logische  Denkarbeit  im  Widerspruch  mit  dem  prodamir- 
ten  Princip  fortzusetzen,  welche  die  ĂĽbrige  Welt  im  Ein- 
klang mit  ihren  Principien  betreibt.  Der  völlige  Verzicht 
auf  Wissen  ist  nun  einmal  selbst  fĂĽr  den  Realdialektiker 
nicht  auszuhalten,  am  wenigsten  fĂĽr  Einen,  dem  so  sehr 
daran  gelegen  ist,  sich  den  Credit  eines  „Denkers"  zu  be- 
wahren. Aber  Tielleicht  findet  B.,  dass  er  gerade  in  diesem 
widerspruchsvollen  Verhalten  zur  Logik  die  allereigentlichste 
xm^  persönlichste  Bewährung  seiner  realdialektischen  Grund- 
satze, die  Einheit  des  et — et  und  nee — nee,  geliefert  hat 
(215--216),  und  blickt  spöttisch  auf  den  Kritiker,  der  ihm 
mit  einer  logischen  reductio  ad  absurdiun  beizukommen  meint 
(229);  dann  naturlich  bleibt  letzterem  nichts  ĂĽbrig,  als  ihm 
zu  dem  Triumph,  welchen  er  als  Meister  der  Realdialektik 
in  diesem  Werke  feiert^  zu  gratuliren.  Nur  wird  er  sich 
nicht  wundem  dĂĽrfen,  wenn  in  diesem  Falle  die  ĂĽbrige  Welt 
sein  Geständniss,  dass  „das  eigentlich  letzte  Schlussfacit  der 
Realdialektik"  auf  ein  „Nihil  vere  negativum"  laute,  und 
sonach  die  Realdialektik  einen  „realen  oder  realistischen  Nihilis- 
mus*' repräsentire  (242),  doch  in  etwas  weiterem  Sinne  auflasst, 
als  er  dasselbe  gemeint  hat. 

5.  Die  empirische  BegrĂĽndung  der  Realdialektik. 
Mag  es  nun  immerhin  sein,  dass  B.  die  Stellung  des 
Logischen  im  realdialektischen  System  nicht  richtig  bestimmt 
hat,  und  diese  Partie  seines  Werkes  einer  durchgreifenden 
Correctur  bedarf,  so  bleibt  es  dessen  ungeachtet  mc^lich, 
dass  das  Prmdp  der  Realdialektik  richtig  und  dazu  bestimmt 
sei,  die  Welt  zu  reformiren.  Wenn  B.  Recht  hat,  dass  die 
Erfahrung  uns  den  Widerspruch  allerwärts  als  Thatsache  der 
Wirklichkeit  zeigt,  so  hat  er  auch  Recht,  dass  das  Denken 
sich  vor  dieser  Thatsache  beugen  muss  (100,  105).  Nur  das 
ist  verkehrt,  in  diesem  Falle  noch  von  Erkenntniss  und  Wis* 
senschafl  zu  reden;  denn  die  blosse  Erfahrung  vermag  Beides 
niemals  zu  gewähren,  vielmehr  beginnt  Beides  erst  mit  der 
logischen  Bearbeitung  der  Erfahrung,  und  zwar  nur  unter 
der  hier  nicht  erfĂĽllten  Bedingung,  dass  die  Denkgesetze  mit 


25S  E.  von  Hartmaim:  Bahnsen^s  Realdialektik. 

den  Gesetzen  der  Wirklichkeit  identisch  sind.  Den  Schein 
wissenschaftlicher  Erkenntniss  vermag  B.  seiner  Realdialektik 
immer  nur  durch  die  in  jeder  Gestalt  inconsequente  Ein- 
schmuggelung  der  Logik  in  dieselbe  anzuhelFten;  wird  diese 
Inconsequenz  corrigirt,  so  bleibt  nichts  als  die  Desperations- 
resignation  bei  der  absoluten  Ignoranz  ĂĽbrig  (390). 

Es   ist  ja   freilich   nicht  nöthig,   dass  Erkenntniss  und 
Wissenschaft  sei,  —  es  mag  ja  sein,   dass  das  Streben  nach 
beiden  nur  eine  äffende  Luftspiegelung  ist,  die  der  Wille  sich 
höhnend  vorgaukelt  (ebenso  wie  die  Sehnsucht  nach  der  un- 
möglichen Selbstversöhnung  seiner  Selbstentzweiung  — »52), 
bloss  zu  dem  Zweck,  um  damit  am  wirksamsten  sich  selbst 
zu  quälen;  dann  ist  es  aber  die  Aufgabe  der  realdialektischen 
Philosophie,  diese  selbstquälerische  Prellerei  zu  entlarven  und 
die  absolute  theoretische  wie  praktische  Resignation  wenig- 
stens als  anzustrebendes  Ideal  aufzustellen.    Wenn  aber  B. 
an  dem  Glauben,  dass  Erkenntniss  und  Wissenschaft  möglich 
sein  müsse,   festhält,   dann  muss   er  der  Realdialektik  den 
Rücken  kehren,  welche  die  Möglichkeit  beider  aufhebt,   und 
muss  sich  der  Reihe  der  ĂĽbrigen  Forscher  und  Denker  an- 
schliessen,  welche  den  Widerspruch  ĂĽberall,  wo  er  auftaucht, 
für  ein  blosses  Produkt  des  Irrthums  und  der  Unzulänglich- 
keit der  Erkenntniss  halten,   und  die  Aufgabe  der  Wissen- 
schaft  darin   sehen,   diesen   Schein   durch   Feststellung  des 
wahren,  d.  h.  widerspruchslosen  Sachverhalts  zu  zerstreuen. 
B.  bezeichnet  mit  Unrecht  diesen  Standpunkt  als  {tetitio  prin- 
cipii   (354 — 355);   es  ist  nur  ein  Probirverfahren,    ein  Ver- 
suchs Standpunkt,  der  sich  erst  an  seinen  Resultaten  bewäh- 
ren  muss,   aber   auch  bereits  in  hinreichendem  Ilaasse  an 
denselben  bewährt  hat,   um  sich  ihm  für  die  Zukunft  mit 
vollem  Vertrauen  hinzugeben. 

Wenn  die  Alternative  feststeht,  dass  man  entweder  ganz 
auf  Erkenntniss  resigniren,  oder  sie  auf  diesem  Wege  suchen 
muss,  so  ist  das  Suchen,  das  schon  so  sehr  durch  Finden 
belohnt  ist,  doch  wahrlich  nicht  mehr  des  Spottes  werth, 
den  B.  darĂĽber  ausgiesst  (355),  um  so  weniger,  als  er  selbst 
anerkennen  muss,  dass  auf  sehr  vielen  Gebieten  sehr  vieles, 
was    dem    unwissenschaftlichen    Blick    als    realdialektischer 


ÂŁ.  von  Hartmann:  Bahnsen's  ReakĂĽalektik.  353 

Widerspruch  erscheinen  musste,  von  der  Wissenschaft  als  logisch 
gesetzlicher  Zusammenhang  nachgewiesen  ist  (361).  So  hat 
er  denn  selbst  vieles  als  BegrĂĽndung  der  Realdialektik  fallen 
lassen,  was  ein  Neuling  dafĂĽr  halten  mĂĽsste,  und  thut  sich 
auf  diese  Besonnenheit  nicht  wenig  zu  Gute  (263,  264,  346), 
obwohl  dieselbe  ihn  nicht  hindert,  die  von  ihm  selbst  als 
nichts  beweisend  bezeichneten  Gebiete  mit  weitschweifiger 
Breite  durchzuarbeiten  und  stellenweise  auf  Beispiele  von 
einer  Trivialität  zurückzukonunen ,  die  wohl  selbst  einem 
„Neuling"  kaum  entgehen  kann  (z.  B.  184r— 185,  228,  316, 
358  Anm.,  vgl.  auch  die  angeblichen  Belagstellen  aus  Goethe 
S.  183).  Charakteristisch  fĂĽr  die  Unhaltbarkeit  seiner  Nach- 
weise ist  die  Unsicherheit,  welche  ihn  öfters  von  „anschei- 
nend'^  realdialektischen  Phänomenen  reden  und  noch  öfter 
schwanken  lässt,  ob  er  es  mit  logischen  oder  realdialektischen 
Erscheinungsgebieten  zu  thun  habe. 

So  viel  kann  B.  unmöglich  bestreiten,  dass  fiberall,  wo 
die  Wissenschaften  ihre  Aufgabe,  wissenschaftliche  Erkenntniss 
zu  liefern,  erfĂĽllt  haben,  die  WidersprĂĽche  schlechthin  besei- 
tigt sind,  mit  andern  Worten,  dass  der  Widerspruch,  oder 
wie  wir  meinen,  der  Schein  desselben  jeweilig  auf  das  von 
der  Wissenschaft  noch  nicht  erschlossene,  durchdrungene  und 
erhellte  Gebiet  beschränkt  Bleibt.  Es  ist  also  die  Sphäre  der 
Unwissenheit  und  Unwissenschaftlichkeit  der  einzige  Boden, 
auf  dem  die  Realdialektik  pflĂĽgt,  und  zwar  die  Unwissenheit 
und  Unwissenschaftlichkeit  in  zweifacher  Hinsicht,  erstens  die 
objective,  sofern  sie  aus  der  Unzulänglichkeit  des  jeweiligen 
Gesammtzustandes  der  Wissenschaften  entspringt,  und  zwei- 
tens die  subjectiTe,  sofern  sie  aus  der  wissenschaftlichen  Ein- 
seitigkeit und  menschlichen  Schwachheit  der  einzelnen  Denker 
und  Forscher  entspringt. 

Jedermann  weiss,  dass  uns  noch  Vieles  dunkel  und  un- 
begreiflich ist,  und  wenn  man  alles  vorläufig  Unbegreifliche 
sofort,  als  ob  es  darum  schon  ein  Undenkbares,  d.  h.  logisch 
Unmögfiches  wäre,  für  die  Realdialektik  in  Anspruch  nimmt 
(380),  so  ist  es  nicht  schwer,  mit  der  empirischen  Bewährung 
derselben  ein  Buch  zu  fĂĽllen.  Noch  leichter  aber  ist  es, 
Folianten    aus   Folianten    zu    excerpiren    (303),    wenn    die 


254  E.  Yon  Hartmann:  Bahnsen^s  Realdialektik. 

einzelnen  Arbeiter  des  Geistes  nur  bei  den  Schlairockzipfeln 
ihrer  Menschlichkeit  gepackt  werden,  wenn  die  „Wissenschaft 
der  Realdialektik*^  zu  einem  Sammelsurium  von  unbrauch- 
baren ScherbenabftUen  aus  den  Werkstätten  grosser  und  klei- 
ner Geister  herabsinkt  und  ihren  Kessel  mit  den  fein  säuber- 
lich aufgelesenen  Spänen  zu  heizen  sich  bescheidet,  die  bei 
den  Turnieren  ideensĂĽchtiger  Logiker  umherfliegen  (26).  Be- 
sonders ergiebige  Felder  für  solche  Abfälle  sind  die  philoso- 
phischen Grenzgebiete  der  Mathematik  und  Naturwissenschaf- 
ten; denn  bekanntlich  besitzen  Mathematiker  und  Naturfor- 
scher nur  selten  philosophische  Anlage  und  Bildung  zugleich, 
und  bringen,  wenn  sie  sich  auf  die  philosophischen  Grund- 
begriffe ihrer  Wissenschaften  einlassen,  oft  genug  haarsträu- 
bende Absurditäten  zu  Tage,  aus  denen  es  sehr  wohlfeil  ist, 
eine  Blumenlese  zu  veranstalten  (303).  Aber  schon  der  Um- 
stand, dass  die  so  aufgetriebenen  WidersprĂĽche  alle  sich 
unter  einander  widersprechen,  sollte  ein  ausreichender  Fin- 
gerzeig sein,  dass  dieselben  blosser,  aus  der  Unwissenheit 
entspringender  Schein  sind,  anstatt  es  mit  6.  fĂĽr  einen  Be- 
weis für  die  absolute  Negativität  ihres  Substrats  zu  nehmen 
(18).  Wenn  B.  von  der  Wissenschaft  die  Toleranz  gegen 
den  Widerspruch  fordert,  weil  noch  nicht  alle  Aporien  ge- 
löst seien  (262),  so  fordert  er  dsfmit  nicht  mehr  und  nicht 
weniger,  als  den  principiellen  Selbstmord  der  Wissenschalt 

Ganz  schwächlich  sind  seine  umständlichen  Bemühungen, 
die  physikalischen,  chemischen  und  physiologischen  Phänomene, 
welche  unserer  Anschauung  zwar  paradox  erscheinen,  jedodi 
von  einer  tieferen  Reflexion  und  namentlich  vom  Galcul  als 
logisch  bedingte  erwiesen  sind,  zu  realdialektischen  Belägen  zu 
verwerthen,  und  der  Fleiss,  welchen  er  darauf  verwendet  hat, 
solche  Beispiele  aus  modernen  naturwissenschaftlichen  Jour- 
nalen zusammen  zu  lesen,  ist  eine  verlorene  MĂĽhe.  Er  ver- 
*  kennt  dabei,  dass  die  discursive  logische  Reflexion,  wenn  sie 
in  einer  Hinsicht  beschränkter,  so  auch  in  anderer  Hinsicht 
wieder  zuverlässiger  und  weittragender  ist  als  die  dnnUche 
Intuition,  und  dass  beide  berufen  sind,  einander  zu  ei^änzen, 
aber  nicht  einander  zu  verdrängen  (288,  142). 

Dass    aUe   Aporien,    welche   sich    aus    der   discursiven 


ÂŁ.  von  Hartmann:  Bahnson's  Realdial^tik.  355 

logischen  Reflexion,  also  insbesondere  aus  der  Mathematik  er- 
geben, für  die  Realdialektik  nichts  beweisen  können  ^),  er- 
kennt B.  ausdrücklich  an  (268—271,  282),  ebenso  dass  gerade 
aus  diesem  Grunde  die  Bekehrung  zu  seinem  Standpunkt  nur 
durch  anschauliches  Thatsachenmaterial  gefordert  werden 
kann;  aber  die  Möglichkeit  dieser  Beweisführung  wird  auf 
der  andern  Seite  von  ihm  selbst  immer  von  Neuem  wieder 
in  Frage  gestellt,  insofern  die  Anschauung  auf  die  Sphäre 
der  phänomenalen  Realität  verwiesen  ist.  Denn  diese 
Sphäre,  welche  mit  derjenigen  der  Existenz  zusammenfällt,  hat 
nur  die  Bedeutung^  momentane,  vorĂĽbergehende  Erschei- 
nungsform des  Essentiellen  zu  sein  (192),   und  B.  schwankt 


1)  Dessen  ungeachtet  ergeht  B.  sich  vinit  grösster  Ausführlichkeit  in 
dieser  Verbaldialektik.  Er  verkennt  vollständig,  dass  die  anscheinende  un- 
endlich kleine  Ungenauigkeit  bei  der  Integration  (304)  durch  zweiseitige 
Annäherung  an  die  gleiche  Grenze  als  absolut  identisch  mit  der  Null 
streng  logisch  erwiesen  wird.  Ueber  den  Wechsel  der  Vorzeichen  fördert 
er  Bemerkungen  zu  Tage  (95,  364),  die  deutlich  zeigen,  dass  er  von  der 
mathematischen  Bedeutung  solcher  Vorkommnisse  und  der  streng  logischen 
Bedingtheit  derselben  nicht  das  geringste  Verständniss  besitzt;  ebenso 
wenig  wie  von  dem  Unterschied  der  Begriffe:  räumliche  Dimension  und 
ränmliche  Richtung  (333).  Raum  und  Zeit  erklärt  er  für  mehr  als  blosse 
Formen  des  Seins,  für  reale  Entitäten,  für  Essenzen  und  Existenzen,  frei- 
lich ohne  Subsistens  (432).  Obwohl  er  sdbst  den  mit  den  Begriffen  «dis- 
cret  und  oontinuirlich*  getriebenen  Missbraudi  als  Grund  der  meisten 
mathematischen  und  mechanischen  ScheinwidersprĂĽche  richtig  aufdeckt 
(268),  verfällt  er  doch  selbst  dadurch  in  Widersprüche,  dass  er  die  Dis- 
cretheit  seiner  Henadologie  mit  der  Gontinuität  der  «realen  Entitäten" 
Raum  und  Zeit  nicht  zu  vereinigen  vermag.  Er  beschränkt  die  mechani- 
schen Kraftwirkungen  trotz  ihrer  Ubiquität  auf  eindimensionale  Kraftfäclen, 
die  anter  einander  (dreidimensional)  verschlungen  sind  (326—327),  und 
behauptet  trotz  des  inmierfort  betonten  Zusammenfallens  von  Function  und 
Fimctionirendem,  oder  Action  und  Agirendem  (332,  228—229)  die  räum- 
liche Indifferenz  dieser  Kraftfäden  (328,  332,  337).  Einen  wichtigen  Platz 
in  seiner  Naturphilosophie  nimmt  die  Repristination  der  SchelMng'schen 
Speeulationen  Ober  den  Begriff  der  Polarität  ein  (442),  welche  gegenwärtig 
bei  dem  immer  siegreicheren  Vordringen  der  unitarischen  Electricitäts- 
theorien  gar  keinen  wissenschaftlichen  Boden  mehr  hfĂĽ^en.  Wie  weit  er 
darin  geht,  zeigt  das  Beispiel,  dass  er  «Attraction  und  Repulsion  nicht 
als  zwei  verschiedene  Kräfte,  sondern  als  die  contradictorisch  entgegenge- 
setzten Wirkungsweisen  einer  und  derselben  Kraft",  nämlich  der  Gravita- 
tion, behandelt  (380), 


256  E.  von  Hartmann:  Bahnsen's  Realdialektik. 

dazwischen,  ob  diese  Erscheinung  als  Ausdruck  der  Widerspruchs* 
vollen  Willensnatur  selbst  ihren  antilogischen  Ursprung  ver- 
rathen  muss  (300),  oder  ob  sie  nicht,  im  Gegensatz  zu  der 
realdialektischen  Essenz  vielmehr  ausschliesslich  unter  der 
Botmässigkeit  des  logischen  Gesetzes  stehe  (100),  so  dass  die 
eigentliche  Forschungssphäre  des  Realdialektikers  im  Meta- 
physischen, und  nicht  im  Phänomenalen  liegen  müsste(263). 
Dieses  Schwanken  erhöht  noch  die  Unsicherheit,  welche  aus 
den  oben  bezeichneten  Quellen  stammt,  und  lässt  den  ganzen 
Versuch  einer  empirischen  Bewährung  als  ein  zages  Herum- 
tasten  mit  gelähmtem  nervus  probandi  erscheinen,  das  seine 
Aufgabe,  das  Denken  unter  die  empirische  Thatsache  des 
Widerspruchs  zu  beugen,  ganz  unfähig  ist  zu  erfüllen.  So 
sehen  wir  uns  von  der  verfehlten  empirischen  BegrĂĽndung 
auf  die  speculative  verwiesen,  die  uns  erst  in  die  eigentliche 
Sphäre  der  Realdialektik,  die  metaphysische  einführen  soll 
6.  Die  speculative  BegrĂĽndung  der  Realdialektik. 
Der  Grundbegriff  der  B.'schen  Charakterologie  und  Real- 
diaiektik  ist  „die  Selbstentzweiung'^  Dieser  Begriff  umfasst 
aber  zwei  ganz  verschiedene  Vorgänge:  erstens  die  psycho- 
'  logische  Collision  von  divergenten  Begehrungen  und  Trieben 

innerhalb  desselben  organisch-psychischen  Erscheinungsindivi- 

duums  und  zweitens  die  metaphysische  Collision  zwischen  ge- 

sonderten  Actionen  oder  Actionscomplexen  des  Allwillens,  durch 

I  welche  erst  die  objectiv  -  phänomenale  Individuation  und  mit 

'  ihr  die  Welt  der  Wirklichkeit  constituirt  wird. 

Wenn  innerhalb  eines  Individuums  mehrere  Begehrungen 
sich  kreuzen,  so  entsteht  dabei  ebenso  gut  ein  realer  Gonflict 
wie  bei  der  Kreuzung  von  Willensakten  verschiedener  Indi- 
viduen; in  beiden  Fällen  wird  der  reale  Gonflict  und  das 
logisch  gesetzmässige  Gompromiss  zwischen  den  Opponenten 
.  ^  nur  dadurch. möglich,  dass  das  Entgegengesetzte  nicht  zugleich 
sein  kann,  d.  h.  dass  der  Widerspruch  in  der  Wirklichkeit 
ebenso  unmöglich  ist  wie  im  Denken.  Der  Unterschied  liegt 
nur  darin^  dass  bei  der  interindividuellen  Collision  das  Gom- 
promiss nur  als  äusseres  Resultat  zu  Tage  tritt,  bei  der  intra- 
individuellen hingegen  sich  zugleich  innerlich  vollzieht  und 
als  einheitliche  Resultante  des  Individualwillens  sich  geltend 


E.  ron  Hartmann:  Bahnsen^s  Rea]dia]elctik.  257 

macht  „Dass  der  Wille  auch  dann  nicht  aufhört,  ein  (po- 
tentiell) selbstentzweiter  zu  sein,  wenn  sein  Antagonismus  aus 
der  Actuaütät  in  die  Potentialität  phänomenologischer  Ruhe 
sich  zuräckgezogen  hat,'^  ist  ganz  richtig,  insofern  die  Viel- 
heit der  in  molecularen  Hirnprädispositionen  würzenden  cha- 
rakterologischen  Triebe  bestehen  bleibt  und  vorkommenden 
Falls  zur  Ursache  neuer  actueller  Begehrungsconflicte  wird; 
aber  ganz  irrig  ist  es,  die  charakterologische  Veranlagung  der 
Triebe  zu  solchen  nichts  weniger  als  widerspruchsvollen  Gon- 
flicten  als  Bewährung  und  Hauptgrundlage  der  Realdialektik 
in  Anspruch  zu  nehmen  (343).  Jedenfalls  gehören  alle  diese 
Spaltungen  lediglich  der  Sphäre  der  phänomenalen  Existentia- 
litat  an,  insofern  sie  sieb  in  der  Opposition  des  Specialinhalts 
eines  bidividualwillens  erschöpfen;  B.  will  aber  hinter  diese 
Sphäre  zurück  und  sich  nicht  einmal  mit  der  CoUision  zwi- 
schen dem  (antilogischen)  Willenswesen  und  seiner  (logischen) 
phänomenalen  Actualisirung  begnügen,  sondern  die  eigent- 
lichste und  tiefste  Selbstentzweiung  in  der  „voluntas  pura 
noch  vor  und  ganz  abgesehen  von  der  besonderen  Beschaffen- 
heit ihres  sich  selbst  widerstreitenden  Special-Inhalts*'  suchen 
und  finden  (190).  Hiermit  erst  ist  die  Sphäre  der  psycho- 
logischen Gollisionen  verlassen  und  die  der  metaphysischen 
betreten,  aus  welchen  die  erfahrungsmässig  gegebene  Vielheit 
der  gleichartigen  Individuen  selbst  erst  resultĂĽl. 

Dass  wir  die  Welt  nur  als  eine  Welt  realer  Vielheit  zu 
denken  vermögen,  bedeutet  mit  anderen  Worten,  dass  wir 
sie  nur  als  eine  immerdar  selbstentzweite  zu  denken  ver- 
mögen (282);  „was  stammelnde  Kinder  der  Endlichkeit  die 
Individualisirung,  d.h.  die  Selbst vervielung  des  Einen, 
die  Selbstdifferenzirung  des  Indifferenten,  die  Selbstrelativi- 
sirung  des  Absoluten  nennen,  lässt  sich  nur  vorstellig  machen 
als  eine  Sonderung  von  ....  polarem  GhardLter,"  d.  h. 
als  realdialektische  Selbstentzweiung  (284).  Das  Subject  dieser 
metaphysischen  Selbstentzweiung  ist  also  die  (wenigstens  be* 
grifflich  als  Prius  der  Selbstentzweitheit  zu  denkende)  abso- 
lute Substanz,  d.  h.  der  Allwille ;  da  aber  die  Substanz  „keine 
effecüve  Zertheilung  zulässt^S  so  ist  der  Modus  dieser  Selbst- 
entzwdung  eine  bloss  functionelle  Gontraposition  specificirter 

Philowpb.  Xooatahsfte  1881,  VI  a.  V.  17 


358  ÂŁ.  Ton  Hartmaiin:  Bahnsen's  Realdialdctik. 

Actionen,  und  das  Ergebniss  derselben  keine  „substantielle 
SelbstzerspIitterung'S  sondern  ein  bloss  phänomenaler  Anta- 
gonismus Ton  individualisirten  Actionscomplexen  (158). 

Mit  diesen  durch  eine  von  mir  gestellte  Altemative  pro* 
Yocirten  präcisen  Erklärungen  entzieht  6.  seiner  Monadologie, 
oder  wie  er  lieber  sagt:  Henadologie,  das  Fundament  einer 
substantiellen  Getrenntheit  der  Henaden  und  tritt  yollkommen 
auf  meinen  Standpunkt  hinüber.  A  sei  tat  können  die  He- 
naden nur  dann  besitzen,  wenn  sie  aus  gar  keiner  (weder 
substantiellen  noch  functionellen)  Selbstentzweiung  des  Abso- 
luten hervorgegangen  sind,  sondern  in  sich  selbst  urständen; 
eine  über  das  phänomenale  Gebiet  hinausreichende  ontolo- 
gische  Dignität  können  sie  nur  dann  besitzen,  wenn  sie  aus 
substantieller  Selbstzersplitterung,  nicht  bloss  aus  functioneller 
Kreuzung  der  Willensrichtungen  hervorgegangen  sind.  Will 
B.  die  Aseität  der  Henaden  festhalten,  so  muss  er  jede  über 
den  interindividuellen  Widerstreit  der  empirisch  gegebenen 
Individuen  hinausreichende  metaphysische  Selbstentzweiung 
des  Willens  fallen  lassen;  will  er  die  Begreiflichkeit  der  Ho- 
mogenität der  Monaden  durch  Festhaltung  ihres  einheitlichen 
Ursprungs  und  einer  Selbstentzweiung  des  letzteren  retten, 
so  muss  er  auf  die  Aseität  derselben  verzichten.  Will  er 
einen  metaphysischen  Pluralismus  im  Sinne  getrennter  Indivi- 
dualsubstanzen  aufrecht  erhalten,  so  muss  er  die  bloss  func- 
tionelle  Selbstentzweiung  des  Absoluten  durch  eine  substan- 
tielle Selbstzersplitterung  ersetzen  (wie  Mainländer);  will  er 
die  Selbstzersplitterung  für  unmöglich  erklären  und  eine  bloss 
functionelle  Selbstentzweiung  des  AllwiDens  behaupten,  so 
setzt  er  damit  seinen  Pluralismus  zu  einem  bloss  j^änome- 
nalen  herab  und  bekennt  sich  in  metaphysisch -ontologischer 
Hinsicht  zum  Monismus.  In  jedem  dieser  FäDe  hört  die  meta- 
physische Selbstentzweiung  auf,  zur  BegrĂĽndung  der  Real- 
dialektik dienen  zu  können,  sei  es,  dass  sie  selbst  verneint 
wird,  sei  es,  dass  sie  als  Selbstzersplitterung  die  eine  Sub- 
stanz in  viele  Theile  zerschlägt,  sei  es,  dass  sie  als  functio- 
nelle Selbstentzweiung  mit  dem  kosmischen  Antagonismus  der 
interindividuellen  Gollisionen  zusammenfällt. 

Da  nun  weder  substantielle  noch  functionelle  Selbstent- 


E.  von  Hartmann:  Bahnsen^s  Real<fialektiL  259 

zwehing  der  Realdialektik  aufzuhelfen  vermag,   so  muss  es 
scbHessIich  mit  einer   essentiellen  Selbstentzweiung  versucht 
werden,  die  aber  nur  innerhalb  des  bereits  constituirten  In- 
dividuums ihre  Geltung  haben  soll  und  jeden  Sinn  verliert, 
wenn   sie    auf  einen   absoluten   Allwillen   ĂĽbertragen   wird. 
Eine  Essenz,   die  sich  äussern  können  soll,   muss  das  Ver- 
mögen haben,   aus  sich  herauszutreten,   d.  h.   eine  potentia 
existendi  sein;   nach  Jedermanns  Meinung  .wäre  dies   keine 
potentia  existendi,   wenn  sie  nicht  zunächst  und  vor   allen 
Dingen  an  und  fĂĽr  sich  subsistirte,  wenn  ihr  nicht  als  Potenz 
eine  unverlierbare  Subsistenz  zukäme,  in  welcher  zugleich  ihre 
Snbstantialität  liegt  (246).    Aber  dieser  Gedanke  ist  für  B. 
zu  einfach,  und  das  scheint  ihm  ein  Grundfehler,  weil  dabei 
nämlich  keine  Selbstentzweiung  der  Essenz  herauszubringen 
wäre.    Diese  bringt  er  nun  folgendermaassen  zu  Wege.    Er 
rednplicirt   das   Potenzialitätsverhältniss,    welches    der   Wille 
zum  Wollen  (d.  h.  zur  Existenz)  hat,  in  Bezug  auf  den  Willen 
an  sich,   d.  h.  als  bloss  subsistir enden,   und  supponirt  dem- 
gemäss,  dass  zu  der  Subsistenz  (oder  Substantialität)  der  Po- 
tenz selbst  wieder  eine  potentia  subsistendi  erforderlich  sei, 
die  er  aber   zur  Vermeidung  der  wörtlichen  Wiederholung 
vorzieht,  facultas  subsldiendi  zu  nennen,  und  supponirt  dann 
weiter,  dass  diese  facultas  subsistendi  der  potentia  existendi 
nicht  von  selbst  innewohne,   sondern  erst  anderswoher  ver- 
liehen werden  mĂĽsse.    Um  diese  Verleihung  zu  bewerkstel- 
ligen, wird  dann  zum  dritten  Male  der  Potenzbegriflf  benutzt, 
als  das  Vermögen,  der  potentia  existendi  die  facultas  subsi- 
stendi zu  verleihen.    Da  nun  erst  durch  Erlangung  der  fa- 
cultas subsistendi  die  potentia  existendi  zu  wahrer  essentia 
werden  soll,  so  ist  jenes  Vermögen,  was  diese  Verleihung  be- 
wirkt,  zugleich  dasjenige, .  was   das  Sein  verleiht,   also  eine 
potentia  essendi.    Aber  wie  B.  im  zweiten  Falle  den  Aus- 
druck potentia  durch  facultas  ersetzte,   so  jetzt  in   diesem 
dritten  Falle  durch  vis  oder  hfi^yeia,   d.  h.  durch  dasjenige, 
was  resultirt,   nachdem  die  potentia  existendi  aus  ihrer  Po- 
tenzialität  in  die  Actualität  herausgetreten  ist.    So  wird  der 
monströse  Begriif  der  vis  essendi  construirt  (233),   um  eine 
„antithetische   Strebung^'    gegen    die    potentia   existendi   zu 


260  C.  Gantoni:  Emanuele  Kant 

gewinnen,  und  zi:^Ieich  in  dieser  metaphysischen  Tis  inertiae 
die  souveräne  Selbstverbürgung  der  'Selbstherrlichkeit  und 
Aseität  der  Henade  zu  gewinnen  (249).  Aber  die  Aseität 
ist,  wie  gezeigt,  unhaltbar,  und  die  Doppelheit  in  der  Essenz 
der  Henade,  welche  mit  der  vis  es^endi  neben  der  potentia 
existendi  construirt  ist,  hat  gar  nichts  Antithetisches,  Real- 
dialektisches  an  sich,  da  beide  doch  stets  nur  in  harmoni- 
scher Cooperation  (als  henadologische  Essenz)  wirken,  also 
verfehlt  diese  verschrobene  BegriffskĂĽnstelei  noch  dazu  so 
vollständig  als  möglich  ihren  Zweck. 

So  erweist  sich  denn  die  speculative  BegrĂĽndung  der 
Realdialektik  als  ebenso  unhaltbar,  wie  die  empirische,  und 
beide  zusammen  nicht  minder  verfehlt  als  die  Versuche,  der 
Logik  einen  Platz  innerhalb  der  Realdialektik  offen  zu  halten. 
DĂĽrfte  der  Werth  eines  Standpimktes  und  des  ihn  darstel- 
lenden Werkes  nur  nach  dem  in  ihm  zu  findenden  Gehalt  an 
Wahrheit  bemessen  werden,  so  wäre  die  Lebensarbeit  B.'s 
in  Bezug  auf  seine  Realdialektik  als  eine  völlig  vergebliche 
zu  bezeichnen  und  eine  so  eingehende  Kritik  derselben  kaum 
zu  rechtfertigen.  Aber  die  Entwickelung  der  Wahrheit  schrei- 
tet durch  IrrthĂĽmer  fort,  welche  sie  ĂĽberwindet,  und  deshalb 
kann  fĂĽr  dieselbe  die  grĂĽndliche  Durcharbeitung  eines  auf 
ihrem  Wege  liegenden  Irrthums  werthvoUer  sein,  als  inmier 
neue  systematische  Gompilationen  leicht  variirter  alter  Wahr- 
heiten. In  diesem  Sinne  glaube  ich  die  Beachtung,  welche 
ich  dem  vorliegenden  Gegenstande  geschenkt  habe,  rechtfer- 
tigen zu  können,  und  mit  dem  Wunsche  schUessen  zu  dürfen, 
dass  es  dem  Verfasser  bald  vergönnt  sein  möge,  den  zweiten, 
ethischen  Theil  seines  Werkes  dem  ersten  nachfolgen  zu  lassen. 


Emanuele  Kant  per  Carlo  CanUmi.  Vol.  L  La  filosofia  teo- 
reĂĽca.  Milano,  G.  Brigola  e  Gie.,  1879.  (XVI,  532  S.)  8^ 
Das  immer  weiter  sich  ausbreitende  Studium  Kant's  ist 
jedenfalls  eine  erfreuliche  Thatsache,  vorausgesetzt  nur,  dass 
es  zugleich  ein  immer  tiefer  eindringendes  Studium  sei.  Unter 
diesem  Gesichtspunkte  kann  man  auch  das  neue  oben  ge- 


G.  Gantoni:  Emanade  Kant.  261 

nannte  Buch,  den  ersten  umfangreichen  Thefl  eines  auf  zwei 
Bände  angelegten  Werkes,  mit  Freuden  begrüssen;  denn  ein 
nicht  erfolgloses  Streben,  in  die  Tiefen  des  Kantischen  Ge- 
dankenganges einzudringen,  wird  man  m  demselben  nicht  ver- 
kennen können.  Der  Verfasser  schreibt  der  Eantischen  Lehre 
mehr  als  bloss  historischen  Werth  zu;  er  erwartet  von  ihr 
auch  einen  wohlthätigen  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der 
Philosophie  und  der  ezacten  Wissenschaft  in  seinem  Heimath- 
lande. Kant  ist  ihm  die  rechte  Einleitung  in  die  neuere  Phi- 
losophie auch  fĂĽr  Italien;  denn  die  Philosophie  eignet  nicht 
einem  Lande.  Kant,  meint  er,  habe  nicht  ĂĽberall  die  voll- 
kommene Lösung  der  Probleme,  aber  immer  die  kräftigste 
Anregung  gegeben.  An  einer  vollständigen  Darlegung  des 
Eantischen  Systems  fehlt  es  in  Italien  noch,  wenn  auch  werth- 
voUe  Studien  ĂĽber  einzelne  Punkte  vorhanden  sind;  eine 
solche  sucht  der  Verfasser  zu  geben.  Im  vorliegenden  ersten 
Bande  behandelt  er  die  Vorläufer  Kant's  und  Kant's  vor- 
kritische Philosophie,  die  Kritik  der  reinen  Vernunft  und  die 
Weiterentwicklung  der  theoretischen  Philosophie  bei  Kant,  so 
dass  dieser  Band  fĂĽr  sich  ein  abgeschlossenes  Ganzes  bildet; 
ein  zweiter  Band  soll  die  Kritik  der  Urtheilskraft,  die  prak- 
tische Vernunft,  Rechts-  und  Staatslehre,  die  Religionsphflo- 
sophic,  die  Philosophie  der  Geschichte  und  die  Anthropologie 
bei  Kant  behandeln. 

Als  Vorläufer  Kant's  bezeichnet  der  Verfasser  zunächst 
Cartesius,  dessen  Grundprincip  das  denkende  Bewusstsein  war, 
der  aber  noch  im  Vertrauen  auf  die  Erkenntnisskraft  der  Ver- 
nunft dogmatisch  befangen  war;  sodann  Locke,  bei  welchem 
der  kritische  Gedanke  wach  wird  und  der  sogar  die  Lehre 
von  der  Subjectivität  von  Raum  und  Zeit  vorbereitet,  aber 
doch  mehr  als  Dilettant  und  nicht  als  strenger  SchulphOosoph 
phflosophirt.  Berkeley  sodann,  wenn  er  auch  noch  im  Empi- 
rismus Locke's  stecken  bleibt,  ergänzt  ihn  doch  in  manchen 
Punkten,  wird  aber  an  consequentem  Denken  durch  seine 
theologischen  Ueberzeugungen  gehindert.  Auch  Hume,  der  sonst 
das  Verhältniss  d^s  Denkens  zur  Wirklichkeit  mit  unvergleich- 
lichem Scharfsinn  behandelt,  vermag  sich  noch  nicht  hinläng- 
lich von  der  Vermischung  des  Psychologischen  mit  dem  Logi- 


362  G.  Gantoni:  Emanuele  Kant. 

sehen  zu  lösen  und  verfällt  darüber  in  Skepticismus.  Da- 
neben aber  versäumt  der  Verfasser  nicht,  zu  bemerken,  dass 
Kant  manche  ebenso  wesentliche  Elemente  seiner  kritischen 
Lehre  dem  Dogmatismus  anderer  Vorgänger  verdankt,  beson- 
ders Leibniz  und  der  Aufklärungsphilosophie,  die  sich  an  den- 
selben anschliesst. 

Wie  der  Verfasser  hier  mit  grosser  Umsicht  die  verschie- 
denen EinflĂĽsse,  die  auf  Kant's  Bildungsgang  einwirkten,  ab- 
schätzt, so  sind  auch  die  folgenden  Abschnitte  über  Kant*s 
Leben,  ĂĽber  seine  vorkritische  Periode,  ĂĽber  die  Dissertalion 
von  1770,  sowie  die  Analyse  der  Kritik  der  Reinen  Vernunfl 
sehr  sorgfältig  mit  umfassender  Eenntniss  der  Literatur,  wenn 
auch  ohne  hervorstechende  neue  Gesichtspunkte,  gearbeitet. 
Interessant  fĂĽr  uns  scheint  am  meisten  die  eigene  Kritik,  die 
der  Verfasser  an  Kant*s  Gedanken  ĂĽbt.  Wu'  heben  in  dieser 
Beziehung  einige  Punkte  hervor. 

Kant's  Werk  ist  nach  dem  Verfasser  eine  kritische  Theorie 
der  menschlichen  Erkenntniss.  Gegen  ein  solches  Untei  nehmen 
nun  wendet  Bertini  in  einer  Studie  über  Kant  ähnlich  wie 
Hegel  ein,  dass  das,  was  in  Frage  steht,  schon  als  bejaht 
vorausgesetzt  werde.  Denn  um  ĂĽber  die  Wahrheit  der  Er- 
kenntniss entscheiden  zu  können,  muss  man  zunächst  die 
Forderungen  feststellen,  denen  eine  Erkenntniss,  um  wahr 
und  gĂĽltig  zu  sein,  entsprechen  muss,  und  dann  muss  man 
nachweisen,  dass  die  menschliche  Erkenntniss  solchen  Forde- 
rungen genügt  oder  nicht  genügt ;  dazu  gehört  aber  als  Vor- 
bedingung eben  dies,  dass  das  Vermögen,  die  allgemeinen 
Principien  zu  erkennen,  dass  der  Sinn  der  inneren  Wahr- 
nehmung, und  endlich,  dass  das  Vermögen  des  Schliessens,  die 
Wahrheit  zu  jergreifen  vermöge.  Unser  Verfasser  erwidert 
darauf,  dass  die  Möglichkeit  des  Erkennens,  dass  insbesondere 
die  Existenz  von  mathematischer  und  physikalischer  Erkennt- 
niss von  Kant  niemals  in  Zweifel  gezogen  worden  sei,  dass 
es  sich  fĂĽr  Kant  nur  darum  gehandelt  habe,  denkend  die  Be- 
dingungen solcher  Erkenntniss  zu  ermitteln  und  danach  zu 
entscheiden,  auf  welchen  Gebieten  diese  Bedingungen  erfiillbai 
siiild,  auf  welchen  nicht  In^der  That  scheint  dies  der  einzig 
richtige  Gesichtspunkt  fĂĽr  die  Beurtheflung  des  Kantischen 


G.  Gantoni:  EmanuAle  Kant.  163 

Unternehmens  zu  sein.  Eant's  oberster  Grundsatz  ist,  dass 
die  denkende  Vernunft  allein  an  sich  selber  zu  messen  ist: 
dass  alle  Fragen,  welche  die  reine  Vernunft  aufwirft,  die  mit 
nichts  als  mit  sich  selbst  beschäftigt  ist,  schlechterdings  be- 
antwortlich  sein  mĂĽssen.  Gleichwohl  ist  die  Schwierigkeit 
damit  nicht  erledigt  und  der  Anstoss  nicht  beseitigt.  Der 
Einwurf  Hegel's  und  Bertini's  bleibt  in  seiner  Berechtigung 
best^ien,  freilich  nicht  dem  Unternehmen  Eant's  selber,  son- 
dern erst  dem  Resultat  gegenĂĽber,  wie  es  sich  aus  der  Unter- 
suchung bei  Kant  ergibt,  nämlich  dass  das  Ding  an  sich  un- 
erkennbar ist.  Denn  das  heisst  doch  in  der  That  nichts 
anderes  als:  es  gibt  ĂĽberhaupt  keine  Erkenntniss,  und  erst 
Ton  diesem  Resultat  aus  wäre  auch  das  für  die  Untersuchung 
selbst  vorausgesetzte  Vertrauen  auf  die  reine  Vernunft,  sich  * 
selbst  erkennen  zu  können,  ungerechtfertigt.  Dies  musste 
auch  der  Verfasser  selbst  nach  einer  vortrefflichen  Ausein- 
andersetzung S.  328  ff.  im  Grunde  zugeben. 

Aehnlich  wie  die  Neu-Eantianer  bei  uns,  ist  ferner  der 
Verfasser  geneigt,  ĂĽber  die  erkenntnisstheoretische  Frage  auf 
Grund  psychologischer  Betrachtungen  zu  entscheiden.  Dass 
Kant  diese  psychologische  Begründung  verabsäumt  habe, 
macht  er  ihm  zum  Vorwurf.  Mindestens  die  Wahrnehmung 
räumlicher  Verhältnisse,  wenn  auch  nicht  das  zeitliche  Vor 
und  Nach,  möchte  er  auf  die  physiologischen  Functionen  der 
Sinnesorgane  zurĂĽckfĂĽhren  und  die  reine  Raumanschauung 
nach  Analogie  der  Farben  z.  B.  als  eine  Abstraction  aus 
Daten  der  Erfahrung  ansehen,  wie  sie  besonders  durch  den 
GefĂĽhls-  und  den  Gesichtssinn  geliefert  werden.  Mit  Unrecht 
habe  Eant  gemeint,  allgemeingĂĽltige  und  nothwendige  Erkennt- 
nisse könnten  nur  die  sein,  die  ihren  Ursprung  allein  im  Sub- 
jeet  haben;  mit  ebenso  grossem  Unrecht  aber  habe  er  die 
Möglichkeit  einer  Synthesis  von  objectivem  Werth  nur  in 
dem  Zusammenwirken  von  Sinnlichkeit  und  Verstand  erblickt. 
Eant's  apriorischer  Formalismus  sei  ĂĽberhaupt  der  Ursprung 
unzähliger  Dunkelheiten  und  Widerspräche  in  seinem  System 
und  der  Ausgangspunkt  fĂĽr  das  Wiedererwachen  des  Dog- 
matismus seiner  Nachfolger  geworden.  Bei  Eant  habe  sich 
anf  jener  Grundlage  der  Dualismus  herausgebildet  zwischen 


264  G.  Gantoni:  Enuinuele  Kant. 

Erscheinung  und  Ding  an  sich,  Form  und  Bfaterie,  Sinnlich- 
keit und  Verstand,  ein  Dualismus,  der  allein  schon  die  spä- 
teren Bestrebungen  nach  monistischer  Ausgleichung  und  Ver- 
mittlung der  Gegensätze  erklärlich  mache.    Die  strenge  Gon- 
sequenz  aus  den  Kantischen  Principien  selber  fĂĽhre  weiter 
zur  Fichte'schen  und  Hegerschen  Lehre  von  dem  Verhältniss 
des  Denkens  zur  Wirklichkeit.    Aber  so  bedeutungsvoll  auch 
die  Eantischen   und  Hegerschen  Lehren  für  die  Lösung  der 
metaphysischen  Probleme  seien,   so  bedĂĽrfen  sie  doch  einer 
Einschränkung  und  Modiflcation  durch  andere  Principien.  Die 
logische  Betrachtung  reiche  nicht  aus;   die  Psychologie  habe 
zu  zeigen,    wie  sich  die  Kategorien   und  die  Principien  der 
reinen  Vernunft  unter  der  Einwirkung   und  Anregung  durch 
die  Sinnenwahmehmung  stufenweise  entwickeln.   Die  Formen 
der  Anschauung  wie  die  Kategorien  stammen  nicht  aus  den 
Sinnen  und  der  Erfahrung,  aber  seien  auch  nicht  rein  aprio- 
risch, sondern  werden  durch  diese  und  mittelbar  also  durch 
das  Reale  an  sich,  aus  welchem  die  Wahrnehmung  stammt, 
beeinflusst  und  bestimmt,   so  dass  sie  diesem  Realen  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  entsprechen.   Dieses  schlechthin  Reale 
ist  nach  dem  Verfasser  nicht  beweisbar;   aber  es  ist  Gt^en- 
stand  eines  unabweisbaren  Glaubens,  ein  nothwendiges  Po- 
stulat, wie  denn  zuletzt  immer  ein  GefĂĽhl,  eine  psychologische 
Nothwendigkeit ,   etwas    an   sich  Unbeweisbares,   der  tiefste 
Grund  unserer  Gedanken  sei,  und  wenn  wir  eigentliche  Wissen- 
schaft auch  nur  von  Gegenständen  einer  möglichen  Erfahrung 
haben,   so  haben  wir  doch   eben   darin   zugleich  eine  aus- 
reichende BegrĂĽndung  fĂĽr  einige  allgemeine  Erkenntnisse  ĂĽber 
das  schlechthin  Reale,   die  nicht  fĂĽr  bloss  subjectiv  eiilirt 
werden  dürfen,  sondern  durch  sorgfältige  Sonderung  des  Psy- 
chologischen,  Logischen  und  Metaphysischen  kritisch  zu  be- 
handeln seien,   um  das  dem  Realen  Entsprechende  aus  der 
VerhĂĽllung  auszuscheiden.    Ja,   rein  logisch  betrachtet  Hege 
schon  im  Satze  der  Identität   die  Behauptung  eines  an  sich 
Realen  enthalten.    Der  Unterschied,  den  Kant  zwischen  Ver- 
stand und  Vernunft  setzt,   sei  ein  willkĂĽrlicher  und  fĂĽr  das 
System  selbst  nutzloser;  aus  zwei  yerschiedenen  Richtungen 
einer  einheitlichen  Thätigkeit  habe  Kant  zwei  getrennte  Ver- 


G.  Gantoni:  Emanuele  Kant.  365 

mögen  gemacht.  Es  seien  deshalb  die  Ideen  der  Vernunft 
und  die  Begriffe  des  Verstandes  auch  von  gleichem  Erkennt- 
msswerth,  und  die  Antinomien  als  nothwendige  und  unlös- 
bare nicht  anzuerkennen.  Weit  entfernt,  dem  Ich  die  Sub- 
stantialität  abzusprechen,  sieht  der  Verfasser  auf  Grund  des 
inneren  Sinnes  und  eines  allerdings  die  Demonstration  nicht 
zulassenden  GefĂĽhles  im  Ich  gerade  den  Prototyp  der  Substanz. 
Dem  absolut  Realen  schreibt  er  Leben  und  Entwicklung  zu 
und  setzt  damit  in  demselben  Raum  und  Zeit;  er  bezeichnet 
es  als  den  absoluten  Grund  aller  Wirklichkeit  und  als  Grund 
auch  fĂĽr  Pflicht  und  Sittlichkeit. 

Offenbar  bilden  diese  erkenntnisstheoretischen  Ansichten 
des  Verfassers  einen  stricten  Gegensatz  nicht  bloss  zur  Kan- 
tischen Auffassung  des  kritischen  Problems,  sondern  zu  aller 
eigentlichen  Kritik  des  Erkenntnissvermögens  überhaupt.  Der 
Verfasser  zieht  sich,  —  dem  vorwaltenden  Zuge  der  Zeit 
folgend,  möglichst  schnell  aus  der  Sphäre  des  reinen  Denkens 
auf  den  Boden  der  psychologischen  Thatsachen  zurĂĽck,  die 
er  in  seiner  Art  deutet.  Das  ist  aber  recht  eigentlich  ein 
RĂĽckfall  in  den  Dogmatismus,  der  bei  ihm  ein  ontologischer 
Dogmatismus  ist,  während  bei  unsem  Neu  -  Kantianern  ein 
skeptischer  Dogmatismus  auf  physiologisch  -  psychologischer 
Basis  vorherrscht,  der  mit  Kant  eine  Aehnlichkeit  hat  nicht 
in  dem  Sinne  und  in  dem  Ausgange  der  Untersuchung,  sondern 
bloss  im  Resultat,  dem  skeptischen  subjectiven  Idealismus. 
An  Kant's  Nachfolgern,  in  der  Reihe  von  Fichte  bis  Hegel, 
Klag  man  das  Resultat  ihres  Denkens  und  speciell  die  Iden- 
tität von  Denken  und  Sein  übereilt  nennen;  aber  dass  ihr 
Denken  im  Kantischen  Sinne  ein  kritisches  gewesen  ist,  sollte 
man  nicht  bestreiten  wollen.  Auch  unser  Verfasser  behauptet 
mit  einem  gewissen  Vorwurf,  bei  jenen  Nachfolgern  Kant's 
habe  sich  ein  neuer  Dogmatismus  herausgebildet:  sicher  mit  Un- 
recht Das  Wesen  des  Kriticismus  besteht  nicht  in  der  Lehre, 
dass  unser  Denken  auf  Erscheinungen  beschränkt  sei;  ein 
solcher  Satz  ist  in  alter  und  neuerer  Zeit  sehr  oft  ausgespro- 
chen worden  auf  rein  dogmatische  Betrachtungen  hin.  Kritisch 
ist  vielmehr  das  Princip,  das  Denken  am  Denken  selbst,  nicht 
an  ii^end  welchen  Voraussetzungen,  angenommenen  Thatsachen 


S66  A.  Foainte:  La  sdenee  sociale  eontonporaine. 

oder  Erfahrungen  zu  prĂĽfen.  Man  darf  skeptischen  Dogma- 
tismus nicht  mit  Kriticismus  verwechsehi.  Auf  kritischer 
Grundlage  ist  die  Identitätsphilosophie  entstanden.  Man  mag 
sie  anzweifeln  und  zu  berichtigen  versuchen;  aber  die  Basis 
dieses  Gedankenganges  aufheben,  heisst  nicht  auf  Kant,  son- 
dern hinter  Kant,  auf  den  vorkritischen  Dogmatismus  zuräck- 
gehen.  Und  gerade  dies  thun  alle  die,  welche  die  Erkennt- 
nisskraft  des  Dehkens  zu  prĂĽfen  unternehmen  auf  Grand 
irgend  welcher  physiologischen  oder  psychologischen  Empirie, 
die  ja  nimmer  fär  sich  gewisse  Thatsachen  zu  liefern  ver- 
mag, sondern  deren  Werth  erst  durch  die  Erkenntmsskraft 
des  Denkens  verbärgt  wird. 

Was  aber  die  Hauptsache  anbetrifft,  so  hat  sich  Herr 
Cantoni  durch  seine  sorgfältige  und  eingehende  Behandlung 
der  theoretischen  Philosophie  Eant*s  ein  entschiedenes  Ver- 
dienst nicht  bloss  um  seine  Landsleute  erworben.  Die  Klar- 
heit und  Lebhaftigkeit  seiner  Darstellung,  die  ihn  in  den 
kritischen  Erörterungen  zuweilen  sogar  zur  dialogischen  Form 
greifen  lässt,  verdient  ausdrücklich  Anerkennung,  und  mit 
den  besten  Erwartungen  darf  man  dem  zweiten  Bande,  der 
hoffentlich  nicht  zu  lange  wird  auf  sich  warten  lassen,  ent- 
gegensehen, um  so  mehr,  als  der  Verfasser  wirklich  den 
ganzen  Kant  zu  geben  beabsichtigt  und  nicht  bloss  den  er- 
kenntnisstheoretischen Skepticismus  als  Kant's  grosse  That 
verherrlicht.  Dass  er  die  Bedeutung  der  praktisch^i  Philo- 
sophie fĂĽr  die  geschichtliche  Erscheinung  des  Kantischen 
Systems  wohl  zu  wĂĽrdigen  versteht,  ^hat  er  schon  in  diesem 
ersten  Bande  bewiesen. 

Berlin.  Lasson. 


La  seienee  sociale  oontemporaine.    Par  Mfred  FamUie.    Paris, 
Hachette  et  Gie.  1880.    XHI  und  424  S.    kl.  8^ 

Der  Verfasser  bietet  in  dieser  Schrift  eine  weitere  Aus- 
fĂĽhrung und  systematische  Bearbeitung  der  Gedanken,  welche 
er  in  seinem  vor  zwei  Jahren  erschienenen  Buche:  „L'id^ 
moderne  du  droit**  ausgesprochen  hat.  (S.  Philos.  Mcmatsh. 
1879,  IIL)   Das  historisch-kritische  Element,  welches  dort  im 


A.  FwaMe:  La  teisDee  sodale  coniemporaina.  t67 

Ganzen  das  vorherrschende  war,  ohne  dass  jedoch  die  Ab- 
sichten des  Verfassers  auf  eine  vollständige  Darstellung  der 
neueren  Rechtsphilosophie  gerichtet  gewesen  wären,  tritt  hier 
hinter  den  Zweck  einer  systematischen  Erörterung  zurück,  in 
welcher  die  vorhandenen  Leistungen  nur  beispielsweise  ihre 
Stelle  finden.  Ein  durchgefĂĽhrtes  System  der  Gesellschafts- 
wissenschaft, wie  wir  es  in  Deutschland  von  Stein  und  Schaffte 
besitzen,  wird  man  bei  Fouill^e  allerdings  nicht  erwarten 
dürfen:  seine  Absicht  ist  vornehmlich  auf  Erörterung  der 
principiellen  Begriffe  und  philosophischen  Grundanschauungen 
gerichtet,  welche  fĂĽr  eine  wissenschaftliche  Behandlung  der 
Gesellschaftslehre  massgebend  sind.  Dabei  mag  gleich  hier 
hervorgehoben  werden,  dass  bei  ihm  das  sociologische  und 
recbtsphilosophische  Gebiet  in  viel  engerer  Verbindung  stehen, 
als  dies  nach  der  durch  R.  v.  Mohl  und  Stein  gebräuchlich 
gewordenen,  von  Fouill^  ausdrücklich  bekämpften  Trennung 
der  Staats-  und  Gesellschaftslehre,  gewöhnlich  ist.  Die  philoso- 
phische Richtung  des  Verfassers,  welche  sich  seit  seiner  ersten 
Arbeit  (La  liberte  et  le  d^terminisme)  consequent  entwickelt 
hat,  lässt  sich  vielleicht  als  eklektisch  bezeichnen,  in  dem 
Sinne,  wie  der  Eklekticismus  hi  der  ganzen  Geschichte  der 
Philosophie  immer  nothwendig  gewesen  ist,  um  einseitige 
Richtungen  zu  ĂĽberwinden  und  divch  kritische  Synthese  fort- 
zubilden. Fouill^e  ist  ein  grundsätzlicher  Gegner  alles  Mysti- 
dsmus,  alles  Dualismus,  alles  Transcendentalismus,  trete  er 
auch  in  so  verkappter  Gestalt  auf,  wie  in  dem  teleologisch- 
pessimistischen  Monismus  Hartmanns.  Alle  Deduction  aus 
dem  Absoluten  ist  ihm  widerwärtig:  ebenso  alles  Hineui- 
tragen  absoluter  Bestimmungen  in  diese  Welt  der  Wirklich- 
keiten, die  nur  Relatives  kennt.  Den  Angelpunkt  seiner  Welt- 
anschauung bildet  der  BegnS  der  Freiheit  ~  eui  kritischer 
PrĂĽfstein  fĂĽr  jedes  System,  aber  gerade  fĂĽr  Alles,  was  Ethik 
ond  Sodologie  heisst,  von  fundamentaler  Bedeutung.  Dass 
Freiheit  nur  auf  der  Grundlage  des  Determinismus  verständ- 
lich sei,  hält  Fouill^  durchaus  fest:  in  die  allgemeine  Reihe 
der  Naturursachen  gehört  auch  der  menschliche  Geist,  als 
Bedingtes  und  Bedingendes,  hinein.  Gegen  das  liberum  arbi- 
toium  indifferentiae  des  französischen  Spiritualismus,  der  auch 


268  Ă„.  Fotiill^:  La  seience  sociale  eontemporaine. 

in  Deutschland  viele  offene  und  versteckte  Anhänger  zfihlt, 
richtet  er  seine  schärfsten  Angriffe.   Freiheit,  wenn  man  diesen 
so  vieldeutigen   und   doch   so  schwer   zu   missenden  Begriff 
festhalten  will,   Freiheit  kann  nie  im  Willen  gesucht  werden, 
sondern  nur  in  der  Intelligenz;  sie  kann  aber  in  jedem  Falle 
nur  einen  relativen  Sinn  haben ;  sie  ist  vor  Allem  kdne  That- 
sache,   sondern  ein  Ideal.    Das  Bereich  der  Gausalität  hört 
nicht  auf,   sobald  es  sich  um  geistiges  Leben  handelt:  das 
Dazwischentreten  von  Reflexion  und  Selbstbewusstsein  ändert 
nur   die  Art   der  Verursachimg.    Der  Mensch   reagirt  nicht 
bloss  auf  Reize,    folgt  nicht  bloss  Trieben,   wird  nicht  bloss 
bewegt  von  Motiven,   welche  im  Zusammenwirken  äusserer 
Verhältnisse  und  innerer  Anlagen  sich  ergeben:   sondern  in- 
dem er  äussere  wie  innere  Veranlassungen  seines  Thuns  er^ 
wägt,   und  über  die  Wechselwirkung  beider  reflektirt,  ent- 
stehen ihm  neue  geistige  dächte,  welche  als  ein  neues  Glied 
in  die  Kette  der  Ursachen  eintreten :  es  sind  die  Ideen,  denen 
ein  Streben  nach  Realisation  unmittelbar  beiwohnt;  in  ihnen 
fallen   Gausalität   und   Finalität  zusammen.    Diese   Theorie, 
welcher  wir  unsere  volle  Zustimmung  geben  mĂĽssen,  da  sie 
erhebliche  Schwierigkeiten  glĂĽcklich  beseitigt,  und  namentlich 
für  das  Verständniss  der  Geschichte  von  grosser  Bedeutung 
ist,    dient  nun  Fouill^e  dazu,   um  eine  Vereinigung  zwischen 
zwei  verschiedenen  Auffassungen  der  Socialwissenschaft  anzu- 
bahnen,   welche  in  ihrer  Vereinzelung  nur  einen  Theil  der 
Wahrheit  zu  liefern  im  Stande  sind:  der  naturalistischen  oder 
analytischen,  der  idealistischen  oder  synthetischen.    Den  An- 
theil  rein  naturwissenschaftlicher  Erkenntniss  an  dem  modernen 
Studium  der  Gesellschaft,   ihres  Wachsthums  u|id  ihrer  Be- 
wegungen erkennt  FouiUäe  rückhaltslos  an:   er  ist  aufs  Ge- 
naueste bekannt  mit  den  neuen  Arbeiten  von  Spencer  und 
Schaffte,   welche  der  blossen  Analogie  zwischen  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  und  einem  Organismus  eine  wissenschaft- 
liche Grundlage  zu  geben  und  aus  derselben   ezacte   sodo- 
logische  Kenntnisse  abzuleiten  versuchen.    Das  zwdte  Buch 
seiner  Schrift:    „L'organisme  social  et  Föcole  naturaliste"  er- 
örtert ausführlich,   aber  mit  jener  übersichtlichen  Knappheit, 
worin  die  Franzosen  nun  einmal  Meister  sind,   die  Fragen 


A.  FouilMe:  La  sdence  sociale  contemporaine.  969 

jenes  realen  Zasammenhangs  zwischen  Sociologie  und  Bio- 
logie, welche  dem  fĂĽr  dies  Gebiet  der  Forschung  sich  inter- 
essirenden  Deutschen  aus  Schaffte  und  Lilienfeld  bekannt 
sind.  Letzteren  scheint  Fouill^  nicht  gekannt  zu  haben; 
um  so  ĂĽberraschender  wird  an  vielen  Punkten  die  Ueberein- 
Stimmung  der  Ansid^ten  berĂĽhren.  Auf  Einzelnes  einzugeben 
ist  hier  nicht  der  Ort :  ich  begnĂĽge  mich  auf  die  im  3.  Buche 
(La  consdence  sociale)  enthaltene  Untersuchung  ĂĽber  den 
Begriff  des  Volksgeistes  zu  verweisen,  welche  vieles  Beachtens- 
werthe  enthält.  In  durchgängigem  Zusammenhang  mit  seiner 
rationalistisch  klaren,  allem  Mystischen  abgeneigten  Grund- 
anschauung  polemisirt  Fouill^  hier  gegen  jeden  Versuch,  die 
Summe  des  in  einem  socialen  Organismus  vereinigten  Bewusst- 
seins  selbst  individualisirt  zu  denken  —  eine  Theorie,  welche 
er  besonders  bei  deutschen  Denkern  populär  findet.  Für 
alle  die  socialen  Thatsachen,  welche  von  den  Anhängern 
dieser  Hypothese  zu  Gunsten  ihrer  Personification  geltend 
gemacht  werden,  gibt  es  nach  Fouill^  einfache  Erklärungen 
durch  den  physiologischen  und  psychologischen  Mechanismus 
der  Gesellschaft.  Mit  vollem  Rechte,  wie  mir  scheint,  macht 
er  geltend,  dass  man  in  Erscheinungen,  die  mit  RĂĽcksicht 
auf  die  Gesammtheit  unbewusst  genannt  werden  mĂĽssen,  die 
Rolle  nicht  vergessen  darf,  welche  den  bewussten  Einzelwil- 
len zukommt;  und  dass  die  NichtberĂĽcksichtigung  dieses  Um- 
Standes  leicht  dazu  führe,  die  Wirksamkeit  zu  unterschätzen, 
welche  Erziehung,  hervorragende  Greister  oder  besondere  Ver- 
bände auf  das  Wachsthum  des  Ganzen  auszuüben  im  Stande 
sind.  Ebenso  wenig  als  die  Freiheit  darf  man  auch  das  so- 
ciale Gesammtbewusstsein  als  eine  Realität  auffassen,  was 
eine  Quelle  der  grössten  Widersprüche  sein  würde.  Beide 
mĂĽssen  in  ihrer  Vereinigung  als  ein  Ideal  gedacht  werden, 
dem  die  Menschheit  in  ihrer  Entwicklung  zustrebt  Das  höchste 
sociale  Ideal  aber  ist  offenbar  jenes,  welches  die  reichste 
Entwicklung  des  Individuellen  in  allen  einzelnen  Gliedern  der 
Gesellschaft  und  die  vollste  Solidarität  unter  ihnen  fordert. 

Eine  vollständige  Gesellschaftslehre  als  systematische  Durch- 
fuhrung dieses  leitenden  Gedankens  hat  Fouill^e  nicht  ent- 
worfen —  nüt  Recht,   wird  man  hinzusetzen  dürfen.    Aber 


S70  A.  Fomllte:  La  scienoe  sociale  eontemporaine. 

zwei  Richtpunkte,   welche   sich   aus   der  wissenschaftlichen 
Zergliederung  des  Wesens  der  Gesellschaft  ergeben,  hat  Fouill^ 
mit  allem  Nachdruck   hingestellt.     Es   sind  dies  die  beidoi 
Grundbegriffe  des  gesellschaftlichen  Organismas  und  des  ge- 
sellschaftlichen Vertrags.   Beide  haben  in  der  heutigen  Social- 
wissenschaft  zahlreiche  Anhänger:   beid^vermögen  sich  auf 
Thatsachen  zu  berufen,    die  eine  unbefangene  Untersuchung 
zugeben  muss.   Sie  können  daher  einander  nicht  ausschliessen, 
sondern  mĂĽssen  durch  einen  Mittelbegriff  zu  vereinigen  sein. 
Dies  ist  der  Begriff  der  organischen  Selbstbestimmung  (orga- 
nisme  contractuel) ;   die  Gesellschaft  ist  ein  Organismus,  der 
sich  gestaltet,   indem  er  sich  selbst  denkt  und  will;   weder 
die  rein  naturgesetzliche  Entwicklung,  noch  die  unbeschränkte 
Freiheit  des  Gedankens  sind  fĂĽr  sich  allein  wirksam:  man 
versteht  das  Leben  der  Menschheit  nur,  wenn  man  diese  bei- 
den Mächte  im  engsten  Zusammenhange  denkt.    Mit  hohem 
Interesse  wird  man  das  Capitel  lesen,   in  welchem  Fouill^ 
durch  kritische  Auseinandersetzung  mit  Huxley  und  Spencer 
die  politischen  Consequenzen  seines   Princips   entwickelt  — 
abwehrend  sowohl  gegen  eine  auf  verkannte  biologisdie  Ana- 
logien  sich  stĂĽtzende  Forderung  despotischer  Centralisation 
als  gegen  jene  Auffassung,  welche  von  dem  politischen  Cen- 
tralorgan  der  Gesellschaft  nichts  weiter  als  Rechtsschutz  ver* 
langt. 

Von  speciellen  Erörterungen  findet  man  bei  Fouill^ 
nichts  weiter,  als  eine  PrĂĽfung  der  Grundlagen  des  Straf- 
rechts und  der  Idee  der  BrĂĽderlichkeit.  Beide  Capitel  stehen 
an  dieser  SteUe  etwas  vereinzelt;  sie  treten  erst  in's  richtige 
Licht,  wenn  man  sie  durch  Hinzunahme  einiger  Abschnitte 
aus  Fouill^e's  früherem  Werk  „L'id^e  moderne  du  droit"  er- 
gänzt; namentlich  des  4.  Buches:  Le  droit  et  l'id^e  de  libert^ 
und  des  fünften :  L'^galit^.  Freilich  wären  in  Manchem  nähere 
Ausführungen  erwünscht:  auf  Begriffe,  wie  die  der  ^galitö 
und  fratemit^,  stĂĽtzen  sich  in  Frankreich  wie  m  Deutschland 
durchgefĂĽhrte  Gesellschaftstheorien,  welche  eine  radicale  Um- 
gestaltung der  fundamentalsten  Einrichtungen  verlangen,  und 
den  conservativen  Mächten  gegenüber  den  Alleinbesitz  einer 
idealen  Auffassung  behaupten.   Fouill^e  ist,  wie  dies  aus  sei- 


A.  Fouil]^:  La  scknoe  sociale  oontemporaine.  371 

nem  Rechts-  und  Freiheitsbegriffe  mit  logischer  Gonsequenz 
folgt,  ein  principieUer  Gegner  aller  socialistischen  und  commu- 
nistischen  Theorien;  er  hat  auch  keineswegs  unterlassen, 
darauf  hinzuweisen,  dass  diese  Theorien  die  Einseitigkeit  des 
Manchesterthums  durch  eine  andere  ersetzen,  welche  die  wahren 
Interessen  der  Menschheit  ebenso  empfindlich,  wenn  auch  in 
anderer  Weise,  schädigen  müsste.  Ich  halte  seine  Formel  als 
solche  für  Tollständig  zutreffend:  aber  die  zweite  Hälfte  der 
Schwierigkeiten  beginnt  erst  da,  wo  es  darauf  ankonunt,  die 
concrete  Wirklichkeit  des  Lebens  nach  denselben  zu  gestalten 
und  für  die  einzelnen  Verhältnisse  zu  bestimmen,  wie  die 
Macht  des  Ganzen  mit  der  Freiheit  und  dem  Recht  der  Ein- 
zefaien,  die  Gleichheit  Aller  mit  der  unentbehrlichen  Differen- 
zirung  und  Integrirung  des  socialen  Körpers  zu  vereinigen 
sei.  Hier  liegt  freilich  die  Grenze,  an  der  Staatswissenschaft 
und  Staatskunst  sich  berĂĽhren  und  wo  es  schwierig  bleibt 
zu  bestimmen,  was  die  eine  zu  leisten  und  was  sie  der  andern 
zu  ĂĽberlassen  habe.  Auch  derjenige,  welcher  durchaus  nicht 
daran  denkt,  ein  bewusstes  Arbeiten  fĂĽr  ideale  Ziele  mensch- 
heitlicher Entwicklung  zu  Gunsten  jenes  quietistischen  „orga- 
nischen Wachsthums^*  aufzugeben,  hinter  welchem  sich,  wie 
neueste  Erfahrungen  zu  schmerzlicher  GenĂĽge  lehren,  nur  zu 
(A  die  umso  regere  Thätigkeit  einer  sehr  reale  Interessen 
verfolgenden  Partei  des  Rückschrittes  verbirgt  —  auch  der- 
jenige wird  nicht  nothwendig  der  Ansicht  huldigen,  dass  es 
möglich  oder  auch  nur  wünschenswerth  sei,  in  rein  idealer 
Construction  die  Gestaltung  aufzuzeigen,  welche  concrete  Ver- 
hältnisse zu  nehmen  hätten,  um  mit  den  aUgemeinen  Forde- 
rungen jenes  gesellschaftlichen  Ideals  in  Ăśbereinstinmiung  zu 
stehen. 

Auf  solchem  Wege  gelangt  man  nur  zu  abstracter  Gleich- 
macherei, während  das  wahrhafte  Ideal  seine  Fruchtbarkeit 
eben  darin  bewähren  muss,  dass  es  scheinbar  immer  eines, 
doch  die  verschiedenste  Gestalt  anzunehmen  fähig  ist  Wer 
wollte  die  mächtigen  Impulse  läugnen,  welche  die  ganze  neuere 
Geschichte  durch  socialphOosophische  Theorien  empfangen  hat 
und  verkennen,  dass  solche  in  der  Zukunft  jedenfalls  eine 
noch  grössere  RoUe  zu   spielen  bestimmt  sind,   da  ja  die 


S72  Dr.  F.  Michelis,  Dr.  L.  Schöberlein:  Dogmatik. 

Menschheit  doch  immer  mehr  nach  bewosster  Gestaltmig  ihres 
Lebens  drängt?  Nicht  minder  gewiss  aber  ist  das  Unheil, 
welches  dadmrch  angerichtet  worden  ist,  dass  man  Gesell- 
schaftsretterei  in's  Blaue  trieb,  ohne  die  realen  Verhältnisse 
zu  berĂĽcksichtigen,  an  welche  jedes  Ideal  anzuknĂĽpfen  hat 
Dieses  selbst  hat  allgemeine  GĂĽltigkeit:  seine  Ausgestaltung 
im  Einzelnen  wird  werthlos,  wenn  sie  versäumt,  an  nationale 
Besonderheiten  anzuknĂĽpfen.  Niemand  wird  darum  Fouill^ 
wegen  seiner  ZurĂĽckhaltung  tadeln:  uns  sei  es  gestattet,  den 
Wunsch  auszusprechen,  dem  geistreichen  Schriftsteller  bald 
auf  dem  Wege  concreter  DurchfĂĽhrung  seiner  Principien  zu 
beg^inen.  Fr.  Jodl 


Katholische  Dogmatik.  2  TheUe.  Von  Dr.  F.  Michdis,  ord. 
Prof.  der  Philosophie  in  Braunsberg,  Freiburg  i.  B.,  Fried. 
Wagnerische  Buchhandlung.     1881.    (499  S.)  S^. 

Das  Prinzip  und  System  der  Dogmatik.  Einleitung  in  die  christ- 
liche Glaubenslehre.  Von  Dr.  Ludwig  SehSberlein.  Heidel- 
berg. Carl  Winter 's  Uniyersitätsbuchhandlung.  1881. 
(XU.  846  S.)  8^ 

Die  Besprechung  einer  Dogmatik  gehört  ;nur  dann  in 
diese  Zeitschrift,  wenn  sie  metaphysisch  auftritt,  wie  die  von 
Michelis.  Und  bei  dem  ernsten,  gediegenen,  versöhnlichen 
Geist,  in  welchem  diese  Dogmatik  geschrieben  ist,  kiann  es 
nur  erfreuen,  dieser  Pflicht  nachzukommen,  weil  sie  Gelegen- 
heit gibt,  auf  eine  Arbeit  hinzuweisen,  welche  aus  der  Feder 
eines  sachkundigen  Mannes  stanunt  und  als  Dogmatik  der  in 
unserer  Zeit  AltkathoUdsmus  genannten  religiösen  Anschauung 
lebhaftestes  Interesse  erregen  muss.  Michelis  nennt  seine 
Dogmatik  die  katholische,  allgemein  gĂĽltige,  da  er  in  ihr  die 
Lehre  „der  im  Apostolate  begründeten  Kirche  Christi"  wissen- 
schaftlich zu  verarbeiten  suchte  und  überzeugt  ist,  „das  Recht 
in  Anspruch  nehmen  zu  können,  in  ihr  den  Glauben  der  ganzen 
Kirche  zu  vertreten".  Und  zwar  nicht  nur  gegenĂĽber  der 
vatikanischen,  sondern  auch  der  protestantischen.  Er  nennt 
es  daher  „einen  einseitigen  confessionellen  MissgrifT^  dass 
Biedermann  in  seiner  christlichen  Dogmatik  unter  Katholicis- 


Dr.  F.  MIehelis»  Dr.  L.  Schöberlein:  Dogmatik.  273 

mus  nur  , jenen  scholastisch  ausgeprägten  römischen  Eatholi- 
cismus,  dessen  richtige  Consequenz  das  Infallibilitätsdogma 
und  andere  vatikanische  Definitionen  sind^^  versteht.  Aber 
macht  sich  Michelis  nicht  vielleicht  selbst  solchen  Missgriffes 
schuldig,  wenn  er  seinerseits  Biedermann  „als  Repräsentanten 
der  ausgebildeten,  protestantischen  Dogmatik,  als  Ă„bschluss 
und  Ruhepunkt,  zu  dem  das  protestantische  kirchliche  Be- 
wusstsein  in  der  ganzen  durch  den  Protestantismus  angeregten 
wissenschaftlichen  und  geistigen  Bewegung  gelangte^'  ansieht, 
und  darum  in  Biedermann  den  wissenschaftlichen  Protestantis- 
mus selbst  bekämpft  zu  haben  meint?  Hiergegen  ist  zu  pro- 
testiren  aus  philosophischen  GrĂĽnden,  weil  Biedermannes  Dogma- 
tik beherrscht  ist  von  der  Hegerschen  Meinung,  Gott  mĂĽsse  ein 
unpersönliches  Wesen  sein.  Diese  Meinung  aber  ist  zurück- 
zuweisen, denn  so  dynamisch  der  Hegelianismus  sein  will,  so 
grĂĽndet,  um  kurz  zu  sein,  solche  Meinung  nur  in  einer  volume- 
trischen  Weltauffassung.  Weil  mit  der  Elle  oder  dem  Zollstab 
gemessen,  das  Endliche  unendlich  klein  dem  unendlichen  All 
gegenĂĽber  erscheint,  so  heisst  einestheils  das  Einzelne  nichtig, 
werthlos,  das  sein  individuelles  Dasein  im  Unendlichen  auf- 
geben muss,  um  Werth  zu  gewinnen,  anderntheils,  weil  das 
Endliche  aus  dem  Unendlichen,  als  dem  Inbegriff  aller  Voll- 
kommenheiten heraustretend  das  Unendliche  räumlich  ver- 
mindert, begrenzt  imd  beschränkt,  so  heisst  das  Endliche 
eine  Beschränkung,  Beraubung,  Verneinung  des  Unendlichen 
und  besitzt  diesem  gegenĂĽber  kein  Recht  des  Bestehens,  seine 
Einzelexistenz  ist  schon  SĂĽnde.  Solche  volumetrische  Anschau- 
ung beherrscht  in  verschiedensten  Formen  jeden  Pantheismus, 
den  indischen,  wie  den  hegerschen  oder  schopenhauer'schen, 
und  auch  Biedermanns  Dogmatik.  Der  wahre  Dynamismus, 
und  dieser  lebt  in  der  Lehre  Christi,  ist  frei  von  solcher 
äusserlichen  Messkunst;  ihm  ist  Gott  nicht  ein  Inbegriff, 
nicht  gleichsam  eine  Integralsumme  unendlicher  Vollkommen- 
heiten, sondern  eine  Selbstheit,  ein  selbstbewusster  Herr  und 
Meister  aller  Vollkommenheit,  aus  dessen  freiem  Willen  als 
Zeichen  seiner  Herrlichkeit,  zur  Bejahung  und  Bethätigung 
seiner  Macht  das  Einzelne  ins  Dasein  tritt.  Nicht  als  Schranke 
und- Verneinung  seines  Willens  empfindet  Gott  das  Einzelne, 

Philosoph.  Monatshefte,  1881.    IV  n.  V.  18 


274  Dr.  F.  Miehetis,  Dr.  L.  Schöberlein:  Dof^atik. 

sondern  das  Kleinste  selbst  hat  ein  Recht  des  Daseins  in  der 
von  Gott  gewollten  und  bestimmten  Weise  seines  Bestehens 
und  Wirkens ;  und  trotz  der  Dreiheit  seines  Wissens,  Wollens, 
Fühlens  ist  Gott  ein  einheitlich  persönliches  Wesen.  Es  war 
Augustin,  welcher  die  Dreieinigkeit  der  göttlichen  Persönlich- 
keit im  Hinblick  auf  die  psychologischen  Verhältnisse  des 
gottebenbildlichen  Menschen  begrĂĽndete  und  die  Gleichwerthig- 
keit  dieser  drei  Momente  betonte.  Wenn  ich  nun,  statt  in 
dem  Begriff  eines  unpersönlichen  Gottes  den  Gipfel  der  Philo- 
sophie zu  sehen,  vielmehr  der  Ueberzeugung  bin,  dass  die 
Philosophie  bald  zur  Idee  eines  persönlichen  Gottes  übergehen 
wird,  so  geschieht  dies  zum  Theil,  weil  in  der  That,  mit 
Michelis  zu  reden,  „der  Äbschluss  einer  Bewegung*'  statt  fand. 
Hegel  stellte  das  Wissen,  Schopenhauer  den  Willen,  Neuere 
stellen  die  Empfindung  oder  die  Phantasie  als  Urgrund  der 
Welt  hin,  und  nachdem  man  erkannt  hat,  dass  diese  drei 
in  ihrer  Isolirung  ungenĂĽgend  sind,  wird  man  wohl  wieder 
zu  ihrer  dreieinigen  Verbindung  zurĂĽckkehren,  die  freilich 
nur  in  persönlicher  Weise,  wenn  auch  nicht  nothwendig  in 
Augustin'scher  Fassung,  gedacht  werden  kann. 

Michelis  ist  daher  berechtigt  zu  seiner  klaren,  scharf- 
sinnigen und  treffenden  Widerlegung  Biedermannes,  aber  im 
Augenblick,  wo  ich  gegen  die  Identificirung  Biedermannes  mit 
dem  Protestantismus,  welche  es  leicht  macht,  den  Katholicis- 
mus  dem  Protestantismus  voranzustellen,  emfach  protestiren 
wollte:  wird  mir  Schöberlein's  Dogmatik  zugesandt.  Sie  ist 
ein  offenbarer  Beweis  der  lebendigsten  Bewegung  innerhalb 
des  Protestantismus;  und  alles  Wichtige,  was  Michelis  bei 
Biedermann  vermisst,  kann  er  bei  Schöberlein  festgehalten 
finden.  Der  versöhnliche  Geist,  welcher  Michelis'  Schrift  aus- 
zeichnet,  herrscht  auch  bei  Schöberlein;  aber  vergleichen  wir 
weiter,  so  finden  wir,  dass  Michelis  in  allen  Gonfessionen  nur 
unvollkommene  Erfassungen  der  in  der  katholischen  Dogma- 
tik enthaltenen  Wahrheit  sieht  und  daher  gleichsam  alle  auf- 
fordert, sich  der  vorhandenen,  vergeblich  gesuchten  Wahrheit 
zu  nahen,  während  dagegen  Schöberlein,  welcher  ausserhalb 
des  Orthodoxismus  und  der  kirchlichen  Dogmatik  steht,  in 
allen  Gonfessionen   einseitige  Ausbildungen   einzelner   Seiten 


Dr.  F.  Michelis,  Dr.  L.  Schöberlein:  Dogmatik.  375 

des  unendlichen  Inhalts  der  christlichen  Dogmatik  sieht.  Da- 
bei kommt  er  zu  der  von  Schelling  ausgesprochenen  und 
auch  von  dem  katholischen  Sengler,  z.  B.  in  seinem  Commen- 
tar  zu  Göthe's  Faust  gehegten  Hoffnung:  „d^s  nachdem  der 
Eatholidsmus  das  petrinische,  der  Protestantismus  das  pau- 
liiĂĽsche  Element  zur  Geltung  gebracht  habe,  die  Theologie 
der  Zukunft  das  johanneische  Element  ausbilden  werde/^ 

Das  johanneische  Princip :  Gott  ist  die  Liebe,  ist  in  Schö- 
berlein selbst  voll  lebendig  geworden,  und  lässt  ihn  versuchen, 
in  den  verschiedensten,  selbst  seinem  bibelgläubigen  Sinne 
fremdesten  Anschauungen  das  Verdienstvolle,  Wahre  und  Ide- 
ale hervorzuheben.  Kaum  können  wir  uns  erinnern,  von 
solcher  bibeleifrigen  Seite  her  das  Streben  der  natĂĽrlichen 
Theologie  und  ihr  Verdienst  gegenĂĽber  der  kirchlichen  Theo- 
logie so  unparteiisch  anerkannt  gesehen  zu  haben,  wie  von 
Schöberlein.  Dieses  liebevolle  Eingehen  in  die  ihm  ganz  fem 
liegenden  Anschauungen  liefert  ihm  dann  fĂĽr  die  christliche 
Frage  eine  FĂĽlle  verschiedenartigster  Gesichtspunkte,  welche 
er  nicht  eklektisch,  sondern  selbstständigen  Geistes  bei  der 
Darstellung  der  christlichen  IdeenfĂĽlle  als  eines  einheitlichen 
Ganzen  zu  verwerthen  sucht.  Grosser  Kenner  und  Freund 
der  Mystik  tadelt  er  diese  deswegen  doch  treffend,  dass  sie 
onter  der  einseitigen  Herrschaft  des  GefĂĽhls  zu  sehr  auf  ein 
von  der  Welt  sich  abschliessendes  Versinken  in  die  Gottheit 
dringe. 

Ihm  ist  die  Religion  eine  Sache  des  ganzen  Menschen 
oder  wie  er  gern  sagt,  des  GemĂĽths;  er  will  daher  auch  der 
Erkenntniss  Gottes  und  der  sittlichen  Thatkraft  in  der  Reli- 
gion Rechnung  getragen  haben.  Bei  dem  einheitlichen  Blick 
auf  diese  Dreiheit  im  Menschen  ist  ihm  der  Mensch,  wie  Gott, 
dessen  Ebenbild  er  ist,  eine  lebendige  Persönlichkeit,  und  er 
nennt  es  einen  Fehler  der  natĂĽrlichen  Theologie,  dass  sie  mit 
der  Persönlichkeit  Gottes  nicht  Ernst  macht.  Es  scheinen  ihm 
indessen  die  Schriften  Leopold  Schmid's  und  J.  Sengler's, 
wie  auch  die  treffliche  Schrift:  Das  Wesen  Gottes  und  der 
Welt  von  V.  BrĂĽcken,  gen.  Fock  (Vgl.  Philos.  Monatshefte 
Bd.  Vni.  S.  518)  unbekannt  geblieben  zu  sein,  sonst  hätte  er 
nicht,  wie  z.  6.  S.  737  gesagt:    „Die  Persönlichkeit  für  sich, 


276  Dr.  F.  Michelis,  Dr.  L.  Schoberlein:  Dogmatik. 

als  Kraft  des  Selbstbewusstscins  und  der  Selbstbestimmung, 
wäre  etwas  blos  Fonnales,  Abstraktes",  das  „eine  konkrete 
Existenz  nur  durch  die  Fülle  v  on  Kräften  erhält,  wodurch  sie 
ihre  Selbstbestimmung  vollzieht.    Diese  nennen  wir  Natm*." 
Um  zu  Michelis  zurückzukehren,    so  will  ich  zunächst 
einen  Punkt  bei  ihm  hervorheben,  weil  er  in  Bezug  auf  den- 
selben bei  Biedermann  eine  LĂĽcke  findet,   sich  zugleich  aber 
mit  Schöberlein  dabei  begegnet   ist.    Beide  nämUch  nennen 
es  eine  nothwendige  Annahme,  dass  dem  SĂĽndenfall  der  Men- 
schen der  SĂĽndenfall   der  die  Menschen  verfĂĽhrenden  Engel 
vorausgegangen  sei.    Ich  gestehe,  dass  fĂĽr  mich  weder  Miche- 
lis noch  Schöberlein  die  Nothwendigkeit  dieser  Annahme  scharf 
genug  begrĂĽndet  hat,   auch  nicht  der  Grund  ersichtlich  wird^ 
warum  Engel  leichter  und  ohne  VerfĂĽhrung,    die  Menschen 
schwerer,   nur  durch  Verfülirung  von  Gott  abfallen  können. 
Beide  halten  aber  auch  die  Annahme  fest,  dass  mit  der  ersten 
SĂĽnde  die  ganze  Natur  in  Mitleidenschaft  gezogen  und  zer- 
rĂĽttet worden  sei.   FĂĽr  den  Leib  des  Menschen  ist  dies  selbst- 
verständlich; aber  auch  die  nach  Mass,  Gewicht,  Entfernung 
geordneten,  im  Gesetz  der  Gravitation  verharrenden  Sonnen- 
systeme, die  mit  den  ihnen  innewohnenden  Gesetzen  des  Wir- 
kens die  Krystalle  oder  das  Gestein  aufbauenden  elementaren 
Atome  sollen  dabei  zerrĂĽttet  worden  sein  'und  sollen  erst  mit 
der  Vollendung  der  Kirche  oder  des  Reiches  Gottes  wieder 
in  Ordnung  kommen?    Nun,  da  es  des  Menschen  Natur,  das 
heisst,   seine  von  Gott  gewollte   Bestimmtheit  ist,   als  freie 
selbstverantwortliche  Persönlichkeit  zu  leben,    so  blieb  für 
den  Menschen  freilich  trotz  Christus,   die  tägliche,  allzeitliche 
MĂĽhe,   sich  Gnade  und  Liebe  zu  erwerben;   aber  da  Christi 
Macht  nicht  kleiner  geachtet  werden  kann,  wie  die  des  ersten 
Menschen,   so  muss,    wenn  wirklich  durch  Adam  eine  Zer- 
rüttung der  Naturgesetze  eingetreten  wäre,  durch  Christus  die 
Harmonie  dieser  Gesetze  Gottes  wieder  „herrlich  wie  am  ersten 
Tage"  zur  Erscheinung  gekommen  sein.    Solche  Ueberzeugung 
lebte  auf  in  den  Tagen  der  Reformation,   wo  man  anfing, 
nicht  mehr  blos  auf  den  passiven,    sondern    auch   auf  den 
aktiven  Christus  zu  blicken,   wo  man  neben  der  Trauer  um 
den  Charfreitag  auch  Zeit  fand   zur  Freude   ĂĽber  den  Sieg 


Dr.  F.  Michelis,  Dr.  L.  Schöberlein:  Dogmatik.  277 

des  östersonntags.  An  dieser  Freude  lebte  die  Freude  auf 
an  der  Natur  als  der  gesetzesvollen  Schöpfungsherrlichkeit 
Gottes;  und  ein  Gedanke  erwachte  in  dieser  Ueberzeugung, 
den  keine  Weltanschauung  vorher  denken  konnte:  der  Gedanke 
des  Bestehens  des  Einzelnen  und  des  Alles  nach  inneren 
ewigen  in  der  Treue  und  dem  Willen  Gottes  begrĂĽndeten 
Gesetzen.  Die  Frucht  dieses  Gedankens  reift  als  Naturwissen- 
schaft, die  freilich  vielfach  meint,  ihres  Ursprungs  vergessen 
oder  sich  schämen  zu  dürfen,  die  aber  überhaupt  nicht  mög- 
lich wäre,  wenn  eine  Zerrüttung  der  ursprünglichen  kosmi- 
schen Gesetze  bestände. 

Was  die  Definition  der  Religion  in  beiden  Dogmatiken 
angeht,  so  citirt  Michelis  Biedermannes  Erklärung:  „Religion 
ist  die  Wechselwirkung  zwischen  Gott  als  dem  unendlichen 
und  dem  Menschen  als  dem  endlichen  Geiste."  Michelis  stimmt 
dieser  Definition  „rückhaltslos  bei",  nur  will  er  „an  Stelle 
des  Wortes  Geist  das  Wort  Bewusstsein"  gesetzt  haben. 
Warum?  Weil  er  ganz  wie  Knauer  (Philos.  Monatshefte  Bd. 
XVI:  Seele  und  Geist)  ĂĽber  den  modernen  Missbrauch  dieses 
Wortes  eifert.  Aber  dabei  ist  doch  zu  bedenken,  wie  dieses 
Wort  in  modemer  Zeit  häufig  wnrde  in  Opposition  gegen 
jenen  Missbrauch,  der  da  sagt:  „Natur  ist  Sünde,  Geist  ist 
Teufel."  Gerade  in  der  Gewissheit,  dass  „Gott  ein  Geist  ist 
und  die  ihn  anbeten,  ihn  im  Geist  und  in  der  Wahrheit  an- 
beten mĂĽssen",  gab  der  deutsche  Idealismus  diesem  Worte 
die  ihm  gebĂĽhrende  WĂĽrde.  Gott  ist  Geist  nach  Kant  als 
absolute  Sittlichkeit  und  auch  der  Mensch  ist  wahrhaft  geisti- 
ges Wesen  nur  soweit  er  vom  kategorischen  Imperativ  und 
nicht  von  Lohn  und  Strafe  sich  bestinmien  lässt.  Und  wenn 
Kant  sagt,  das  Christenthum  hat  das  LiebenswĂĽrdige  an  sich, 
die  Pflicht  in  freie  Neigimg  umwandeln  zu  wollen,  so  hat 
Hegel,  dessen  Verdienst  in  dieser  Hinsicht  ĂĽber  seinem  dia- 
lectischen  Schematismus  ganz  unbeachtet  blieb,  das  Verdienst, 
innerhalb  der  Philosophie  die  Sittlichkeit,  als  die  Bethätigung 
des  Geistseins,  als  einen  Act  des  freien  Willens  und  nicht 
des  MĂĽssens  der  Pflicht  hingestellt  zu  haben;  wenn  ferner 
dieser  Idealismus  auch  die  Natur  durchgeistigt  sein  lässt,  so  ge- 
schieht es  in  der  Gewissheit,   dass  die  Natur  nicht  SĂĽnde, 


278  Dr.  F.  Michelis,  Dr.  L.  Schöberlein:  Dogmatik. 

dass    sie    vielmehr    als    Offenbarung    Gottes    seines   Geistes 
voll  sei. 

Nicht  wegwerfen  wollen  wir  daher  dies  Wort,  weil  es 
missbraucht  werden  kann;  denn  dann  mässte  man  nicht  nur 
den  Namen  Gottes,  sondern  Gott  selbst  wegwerfen,  der  mit 
der  Gabe  sittlicher  Freiheit  den  Menschen  die  Möglichkeit  gab, 
alles  Ideale  zu  verkehren.  Schöberlein  sagt:  In  der  heiligen 
Schrift  wird  die  geistige  Seite  des  Menschen  als  Seele  be- 
zeichnet, wo  ihre  Passivität,  ihre  subjective  Existenz  und  Be- 
thätigung  in  Betracht  kommt,  sie  wird  aber  als  Geist  bezeich- 
net, wo  sie  in  ihrer  Aktivität,  in  ihrer  Bestimmung  für  Gott, 
in  ihrer  öottesgemeinschaft  dargestellt  wird.  Und  auch  mit 
Rucksicht  hierauf  kann  ich  in  einer  Dogmatik,  welche  Aus- 
druck kirchlichen  Bewusstseins  sein  will,  die  Ersetzung  des 
Wortes  Geist  durch  Bewusstsein  nicht  billigen. 

Ich  verkenne  den  Beweggrund  freilich  nicht.  Michelis  sieht 
sich  immer  Biedermann  gegenĂĽberstehen  und  hat  recht,  wenn 
er  dessen,  den  Gedanken  einer  concreten  Persönlichkeit  scheuen- 
des. Reden  von  Gott  als  einem  unendlichen  Geist  (actus  pu- 
rus)  inhaltslos  nennt,  und  deshalb  mit  seiner  Erklärung: 
„Gott  ist  absolutes  Bewusstsein",  sofort  einen  Inhalt  hinstel- 
len will,  der  zugleich  die  Vorstellung  von  einem  unbewusst- 
seienden  Urgrund  zurĂĽckhalten  soll.  Aber  warum  nicht 
emfach  sagen :  Religion  ist  die  Wechselwirkung  zwischen  Gott 
und  den  Menschen?  Weil  es  nicht  wissenschaftlich  klingt? 
Ich  stimme  Michelis  bei,  wenn  er  sagt:  „Metaphysisch  können 
wir  das  Bewusstsein  (wofĂĽr  ich  in  diesem  FaDe  lieber  Per- 
sönlichkeit sage)  als  Sübject  -  Objectivirung,  psychologisch  als 
Einheit  von  Erkennen,  Wollen  und  FĂĽhlen  fassen."  Aber 
da  die  Religion  nicht  blos  Sache  metaphysischer  Erkenntniss, 
sondern  auch  des  GefĂĽhls  und  WoUens  ist,  so  ziehe  ich  die 
wenigst  metaphysische  und  am  meisten  allgemein  menschliche 
Formel  vor.  Da  überdies  das  Wort  Wechselverhältniss  zu 
sehr  die  Vorstellung  eines  mechanischen  Verhältni^es,  wie  das 
von  Erde  und  Mond  weckt,  so  stimme  ich  nicht  Biedermann^ 
sondern  Schöberlein  bei,  welcher  sagt:  Religion  ist  Gottes- 
gemeinschaft, Gemeinschaft  mit  Gott  als  Hingabe  auf  Grund 
von  Abhängigkeit. 


Dt.  F.  Michelis,  Dr.  L.  Schöberlein:  Dogmatik.  279 

„Die  Hingabe  an  Gott,  nicht  nur  des  Einzelnen,  sondern 
auch  der  Gemeinden,  bildet  das  eigene  freie,  wahre  Leben 
der  ReIigi<Hi^\  In  dieser  Erklärung  liegt  mir  zugleich  mehr 
wie  in  aUen  metaphysisch  zugespitzten  Dogmenunterschieden 
fĂĽr  das  sociale  Leben  die  Scheidegrenze  zwischen  Eatholicis- 
mus  und  Protestantismus.  Der  Katholicismus  kennt  keine 
freie  Hingabe  des  Menschen  an  Gott,  da  die  Vermittlung 
zwischen  Menschen  und  Gott  nur  durch  die  sichtbare  Einheit 
der  Kirche,  die  Priester,  geschieht.  Michelis  kämpft  daher, 
und  diese  SteDen  sind  die  psychologisch  wärmsten  bei  ihm, 
für  die  Vollendung  der  Kirche,  Schöberlein  für  die  Vollendung 
des  Reiches  Gottes.  Ohne  dieses  Punktes  wegen  mit  Michelis 
rechten  zu  wollen,  verweise  ich  auf  beide  Dogmatiken,  da  es 
interessant  ist  zu  sehen,  wie  der  Blick  auf  das  Ziel:  Kirche 
oder  Reich  Gottes,  jedem  einzelnen  Stein  im  dogmatischen 
Bau  seine  besondere  Form  und  Stellung  gibt. 

Schöberlein's  Dogmatik  gliedert  sich  in  eine  biblische, 
eine  geschichtliche  und  eine  wesentliche  BegrĂĽndung,  worauf 
der  eigentlich  darstellende  Theil  folgt.  Michelis  scheidet 
einen  dogmatischen  und  einen  erkenntnisstheoretisch-kritischen 
Tbeil,  welcher  letztere  auch  fĂĽr  sich  besteht  und  als  beson- 
deres Buch  zu  haben  ist. 

Wir  glauben  indess  auf  den  zweiten  Theil  nicht  näher 
eingehen  zu  mĂĽssen,  da  er  wiederholend  die  dogmatischen 
Ansichten  des  ersten  Theiles  bringt;  nur  sucht  er  dieselben 
jetzt  aus  dem  corrigirten  Denkgesetz  zu  begrĂĽnden.  Dieses 
Denkgesetz  ist  aus  anderen  Schriften  des  Verf.  wie  z.  B. 
„Kant  vor  und  nach  dem  Jahre  1770^^  „Philosophie  des  Be- 
wusstseins^' schon  bekannt.  Aber  wir  gestehen,  dass,  wenn  wir 
auch  dem  im  zweiten  Theil  der  Dogmatik  entwickelten  weg- 
werfenden Urtheil  des  Verf.  ĂĽber  neuere  Erkenntnisstheorien 
zustimmen,  und  weiter  darin,  dass  die  Bedeutung  der  Sprache 
fĂĽr  das  Denken  vielfach  verkannt  wird:  uns  doch  nicht  klar 
werden  konnte,  wie  von  der  Annahme  der  Platonischen  Satz- 
definition :  der  loyogy  der  Satz,  ist  die  Verbindung  von  Nomen 
und  Verbum  initum,  die  Richtigkeit  des  Erkennens  abhänge. 
Wir  geben  zu,  dass  aus  dieser  Definition  S.  409  „als  wahre  Po- 
sition des  reflectirenden  Denkens  der  Gegensatz  von  Person  und 


1 


280  Jos.  KĂĽhl:  Die  Descendenzlehre  und  der  neue  Glaube. 

Sache,  Geist  und  Stoff",  folge,  aber  dieser  Gegensatz  schKesst 
nicht  ein,  wie  Person  und  Sache,  Geist  und  Stoff  gedacht 
werden  mĂĽssen.  Unbewusst  und  unwillkĂĽrlich  steht  des  Verf. 
Vorstellung  vom  Stoff  unter  der  dogmatischen  Vorstellung, 
dass  Adams  Sünde  eine  Störung  der  Schöpfungsyerhaltnisse 
verursacht  habe.  Erst  wenn  diese  Störung  aus  der  Platoni- 
schen Definition  nachgewiesen  wird,  dĂĽrfte  das  corrigirte 
Denkgesetz  leisten,  was  es  zu  leisten  hofft.  Und  wenn  Michelis 
auf  Grund  dieses  Denkgesetzes,  z.  B.  S.  110.  von  einem 
„Gesetz  der  Umkehr"  spricht,  so  scheint  uns,  dass  es  bereits 
die  ganze  Aufgabe  der  speculativen  Philosophie  war  und  ist, 
das  Endliche  nur  in  Beziehung,  m  der  Hinkehr  zum  Unend- 
lichen zu  denken.  Die  Frage  blieb  dabei  nur:  wie  ist  diese 
Beziehung,  diese  Hinkehr,  wie  ist  das  Unendliche  zu  denken? 
Die  Lösung  dieser  Frage  wird  aber  sowenig  durch  die  Satz- 
definition entschieden,  wie  die  Frage:  ob  und  welcher  Art 
Gott  sei,  durch  den  ontologischen  Beweis. 

Prof.  L.  Weis. 


Die  Descendenzlehre  und  der  neue  Glaube  von  Josqifh  KM, 
MĂĽnchen,  Theoder  Ackermann.  1879.  (X  u.  244  S.)  8^ 
Eine  ruhig  und  vorurtheilslos  geschriebene  Schrift,  der 
wir  Verbreitung  wünschen,  und  die  der  Ruhe  ihrer  Erwä- 
gungen halber  jetzt,  wo  in  den  Streit  ĂĽber  Descendenz  und 
neuen  Glauben  ĂĽberhaupt  mehr  Ruhe  gekommen  ist,  um  so 
willkommener  sein  dĂĽrfte.  Wie  schon  der  Titel  zeigt,  zer- 
fällt die  Schrift  in  zwei  Theile.  Der  eine  „versucht  (S.  HI) 
in  der  viel  umstrittenen  Descendenzlehre  zu  einem  festen  Ur- 
theil  zu  gelangen,  der  andere  prĂĽft  im  Anschluss  an  das  be- 
kannte Buch  von  Strauss  die  Gonsequenzen,  die  sich  aus 
derselben  fĂĽr  unser  ganzes  geistiges  Leben,  namentlich  aber 
für  die  traditionellen  religiösen  Ueberzeugungen  ergeben." 
Statt  „zweiter  Theil"  wäre  vielleicht  richtiger  gesagt:  Die 
Schrift  verfolgt  eine  zweifache  Absicht;  denn  der  Nachweis 
der  Gonsequenzen  knĂĽpft  sich  gleich  Anfangs  an  die  ersten 
angegebenen  Behauptungen  des  Darwinismus.  Diesen  Gonse- 
quenzen gegenĂĽber  fĂĽhrt  der  Verfasser  aus,   wie  trotz  der 


Jos.  KĂĽhl:  Die  Descendenzlehre  und  der  neue  Glaube.  281 

Fortschritte  der  Wissenschaft  „eine  Religion  und  ein  Chri- 
stenthum  in  freierer  Form**  nicht  allein  möglich,  sondern 
nothwendig  ist  (S.  IV). 

In  diesem  zweiten  Theil,  in  der  Art  der  Gonsequenzen, 
die  er  aus  dem  neuen  Glauben  zieht,  in  den  WidersprĂĽchen, 
die  er  in  der  neuen  Lehre  aufzeigt,  stimmen  wir  dem  Ver- 
fasser am  ungetheiltesten  bei.  Dabei  heben  wir  hervor,  dass 
der  Verfasser  in  der  That  „unparteiisch  jede  Meinung  ach- 
tete und  von  jeder  Persönlichkeit  sich  streng  fem  hielt'*, 
S.  Vn,  ja  dass  er  geneigt  ist,  seinem  Gegner  Strauss  eher 
zu  viel  wie  zu  wenig  zuzugeben.  Getheilter  dagegen  ist  un- 
sere Zustimmung  bei  dem,  was  der  Verfasser  in  Betreff  der 
Descendenzlehre  sagt.  Auch  ihr  gegenĂĽber  will  der  Verfasser 
lieber  zu  viel  wie  zu  wenig  zugeben;  er  sagt  daher  sofort 
S.  III:  „Die  Descendenzlehre  an  sich,  wenn  man  darunter 
nichts  weiter  versteht,  als  den  Satz,  dass  alle  heutigen  For- 
men der  organischen  Wesen  von  einer  Urform  organischen 
Lebens  abgestammt  sind,  muss  heute  als  unanfechtbare  Wahr- 
heit gelten." 

Sie  muss  als  Wahrheit  gelten?  Der  Verf.  selbst  weist 
in  seiner  Schrift  vielfach  auf  die  LĂĽcken  hin,  welche  die  Em- 
pirie in  der  Entwicklungslehre  lässt;  er  citirt  sogar  noch 
S.210  wiederholend  ein  Wort  Virchow's:  „Vorläufig  ist  hier 
(in  Bezug  auf  die  Uebergangsfahigkeit  von  Art  zu  Jkri)  eine 
grosse  LĂĽcke  in  unserm  Wissen.  DĂĽrfen  wir  sie  durch  Ver- 
nmthungen  ausfĂĽllen?  Gewiss,  denn  nur  durch  Vermuthun- 
gen  werden  die  Wege  der  Forschung  in  unbekannte  Gebiete 
vorgt  zeichnet.  Und  das  hat  Darwin  im  schönsten  Sinne  ge- 
leistet." Nun  wenn  diese  Uebergangsfahigkeit  von  Art  zu 
Art,  also  die  thatsächliche  Descendenz  der  Formenvielheit  aus 
einem  einheitlichen  Lebens  nfang  nur  noch  als  Vermuthung, 
also  als  Hypothese  gedacht  werden  kann,  muss  sie  dann 
schon  Wahrheit  sein?  Der  Verfasser  sagt  einige  Zeilen  vor- 
her: „Eine  Hypothese  kann  bis  zu  dem  Punkte  geführt  wer- 
den, dass:  so  kann  es  gewesen  sein,  gleich  ist:  so  muss  es 
gewesen  sein  und  so  ist  es  gewesen  —  und  das  ist  der  ein- 
zige PrĂĽfstein  fĂĽr  die  Echtheit  und  den  wissenschaftlichen 
Werth  einer  Hypothese."    Wo  liegt  aber  in  der  Naturwissen- 


288  Jos.  Kohl:  Die  Desoendenilehre  und  der  neue  Glaube. 

Schaft  der  PrĂĽfstein,  dass  das  kann  in  das  muss  ĂĽberzu- 
gehen hat?  Als  Newton  zuerst  den  Gedanken  der  Gravita- 
tion fasste,  da  wird  er  gedacht  haben:  es  kann  sein,  dass 
der  Mond  proportional  seiner  Masse  und  umgekehrt  propor- 
tional dem  Quadrat  der  Entfernung  von  der  Erde  angezogen 
wird,  ganz  so  wie  der  Stein,  den  die  Zugkraft  der  Erde  ÂŁallen 
macht.  Ja,  als  seine  Rechnung  nicht  stimmte,  weil  er  die 
Grösse  der  Erde  falsch  in  Anrechnung  gebracht  hatte,  da 
wird  er  oft  gedacht  haben:  es  muss  doch  so  sein,  wie  ich 
denke.  Indess  dem  bescheidenen  Manne  fiel  es  nicht  ein, 
seine  subjective  Vermuthung  als  objective  Wahrheit  auszu- 
posaunen. Erst  als  er  16  Jahre  spater  auf  Grund  von  Pic- 
tet's  neuer  Meridianmessung  die  Erdgrösse  richtiger  in  Ansatz 
bringen  konnte,  und  das  Resultat  der  Rechnung  jetzt  mit 
seiner  Vermuthung  stimmte,  erst  dann  yeröffentlichte  er  seine 
Hypothese  als  Wahrheit.  Und  mit  Recht,  denn  seine  Spe- 
culation  war  durch  die  biduction  bestätigt,  seine  Hypothese 
war  durch  die  Uebereinstimmung  der  Subjectivitat  und  Ob- 
jectivität  Wahrheit  geworden. 

Wo  ist  aber  die  Induction,  durch  welche  die  Descendenz- 
Vermuthung  zur  Wahrheit  wird?  Der  Verfasser  spricht  viel 
von  der  Bescheidenheit  Darwin's,  da  dieser  seine  Lehre  nur 
fĂĽr  die  Organismen  aufgestellt  habe.  Indess  im  HinblidL  auf 
die  Bescheidenheit  eines  Newton  können  wir  es  nicht  als  Be- 
scheidenheit gelten  lassen,  wenn  Darwin  auf  die  blosse  That- 
sache  der  grossen  Veränderlichkeit  gewisser  Tauben-,  Salit- 
und  Mentha -Arten  hin  die  Vermuthung  als  wissenschaftliche 
Wahrheit  aufstellt:  alle  Arten  sind  nur  spielartlich  verschie- 
den. Der  Verfasser  sagt  selbst,  man  hätte  doch  wenigstens 
aus  einer  Gans  eine  Ente  zĂĽchten  mĂĽssen.  So  lange  ab^ 
solche  bduction  fehlt,  bleibt  die  ganze  Vorstellung  von  Ent- 
wicklung der  Arten  aus  Arten  eine  unwissenschaftliche  Vermu- 
thung, und  mag  diese  Vermuthung  noch  so  viel  wissenschaft- 
liches Leben  bringen.  Wir  behaupten  aber,  dass  sie  anfangt 
mehr  Tod  als  Leben  zu  bringen. 

Der  Verfasser  selbst  weist  auf  den  Mangel  der  Induction 
hin  und  auf  das  UngenĂĽgende  der  von  Darwin  und  And^ien 
angegebenen  Mittel  der  Entwicklung;  er  wäst  audi  sogar 


Jos.  Kahl:  Die  Desoandeiudehre  und  der  neue  GlaiĂśM.  388 

auf  den  Widerspruch  hin,  dass  der  Kampf  um's  Dasein  die- 
jenige Art  erhalten  lassen  soll,  welche  am  Meisten  vor  Nach- 
stellung gesichert  sei.  Dass  dagegen  die  geschlechtliche  Zucht- 
wahl in  Herausbildung  von  Gesang  und  schönen  bunten  Far- 
ben einer  Art  Eigenschaften  anzĂĽchten  soll,  welche  ihr  im 
Kampf  um's  Dasein  sogar  schädlich  sind,  da  sie  die  Feinde  an- 
locken können.  Der  Verfasser  hätte  auch  darauf  hinweisen 
können,  wie  bei  den  Pflanzen  von  geschlechtlicher  Zuchtwahl 
überhaupt  nicht  die  Rede  sein  könne.  Wenn  aber  nun  die 
Mittel,  wodurch  die  Entwicklung  stattfinden  soll,  als  ungenĂĽ- 
gend erkannt  sind,  wenn  die  inductive  Bestätigung  der  Art- 
umbildung fehlt  und  somit  die  Entwicklungslehre  aUer  Be- 
grĂĽndung entbehrt,  was  hat  es  dann  einen  Werth,  zu  sagen 
(S.  IV) :  „Die  Abstsunmung  aller  heutigen  organischen  Lebens- 
formen von  einer  Urform  muss  heute  als  unanfechtbare  Wahr- 
heit gelten.^*  Es  ist  keine  unanfechtbare  Wahrheit, 
nur  eine  noch  discutirbare  Vermuthung.  Deshalb  ist 
es  uns  gleich  werthlos,  wenn  Jemand  ohne  die  dabei  statt- 
findenden Verhältnisse  und  Möglichkeiten  denkthätig  klar  zu 
stellen,  sich  begnĂĽgt,  zu  sagen:  Alle$  hat  sich  entwickelt, 
oder  wenn  er  sagt:  Alles  ist  von  Gott  geschaffen.  Aber  es 
ist  uns  gleich  interessant,  zu  sehen,  wie  und  ob  Jemand  den 
Gedanken  der  Entwicklung,  wie  und  ob  er  den  Gedanken  der 
Schöpfung  begründet.  Die  Hauptfrage  wird  dabei  stets  die 
bleiben:  Wie  muss  der  Urgrund  gedacht  werden?  Als  einer, 
der  die  Entwicklung  unbewusst  entlässt?  Als  einer,  der  eine 
Schöpfung  freithätig  in's  Dasein  treten  lässt?  Hier  aber  ist 
es,  wo  die  Vermuthung  der  Descendenz  Tod  in  das  freie  For- 
schen zu  bringen  droht  und  schon  brachte.  Denn  man  be- 
gnĂĽgt sich,  zu  denken:  Alles  hat  sich  entwickelt;  aber  wel- 
cher Art  der  Urgrund  sei,  das  bleibt  undenkbar  und  6e- 
hehnniss. 

Der  Verfasser  rĂĽhmt  gerade  hierbei  Darwin's  Bescheiden- 
heit, der  nur  von  einer  Entwicklung  der  Organismen  gespro- 
chen habe,  während  der  Materialismus,  Gott  verwerfend,  die 
Entwicklung  auf  das  ganze  Weltall  ausgedehnt  habe.  Indess 
Darwin  selbst  hat,  seine  Bescheidenheit  aufgebend,  sich  dem 
Materialismiis  angeschlossen,   als  er  in  der  zweiten  Ausgabe 


284  Jos.  KĂĽhl:  Die  Descendenzlehre  und  der  neue  Glaube. 

der  „Entstehung  der  Arten"  die  Hauptstelle  der  ersten  Aus- 
gabe, dass  Gott  vier  oder  fĂĽnf  erste  Lebewesen  geschaffen 
habe,  weggelassen  hat;  und  wir  gestehen,  gegenĂĽber  dem 
Muth  eines  Kant,  Fichte,  Schelling,  Hegel,  die  es  versuchten, 
den  Urgrund  der  Dinge  zu  denken,  gegenĂĽber  der  kĂĽhnen 
allumfassenden  Entwicklungslehre  des  deutschen  Idealis- 
mus, der  den  Urgrund  der  Dinge  selbst  in  diese  Entwicklung 
hereinzog,  erscheint  uns  die  Entwicklungslehre  des  darwinisi- 
renden  Materialismus  als  kleingeistig  und  engherzig,  als  Bruch- 
stĂĽck. Sie  will  es  als  Wahrheit  festgehalten  haben:  Alles 
hat  sich  entwickelt;  aber  der  Urgrund,  aus  dem  die  Entwick- 
lung geschah,  soll  undenkbar,  unerklarbar  sein.  Und  deshalb 
erscheint  uns  diese  Lehre  auch  als  der  Tod  des  freien  Den- 
kens, da  sie  in  der  Meinung,  dass  ausser  ihr  keine  Wahrheit 
sei,  es  fĂĽr  werthlos  achtet,  andere  historisch  gewordene  Vor- 
stellungen zu  untersuchen,  und  da  sie  gerade  vor  der  Frage 
die  ThĂĽre  des  Denkens  zuschliessen  will,  vor  der  in  aller  ge- 
schichtlichen Zeit  die  Völker  fragend  und  forschend  standen, 
vor  der  Frage:  Wer  ist  Gott?  Was  ist  der  Urgrund  der 
Dinge  ? 

Der  Verfasser,  und  wir  gestehen,  dass  er  uns  dabei  auf 
dem  richtigen  Wege  erscheint,  sucht  nun  mit  gegen  das  Ende 
stets  grösserer  Freudigkeit  zu  begründen,  dass  ein  persönlicher 
Schöpfer  der  Urgrund  sei;  um  so  unerklärlicher  aber  ist  uns 
z.  B.  der  Satz  S.  9:  „Schöpfung  ist  uns  gleichbedeutend 
mit  Entwicklung;  denn  eine  Schöpfung  in  dem  Sinüe,  wie 
wir  das  Wort  gewöhnlich  verstehen,  setzt  ein  freies  Eingreifen 
des  Schöpfers  und  getrennte  Schöpfungsakte  für  die  einzelnen 
Klassen  der  Lebewesen  voraus  und  erklart  nicht  die  Ueber- 
einstimmung  in  dem  Bauplane  dieser  Lebewesen;  sie  erklärt 
namentlich  nicht,  warum  fĂĽr  den  Menschen,  der  doch  ausge- 
zeichnet werden  soDte  vor  der  übrigen  Schöpfung,  und  wirk- 
lich ausgezeichnet  worden  ist,  nicht  eine  andere  Gestalt,  an- 
dere Knochen,  anderes  Blut  und  anderes  Fleisch  gewählt  ist, 
als  etwa  für  den  Affen,  seinen  nächsten  Vetter  im  Thierreicfa.^^ 

Schöpfung  ist  eine  freie  That,  Entwicklung  ist  ein  unbe- 
wusst  gesetzliches  Geschehen,  also  kann  Schöpfung  und  Ent- 
wicklung nicht  gleichbedeutend  sein,  und  wenn  auch  noch  so 


Jos.  Kuh]:  Die  Desoendenzlebre  und  der  neue  Glaube.  285 

sehr  der  Gang  der  Entwicklung  durch  die  That  der  Schöpfung 
eingeleitet  und  gesetzlich  bestimmt  wurde.  Der  Verfasser/ 
hätte  das  Verhältniss  von  Gott  als  Schöpfer  zur  Schöpfung 
und  Entwicklung  näher  darlegen  sollen;  seine  Versicherung, 
Schöpfung  und  Entwicklung  seien  ihm  gleichbedeutend,  ist 
wenigstens  rein  subjectiv.  Nun  aber,  wo  der  Verfasser  dies 
Verhältniss  unerklärt  lässt,  bleibt  es  auch  unklar,  was  der 
indifferente  Stoff  ist,  von  dem  der  Verfasser  S.  39  und  59 
spricht.  „Am  Anfang  der  Dinge  muss  der  Stoff  ein  indif- 
ferenter gewesen  sein,  d.  h.  einen  absoluten  Gegensatz 
zwischen  organischer  und  anorganischer  Materie  kann  es  nicht 
gegeben  haben."  Ist  hier  gemeint,  dass  der  Urgrund  der 
Dinge  selbst  der  indifferente  Stoff  gewesen  sei,  ähnlich  dem 
bdifferenzpunkt  Schelling's,  aus  dem  sich  Geist  und  Stoff 
differenzirte  ?  Denn  wenn  dieser  Stoff  als  Anfang  einer  von 
Gott  gesetzten  Schöpfung  die  Entwicklung  beginnt,  dann  ist 
er  nichts  indifferentes,  da  er  in  der  von  Gott  ge- 
wollten Bestimmtheit  wirkt  und  sich  bethätigt.  Und 
dieser  erste  Stoff  wird  mit  der  entschiedenen  Bestimmtheit 
als  unorganische  Materie  zu  wirken  aufgetreten  sein,  da  es 
zwecklos  gewesen  wäre,  organische  Kräfte  dieser  ersten  Ma- 
terie beizulegen;  denn  diese  Kräfte  konnten  erst  wirken, 
wenn  das  Unorganische  in  Wasser,  Luft  und  Erde  geschieden 
war.  Nicht  als  Indifferentes,  als  ein  erst  im  Unorganischen  und 
Organischen  Unterschiedenes  brauchen  wir  daher  mit  KĂĽhl 
die  erste  Materie  zu  denken.  Und  wenn  man  sie  in  dem 
Sinne  indifferent  nennen  wiD,  dass  Sonne  und  Planeten,  Luft, 
Erde,  Wasser  nicht  gleich  Anfangs  geschieden  waren,  so  ist 
zu  bemerken,  dass  der  Hinweis  auf  den  Keim  der  Pflanzen 
anrichtig  ist,  denn  dieser  Keim  ist  nichts  Indifferentes,  er  ist 
schon  in  Stengel  und  Blatt  differenzirt  und  das  Wachsen  bringt 
nur  das  bereits  Vorhandene  zu  grösserer  Entfaltung.  Der 
Verfasser  deutet  oft  auf  diese  Keimentwicklung  hin,  er  ver- 
gleicht auch  die  Vermehrung  der  Arten  der  Vermehrung  der 
Zweige  und  Zweiglein  an  einem  Baum,  aber  die  Entwicklung 
der  Zweige  und  Zweiglein  an  der  Eiche  schafft  nur  Eichen- 
Zweige,  sie  ĂĽefert  keine  neue  Formen. 

Wenn  aber  nun  in  der  citirten  Stelle  der  Verfasser  meint, 


286  Jos.  KĂĽhl:  Die  Descendenzlehre  und  der  neue  Gkube. 

die  Entwicklung  allein  erkläre  die  Uebereinstimmung  im  Bau- 
plan der  Lebewesen,  so  heisst  dies  doch  einen  Schöpfer  ohne 
Gedächtniss,  also  vernunftlos  vorstellen.  Der  Grund  der  ein- 
heitlichen Beziehung  von  den  Lagerpflanzen  zu  blattbildenden 
Zellpflanzen  oder  Moosen,  zu  den  Gefässcryptogamen,  zu  den 
Nacktsamigen,  den  Ein-  und  Zwei  samenlappigen  kann  doch 
gerade  so  gut  gesucht  werden  in  der  Verwirklichung  des  ein- 
heitlichen Schöpfungsgedankens  des  Pflanzenlebens  durch  eine 
unendliche  Vielheit  von  Lebensformen,  wie  in  der  Entwick- 
lung. Und  auch  bei  der  Beziehung  des  Menschen  zu  den 
Wirbelthleren  ist  nicht  Entwicklung  nöthig;  denn  wenn  der 
Schöpfer  als  Spitze  der  irdischen  Daseinsformen  den  Menschen 
in's  Dasein  rufen  wollte,  so  wird  er  ihn  auch  mit  irdischen 
Existenzbedingungen  in's  Dasein  gerufen  haben,  er  wird  ihn 
als  Spitze  der  Formen  in  der  vollkommensten  Lebensform, 
im  Wirbelthiertypus  haben  auftreten  lassen.  Das  Wesen  des 
Menschen  liegt  aber  nicht  in  dieser  Wirbelthierform,  sondern 
in  dem  Schatze  seines  geistigen  Vermögens. 

Das  Verdienst  der  Aufklärungstheologie  ist  es,  gegenüber 
der  mittelalterlichen  Vorstellung  von  einem  Gott,  der  in 
allmächtiger  Freiheit  schrankenlos,  willkürlich  und  in  gesetzes- 
freier V(^undermacht  wirke,  die  Vorstellui^  geweckt  zu  haben, 
dass  Gott  als  Vernunft  nur  Gesetzmässiges  wolle  und  wirke. 
Kant  hat  diesen  Gedanken  aufgegriffen,  und  der  gesammte 
deutsche  Idealismus  lebt  in  diesem  Gedanken.  Seit  demMiss- 
credit  der  Aufklärungstheologie  und  des  Idealismus  sind  aber 
diese  Verdienste  vergessen.  Der  darwinisirende  Materialismus 
kenat  und  eifert  nur  gegen  die  mittelalterliche  Vorstellung 
von  einem  schrankenlosen  willkĂĽrlichen  Gott,  und  selbst  KĂĽhl, 
obgleich  ihm  anderwärts  Gott  als  der  Vernünftige,  zugleich 
der  dem  Gesetz  sich  Beugende  ist,  kann  sich  beim  Schöpfungs- 
gedanken  nicht  von  der  mittelalterlichen  Gottesvorstellung  frei 
machen,  und  er  meint:  eine  freie  Schöpfung  müsse  gedächt- 
nisslos, planlos,  ohne  Gesetzmässigkeit  geschehen  sein. 

Euhl  verlegt  nun  die  Differenzirung  des  indifferenten 
Stoffes  in  die  vorgeschichtliche,  die  Jugendzeit  der  Erde.  Mit 
der  Geburt  des  Menschen  hört  diese  Jugendzeit  auf,  und  seit- 
dem geschah  durch  Wanderung  die  Ausbreitung  der  Lebens- 


E.  T.  Hartmuin:  Zur  Geacbiehte  und  BegrĂĽndung  des  Peesimismus.    287 

formen  Yon  der  Urheimath,  dem  Hindukusch,  und  durch  Ver- 
harren an  den  einzehien  Plätzen,  durch  Vererbung  geschah 
die  Erstarrung  des  ursprunglich  Einheitlichen  in  einer  diffe- 
renzirten  Vielheit.  Wir  mässen  indess  in  Betreff  seiner  nä* 
heran  Auseinandersetzung  auf  die  Schrift  selbst  verweisen. 
Wir  selbst  yennissen  eben  dabei  vielfach  die  Auseinander- 
setzung des  Verhältnisses  von  Gott  zur  Entwicklung.  So  wenn 
z.B.  Kühl  S.  192  sagt:  „es  steht  zu  vermuthen,  dass  dieser 
Stoff  seinen  Dienst  gethan  und  ohne  neuen  Zusatz  nicht  mehr 
zeugen  wird/^  ist  man  gezwungen,  zu  fragen,  ob  da,  wo  man 
einen  persönlichen  Schöpfer  annimmt,  solche  Vermuthungen 
nicht  in  Bezug  zu  dem  Willen  dieses  Schöpfers  und  seiner 
Weltidee  zu  setzen  sind? 

Bei  dem  reichen  Interesse,  das  Kuhl's  Schrift  bietet, 
hoffen  wir  indess,  dass  diese  Schrift  nicht,  wie  der  Verfasser 
S.  Vni  meint,  ein  Abschluss  frĂĽherer  Arbeiten  (Die  Anfange 
des  Menschengeschlechts  und  sein  einheitlicher  Ursprung,  1873. 
Darwin  und  die  Sprachwissenschaft,  1877)  sei,  dass  vielmehr 
noch  eine  andere  Schrift  folge,  welche  die  Unt^ suchung  des 
von  ihr  unberührt  gelassenen  Verhältnisses  von  Gott,  Schö- 
pfung und  Entwicklung  sich  zur  Aufgabe  macht. 

L.  Weis. 


Zur  eetchichtft  und  BegrĂĽndung  des  Peeeimismus.  Von  Eduard 
V.  Hartnumn,  Berlin,  C.  Dunckers  Verlag  (C.  Heymons). 
1880.    (XVI,  141  S.)    8«. 

Ausser  einem  Vorwort,  in  welchem  der  Verfasser  seinen 
Pessimismus  zu  erläutern  und  zu  rechtfertigen  sucht,  enthält 
diese  Schrift  vier  Abhandlungen,  welche  sämmtlich  schon 
frfiher  in  Zeitschriften  erschienen  waren.  Die  erste  und  um- 
finglichste  handelt  von  „Kant  als  Vater  des  Pessimismus^^ 
Hier  hat  der  Verfasser  sich  bemĂĽht,  die  pessimistische  Seite 
der  Weltanschauung  Kant's  durch  Zusammenstellung  aUer 
dahin  gehenden  Aeusserungen  desselben  hervorzuheben,  ein 
gewiss  nicht  unverdienstliches  Unternehmen;  aber  er  geht 
offenbar  zu  weit,  wenn  er  Kant  zum  Pessimisten  schlechthin 
macht    Auch  ist  es  eine  schiefe  Auffassung,   wenn  er  sagt. 


888    E.  y.  Hartmann:  Zur  Geschichte  und  BegrQnduDg  des  PeoBimismus. 

dass  Kant  nur  nicht  den  Muth  finde,  der  menschlichen  Natur 
den  vollkommenen  Verzicht  auf  positive  GlĂĽckseligkeit  fĂĽr 
diese  und  jene  Welt  zuzumuthen,  obwohl  es  eigentlich  in 
der  Gonsequenz  seines  Moralprincipes  liege,  jeden  verbinden- 
den Faden  zwischen  Tugend  und  GlĂĽckseligkeit  durchzu- 
schneiden, um  der  letzteren  ihre  Reinheit  zu  sichern.  ,Denn 
Kant  hat  den  Dualismus  von  PflichterfĂĽllung  und  Wohlergehen 
nur  fĂĽr  diese  Welt  behauptet  oder  vielmehr  constatirt,  aber 
er  hat  doch  nirgends  gesagt,  dass  es  dem  pflichtgemäss  Han- 
delnden hienieden  schlecht  gehen  mĂĽsse;  wiederum  fordert 
er  auf  das  Entschiedenste,  wie  jede  vernĂĽnftige  Weltanschau- 
ung dies  thun  wird,  ein  schliessliches  Uebereinkommen  von 
Tugendhaftigkeit  und  Glückseligkeit  im  sog.  höchsten  Gute. 
Alles,  was  v.  Hartmann  hiergegen  geltend  macht,  ist  nicht 
stichhaltig.  Da  Kant  unverrĂĽckt  an  der  Ewigkeit  des  mensch- 
lichen Wesens  festhält  und  ein  unendliches  Fortschreiten  des 
Menschen  annimmt,  so  erscheint  ihm  gerade  von  dieser  idea- 
len Auffassung  aus  das  u*dische  Leben  trĂĽbe  und  unbefrie- 
digend; er  bekämpft  jedoch  den  Gedanken  des  Glucks  nicht 
ĂĽberhaupt,  sondern  nur  sofern  dasselbe  zum  eigentlichen  Ziel 
der  LebensfĂĽhrung  gemacht  wird,  und  mmmt  durchaus  sach- 
gemäss  eine  „mittelbare"  Beziehung  zwischen  Glückseligkeit 
und  Sittlichkeit  an,  msofem  Naturgesetz  und  Sittengesetz 
auf  einen  einheitlichen  Schöpfungsplan  zurückweisen.  Also 
kann  v.  Hartmann  sich  bei  seinem  Satz,  dass  alle  echte 
Moral  nothwendig  den  Pessimismus  zur  Vorbedingung  ihrer 
praktischen  Realisirbarkeit  haben  mĂĽsse,  wahrlich  nicht  auf 
Kant  berufen.  Ohnehin  scheint  seine  Forderung,  dass  man 
tugiendhaft  handehi  und  dabei  doch  auf  all  und  jedes  Gluck 
verzichten  müsse,  sich  unmöglich  erfüllen  zu  lassen.  So  un- 
edel und  zugleich  thöricht  die  blosse  Jagd  nach  dem  Giäck 
ist,  und  so  unedel  auch  das  Verlangen  dessen,  der  fĂĽr  seine 
Tugend  belohnt  werden  will,  ebenso  lebendig  und  unerschĂĽtter- 
lich lebt  doch  im  Menschen  das  Bewusstsein,  dass  in  der 
aDgemeinen  Oeconomie  der  Dinge  dem  aus  der  rechten  Ge- 
sinnung fliessenden  rechten  Thun  schliesslich  nicht  Unheil, 
sondern  Erfolg  und  Befriedigung  folgen  werde.  Zu  sagen: 
„handle  tugendhaft,  aber  werde  dadurch  für  inuner  Unglück- 


E.  T.  Hartmann:  Zur  Geschichte  und  BegrĂĽndung  des  Pessimismus.    389 

lieh",  heisst  die  Sache  auf  den  Kopf  stellen  und  der  Verzweif- 
lung, aber  damit  auch  der  Unsittlichkeit,  Thor  und  ThĂĽr 
öffnen.  Ohnehin  müsste  erst  noch  bestimmt  werden,  was 
denn  unglĂĽcklich  sein  bedeute,  und  dies  auszumachen  ist 
ebenso  schwierig,  ja  unmöglich,  als  auszumachen,  was  Gläck 
sei.  Der  Pessimismus  ist  eben  eine  GemĂĽthsstimmung,  kein 
Denksystem,  eine  bei  der  ĂĽberwiegenden  Thorheit  und  son- 
stigen Schlechtigkeit  der  Menschen  zwar  leider  wohl  berech- 
tigte Stimmung,  der  man  aber  mit  anderweitigen  Erwägungen 
erfolgi'eich  entgegentreten  kann  und  soll,  —  vom  religiösen 
Standpunkt  aus  durch  den  Glauben  an  die  Liebe  und  die 
Barmherzigkeit  Gottes,  vom  rein  weltlichen  Standpunkt  durch 
die  Ueberzeugung ,  dass  auch  bei  allem  äussern  Ungemach 
dem  sittlich  Handelnden  das  Zeugniss  des  guten  Gewissens  und- 
die  Selbstachtung  bleibt. 

Indem  y.  Hartmann  den  Pessimismus  zum  Mittelpunkt 
seiner  Weltanschauung  macht,  verlässt  er  die  eigentlich 
wissenschaftliche  Betrachtungsweise  und  kann  darum  auch 
Kant  nicht  gerecht  werden,  dem  er  z.  B.  die  Lehre  aufbĂĽrdet, 
dass  er  „den  Pessimismus  als  Postulat  der  praktischen  Vernunft 
a  priori"  betrachtet  habe,  während  gerade  umgekehrt  Kant 
durch  seine  praktischen  Postulate  vom  Dasein  Gottes  und 
der  Unsterblichkeit  sich  defl  Weg  zum  Optimismus  sichert. 
Was  V.  Hartmann  im  dritten  Abschnitt  seiner  Abhandlung 
(„der  transscendente  Optimismus")  gegen  die  von  Kant  in 
Aussicht  genommene  Seligkeit  des  ewigen  Lebens  sagt,  hat 
auch  mehr  Schein  als  Wahrheit.  Es  muss  freilich  zugegeben 
werden,  dass  Kant  in  seiner  gesunden  polemischen  Richtung 
gegen  die  sinnlichen  Auffassungen  des  ewigen  Lebens  sich 
mehrfach  so  geäussert  hat,  als  oh  Lust  und  Glück  im  ge- 
wöhnlichen Sinne  des  Wortes  im.  Jenseits  nicht  stattfinden 
könne,  aber  damit  will  er  doch  nur  sagen,  dass  wir,  wie 
wir  uns  überhaupt  die  Zustände  eines  Lebens  nach  dem  Tode 
nicht  vorstellen  können,  auch  von  der  Seligkeit  keine  Vor- 
stellung gewinnen  können.  Sich  etwas  nicht  vorstellen  können 
und  etwas  ableugnen  ist  aber  zweierlei,  und  darum,  dass  wir 
als  unvollkommene  Wesen  keiner  reinen,  vollkommenen  Selig- 
keit fähig,  vielmehr  nur  im  unendlichen  Fortschritt  zu  derselben 

Philosoph.  Monatshefte  1881,  IV  a.  V.  19 


290    E.  â–Ľ.  Hartmann:  Zur  Greschichte  und  Begrflndung  des  Pessimismus. 

begriffen  sind,  die  Seligkeit  überhaupt  als  „unerreichbares  Ideal" 
bezeichnen,  heisst  die  Sache  ĂĽberspannen.  Auch  drĂĽckt  der 
Satz :  „kein  Verstand  vermag  einen  persönlichen  selbstbewuss- 
tep,  anweisen  und  allmächtigen  Grott  zu  rechtfertigen,  dass 
er  Geschöpfe  ins  Dasein  gerufen,  denen  allen  das  Nichtsein 
besser  wäre/'  keineswegs  Kant's  Meinung  und  Gesinnung  aus. 
Es  ist  dabei  ja  nur  von  einem  möglichen  Einwurf  gegen  ein 
Argument  des  landläufigen  optimistischen  Versuchs  der  Theo- 
dicee  die  Rede,  nicht  aber  haben  wir  mit  emem  eigentlichen 
philosophischen  Lehrsatz  zu  thun.  Denn  bekanntlich  hat  Kant 
allerdings  einen  allweisen  selbstbewussten  Gott  angenommen, 
sich  aber  nicht  eingebildet,  ĂĽber  alle  und  jede  Einrichtung 
der  Welt  Rechenschaft  geben  zu  können,  v.  Hartmann^s  Auf- 
fassung der  praktischen  Philosophie  und  Religionsansicht  Kaufs 
fallt  darum  so  schief  aus,  weil  er  immer  vom  sentimentalen 
Gesichtspunkt  ausgeht,  Kant  aber  ĂĽberall  das  Rationelle  der 
Sache  hervorhebt;  Kant  fasst  als  echter  Philosoph  die  Wesen 
und  deren  Verhältnisse  sub  specie  aetemi,  v.  Hartmann  nach 
den  wandelbaren  Angaben  des  menschlichen  Nervensystems. 
Aber  es  wäre  andererseits  Unrecht,  dabei  zu  verkennen,  dass 
der  Letztere  im  Gegensatz  zu  Schopenhauer  ĂĽberall  eine 
Ader  edlen  Trotzes  gegen  seinen  eigenen  Pessimismus  kund- 
gibt und  sich  mit  männlichem  sFolze  über  die  PöbelhafUgkeit 
des  empiristischen  Eudämonismus  erhebt,  dessen  praktische 
UndurchfĂĽhrbarkeit  und  theoretische  Grundlosigkeit  er  wohl 
durchschaut  hat  und  richtig  bezeichnet. 

Dies  kommt  in  besonders  anzuerkennender  Weise  in  der 
vierten  Abhandlung:  „die  Bedeutung  des  Leides"  zu  Tage. 
Doch  sei  zuvor  mit  Uebergehung  der  zweiten  Abhandlung: 
„Ist  der  Pessimismus  wissenschaftlich  zu  begründen?"  — 
welche  in  den  Philosophischen  Monatsheften  erschienen,  in 
ihnen  auch  durch  A.  Horwicz  bereits  eine  Entgegnung  ge- 
funden hat  (vgl.  Jahrg.  XV  p.  589—612,  XVI  p.  264—288), 
ein  Wort  von  der  dritten  gesagt,  welche  die  Ueberschrifl 
trägt:  „Ist  der  Pessimismus  schädlich?"  v.  Hartmann  will, 
wie  er  in  diesem  Aufsatze  auseinandersetzt,  weder  mit  dem, 
was  er  EntrĂĽstungspessimismus,  noch  mit  dem,  was  er  quie- 
tistischen  Pessimismus  nennt,  noch  mit  dem  „Miserabilismus" 


E.  y.  Hartmann:  Zur  Geschichte  und  BeipiSnduDg  des  Pessimismus.     291 

ZU  thun  haben  —  er  fordert  zwar  „stille  Hoheit  der  Resig- 
nation", aber  zugleich  „Energie  und  Thatkraft"  und  erklärt 
den  wahren,  ethisch  religiösen  Idealismus  mit  dem  von  ihm 
vertretenen  Pessimismus  nicht  nur  fĂĽr  vereinbar,  sondern  durch 
ihn  allein  gesichert.  Der  Pessimismus  ist  also  nach  v.  Hart- 
mann nicht  allein  nicht  schädlich,  sondern  sogar  zum  sitt- 
lichen Leben  unentbehrUch,  denn  „ist  ein  Individuum  unfähig, 
seine  .Kräfte  dem  religiös  -  ethischen  Idealismus  zu  widmen, 
wenn  es  keinen  positiven  Lohn  fĂĽr  sich  davon  ziehen  soll,  so 
ist  es  ein  Kämpfer,  welcher  der  Hoheit  und  Erhabenheit  der 
Sache  doch  nur  schlechte  und  unlautere  Dienste  leisten  wĂĽrde, 
ein  feiler  Söldling  ohne  Glauben  und  Liebe  zur  Fahne,  dessen 
die  religiöse  und  sittliche  Idee  füglich  entrathen  kann." 

Der  Hartmann'sche  Pessimismus  betrachtet  demnach  das 
GlĂĽck  fĂĽr  ĂĽberhaupt  unerreichbar;  er  brandmarkt  Jeden, 
welcher  ĂĽberhaupt  noch  Hoflhungen  hegt,  als  sittlich  Be- 
fleckten und  glaubt,  während  er  die  üeberzeugung  von  der 
unaufhaltsam  fortschreitenden  Entwicklung  der  Menschheit  fest- 
hält, dabei  doch,  dass  die  Menschen,  je  weiter  sie  kommen, 
sich  dadurch  nur  um  so  unglĂĽcklicher  machen.  Dieser  Lehre 
gegenĂĽber  muss  man  nun  vor  allen  Dingen  fragen,  welches 
denn  der  sittlich  religiöse  Idealismus  sei,  von  dem  v.  Hart- 
mann spricht,  und  dem  zu  Liebe  wir  alle  Aussicht  auf  Wohl- 
ergehen opfern  sollen?  Da  v.  Hartmann  keinen  lebendigen 
göttlichen  Geist  und  auch  kein  ewiges  Leben  anninmit,  so 
kann  sein  Idealismus  nur  im  Smne  jener  Theorie  eines  be- 
schränkten irdischen  Fortschritts  genommen  werden,  von  dem 
er  selber  sagt,  dass  er  mit  stets  abnehmendem  Wohlergehen 
der  Menschheit  verbunden  sein  mĂĽsse.  Man  soll  also,  kurz 
gesagt,  nach  v.  Hartmann  möglichst  sittlich,  aufopfernd  und 
selbstverleugnend  handeln,  mn  die  Nachkommen  dafür  — 
möglichst  elend  und  unglücklich  zu  machen.  Ich  frage,  ob 
sich  das  mit  der  gesunden  Vernunft  verträgt.  Schädlich  kann 
ein  solcher  Pessimismus  allerdings  nicht  wohl  sein,  weil  er  keine 
Nachfolge  finden  wird ;  aber  zum  Bundesgenossen  des  wahren 
Idealismus  kann  er  auch  nicht  taugen,  da  dieser  einem  posi- 
tiven Ziele  folgt,  dessen  Erreichung  als  die  Menschheit  ĂĽber- 
haupt,  aber  eben  darum  auch  jeden  einzelnen  Mitstrebenden 


\ 


292     E.  y.  Hartmann:  Zur  Geschichte  und  BegrĂĽndung  des  Pessimismus. 

beglĂĽckend  angesehen  werden  muss,  ohne  dass  wir  fĂĽr  diese 
endlichepefriedigung  an  einen  gemeinen  Lobndienst  zu  denken 
haben.  Denn  der  wahre  Idealismus  fasst  das  innere  Wesen 
des  Menschen  der  Form  nach  als  Freiheit,  dem  Inhalt  nach 
als  Liel^e:  Liebe  aber  ist  von  selbst  beglĂĽckend.  Weil  nun 
dies  Wesen  des  Menschen  nach  einem  Grundgesetz  der  Welt, 
dass  nichts  umsonst  angelegt  ist,  irgendwie  zum  Ausdruck 
kommen  muss,  so  kann  nicht  angenommen  werden,  dass 
menschUch  sittliches  Streben  in  immer  grösseres  Unheil  ende; 
ebenso  wenig  kann,  da  dies  Streben  unter  der  Form  der 
Freiwilligkeit  sich  bethätigt,  dabei  von  Lohndienst  und  Krämer- 
thum  die  Rede  sein. 

In  der  letzten  Abhandlung  untersucht  v.  Hartmann  die 
Bedeutung,  welche  das  „Leid*^  in  verschiedener  Hinsicht  haben 
kann.  Man  findet  darin,  wie  in  seiner  „Phänomenologie  des 
sittlichen  Bewusstseins",  eine  Reihe  feiner  und  treffender  Be- 
merkungen, ja  manches  goldene  Wort  von  hohem  Werthe, 
und  darf  dies  Stück  überhaupt  als  einen  der  besten  Beiträge 
zur  ÂŁthik  bezeichnen,  die  in  der  letzten  Zeit  in  Deutsch- 
land geliefert  worden  sind.  Aus  dieser  Abhandlung  kann 
die  relative  Berechtigung  des  Pessimismus  verstanden 
werden,  wenn  er,  wie  v.  Hartmann  thut,  die  religiöse  und 
ethische  Seite  des  Uebels  und  Schmerzes  hervorhebt.  Frei- 
lich thun  Letzteres  die  Optimisten  auch,  von  denen  wenigstens 
die  besseren,  z.  B.  Reimarus,  auf  die  Teleologie  des  Schmerzes 
ausdrĂĽcklich  hingewiesen  haben;  aber  v.  Hartmann's  Betrach- 
tungsweise ist  universeller  und  zugleich  tiefer,  wenngleich  es 
dabei  wieder  nicht  an  Uebertreibung  und  Schiefheiten  fehlt. 
In  der  Hauptsache  ist  aber  von  ihm  der  Satz,  dass  das  Leid 
nicht  zur  Lähmung  des  sittUchen  Geistes  führen  dürfe,  sondern  zu 
dessen  Förderung  bestimmt  sei,  richtig  durchgeführt,  und  die 
speculative  Rechtfertigung  des  Leides  und  seiner  providen- 
tiellen  Bedeutung  neben  dem  Hinweis  auf  die  in  ihm  „lauernde 
sittliche  Gefahr"  in  jener  anziehenden  und  beredten  Sprache, 
welche  des  Verfassers  Schriften  auszeichnet,  so  klar  geliefert, 
dass  man  mitunter  glauben  möchte,  die  Stimme  eines  Predi- 
gers zu  vernehmen,  der  in  der  WĂĽste  der  Welt  nicht  fĂĽr  die 
WĂĽste,  sondern  fĂĽr  das  Himmelreich  spricht.  C.  S. 


Litteraturbericht.  393 

Littentirberkht. 


Le  antitesi  trat  il  medioero  e  Petä  modenia  nella  storia  della  fllo- 
sofla  in  Ispecie  nella  dottrina  morale  dl  Italebranche.  Per  Seba- 
stiatA  Turbigtio.  Roma,  1877.  Tipografia  deir  Opinione.  3  Bll.  S.  XL VII 
u.  31-18^.  8*. 
Zeigte  sich  der  Verfasser  nicht  so  ausserordentlich  dankbar  fĂĽr  Be- 
sprechungen seiner  Schriften  in  ausländischen  Organen,  so  möchte  es  nun, 
drei  Jahre  nach  dem  Erscheinen  des  Buches,  fast  zu  spät  scheinen,  noch 
auf  dasselbe  zurĂĽckzukommen.  Aber  da  er  so  gewissenhaft  registrirt,  was 
ĂĽber  ihn  bei  frĂĽherer  Gelegenheit  gesagt  worden  ist,  so  ist  es  ein  dank- 
bares Geschäft,  seine  Arbeiten  der  gelehrten^  Welt  vorzustellen,  und  viel- 
leicht Uest  Einer  oder  der  Andere  ganz  gern  eine  Notiz  ĂĽber  das  Buch, 
das  nicht  ohne  Eigenthümlichkeit  ist.  Der  Verfasser  eröffnet  sein  Buch 
mit  einem  Briefe  an  Eduard  ZeUer,  dessen  Philosophie  der  Griechen  er 
als  den  letzten  und  vollkommensten  Typus  der  Geschichtschreibung  ansieht 
und  unter  dessen  Banner  er  sich  mit  seiner  Arbeit  einzeichnen  will,  frel^ 
lieh  nicht  ohne  sich  seine  eigenthĂĽmliche  Auffassung  von  geschichtlicher 
Entwicklung  überhaupt  vorzubehalten.  Er  ist  nämlich  der  Meinung,  dass 
Philosophie  niemals  eigentliche  strenge  Wissenschaft  werden  kann,  wie  die, 
welche  auf  Erfahrung  beruht,  auf  äusserer  Beobachtung  und  innerer  Re- 
flexion; der  Philosoph  sei  weit  mehr  ein  KĂĽnstler,  seine  Lehre  eine  Art 
von  Religion,  und  seine  Beweise  nur  scheinbar,  eigentlich  nur  ein  Mittel 
der  Propaganda.  Alles  Denken  ist  subjectiv  gefärbt;  zwei  Menschen  kön- 
nen nicht  genau  denselben  Gedanken  denken.  Der  Philosoph  hat  deshalb 
seine  Bedeutung  darin,  dass  er  der  Redner  seiner  Epoche  ist,  ihre  tiefsten 
Tendenzen  ausspricht,  und  darum  ist  auch  das  System,  wie  es  sich  um 
eine  erzeugende  centrale  Idee  cristallisirt,  unabhängig  vom  Willen,  vom 
Bewusstsein  und  von  der  Person  des  Urhebers,  ein  Product  der  in  der 
Zeit  waltenden  Factoren;  nicht  einmal  die  Anordnung  der  Gedanken  im 
Einzelnen  rĂĽhrt  vom  Willen  des  Urhebers  her.  Die  Geschichte  der  Systeme 
spiegelt  somit  den  nothwendigen  Gang  der  intellectuellen  Gultur  der  Mensch- 
heit wieder.  Zeller  lässt  eben  noch  der  Persönlichkeit  und  ihrer  Freiheit 
einen  zu  grossen  Spielraum.  Das  Ich  an  sich  ist  ganz  leer ;  erst  das  um- 
gebende Mitte)  fĂĽUt  es  mit  einem  Inhalt.  Die  Greschichte  der  philosophi- 
schen Gedanken  hat  ihre  strenge  objective  Nothwendigkeit,  ähnlich  wie 
die  der  chemischen,  botanischen,  biologischen  Entwicklungsgesetze.  Man 
muss  daher,  wie  in  der  Naturwissenschaft,  so  auch  hier  den  Schein  von 
der  Wirklichkeit  im  Aufbau  der  Systeme  trennen,  das  bewusste  und  das 
unbewusste  Element  in  den  Schöpfungen  der  Philosophen  auseinander 
halten,  und  die  Aufgabe  des  Geschichtschreibers  ist  es,  den  Bau  des  ein- 
zelnen Systems,  wie  es  überliefert  ist,  erst  einzureissen  und  aus  den  Bau« 
steinen  das  Grebäude  mit  selbstständiger  Nacherzeugung  neu  zu  errichten, 
um  vom  Aeusserlichen  zum  Wesen  der  geschichtlichen  Erscheinimg  vor- 
zudringen. 


394  Litteraturbericht. 

Diese  Operation  nun  nimmt  der  Verfasser  an  Malebranche  vor,  —  wie 
uns  scheint,  mit  sehr  geringem  GlĂĽck.  Er  behauptet  zwar,  er  wolle  nur 
als  Historiker  verfahren  und  keinerlei  Doctrin  geben.  Thatsächlich  aber 
geht  ihm  über  einer  vorgefassten  Doctrin  jedes  historische  Verständniss 
verloren.  Es  gelingt  ihm  weder,  den  Gedanken  Malebranche's  in  seine 
wirklichen  Elemente  zu  zerlegen,  noch  aus  solchen  Elementen  etwas  auf- 
zubauen, was  wie  der  auf  sein  Wesen  zurückgeführte  Malebranche  aussähe. 
Wir  hören  überall  nur  Herrn  Turbiglio  in  endlosen  einförmigen  Wieder- 
holungen —  der  Herr  Verf.  sucht  sie  vergebens  zu  rechtfertigen  (S.  171} 
—  seine  vorgefassten  Meinungen  auskramen;  an  den  eigenthümlichen  Cha- 
rakter des  Mannes,  des  Zeitalters,  an  die  BedĂĽr&iisse  der  Epoche,  die 
geschichtliche  Lage  der  philosophischen  Probleme  werden  wir  nirgends 
erinnert. 

Der  Verfasser  misst  alles  an  Gegensfttzen,  die  als  solche  geschichtlich 
nicht  nachweisbar  sind,  und  verf&llt  darĂĽber  in  ein  ganz  wilkĂĽrĂśches 
Gonstruiren.  Da  ist  der  Gegensatz  von  Mittelalter  und  neuerer  Zeit,  von 
Sinnenerfahrung  und  Vernunft,  von  reiner  Vernunft  und  theologisirender 
Vernunft,  alles  das  in  einer  Einseitigkeit  erfasst,  welche  die  wirkliche  Er- 
scheinung nirgends  trifft  Unterschieden  werden  zwei  Grundrichtungen 
der  neueren  Philosophie,  von  Locke  bis  Kant  einerseits,  von  Gartesios  bis 
Spinoza  andererseits:  jene  der  strengen  Wissenschaft  und  der  Induction 
zugewendet,  als  Reaction  gegen  Scholastik  und  Ghristenthum,  gegen  alle 
Ontologie  und  Metaphysik,  und  unter  Absehen  von  der  Substanz  nur  die 
Erkenntniss  der  Erscheinung  für  möglich  haltend;  diese  von  dem  Priucip 
strenger  Wbsenschaft  nur  unbewusst  berĂĽhrt,  die  Deduction  vorziehend, 
auf  Einheit  der  Substanz  und  auf  Metaphysik  gerichtet.  Indessen  kann 
sich  auch  die  letztere  Richtung  dem  Grundcharakter  der  neueren  Wissen* 
Schaft,  dem  empirischen  Elemente  nicht  ganz  entziehen,  und  dieses  nimmt 
in  der  Reihe  von  Gartesius  durch  Malebrancbe  und  Spinoza  zu.  Deshalb 
behandelt  der  Verfasser  auch  wider  die  Chronologie  Spinoza  nach  Male- 
branche. Spinoza  bildet  erst  eigentlich  den  Uebergang  vom  Mittelalter 
zur  neuen  Zeit  und  stellt  die  Reaction  gegen  das  Mittelalter  ebenso  in 
negativer,  wie  Kant  in  positiver  Weise  dar,  während  Malebranche  zuweilen 
noch  von  den  mittelalterlichen  Ideen  sich  unterjochen  lässt.  Bei  Male- 
branche ist  es  das  Hauptinteresse  des  Verfassers,  nachzuweisen,  wie  sich 
die  reine  Vernunft  und  die  theologisirende  Vernunft,  wie  sich  neue  Zeit 
und  Mittelalter,  Pantheismus  und  Individualismus  um  ihn  streiten.  Auf 
einzehie,  höchst  sonderbare  Meinungen  des  Verfassers,  wie  z.  B.,  dass  die 
Begriffe  von  Einheit  und  Substanz  aus  den  Sinnen  stammen,  dass  der 
Begriff  des  allervoUkommensten  Wesens  die  Auffassung  des  Mittelalters, 
der  Begriff  des  allerrealsten  Wesens  die  der  Neuzeit  charakterisire  u.  dgl.  m., 
gehen  wir  nicht  weiter  ein.  Interessant  ist  uns  das  Buch  besonders  nur 
deshalb,  weil  es  zeigt,  wie  ein  ausgesprochener  Empirismus  und  Sensua- 
lismus in  WillkĂĽrlichkeit  aprioristischer  Gonstruction  der  geschichtlichen 
Thatsachen  auch  den  kĂĽhnsten  Metaphysiker  zu  ĂĽberbieten  vermag.    Der 


Litteraturbericht.  295 

Verfasser  verspricht  eine  Arbeit  ĂĽber  die  Philosophie  der  Renaissance,  in 
der  er  nicht  mit  Unrecht  die  Wurzeln  alles  Denkens  der  neueren  Zeit  zu 
finden  glaubt.  Wenn  die  Arbeit  zur  Ausführung  kommt,  so  wäre  zu  wün- 
schen, dass  der  Verfasser  inzwischen  etwas  mehr  gelernt  habe,  von  vor- 
gefaasten  Meinungen  abzusehen  und  die  geschichtlichen  Thatsachen  einfach 
and  nĂĽchtern  aufzufassen.  Dann  erst  wird  er  mit  einigem  Recht  sich  zu 
Denen  zählen  können,  die  nach  Zeller's  Vorbild  Geschichte  der  Philosophie 
betreiben. 

Berlin.  Lasson. 

üeber  die  Abfassnngueit  von  Leibniiens  Unvorgreillicheii  Ctedanken« 

Von  Director  L.  Neff.  (Beilage  zum  Programm  des  Grossh.  Pro-  und 
Realgymnasiums  Durlach  f.  d.  Schuljahr  1879—80.)  Durlach,  A.  Dups. 
(33  S.)    1880.    4*. 

Obige  Abhandlung  ist  gegen  A.  Schmarsow*s  Arbeit:  „Leibniz  und 
Schottelius  u.  s.  w.  Strassburg  1877"  —  vgl.  Philos.  Monatsh.  Bd.  XIV.  1878. 
p.  181—182  —  gerichtet,  welcher  darin  Leibnizens  ,ünvorgreifliche Gedanken* 
in  die  nächste  Beziehung  zu  Schottelius  gebracht  und  ihre  Abfassungszeit 
viel  früher  angesetzt  hatte,  als  bisher  angenommen  worden  war,  nämlich 
etwa  in  das  Jahr  1680.  Dir.  Neff,  ein  grĂĽndlicher  Kenner  gerade  der 
phäologisch-linguistischen  Thätigkeit  Leibnizens,  sucht  nun  in  der  vorlie- 
genden Abhandlung  nicht  nur  die  relative  Selbstständigkeit  des  Philoso- 
phen gegen  seinen  grammatischen  Vorgänger  Schottelius,  sondern  auch 
die  frĂĽhere,  besonders  von  dem  verstorbenen  Guhrauer  vertretene  Ansicht 
über  die  Abfassungszeit  der  «Unvorgreiflichen  Gedanken'',  wonach  sie  an 
das  Ende  des  Jahrhunderts  fallen  sollen,  also  etwa  20  Jahre  später  als 
Schmarsow  annimmt,  zu  behaupten.  Er  bringt  fĂĽr  beide  Punkte  unver- 
ächtliche Argumente  bei  und  macht  es  namentlich  wahrscheinlich,  dass 
die  letzte  Redaction  der  besprochenen  Schrift  nach  dem  Frieden  von  Rys- 
wyk  1697—98  fällt.  Dies  schliesst  freilich  nicht  aus,  dass  der  erste  Ent- 
wurf der  .Unvprgreiflichen  Gedanken**,  welcher  sich  in  einem  bis  auf 
Schwarsow  unbenutzten  und  unbekannten  Manuscript  zu  Hannover  erhal- 
ten hat  und  auf  den  derselbe  grosses  Gewicht  legt,  in  der  That  viel  ftflher 
abgefasst  wurde.  Abgesehen  von  der  Streitfrage,  ĂĽber  welche  Ref.  sich 
kein  entscheidendes  Urtheil  zutraut,  enthält  die  NefTsche  Abhandlung 
eine  Menge  beachtenswerther  Notizen  ĂĽber  Leibnizens  grammatische,  ety- 
mologische und  politisch-patriotische  Ansichten. 


luuumel  Kaufs  Kritik  der  ĂĽrtheilskraft.  Herausgegeben  von  Benno 
Erdmann.    Leipzig,  L.  Voss.    (XLU,  421  S.)  1880. 

Die  Anordnung  des  Textes  in  dieser  kritischen  Ausgabe  der  Kritik 
der  Urtheilskraft  ist  im  Wesentlichen  dieselbe  wie  in  den  von  dem  Her- 
ausgeber besorgten  Ausgaben  der  Prolegomena  imd  der  Kritik  der  reinen 
Vernunft,  denen  auch  die  äussere  Ausstattung  der  vorliegenden  Edition 
entspricht.    Erdmann  hat  die  zweite  Ausgabe  der  Kritik  der  Urtheilskraft 


396  Litteraturbericht. 

(vom  Jahre  1793)  seinem  Texte  zu  Grunde  gelegt,  welche  Kant,  nachdem 
die  erste  Ausgabe  sehr  fehlerhaft  herausgekommen  war,  Tor  dem  Erschei- 
nen theils  selbst  sorgfältig  verbessert  hat,  theils  durch  fremde  Hülfe  cor- 
rigiren  liess.  Der  dritten  noch  bei  Kant's  Lebzeiten  erschienenen  Ausgabe 
von  1799  gab  der  Herausgeber  *  deswegen  nicht  den  Vorzug,  weil  darin 
nach  seiner  Meinung  nicht  derjenige  Wortlaut  erscheint  welcher  ,,den 
EigenthQmlichkeiten  der  Kantischen  Ausdrucksweise  am'  Meisten  gerecht 
wird**.  Derselbe,  so  fährt  Erdmann  fort,  enthält  nämlich  nicht  bloss 
manche  GorrectureU;  die  den  Gewohnheiten  Kant's  in  seiner  Schriftsprache 
nicht  ganz  gemäss  sind,  sondern  auch  mehrfach  solche,  die  den  Sinn  ver- 
dunkeln, nicht  verdeutlichen.  Also  muss  der  fremde  (und  unbekannte) 
Corrector  bei  dieser  Ausgabe  völlig  freie  Hand  gehabt  und  mehr  verbes- 
sert haben,  als  der  Erhaltung  des  ursprünglichen  Textes  zuträglich  war. 

In  der  Einleitung  gibt  der  Editor  nicht  bloss  von  seinem  Verfahren 
bei  der  Herausgabe  Rechenschaft,  sondern  zeigt  auch,  wie  der  allmälige 
Aufbau  dieses  Theiles  des  Kantischen  Lehrgebäudes  vor  sich  gegangen 
ist;  dem  Texte  des  eigentlichen  Werkes  aber  fĂĽgt  er  J.  S.  Beck's 
Auszug  aus  Kant's  ursprĂĽnglichem  Entwurf  der  Einleitung  in  die  Kritik 
der  Urtheilskraft  hinzu,  den  Beck  als  Anhang  zum  zweiten  Theile  seines 
.Erläuternden  Auszuges  aus  den  kritischen  Schriften  des  Herrn  Prof.  Kant'' 
1794  veröffentlicht  hat  und  welcher  in  den  Ausgaben  sowohl  von  Rosen- 
kranz als  von  Hartenstein  unter  dem  Titel :  „Ueber  Philosophie  überhaupt* 
steht,  nachdem  er  in  den  zweiten  Band  der  Sammlung  ,L  Kant's  vorzug- 
liche kleine  Schriften  und  Aufsätze*  von  Fr.  Chr.  Starke  Bd.  II  S.  223 
folgg.  unter  der  Bezeichnung  .lieber  Philosophie  überhaupt*  —  im  In- 
haltsverzeichniss  steht  .Ueber  Philosophie  ĂĽberhaupt  und  die  Kritik  der 
Urtheilskraft  insbesondere**,  was  Hartenstein  in  seiner  neuen  Ausgabe 
verwerthet  hat,  —  aufgenommen  worden  war.  Den  Schluss  der  Aus- 
gabe bildet  ein  Anhang  des  Herausgebers  zur  Textrevision,  welcher  das 
Verhältniss  der  ursprünglichen  drei  Ausgaben  zu  einander  in  allen  Einzel- 
heiten darlegt  und  den  sonstigen  kritischen  Apparat  beibringt.  In  der 
Vorrede  vertheidigt  Erdmann  seine  Auffassung  der  Kantischen  Philosophie 
gegen  Paulsen  und  definirt  bei  dieser  Gelegenheit  die  Kritik  der  reinen 
Vernunft  als  eine  «nothwendige  und  allgemein  gültige  Grenzbestimmung 
der  reinen  Vernunft  durch  den  Umfang  möglicher  Erfahrung  gegenüber 
dem  Dogmatismus*  —  eine  Erklärung,  von  der  Referent  bekennen  müsste, 
dass  sie  ihm  gar  nicht  recht  verständlich  wäre,  wenn  Erdmann  nicht  als- 
bald hinzufĂĽgte,  dass  Kant's  kritische  Grenzbestimmung.  ,  sofern  sie  das 
Gebiet  der  Erkenntniss  a  priori  auf  mögliche  Erfahrung  einschränkt*,  von 
ihm  als  eine  „empiristische*  bezeichnet  würde.  In  dieser  Erklärung  ist  nun 
die  Behauptung,  auf  welche  es  wesentlich  ankommt,  dass  nämlich  Kant 
das  Gebiet  der  Erkenntniss  a  priori  auf  mögliche  Erfahrung  einschränkte, 
eine  durchaus  dem  Missverständniss  Vorschub  leistende,  wenn  nicht  ganz 
falsch.  Kant  bat  in  seiner  Kritik  das  apriorische  Element  von  dem  des 
Erfahrungsmässigen  toto  genere  unterschieden,  wenngleich  er  das  erstere 


Litieraturbericht.  297 

auf  das  letztere  sich  beziehen  lässt;  jenes,  das  aller  Erfahrung  vorausge- 
hende Ă„priori,  ist  das  eigentliche  Resultat,  das  Facit  seiner  Kritik.  Und 
danun  nennt  er  auch  seine  Philosophie  ,transscendentalen  Idealismus**,  weil 
sie  sich  mit  den  nichterfahrungsmfissigen  Elemepten  der  Erkenntniss,  durch 
deren  Anwendung  die  Erfahrung  allererst  möglich  wird,  beschäftigt.  Diese 
apriorischen,  alUer  Erfahrung  vorausgehenden  formalen  Elemente  bilden 
gerade  das,  was  Kant  zusammen  mit  den  Ideen  die  reine  Vernunft  nennt. 
Wie  also  Erdmann  behaupten  kann,  dass  Kantus  Philosophie  in*  irgend 
einem  Sinne  des  Wortes  empiristisch  sei,  bleibt  ganz  unerfindlich.  Wäre  sie 
empiristisch,  so  wĂĽrde  sie  ja  dogmatisch  sein,  also  unkritisch,  und  ĂĽber- 
dies nach  Kant's  ganz  richtiger  Ansicht  der  Skepsis  anheimfallen,  denn 
die  empiristische  Denkweise  muss,  wenn  consequent  verfolgt,  in  Skepsis 
umschlagen,  wie  er  am  Beispiel  Hume's  zeigt.  Dogmatismus  aber  und 
Skepticismus  zu  vermeiden,  das  war  ja  Kant's  eigentliche  Absicht,  und 
sie  sind,  wie  Erdmann  selbst  bemerkt,  diejenigen  Denkweisen,  welche 
Kant  seiner  eigenen  immer  entgegensetzt.  Da  bleibt  also  fĂĽr  ihn  doch 
wohl  nur  der  Kriticismus  ĂĽbrig,  und  zwar  der  der  Vernunft,  wie  dies 
selbstverständlich  ist:  insofern  kann  Kant's  Philosophie  freilich  als  kriti- 
scher Rationalismus  bezeichnet  werden,  ein  Ausdruck,  gegen  den  er  selbst 
sicherlich  nichts  einzuwenden  gehabt  haben  wĂĽrde,  da  die  positive  Absicht 
seines  Philosophi^ens  ĂĽberall  auf  eine  kritisch  begrĂĽndete  Metaphysik  geht, 
wie  die  Absicht  jedes  rechtschaffenen  Philosophen,  ja  im  Grunde  eines 
jeden  tiefer  blickenden  Forschers,  der  sich  nicht  mit  dem  blossen  Beob- 
achten und  Sammeln  von  Thatsachen  begnĂĽgt. 

Uebrigens  soll  noch  bemerkt  werden,  dass,  wenn  Erdmann  den  Aus- 
druck Kriticismus  für  nichtkantisch  erklärt,  er  sich  wieder  im  Irrthum 
befindet:  Kant  braucht  dies  Wort  allerdings  in  seiner  Streitschrift  gegen 
Eberhard  (Ueber  eine  Entdeckung  u.  s.  w.  Abschn.  II  zu  Anf.),  und  zwar 
in  einem  Sinne,  der  sein  eigenes  methodisches  Verfahren  recht  eigentlich 
bezeichnet. 

lamaaiiel  Kaufs  Kritik  der  reinen  Yernanft*  Herausgegeben,  erläu- 
tert und  mit  einer  Lebensbeschreibung  Kant 's  versehen  von  «7.  H. 
V.  Kirchmann.  5.  Aufl.  Leipzig.  E.  Koschny.  1881.  (VIII.,  IV.,  720 
S.)  8*. 

Der  Umstand,  dass  neben  anderen  zum  Theil  billigeren  Ausgaben  diese 
Kirehmannsche  Ausgabe  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  in  zwölf  Jahren 
die  fĂĽnfte  Auflage  erlebt  hat,  spricht  gewiss  fĂĽr  deren  Brauchbarkeit. 
Mit  Recht  hat  von  Kirchmann  derselben  die  zweite  Ausgabe  Kants 
vom  Jahre  1787  zu  Grunde  gelegt,  wie  auch  Hartenstein  dies  schon  ge- 
than  hatte,  und  die  Abweichungen  der  ersten  Ausgabe,  theils  in  unter  den 
Text  gesetzten  Noten,  theils  in  angehängten  Nachträgen  hinzugefügt:  ausser- 
dem wĂĽrde  aber  der  Werth  der  Ausgabe  noch  steigen,  wenn  der  Heraus- 
geber ähnlich  wie  Kehrbaeh  dies  gethan  sich  die  Mühe  genommen  hätte, 
die  Sehenzahlen  der  ĂĽbrigen  Ausgaben  unter  dem  Text  der  seinigen  zu 


298  Lfitteraturbericht. 

vermerken,  um  die  Besitzer  in  den  Stand  zu  setzen,  jede  AnfĂĽhrung 
nach  irgend  einer  andern  Ausgabe  der  reinen  Vernunft  mittels  dieser 
zu  verificiren.  Vielleicht  entschliesst  sich  Herr  v.  Kirchmann  bei  der 
nächsten  Auflage  dazu,  diesem  Vorschlag  zu  willfahren. 


ISofAx,  den  Kant-Text  betreffend. 

Da  ich  in  dem  nächstens  erscheinenden  I.  Bande  meines  „Gommentars 
zuEantsKritik  der  reinen  Vernunft*  keine  passende  Stelle  fördiefol- 
gende  Notiz  finde,  theile  ich  dieselbe  den  sich  dafĂĽr  interessirenden  Fach- 
genossen auf  diesem  Wege  mit.    Unter  den  schon  im  vorigen  Jahrhundett 
hin  und  wieder  gemachten  Versuchen,  den  Text  der  Kantischen  Werke  und 
insbesondere  der  Kr.  d.  r.  V.  zu  verbessern,  ist  ausser  einigen  unbedeutenden 
auch  das  bedeutendste  Verzeichniss  bis  jetzt  vergessen  und  daher  unausgenĂĽtzt 
geblieben.    In  den  von  L.  H.  Jakob  vom  Jahre  1795  ab  herausgegebenen 
«Annalen  der  Philosophie  und  des  philosophischen  Geistes*,  im  ersten  Jahr- 
gang hat  ein  gewisser  Professor  Grill o  in  Berlin  (Verfasser  eines  Werkes: 
Aphoristische  Darstellung  der  Religion,  Rostock   1794)  eine  sehr  grosse 
Anzahl  wirklicher  und  vermeintlicher  Druckfehler  in  Kant's  Werken  mitge- 
theilt.    Diese  Mittheilungen  finden  sich  in  der  Beilage  zu  dem  f^ag1.Jah^ 
gang,  dem  , Philosophischen  Anzeiger,"  Stflck37— 45,  47-^49,  51—53.  Sie 
erstrecken  sich  auf  die  „Kritik  d.  r.  V.*,  die  , Kritik  der  pr.  V.",  die  ,Pro- 
legomena*,  die  «Metaph.  Anf.  d.  Naturw.*,  die  « Grundlegung  zur  Hetaph. 
der  Sitten*,  die  «Kritik  der  Urtheilskraft*.  die  , Religion.*   In  diesan  von 
ihm  so  genannten  xgoxvXeyfjios  beschuldigt  er  Setzer  und  Gorrectoren  der 
, Verhunzung*  und  .Oscitanz.*     Im  54.  Stuck  desselben  Anzeigers  nimmt 
ein  gewisser  Heyer  die  ,Hartknoch'sche  Handlung*  in  Schutz,  und  sucht 
nachzuweisen,  dass  speciell  von  den  121  behaupteten  Druckfehlem  in  der 
Kritik  d.  r.  V.  55  gar  keine  seien.     Einige  seien  blos  geringe  typographi- 
sche Verschiebungen  ,  andere  seien  Kantische  SpracheigenthĂśmlichkeiten, 
wieder  andere  seien  blosse   „Hineinverbesserungen*  in   den  Text  seitens 
Grillo*s.    Dieses  Verzeichniss  von  Grillo   ist  nun  (bis  auf  25  Gorrectoren, 
von  denen  aber  die  meisten  im  Text  selbst  angebracht  sind)  identisch  mit 
dem  bekannten  am  Ende  der  5.  Originalausgabe  der  Kritik  d.  t.  V.  vom 
Jahre    1799  sich  findenden  Druckfehlerverzeichniss.    Dieses   rfihrt  somit 
nicht,  wie  B.  Erdmann  vermuthet  (Anhang  zu  seiner  Ausgabe  der  Kr.  d.  r. 
V.  S.  649)  von  Rink  her,  sondern  ist  nur  eine  von  einem  Leipziger  Gorrector 
besorgte  Abschrift  jenes   Verzeichnisses  von  Grillo.     Dass   nicht  jener 
Meyer  diese  Abschrift  besorgt  habe,  dafĂĽr  liegt  der  Beweis  darin,  dass 
das  Verzeichniss   am  Schluss   der   5.  Aufl.   alle   von  Meyer   verworfenen 
Gorrecturen  acceptirt.    Somit  sind  jene,  theilweise  richtigen  Gorrecturen  auf 
Konto  jenes  Grillo  zu  setzen.  Der  Abschreiber  des  Grillo*8chen Verzeich- 
nisses hat  jedoch  seine  Abschrift  nicht  nur  sehr  salopp  gemacht,  —  das 
Druckfehlerverzeichniss  der  5.  Aufl.  enthält  selbst  einige  Druckfdiler  — 
sondern  er  hat  auch  sonderbarer  Weise  es  vorgezog^i,  die  Gorrecturen 


Litteraturbericht.  299 

nicht  selbst  in  den  Text  aufzunehmen,  sondern  —  wer  weiss  aus  welchem 
Grunde,  wahrscheinlich  aus  „Oscitanz*  —  sich  damit  begnügt,  dieselben 
(abgesehen  von,  jenen  oben  erwähnten  25)  an's  Ende  zu  setzen.  Er  ist 
aber  auch  hierin  nicht  consequent,  indem  mehrere  der  am  Ende  aufge- 
zählten Gorrecturen  doch  auch  zugleich  im  Texte  verwerthet  sind,  ein  Ver- 
fahren, das  das  harte  Urtheil  Grillo's  Aber  die  damaligen  Gorrectoren 
mdir  als  rechtfertigt. 

UnTerständlich  ist  mir,  dass  die  neuesten  Herausgeber,  Erdroann  und 
Kchrbach,  eine  Reihe  von  offenbaren  Verbesserungen  aus  dem  Verzeich- 
niss  der  5.  Aufl. ,  welche  also  in  letzter  Linie  auf  Grillo  zurĂĽckzufahren 
sind,  nicht  acceptirt  haben;  ja  Erdmann,  der  sonst  auch  die  von  ihm 
nicht  acceptirten  Vorschlage  registrirt,  hat  sie  ganz  mit  Stillschweigen  ĂĽber- 
gangen. Es  sind  dies  die  folgenden  (Seitenangabe  und  Zeileneintheilung 
nach  Erdmanns  Ausgabe): 

S.  282,  Z.  6:  anweisen  statt  beweisen. 

S.  300,  Z.  9:  Begriffen  statt  Begriffe'). 

S.  444,  Z.  18:  mit  ihr  statt  ihr. 

S.  544,  Z.  6:  als  der  dem  statt  als  dem. 

S.  699,  Z.  10:  dennoch  als  Regeln  statt  dennoch  alle  Regein. 

S.  815,  Z.  20:  und  setzt  statt  uud  sagt. 
Ebensowenig  begreifeich,  warum  Erdmann  zwei  Correcturen,  welche 
Kehrbach  acceptirt,  nicht  annahm: 

S.  94,  Z.  16:  Er  ist  statt  Es  ist, 
sodann  die  grössere  Aenderung  auf 

S.  514,  Z.  9—11. 
Der  Unbekannte  hat  endlich  aus  Grillo's  Verzeichniss  folgende  he« 
achtepswerthe  Correcturen  weggelassen: 

S.  492,  Z.  20:  Gr.  streicht  .der  Vernunft*. 

S.  507,  Z.  16:  Beantwortung  statt  Verantwortung. 

S.  765.  Z.  10:  Aus  einem  anderen  Gesichtspunkt  statt  in  einem  u.s.w. 
Von  Grillo's  Correcturen  zu  den  Prolegomena  scheinen  mir  Fol- 
gende beachtenswerth  (Seitenangabe  und  Zeileneintheilung  ebenfalls  nach 
Erdmann): 

S.  130,  Z.  13:  alle  statt  allen*), 

S.  165,  Z.  19:  immateriellen  statt  materiellen. 
Diese,  sowie  die  ĂĽbrigen  sehr  zahlreichen  Correcturen  von  Grillo  seien 
der  Aufmerksamkeit  der  Kantphilologen  empfohlen. 
*  Strassburg  i.  E.  Vaibinger. 

1)  Der  oben  genannte  Meyer  will  Kants  Text  halten,  weil  ein  Sin- 
gular folge  («ein  Ding*).  Grillo's  Verbesserung  scheint  mir  einfacher  als 
ÂŁrd|Dann*s  Aenderung:  ,was  unter  einem  dergleichen  Begriffe. **  Dagegen 
scheint  mir  Meyer  S.  85  Z.  4  richtig  Kants  Text  zu  halten:  „dem  Erkennt- 
nisse* statt  GriUo's:  «der  Erkenntnisse,*^  Erdmann  setzt:  «der  Erkenntniss.* 

2)  Erdmann:  «allein.''  Derselbe  lAsst  in  seiner  Ausgabe  S.  104  Z.  15 
0.  16  eine  von  Kant  wohlgesetzte  Klammer  weg,  deren  im  Original  ver- 
gessene Hälfte  Grillo  richtig  ergänzt.  Auch  das  Fragezeichen  nach  «be- 
stimmt* S.  116  Z.  10  scheint  mir  Gr.  mit  Recht  zn  fordern. 


300  .  Litteraturbericht. 

Albertos  Maipius«  Beiträge  zu  seiner  Würdigung  von  Dr.  G.  Freiherr 
f.  Hertling,  Prof.  d.  Philos.  an  d.  Univ.  Bonn.  Festschr.  Köln,  Druck 
u.  Comm.-Verlag  v.  J.  F.  Bachern.  1880.  (VI,  150  S.)  8*. 

Bei  Gelegenheit  der  sechshundertjährigen  Credächtnissfeier  Alberts  des 
Grossen  zu  Cöln  (15.  Nov.  1880)  erhielt  Prof.  v.  Hertling,  welcher  schon 
einige  kleinere  den  genannten  Philosophen  betreffende  Arbeiten  veröffent- 
licht hatte,  den  Auftrag  zu  einer  Festschrift  ĂĽber  denselben.    Da  die  Zeit 
zur  Abfassung  einer  abgerundeten  Biographie  zu  kurz  war,  konnte  der 
Verf.  nur  die  vorliegende  Schrift  zu  Stande  bringen,  welche  drei  von  ein- 
ander getrennte  Abhandlungen  bietet.  Die  erste  derselben  enthält  in  kurzer 
Zusammenstellung  alles,  was  wir  an  Lebensnachrichten  ĂĽber  Albertos  Magnus 
besitzen,  und  gibt  zugleich  eine  kurze  Charakteristik  seiner  wissenschaft- 
lichen Thätigkeit  im  Zusammenhange  mit  derjenigen  seinerzeit  überhaupt. 
Der  zweite,  wissenschaftlich  interessanteste  Theil  handelt  ĂĽber  die  Benutzung 
der  aristotelischen  Schriften  und  die  Gestalt  der  aristotelischen  Philosophie 
bei  Albert  dem  Grossen,  ein  um  so  wichtigerer  Punkt,  als  der  grösste  Theil 
dessen,  was  die  21  Folianten  der  Jammy'schen  Ausgabe  enthalten,  in  Pa- 
raphrasen aristotelischer  Werke  besteht.    Es  wird  dabd  mit  Recht  beson- 
ders  die  eingehende  Beschäftigung  Alberts   mit    naturwissenschaftlichen 
Dingen   hervorgehoben,  eine  Seite  wissenschaftlicher  Thätigkeit,  welche 
während  des  späteren  Mittelalters  in  der  Scholastik  bedeutend  zurücktrat, 
wenn  auch  nicht  so  ganz,  wie  der  Verfasser  anzunehmen  scheint.  In  dem 
dritten    Aufsatz    „Zur   Characteristik  scholastischer   Naturerklärung  und 
Weltbetrachtung"  ist,  um  die  eigenen  Worte  des  Verfassers  zu  wiederholen, 
„der  Versuch  gemacht,  aus  den  Aussprüchen  Alberts  den  Standpunkt  zu 
construiren,   welchen  die  Scholastik  in  ihrer  Betrachtung  ^der^ Welt  und 
in  ihren  Versuchen  der  Naturerklärung  einnahm*",  wobei  der  Verfasser 
namentlich  bestrebt  war,  .die  Probleme  hervortreten -jCzu  lassen,  welche 
den  manchmal  sehr  abstract  und  fremdartig  klingenden  Erörterungen  zu 
Grunde  liegen.''    Es  ist  dies  der  Standpunkt  einer  kindlich  frommen,  aber 
zugleich  meist  kindischen  Teleologie,  welche  sich  vermisst,  die  Fmes  Dei 
zu  ergrĂĽnden.   Die  vorliegende  Arbeit  muss  als  Beitrag  zur  Characteristik 
eines  der  bedeutendsten  Vertreter  der  mittelalterlichen  Philosophie  um  so 
willkommener  sein,  als  wir  grade  ĂĽber|Albertus  Magnus  wenig  eingehen- 
dere Untersuchungen  haben,  diefdenn  unter  anderm  auch  durch  die  grossen 
Mängel  der  Jammy'schen  Ausgabe  recht  erschwert  werden. 


Albertus  Magnus  in  Geschichte  und  Sage.     Festschrift  zur  sechsten 
Säcularfeier  seines '  Todestages  am  15.  Nov.  1880.   Köln.   J.  If.  Bachern. 
1880.    (172  S.)  8«. 
Eine  mit  kritischer  Ausbeutung  der  QueUen  verfasste  recht  vollstän- 
dige und  angenehmjzu  lesende  Lebensl^chreibung  des  grossen  Domini- 
caners, welche  besonders  auch  durch  die  Zusammenstellung  der  sagen- 
haften Elemente  in  der  Geschichte  Alberts  Interesse  erweckt  und  werth- 
voll  erscheint. 


Litteraturbericht.  301 

PUto's  Dialog  Thefttet.  Uebersetzt  und  erläutert  von  J,  H.  v,  Kirch- 
fnann.  Leipzig.  E.  Koschny  (L.  Heimann's  Verlag).  1881.  (Philoso- 
phische Bibliothek,  Heft  293—295).    (XVIII.  171  S.)  8^ 

Der  ĂĽebersetzung  dieses  Dialogs  hat  der  Herausgeber  desselben  eine 
Einleitung  vorausgeschickt,  worin  er  sich  ĂĽber  Inhalt  und  Form  des  Werkes 
Ternehmen  lässt.  Von  seinem  Standpunkt  aus,  bekanntlich  dem  eines 
dogmatischen  Realismus,  fällt  das  Urtheil  über  Piatos  Erkenntnisslehre  sehr 
ungünstig  aus,  und  die  dialogische  Form  erscheint  ihm  als  ein  „lästige« 
Heounniss  in  dem  Fortschritt  der  Untersuchung  und  vielfach  ein  Hinder- 
niss  fĂĽr  den  scharfen  Ausdruck  des  philosophischen  Gedankens."  Der 
Üebersetzung  selbst  sind  erläuternde  Anmerkungen  unter  dem  Text  hin- 
zugefügt, welche  zum  Verständniss  beitragen,  ohne  freilich  auf  die  Eigen- 
thOmlichkeit  Plato*s  anders  als  polemisch  einzugehen.  Der  diametrale 
Gegensatz,  in  welchem  der  Herausgeber  zu  Plato's  Anschauungen  steht, 
lässt  ihn  in  letzteren  überaU  nur  Schwächen  erblicken,  und  als  Resultat 
seiner  Arbeit  glaubt  er  den  Nachweis  betrachten  zu  dĂĽrfen,  ,dass  die 
Erkenntnisstheorie  des  heutigen  Realismus  sich  von  all  den  Mängeln  frei 
hält,  welche  bei  Plato  noch  bestehen.** 

IrlävteniBgen  ni  dm  Arigtoteles  Politik  von  J.  H,  v.  Kirchmann. 
Leipzig,  E.  Koschny  (L.  Heimann's  Verlag).  1880.  (131  S.)  8*  (Phi- 
losophische Bibliothek.    Heft  291  und  292). 

In  diesen  Erläuterungen  hat  der  Erklärer  weniger  das  historische  und 
philosophische  als  das  politische  Interesse  der  Lehre  im  Auge,  daher  er 
denn  auch  spätere  Staatseinrichtungen  zur  Vergleichung  mit  dem  von 
Aristoteles  Vorgetragenen  herbeizuziehen  pflegt.  Hinsichtlich  der  Stellung, 
welche  Aristoteles  dem  Einzelnen  in  seinem  Staat  anweist;  hat  er  eine 
der  HegeFschen  entgegengesetzte  Meinung,  indem  er  annimmt,  däss  Aristo- 
teles den  Staat  nicht  zum  Selbstzweck  mache,  sondern  das  GlĂĽck  der 
Btlrger  und  deren  Tugend  als  Ziel  desselben  aufstelle.  Er  hat  darin  nur 
bedingt  Recht,  wenn  man  ihm  auch  darin  wird  beipflichten  mĂĽssen,  dass 
die  Politik  des  Aristoteles  nicht  als  eine  unvollendete,  abgebrochene  Schrift 
anzusehen  sei.  Freilich  muss  doch  wieder  festgehalten  werden,  dass  wir  auch 
in  diesen  acht  BĂĽchern  kein  von  dem  Stagiriten  selbst  herausgegebenes 
oder  nur  zur  Ausgabe  vorbereitetes  Werk  vor  uns  haben,  sondern  Auf- 
zeichnungen, deren  Inhalt  zwar  im  Allgemeinen  auf  Aristoteles  zurĂĽckgeht, 
die  jedoch  dem  Ausdruck  und  der  Form  nach  von  SchĂĽlern  und  in  man- 
chen Fällen  wohl  erst  von  späteren  Ueberar heitern  stammen. 


LeveB  van  Spinosa  door  «7.  Colerua»    Nieuwe  Uitgave.    's  Gravenhage, 
Martinas  Nijhoff.    188(>.    (VIU,  88  S.)    8^ 

Da  das  holländische  Original  der  ältesten  urkundlichsten  und  zuver- 
lässigsten Lebensbeschreibung  Spinoza's  durch  Job.  Köhler  (lateinisch  Go- 
lems), hochdeatschen  Prediger  der  lutherischen  Gremeinde  im  Haag,  sehr 


302  Litteraturbericht. 

selten  geworden  ist,  entschloss  sich  der  gelehrte  Vorsteher  der  Königl. 
Bibliothek  im  Haag,  Herr  M.  F.  A.  G.  Campbell,  zu  vorliegender  Wieder- 
herausgabe des  Werkchens,  welche  alle  Freunde  des  grossen  Phibsophen 
hochwillkommen  heissen  werden.  FQr  die  Letzteren  ist  die  Bekanntschaft  mit 
dem  holländischen  Urtexte  um  so  wichtiger,  als  die  meisten  (weim  nicht  alle) 
späteren  Ausgaben  der  Colerschen  Lebensbeschreibung  in  verschiedenen 
Sprachen  auf  der  französischen  Uebersetzung  des  Werkes  beruhen,  welche, 
wie  eine  Vergleichung  sofort  zeigt,  mehr  eine  Paraphrase,  als  eine  ueber- 
setzung desselben  zu  nennen  ist  und  das  Naive  und  dabei  doch  Treffende  des 
holländischen  Originals  vielfach  verwischt  hat.  Die  äussere  Ausstattung 
entspricht  der  Sorgfalt,  mit  welcher  der  als  tĂĽchtiger  Bibliograph  allbe- 
kannte Herausgeber  den  Wiederabdruck  bewerkstelligt  hat. 


Entgegnung. 

Zu  der  Recension  des  Herrn  Weis  im  ersten  und  zweiten  Hefte  dieser 
Zeitschrift  über  mein  Buch  „der  heliocentrische  Standpunkt  der  Wett- 
betrachtung'' erlaube  ich  mir  folgende  factische  Berichtigung  hinzuznfQgen. 
—  Ich  bedauere,  dass  Herr  Weis  den  erkenntnisstheoretischen  Theil, 
Raum,  Zeit  und  Gausalität  betreffend,  der  meinem  Dafürhalten  nach  der 
wichtigste  ist,  gar  nicht  berührt  hat.  —  In  Betreff  der  Vergleichung  meiner 
Philosophie  mit  der  Schelling'schen  bemerke  ich,  dass  in  meinem  Sinn 
der  Subjectpunkt  auf  der  Gurve  läuft,  also  nicht  im  zweiten  Brennpunkt 
der  Ellipse  liegt,  und  dass  also  auch  von  Polarität  nicht  die  Rede  sem 
kann.  Dieser  Umstand,  sowie  die  Schelling'sche  Definition  von  Subject 
als  Greist  (Ideales)  und  vonObject  als  Natur  (Reales),  während  ich,  wie  Herr 
Weis  richtig  hervorgehoben  hat,  den  Schnitt  zwischen  Subject  und  Object 
durch  den  metaphysischen  Begriff  des  reinen  Seins  lege,  wonach  Beide 
entgegengesetzte  und  begrenzte  oder  umschriebene  Intensitäten  des  Seins 
(=  Drang  zu  Sein  oder  Wille  zum  Leben)  sind,  dĂĽrfte  doch  wohl  die  Aehn- 
lichkeit  der  heliocentrischen  und  Schelling'schen  Philosophie  beträchtlich 
herunter  setzen.  —  Herr  Weis  fragt:  , Warum  ist  nur  Religion  eine 
Abart  der  Metaphysik  und  nicht  auch  Philosophie?*  Gewiss  ist  auch 
Philosophie  eine  Abart.  Ich  definire:  Religion  =  dogmatische  Metaphysik, 
Philosophie  ==  wissenschaftliche  Metaphysik  (oder  Versuch  einer  solchen). 
Metaphysik  ist  also  der  einhĂĽllende  oder  Mantelbegriff  fĂĽr  die  zwei  Fa- 
rallelbegriffe  Religion  und  Philosophie;  wie  ich  anderseits  Religion  den 
Mantelbegriff  fĂĽr  die  Gottesidee,  als  die  fĂĽr  die  Religion  entscheidende, 
genannt  habe.    Von  einer  Mantelreligion  habe  ich  nicht  gesprochen. 

Aristoteles  hat  kein  eigenes  Prinzip  des  Seins  aufgestellt,  schien  mir 
also  für  meinen  Zweck  nicht  in  Betracht  zu  kommen.  —  In  demGitat  über 
Schopenhauer  hat  Herr  Weis  mich  falsch  verstanden.  Nein,  nicht  da- 
mit verlegt  Schopenhauer  den  Mittelpunkt  der  Welt  in  das  Subject,  dass 
er  dem  Ding  an  sich  den  absoluten  Gharacter  nehmen  will,  sondern  ge- 
rade umgekehrt:  er  sucht  dem  „theoretischen  Egoismus*  dadurch  zu  ent- 
gehen, dass  er  nachträglich  d.  h.  in  dem  späteren  zweiten  Bande  seines 


Nea  eingegangene  Schriften.  303 

Hauptwerkes  die  angegebene  Einschränkung  an  seinem  Fundamentalhegriff 
macht.  Da  dies  aber  gar  nicht  mehr  angeht,  so  kommen  dadurch  aller- 
dings nachträglich  die  grössten  Widersprüche  in  sein  System.  Nach  diesem 
Gesichtspunkt  möchte  ich  also  Lob  und  Tadel  vertheiit  wissen.  —  Wo  be- 
haupte ich,  das8  Darwin  «den  Gedanken  der  Entwicklung  zuerst  entdeckt 

habe?"  —  In  Betreff  der  Gleichung  k  =  -7- ,  über  welche  die  Discussion 

so  kurzer  Hand  nicht  erledigt  werden  kann,  erlaube  ich  mir  auf  die  von 
Dannegger  und  mir  demnächst  in   2.  Auflage  herauszugebenden  «Meta- 
physischen AnfangsgrĂĽnde  der  mathemat.  Wissenschaften '^    zu  verweisen, 
wo  der  Leser  den  Fall  zum  völligen  Austrag  gebracht  finden  wird. 
Sigmaringen.  A.  Bilharz. 

Naehsolirift  der  Redaetion. 

Obige  Entgegnung  des  Herrn  Dr.  Bilharz  auf  die  Recension  des  Pro- 
fessors Weis  ist  diesem  Letzteren  vor  dem  Abdruck  mitgetheilt  worden, 
indessen  hat  sich  derselbe  nicht  veranlasst  gesehen,  darauf  mit  einer  Du- 
plik  zu  antworten.  Vielmehr  glaubt  er  den  Lesern  der  Philos.  Monatshefte 
schon  durch  seine  Recension  des  Bilharz'scben  Buches  selbst  hinlängliche 
Anhaltspunkte  zu  einem  begrĂĽndeten  Urtheil  ĂĽber  dessen  ,heliocentrischen 
Standpunkt  der  Weltbetrachtung*  geliefert  zu  haben  und  einer  weiteren 
Vertheidigung  um  so  weniger  zu  bedürfen,  als  von  ihm  die  Hauptsätze 
and  Urtheile  des  Dr.  Bilharz  vielfach  mit  dessen  eigenen  Worten  ange- 
fQhrt  worden  sind,  worauf  zurĂĽckzuweisen  er  sich  erlaubt. 


Neu  eingegangene  Schriften. 

Bastian,  A.,  die  Heilige  Sa^^e  der  Polynesier. 

Evellin,  F.,  Infini  et  Quantit^. 

Schneider,  0.,  ein  Lehrplan  fĂĽr  den  deutschen  Unterricht  in  der  Prima 

der  höheren  Lehranstalten. 
Plato's  Dialog  Theaetet  ĂĽbers,  u.  erl.  von  J.  H.  v.  Kirchmann.    (Philoe. 

Bibhothek  Nr.  293-395.) 
Franke,  Jul.  Heinr.,   die  Wissenschaft   vom  physischen,  geistigen  und 

socialen  Leben. 
Ribot,  Th.,  les  maladies  de  la  memoire. 
Knauer,  6.,  die  Reflexionsbegriffe. 
Lepsin 8,  Joh.,  Job.  Heinr.  Lambert. 
Masaryk,  Th.  Gkirrigue,  der  Selbstmord  als  sociale  Massenerscheinung  der 

modernen  Givilisation. 
Schultz,  Ferd.,  Erinnerung  und  Gedächtniss. 
Herbst,  Gust./  Kant  als  Naturforscher,  Philosoph  und  Mensch. 
Reiff,  Fr.,  das  Böse  die  Nachtseite  im  Leben  der  Menschheit. 
M Q hl h ausser,  K.,  die  Zukunft  der  Menschheit. 
MĂĽller,  H.  F.,  G.  E.  Lessing  und  seine  Stellung  zum  Ghristenthum. 
Talamo,  S.,  la  teorica  deir  evoluzione  nella  scienza  del  diritto. 
Rupp,  Jul.,  Readbn  and  religion.  Transl.  fh)m  the  German  with  a  biogr. 

Ă„etch  of  the  author  by  Mme.  A.  G.  Rasche. 
Caspar i,  O.,  das  Erkenntnissproblem. 


304  Bibliographie. 

Sonnenburg,  der  goldene  Schnitt. 

Spitta,  Hm  die  Willensbestimmungen  und  ihr  Verhältniss  zu  den  impul- 
siven Handlungen. 

Kirchner,  Fr.,  ĂĽber  die  Nothwendigkeit  einer  metaphysischen  Grundlage 
ffir  die  Ethik. 

Bertrand,  Alexis,  Paperception  du  corps  humain  par  la  conscience. 

Hoffmann,  Jonathan,  de  Pseudoapulejano  libro  de  mundo.  (Erlanger 
Inaug.-Diss.     1880.) 

Gude,  W.,  die  Gesetze  der  Physiologie  und  Psychologie  ĂĽber  Entstehung 
der  Bewegungen  und  der  Articularisations-Unterricht  der  Taubstummen. 
(Leipziger  Inaug.-Diss.     1879.) 

Grube,  W.,  ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  chinesischen  Philosophie. 
Tungsu  des  Ceutsi.    (Leipziger  Inaug.-Diss.    1880.) 

Schuller,  H.,  ĂĽber  Grelleres  erzieherischen  Einfluss.  (Leipziger  Inaug.- 
Diss.    1880.) 

Wohlrabe,  W.,  Kant's  Lehre  vom  Gewissen,  histor. -kritisch  dargestellt. 
(Leipziger  Inaug.-Diss.     1880.) 

Latimer,  James  F.,  Immediate  Perception  as  held  by  Reid  and  Hamilton 
considered  as  a  refutation  of  the  scepticism  of  Hume.  (Leipziger 
Inaug.-Diss.     1880.) 

Heinze,  M. ,  Ernst  Platner  als  Gegner  Kant*s.  (Leipziger  Universitfits* 
Programm.     1880.) 

Ders.,  zur  Erkenntnisslehre  der  Stoiker.  (Leipziger  Univ.-Programm.  1880.) 

Hess,  G.,  Abriss  der  empirischen  Psychologie. 

RĂĽlf ,  J.  J.,  der  Einheitsgedanke. 

Bergmann,  J.,  das  Ziel  der  Geschichte. 

Hellenbach,  L.  B.,  aus  dem  Tagebuch  eines  Philosophen. 

Plumacher,  0.,  zwei  Individualisten  der  Schopenhauer'schen  Schule. 

Kirchmann,  J.  H.  v.,  Erläuterungen  zu Kant's Kritik  der  reinen  Vernunft. 

Sexlus,  Empirien s,  pyrrhoneische  GrundzĂĽge.   Uebers.  v.  E.  Pappenheim. 

Pappenheim,  E.,  Erläuterungen  zu  des  Sextus  Emp.  pyrrhoneischen 
Grund ZĂĽgen. 


Bibliographie 

von 

Dr.  F.  Ascherson. 

I.  Zur  EncyclopXdie.  Bibliographie.  Zeitschrifien.  Gutberiet,  G.,  Lehrbuch 
der  Philosophie.  3  Bd.  Die  Psychologie.  8.  MĂĽnster.  Theissing*sche  Buch- 
handlung n.  3  M.  60  Pf.  —  Jan  et,  P..  trait^  ^lementaire  de  Philoso- 
phie ä  Tusage  des  classes.  2e  et  dernier  fascicule.  8.  Paris,  Delagrave. 
Prix  du  Volume  complet.  8  fr.  75  Ct.  —  Vierteljahrs-Catalog 
aller  in  Deutschland  erschienenen  Werke  aus  dem  Gebiete  der  Theolo- 
gie und  Philosophie.  Jahrg.  1880.  October  bis  December.  8.  Leipzig. 
Hinrichs'scbe  Bucbh.  Verlags  -  Conto,  pro  10  ^xpl.  n.  1  M.  50  Pf.  — 
Zeitschrift  fĂĽr  Philosophie  und  philosophische  Kritik,  gegrĂĽndet  von 
1.  H.  Fichte,  red.  von  H.  ĂĽlrici.  Neue  Folge.  78.  Bd.  (2  Hefte.)  1.  Heft. 
8.  Halle.  Pfeffer,  pro  cplt.  n.  6  M.  —  Viertel jahrsschrift  für  wis- 
senschaftliche Philosophie.  Herausgegeben  von  R.  Avenarius.  5.  Jahrg. 
1881.  1.  Heft.  8.  Leipzig,  Fues'Verlag  n.  3  M.  —  Zeichen  der  Zeit 
Eine  Monatsschrift  fĂĽr  Religion,  Philosophie  und  Gesellschaft  in  ihrer 
Zusammengehörigkeit.  Von  Chronik.  4.  Jahrg.  1881.  1.  Heft.  8.  Ber- 
lin. Issleib.  Vierteljähriich  n.  1  M.  50  Pf. 

II.  Zur  Geachicbte  der  Philotophle.  Thilo,  Ch.  A.,  kurze  pragmatische 
Geschichte  der  Philosophie.    2.  Aufl.  2.  Theil.  Geschichte  der  neueren 


Bibliographie.  905 

PhUosophie.  &  Göthen,  Schulze  n.  7  M.  25  Pf.  [S.  ob.  Bd.  XVI.  S.  376.] 
—  Fragmenta  philosophorum  Graecorum  coliegit,  recensuit,  vertit, 
annotationibus  et  prolegomenis  illustravit,  indicibus  instruxit  F.  6.  A. 
Hullachius  Vol.  III.  8.  Paris,  Didot  u.  Co.  haar  12  M.  —  Patin,  A., 
Quellenstudien  zu  Heraklit.  Pseudohippokratische  Schriften.  8.  Wflrzburg, 
Stahel'sche  Buchhandlung,  n.  80  Pf.  —  Matinee,  A.,  Heraclite  d* 
Eph^  12.,  Paris,  Hachette.  2  fr.  >-  Piatonis  opera,  quae  feruntur 
omnia.  Ed.  M.  Schanz.  Kritische  Ausgabe.  Vol.  8.  Gorgias,  Meno  8. 
Leipzig,  B.  Tauchnitz.  n.  5  M.  [S.  ob.  S.  120].  —  dasselbe.  Text-Ausg. 
Vol.  9.  Gorgias,  Meno.  8.  Ebda.  n.  60  Pf.  [S.  ob.  S.  120.]  —  Biblio- 
thek, philosophische.  Hefte  293—295.  296-300.  Leipzig,  Koschny  ä  n. 
50  Pf.  Inhalt:  293—295:  Plato's  Dialog  Theaetet.  Uebersetzt  von  J. 
U.  V.  Kirchmann.  296—300.  Erläuterungen  zu  des  Sextus  Empiricus 
Pyrrhoneischen  Grundzdgen.  Von  E.  Pappen  heim.  [S.  ob.  Bd.  XVI. 
S.  633.]  —  Xenophontis  qui  fertur  libellus  de  republica  Athenien- 
sium.  Ed.  A.  Rirchhoff.  8.  Berlin,  Besser*sche  Buchh.  n.  80  Pf.  — 
Po  seiger,  E.  T.  Aristoteles'  mechanische  Probleme  [Quaestiones  me- 
chaiucae].  8.  Hannover,  Schmor!  und  von  Seefeld.  n.  80  Pf.  —  Elter, 
A.,  de  Joannis  Stobaei  codice  Photiano.  8.  ^onn,  Strauss.  n.  2  M.  — 
Bonaventura e,  Sancti,  Breviloquium.  Opera  et  studio  A.  M.  a  Vicetia. 
Ed.  2.  4.  Freiburg  in  Bad.  Herder 'sehe  Verlagshandlung,  n.  12  M.  — 
de  W aal,  A.  Albertusfeier  in  Rom.  Mit  den  Predigten  von  Hergen- 
röther  und  H.  Denifle  und  den  Briefen  des  Erzbischofs  von  Köln  und 
des  Bischofs  von  Regensburg  4.  Augsburg,  Literarisches  Institut  von 
Dr.  M.  Huttier.  n.  IM.  —  Thomae  Aquinatis  de  veritatis  catholicae 
fidei  contra  gentiles  libri  IV.  Ed.  2.  8.  Luxemburg,  Brücke,  n.  4  M.  — 
Malebranche,  N.  de  la  recherche  de  la  verit^.  Nouvelle  ^ition  avec 
notes  et  introduction  par  Fr.  BouĂĽlier.  2  vol.  in  12.  Paris,  Garnier. 
6  fr.  —  Lessing's  Laokoon.  Für  den  Schulgebrauch  bearbeitet  von 
J.  Buschmann.  2.  Aufl.  8.  Paderborn,  F.  Schöningh.  n.  1  M.  20  Pf.  — 
Cauer,  E.,  zum  Andenken  an  Gotthold  Ephraim  Lessing.  8.  Berlin, 
Grote'sche  Verlagsbuchhandlung,  n.  60  Pf.  —  v.  Heinemann,  0., 
Festrede,  gehalten  am  hundertjährigen  Todestage  Lessings.  16.  Wolfen- 
büttel,  Zwissler.  n.  50  Pf.  —  Rättig,  H.,  G.  E.  Lessing's  Bedeutung 
für  unsere  Zeit.  Vortrag.  8.  Torgau,  Jacob,  n.  20  Pf.  —  Riehl,  A., 
Gotthold  Ephraim  Lessin^.  Rede.  8.  Graz.  Leusohner  uod  Lubenshy.  n. 
70  Pf.  —  Rülf,  J.,  L^Bing  als  Held  der  Aufklärung.  Vortrag.  8.  Memel, 
Schmidts  Buchh.  n.  50  Pf.  —  Auerbach,  B.,  die  Genesis  des  Nathan. 
Gedenkworte  zu  Lessing's  hunderjährigem  Todestag.  8.  Berlin,  Auer- 
bach, n.  1  M.  —  2.  Aufl.  Ebda.  n.  1  M.  —  Reuter,  W.,  Lessing's 
Erziehung  des  Menschengeschlechts.  Darlegung  des  Gehaltes  und  des 
Zweckes;  Erörterung  und  Prüfung  im  Lichte  der  heil.  Schrift  und  der 
Geschichte.  8.  Leipzig,  Hinrichs'sche  Buchh.,  Verlags-Gonto.  n.  1  M. 
60  Pf.  —  Müller,  H.  F.,  Gotthold  Ephraim  Lessing  und  seine  Stellung 
zom  Ghristenthum.  (Zeitfragen  des  christlichen  Volkslebens.  Heraus- 
gegeben von  Mühlhäusser  und  Geffcken.  Hft.  36.)  8.  Heilbronn,  Gebrüder 
Henninger.  n.  1  M.  40  Pf.  —  Findel,  J.  G.,  Lessings  Ansichten  über 
Freimaurerei.  8.  Leipzig,  Findel.  n.  60  Pf.  —  Dühring,  E.,  die  Ueber- 
schätzung  Lessing's  und  dessen'  Anwaltschaft  für  die  Juden.  8.  Karls- 
ruhe, Reuter,  n.  1  M.  80  Pf.  —  Lepsius,  J.,  Johann  Heinrich  Lambert. 
Eine  Darstellung  seiner  kosmologischen  und  philosophischen  Leistungen. 
8.  München,  A.  Ackermann,  n.  4  M.  —■  Minor,  J.,  Johann  Georg  Ha- 
mann in  seiner  Bedeutung  fĂĽr  die  Sturm-  und  Drangperiode.  8.  Frank- 
furt a.  M.  Literarische  Anstalt,  Rütten  und  Loening  n.  1  M.  60  Pf.  — 
Kantus,  I.,  Kritik  der  reinen  Vernunft.  Herausgegeben  von  J.  H.  v. 
Kirchmann.  5.  Aufl.  8.  Leipzig,  Koschny.  n.  3  M.  —  Kant,  I.,  der 
Streit  der  Facultäten.  Text  der  Ausgabe  von  1798.  (Universal-Bibliothek. 

Philosoph.  MonatBhefte  1881.  IV  u.  V.  20 


806  Bibliographie. 

Nr.  1438).  16.  Leipzig,  Ph.  Redam  jun.  n.  20  Pf.,  geb.  n.  60  Pf.  — 
Herbst,  6.,  Kant  als  Naturforscher,  Philosoph  und  Mensch.  (Sammlung 
gemeinyerstäudlicher  wissenschaftlicber  Vortrage,  herausgegeben  Ton 
R.  Virchow  und  F.  v.  Holtzendorff.  Hfl.  362.)  8.  Berlin,  Habel.  Sub- 
scriptionspreis  n.  50  Pf.,  Einzelpreis  n.  80  Pf.  —  Bessel-Hagen,  F., 
die  Grabstätte  Immanuel  Kants,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Aus- 
grabung und  Wiederbestattung  seiner  Gebeine  im  Jahre  1880.  8.  Königs- 
berg, Beyers  Buchhandlung  n.  1  H.  —  Haff ner,  P.,  Goethe's  Diditun- 
gen  auf  sittlichen  Gehalt  geprüft.  (Frankfurter  zeitgemässe  Broschüren. 
Herausgegeben  von  P.  Haffner.  Neue  Folge.  2  Bd.  Hfl.  18.  Frankfurt 
a.  M.,  Fösser.  Einzeln  40  Pf.,  d.  Band  von  10  Hftn.  cplt.  2  M.  — 
Y.  Humboldt,  W.,  Epistula  aC.  Diltheyo  edita  et  inlustrata.  4.  Göttin- 
gen,  Dieterich'sche  Verlags- Buchhandlung,  n.  80  Pf. 

III.  Zur  philotophltchen  WeltaiMchauuig.  Bresson,  L.,  id^es  modernes. 
Gosmologie,  Sociologie.  8.  Paris,  Reinwald.  5  fr.  —  Fischer,  E.  L., 
über  den  Pessimismus.  (Frankfurter  zeitgemässe  Broschüren.  Heraus- 
lifegeben von  P.  Haffner.  Neue  Folge.  2  Bd.  HfL  2.  8.  Frankfurt  a.  M., 
Fösser.  Einzehi  40  Pf.  Bd.  2  in  10  Heften  complet  2  H.  —  Dippel, 
J.,  der  neuere  Spiritismus  in  seinem  Wesen  aufgezeigt  und  nach  seinem 
Werthe  geprüft.  8.  Würzburg,  Woerl.  n.  1  M.  70  Pf.  —  Wille,  L.,  der 
Spiritismus  der  Gegenwart.  (Oeffentliche  VortrSge,  gehalten  in  der 
Schweiz,  herausgegeben  von  E.  Desor,  L.  Hirzel,  G.  Kinkel  etc.  Bd.  6. 
Hft.  3.  8.  Basel,  Schweighauser'sche  Buchhandlung,  n.  80  Pf. 

IV.  Zur  Erkanitnlttiheorle  und  Logik.  Bergmann,  J.,  Sein  und  Erkennen. 
Eine  fundamentalphilosophische  Untersuchung.  8.  Berlin,  Mittler  und 
Sohn.  n.  4  M.  —  Gas  pari,  0.,  das  Erkenntnissproblem.  Mit  Rücksiebt 
auf  die  gegenwärtig  herrschenden  Schulen.  8.  Breslau,  Trewendt.  n.  1 M. 
60  Pf .  —  Ziegler,  Tb.,  Lehrbuch  der  Logik  für  den  Unterricht  an 
höheren  Lehranstalten  und  zum  Selbststudium.  2.  Aufl.  8.  Bonn,  Strauss 
Verlag.  Geb.  n.  1  M.  80  Pf.  —  Zillgenz,  G.,  de  praedicamentonim 
quae  ab  Aristotele  auctore  categoriae  nominabantur  fönte  atque  origine. 
8.  WĂĽrzburg,  Stahel'sche  Buchh.  n.  60  Pf. 

V.  Zur  Metaphysik.  Golsenet,  E.,  vie  inconsciente  de  Tesprit.  8.  Paris, 
J.  BaiDiöre.  b  fr.  —  Beyda,  H.  J.  Th.,  das  Unendliche  was  es  den 
Philosophen  und  was  es  den  Mathematikern  bisher  gewesen  und  wie  es 
sich  mathematisch  darstellt.  8.  Bonn.  (Leipzig),  Minde.   i  M.  50  Pf.  — 

VI.  Zur  Naturphilotophla.  Darwin *s,  Gh.,  gesammelte  Werke.  Uebersetzt 
von  J.  V.  Garus.  Lief.  86. 87.  88. 89. 90.  8.  Stuttgart,  Schweizerbart'sche 

Verlagshandlung  ä  n.  1  M.20Pf. Auswahl  in  6  Bdn.  Lief.  11. 12. 

13.  14.  15.  16.  17.  18.  19.  20.  8.  Ebda,  ä  n.  1  M.  [S.  ob.  S.  185.]  - 
Hauriot,  M.,  Hypoth^ses  actuelles  sur  la  Constitution  de  la  maU^re. 
Th^se.  In.  8.  Paris,  G.  Baiiliöre.  3  fr.  —  Roux,  W.,  der  Kampf  der 
Theile  im  Organismus.  Ein  Beitrag  zur  Vervollständigung  der  m^ani- 
schen  Zweckmässigkeitslehre.  8.   Leipzig,  Engelmann.  n.  4  M. 

VII.  Zur  Ethik,  Culiurgeichichte  und  R«chtt|Motophla.  Lazarus,  M.,  unser 
Standpunkt.  Zwei  Reden  an  seine  Religionsgenossen.  8.  Berlin,  Stuhr'- 
sehe  Buchh.  n.  50  Pf.  —  Dühring,  E.,  die  Judenfrage  als  Racen- 
Sitten-  und  Culturfrage.  2.  Aufl.  8.  Karlsruhe.  Reuther.  n.  3  M.  — 
Nippold,  F.,  die  Theorie  der  Trennung  von  Kirche  und  Staat  ge- 
schichtlich beleuchtet.  Rectoratsrede.  8.  Bern,  Wyss.  n.  1  M.  50  Pf.  — 
Schlei  er  mach  er 's  Darstdlung  vom  Kirchenregimente.  Mit  einfĂĽhren- 
dem Vorwort  von  H.  Weiss.  8.   Berlin,  G.  Reimer,  n.  3  M.  60  Pf. 

VIII.  Zur  Anthropologie  und  Psychologie,  v.  Heilwald,  F.,  Naturgeschichte 
des  Menschen.  Lief.  3.  8.  Stuttgart,  Spemann.  n.  50  Pf.  [S.  ob.  S. 
122.]  —  Reich,  E.,  das  Leben  des  Menschen  als  Individuum.  Die 
Leibes-  und  Seelen-Beschaffenheit  der  menschlichen  Persönlichkeit  und 
deren  Beuehung  zur  Gesundheit  und  Wohlfahrt  im   gesellsehaftlicben 


Bibliographie.  807 

* 

Znsammenlebeo.  8.  Berlin,  Hempel.  n.  7  M.  —  Gorreusi  H.,  der 
Mensch.  Lehrbuch  der  Anthropologie.  2.  Ausg.  8.  Berlin,  Oehmigke's 
Verlag  n.  1  M.  —  Hess.  6.,  Abriss  der  empirischen  Psychologie.  8. 
GĂĽtersloh,  Bertelsmann,  n.  2  M.  50  Pf.  --  Hornemann,  E.,  von  dem 
Zustande  des  Menschen  kurz  vor  dem  Tode.  3.  Abdruck.  Gotha, 
Scbloessmann.    n.  80  Pf. 

IX.  Zur  Retfglomphilotophie.  Olli  vier,  ni  religion,  ni  Dieu,  ni  ath^isme 
justifi^  par  la  philosophie  et  la  science.  Aix.  8.  —  Schmick,  J.  H., 
ein  Wissen  fQr  einen  Glauben.  Naturstudien,  den  Zweifelnden  zur  Be 
ruhigung  vorgelegt.  2.  Aufl.  8.  Leipzig,  Reissner.  1  H.  50  Pf.  — 
Althaus,  K.,  von  der  Ueberzeugung,  insbesondere  der  religiösen.  Eine 
Rede.  3.  Aufl.  8.  Leit>zig,  0.  Wigand.  n.  1  M.  —  Glaube,  der  christ- 
liche, und  die  menschliche  Freiheit.  1.  Tbl.  Präliminarien.  2.  Aufl. 
8.  Gotha,  F.  A.  Perthes.  n.4M.  —  Gorrespondance  d*un  Sceptique 
et  d*im  Groyant.  8.  Basel,  Georg,  n.  2  M,  —  Schmidt,  H.,  das  Ver- 
hältniss  der  christlichen  Glaubenslehre  zu  den  anderen  Aufgaben  aka- 
demischer Wissenschaft.  8.  Gotha,  F.  A.  Perthes,  n.  80  Pf.  —  Kat- 
ten husch.  F.,  der  christliche  Unsterblichkeitsglaube.  Vortrag.  8. 
Dannstedt  Würtz'sche  Buchh.  n.  80  Pf.  —  L uz,  G.,  Gott,  Welt,  Un- 
sterblichkeit Drei  populäre  Vorträge.  8.  Basel,  Schv<reighauser'sche 
Buchhandlung,  n.  2  M.  40  Pf.  —  Mflhlhäusser.  K.,  die  Zukunft  der 
Menschheit.  (ZeitAragen  des  christlichen  Volkslebens.  Herausgegeben 
von  Mühlhäusser  und  Geffcken.  Hft.  35.)  8.  Heilbronn,  Gebrüder  Hen- 
mnger.   n.  L  H.  20  Pf. 

X.  Zar  Pidagoflik.  Vierteljahrs-Gatalog  aller  in  Deutschland  erschie- 
nenen Werke  aus  dem  Gebiete  der  Pädagogik  Jahrg.  1880.  October  bis 
December.  Leipzig,  Hinrichs'scbe  Buchh.,  Verlags-Gonto.  pro  10  Expl. 
n.  3  M.  20  Pf.  —  Encyklopädie  des  gesammten  Erziehungs-  und  Unter- 
ricbtswesens.  Herausgegeben  von  K.  A.  Schmid.  4.  Bd.  2.  Abth.  2.  Aufl. 
8.  Gotha,  Besser,  n.  6  M.  [S.  ob.  S.  123.]  —  Vogel,  A.,  systematische 
Encyklopädie  der  Pädagogik.  8.  Eisenach,  Bacroeister.  n.  4  M.  — 
SchĂĽtze,  F.  W.,  Leitfaden  fĂĽr  den  Unterricht  in  der  Erziehungs-  und 
Unierrichtslehre.  2.  Aufl.  8.  Leipzig,  Teubner.  n.  4  M.  —  Waldeck, 
0.,  Grundzüge  der  wissenschaftlichen  Pädagogik  und  das  akademische 
Seminar.  8.  Leipzig,  Mutze,  n.  1  M.  -—  Zeglin,  J.  G.,  In  deinem 
Lichte  sehen  wir  das  Licht.  Pädagogische  Aphorismen.  8.  Gütersloh, 
Bertelsmann,  n.  2  M.  40  Pf.  —  D  int  er 's,  F.  G.,  ausgewählte  pädago- 
gische Schriften.  Herausgegeben  von  F.  Seidel.  2  Bd.  8.  Langensalza, 
Beyer  und  Söhne,  n.  3  M.  50  Pf.  [S.  ob.  S.  124.]  —  Pestalozzi 's 
sämmUiche  Werke.  4.  (Titel-)Ausg.  Lief.  1.  16.  Berlin,  Eisenschmidt,  n. 
60  Pf.  —  Pestalozzi,  H.,  Lienbard  und  Gertrud.  Ein  Buch  für  das 
Volk.  1.  u.  2.  Theil  neu  herausgegeben.  1.  Lief.  8.  ZĂĽrich,  Schultheis. 
60  Pf.  —  Salz  mann,  Krebsbüchlein.  Herausgegeben  von  K.  Richter. 
(Pädagogische  Bibliothek  Heft  90  u.  91.)  8.  Leipzig.  Sigismund  und 
Volkening.  n.  1  M.  —  Niemeyer,  E.,  Schulreden.  3.  Aufl.  8.  Dresden, 
Bley]  und  Kämmerer,  n.  1  M.  —  Blätter,  deutsche,  für  erziehenden 
Unterricht,  herausgegeben  von  F.  Mann.  Jahrg.  188t.  (52  Nummern.) 
Nr.  1.  4.  Langensalza,  Beyer  und  Söhne.  Vierteljährlich  n.  1  M.  60  Pf.  — 
Blätter,  katechetische.  Zeitschrift  für  Religionslehrer.  Herausgegeben 
von  F.  Walk.  7.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  8.  Dingolfing,  Russy.  Halbjähriich 
n.  1  M.  —  Blätter,  neue,  aus  Süddeutschland  für  Erziehung  und 
Unterricht.  Herausgegeben  von  C.  Burk  und  G.  Pfisterer.  10.  Jahrg. 
1881.  (4  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Stuttgart,  Belser'sche  Verlagshandlung,  pro 
cpl.  n.  4M.  50  Pf.  —  Blätter,  pädagogische,  für  Lehrerbildung  und 
Lehrerbildungsanstalten.  Herausgegeben  von  G.  Kehr.  Jahrg.  1881. 
(6  HefU.)  1.  Heft  8.  Gotha,  Thienemann.  ä  Heft  n.  2  M.  —  Blätter, 
pommersche,  fĂĽr  die  Schule  und   ihre  Freunde:    Herausgegeben  von 


308  BibKographie. 

Th.  Hauflfe.  5.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  8.  Stettin,  Brandner.  Vierteljährlich 
n.  1  M.  —  Blätter  für  den  Zeichenunterricht  an  niedern  und  hohem 
Schulen.  Jahrg.  1881.  (6  Nrn.)  Nr.  1.  8.  Frauenfeld,  Huber.  pro  cpll. 
n.  2  M.  50  Pf.  —  Gentralblatt  für  die  gesammte  ünterrichtsverwal- 
tung  in  Preussen.  Jahrg.  1881.  (12  Hefte.)  1. 2.  Heft.  8.  Berlin,  Beaser*- 
sche  Buchhandlung,  pro  cplt.  n.  7  H.  —  Erziehung,  die  der  Gegen- 
wart. Red.  von  W.  Schröter.  9.  Jahrg.  1881.  (12  Nrn.)  Nr.  l4'8.  Dres- 
den, Burdach,  pro  cpl.  n.  4  M.  —  Haus  und  Schule.  Pädagogisches 
Zeitblatt.  Herausgegeben  von  6.  Spieker.  12.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  4. 
Hannover,  Meyer.  Vierteljährlich  n.  1  M.  25  Pf.  —  Jahrbuch,  päda- 
gogisches. 1880.  8.  Wien.  Klinkhardt  n.  3M.  —  Jahrbuch  des  Vereins 
für  wissenschaftliche  Pädagogik.  13.  Jahrg.  Herausgegeben  von  T.  Zil- 
ler. 8.  Langensalza,  Beyer  und  Sühne,  n.  5  M.  —  Erläuterungen  dazu. 
12.  Jahrg.  1880.  Herausgegeben  von  0.  Altenburg.  8.  Ebda.  n.  1 M.  — 
Jahrbücher,  neue,  für  Philologie  und  Pädagogik.  Herausgegeben 
von  A.  Fleckeisen  und  H.  Hasius.  123.  und  j  124.  Bd.  Jahrg.  1881. 
(12  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Leipzig,  Teubner  pro  cpl.  n.30H.  —  Kirchen- 
und  Schulblatt  in  Verbindung.  Herausgegeben  von  E.  B.  Hesse 
und  Tb.  Leidenfrost.  30.  Jahrg.  1881.  1.  Heft.  8.  Weimar  BĂĽhlau. 
pro  cplt.  n.  4  M.  —  Kirchen-  und  Schulblatt,  sächsisches.  Red.: 
Schenkel.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  4.  Leipzig,  DĂĽrfflng  und  Franke.  Halb- 
jährlich n.  3  M.  —  Kleinkinderschule,  die  christliche.  Zeitschrift 
fĂĽr  Erziehung  in  Haus  und  Kleinkinderschule  und  fĂĽr  Gemeinde-Diako- 
nie.  Jahrg.  1881.  (12  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Leipzig,  Bredt  in  Gomm.  pro  cplt. 
n.  2M.  —  Lehrer-Zeitung,  israelitische.  Centralorgan  fOr  Unter- 
richt und  Erziehung  im  Judenthum.  Herausgegeben  von  IL  Rahmer 
und  T.  Kroner.  Jahrg.  1881.  (24  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Löban  i.  W.-Pr., 
Skrzeczek*s  Verlag.  Vierteljährlich  n.  IM.  20  Pf.  —  Lehrerzeitung, 
schweizerische.  Organ  des  schweizerischen  Lehrervereins.  26.  Jsthrg. 
1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Frauenfeld,  Huber.  pro  cplt.  n.  4  M.  - 
Monatsblatt,  evangelisches,  fĂĽr  die  deutsche  Schule.  Herausgegeben 
von  A.  Kolbe.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  8.  Stettin,  Herrcke  und  Lebe- 
ling.  pro  cplt.  n.  4  M.  —  Pestalozzi-Blätter.  Herausgegeben  von 
der  Gommission  fĂĽr  das  Pestalozzi -StĂĽbchen.  1.  Jahrg.  1880.  ZĂĽrich, 
Meyer  und  Zeller  in  Gomm.  n.  2  M.  —  Reform,  pädagogische. 
Red.  H.  Köhncke.  8.  Jahrg.  i881.  Nr.  1.  Fol.  Hamburg,  Schön- 
wandt. Vierteljährlich  n.  1  M.  —  Schul-Anzeiger  für  Ober- 
franken.  Red.:  G.  H.  Bock,  6.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  8.  Bayreuth,  Giessel. 
pro  cplt.  n.  2  M.  50  Pf.  —  Schulblatt,  meklenburgisches.  Heraus- 
gegeben von  Kliefoth,  Wulff  und  Held.  32.  Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1. 
8.  Ludwigslust,  Hinstorflf Verlag.  Vierteljährlich  n.  1  M.  —  Schulblatt, 
rheinisches.  Herausgegeben  von  Th.  Voigt.  2.  Jahrg.  1881.  (12  Nr.) 
Trier,  Lintz*sche  Buchh.  Verlags-Conto.  pro  cplt.  n.  4  M.  —  Schul- 
blatt der  evangelischen  Seminare  Schlesiens,  herausgegeben  von  Werdet 
und  Lang.  31.  Jahrg.  1881.  Heft  1.  8.  Breslau,  DĂĽlfer*s  Verlag,  pro 
cpU.  n.  3  M.  75  Pf.  —  Schulbote,  der  christliche.  Wochenblatt  für 
evangelische  Lehrer  und  Lehrervereine  Deutschlands.  19.  Jahrg.  1881. 
(52  Nummern.)  Nr.  1.  8.  Leipzig,  Böhme.  Vierteljährlich  n.  1  M.  — 
Schulbote,  fĂĽr  Hessen.  22.  Jahrg.  188J.  Nr.  1.  4.  Tauberbiscbofsheim, 
Lang,  pro  cplt.  n.  3  M.  60 Pf.  —  Schule,  die  deutsche.  Herausgegeben 
von  Gh.  Nostiz.  7.  Jahrg.  1881.  (52  Nummern.)  Nr.  1.  8.  Siegen,  Mon- 
tanus.  Vierteljährlich  n.  2  M.  —  Schulfreund,  der.  Eine  Quartal- 
schrift zur  Förderung  des  Elementarschulwesens  und  der  Jugenderziehung, 
herausgegeben  von  J.  H.  Schmitz.  37.  Jahrg.  1881.  1.  Heft.  8.  Trier, 
Lintz'sche Buchh.  pro  cplt.  n.  3M.  —  Schulfreund,  Tiroler.  2.  Jahrg. 
1881.  (12  Nrn.)  Nr.J.  8.  Innsbruck,  Wagnerische  Universitäts-Buchhand- 
lung.  pro  cplt.  baar  5  M.  —   Schul-  und  Kirchen-Bote.    Heraus- 


Bibliographie.  909 

gegeben  v.  F.  Obert.  16.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  Hermannstadt,  Filtsch'sche 
Buchh.  pro  cpll.  haar  5  M.  50  Pf.  —  Schul- Zeitung,  allgemeine,  fflr 
das  gesammte  Unterrichtswesen.  Herausgegeben  von  K.  V.  Stoy.  58. 
Jahrg.  1881.  (52  Nrn.  (Nr.  1.  4.  Jena,  E.  Frommann *s  Sortiment.  Vier- 
teljährlich n.  2M.  —  Schul-Zeitung,  allgemeine  thüringische.  12. 
Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  1.  4.  Gera,  Issleib  und  Rietzschel.  Vierteljährlich 
n.  2  M.  —  Schul-Zeitung,  badische.  Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1. 
4.  Tauberbischofsheim,  Lang.  Vierteljährlich  n.  1  M.  40  Pf.  —  Schul- 
Zeitung,  neue  badischc.  Hersusgegeben  von  A  Heuser.  Jahrg.  1881. 
(24  Nrn.)  Nr.  1.  '8.  Mannheim,  Bensheimers  Verlag,  pro  cplt.  n.  4  M.  >— 
Schul-Zeitung,  ft*eie  deutsche.  15.  Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1.  4. 
Leipzig,  Siegismund  und  Volkening.  Vierteljährlich  n.  1  M.  —  Schul- 
Zeitung  der  Provinz  Posen.  3.  Jahrg.  1881.  (52  Nr.)  Nr.  1.  4.  Brom- 
berg, Fischer.  Vierteljährlich  n.  IM. 50  Pf.  —  Schul-Zeitung,  schle- 
sische.  Red.:  F.  Töpler.  10.  Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Breslau, 
Kriebatsch's  Buchh.  pro  cplt.  n.  6  M.  —  Sonntagsschulfreund, 
der.  Ein  Blatt  fĂĽr  Lehrer  und  Lehrerinnen  der  Sonntagsschule.  Her- 
ausgegeben von  Prochnow.  Jahrg.  1881.  Nr.  1.  4.  Leipzig,  Bredt  in 
Gomm.  pro  cplt.  3M.  —  Turn-Zeitung,  deutsche.  Jahrg.  1881. 
{52  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Leipzig,  Strauch.  Vierteljährlich  n.  1  M.  50  Pf.  — 
Zeitschrift  des  Salzburger  Lehrer- Vereins.  Red.:  F.  Thym.  11.  Jahrg. 
1881.  (12  Nrn.)  Nr.  1.  Salzburg.  Dieter,  pro  cplt.  n.3M.  —  Zeitung, 
pädagogische.  Red.:  A.  Buchwit2.  10.  Jahrg.  1881.  (52  Nrn.)  Nr.  1.  Fol. 
Berlin,  Tb.  Hofmann  in  tk)mm.  Vierteljährlich  n.  1  M.  50  Pf.  — 
Kellner,  kurze  Geschichte  der  Erziehung  und  des  Unterrichtes.  5.  Aufl. 
8.  Freiburg  i.  Br.,  Herder 'sehe  Verlagshaudlung  n.  2  M.  —  d'Elvert, 
Chr.  Ritter,  zur  Geschichte  der  Volksschulen  in  Brunn.  8.  Brunn, 
Winklers  Buchhandlung,  n.  40  Pf.  —  Glogau,  G.,  Ziel  nnd  Wesen  der 
humanistischen  Bildung.  Vortrag.  8.  Zürich,  Schmidt  n.  IM. —  Schatz, 
F.,  Allgemeinbildung  und  Sonderbildung  in  Deutschland.  Rectoratsrede. 
8.  Rostock,  Stiller)sche  Hof-  und  Universitäts-Buchhaudlung.  n.  60  Pf.  — 
Rfimelin,  A.,  häusliche  und  öffentliche  Erziehung.  (Sammlung  gemein- 
verständlicher Vorträge  und  Abhandlungen  wissenschaftlichen  Inhalts. 
Nr.  1.  8.  Dessau,  Barth,  Separat-Gonto.  n.  50 Pf.  —  Rudolph,  L.,  die 
Stellung  der  Schule  zu  dem  Kampfe  zwischen  Glauben  und  Wissen.  8. 
Berlin,  Nicolai'sche  Verlagsbuchhandlung,  n.  2  M.  —  Brehme,  A., 
Briefe  ĂĽber  Petersburger  Erziehung.  2.  (Titel-)Aufl.  8.  St.  Petersburg, 
Kranz,  n.  1  M.  50  Pf.  —  Lev^que,  J.,  Schule  und  Socialismus.  Eine 
social-pädagogische  Studie.  (Frankfurter  zeitgemässe  Broschüren.  Neue 
Folge,  ^herausgegeben  von  P.  Haffner.  2  Bd.  5.  Heft).  FrankfĂĽrt  a.  M. 
Fösser.  n.  40Pf.  —  Walter,  L.,  die  Fröbelliteratur.  Zusammenstellung, 
Inhalts-Angabe  und  Kritik  derselben.  8.  Dresden,  Hahle.  n.  2  M.  40  Pf.  — 
Schulze,  G.  Grundriss  der  Volksschul-Pädagogik.  3.  Theil.  Praxis  der 
Volksschul-Pädagogik.  8.  Rheydt,  Langewiesche.  n.  1  M.  60  Pf.  —  AI  lek er, 
J.,  die  Volksschule.  3.  Aufl.  8.  Freiburg  i.  B.,  Herder'sche  Verlagshand- 
lung. 8  M.  —  Stern  er,  M.,  die  Methodik  der  Volksschule  unter  Be- 
rĂĽcksichtigung der  Schulhygiene  und  Schulzucht.  8.  Straubing,  Atten- 
hofer'sche  Buchhandlung,  n.  5  M.  50  Pf.  —  Arbeitsschule  und 
Volksschule.  Auswahl  von  Concurrenz-Aufsätzen  über  die  Preisfrage: 
«Läset  sich  die  Arbeitsschule  mit  der  Volksschule  verbinden?*  Heraus- 
gegeben von  0.  Salomon.  8.  Wittenberg,  Herros^  Verlag,  n.  1  M.  20  Pf.  — 
Bestimmungen,  die  allgemeinen  des  königlich  preussischen  Ministers 
der  geistlichen  Unterrichts-  und  Medicinal- Angelegenheiten  vom  15.  Octo- 
ber  1872.  Mit  Angabe  der  wichtigsten  bis  Ende  1880  zu  denselben  er- 
lassenen Ministeria] -VerfĂĽgungen,  dem  Schulaufsichtsgesetze  und  der 
PrĂĽfungsordnung  fĂĽr  Taubstummenlehrer  und  Turnlehrer.  8.  Leipzig, 
Dürr'sdie  Buchhandlung,    n.  1  M.   —   Haus  und  Schule.    Berliner 


310      Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen. 

Monats-Blätter  des  Vereins  für  das  Wohl  der  aus  der  Schule  entlasse- 
nen Jugend.  Red.  von  F.  d^Flargues.  Neue  Folge.  7.  Jahrg.  1881.  Nr.  1. 
8.  Berlin,  Th.  Hofmann.  Vierteljährlich  n.  1  M.  —  Praxis,  die,  der 
schweizerischen  Volks-  und  Mittelschule.  Herausgegeben  von  J.  BQhl- 
mnnn.  Jahrg.  1881.  (4  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Zflrich,  Orell,  FQsbH  u.  Co. 
pro  cplt.  n.  5  M.  —  Volksschulbote,  hannoverscher.  26.  Jahrg. 
1881.  (26  Nrn.)  Nr.  1.  8.  Hannover,  Hahn'sche  Buchh.  Vierteljährlich 
baar  70  Pf.  —  Volksschule,  die.  Eine  pädagogische  Monatsschrift. 
Red.  von  G.  F.  Hartmann.  Jahrg.  1881.  (12  Hefte.)  1.  Heft.  8.  Stutt- 
gart, Aue.  pro  cplt  n.  4  M.  80  Pf.  —  Volksschule,  die  deutsche. 
12.  Jahrg.  1881.  (36  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Leipzig,.  Siegismund  und  Volkening. 
Vierteljährlich  n.  1  M.  —  Zeitung  für  das  höhere  Unterrichtswesen 
Deutschlands.  Herausgegehen  von  H.  A.  Weiske.  10.  Jahrg.  1881.  (52 
Nrn.)  Nr.  1.  4.  Vierteljährlich  n.  2  M.  —  Zeitschrift  für  österreichische 
Gymnasien.  Red. :  W.  Hartel  und  K.  Schenkl.  32.  Jahrg.  1881.  1.  Heft 
8.  Wien,  G.  Gerold's  Sohn,  pro  cplt  n.  24  M.  —  Blätter  für  das 
bayerische  Gymnasial-  und  Realschulwesen,  red.  von  A.  Deuerling. 
17  Bd.  (10  Hefte.)  1.  Heft  8.  MĂĽnchen,  Lindauer 'sehe  Buchh.  pro  cplt 
n.  6  M.  —  Blätter  für  das  bayerische  Realschulwesen.  Red.  von  A.  Kurz. 
1.  Bd.  1881.  (5  Hefte)  1.  Heft.  8.  Münster,  Rieser^sche  Universität-Buch- 
handlung, pro  cplt  n.  5  M.  —  Schneider,  0.,  ein  Lebrplan  für  den 
deutschen  Unterricht  in  der  Prima  höherer  Lehranstalten.  8.  Bonn, 
Weber 's  Verlag,  n.  1  M.  50  Pf.  -^Mädchenschule,  die.  Heraus- 
gegeben von  H.  Lintemer  und  F.  M.  Wendt  5.  Jahrg.  1881.  (24  Nrn.) 
Nr.  1.  4.  Klagenfurt,  Bertschinger  und  Heyn,  pro  cplt.  n.  6  M.  — 
V.  Hippel,  T.  G.,  Ueber  die  bĂĽrgerliche  Verbesserung  der  Weiber  und 
ĂĽber  weibliche  Bildung.  (Haus-Bibliothek  Bd.  16.)  16.  Leipzig,  Gold- 
hausen, n.  20  Pf.,  geb.  n.  60  Pf. 


Philosophische  Yorlesungen  an  den  Deutschen  Hochsehnlen 

im  Sommer-Semester  1881. 


I.    Deutsches  Beiclu 

Berlin.  Universität.  Sem i seh:  Tertullianus  de  anima.  —  Pflei- 
derer:  Geschichte  der  Religionsphilosophie;  Philosophie  und  Geschichte 
der  Religion,  oder  philosophische  Propädeutik  der  dogmatischen  Theolo- 
gie. —  von  der  Goltz:  System  der  christlichen  Ethik.  —  Va\ke:  Ein- 
leitung in  die  philosophische  Theologie;  allgemeine  philosophische  Theo- 
logie und  Religionsgeschichte.  —  Plath:  Augustinus'  Gonfessiones.  — 
Runze:  System  der  Ethik.  —  Zell  er:  über  litterarische  und  historische 
Kritik;  Rechtsphilosophie;  Logik  und  Erkenntnisstheorie.  —  Lotze:  Me- 
taphysik; Psychologie.  —  Lazarus  liest  nicht.  —  Michelet:  das 
System  der  Philosophie  als  exacter  Wissenschaft;  Privatissima  ĂĽber  jed- 
wede philosophische  Disciplin.  —  Werder  liest  nicht.  —  Althaus:  Ge 
schichte  der  neueren  Philosophie;  allgemeine  Geschichte  der  Philosophie.  — 
Bastian:  aligemeine  Ethnologie.  -—  Paulsen:  Geschichte  des  öffent- 
lichen Unterrichtswesens  in  Deutschland;  Geschichte  der  neueren  Philoso- 
phie mit  RĂĽcksicht  auf  die  gesammte.  Gultur  desselben  Zeitalters;  Ethik 
mit  Einschluss  der  Principien  der  Staats-  und  Gesellschaftslehre,  philoso- 
phische Uebungen  im  Anschluss  an  die  LeetĂĽre  von  Hume's  philosophi- 
schen Schriften.  —  Geiger:  Rousseau's  Leben  und  Schriften.  —  Jessen: 
die  SchOnheitsgesetze  in  der  Pflanzenwelt.  —  Märcker:  die  Principien 
der  Naturphilosophie  der  Alten  nach  Aristoteles'  Physik;  Rhetorik;  rheto- 
rische Uebungen;  Piatons  Bücher  von  den  Gfesetzen.  —  Lasson:   Logik 


Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen.      311 

und  Metaphysik;  Pädagogik.  —  G.  ▼.  Gizycki:  über  die  englische  Ethik 
der  Gegenwart;  Logik  und  Erkenntnisstheorie;  philosophische  Uebungen 
im  Ă„nscbluss  an  die  LeetĂĽre  von  I.  Kant*s  Grundlegung  zur  Metaphysik 
der  Sitten.  —  Ebbinghaus:  Geschichte  der  griechischen  Philoso- 
phie; philosophische  Uebungen  im  Anschluss  an  Kantus  Kritik  der  reinen 
Vernunft. 

Berlin.  Hochschule  für  Wissenschaft  de»  Judenthuma. 
Steinthal:  philosophische  Ethik. 

Bon.  Floss:  Moraltheologie  II.  Theil.  —  Hftlschner:  Naturrecht 
oder  Rechtsphilosophie.  ^  Sc haaff hausen:  Urgeschichte  des  Men- 
schen. —  Knoodt:  Philosophie  des  Spinoza  und  Leibniz;  Psychologie.  — 
Usener:  vergleichende  Gulturgeschichte.  —  J.  B.  Meyer:  Probleme  der 
neueren  Religionsphilosophie;  System  und  Geschichte  der  Pädagogik.  --> 
Neuhaeuser:  Metaphysik  und  Theologie  des  Aristoteles;  Logik.  —  Schaar- 
schmidt:  Principien  der  Moralphilosophie;  Psychologie.  —  Bernays: 
Entwicklungsgeschichte  der  athenischen  Staatsv^assung  nebst  Erklärung 
der  xenophontischen  Schrift  vom  Staat  der  Athener;  Erklärung  von 
Locretius'  Gedicht  ĂĽber  die  Natur  der  Dinge  nebst  Geschichte  der  stoi* 
sch^  und  epikureischen  Litteratur.  —  Frhr.  v.  Hertling:  Einleitung  in 
die  Metaphysik;  Metaphysik.  — *  Witte:  Kant 's  Sitten-  und  Religionslehre; 
Geschichte  der  neueren  Philosophie;  Geschichte  und  Kritik  der  Theorien 
über  Raum  und  Zeit.  —  Lipps:  Hume's  Philosophie  mit  Uebungen. 

BreuMberg.  Marquardt:  allgemeiner  Theil  der  Moraltheologie;  Re- 
petitionen  und  Disputationen  über  moralische  Gegenstände.  —  Michelis 
liest  nicht.  —  Krause;  Psychologie;  Metaphysik. 

Breslau.  Bittner:  Repetitorium  der  Moral;  generelle  Moraltheolo- 
gie. —  Krawutzky:  Geschichte  der  neueren  Erzidiungskunde.  —  Meuss: 
theologische  Ethik.  ~  Gierke:  Geschichte  der  politischen  Theorien.  — 
Elvenich  liest  nicht.  —  Hertz:  Geschichte  der  Philologie  im  Alterthum 
und  Mittelalter.  — *  Dilthey:  philosophische  Uebungen;  Geschichte  der 
neueren  Philosophie;  Logik  mit  besonderer  BerĂĽcksichtigung  ihrer  Be- 
ziehung zu  den  Fachwissenschaften.  —  Weber:  philosophische  Uebungen ; 
Psychologie;  Religionsphüosophie  für  Studirende  aller  Facultäten.  — 
Freudenthal:  philosophische  Uebungen  ĂĽber  Kaufs  Kritik  der  reinen 
Vernunft;  Einleitung  in  Piatons  Leben,  Schriften  und  Lehre  und  Erklä- 
rung der  Platonischen  Republik.  —  Oginski:  Einleitung  in  die  Philoso- 
phie; Geschichte  der  Ethik.  —  Bobertag:  ausgewählte  Gedichte  Schil- 
ler*s.  —  Gothein:   Gulturgeschichte  Italiens  von  Dante  bis  Macchiavelli. 

Erlangen.  Ebrard:  über  Shakespeare's  Poesie  in  ihrem  Yerhältniss 
zum  Ghristenthum.  —  Bestmann:  Über  antike  und  christliche  Ethik.  — 
Schelling:  Rechtsphilosophie.  —  Marquardsen:  Politik.  —  Hey  der: 
Geschichte  der  Philosophie  von  Kant  bis  zur  Gegenwart;  Gonversatorium 
ĂĽber  die  Grundprobleme  der  Philosophie  mit  besonderer  BerĂĽcksichtigung 
des  Gegensatzes  von  monistischer  und  theistischer  Lehre.  —  Müller: 
Gymnasialpädagogik  in  Verbindung  mit  Geschichte  der  Gymnasien.  -^ 
Class:  Erkenntnisstheorie  und  Metaphysik;  Religionsphilosophie.  — 
Schmid:  Geschichte  der  deutschen  Philosophie  von  Nicolaus  Taurellus 
bis  in  die  neueste  Zeit;  Philosophie  der  Geschichte;  Geschichte  der  Päda* 
gogik.  —  Rabus:  Logik  und  Erkenntnisslehre. 

Frelburg.  Kössing:  christliche  Moral,  zweite  Hälfte.  —  Krieg:  Ter«» 
tulliani  über  apologeticus  christianae  religionis.  —  Latschenberger: 
Physiologie  der  Stimme  und  Sprache  des  Menschen.  —  Weismann; 
Descendenztheorie.  —  Windelband:  Logik;  Geschichte  der  neueren Phi" 
iosophie  bis  Kant;  im  Seminar  Plato's  Phädon. 

Giesten.  Bratuscheck:  Geschichte  der  europäischen  Philosophie 
von  Thaies  bis  auf  die  neueste  Zeit.  —  Schiller;  über  englisches  Schul- 


312       Philosophische  Vorlesungen  an  den  deutschen  Hochschulen. 

wesen.  —  Noack:  deutsche  Philosophie  seit  Kant.  — Schultess:  Ptalons 
Republik.  —  Wiegand:  über  Plato's  Idee  des  Guten;  Einleitung  in  das 
Studium  des  Plato  und  Aristoteles. 

Gdttingen.  Schultz:  theologische  Ethik.  —  y.  Bar:  Rechtsphiloso- 
phie und  Encyclopädie.  —  Sauppe:  Uebungen  des  Königlichen  pädagogi- 
schen Seminars;  Piatons  Gastmahl.  —  Baumann:  Geschichte  der  alten 
Philosophie;  in  einer  philosophischen  Societät:  Probleme  aus  der  Meta- 
physik; Geschichte  und  System  der  Päds^ogik.  —  Pauli:  Politik.  — 
Wagner:  über  den  geographischen  Unterricht.  —  Müller:  Logik;  Ele- 
mente der  Psychophysik.  —  Goedeke:  über  Schillers  Leben  und  Schrif- 
ten. —  Peipers:  Darstellung  der  Philosophie  Kants:  in  einer  philosophi- 
schen Societflt  Locke's  Essay  concerning  human  understanding.  —  Reh- 
nisch:  Metaphysik;  ĂĽber  Probleme  und  Gontroversen  der  praktischen 
Philosophie,  -r-  lieber  hörst:  die  deutsche  Philosophie  der  Gegenwart; 
Psychologie. 

Greifswald.  Hanne:  ĂĽber  Schleiermacher 's  Leben  und  Wirken  nebst 
Analyse  seiner  wichtigsten  dogmatischen  und  ethischen  Schriften.  —  Bai  er: 
Einleitung  in  die  Philosophie;  allgemeine  Geschichte  der  Philosophie ;  phi- 
losophische Uebungen  betreffend  die  Geschichte  der  Philosophie  im  Alter- 
thum  und  in  der  Neuzeit.  —  Susemi  hl:  aristotelische  Uebungen.  — 
Kiessling:  Cicero  de  legibus  im  philologischen  Seminar.  •—  Schuppe: 
phUosophische  Uebungen;  Psychologie.  —  von  Wilamowitz-Möllen- 
dorff:  Platon's  Euthyphron  im  philologischen  Seminar.  —  Pyl:  über 
die  Grenzen  der  KĂĽnste  und  Wissenschaften,  sowie  ĂĽber  den  innigen  Zu- 
sammenhang zwischen  Religion  und  Kunst  mit  Erklärung  der  betreffenden 
Kunstwerke.  —Vogt:  über  Goethe's  Leben  u.  Schriften  bis  zum  J.  1775. 

Halle.  Schlottmann:  ĂĽber  David  Strauss  als  Philosophen  und 
Theologen  für  Studirende  aller  Facultäten.  —  Köstlin:  Dogmatik,  erster 
Theil  (Apologetik  und  Religionsphilosophie).  —  Kahler:  Ethik.  —  Pott: 
allgemeine  Grammatik  und  Sprachphilosophie.  —  Erdmann:  historische 
Einleitung  in  die  Logik ;  Psychologie.  —  U 1  r  i  c  i :  Geschichte  der  bildenden 
Kunst  neuerer  Zeit;  Logik  und  Erkenntnisstheorie.  —  Haym:  Einleitung 
in  die  Philosophie;  philosophische  Uebungen.  —  Kircbhoff:  über  Me- 
thodik der  geographischen  Forschung  und  des  geographischen  Unterrichts. 

—  Hiller:  im  philologischen  Seminar  Piaton 's  Phaedrus.  —  Dittenber- 
ger:  im  philologischen  Seminar  Horaz'  Ars  poetica.  —  Krohn:  Kritik 
der  Lehre  Schopenhauer's;  das  System  von  Leibniz;  Leben  und  Lehre 
Schleiermacher 's.  —  Thiele:  Logik  und  Erkenntnisstheorie  des  Aristote- 
les; philosophische  Uebungen. —  Dreher:  der  Darwinismus;  auserwählte 
Abschnitte  aus  der  Psycho-Physiologie. 

Heidelberg.  Schenkel:  Princip  des  Protestantismus  und  dessen  Be- 
deutung in  dem  -  kirchlichen  und  sittlich  -  socialen  Entwicklungsgang  der 
Gegenwart. —  Gass:  christliche  Ethik.  —  Holst en:  Ursprung  und  Wesen 
der  Religion.  —  Basser  mann  :  die  Lehre  vom  Volksschulwesen  mit  Ein- 
führung in  die  Volksschule.  —  Heinze:  philosophisch  -  historische  Einlei- 
tung in  das  Strafrecht  (StraArechtstheorien  und  Geschichte  des  Strafrechts). 

—  Strauch:  Rechtsphilosophie  (Naturrecht)  nach  gedrucktem  Grundrisse. 

—  V.  Kirchenheim:  allgemeines  Staatsrecht  und  Politik.  —  Fischer: 
Geschichte  der  griechischen  Philosophie;  kritische  Vorträge  über  Goethe's 
Faust. -^  Wachsmuth:  Encyklopädie  und  Methodologie  der  Philolo|pe. — 
ErdmannsdOrffer:  Gulturgeschicbte  Italiens  im  Zeitalter  der  Renais- 
sance. —  Uhlig:  über  Aechtheit,  Zeitfolge  und  Texteskritik  der  platoni- 
schen Schriften  nebst  Interpretation  desPhaedon;  pädagogische  Uebungen 
in  den  gymnasialen  Unterrichtsfächern  vor  verschiedenen  Gymnasialkiassen. 

—  Kossmann:  gemeinverständliche  Darstellung  der  Darwin 'sehen  Theorie. 

—  Gas  pari:  Psychologie  mit  Rücksicht  auf  Völkerpsychologie,  Sociologie 
und  Sprachwissenschaft;  über  die  Probleme  der  ErkenntnissUiätigkeit  vom 


Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen.       313 

psychologischen  und  kritischen  Standpunkte;  Geschichte  und  Kritik  des 
Materialismus  mit  RĂĽcksicht  auf  die  Entwickelung  der  Naturwissenschaften. 

—  Scherrer:  Gesellschaftswissenschaft  (Sociologie).  —  Frhr.  v.  Reich- 
lin-Meldegg:  Darstellung  und  Kritik  der  Schopenhauer'schen  Philosophie 
mit  besonderer  Berücksichtigung  ihrer  Bedeutung  für  die  Gegenwart.  — 
Nohl:  Beethoven  und  seine  Zeit. 

Jana.  Suell:  Unterredungen  und  Disputationen  ĂĽber  die  Methodik 
des  mathematischen  Unterrichts  in  Verbindung  mit  Uebungen  im  Seminar. 

—  M.  Schmidt:  Encyklopädie  und  Methodologie  der  philologischen  Wis- 
senschaften; Aristoteles'  Politik  Buch  II  im  philologischen  Semif)ar.  — 
Fortlage:  Psychologie  und  Anthropologie;  praktische  Philosophie.  -— 
Eucken:  Logik;  Geschichte  der  neueren  Pbilosopliie  bis  Kant;  philoso- 
phische Uebungen  in  zwei  Abtheilungen.  —  G.  V.  Stoy:  Gymnasialpäda- 
gogik; Einleitung  und  Encyklopädie  der  Philosophie;  Uebungen  des  päda- 
gogischen Seminars,  theoretisch  und  praktisch.  —  Volkelt:  Geschichte 
der  griechischen  Philosophie.  —  H.  Stoy:  Geschichte  der  Pädagogik ;  pä- 
dagogisches Gonversatorium  im  Anschluss  an  die  Leetüre  eines  pädagogi- 
schen Klassikers.  —  Falckenberg:  Geschichte  und  Probleme  der  Moral- 
philosophie, I.  Hälfte;  Repetitorium  der  Geschichte  der  Philosophie,  I.Hälfte. 

Kiel.  Nitzsch:  theologische  Ethik;  ĂĽber  die  christliche  Lehre  vom 
Staat.  —  H.  Lüdemann:  System  des  Philo  von  Alexandrien.  —  Forch- 
hammer: im  philologischen  Seminar  Cicero  de  re  publica.  ^Thaulow: 
Uebungen  im  pädagogischen  Seminar;  über  Hegel  und  seine  Zeit;  Ency- 
klopädie der  philosophischen  Wissenschaften  oder  System  der  Philosophie 
nach  seinem  Handbuche;  Rechtsphilosophie  nach  seinem  Entwurf;  Ari- 
stoteles* Politik  in  seiner  aristotelischen  Gesellschaft.  —  Erdmann:  phi- 
losophische Uebungen  im  Anschluss  an  Kant*s  Prolegomenen  (transscen- 
dentale  Analytik)  Logik  als  Methodenlehre  der  wissenschaftlichen  Erkennt- 
niss.  —  Groth:  Über  Lessing  und  seine  Zeit.  —  Alberti:  über  die 
Sprachphilosophie  griechischer  Philosophen  mit  besonderer  BerĂĽcksichti- 
gong  des  platonischen  Kratylos ;  die  Ansichten  des  Sokrates,  Plato  und 
Aristoteles  vom  menschlichen  Willen. 

KBnlgsberg.  RĂĽhl:  Ps.  Xenophon's  Schrift  vom  Staate  der  Athener 
im  historischen  Seminar.  —  Walter:  über  die  Philosophie  Schopenhauer's 
und  den  modernen  Pessimismus;  Pädagogik.  —  Lud  wich:  Encyklopädie 
der  Philologie.  —  Quaebicker:  philosophische  Uebungen  mit  Zugrunde- 
legung von  Spinoza*s  Ethik;  Encyklopädie  der  Philosophie  und  Logik.  — 
Baumgart:  ästhetisch-kritische  Uebungen:  Erklärung  einer  Anzahl  dra- 
matischer Dichtungen  von  Shakespeare,  Goethe,  Schiller  und  einigen  fran- 
zösischen Dichtern;  über  Goethe's  Leben  und  Dichtungen. 

Leipzig.  Luthardt:  theologische  Ethik.  —  Fricke:  über  die  wis- 
senschaftlichen Grundlagen  des  Glaubens  an  den  persönlichen  Gott  (für 
die  Studirenden  aller  Facultäten.)  —  Hofmann:  pädagogisches  Seminar; 
praktische  Uebungen  und  Besuche  von  Lehr-  und  Erziehungsanstalten.  — 
Ryssel:  über  den  Unsterblichkeitsglauben  im  Alten  Testament.  —  Garus: 
über  die  Lehre  Darwins.  —  Rauber:  Urgeschichte  des  Menschen.  — 
Drobisch:  Einleitung  in  die  Philosophie  und  Logik;  Anwendungen  der 
Wahrscheinlichkeitsrechnung  auf  Verhältnisse  des  menschlichen  Lebens.  — 
Fechner  liest  nicht.  —  Röscher:  Geschichte  der  politischen  und  socia- 
len Theorien  als  Vorschule  jeder  praktischen  Politik.  —  Masius:  Ge- 
schichte der  Pädagogik  I.  Theil ;  allgemeine  Didaktik ;  Uebungen  des  päda- 
gogischen Seminars.  —  Hildebrand:  Schiller  und  Goethe  in  ihrem  Ver- 
hältniss  und  Zusammenwirken.  —  Heinze:  Geschichte  der  alten  Philoso« 
phie;  philosophische  Ethik;  philosophische  Uebungen  (Kant's  Kritik  der 
reinen  Vernunft.)  —  Wundt:  Geschichte  der  neueren  Philosophie;  psy- 
chophysische  Uebungen  für  Vorgerücktere.  —  Ribbeck:  Geschichte  und 
Encyelopädie   der    klassischen   Philologie.    —   Strümpell:    Psychologie; 


314      Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen. 

religionsphilosophische  Fragen;  wissenschaftlich -pSdagogisches  Praktikum. 
—  Biedermann:  Moral-  und  Rechtsphilosophie;  deutsche  Gulturge- 
schichte  seit  dem  Reformationszeitalter,  cultur-  und  literaturgeschicht- 
liche Gesellschaft.  —  K.  Hermann:  Geschichte  der  Philosophie;  Psycho- 
logie; allgemeine  Grammatik  und  Sprachphilosophie.  —  Zi  11  er:  allgemeine 
Pädagogik;  Referate  üher  philosophische  Ethik,  nach  der  Allgemeinen 
philosophischen  Ethik,  Langensalza,  ,  Beyer  1880;  religionsphilosophische 
Uehungen;  pädagogisches  Seminar;  — -  Eckstein:  Gymnasialpädagogik; 
Uehungen  des  pädagogischen  Seminars.  —  Seydel:  .Logik  und  Er- 
kenntnisslehre an  der  Hand  Yon  Kant's  Kritik  der  reinen  Vernunft 
(1781);  Encyclopädie  der  Philosophie,  d.  i.  systematische  Uebersicbt  Ober 
die  hauptsächlichsten  philosophischen  Probleme  und  Standtpunkte.  - 
Hirzel:  Piaton *s  Phaedon.  —  Wolff:  Logik  und  Sprachphilosophie;  Ober 
Spinoza's  Leben  und  Lehre.  —  Greizenach:  über  Lessings  Leben  und 
Werke. 

Marburg«  Wigand:  Ober  den  Individualismus  in  der  Natur.  —  Berg- 
mann: philosophische  Uehungen ;  Logik .  —  Cohen:  philosophische  Uehun- 
gen; (Erklärung  der  auf  die  Ideenlehre  bezüglichen  Stellen  in  den  Plato- 
nischen Dialogen);  Geschichte  der  alten  Philosophie.  —  Birt:  im  philolo- 
gischen Proseminar  Plato's  Protagoras. 

MQnchen.  Silbernagl:  bayerisches  Volksschulwesen.  —  Wirth- 
müller:  Horaltheologie;  Erklärung  ausgewählter  Quästionen  aus  der 
theologischen  Summe  des  heiligen  Thomas  von  Aquin.  —  Bach:  Pä- 
dagogUc,  Geschichte  und  Theorie  der  Erziehung;  Geschichte  der  Phi- 
losophie. —  Geyer:  Geschichte  und  System  der  Rechtsphilosophie.  — 
V.  Riehl:  Staatswissenschaft  und  Politik;  Culturgeschichte  des  18.  und 
19.  Jahrhunderts.  —  Beckers:  Rechtsphilosophie;  über  die  Schelling'sche 
Philosophie  in  ihrer  letzten  Entwicklung.  —  Frohschammer:  Ge 
schichte  der  Philosophie;  über  einzelne  philosophische  Probleme.  —  von 
Giesebrecht:  historisches  Seminar,  pädagogische  Abtheilung.  —  von 
Prantl:  Greschichte  der  Philosophie;  Rechtsphilosophie  (Geschichte  und 
System  derselben).  —  Garri^re:  das  Wesen  und  die  Formen  der  Poesie 
mit  Grundzügen  der  vergleichenden  Literaturgeschichte.  —  Breymann: 
im  Seminar  Lessing's  Dramaturgie  und  das  englische  Theater.  ~  Dehio: 
Florenz  im  Zeitalter  der  Renaissance,  Politik,  Cultur;  Kunst.  —  Jodl:  über 
Schopenhauer  und  den  Pessimismus. 

MQnstor.  Schwane:  allgemeine  Moraltheologie,  Fortsetzung;  specielle 
Horaltheologie,  Fortsetzung.  —  Spicker:  philosophische  Uebungen;  Ge- 
schichte der  neueren  Philosophie.  —  Schlüter:  Geschichte  der  griechi- 
schen Philosophie.  —  Nordhoff:  Geschichte  der  deutschen  Universitäten 
vom  Jahre  1648  ab.—  Hage  mann:  Geschichte  der  neueren  Philosophie 
seit  Baco  und  Cartesius;  Logik  und  Erkenntnisstheorie;  Metaphysik. 

Rostock.  Schulze:  christliche  Sittenlehre.  —  Uf  fei  mann:  Schul- 
gesundheitspflege. —  von  Stein:  Logik  und  Metaphysik;  Geschichte  der 
neueren  Philosophie;  Aesthetik.  —  Weinholtz:  die  Grundlage  des  Ideis- 
mus; die  ideisüsche  Dialektik;  die  wesentlichen  Beschaffenheiten  der  schö- 
nen KĂĽnste  mit  Ausscheidung  der  irrthĂĽmlich  als  solche  vorgestellten. 

Strattburg.  Krauss:  Ethik.—  Holtzmann:  Wesen  der  Religion.— 
Zopf  fei:  Anseimus  Cur  deus  horoo  im  kirchenhistorischen  Seminar.  — 
Weber:  Geschichte  der  neueren  Philosophie;  ausgewählte  Stücke  aus  den 
philosophischen  Hauptwerken  des  XVII.  Jahrhunderts.  —  Laas:  Moral- 
und  Rechtsphilosophie;  Psychologie  des  Willens;  Locke's  Versuch  ĂĽber 
den  menschlichen  Verstand  und  Leibnizen's  und  V.  Cousin *s  Kritik  des- 
selben in  seminaristischer  Behandlung.  —  Gerland:  Einleitung  in  die 
Ethnologie;  im  geographischen  Seminar  LeetĂĽre  und  Besprechung  von 
Darwin's  Reise  um  die  Welt.  —  Liebmann:  die  Grundprobleme  der 
theoretischen  Philosophie;  Geschichte  und  Kritik  der  neuesten  (nachkanti- 


Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen.      315 

sehen)  Philosophie;  Besprechung  psychologischer  Probleme  in  einer  philo- 
sophischen Gesellschaft.  —  Henning:  Schiller 's  ästhetische  Schriften 
(Uebungen  im  Seminar  för  deutsche  Philologie).  —  Vaihinger:  Kant's 
Kritik  der  reinen  Vernunft  vom  Jahre  1781  (Interpretation  im  philosophi- 
schen Seminar). 

TDbingeii.  Weiss:  christliche  Ethik,  erster  Theil.  —  Buder:  die 
Grundprobleme  der  Heligionsphilosopbie  und  Apologetik.  —  v.  Kober: 
Pädagogik  und  Didaktik,  zweite  HSlfte.  —  Linsenmann:  Moraltheologie, 
zweite  Hälfte.  —  ▼.  Keller:  Goethe's  Faust.  —  Köstlin:  über  Goethe, 
sein  Leben  und  seine  Werke. —  v,  Sigwart:  Metaphysik;  Grundzüge  der 
Philosophie  der  Geschichte;  philosophische  uebungen.  —  Pfleiderer: 
Geschichte  der  neueren  Philosophie;  philosophische  Anthropologie.  — 
Rohde:  Platon's  Symposion  mit  Einleitung  in  die  gesammte  Schriftstel- 
lerei  des  Piaton.  —  Spitta:  Logik;  die  cartesianische Philosophie  (System 
und  Geschichte  derselben).  —  Bender:  Gymnasialpädagogik;  Geschichte 
des  höheren  ünterrichtswesens.  —  Jolly:  allgemeines  Staatsrecht  und 
Politik.  —  V.  ROmelin:  Rechtsphilosophie.  —  Eimer:  über  die  Entste- 
hung der  Arten. 

WOrzburg.  Göpfert:  Moraltheologie.  —  Stahl:  philosophische  Pro- 
pädeutik für  Theologen  (Ethik  und  Juridik);  Leetüre  der  Summa  des  hei- 
ligen Thomas  von  Aquin.  —  Eirschkamp:  philosophisch  -  theologische 
Propädeutik;  Geschichte  der  philosophisch-theologischen  Studien  im  Mittel- 
alter und  in  der  neueren  Zeit  (Fortsetzung);  LeetĂĽre  der  Summa  theolo- 
gica  des  heiligen  Thomas. —  v.  Held:  Rechtsphilosophie  und  allgemeines 
Staatsrecht.  —  Franz  Hoff  mann  liest  nicht.  —  Grasberger:  Pädago- 
gik und  Didaktik  als  System  der  Erziehungs-  und  ^  Unterrichtslehre  mit 
Ausschluss  der  Greschichte  der  Pädagogik.  —  Schanz:  Geschichte  der 
Philologie.  —  Dieterich:  Geschichte  der  neueren  Philosophie.  —  Neu- 
decker;  Geschichte  und  System  der  Aesthetik;  allgemeine  philosophische 
Propädeutik;  über  Pessimismus. —  May r:  Anthropologie  und  Psychologie. 

n.    Die  Schweiz. 

Basel.  Overbeck:  Leetüre  des  ^Octavius  des  Minucius  Felix.  — 
Schmidt:  Einführung  in  Kant*s  Religions-  und  Moralsystem.  —  Kaf tan: 
christliche  Ethik;  Anselm*s  Schrift  Cur  Dens  homo.  —  Steffen sen  liest 
nicht.  —  Siebeck:  Logik;  Psychologie;  pädagogisches  Seminar:  a)  Prin- 
dpien  der  ünterrichtslehre,  b)  praktische  Uebungen.  —  Wackernagel: 
im  philologischen  Seminar  Lucrez.  —  Bol liger:  Geschichte  der  Philoso- 
phie im  Alterthum  und  im  Mittelalter.  —  Buser:  Geschichte  des  Huma- 
nismus. —  Heussler:  Einführung  in  die  philosophische  Terminologie; 
über  die  Methode  des  akademischen  Studiums;  philosophische  Societät: 
Spinoza's  Ethik.  —  Göring:  über  die  modernen  Richtungen  in  der  Pä- 
dagogik. 

Bern.  Hirschwälder:  theologische  Ethik,  L  Theil.  —  Michaud: 
theologie  dogmatique  (intioduction  philosophique  et  scientifique  ä  la  theo- 
logie).  —  Hurtault:  theologie  normale.  —  Samuely:  philosophische 
Einleitung  in  das  Strafrecht  (Strafrechtstheorien).  —  Ris:  encyklopädische 
Einleitung  in  die  Philosophie;  Geschichte  der  neueren  Philosophie  von 
Baco  bis  auf  Kant  excl.;  philosophisches  Repetitorium.  —  Heb  1er:  Logik; 
ĂĽber  die  Willensfreiheit;  philosophische  Uebungen  an  einem  Werke  Pla- 
ton's  oder  Kant's.  —  Trächsel:  Geschichte  der  Philosophie  seit  Kant; 
Geschichte  der  Philosophie  vom  16.  Jahrhundert  bis  Kant;  Kunstgeschichte 
(die  französische  Kunst  seit  der  Revolution);  Psychologie.  —  Stern:  im 
historischen  Seminar  historisch  •  pädagogische  Uebungen.  —  Rüegg:  Pä- 
dagogik, L  Theil;  Didaktik;  der  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache;  Re- 
petitorium der  Pädagogik;  pädagogische  Uebungen.  — Jahn:  Theophrast's 


316       Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen. 

Charaktere;  ausgewälilte  Stücke  aus  Lucretius.  —  Ganting:  die  Musik 
in  der  Culturgeschichte  vom  10.  bis  17.  Jahrhundert  in  Einzeldarstellun- 
gen; Plutarch  und  Bo§tius  über  Musik;  Geschichte  der  Musikwissenschaft 
an  Universitäten. 

ZUrich.  Schweizer:  christliche  Moral.  —  Volkmar:  im  theologi- 
schen Seminar  Tertullian  gegen  Marcion.  —  Kessel  ring:  Augustinus 
Gonfessiones.  —  Vogt:  Geschichte  der  Rechts-  und  Staatsphilosophie  seil 
Hugo  Grotius.  —  Zym:  Psychologie;  antike  Philosophie;  philosophische 
Uebungen.  —  Vögel  in:  Hauptmomente  d^r  allgemeinen  Gulturentwicke- 
lung;  culturgeschichtliche  Uebungen.  —  Avenarius:  GrundzQge  der  Lo- 
gik ;  freie  Uebungen  der  Studirenden  im  Halten  von  Vorträgen  über  selbst- 
gewählte Themata  aus  allen  Gebieten  der  Philosophie  mit  nachfolgender 
Discussion;  allgemeine  Pädagogik.  —  Honegger:  Skizze  einer  aUgemei- 
nen  Culturgeschichte  des  19.  Jahrhunderts.  -  Fehr:  Pädagogik.  —  Glo- 
gau:  Grundlinien  der  Ethik;  Leetüre  und  Erklärung  von  Kaufs  Kritik 
der  praktischen  Vernunft.  —  Hunziker:  Darstellung  des  schweizerischen 
Volksschulwesens ;  Leetüre  und  Besprechung  pädagogischer  Schriften  (Jean 
PauPs  Levana  und  Fichte's  Reden  an  die  deutsche  Nation).  —  Keller: 
ĂĽber  die  Darwin'sche  Theorie  und  deren  Anwendung  auf  die  thierische 
Morphologie. 

m.    BuBBische  OstBeeprovinzen. 

Dorpat.  AI.  von  Oettingen:  Ethik;  Conversatorium  ĂĽber  social- 
ethische  Fragen  der  Gegenwart.  —  Teichmüller:  Geschichte  der  alten 
Philosophie;  platonisches  Praktikum.  —  v.  Pietkiewicz:  Moraltheologie. 

rv.    OeBierreich-ĂĽngam. 

Czernowitz.  Calinescu:  Moraltheologie,  H.  TheiL  —  Tomaszuk: 
Rechtsphilosophie  mit  historischer  Einleitung.  —  Wrobel:  Platon's  Gast- 
mahl. —  Müller  hat  angekündigt:  Logik;  über  Locke's  Philosophie. 
Derselbe  ist  aber  nach  Göttingen  berufen. 

Wim,  evangelische  Facultät.    Frank:  theologische  Ethik. 

Kiautenburg.  Jen  ei:  Rechtsphilosophie;  neuere  Geschichte  der  Rechts- 
philosophie. —  Szäsz:  Geschichte  der  neueren  Philosophie,  2.  Hälfte; 
die  Hauptfragen  des  Seins  und  der  Erkenntniss.  — Feim ^ri:  EncyUopädie 
der  Pädagogik,  2.  Hälfte;  die  Erziehung  Locke's  und  Rousseau's. 

Graz.  Schlager:  theologiae  moralis  partem  specialem  et  asceticam.  — 
V.  Scherer:  über  Augustinus  Werk  de  civitate  Dei.  -—  Klinger:  Unter- 
richts- und  Schulerziehungslehre.  —  Schütze:  Rechtsphilosophie  und 
Völkerrecht.  —  Riehl:  die  Philosophie  Platon's;  Gymnasialpädagogik,  ins- 
besondere Unterrichtslehre;  philosophische  Uebungen  für  Anfänger;  die 
Elemente  der  Erkenntnisslehre,  nach  Hume  und  Kant.  —  v.  Karajan: 
Geschichte  der  wissenschaftlichen  Literatur  der  Griechen  seit  Aristoteles; 
im  philologischen  Seminar  Interpretation  der  pseudo-xenophontischen 
Schrift  „De  republica  Atheniensium*. 

Innsbruck.  Jung:  theologia  moralis  et  paAoralis.  —  Wies  er:  pro- 
paedeutica  philosophico-theologica,  —  Limbourg:  propaedeutica  pbiloso- 
phico-theologica ;  propädeutische  Untersuchungen  über  einzelne  naturrecht- 
liche Fragen.  —  Ullmann:  Rechtsphilosophie.  —  v.  V^ildauer:  Ge- 
schichte der  griechischen  Philosophie:  Sokrates,  Piaton  und  Aristoteles.  — 
Barach-Rappaport:  Geschichte  der  Pädagogik;  kritische  Geschichte 
der  neueren  Philosophie  von  Bacon  von  Verulam  bis  auf  unsere  Tage; 
philosophische  Uebungen  für  Fortgeschrittenere.  —  Jülg:  Xenophon*s 
Symposion.  —  J.  Zingerle:  Goethe's  Faust.  —  Knauer  zeigt  eventuell 
später  an.  ^ 


Recensionen  -  Yerzeichniss.  317 

â–  

Beeensionen  -  Terzeicliniss. 

Ad  am  so  n,  ĂĽber  Kantus  Philosophie.    (Gegenwart  7  v.  H.  Herrig.) 

Grant  Allen,  der  Farbensinn.    (L.  C.  8.) 

Apalei  de  deo  Socratis  ed.  LĂśtjobann.    (Philol.  Anz.  11,  1.) 

Arisiotelis  ethica  Nicomachea  ed.  Ramsauer.    (L.  G.  1^.) 

Basedüw's  ausgewählte  Schriften,  herausg.  von  Dr.  H.  Göring.    (Dtsche. 

Schulztg.  10,  Beflage.) 
Benfey,  Erinnerungen  an  Friedrich  Fröbel.    (Voss.  Ztg.  65.) 
Bruns,  Plato's  Gesetze.    (Dtsche.  Literaturztg.  8  v.  E.  Heitz.) 
T.  Bülow,  G.,.  Beiträge  zur  Geschichte  des  poromerschen  Schulwesens  im 

16.  Jsihr hundert.    (Dtsche.  Literaturztg.  8  v.  F.  Paulsen.) 
Byk,  die  vorsokratische  Philosophie  der  Griechen.    1.  2.    (Jahresber.  fĂĽr 

class.  Philol.  1880,  3.  v.  Curtze.) 
Giceronis  de  legibus  libri,  Erkt.  v.  du  Mesnil.    (Philol.  Anz.  10,  10.  11. 

Ton  A.  Strelitz.) 
Giceron is  natura  deorum  by  Jos. B. Mayor.  (Academy 456  v.  A.  S.  Wilkins.) 
Gohen,   Piatons  Ideenlehre   und  die  Mathematik.    (Jahresber.  ĂĽber  die 

Fortschritte  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  3.  v.  Curtze.) 
Gorreus,  der  Mensch.    (Literar.  Merkur  10.) 
Danzel  und  Guhrauer,   G.  E.  Lessing.     (Literar.  Merkur  9;   Dtsche. 

Literarturztg.  8  v.  E.  Schmidt.) 
Döring,  Grundzüge  der  allgemeinen  Logik.    (L.  C.  6;  Dtsche.  Literatur- 
zeitung 10  V.  Ebbinghaus.) 
Dühring,   die  Ueberschätzung  Lessing's.    (Literar.  Herkur  10  v.  Dr.  H. 

Spatzier.) 
du  Prel,  Psychologie  der  Lyrik.    (Dtsche.  Literaturztg.  10.) 
Ehrenhaus,   die  neuere  Philosophie  und  der  christliche  Glaube.    (Liter. 

Merkur  8  v.  Dr.  H.  Spatzier.) 
Ernesti,   die  Ethik  des  Apostels  Paulus.    (Dtsche.  Literaturztg.  6   von 

Sieffert.) 
K.  Fischer,    G.  E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur  dar- 
gestellt, 1.  2.    (Voss.  Ztg.  75;  Literar.  Merkur  9;  Im  neuen  Reich  10 

V.  M.  Koch.) 
J.  H.  Franke,  die  Wissenschaft  vom  physischen,  geistigen  und  socialen 

Leben  etc.    (Literar.  Merkur  11  v.  Dr.  Fr.  Schmid.) 
Gierke,  Johannes  Althusius  und  die  Entwickelung  der  naturrechtlichen 

Staatstheorien.    (Gott.  gel.  Anz.  5.  6  v.  S.  Brie.) 
Girard,  la  philosophie  scientifique.    (Ztschr.  f.  Math.  u.  Phys.  1881,  1 

V.  Gantor;  Dtsche.  Literaturztg.  9  y.  E.  Laas.) 
GrĂĽnebaum,  die  Sittenlehre  des  Judenthums.    (Voss.  Ztg.  47.) 
Harms,  die  Philosophie  in  ihrer  Geschichte.    II.    Geschichte  der  Logik. 

(Literar.  Merkur  8  v.  Dr.  H.  Spatzier.) 
V.  Hart  mann,   die  Selbstzersetzung  des  Christenthums.    (Gegenw.  7  v. 

H.  Herrig.) 
Heine,  de  ratione  quae  Piatoni  cum  poetis  Graecorum  intercedit.  (Philol. 

Anz.  11,  1  v.  F.  Susemihl.) 
V.  Hellwald,  Naturgeschichte  des  Menschen.    (Voss.  Ztg.  85.) 
Henle,  anthropologische  Beiträge.    (Gegenw.  7  v.  H.  Herrig.) 
Herbart  und  seine  JĂĽnger.    (Dtsche.  Literaturztg.  6!) 
Hdffding,   die  Grundlage  der  humanen  Ethik.    (Vierteljahrschr.  f.  wiss. 

PhĂĽos.  5,  1.) 
J.  J.  Hoppe,  die  persönliche  Denkthätigkeit.    (Dtsche.  Literaturztg.  8  v. 

C.  Ueberhorst.) 
Jodl,   die  Gulturgeschichtsforschung.     (Jahrb.  f.  Philo!,  u.   Pädagogik   1 

T.  G.  Hermann.) 
Jo§l,  Blicke  in  die  ReUgionsgeschichte.    (L.  G.  11.) 


318  Reeenaionen  -  Veradchnifls. 

I.  Kant's  Kritik  der  Urtheilskraft,  herausg.  v.  B.  Erdmann.    (L.  G.  6.) 

Kick,  zur  Frage  der  einheitlichen  Mittelschule.    (L.  G.  9.) 

y.  Kirchmann,  Katechismus  der  Philosophie,  2.  Aufl.    (Voss.  Ztg.  109.) 

Knoodt,  Anton  GĂĽnther.    (Dtscher  Merkur  XII,  5  fif.) 

Liebrecht,  zur  Volkskunde.  (Archiv  f. d.  Stud. d.  neuer.  Sprachen  64,  3. 4.) 

Manitius,  die  Sprachenwelt.    (Ausland  5.) 

Marty,  die  Frage  nach  der  geschichtlichen  Entwicklung  des  Farbensinnes. 

(L.  C.  6;  Archiv  f.  Anthropol.  13,  1.  2  v.  Mann;  Vierteljschr.  f.  wiss. 

Philos.  5,  1  V.  L.  Tobler.) 
Meurer,'  das  Verhältniss  der  Schiller 'sehen  zur  Platonischen  Ethik.  (L.  C.8.) 
Möhry,  über  die  exakte  Naturphilosophie.    (Dtsche.  Literaturztg.  7  von 

H.  Spitta.) 
Noble,  die  Staatslehre  Plato's.    (Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  5,1;  Ztschr. 

f.  d.  ges.  Staatswiss.  37,  1  v.  L.  Beger.) 
Noirö;  das  Werkzeug  u.  seine  Bedeutung  fQr  die  Entwickelungsgeschicbte 

der  Menschheit.   (JahrbĂĽcher  f.  NationaJOkonomie  u.  Statistik.  N.F.2, 

1,  2  V.  E.  Leser;  Liter.  Merkur  9  v.  Dr.  H.  Spatzier.) 
Oetken,   ĂĽber   die  Schulen   der  Vereinigten  Staaten   von  Nordamerika. 

(L.  C.  13.) 
Peters,  Arthur  Schopenhauer  als  Philosoph.     (L.  G.  6.) 
Pf  leider  er,  E.,  EudämonLsmus  und  Egoismus.    (Dtsche.  Literaturztg.  7 

v.  G.  V.  Gizycki;  L.  G.  8.) 
Pf  leider  er,  0.,   Grundriss  der   christlichen   Glaubens*   und  Sittenlehre. 

(Dtsche.  Literaturztg.  5  v.  P.  W.  Schmidt.) 
Piaton,  la  r^publique  livre  VIII.  ed.  Aube.    (Revue  crit.  11.) 
Pollock,  Spinoza.    (Academy  455  v.  E.  Gaird.) 
Port  ig,  Religion  und  Kunst.    (L.  G.  8;  Ztschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Krit. 

N.  F.  78,  1  V.  Ulrici.) 
Rah  US,  die  neuesten  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  Logik.    (Ztschr. 

f.  Philos.  u.  philos.  Krit.    N.  F.  78.  1  v.  Ulrici.) 
Rades tjock.  Schlaf  und  Traum.    (Voss.  Ztg.  85.) 
Rehmke,  die  Welt  als  Wahrnehmung  und  Begriff.    (Dtsche.  Literaturztg. 

11  V.  H.  Vaihinger.) 
Reichenbach,  die  einheitliche  Weltanschauung  und  die  GrundzĂĽge  des 

menschlichen  Gesellschaflslebens.    (Voss.  Ztg.  71.) 
Ribot,  la  Psychologie  allemaude  contemporaine.    (Ztschr.  f.  PhĂĽos.  und 

philos.  Krit.  78,  1  v.  Lasson.) 
Roberty,  la  sociologie.    (Jahrbb.  f.  NationalOkon.  u.  Statistik.  N.F.2,3.) 
Rothlauf,  die  Mathematik  zu  Piaton 's  Zeiten   und  sein  Verhältniss  zu 

ihr.    (Jahresber.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  3  v.  Gurtze.) 
Rümelin,  häusliche  und  öffentliche  Erziehung.  (Dtsche.  Schulztg.  12,  Beil.) 
Salomon,  Arbeitsschule  und  Volksschule.    (Dtsche.  Schulztg.  10,  Beil.) 
v.  Schmidt,  E.,  die  Philosophie  der  Mythologie  und  Max  MĂĽller.  (Dtsche. 

Literaturztg.  6  v.  0.  Pfleiderer;  Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  5,  1.) 
Schmidt,  H..  exegetischer  Gommentar  zu  Plato's  Theätet.    (L.  G.  11.) 
Schneider.  G.  H.,  der  thierische  Wille.    (Gegenwart  7  v.  U.  Herrig.) 
Schnitze,  die  Sprache  des  Kindes.    (Naturforscher  5.) 
Schulz,  die  Beweise  fĂĽr  das  Dasein  Grottes  u.  die  Gotteserkenntniss.  (L.C.5.) 
SiebenHst,   Schopenhauer 's  Philosophie  der  Tragödie.    (Gegenwart  7  v. 

H.  Herrig;  Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  5,  1.) 
Splittgerber,  Schlaf  und  Tod.    (Ev.  Kirchenztg.  7.) 
Stahl,  histoire  de  la  philosophie  du  droit.    (Revue  du  droit  internatio- 
nal 13,  1.) 
Stein thal,  gesammelte  kleine  Schriften.    (L.  G.  9.) 
Strümpell,  pädagogische  Abhandlungen  von  Mitgliedern  des  wissenschaft- 
lich-pädagogischen Praktikums  ^n  der  Universität  Leipzig.    (Deutsclie 

Schulztg.  10,  Beil.) 


Aus  ZeitMhriften.  819 

Taine^  der  Verstand.    (L.  G.  6  v.  6.  E.  M[ĂĽller].) 

Theonis  Smymaei  expositio  rec.  E.  Hiller.  (Jahresber.  der  class.  Alter- 
thoinswiss.  1880,  3  v.  Gurtze.) 

Vischer,  Altes  and  Neues.*   (Im  neuen  Reich  6.) 

Voigt,  Wiederbelebung  des  classischen  Alterthums.  1.  Bd.  2.  Aufl.  (L.  G.  7; 
Dtsche.  Literaturztg.  Nr.  9  v.  A.  Reifferscheid.) 

Wagner,  Lessing-Forschungen.    (Liter.  Merkur  11  v.  Dr.  H.  Prochaska.) 

Windelband,  Geschichte  der  neueren  Philosophie.  Bd.  9.  (Liter.  Mer- 
kur 11  T.  Dr.  H.  Spatzier.) 

Witte,  die  Philosophie  unserer  Dichterheroen.  Bd.  1.  (Liter.  Merkur  9 
y.  Dr.  H.  Spatzier.) 

Wundt,  Logik.    Bd.  1.   .(Gott.  gel.  Anz,  9.  10  v.  J.  Rehmke.) 

Wundt,  GrandzĂĽge  der  physiologischen  Psychologie.  2.  Aufl.  (Liter.  Mer- 
kur 9  V.  Dr.  H.  Spatzier.) 

Zimmer,  J.  G.  Fichte's  ReUgionsphilosephie.    (L.  G.  12.) 


Ans  Zeiteehriften. 

ZeHtdirift  fOr  niilotophie  und  philotophbche  Kritik.  GegrĂĽndet  von 
J.  H.  T.  Fichte,  redigirt  von  Herrn.  Ulrici.  Halle.  Bd.  78,  Heft  1.  — 
Prof.  Dr.  Ed.  Pfl  ei  derer,  kantischer  Kriticismus  und  englische  Philo- 
sophie. (2.  Art.)  —  Dr.  Emanuel  Schär  er,  Johann  Anton  Ferdinand 
Rösc,  eine  Lebensskizze.  —  Prof.  Dr.  Schuppe,  das  System  der  „Er- 
kenntnisstheoretischen Logik*.  —  Eugen  Wester  bürg,  Schopenhauer 's 
Kritik  der  kantischen  Kategorienlehre.  (1.  Hälfte.)  —  Recensionen:  Prof. 
Dr.  Lasso n,  Th.  Ribot,  la  Psychologie  allemande  contemporaine.  — 
A.  Pen  Jon,  G.  Berkeley.  —  J.  Baudry,  la  philosophie  scientifique.  — 
Ders.,  A.  PoCy,  M.  Littr^  et  Auguste  Gomte.  —  Ders.,  £.  Joyau,  de  Tinven- 
tion  dans  les  arts,  dans  les^sciences  et  dans  la  pratique  de  la  vertu.  — 
Ders.,  Gh.  A.  du  P^an,  recherches  philosophiques  et  physiologiques  sur  )a 
nature  de  Thomme  et  de  Tötre  vivant.  —  H.  Ulrici,  Prof.  Dr.  L.  Rabus, 
die  neuesten  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  Logik  bei  den  Deutschen 
und  die  logische  Frage.  —  Ders.,  Ed.  Gaird,  a  Gritical  Account  of  the 
Philosophy  of  Kant.  —  Prof.  Dr.  Fr.  Hoff  mann,  Fr.  Zöllner,  zur  Auf- 
klärung des  deutschen  Volkes  Über  Inhalt  und  Aufgabe  der  wissenschaft- 
lichen Abhandlungen.  —  H.  Ulrici,  Dr.  G.  Portig,  Religion  und  Kunst. 
(5  Theile.)  —  Notizen.  —  Bibliographie. 

Mind.  A  quarterly  review  etc.  London,  Williams  and  Norgate. 
Nr.  XXn.  April  1881.  Gurney,  E.,  Monism.  —  Shadworth  H.  Hodg- 
son,  M.  Renouvier's  Philosophy  —  Psychology.  —  Rev.  W.  L.  Davidson, 
the  logic  of  Dictionary-defining.  —  A.  W.  Renn,  Buckle  and  the  Econo- 
mics  of  knowledge.  —  Notes  and  Discussions.  —  Gritical  Notices.  —  New 
Books.  —  Miscellaneous. 

ItoviM  plillotopliique  de  ia  France  et  de  l'ftranger.  Dir.  par  Th.  Ribot. 
Paris,  G.  BaiUiöre  et  Go.  1881.  Nr.  3.  J.  Delboeuf,  le  dernier  livre 
de  G.  H.  Lewes.  —  Gh.  Secr^tan,  la  religion,  la  philosophie  et  la 
scienee.  — •  Herbert  Spencer,  des  formes  et  des  forces  poUtiques.  — 
P.  Tannery,  T^ucation  platonicienne.  (2e  art.)  —  Analyses  et  comptes- 
rendus:  Malcolm  Guthrie,  on  Spencer's  Formula  of  Evolution,  etc.  — 
Robert,  de  la  certitude  et  des  formes  r^centes  du  scepticisme.  —  Des- 
douits,  la  mötaphysique  et  ses  rapports  avec  les  autres  sciences.  — 
Rosen thal,  die  monistische  Philosophie.  —  A.  Bilharz,  der  heliocen- 
trische  Standpunkt  der  Weltbetrachtuug.  —  Revue  des  p^riodiques  4tran- 
gers :  Mind  a  quarterly  Review  of  Psychology.  —  Gorrespondance :  Lettres 
de  M.  Boirac  et  de  M.  Sülles.   —    Nr.  4.    A.  Fouill^e,   critique  de  la 


390  Miscellen. 

morale  de  Kant.  —  J.  Delboeuf,  le  demiere  liyre  de  6.  H.  Lewes  (fin). 

—  Herbert  Spencer,  les  chefs  politiques.  —  Analyses  et  comptes-ren- 
dus:  Evellin,  Infini  et  quantite.  —  Wundt,  Grundzüge  der  physiologi- 
schen Psychologie  (2e  Mition).  —  Dr.  P.  Rio  her,  ^tudes  cliniques  sur 
rhyst^ro-^pilepsie  ou  grande  hyst6rie.  —  Revue  des  p^riodiques  Etrangers: 
Philosophische  Monatshefte.  —  Zeitschrift  för  Völkerpsychologie  und  Sprach- 
wissenschaft. 

La  fĂĽotofia  delle  scuole  Itallane,  rivitta  bimetirala.  Roma.  Vol.  XXIII. 
lä.  Ter.  Mamiani,  Intorno  alla  Sintesi  ultima  del  Sapere  e  dell'Essere, 
lettera  al  prof.  Bertinaria.  —  P.  D'Ercole,  la  morale  dei  Positivisti  di 
Roberto  Ardigo.  —  T.  Ronconi,  deir  Induzione  Aristotelica  eBaconiaDa. 

—  L.  Ferri,  due  parole  alla  Givilta  Gattolica.  — .Bibliografia :  1)  Fr.  Falco. 

—  2)  C.  Augias.  —  3)  C.  Passaglia.  —  4)  A*  Haugeri.  —  Notiiie.  — 
Periodici  di  Filosofia.  —  Kecenti  pubblicazioni. 


Miscellen. 

PreisaaBBohreibiixig. 

Herr  J.  Gillis  in  St.  Petersburg  hat  tausend  Gulden  öster.  Währung 
für  eine  , genaue  und  allen  Gebildeten  verständliche  Darstel- 
lung der  Lehre  Eant's  von  der  Idealitiät  von  Raum  und  Zeit* 
ausgesetzt.  ,  Ausgeschlossen  seien  dabei  alle  nur  ffir  Gelehrte  Werth  habende 
philologische  Forschungen  ĂĽber  den  Ursprung  dieser  Lehre ;  ausgeschlossen 
ferner  die  Anwendung  fremder  Sprachen  in  Gitaten  und  im  Text,  sowohl 
als  ein  schwülstiger,  schwer  verständlicher  Stil.  Es  ist  erforderlich  l)die 
Punkte  hervorzuheben  und  zu  verdeutlichen,  wo  die  materialistische  Welt- 
anschauung nicht  mehr  genügt,  2)  die  Lehre  von  der  Idealität  von  Zeit 
und  Raum  selbst  klar  und  mit  einleuchtenden  Beweisen  darzustellen,  3)  zu 
entwickeln,  welche  Fortschritte  in  dieser  Lehre  enthalten  sind  und  zu 
welchen  Resultaten  des  Denkens  und  der  Sittlichkeit  sie  hinleitet.  Erklärt 
werde  hierbei  die  Lehre  Kant's  vom  Zusammenbestehen  der  Freiheit  mit 
der  Nothwendigkeit,  sowie  die  vom  empirischen  und  intelligibeln  Gharakter*. 
—  Die  Arbeit  soll  nicht  weniger  als  zehn  und  nicht  mehr  als  zwanzig 
Druckbogen  umfassen.  —  Die  Einsendung  von  Arbeiten,  welche  sich  um 
den  Preis  des  Herrn  Gillis  bewerben,  hat  bis  zum  1.  Juli  1882  an  das  Lite- 
ratur-Institut von  E.  Last  in  Wien  (Centrale  I,  Eohlmarkt  7)  zu  erfolgen 
und  zwar  unter  Beigabe  eines  verschlossenen  Gouverts,  welches  Namen  und 
Adresse  des  Verfassers  enthält.  Auf  das  Gouvert  ist  ein  Motto  zu  setzen, 
welches  auch  auf  dem  Manuscripte  anzubringen  ist  Das  preisgekrönte 
Werk  bleibt  Eigenthum  des  Verfassers.  Falls  derselbe  es  nicht  vorziehen 
sollte,  sein  Werk  einer  Verlagsfirma  gegen  entsprechendes  Honorar  zu 
übergeben,  erklärt  sich  Herr  J.  Gillis  bereit,  die  Kosten  für  die  Drucklegung 
des  Buches  vorzustrecken,  indess  der  ganze  Reingewinn  dem  Autor  ver- 
bleiben soll. 

Wien,  im  Februar  1881. 


Die  durch  Fr.  HarmsVTod  erledigte  Professur  der  Philosophie  an 
der  Universität  zu  Berlin  ist  dem  Hofrath  H.  Lotze  von  Göttingen  über- 
tragen worden;  die  durch  dessen  Abgang  von  Göttingen  daselbst  erledigte 
Professur  hat  Prof.  G.  E.  MĂĽller,  bisher  in  Gzemowitz,  ĂĽbernommen. 


Ornck  von  P.  Neusser  in  Bonn. 


lieber  iu  ferllltiiss  der  legiseben  nr  utbeutisek- 
latinrisseiselafUiekei  Reflexieii. 

Eine  Vorlesung. 


Wenn  heute  philosophische  Vorträge  einen  Wirkungs- 
kreis an  einer  Anstalt  finden  können^  deren  Ziel  die  wissen- 
schaftliche Erziehung  zu  einem  technischen  Berufe  bildet,  so 
ist  das  ein  nicht  unbedeutsames  Zeichen  der  Zeitrichtung. 

Man  kann  sich  in  der  That  der  Einsicht  nicht  mehr  ver- 
schliessen,  dass  die  GemĂĽther  sich  mit  auffallender  Theilnahme 
dem  philosophischen  Denken  von  neuem  zugewandt  haben. 
An  den  Universitäten  mehren  sich  die  philosophischen  Lehrer 
und  Hörer.  Die  Literatur  entfaltet  nicht  nur  auf  ihrem 
eigensten  '  deutschen  Boden  ungewohnte  Fruchtbarkeit,  son- 
dern auch  in  England  und  bei  den  romanischen  Nationen  ist 
sie  zu  frischem  Leben  erwacht.  Zur  Erklärung  lässt  sich 
nicht  anfĂĽhren,  dass  ein  neues  System  oder  auch  nur  ein 
geniales  BruchstĂĽck  eines  solchen  sich  allgemeineren  Anhang 
erobert  hätte.  Noch  haben  wir  keine  philosophische  Epoche 
geschaffen.  Wohin  wir  blicken,  finden  wir  einen  eklektischen 
Anschluss  an  die  alten  Schulen,  nur  dass  die  zeitgenössischen 
Epigonen  vor  ihren  Vorgängern  den  Vorzug  haben,  die 
Meister  mit  erweitertem  wissenschaftlichen  Bewusstsein  zu 
begreifen. 

Ebenso  müssen  wir  auf  eine  zweite  Erklärung  verzichten, 
die  wir  am  liebsten  fĂĽr  wahr  halten  wĂĽrden.  Es  kann  auch 
nicht  das  allgemeinere  Durchdringen  der  Erkenntniss  sein, 
dass  die  höchste  Geistesbildung  dem  bloss  empirischen  Fleisse, 
der  nur  specialistischen  Vollkommenheit  unzugänglich  sei,  - 
dass  die  Einzelwissenschaft  über  das  beschränkte  Gebiet  der 

PhUoaoph.  Honatsbttfte  1881.  VI.  21 


322    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion 

eigenen  Arbeit  nach  allen  Richtungen  hinausblicken  mĂĽsse. 
Wir  werden  uns  vielmehr  gestehen,  dass  das  Ideal  der  Uni- 
versalität in  der  Leitung  moderner  Gedanken  eine  verschwin- 
dende Rolle  spielt.  Schärfer  als  je  prägt  sich  die  Theilung 
der  Arbeit^aus,  weniger  als  je  ist  der  Lernende  geneigt,  die 
Arbeitslast,  welche  eine  literarische  Massenproduction  ihm 
auflegt,  durch  Interessen  an  fremden  Fächern  zu  vermehren. 
Was  von  sogenannten  humanistischen  Studien  geblieben  ist, 
enthüllt  sich  bei  näherer  Betrachtung  in  betrübend  vielen 
Fällen  als  blosser  Berufseifer,  nur  dass  der  Beruf  eben  zu- 
fallig ein  wissenschaftlicher  ist.  Nun  wäre  es  freilich  sehr 
unrecht,  diese  Sammlung  der  vollen  Kraft  in*  einem  kleinen 
Kreise  gering  zu  schätzen;  denn  auch  sie  entspringt  ja  einer 
Idee,  dem  Streben  nach  möglichster  Vollkommenheit  des 
Schaflfens.  Allein  um  so  entschiedener  darf  betont  werden, 
dass  dieses  Streben  in  seiner  modernen  Einseitigkeit  die  wirk- 
lich humane,  d.  h.  alle  Gemüthskräfte  des  Menschen  berück- 
sichtigende Bildung  erschwert. 

Man  wirft  vielleicht  ein,  dass  doch  der  gegenwärtige 
Unterricht  mit  seinem  reichen  Programm,  seinen  todten  und 
lebenden  Sprachen,  alten  und  neuen  Literaturen,  seiner 
W^eltgeschichte,  seiner  Mathematik  und  Naturwissenschaft, 
dass  doch  dieser  allseitige  Unterricht  den  Blick  auf  das  Ganze 
lenken  müsse.  Wie  wenig  aber  die  öflFentliche  Meinung  von 
den  Durchnittsleistungeu  dieses  Progranmis  befriedigt  ist,  das 
beweist  der  immer  lauter  werdende  Ruf  nach  Gymnasial- 
reform.  Die  Philosophie  vollends  muss  erklären,  dass  sie 
auf  das  mĂĽde  und  kurzsichtige  Auge,  dem  das  Ganze  ver- 
schwommen, reiz-  und  farblos  erscheint,  geringe  Hoflnungen 
setzt.  Nicht  durch  den  Reichthum  des  Wissens  wird  sie 
gefördert,  sondern  durch  die  Liebe  zum  Begreifen,  durch  die 
Freude  am  Zusammenhang  des  Wissens.  Wie  aber  soll  sicli 
diese  Freude  in  dem  heranreifenden  Geiste  erzeugen^  wenn 
man  ihn  unaufhörlich  zu  neuem  Sanmieln  drängt  und  ihm 
die  Müsse  nicht  gönnt,  sich  in  den  Schätzen  seines  Gedächt- 
nisses zurechtzufinden.  Dann  erst  wird  die  allgemeine  Er- 
ziehung eine  Erziehung  zur  Philosophie  werden,  wann  es  einer 
gesunden  Pädagogik  gelingen  wird,  das  Schultreibhaus  in  einen 


Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-natarw.  Reflexion.    323 

Garten  zu  verwandeln,  in  welchem  unter  natĂĽrlichen  Bedin- 
gungen natĂĽrliche  FrĂĽchte  gedeihen. 

Demnach  wäre  die  auflebende  Philosophie  in  Selbsttäu-^ 
schung  befangen,  falls«  sie  sich  von  einer  wahrhaft  humanisti- 
schen Strömung  getragen  glaubte.  Eine  solche  Strömung 
eignet  nicht  einem  Zeitalter,  das  den  Kampf  ums  Dasein  zur 
regulativen  Maxime  seines  Handelns  zu  erheben  bestrebt  ist. 
Hier  wird  das  Wissen  um  der  Macht  willen  geschätzt  und 
Philosophie  von  dem  praktischen  BedĂĽrfnisse  begehrt.  Dieses 
letztere  ist,  wie  ich  glaube,  die  Kraft,  welcher  sie  jenen  äus- 
seren Aufschwung  verdankt.  Die  Fortschritte  der  modernen 
Erfahrung  baten  den  empirischen  Fleiss  zu  Fragen  zurĂĽck- 
gefĂĽhrt, welche  philosophisch  behandelt  werden  mĂĽssen  und 
welche  nicht  mehr  ignorirt  werden  können,  ohne  dass  der 
Werth  jener  Fortschritte  selbst  beeinträchtigt  schiene.  Man 
fordert  eine  Philosophie,  weil  man  ihre  Anwendung  braucht. 

hl  der  That  kann  man  nun  auf  den  verschiedensten  Ge- 
bieten beobachten,  wie  der  Ruf  nach  philosophischer  Vertie- 
fung allgemeineres  Gehör  fand,  sobald  ihn  nicht  die  Philoso- 
phie, sondern  die  betreffende  Einzelwissenschaft  ertönen  Hess. 
So  hat  das  reine  Interesse  der  Psychologie  lange  Jahre  hin- 
durch nur  einen  verhältnissmässig  kleinen  Kreis  von  Freunden 
zugeführt;  dieses  Interesse  war  z.  B.  nicht  mächtig  genug, 
ihr  etwa  eine  systematische  Stelle  im  Plane  der  Erziehung 
zu  verschaffen.  Seit  aber  die  Nervenphysiologie  und  die  Psy- 
chiatrie eine  Klärung  psychologischer  Begriffe  entschiedener 
verlangen,  ist  die  literarische  Theilnahme  ungemein  gestiegen. 
Da  man  ferner  jetzt  anerkennt,  dass  ohne  ein  tĂĽchtiges  Stu- 
dium der  Psychologie  Pädagogik  weder  gelehrt  noch  gelernt 
werden  kann,  da  Gesetzgeber,  Geistliche,  Richter  einsehen, 
dass  die  Vertrautheit  mit  psychologischen  Grundsätzen  sie 
in  ihren  eigenen  Aufgaben  fördern  kann,  so  hat  die  Seelen- 
kunde an  den  Schulen  euie  gĂĽnstigere  Aufnahme  gefunden. 
—  Für  die  Ethik,  die  als  langweilig  bezeichnet  und  als  un- 
bequem empfunden  wurde,  hat  sich  die  Masse  der  Gebildeten 
nie  sonderlich  begeistert,  so  lange  die  Theologie  den  morali- 
schen Haus-  und  Schuldienst  regelmässig  versah.  Als  aber 
die  religiösen  Zweifel  ins  Volk  sich  senkten,  die  pädagogische 


324    Stadler:  üeber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

Macht  der  bewährten  Katechismen  gebrochen  schien,  als  der 
confessionslose  Staat  vor  d6n  betroffenen  Geistern  auftauchte 
und  die  Zeiten  unruhig  wurden,  da  begann  man  zu  fĂĽrchten, 
es  'möchte  mit  dem  Bekenntniss  auch  die  Sitte  und  der 
Friede  aus  dem  Staate  verschwinden,  und  man  sah  sich 
um  nach  der  Philosophie,  wo  sie  sei,  um  mit  einer  guten 
sittlichen  Weltanschauung  die  Ordnung  der  Gesellschaft  zu 
retten. 

Und  nicht  anders  ist  es  im  Grunde  der  Logik  ergangen, 
auf  welche  ich  Ihre  Aufmerksamkeit  ausschliesslich  richten 
möchte.  Zwar  ist  auch  sie  von  der  modernen^  Bildung  stets 
mit  äusserer  Achtung  behandelt,  im  Stillen  aber  vorwiegend 
als  eine  scholastische  Liebhaberei  betrachtet  worden,  deren 
der  gesunde  Menschenverstand  fäglich  entrathen  könne.  Erst 
als  das  BedĂĽrfniss  nach'  einer  Kritik  unserer  Begriffe  in  eben 
den  Kreisen  wieder  erwachte,  die  eine  Zeit  lang  alles  Meta- 
physische am  schärfsten  verpönt  hatten,  wurde  die  Lehre 
vom  Denken  und  Erkennen  wieder  einer  allgemeineren  Be- 
achtung werth  gefunden. 

Dieses  logische  BedĂĽrfniss  machte  sich  auf  den  verschie- 
densten Punkten  geltend.  Die  moderne  Chemie  hatte  ihren 
Atombegriff,  die  Physik  ihre  Vorstellung  von  Kraft  und  Stoff 
zu  revidiren.  Der  gleichzeitige  Fortschritt  der  theoretischen 
und  der  Experimentalphysik  führte  nothwendig  zu  Erörterun- 
gen ĂĽber  die  gĂĽltige  VerknĂĽpfung  inductiver  und  deductiver 
Methode.  W^ährend  die  Physiologie  sich  auf  einen  gereinigten 
Begriff  des  Organismus  besann,  erzeugte  der  Aufschwung  der 
Entwicklungsgeschichte  unendliche  Reflexionen  ĂĽber  die  Be- 
deutung der  Naturzweckmässigkeit,  und  die  Erklärer  Dar- 
wm's,  welche  nicht  selten  in  dogmatisirender  Weise  die  Vor- 
sicht ihres  grossen  Meisters  vergassen,  stritten  sich  ĂĽber  die 
Grenzen,  innerhalb  derer  Hypothesen  noch  wissenschaftlich 
genannt  werden  dĂĽrfen..  Die  Ergebnisse  der  Statistik  forder- 
ten die  Discussion  des  Begriffs  der  V^illensfreiheit,  gesetz- 
geberische Aufgaben  drängten  zu  klareren  Definitionen  der 
Zurechnungsfahigkeit  und  der  Strafe,  und  Alle,  denen  sociale 
Fragen  am  Herzen  lagen,  suchten  nach  Aufklärung  über  den 
Begriff  vom  Staate. 


Stadler:  Ueber  das  VerhäJtniss  d.  log.  z.  inatheni.-naturw.  Reflexion.    325 

Diese  Probleme  haben  denn  auch  die  Einzelwissenschaf- 
len  allmälig  zu  der  Einsicht  geführt,  dass  die  Begriffe,  in 
welche  sie  ihren  Stoff  sammeln,  die  logischen  Formen,  in 
denen  sie  ihre  Wahrheiten  denken,  Werkzeuge  sind,  deren 
Eigenschaften,  deren  Anwendbarkeit  und  deren  Fehlerquellen 
man  eben  so  gut  kennen  muss  als  die  des  Mikroskops,  des 
Chronometers  und  der  Wage. 

Und  so  ist  denn  auch  das  Verhältniss  von  Naturwissen- 
schaft und  Philosophie  in  zahlreichen  Schriften  erörtert  und 
die  Versöhnung  beider  Mächte  oft  genug  verkündet  worden. 
Schwieriger  ist  es  nun,  thatsächliche  Ergebnisse  zu  nennen, 
welche  einen  ernstlichen  Zusammenschluss  bezeugen  wĂĽrden. 
Zwar  zeigt  die  Literatur  ein  entschiedenes  beiderseitiges  Ent- 
gegenkommen, und  man  braucht  unter  den  neueren  Autoren 
nur  auf  Albert  Lange  und  J.  Stuart  Mill,  auf  ihren  Stand- 
punkt und  auf  ihre  Wirkung  hinzuweisen,  um  dieses  Ent- 
gegenkommen zu  bezeugen. 

Niemand  verkannte,  wie  ungemein  reich  das  Hauptwerk 
des  Ersteren  an  logischen  Anregungen  für  eine  verständniss- 
suchende  Naturforschung  sei.  Aber  der  Umstand,  dass  es 
die  systematischen  Ansichten  in  den  Gang  der  geschicht- 
lichen Kritik  einflocht,  liess  es  nicht  zu  einem  eigentlichen 
Lehrbuch  werden.  —  Mill  dagegen  hatte  sich  die  Aufgabe 
gesetzt,  „die  besten  Ideen,  welche  von  philosophischen  Schrift- 
stellern veröffentlicht  wurden  oder  zu  denen  sich  strengere 
Denker  bei  ihren  wissenschaftlichen  Untersuchungen  bekann- 
ten, ...  zu  einem  Ganzen  zu  verweben  und  zu  einem  System 
zu  vereinigen.^'  Seine  Logik  erschien  fasslich  und  von  Schul- 
staub frei,  und  wusste  den  Mangel  an  Schärfe  und  an  Tiefe 
unter  anziehenden  Einzelheiten  zu  verbergen.  So  ist  sie  denn 
auch  von  Naturforsphem  vielfach  zu  Rathe  gezogen  worden. 
Man  hat  gern  auf  Liebig's  bekannten  Ausspruch  ĂĽber  Mill 
hingewiesen.  Als  Jener  von  seinem  Versuche  sprach,  das 
gegenseitige  Verhältniss  dbr  Chemie  und  Physik  zur  Physio- 
logie und  Pathologie  näher  zu  erörtern,  äusserte  er,  es  komme 
ihm,  Liebig,  kein  anderes  Verdienst'  hierbei  zu,  als  dass  er 
einzefaie  von  diesem  eminenten  Philosophen  aufgestellte  Grund-^ 
Sätze  weiter  ausgeführt  und   auf  einige  spezielle  Vorgänge 


326    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  matheiD.-naturw.  Reflexion. 

angewandt  habe.  Bei  alledem  ist  die  Wirkung  des  Buches, 
selbst  in  seinem  Heimathlande,  nicht  so  weit  gegangen,  um 
der  pädagogischen  Frage  einer  Verbindung  logischer  und  na- 
turwissenschaftlicher Studien  praktische  Bedeutung  zu  geben. 
In  neuerer  2feit  noch  hat  der  Senat  der  Londoner  Universität 
die  Logik  fĂĽr  das  naturwissenschaftliche  Examen  als  nicht 
obligatorisch  erklärt. 

Mit  Recht  hat  man  ferner  als  bedeutsam  hervorgehoben, 
dass  hervorragende  Naturforscher  nachdrficklich  auf  Kant 
hinwiesen.  Der  BegrĂĽnder  des  kritischen  Idealismus  hat  bei 
den  Naturforschern  stets  ein  gewisses  Ansehen  behauptet.  War 
er  doch  mathematisch  geschult  und  hatte  er  doch  eine  Natur- 
geschichte des  Himmels  geschrieben,  die  seinen  Namen  mit 
dem  von  Laplace  verknüpft.  So  hat  HehnhoHz  geäussert: 
„dass  der  jugendliche  Kant  seiner  Neigung  und  seinen  An- 
lagen nach  vorzugsweise  Naturforscher  war  und  vielleicht  nur 
durch  die  Macht  der  äussern  Verhältnisse,  durch  den  Mangel 
der  für  selbstständige  naturwissenschaftliche  Arbeit  nöthigen 
HĂĽlfsmittel  und  durch  die  Sinnesweise  seiner  Zeit  an  der 
Philosophie  festgehalten  wurde.  .  .  .*'  Wenn  nun  auch  aus 
diesen  Worten  fast  ein  Bedauern  herauszutönen  scheint,  dass 
Kant  einer  bessern  Sache  verloren  gegangen,  so  ist  es  doch 
dieser  Glaube  an  den  naturwissenschaftlichen  Genius  Kant's, 
welcher  die  Naturforscher  immer  wieder  mit  Zutrauen  in  seine 
Philosophie  erfĂĽllt  hat,  und  ich  halte  die  Zeit  nicht  fĂĽr  fern, 
in  der  man  es  allgemein  als  eine  wohlthätige  Fügung  der 
Geschichte  des  Denkens  preisen  wird,  dass  ein  im  logischen 
und  mathematischen  Begreifen  gleich  grosser  Geist  zur  kriti- 
schen Analyse  unseres  Bewusstseins  gefĂĽhrt  worden  ist.  Bis- 
her lässt  sich  freilich  von  deip  Kant -Studium  der  Natur- 
forscher kein  allzu  grosser  Ertrag  verzeichnen.  Wenn  man 
ihm  auch  zugestehen  darf,  dass  es  die  Ueberschätzung  des 
einseitigen  Empirismus  gemindert  und  das  Bewusstsein  von 
der  Begrenztheit  unseres  Erkennens  'gesteigert  hat,  dass  femer 
einzelne  Conceptionen  wTe  Zeit,  Raum  und  namentlich  Cau- 
salität  durch  dasselbe  geläutert  worden  sind,  so  wird  doch 
Niemand  behaupten,  dass  es  in  diesen  Kreisen  auch  nur  eine 
anerkannte  Grundlage  für  weitere  Erörterungen  geschaffen  habe. 


Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion.    327 

Das  Nämliche  gilt  nun  auch  von  den  selbstständigen  Er- 
zeugnissen, welche  hervorragende  Naturforscher  der  Logik 
gewidmet  haben.  Die  Denker  der  exacten  Wissenschaft  ver- 
suchen heute  wohl,  was  sie  von  Philosophie  nicht  missen 
können,  sich  selbst  zu  bereiten.  Begreiflieherweise  werden 
Viele  durch  die  schwer  zugänglichen  Schätze  der  vorhandenen 
Weltweisheit  nicht  angezogen  und  hoffen  schneller  zum  Ziele 
zu  gelai^en,  wenn  sie  die  nöthigen  Definitionen,  Axiome  und 
methodologischen  Grundsätze  aus  ihrer  eigenen  Erfahrung 
heraus  darstellen.  Solchen  Arbeiten  hat  denn  auch  die  Phi- 
losophie schöne  Winke  und  treffliche  Fragestellungen  zu  dan- 
ken. Aber  nicht  mehr.  Einer  Uebereinstimmung  haben  sie 
uns  nicht  näher  geführt.  Wenn  man  den  Gefahren  der  trü- 
gerischen Metaphysik  dadurch  zu  entrinnen  glaubte,  dass  man 
die  Metaphysik  ignorirte,  so  hat  jedenfalls  der  Erfolg  diese 
Zuversicht  enttäuscht.  Wer  den  Boden  des  Thatsächlichen 
verlässt,  wird  eben  Metaphysiker,  sei  er  nun  vorher  Physio- 
l(^e  oder  Logiker  gewesen.  In  der  That  ist  auch  zwischen 
philosophirenden  Naturforschem  meist  unmittelbar  derselbe 
Kampf  entbrannt,  der  in  den  alten  Schulen  ertönte,  und  ich 
kann  nicht  finden,  dass  der  Streit  im  Reiche  der  Wissenden 
schöner  und  fruchtbarer  geführt  wird,  als  in  dem  der  Träu- 
menden. Aber  neben  der  Entzweiung  hat  die  verkleidete 
Metaphysik  auch  ihre  zweite,  nicht  bessere  Frucht  zur  Reife 
bringen  können:  den  Mysticismus.  Es  ist  ungemein  interes- 
sant zu  beobachten,  wie  mitten  auf  dem  Felde  der  strengen 
Wissenschaft  eine  Begriffsdichtung  erblĂĽhen  kann,  deren  sich 
ein  GnosUker  nicht  zu  schämen  brauchte.  Diese  Erscheinung 
hat  dann  aber  die  selbstverständliche  Rückwirkung,  dass  ein 
Theil  der  Forscher  sich  vorsichtiger  als  je  den  AnsprĂĽchen 
der  Speculation  verschliesst,  dass  somit  die  Kluft  zwischen 
beiden  Geistesrichtungen  von  Neuem  vergrössert  wird. 

Wo  man  auch  dem  vielfach  gerĂĽhmten  Zusammenschluss 
von  Philosophie  und  Naturwissenschaft  nachgeht,  man  findet, 
dass  er  zwar  als  BedĂĽrfniss  anerkannt,  aber  ĂĽberall  nicht 
ernsthaft  verwirklicht  ist.  Wenn  es  ein  logisches  Gemeingut 
gibt,  so  hat  es  sich  die  Forschung  noch  nicht  angeeignet. 
Nicht  einmal  in  einigen  wesentlichen  Punkten,  wie  etwa  ĂĽber 


328    Stadler :  Ueber  das  Verhftltniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

den  Wertb  des  Syllogismus,  der  Elassification,  aber  die  Be- 
deutung der  Induction,  ĂĽber  bibalt  und  Tragweite  des  Cau- 
salgesetzes  wĂĽrde  sich  eine  Uebereinstimmung  behaupten  lassen. 

Um  so  nothwendiger  ist  es,  ĂĽber  die  Hemmnisse  nach- 
zudenken, welche  das  Zusammenwirken  der  beiden  Reflexions- 
arten verzögern. 

Dass  die  Philosophie  die  Pflicht  hat,  jenen  empirischen 
Aufgaben  gerecht  zu  werden,  daran  ist  kein  Zweifel.  Wenn 
ihr  auch,  als  Wissenschaft,  der  Ausbau  der  reinen  Theorie 
Selbstzweck  bildet,  so  soll  sie  doch  als  Glied  des  wissen- 
schaftlichen Arbeitsorganismus  mit  den  anderen  Gliedern  jeder- 
zeit FĂĽhlung  bewahren.  Und  je  mehr  sie  das  thut,  um  so 
vermögender  wh'd  sie  auch  sein,  für  ihren  Endzweck  auf  das 
Bewusstsein  einer  Zeit  zu  wirken. 

Ebenso  sicher  ist,  dass  sie  heute  diese  Pflicht  erkannt 
hat.    Zwar  wandeln  auf  logischer  Seite  noch  Manche  unent- 
wegt die  alten  Bahnen,  die  man  classisch  nennt  und  deren 
hohe  Seitenwände  so  oft  die  Aussicht  hindern.    Allein  die 
grosse  Mehrzahl  der  Vertreter  der  Geisteswissenschaften  ist 
redlich  bestrebt,  sich  mit  den  Ergebnissen  der  exakten  For- 
schung vertraut  zu  machen,  und  dieses  Streben  ist  in  man- 
chen Fällen  zu  einer  erstaunlichen  Belesenheit  gediehen.  Wenn 
nun  dieser  Fleiss  den  gewĂĽnschten  Erfolg  bislang  nicht  ge- 
habt hat,  so  liegt  dies  daran,   dass  man  ĂĽber  das  Ziel  nicht 
einig  war,    welches   man  bei   diesen   Studien   eigentlich    zu 
verfolgen   habe,    oder   genauer,    darĂĽber   nicht    einig    war, 
worin  denn  nun  bei  diesen  Studien  die  philosophische  Me- 
thode bestehe.    Alle  sind  bereit,  die  wissenschaftliche  Philo- 
sophie zu  vertreten,   aber  nur  Wenige  vertreten  dabei  das 
Gleiche.    Die  Emen  durchstöbern  die  Schätze  der  Erfahrung, 
um  einem  abgelebten  System  neue  Nahrung  zu  suchen;  An- 
dere, um  aus  den  entdeckten  Spähnen  ein  neues,   ein  empi- 
risches System  zu  bauen.    Dann  wieder  wird  Philosophie  in 
Naturwissenschaft  gänzlich  aufgelöst,  indem  man  das  Anhäu- 
fen der  Thatsachen  Empirie,  Philosophie  aber  ihre  Verbin- 
dung  und    Verarbeitimg   nennt.    Einer   solchen  Ansicht   gilt 
der  Forscher  als  Zoolog,   wenn  er  auszieht,   um  Käfer  oder 
Quallen  'zu  sammeln,   als  Philosoph,   wenn  er  ĂĽber  die  Ab- 


Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  matbem.-naturw.  Reflexion.    329 

stammung  der  Qualle  sinnt  oder  den  Käfer  als  Gliederfüssler 
bezeichnet.  Noch  Andere  glauben  zu  philosophiren,  wenn 
sie  die  mannigfachen  Ergebi^sse  der  Specialforschung  in  einen 
Rahmen  fassen  und  zu  einer  kĂĽnstlerisch  anmuthenden  Na- 
turansicht gestalten.  Aber  zu  Wenige  sind  sich  bewusst,  dass 
theoretische  Philosophie  entweder  ein  entbehrlicher  Begriff 
geworden  ist,  oder  dass  ihr  eine  eigenartige  Methode  zu- 
koinmt,  dass  diese  Methode  und  keine  andere  beim  Anschluss 
an  die  Naturwissenschaften  zur  Anwendung  kommen  muss, 
und  dass  sie  nur  dario  bestehen  kann,  in  den  Grundsätzen  der 
Einzelwissenschaften  die  Form,  d.  h.  die  Bewusstseins- 
functiön  zu  erkennen  und  diese  Form  nach  ihrem  V er hält- 
niss  zur  Möglichkeit  einer  einheitlichen,  i^rfahrung 
zu  beurtheilen.  Dann  erst,  wann  die  Philosophie  selbst  sich  das 
bestimmte  Wesen  ihrer  Methode  zu  klarem  und  deutlichem 
Bewusstsein  gebracht  hat,  und  sie  sich  auf  die  Arbeit*  be- 
schränkt, welche  der  Sondematur  des  philosophischen  Ver- 
fahrens gemäss  ist,  dann  erst  wird  sie  den  Naturwissen- 
schaften ächte  Förderung  gewähren.  Dann  aber  muss  sie 
ihrerseits  verlangen,  dass  man  ihr  für  solche  Förderung  die 
richtige  Gelegenheit  biete,  welche  sie  sich  nicht  ohne  Weiteres 
selbst  in  der  literarischen  Einwirkung  schaffen  kann.  Sie 
ĂĽberliefert  keine  fertigen  Resultate,  schreibt  keine  HandbĂĽcher 
fĂĽr  Uneingeweihte,  damit  man  sie  im  Falle  des  BedĂĽrfnisses 
nachschlage.  Was  sie  geben  muss,  um  zu  helfen,  ist  ihre 
Methode,  die  Eigenart  ihrer  Reflexion.  Diese  aber  erwirbt 
sich  nicht  in  einigen  Mussestunden,  sondern  nur  in  ernster 
Arbeit,  in  systematischer  Erziehung  des  Denkens.  Fordert 
man  von  der  Philosophie  Einfluss  auf  dais  Leben,  so  muss 
die  Philosophie  Einfluss  auf  die  Schule  fordern. 

Eine  analoge  principielle  Unsicherheit  hat  die  philosophi- 
schen Bestrebungen  auf  naturwissenschaftlicher  Seite  beein- 
trächtigt. Wenn  die  Philosophen  selbst  die  Eigenart  ihrer 
Methode  nicht  einmĂĽthig  behaupteten,  so  war  es  nicht  zu 
verwundern,  dass  die  Naturforscher  sie  nicht  zugestanden. 
In  der  That  unterschätzen  sie  ziemlich  allgemein  die  speci- 
fische  Schwierigkeit  logischer  Studien,  und  die  Ansicht  ist 
verbreitet,   dass  diejenigen,   welche  ihre  Denkkraft  an  einem 


330    Stadler:  Ueber  das  Verhältuiss  d.  log.  z.  mathem.-nAtttrw.  Reflexion. 

bestimmten  Stoffe  ĂĽben  und  mit  so  bewunderungswĂĽrdigem 
Scharfsinn   die    logischen   Gesetze   zur   Anwendung   bringen, 
auch  unmittelbar  zur  Analyse  des  Denkprocesses  ĂĽberhaupt 
befähigt  seien.     Gewiss  sind  sie  es  in  hohem  Grade;  nur  an 
die   behauptete   Unmittelbarkeit   heftet    sich    das    Bedenken. 
Man   sage   nicht,   mit   unrichtiger   Analogie,    dass   treffliche 
KĂĽnstler  oft  schlechte  Aesthetiker  seien,    und  dass  der  gute 
BĂĽrger,   der  den  Gesetzen  gehorcht,   darum  noch  nicht  ein 
weiser  Gesetzgeber  zu  sein  brauche.    Der  Forscher  sdiaffl 
sein  Werk,  gehorcht  seinen  Gesetzen  nicht  nach  blossem  Ge- 
fĂĽhl,  sondern  mit  begrifflichem  Bewusstsein,     Er   gibt  sich 
von  seiner  Ueberzeugung  logische  Rechenschaft,  motivirt  sein 
Urtheil  du^ch  den  objectiven  Thatbestand,  verallgemeinert  es, 
indem  er  es  mit   ähnlichen  Erfahrungen  vergleicht  und  be- 
grĂĽndet es  durch  deductive  Verbindung  mit  frĂĽheren  Induc- 
tionen.    Es  braucht  nun  em  geringes  Maass  von  Abstraction, 
um  diese  Zusammenhänge  von  ihrem  Inhalte  zu  sondern  und 
als   allgemeine   logische    Formen   darzustellen.     Nicht  darin 
liegt  die  Schwierigkeit.    Allein  die  Rechtfertigung,  des  Glau- 
bens  an   mathematische   und    naturwissenschaftliche   Wahr- 
heiten bildet  eine  regressive  Reihe  und  fĂĽhrt  zu  immer  all- 
gemeineren Gesetzen,    bis  sie  in  Grundsätzen  endigt^  für  die 
wir  uns  auf  keine  Erfahrung  mehr  berufen  können.    Warum 
glauben  wir  an  diese  Grundsätze?  Wo  ist  die  Realität,  deren 
Beobachtung  uns  ermächtigt,    diese  allgemeinsten  Begriffe  zu 
verknüpfen?    Wie  sind  synthetische  Urtheile  a  priori  mög- 
lich?   Ohne  Antwort  auf  diese  Frage  bleibt  unser  Denken 
bei  aller  empirischen  Bereicherung  unbefriedigt.     Die  Frage 
selbst  drĂĽckt  schon  aus,   dass  hier  die  empirische  Reflexion 
uns  im  Stiche  lasse,    dass  alle  Gewandtheit  in  letzterer  uns 
nicht  fördern  könne.    An  diesem  Punkte  niuss  sich  die  Be- 
ti'achtung  wenden  und  jede  Antwort  kann  nur  aus  der  hö- 
heren Frage  fliessen,  was  das  Erkennen  sei.    Will  die  Ein- 
zelwissenschaft sich  hier  zur  Philosophie  vollenden,   so   thut 
ihr  vor  Allem  die  Einsicht  Noth,  dass  eine  neue  Methode  hier 
die  Leitung  ĂĽbernehmen  mĂĽsse,   und  dass  die  neue  Methode 
neue  Uebung  erfordere. 

Damit  seien  die  Ursachen  allgemein  angedeutet,    welche 


Stadler:  Ueber  das  Verhftltniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion.    331 

das  Zusammentreflfen  der  beiden  Reflexionsarten  verzögern. 
Gestatten  Sie  mir  nun,  diese  Schwierigkeiten  an  einem  Bei- 
spiel zu  veranschaulichen.  Ich  wähle  dazu  die  neulich  wieder 
angeregte  Erörterung  über  die  geometrischen  Axiome. 

Axiome  nennt  die  Geometrie  bekanntlich  jene  unmittelbar 
evidenten  Sätze,  auf  welchen  ihre  Entwicklungen  in  letzter 
Linie  beruhen.  Der  Mathematiker  stellt  solcher  Thesen  nicht 
mehr  auf,  als  unumgänglich  nothwendig  sind;  er  prüft  jede 
einzehie,  ob  sie  nicht  etwa  eine  blosse  Definition,  sondern 
wirklich  auch  die  Erkenntniss  einer  Thatsache  sei,  und  ob 
femer  diese  Thatsache  nicht  vielleicht  aus  frĂĽheren  Einsichten 
abgeleitet  werden  könne.  Indem  er  eine  solche  Kritik  an- 
stellt, ĂĽbt  er  angewandte  mathematische  Logik. 

Sobald  er  nun  aber  beginnt,  ĂĽber  das  Wesen  dieser  fun- 
damentalen Thatsachen  allgemein  nachzudenken,  und  sich  zu 
fragen,  woher  er  denn  eigentlich  die  in  den  Axiomen  ent- 
haltenen Wahrheiten  geschöpft,  ob  er  sie  unmittelbar  in  seinem 
Innern  gefunden,  oder  aus  der  äussern  Erfahrung  abgelesen 
hab^,  so  hat  er  auch  sein  eigenes  Gebiet  verlassen  und  das 
der  erkenntnisstheoretischen  Reflexion  betreten.  An  diese 
Reflexion  aber  hat  sich  von  jeher  ein  bedeutendes  Interesse 
geheftet.  Da  die  Geometrie  ihre  Entwicklungen  ganz  unab- 
hängig von  Erfahrungsthatsachen  auszuführen  scheint,  so  tritt 
die  Frage  auf,  ob  denn  diese  so  vollkommene  Wissenschaft 
auch  wirklich  Gesetze  der  Aussenwelt  enthalte,  oder  nur  Ge- 
setze des  Verhältnisses  unserer  Vorstellungen,  mit  einem  Worte, 
ob  Geometrie  eine  Naturwissenschaft  sei  'oder  nicht.  Die 
Antwort  auf  diese  Frage  wird  je  nach  der  Auffassung  der 
Axiome  verschieden  ausfallen. 

Man  hat  ĂĽber  dieses  Problem  besonders  gern  bei  Kant 
Aufschluss  gesucht.  Dieser  Denker  hatte  von  der  Philosophie 
verlangt,  dass  sie  die  Möglichkeit  jeder  Wissenschaft,  selbst 
die  der  Mathematik  erkläre.  Er  hatte  die  Ansicht  aufgestellt, 
dass  aller  Erfahrung,  aller  Erkenntniss  von  Naturobjecten  die 
Raomanschauung  nothwendig  zu  Grunde  liege.  Die  geometri- 
schen Axiome  seien  Sätze  über  Eigenschaften  dieses  funda- 
mentalen Verhältnisses  und  als  solche  allgemein  gültig.  Dass 
der  Raum   z.  B.  nur  drei  Dimensionen  habe,   könne  durch 


332    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naiurw.  Reflexion. 

keine  Erfahrung  widerlegt  werden,  weil  der  Raum  mit  seinen 
bloss  ^  drei  Dimensionen  Bedingung  aller  Erfahrung  sei.  Die 
Sätze  der  Geometrie  seien  also  nicht  etwa  Bestimmungen 
eines  blossen  Geschöpfs  unserer  dichtenden  Phantasie,  son- 
dern gelten  allgemein  vom  Raum  und  darum  auch  noth wen- 
dig von  Allem,  was  im  Räume  angetroffen  werde. 

Dieser  Ansicht  haben  die  Speculationen  der  modernen 
Mathematik  neue  Bedenken  entgegengebracht.  Da  das  Problem 
von  grosser  erkennlnisstheoretischer  Tragweite  ist,  so  ver- 
spricht es  einer  der  fruchtbarsten  BerĂĽhrungspunkte  logischer 
und  mathematischer  Gedankenordnung  zu  werden,  falls  die 
Controverse  auf  klarer  Grundlage  gefĂĽhrt  wird. ' 

Es  ist  von  Mathematikern  gezeigt  worden,  dass  die  ana- 
lytische Geometrie  sich  consequent  entwickeln  lässt  für  Raum- 
begriflfe,  welche  von  dem  Begriff  des  Euklidischen  also  audi 
Kantischen  Raumes  beträchtlich  verschieden  sind.  In  dem 
sogenannten  sphärischen  Raum  z.  B.  würden  geradeste  Linien 
in  sich  zurücklaufen;  zwischen  zwei  Punkten  wären  unter 
Umständen  unendlich  viele  kürzeste  Verbindungen  g^6ben, 
parallele  gerade  Linien  wären  keine  zu  ziehen,  und  der  Ge- 
sammtraum mĂĽsste  als  endlich  vorgestellt  werden.  In  einem 
sogenannten  pseudosphärischen  Raum  dagegen  würden  die 
geradesten  Linien  ins  Unendliche  verlaufen,  aber  in  jeder 
ebensten  Fläche  könnte  durch  jeden  Punkt  ein  Bündel  von 
geradesten  Linien  gelegt  werden,  welche  eine  gegebene  andere 
geradeste  Linie  jener  Fläche  nicht  schneiden. 

Wenn  nun  solche  Räume  erfunden,  wenn  sogar  die  Ge- 
setze der  Dynamik  in  ihnen  zur  Darstellung  gebracht  werden 
können,  so  fragt  sich,  wie  es  sich  dann  mit  der  von  Kant 
behaupteten  Nothwendigkeit  seines  erkenntnisstheoretischen 
Raumes  verhalte. 

In  einem  ungemein  lichtvollen  Vortrage  hat  Helmholtz 
diese  Verhältnisse  erörtert  und  dabei  auch  auf  Kantische  Ge- 
danken Bezug  genommen.  Helmholtz  wirft  die  Frage  auf, 
„wo  diese  besondern  Bestimmungen  herkonmaen,  welche 
unsern  Raum  als  ebenen  Raum  charakterisiren."  Fliessen 
sie  vielleicht  als  „Denknothwendigkeiten^^  aus  dem  allgemeinen 
Begriff  des  Raumes?    Indem  er  das  Problem   so  formulirt 


Stadler:  Ueber  das  VerhiĂĽtniss  d.  ]og.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion.    333 

und  diese  Frage  verneint,  steht  seine  Methode  auf  dem  Boden 
der  Vemunftkritik.    Kant  hat  nachdrucklich   eingeschärft,  es 
sei  nie  aus  blossen  Begriffen  zu  erschliessen,  dass  Linien  ins 
unendliche  verlaufen,    oder  dass  sich  in  einem  Punkte  nicht       ^ 
mehr  als  drei  Linien  rechtwinklig  schneiden  können. 

Nun  bezeichnet  Helmholtz  als  „entgegengesetzte  Annahme* 
die  Frage,  ob  jene  Bestimmungen  „empirischen  Ursprungs* 
seien,  und  damit  tritt  seine  Reflexion  auch  bereits  aus  der 
Richtung  der  Kantischen  hinaus.  Wenn  dem  Naturforscher 
der  Gegensatz  begrifflich  und  empirisch  im  Allgemeinen  hin- 
reicht, so-  muss  der  Logiker  genauer  dem  Denken  eine  zweite 
Art  der  Bewusstseinsthätigkeit  entgegensetzen ;  er  unterscheidet 
daher  B^friff  und  Anschauung.  Dann  erst  prĂĽft  er  beide 
Functionen  darauf  hin,  ob  sie  durchgängig  nach  der  Erfah- 
rung sich  richten,  oder  ob  sie  vielleicht  auch  constante,  vom 
empirischen  Wechsel  unabhängige  Factoren  enthalten.  Wenn 
nun  mathematische  Lehren  in  ihrem  Verhältniss  zu  Kant  be- 
trachtet werden  sollen,  so  ist  es  methodisch  vor  Allem  nöthig, 
den  letztem  Gedankengang  mitzudenken  und  zu  ihm  Stellung 
zu  nehmen. 

Eine  weitere  Schwierigkeit  wird  uns  unmittelbar  veran- 
schaulicht. Helmholtz  sagt  femer,  wenn  aber  Räume  anderer 
Art  nach  beobachtbaren  Erfahrungsthatsachen  vorstellbar 
seien,  „so  wäre  damit  auch  widerlegt,  dass  die  Axiome  der 
Geometrie  nothwendige  Folgen  einer  a  priori  gegebenen  trans- 
scendentalen  Form  unserer  Anschauungen  im  Kant'schen  Sinne 
seien."  In  diesem  Satze  sind  vier  Termini  gebraucht,  die  zu 
den  wichtigsten  der  Kantischen  Philosophie  gehören.  Die 
Ausdrücke  „Form",  „a  priori",  „transscendental",  „nothwen- 
dig**  bezeichnen  Grundbegriffe  des  kritischen  Systems.  Doch 
leider  lässt  sich  nicht  behaupten,  dass  über  den  Sinn,  in  denfi 
Kant  sie  gebraucht  hat,  unter  den  Philosophen  ĂĽeberein- 
stimmung  herrsche,  und  wenn  sie  ohne  nähere  Erklärung 
gebraucht  werden,  so  können  sie  sehr  abweichende  Vorstel- 
langen  erwecken. 

Vor  Allem  ist  es  wichtig,  die  Bedeutung  recht  scharf  zu 
fassen,  m  welcher  Kant  den  Raum  eine  nothwendige  Vorstel- 
lung genannt  hat.    Er  verstand  darunter,    dass  wir  uns  von 


334    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

der  Raumanschauung  und  ihren  Grundeigenschaften  unter 
keinen  Umständen  frei  machen  können.  Sie  bezeichnet  die 
Grenze  unserer  Abstractionsfahigkeit  einerseits,  unserer  schöpfe- 
rischen Phantasie  andererseits.  Wir  vermögen  wohl,  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  Ausdehnungen  von  weniger  als  Arei  Di- 
mensionen zu  richten;  allein  auch  diese  erscheinen  uns  nur 
als  Grenzen  des  unveränderten  gewöhnlichen  Raumes.  Von 
einer  vierten  Dimension  kann  aber  auch  die  geĂĽbteste  mathe- 
matische Einbildungskraft  sich  nicht  die  mindeste  Anschauung 
machen.  Wenn  also  die  Nothwendigkeit  des  Kantischen 
Raumes  dadurch  angegriffen  werden  soll,  dass  man  auf  die 
sinnliche  Vorstellbarkeit  anderer  Räume  hinweist,  so  rauss  in 
erster  Linie  gezeigt  werden,  dass  die  alte  Raumanschauung 
auch  wirklich  den  neuen  Vorstellungen  nicht  zu  Grunde  liegt. 
Ich  glaube  nicht,  dass  dies  Hehnholtz  gelungen  ist. 

Wenn  ich  mir  die  sphärische  Fläche  oder  die  sattelför- 
mige pseudosphärische  vorstelle,    so   setze   ich   sie   eben  in 
meinen  gewöhnlichen  Raiun.     Ich  kann  mir  nun  wohl  einen 
Begriff  von  intelligenten  Wesen  zweier  Dimensionen  machen, 
welche  auf  solchen  Flächen  wohnen  und  dort  eine  Geometrie 
ausbilden   wĂĽrden.     Allein   von   der   Raumanschauung,   die 
solche  Wesen  hätten,  kann  ich  mir  nicht  ein  wirkliches  Bild 
machen,    weil  es  mir  unmöglich  ist,  die  dritte  Dimension  in 
meinem  Gesichtsfeld   auszulöschen.    Ich  kann  wohl  die  un- 
endlich vielen  grössten  Kreise,    welche  sich  auf  euier  Kugel 
durch  die  zwei  Endpunkte    eines  Durchmessers  legen  lassen, 
kĂĽrzeste  Linien  nennen ;  der  Durchmesser  selbst  aber,  welcher 
das  Axiom  erfĂĽllt,  verschwindet  darum  nicht  aus  meiner  An- 
schauung.  Eine  synthetische  Geometrie  kann  das  Axiom  von 
den  Parallelen  fallen  lassen   und  sich  trotzdem   consequent 
entwickeln.    Aber  das  beweist  nicht,   dass  sie  sich  von  der 
euklidischen  Raumvorstellung  frei  gemacht  habe.    Das  Axiom 
charakterisirt  unsern  Raum   als   einen  solchen,   in  welchem 
eine  Geometrie  der  Ebene  möglich  ist;    damit  steht  nicht  in 
Widerspruch,  dass  auch  eine  pseudosphärische  construirt  wer- 
den kann.    Nicht  anders   steht  es  nun   mit  den  Versuchen, 
sich  neue  Räume  von  drei  Dimensionen  vorzustellen.    Dabei 
darf  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  Ergebnisse  der 


Stadler:  Ueber  das  Verh&ltniss  d.  log.  z.'mathem.-naturw.  Reflexion.    335 

bloss  rechnenden  Geometrie  fĂĽr  oder  gegen  die  Allgemeinheit 
unserer  Anschauungen  Nichts  beweisen.  Analytische  Formeln 
mĂĽssen  immer  erst  geometrisch  gedeutet,  sinnlich  vorgestellt 
sein,  bevor  überhaupt  ihr  Verhältniss  zu  räumlichen  Axiomen 
betrachtet  werden  kann.  Wenn  z.  B.  eine  gewisse  analytisch 
sich  ergebende  Rechnungsgrösse  das  Erümmungsmass  des 
Raumes  genannt  wird,  so  ist  das  letzte  Kriterium  ĂĽber  den 
geometrischen  Werth  dieses  BegriflFes  seine  sinnliche  Vorstell- 
barkeit.  Diese  allein  kann  lehren,  ob  ein  solcher  Begriff  mit 
Axiomen  in  Uebereinstimmung  oder  in  Widerstreit  geräth; 
denn  die  Axiome  sind  eben  nicht  Denk-  sondern  Anschauungs- 
nothwendigkeiten. 

Wenn  ich  mir  nun  den  pseudosphärischen  Raum  im 
Innern  einer  Kugel  abgebildet  denken  kann,  so  darf  ich 
darum  nicht  sagen,  dass  ich  ihn  „der  Anschauung  zugäng- 
lich" gemacht  habe.  Was  ich  in  einem  Kugelbilde  sehe,  sind 
nichts  als  Verhältnisse  des  Euklidischen  Raumes.  Auch  die 
Möglichkeit,  die  Sinne  zur  Vorstellung  des  sphärischen  Rau- 
mes zu  zwingen,  ist  blosser  Schein.  Das  sphärische  Welt- 
bild, an  dessen  äusserstem  Hintergrunde  unser  eigener  Hinter- 
kopf erscheinen  wĂĽrde,  ist  keine  fremde  Raumanschauung. 
Was  es  Abweichendes  zeigt,  sind  nur  die  optischen  Gesetze, 
nach  welchen  die  Gesichtswahrnehmung  zu  Stande  kommt. 

Dies  führt  uns  nun  zu  dem  gewöhnlichen  Ursprung  der 
Divergenz  logischer  und  mathematischer  Ansichten.  Der  Um- 
stand, dass  man  sich  vor  der  Controverse  nicht  ĂĽber  die 
Grundbegriffe  einigt,  hat  zur  Folge,  dass  beide  Parteien  meist 
nicht  denselben  Gegenstand  im  Auge  haben.  Die  philosophi- 
schen Turniere  erinnern  nur  zu  oft  an  den  Streit  ĂĽber  den 
Schild,  dessen  Vorderseite  von  Silber,  dessen  RĂĽckseite  gol- 
den war.  Um  zunächst  das  Object  der  Meinungsverschieden- 
heit festzusteUen,  mĂĽssen  sich  die  Streitenden  vor  Allem  ent- 
schliessen,  auch  den  entgegengesetzten  Standpunkt  zu  betre- 
ten, hl  dieser  Orientirung  liegt  aber  eben  die  Hauptschwie- 
rigkeit abstracter  Erörterungen. 

In  der  That  pflegen  nun  die  Naturforscher,  auch  wenn 
sie  sich  mit  der  Kantischen  Philosophie  auseinandersetzen 
wollen,   eine  Auffassung  des  Raumes  zu  Grunde   zu  legen, 


336    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  Jog.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

welche  sich  mit  derjenigen  des  kritischen  Idealismus  keines- 
wegs deckt.  Zwar  sind  sie  frei  von  dem  naiven  Glauben  des 
sogenannten  gesunden  Menschenverstandes,  dass  die  Aussen- 
weit  nothwendig  auch  an  sich  so  sein  mĂĽsse,  wie  sie  uns 
erscheint.  Was  vorher  auch  dem  schärfsten  philosophischen 
Denken  versagt  blieb,  das  hat  sich  die  Anschaulichkeit  der 
Naturforschung  mit  leichter  MĂĽhe  errungen,  das  allgemeine 
Zugeständniss,  dass  das  Bild  einer  objectiven  Welt,  welches 
wir  gewinnen,  zum  Mindesten  ein  mittelbares,  durch  den 
Process  des  Vorstellens  modificirtes  ist.  Die  Physiologie  der 
Sinnesorgane  hat  uns  deutlich  gemacht,  wie  das  Licht,  der 
Schall,  die  Wärme,  wie  die  Empfindungen  überhaupt  nicht 
Spiegelbilder  gleicher  äusserer  Vorgänge,  sondern  vielmehr 
subjective  Veränderungen  sind,  denen  ganz  anders  beschaf- 
fene objective  Veränderungen  parallel  gehen.  Dem  modernen 
Naturforscher  ist  die  Aussenwelt  ein  Aggregat  bewegter  Mo- 
lekĂĽle, in  welches  erst  unsere  Sinne  Ton  und  Farbe  zaubern. 
Er  beobachtet  Gesetze  der  Anziehung  und  Abstossung,  nach 
denen  sich  die  räumlichen  Verhältnisse  seiner  Materie  ändern, 
und  auf  die  verschiedenen  Arten  dieses  Wechsels  sucht  er 
die  Wahrnehmungen  des  empfindenden  Subjectes  zu  beziehen. 
Er  unterscheidet  also  das  wirkende  Object  im  Räume  und 
die  durch  die  Beschaffenheit  des  Subjectes  bedingte  Wirkung 
oder  Vorstellung. 

Dieser  Standpunkt  genĂĽgt  allen  Zwecken  der  Physik  und 
Physiologie.  Sobald  aber  die  Betrachtung  dazu  ĂĽbergeht, 
die  GĂĽltigkeit  unserer  allgemeinsten  ĂĽrtheile  ĂĽber  die  Aus- 
senwelt zu  prĂĽfen,  sobald  sie  also  erkenntnisstheoretisch  wird, 
muss  ein  noch  höherer  Grad  der  Abstraction  von  der  unmit- 
telbaren Anschauung  erreicht  werden.  Jetzt  tritt  die  Frage 
auf,  ob  denn  jener  Träger  der 'Kräfte,  die  Kräfte  selbst,  der 
Raum,  in  dem  sie  wurken,  die  Zeit,  in  der  ihre  Wirkung  ab- 
läuft, nicht  auch  blosse  Vorstellungen  seien?  Die  Bejahung 
dieser  Frage  ist  die  grosse  That  der  kritischen  Philosophie. 

Kant  unterscheidet  nicht  eine  Raumvorstellung  in  uns 
und  einen  von  unserem  Bewusstsein  unabhängigen  Raum, 
nach  welchem  erstere  gebildet  wäre.  Er  kennt  nur  Einen 
Raum,  den  Raum  als  Vorstellung.    Nach  ihm  ist  der  Raum 


Stadler:  lieber  das  Verhftltniss  d.  log.  z.  inathem.-naturw.  Reflexion.    337 

nichts  Anderes,  als  die  Art,  in  welcher  unser  Bewusstsein 
seine  Empfindungen  zusammensetzt.  Um  irgend  welche  Em- 
pfindungen als  coexistirend  vorzustellen,  mĂĽssen  wir  sie  in 
jenes  Verhältniss  bringen,  welches  wir  räumlich  nennen.  Nun 
beruht  alle  Naturerkenntniss  auf  der  bewussten  Synthese  un- 
serer Empfindungen.  Bevor  wir  daher  zu  einer  Naturerkennt- 
niss gelangen  können,  muss  die  Bedingung  der  Synthese  ge- 
geben, muss  die  Raumanschauung  in  uns  entwickelt  sein. 
Man  kann  somit  sagen,  das  räumliche  Anschauen  sei  ein  Ge- 
setz, eine  Form  der  Vorstellungsverbindung.  Aus  dieser  Auf- 
fassung folgt  unmittelbar,  dass  die  Raumanschauung  von  der 
äusseren  Erfahrung  unabhängig  ist.  Wenn  sie  bei  jeder  ein- 
zelnen Erfahrung  im  Bewusstsein  schon  vorhanden  sein  muss, 
wenn  letztere  nur  als  Etwas  erscheint,  das  in  sie  aufgenom- 
men wird,  so  kann  die  einzelne  Erfahrung  auch  nicht  ĂĽber 
Eigenschaften  des  Raumes  neuen  Aufschluss  bringen.  So 
vollständig  wii-  auch  die  Welträume  empirisch  erforschen 
mögen,  wir  dürfen  nicht  hoffen,  über  die  Natur  des  Raumes 
auch  nur  eine  Entdeckung  zu  machen,  auf  welche  nicht  die 
in  unserem  Innern  gegebene  Anschauung  uns  unmittelbar 
hätte  leiten  können;  denn  alle  die  Räume,  vor  welche  die 
Naturbetrachtung  uns  führt,  sind  ja  nur  Theile,  nähere  Be- 
stimmungen unserer  allgemeinen  Raumvorstellung. 

Allein  nun  ist  wohl  zu  beachten,  dass  Kant  diese  Allge- 
meinheit eben  durchaus  nur  unseren  räumlichen  Erkenntnis- 
sen zuschreibt.  Die  Gesetzmässigkeit  dessen,  was  im  Räume 
erscheint,  der  Materie  und  der  Bewegung,  kann  nur  aus  der 
äusseren  Erfahrung  festgestellt  werden. 

Wer  diese  beiden  Punkte  im  Auge  behält,  der  wird  sich 
auch  ĂĽber  die  Kantische  Auffassung  der  geometrischen  Axiome 
nicht  mehr  täuschen.  Die  Axiome  sind  Sätze  über  unsere 
subjective  Raumanschauung,  deren  fundamentale  Eigenschaf- 
ten sie  beschreiben.  Sie  können  nicht  bewiesen  werden,  da 
sie  nicht  aus  allgemeineren  Erkenntnissen  abgeleitet  smd.  Sie 
brauchen  nicht  bewiesen  zu  werden;  denn  einmal  ausgesprochen, 
erzwingen  sie  sich  allgemeinen  Glauben  durch  ihr  blosses  Erschei- 
nen in  der  Anschauung.  Es  ist  sinnlich  unmöglich,  sich  zwischen 
zwei  Punkten  mehrere  gerade  VerbindungsUnien  vorzustellen. 

Philoaoph.  MonaUhefte  1881,  VI.  22 


338    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

Allein  trotz  oder  vielmehr  wegen  dieses  Ursprungs  aus 
einer  subjectiven  Erfahrung  kommt  den  Axiomen  eine  unbe- 
schränkte objective  Gültigkeit  zu.  Weil  ich  zur  Kenntniss 
von  Gegenständen  ja  nur  dadurch  gelange,  dass  ich  Empfin- 
dungen in  meine  Raumanschauung  zusammen  ordne,  gelten 
die  Axiome  auch  von  Gegenständen.  Es  ist  z.  B.  nicht  etwa 
nur  unwahrscheinlich,  sondern  erkenntnisstheoretisch  unmög- 
lich, dass  auf  irgend  einem  Planeten  zwei  gerade  Linien  einen 
Raum  einschliessen;  denn  bei  der  Wahrnehmung  des  Planeten 
und  seiner  Verhältnisse  würde  unser  räumliches  Vorstellen 
functioniren,  in  welchem  die  Axiome  unbedingte  Herrschaft 
ĂĽben. 

Aber  diese  objective  GĂĽltigkeit  darf  man  nun  nicht  dahin 
missverstehen,  dass  durch  die  Axiome  die  physikalische  Mög- 
lichkeit gewisser  Raumgebilde  oder  die  praktische  DurchfĂĽhr- 
barkeit geometrischer  Messungen  verbĂĽrgt  werden  solle.  Die 
Axiome,  wie  Kant  sie  fasst,  urtheilen  ausschliesslich  ĂĽber 
räumliche  Verhältnisse.  Ob  es  nach  dem  allgemeinen  Cha- 
rakter der  Materie  und  der  Bewegungsgesetze  möglich  sei, 
dass  irgendwo  in  der  Natur  ein  Punkt  und  eine  gerade  Linie 
existire,  darĂĽber  will  kein  Axiom  entscheiden;  das  letztere 
behauptet  bloss,  dass,  wenn  sie  existiren,  durch  den  Punkt 
nur  eine  Parallele  zu  der  Geraden  gehen  könne.  Oder  neh- 
men wir  das  Axiom,  dass,  wenn  zwei  Grössen  mit  einer 
dritten  zur  Deckung  gebracht  'werden  können,  sie  auch  unter 
einander  congruiren.  Wenn  nun  ein  Kantianer  diesem  aus 
der  unmittelbaren  Anschauung  sich  ergebenden  Axiom  Gel- 
tung fĂĽr  die  Natur  zuschreibt,  so  macht  er  dabei  keinerlei 
physikalische  Voraussetzungen.  Ob  in  der  Aussen  weit  eine 
solche  Congruenz  sich  finde,  beziehungsweise  nachgewiesen 
werden  könne,  lässt  er  gänzlich  unentschieden.  Es  handelt 
sich  nur  um  die  Behauptung,  dass  vorkommenden  Falls  die 
Congruenz  der  Raumformen  in  der  Natur  unter  den  gleichen 
Bedingungen  steht,  wie  die  der  geometrischen  Formen,  und 
zwar  eben  darum,  weil  der  Raum,  in  dem  sie  erscheinen, 
in  beiden  Fällen  der  nämliche  ist.  Das  Bewusstsein  derNoth- 
wendigkeit,  welches  sich  mit  den  Axiomen  verbindet,  beruht 
also  nicht  auf  der  Hypothese,  dass  durch  die  Art  der  dyna- 


IL. 


Stadler:  lieber  das  Verhftltniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion.    339 

mischen  Bedingungen  das  objective  Dasein  geometrischer  Ver- 
hältnisse ermöglicht  werde.  Das  wäre  freilich  die  Voraus- 
nahme einer  Erkenntniss,  die  aus  der  äusseren  Erfahrung 
gewonnen  werden  muss,  und  welche  durch  die  äussere 
Erfahrung  widerlegt  werden  kann.  Alle  Verhältnisse,  bei 
denen  nach  einer  Ursache  gefragt  wird,,  können  nur  empi- 
risch, a  posteriori  beurtheilt  werden.  Keine  innere  Besinnung 
lehrt,  ob  die  Form  materieller  Objecte  im  Allgemeinen  fĂĽr 
jedes  Zeitdiflferential  eine  andere  sei;  wohl  aber  lehrt  sie, 
dass,  welche  Form  immer  ein  Object  zu  einem  gegebenen 
Zeilpunkt  besitze,  für  das  Verhältniss  dieser  Form  zu  anderen 
Formen  das  Axiom  der  Gongruenz  gelte.  Das  Bewusstsein 
der  Nothwendigkeit  entspringt  aus  der  apriorischen  Einsicht, 
dass  aus  dem  Wechsel  der  Empfindungen  keine  Formen  her- 
vorgehen können,  welche  den  Principien  der  Anschauung 
widerstreiten ;  denn  diese  letzteren  enthalten  die  Bedingungen, 
unter  denen  es  überhaupt  allein  möglich  ist,  aus  dem  Wech- 
sel der  Empfindungen  Formen  zu  produciren. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  Kantische  Ansicht  einer 
Kritik  zu  unterziehen.  Meine  Aufgabe  ist  nur  die  Veran- 
schaulichung der  Schwierigkeit,  mathematische  und  logische 
Reflexion  auf  denselben  Punkt  einzustellen.  Um  sie  recht 
scharf  hervortreten  zu  lassen,  möge  eine  weitere  Stelle  aus 
der  besprochenen  Abhandlung  angefĂĽhrt  werden.  Helmholtz 
gelangt  zu  folgendem  Ergebniss:  „Es  wird  dies  genügen,  um 
zu  zeigen,  wie  man  ^uf  dem  eingeschlagenen  Wege  aus  den 
bekannten  Gesetzen  unserer  sinnlichen  Wahrnehmungen  die 
Reihe  der  sinnlichen  EindrĂĽcke  herleiten  kann,  welche  eine 
sphärische  oder  pseudosphärische  Welt  uns  geben  würde, 
wenn  sie  existirte.  Auch  dabei  treffen  wir  nirgends  auf  eine 
Unfolgerichtigkeit  oder  Unmöglichkeit;  ebenso  wenig,  wie  in 
der  rechnenden  Behandlung  der  Maassverhältnisse.  Wir  kön- 
nen uns  den  Anblick  einer  pseudosphärischen  Welt  ebenso 
gut  nach  allen  Richtungen  hin  ausmalen,  wie  wir  ihren  Be- 
griff entwickeln  können.  Wir  können  deshalb  auch  nicht  zu- 
geben, dass  die  Axiome  unserer  Geometrie  in  der  gegebenen 
Form  unseres  Anschauungsvermögens  begründet  wären,  oder 
mit  einer  solchen  irgendwie  zusammenhingen.*' 


340    Stadler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

Aus  diesen  Worten  geht  deutlich  hervor,  dass  Helmholtz 
fortwährend  einen  dualistischen  Raumbegriff  zu  Grunde  legt, 
dass  er  der  sinnlichen  Anschauung  einen  unabhängigen  phy- 
sikalischen Raum  gegenĂĽberstellt.   Wollte  er  daher  seine  Stel- 
lung zu  Kant  auseinandersetzen,  so  war  es  methodisch  notb- 
wendig,  diese  Raumauffassung  zu  begrĂĽnden,  beziehungsweise 
den  kritischen  Idealismus  zu  widerlegen.    Von  dieser  Grund- 
frage hängt  alles  Weitere  ab.    Da  sie  in  jener  Abhandlung 
nicht  berĂĽhrt  wird,  so  ist  begreiflich,   dass  die  Polemik  ĂĽber 
einzelne  Sätze  unfruchtbar  bleiben  musste.    Wenn  man  einen 
absoluten  Raum  annimmt,  so  ist  dann  freilich  selbstverständ- 
lich, dass  die  Axiome  nicht  mit  unserer  Anschaqungsform  zu- 
sammenhängen, als  solche  keine  reale  Bedeutung  haben  kön- 
nen.   Allein  diese  Behauptungen  treffen  Kant  so  wenig,  dass 
er  sie  vielmehr  mit  allem  Nachdruck  selbst  vertreten  hätte.  Es 
ist  dann  eine  ganz  richtige  Gonsequenz,    den  Axiomen  einen 
realen  Inhalt  zu  sichern,   indem  man  einen  Satz  ĂĽber  das 
mechanische  Verhalten  unserer  festesten  Körper   bei  Bewe- 
gungen in  sie  aufnimmt.    Allein  es  macht  sich  unmittelbar 
wieder  das  Missverständniss  erkenntnisstheoretischer  Methode 
geltend,  wenn  Helmholtz  hinzufügt:  „Man  könnte  freilich  auch 
den  Begriff  des  festen  geometrischen  Raumgebildes  als  einen 
transscendentalen  Begriff  auffassen,  der  unabhängig  von  wirk- 
lichen Erfahrungen  gebildet  wäre  . . ."   Die  'Prädikate  „trans- 
scendental^^  und  „a  priori'^  können  nicht  willkürlich  ausge- 
theilt  und  zu  beliebigen  Definitionen  verwerthet  werden.   Die 
Anzahl   der  Elemente,    welchen   sie   zukommen,   ist   in   der 
Kantischen  Philosophie  genau  bestimmt  und  unveränderlich. 
Schon  die  Grundeigenschaften  der  Materie,  ihre  Beweglichkeit, 
ihre  ĂĽndurchdringlichkeit,  ihre  Bewegungskraft  werden  als  Be- 
griffe bezeichnet,    die  lediglich  aus  der  Erfahrung  stammen, 
und  gerade  ein  strenger  Kantianer  wĂĽrde  jedes  Axiom  als 
empirisch  erklären,  das  auch  nur  durch  die  aUgemeinste  phy- 
sikalische Annahme  bereichert  wäre. 

Wer  den  Vortrag  des  Herrn  Helmholtz  in  diesem  Sinne 
studirt,  wird  bedauern,  dass  es  selbst  einer  so  schönen  Arbeit 
nicht  gelungen  ist,  die  philosophische  und  naturwissenschaft- 
liche Reflexion  ihrem  organischen,  d.  h.  in  der  Natur  unseres 


j 


f 


Sudler:  Ueber  das  Verhältniss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion.    341 

Erkennens  begründeten  Zusammenwirken  näher  zu  führen. 
Es  wäre  unschwer,  aus  der  Literatur  weitere  Beispiele  eines 
ähnlichen  Ausgangs  beizubringen  ^). 

Richten  wir  nun  an  die  Philosophie  die  Frage,  .wie  das 
betrachtete  Verhältniss  am  gedeihlichsten  geordnet  werden 
könne,  so  wird  sie  mit  der  bereits  angedeuteten  Forderung 
antworten  mĂĽssen,  dass  die  elementare  Erkenntnisstheorie 
als  nothwendiger  Factor  einer  wissenschaftlichen  Ausbildung 
anerkannt  werde.  Dieser  Forderung  treten  keinerlei  päda- 
gogische Bedenken  entgegen.  Es  handelt  sich  hier  nicht  um 
eine  Belastung  des  Gedächtnisses,  um  eine  weitere  Vermeh- 
rung der  Vielwisserei.  Der  Inhalt  logischer  Studien  ist  klar, 
naheliegend  und  leicht  aufnehmbar.  Vielmehr  handelt  es  sich 
um  die  Uebung  einer  Denkkraft,  von  welcher  die  sichere  Be- 
herrschung des  Gedächtnissstoffes  in  hohem  Grade  abhängig 
ist.  Der  geringe  Zeitaufwand  wird  sich  praktisch  dadurch 
lohnen,  dass  dem  logisch  geschulten  Arbeiter  Ueberlegungen 
erleichtert  werden  und  Zweifel  erspart  bleiben,  an  welehen 
der  einseitig^  Empiriker  im  Fortschritt  seines  Denkens  Anstoss 
nehmen  muss. 

hidem  die  Philosophie  es  nicht  verschmäht,  auf  die  Nütz- 
lichkeit solcher  Studien  hinzuweisen,  behält  sie  ihr  eigenes 
höheres  Ziel  um  so  schärfer  im  Auge.  Sie  ist  sich  bewusst, 
dass  eine  solche  Ergänzung  des  Bildungsgangs  jener  Einheit 
der  Wissenschaft  zu  Gute  kommt,  welche  zu  fördern  sie  von 
jeher  als  ihre  Aufgabe  betrachtet  hat.  Der  Forscher,  welcher 
sieh  ĂĽber  seine  Methode  Rechenschaft  gibt  und  zu  denPrin- 
cipien  aufsteigt,  gelangt  auf  den  neutralen  Bezirk,  in  welchen 
die  einzelnen  Wissensfacher  alle  einmĂĽnden.  Hier  wird  die 
ĂĽebersicht  leichter,  der  Schritt  von  Wissenschaft  zu  Wissen- 
schaft kleiner.  Wir  sehen,  wie  Eine  Naturanschauung  allem 
menschlichen  Forschen  zu  Grunde  liegt ;  wie  das  Einzelwissen 


1)  Die  obigen  AusfQhrungen  richteten  sich  gegen  die  im  3.  Hefte  der 
«Populären  wissenschaftlichen  Vortrfige*  enthaltene  Abhandlung:  «Ueber 
den  Ursprung  und  die  Bedeutung  der  geometrischen  Axiome.*  Ich  sehe 
nicht,  dass  in  Folge  der  Zusätze,  welche  .die  Thatsachen  in  der  Wahrneh- 
mung, Rede  etc.  1879*  zu  dieser  Frage  gebracht  haben,  irgend  ein  Punkt 
in  meiner  Darstellung  des  Missverständnisses  verändert  zu  werden  brauchte. 


342    Stadler:  lieber  das  VerhältDiss  d.  log.  z.  mathem.-naturw.  Reflexion. 

eine  Anwendung  derselben  allgemeinsten  Begriffe,  die  beson- 
dern Gesetze  eine  ErfĂĽllung  der  gleichen  letzten  Nothwendig- 
keiten  sind.  Hier  erscheinen  uns  die  Classificationen  des 
Wissens  nicht  mehr  als  Trennungen  in  der  Natur,  sondern 
als  Theilungen  unserer  Arbeit,  als  eine  Mannigfaltigkeit  der 
Gesichtspunkte,  von  denen  aus  wir  die  Natur  betrachten. 
Hier  können  wir  uns  über  das  Verhältniss  dieser  verschiede- 
nen Gesichtspunkte  orientiren  und  prĂĽfen,  ob  die  historisch 
gegebene  Verzweigung  der  Wissenschaften  mit  der  Eintheilung 
zusammenfallt,  welche  sich  aus  dem  Mechanismus  unseres  Er- 
kennens  als  Postulat  ergibt.  Indem  wir  dann  die  berichtigten 
Grenzlinien  der  Einzelwissenschaften  aufheben  und  die  sich 
berĂĽhrenden  Ergebnisse  zu  einem  geordneten  Gesammtbild 
zusammentreten  lassen,  gewinnen  wir  dasjenige  Verständniss 
der  Erfahrung,  das  man  allein  mit  dem  viel  missbrauchten 
Worte  Naturphilosophie  bezeichnen  sollte. 

Ihrer  besonderen  Gestaltung  nach  kann  diese  Einheit  der 
Wi^enschaft  freilich  nicht  speculativ  entworfen  werden,  sie 
muss  vielmehr  durch  ddh  Fleiss  der  inductiven  Forschung  zÄ 
empirischer  Darstellung  gelangen.  Sie  wird  uns  zu  einem 
Ideal,  das  wir  im  Fortschritt  der  Erfahrung  verwirklichen 
sollen.  Und  mit  dieser  Einsicht  leitet  uns  die  Erkenntniss- 
theorie auf  einen  weitern  Zusammenhang.  Sie  zeigt,  wie  im 
Proccss  des  Erkennens  aus  dem  Begriffe  des  Naturgesetzes 
sich  die  Idee  entwickelt  und  als  gleichberechtigte  psychische 
Macht  unser  Bewusstsein  bestimmt.  Sie  lehrt,  dass  die  Idee, 
den  Functionen  unseres  Bewusstseins  folgend,  in  dreifacher 
Gestalt  erscheint:  als  Idee  der  durchgängigen  Begreiflichkeit 
der  Natur,  als  Idee  ihrer  Schönheit  und  als  Idee  ihres  ethi- 
schen Werthes.  Sie  schätzt  die  Erfahrungen  dessen,  was 
ist,  an  diesen  selbstgeschaffenen  Musterbildern  dessen,  was 
sein  soll,  und  fĂĽhrt  damit  die  Naturbetrachtung  auf  ihre 
höchste  Stufe.  Mit  dem  gültigen  Entwiu'f  dieser  universellen 
Weltanschauung  wĂĽrde  die  Philosophie  ihre  letzte  Aufgabe 
vollendet  haben. 

ZĂĽrich.  Aug.  Stadler. 


Baamaim:  Handbuch  der  Moral  nebst  Abriss  der  Rechtsphilosophie.    343 

Handbuch  der  Moral  nebst  Abriss  der  Rechtsphilosophie.   Von  Dr. 

J,  J.  Baufnann,  o.  Prof.  d.  Philos.  a.  d.  üniv.  Göttingen. 
Leipzig,  S.  Hirzel  1879.    (IV.,  445  S.)  8^ 

Die  vorliegende,  anregend  geschriebene  Arbeit  versucht, 
wie  der  Verf.  selbst  angibt,  die  beiden  Richtungen  zu  ver- 
einigen, von  denen  die  eine  die  Moral  als  Entwicklungs- 
geschichte des  menschlichen,  insbesondere  des  geistigen  Le- 
bens behandelt,  die  andere  in  ihr  die  Wissenschaft  von  dem 
sieht,  was  sein  soll.  Das  Mittel  zu  dieser  Vereinigung  ist 
Baumanns  Theorie  vom  Willen,  auf  welche  wir  sogleich 
eingehen  werden.  Dadurch  hofift  er  zugleich  den  Streit 
zwischen  den  verschiedenen  Moralprinzipien  zu  schlich- 
ten, besonders  den  zwischen  der  Liebe  zu  uns  selbst  und  zu 
Andern.  Zu  diesem  Zwecke  zieht  er  nicht  ohne  Geschick 
Sätze  auch  aus  der  muhamedanischen,  indischen  und  chine- 
sischen Moral  herbei.  Auf  Grund  seines  Moralprinzips,  das 
wir  sogleich  näher  beleuchten  wollen,  stellt  er  als  Card  in  al- 
tugenden  auf:  Thätigkeit,  Wohlwollen  und  praktische  Ver- 
ständigkeit. Sodann  betrachtet  er  die  drei  Hauptrichtungen 
menschlicher  Bethätigung,  nämlich  die  überwiegend  wirth- 
schaftlichen  Naturen,  die  Naturen  mit  ĂĽberwiegender  Muskel- 
thätigkeit  und  die  überwi^end  geistigen  (intellektuellen,  reli- 
giös-contemplatiyen,  ästhetischen)  Naturen.  Um  aber  das 
moralische  Handeln  möglichst  zu  befördern,  nunmt  Bauhiann 
durchgängig  auf  die  Weckung  und  Ausbildung  der  sittlichen 
Kräfte  Rücksicht.  Hierin  erblicken  wir  einen  Hauptvorzug 
des  Buches. 

Der  Abriss  der  Rechtsphilosophie  soll  die  letzten 
Prinzipien  des  Rechtes  untersuchen,  also  dasselbe  leisten,  wie 
das  sog.  Naturrecht.  Baumann  stellt  dann  Aufgabe  und 
Begriff  des  Rechtes  fest,  um  schliesslich  dasselbe  sowohl  vom 
Standpunkt  des  Einzelnen  als  auch  dem  der  Gemeinschaft  zu 
betrachten.  Die  Rechtsphilosophie  ist  an  die  Moral  deshalb 
angeschlossen,  weil  sie  der  Verf.  weder,  jmit  ihr  identifizirt, 
noch  völlig  von  ihr  getrennt  wissen  will.  Denn  das  Recht 
hat  in  seinen  Augen  zwar  eine  moralische  Grundlage,  aber 
eine  allgemeinere  als  die  Moral. 


344    Baumann:  Handbuch  der  Moral  nebst  Abriss  der  Rechtsphilosophie. 

Betrachten  wir  nun  zunächst  Baumanns  Willens- 
theorie. Im  Gegensatz  zu  der  .  landläufigen  Auffassung, 
wonach  zum  Willen  nur  Klarheit  der  "Vorstellung  und  Stärke 
des  Werthurtheils  gehöre,  betont  er  die  physiologischen 
Prozesse.  Schon  Herbart  und  Joh.  MĂĽller  haben  darauf 
hingewiesen,  und  Lotze  wie  AI.  Bain  haben  die  Theorie  aus- 
gefĂĽhrt, von  der  sich  ĂĽbrigens  schon  bei  Malebranche  (de  la 
rech,  de  la  v^rit^  V,  7)  eine  Spur  findet.  Diese  ist  in  wenig 
Worten  so  zu  fassen:  Mit  ursprünglich  unwillkürlichen  Bethä- 
tigungen  war  verbunden  Vorstellung  und  Werthschätzung; 
diese  regt  dann  später  die  bezüglichen  Bethätigungen  wieder 
an,  oder,  als  Formel  ausgedrĂĽckt,  mit  A  war  verbunden  B, 
dies  B  regt  dann  wieder  an  A.  Es  findet  also  dasselbe  statt, 
wie  bei  den  Ideenassociationen.  Nur  wo  organische  und  phy- 
sische Anknüpfungspunkte  und  genügende  W^illens-  und  Kör- 
perbildung vorhanden  sind,  tritt  eflfectiver  W^lle  ein.  Dass 
trot«dem  die  spontane  Bewegung  (Vorstellungsverlauf  und 
Muskelspiel)  fĂĽr  unwesentlicher  gilt,  als  Vorstellung  und 
Werthgefühl,  erklärt  sich  ebenso,  wie  die  Geringschätzung 
des  Leibes  ĂĽberhaupt,  den  wir  grade  dann  am  wenigsten 
merken,  wenn  er  uns  die  besten  Dienste  leistet.  So  entsteht 
die  schwer  vermeidliche  Selbsttäuschung  von  dem  Willen, 
der  alles  kann. 

Soweit  stimmen  wir  Baumann  vollständig  bei,  wenn  wir 
auch  seine  Ansicht,  dass  diese  Theorie  erst  eine  Entwickelung 
unserer  Zeit  sei,  nicht  theilen.  Denn  schon  Leibniz  hat  sie, 
natĂĽrlich  in  seiner  Terminologie,  entwickelt.  L'inqui^tude, 
sagt  er  Nouv.  Ess.  p.  247,  est  le  principal,  pour  ne  pas  dire 
le  seul  aiguillon  qui  incite  Tindustrie  et  Tactivite.  Und  bei 
Dut.  II.  1  p.  311:  Monades  omnia  ex  penu  suo  ducunt  me- 
chanismo  quodam  eminente.  Leibniz  erklärte  bekanntlich 
alle  Reflexbewegungen  (die  Sprache)  und  Neigungen,  Tempe- 
rament, Gewohnheit  und  Talent  als  mechanische  Willens- 
dispositionen. —  Sodann  aber  müssen  wir  uns  gegen  Bau- 
manns Behauptung  erklären,  die  platonische  Weltauffas- 
sung  sei  falsch,  welche  alles  Wirken  nach  Analogie  unseres 
höheren  Geisteslebens  denkt,  dieses  selbst  aber  als  ein  Han- 
deln nach  Zweckvorstellungen,  d.  h.  nach  Vorstellangen  niit 


Baamaiin:  Handbuch  der  Moral  Debet  Abriss  der  Rechtsphilosophie.    346 

Werthschätzung  bezeichnet.  Zunächst  scheint  uns  die  gege- 
bene Deutung  nicht  zutreffend ;  denn  das  Handeln  nach  Zweck- 
Torstellungen  schliesst  die  Werthschätzung  oflfenbar  nicht  ein, 
wie  das  instinktive  Thun  derThiere  beweist.  Vor  allem  aber 
können  wir  des  Verfassers  ausgesprochene  Tendenz  nicht 
billigen,  die  Moral  von  eigentlich  metaphysischen  Hypothesen 
unabhängig  zu  erhalten.  Diese  Tendenz  ist  deshalb  nicht 
löblich,  weil  sie  einfach  unausführbar  ist,  wie  wir  so- 
gleich bei  Baumanns  Moralprinzip  zeigen  werden.  Aus  der- 
selben Quelle  entspringt  seine  Polemik  gegen  Schopen- 
hauer, dessen  Auffassung  vom  Willen  er  deshalb  verwirft, 
weil  nicht  der  Wille  dem  Vorstellen  zu  Grunde  liege,  sondern 
aus  Vorstellung  und  Werthschätzung  zusammen  erst  entstehe. 
Aber  wenn  der  Verf.  richtig  als  das  UrsprĂĽngliche  die  unwill- 
kürliche Bethätigung  annimmt,  so  unterscheidet  sich  dies  doch 
wohl  wenig  von  Schopenhauers  Begriff  des  Willens. 

Die  Mittel  zur  Willensbildung,  welche  Baumann 
empfiehlt,  sind  entschieden  probat,  wir  nennen  Erinnerung, 
ĂĽebung,  wobei  der  Einfluss  des  ersten  Gelingens  treffend  gewĂĽr- 
digt wird,  Erholung,  Pflege  des  Leibes  und  des  Nervensystems. 
Aber  der  Wille  soll  nicht  nur  intensiv,  sondern  auch  exten- 
siv verstärkt,  d.  h.  auf  die  verschiedensten  Verhältnisse  ein- 
geübt werden.  Hier  bringt  der  Verf.  viele  pädagogische 
Winke  vor,  an  denen  sein  Buch  ĂĽberhaupt  reich  ist.  Direct, 
oder,  wo  das  nicht  geht,  indirect,  soll  der  Erzieher  den 
Willen  seines  Zöglings  bestimmen;  dahin  gehört  Lohn  und 
Strafe,  Erregung  der  Aufmerksamkeit  und  des  Interesses,  Be- 
nutzung des  Nachahmungstriebes,  vor  dessen  Ueberschätzung 
(Beneke)  der  Verf.  warnt,  und  der  Anlagen  (Temperament). 
FĂĽr  den  Inhalt  des  Charakters  ist  entscheidend,  welches 
der  physiologisch  -  psychologischen  Hauptsysteme  in  uns  prä- 
dominirt.  Ist  das  vegetative  System,  aber  zugleich  mit 
Muskel-  und  Nervensystem,  besonders  regsam,  so  entsteht 
die  Richtung  auf  das  materielle  Wohl ;  beim  Muskelsystem 
auf  praktische  Bethätigung  als  solche ;  militärische,  technische, 
industrielle  Beschäftigungen  erscheinen  als  Selbstzweck  oder 
als  in  sich  wichtig.  Ist  das  Nervensystem  besonders  reg- 
sam, so  wird  Kunst,  Wissenschaft,  ĂĽberhaupt  geistiges  Leben, 


346    Baomann :  Handbuch  der  Moral  nebst  Abriss  der  Rechtsphikwophie. 

auch  ojft  in  religiöser  Form,  als  das  Höchste  betrachtet. 
Ueber wiegt  endlich  das  Sexuelle,  so  entsteht  im  Manne  der 
frauenhafte  Charakter,  wie  ihn  Goethe  genannt  hat;  er  zeigt 
sich  theils  als  frĂĽher  Trieb  zur  FamiliengrĂĽndung,  theils  ais 
ritterliche  Galanterie  und  Frauen  Verehrung,  theils  als  Liebes- 
bedürfniss  im  engeren  Sinne.  —  Diese  Aufstellung  und  ihre 
Durchführung  (S.  216  —  316)  halten  wir  für  die  gelungenste 
Partie  des  Buches. 

Nach  einer  kundigen  Betrachtung  der  moralischen  Ent- 
Wickelung  des  Menschengeschlechts,  wobei  die  Einflässe 
der  Umgebung,  der  Phantasie,  der  Individuen  und  der  Willens- 
theorie berĂĽcksichtigt  und  die  vielen  Schritte  betont  werden, 
welche  die  Menschen  zum  Begriff  der  Menschheit  fährten, 
stellt  Baumann  sein  Moralprincip  auf,  welches  zwischen 
Egoismus  und  Selbstaufopferung  vermitteln  will.  Mit  Ab- 
streifung der  Einseitigkeiten  des  Eudämonismus  fordert  der 
Verf.  zunächst  auf  Grund  der  formalen  Gleichheit  aller  Men- 
schen, (}ass  ein  Jeder  sich  von  seiner  ĂĽberwiegenden  Art  aus 
bethätige  mit  Anerkennung  der  überwiegenden  Art  des  Andern, 
oder  in  einer  Formel:  Princip  der  Moral  ist  Erhaltung  und 
Förderung  der  Menschheit,  oder  noch  kürzer:  die 
Liebe. 

Hier  erheben  sich  aber  verschiedene  Bedenken.  Zwar 
hat  Baumann  ganz  geschickt  dem  Egoismus  sein  Recht  ge- 
wahrt und  doch  zugleich  seine  Schranke  gewiesen,  indem  er 
zeigt,  dass  bei  Erhaltung  und  Förderung  der  Menschheit  jeder 
Einzelne  eben  miteingeschlossen  ist.  „Daraus  ergeben 
sich  Regeln  fĂĽr  Alle,  von  denen  ich  mich  nicht  ausnehme, 
weder  zu  meinem  Vortheil  —  denn  ich  bin  bloss  Einer 
neben  den  Andern  —  noch  zu  meinem  Nachtheü  —  denn 
ich  bin  so  gut  einer  wie  die  Andern  —  sondern  unter 
welche  ich  mein  Handeln,  Denken,  FĂĽhlen  selber  subsumire/' 
Aber  wir  meinen,  bei  dem  Verf.  fehlt  es  an  einem  Mittel, 
den  ĂĽbertriebenen  und  einseitigen  Egoismus,  der  bekanntlich 
sehr  verbreitet  ist,  zu  widerlegen  und  zu  dämpfen.  Dies 
Mittel  fehlt  ihm,  weil  er  eine  metaphysische  BegrĂĽndung 
der  Ethik  vorwirft;  auf  diese  aber  war  er  schon  durch  den 
Begriff  der  Menschheit  unbedingt  hingewiesen.  Er  schliesst 


Glogau:  Abriss  der  philosophischen  Grand- Wissenschaften.        347 

sich  damit  ganz  der  utilitaristischen  Schule  Bentham's 
an.  Um  so  weniger  motivirt  aber  scheint  es  uns,  wenn  er 
sein  Princip  als  das  der  Liebe  bezeichnet.  Wie  beim  Utili- 
tarier  John  St.  Mill  die  Sympathie,  tritt  hier  bei  Baumann 
das  Princip  der  Liebe  ganz  unvermittelt  auf.  Wollte  sich 
aber  der  geehrte  Verf.  damit  decken,  dass  er  S.  123  die 
Liebe  definirt  als  „ein  inneres  Nachbilden  der  Ändern,  als 
wären  wir  es  selbst,  und  ein  Aufnehmen  ihrer  Zwecke  und 
Bethätigungen  in  unsern  Willen",  so  erwidern  wir,  dass  uns 
diese  Definition  ĂĽberhaupt  zu  eng  scheint,  da  sie  nur  die 
negative  und  receptive  Seite  der  Liebe  trifift,  welche  viele 
Ethiker  Sympathie  nennen,  dass  aber  die  positive  energische 
Liebesbethätigung  vom  Verf.  weder  abgeleitet  noch  begrün- 
det ist. 

Damit  kommen  wir  zu  der  Ausstellung,  die  wir  an  dem 
ganzen  Buche  machen  mĂĽssen:  es  ist  nicht  systematisch 
genug.  Uns  wenigstens  hat  es  nicht  befriedigt,  unter  der 
üeberschrif t :  „Ergänzende  Gesammtbetrachtungen"  (S.  317 
bis  371)  eine  ganze  Reihe  wichtigster  ethischer  Probleme 
aphoristisch  behandelt  zu  sehen.  So  interessant  und  anregend 
diese  Bemerkungen,  z.  B,  ĂĽber  Erfolg  und  seine  sittliche  Be- 
deutung, Probiren  im  Sittlichen  u.  A.  sein  mögen,  so  sind 
dabei  doch  manche  Fragen  schlecht  weggekommen,'  wie  die 
Willensfreiheit  und  das  Böse.  Doch  hat  der  Verf.  gewiss 
diese  Methode  ausdrĂĽcklich  eingeschlagen,  um  auch  weitere 
Kreise  fĂĽr  die  Moral  zu  gewinnen.  Lidem  wir  endlich  auf 
die  Untersuchung  ĂĽber  den  Begriff  des  Rechtes  hinweisen, 
empfehlen  wir  das  Handbuch  als  eine  gediegene  Erscheinung 
auf  dem  Gebiete  der  Ethik. 

Berlin.  Friedrich  Kirchner. 


Abriss  der  philosophischen  Grund-Wissenschaften.  Von  Dr  Gustav 
Glogau,  Privatdocent  der  Philosophie  an  der  Universität 
ZĂĽrich.  Erster  Theil:  Die  Form  und  die  Bewegungs- 
gesetze des  Geistes.  Breslau,  Wilhelm  Köbner,  1880. 
(XVIII.  u.  397  S.)  8^ 
Bekannt  bereits  durch  seine  Darlegung  von  ,.Steintbal's 

Psychologischen  Formeln'*  wie  durch  seine  Abhandlungen  in 


34f8        Glogau:  Abriss  der  philosophischen  Grund- WissenschafteiL 

der  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  und  auch  in  ülrici's 
Zeilschrift  fĂĽr  Philosophie,  bietet  der  Verf.  nunmehr  den 
«rsten  Band  eines  umfassenden  Werkes.  Derselbe  soll  ein- 
mal „einen  idealen  Durchschnitt  .der  Entwicklung  des  Geistes 
zeichnen"  und  zweitens  „die  innere  Gesetzlichkeit  jener  Ent- 
wicklung" vorfĂĽhren. 

1 .  Die  Betrachtung  der  psychischen  Entwicklungsgeschichte 
ist  geleitet  von  der  erkenntnisstheoretischen  Frage,  wie  ein 
Wissen  und  eine  überlegte  Thätigkeit  zu  Stande  kommt;  sie 
beginnt  mit  dem  unbewussten  oder  Naturleben  der  einst- 
weilen hypothetisch  angenommenen  Seele.  Vier  Stufen  lässl 
der  „ideale  Durchschnitt"  erkennen.  Als  erste  Stufe  erscheint 
das  noch  „unbestimmte  Lebensgefühl"  sammt  den  „Trieb- 
erscheinungen". Auf  zweiter  Stufe  ergeben  sich  ĂĽber  den 
vegetativen  Kreislauf  hinaus  die  niedere  Wahrnehmung  und 
der  Instinkt.  Zur  dritten  Stufe,  zur  „Sprache  oder  Vorstel- 
lung" und  zur  „menschlichen  Handlung"  führt  dann  der 
fĂĽhlbar  werdende  Gegensatz  zwischen  einer  belebten,  ver- 
standenen und  einer  unbelebten,  unverstandenen  Welt;  aus 
der  Erinnerungstiefe  der  Seele  bricht  die  erste  menschliche 
Rede  hervor,  ausgleichend  die  Unruhe,  in  welche  das  GemĂĽth 
durch  die  Anschauung  versetzt  war,  während  das  Bewusst- 
sein  in  ein  Reich  der  Objecto  gegenĂĽber  einem  Reich  der 
subjectiven  Begriflfe  sich  besondert.  Auf  der  vierten  Stufe 
endlich  tritt  „der  wissenschaftliche  Geist  und  die  sittliche 
Freiheit"  hervor:  geschichtlich  hat  die  Durchbrechung  der 
„mythischen"  Stufe  sich  nach  der  theoretischen  Seite  hin  in 
den  Kreisen  der  griechischen  Denker  und  Dichter  vollzogen, 
auf  praktische  W^ise  in  der  sittlich  religiösen  Weltanschau- 
ung des  jĂĽdischen  Volks  und  des  Christenthums,  doch  er- 
zeugt „das  mythische  Denken"  sich  immerfort  als  Grundlage 
der  höheren  Entwickelung. 

Solche  Phänomenologie  des  Geistes  geht  vor  sich  „nach 
den  Grundsätzen  der  Vöfterpsychologie",  nicht  ohne  Lücken, 
wie  der  Verf.  selbst  anerkennt.  Die  Völkerpsychologie  ist 
indess  auch  dem  Referenten  lieb  und  werth,  sofern  sie  aus 
dem  Ethos  und  seinen  Gestaltungen  heraus  das  darin  erschei- 
nende, sich  entwickelnde   und   sich  bethätigende  Menschen- 


Glogau:  Abriss  der  philosophischen  Grund- Wissenschaften.        349 

wesen  zu  erkennen  strebt;  nur  erlaubt  er  sich,  die  Anthro- 
pologie, in  deren  Kreis  ihm  die  Völkerpsychologie  fallt,  nicht 
naturalistisch  sich  zurechtzulegen,  sondern  sie,  den  Zusammen- 
hang mit  der  Naturforschung  bewahrend,  durch  die  in  das 
philosophische  System  aufgenommene  Theologie  zu  ergänzen, 
indem  er  daran  festhält,  dass  der  Mensch  nicht  ohne  die 
Mittheilung  eines  Vor-  und  Uebermenschlichen  ĂĽber  sich 
selbst  je  in  das  Klare  kommen  konnte  und  kann. 

2.  Der  zweite  Theil  des  vorliegenden  Bandes  will  die 
formalen  Grundgedanken,  welche  in  den  Darlegungen  des 
ersten  Theils  die  leitenden  Mächte  gewesen  sind,  für  sich 
herausheben.  Dabei  dienen  der  Lehre  die  „algebraischen 
Figuren",  in  welchen  bereits  die  Psychologie  SteinthaPs  die 
Vielheit  der  unsichtbaren  Verhältnisse  des  Vorstellungslebens 
sichtbar  gemacht  hat.  Zunächst  werden  „die  ganz  allgemei- 
nen mechanischen  Verhältnisse  aufgesucht  und  erwogen,  der- 
gleichen sich  in  jeder  Bewegung  der  psychischen  Elemente 
erkennen  lassen,  dann  wird,  mit  Beiseitelassung  des  Trieb- 
lebens der  ersten  Stufe,  die  Mechanik  des  Wahrnehmungs-, 
des  Vorstellungs-  und  des  Denkprozesses  insbesondere  be- 
handelt. 

hmerbalb  des*  in  sich  beharrenden  Seelenwelt  nämlich 
fällt  alles,  was  die  Wahrnehmung  an  mannigfaltigem  Inhalt 
besass,  unterschiedslos  zu  Einer  Grösse  zusammen:  hierauf 
geht  das  „psychische  Identitätsgesetz"  sowie  der  Begriff  der 
„Verschmelzung".  Die  Vorstellung  überhaupt  ist  eine  „Ver- 
sehmelzungsmasse" ;  doch  ist  die  Verschmelzung  eine  „mehr 
äusserliche  Zusammenballung"  und  der  blosse  Anfang  eines 
Prozesses,  als  dessen  Erfolg  die  „Verdichtung"  sich  ergibt. 
Die  Theile  der  Vorstellung  sind  unterschiedlich  einander 
„assodirt" ;  Kehrseite  der  Association  ist  die  „Reproduction", 
und  eine  Form  der  Association  die  „Verflechtung",  welche 
heterogene  Ganze  kraft  einer  partialen  Gleichheit  in  einander 
schlingt.  In  alledem  ist  das  Leben  des  Geistes  an  das  Zu- 
sammenwirken von  Elementen  gebunden,  welche  theils  mehr 
theils  weniger  bewusst  sind. 

Doch  reichen  Grundsätze,  welche  die  allem  Seelenleben 
gemeinsamen,  mechanischen  Beziehungen  betreffen,  nach  des 


350       Glogau:  Abriss  der  philosophischen  Grund- Wissenschaften. 

Verf.'s  Ansicht  nicht  aus  zur  Erkenntniss  der  besonderen 
Bildungsprozesse  mit  ihren  eigenartigen  Gombinationen.  Diese 
also  gilt  es  weiterhin  in  das  Licht  zu  stellen.  Demgemäss 
behandelt  der  Verf.  vorerst  die  Wahrnehmung  der  äusseren 
Seite  der  Dinge  mittelst  der  „identificirenden"  und  mittelst 
der  „schöpferischen  Apperceplion",  hierbei  seine  Theorie  des 
Erinnerungsprozesses  entwickelnd;  dann  analysirt  er  die 
Wahrnehmung  der  inneren  Seite  der  Dinge  vom  Standpunkte 
einer  Aprioritätslehre,  welche  nicht  ontisch,  wie  die  Kantische, 
sondern  genetisch  verfahrend  „die  Fichte -Schillersche  Ver- 
mittlung in  der  durch  Steinthal  geschaffenen  psychologischen 
Form  in  sich  hineingezogen  hat".  Die  Untersuchung  vertieft 
Ăźich  weiter  in  die  Mechanik  des  Vorstellungsprozesses  oder 
des  Selbstbewusstseins  und  in  dessen  sprachliche  Form,  um 
endlich  das  logische  Denken  zum  Gegenstande  zu  nehmen. 
Die  Logik  „nimmt  die  Formen  des  entwickelten  Ich*Lebens 
aus  den  Dingen  zurĂĽck  und  gibt  ihnen  dafĂĽr  die  logischen 
Formen  des  Zusammenhangs";  sie  ist  „Reinigung"  der  gei- 
stigen Thätigkeiten,  mit  einem  Worte  „Kritik".  Dabei  knüpft 
der  Verf.,  wie  er  angibt,  überall  an  Lotze  an  „den  grössten 
Logiker  unserer  Zeit",  geht  jedoch  seinen  eigenen  Weg  vor- 
wärts. Das  erste  der  logischen  Gebilde  i^  ihm  das  Urtheil. 
Dieses  hat  seine  unterste  Form  in  der  „Frage",  daran  schliesst 
sich  das  „subjectlose"  Urtheil  und  weiterhin  das  kategorische; 
die  vierte  Form  ist  das  disjunktive,  eine  Beschreibung  des 
Dinges  oder  den  Stoff  des  Begriffes  liefernd,  während  dem 
Gedanken  des  Werdens  das  hypothetische  gerecht  wird;  am 
Ende  stellt  der  Verf.  „im  Gegensatz  zu  Kant"  noch  eine 
sechste  ĂĽrtheilsform  auf,  das  finale  Urtheil.  Wie  sich  diese 
Urtheilsformen  zur  Relation,  Qualität  u.  s.  f.  verhalten,  sucht 
er  noch  besonders  zu  zeigen.  Nach  der  Lehre  vom  Urtheil 
kommt  die  vom  SchlĂĽsse  an  die  Reihe,  mit  dem  Induktions- 
schluss  der  zweiten  Figur  beginnend  und,  mit  Aufhebung  der 
vierten  Figur,  endigend  im  Subsumtionsschluss  der  ersten 
Figur.  Hierdurch  sind  die  „Motive  der  Begriffsbildung"  ent- 
wickelt, und  die  „Verwendung  des  Begriffs  in  der  Deduktion" 
ist  dargelegt ;  aber  das  Interesse,  Einzelnes  aus  anderem  Einzel- 
nen zu  dedticiren,  fügt  noch  die  von  Lotze  sog.  „Mathemati* 


Glogau:  Abriss  der  philosophischen  Grund- Wissenschaften.        351 

sehen  Folgerungen"  (Substitution,  Proportion)  hinzu.  Die 
Lehre  vom  Begriffe  und  hiermit  von  der  Definition  sammt 
der  Klassifikation  ist  das  letzte:  denn  „die  Menschheit  hat 
wissenschaftliche  Begriffe  nirgend  woher  fertig  empfangen." 

Gewinnend  ist  die  Sorgfalt,  welche  der  Verf.  in  der  Be- 
handlung des  so  schwierigen  Gegenstandes  kundgibt.  Er 
glaubt,  auf  „rein  psychologischem  Boden"  seine  Untersuchun- 
gen zu  führen,  bemuht,  „die  Ergebnisse  sowie  namentlich 
Richtung  und  Art  von  Steinthäl's  Denkerleben  bis  in  die 
prinzipiellen  Tiefen  auszubauen."  Zunächst  ist  es  freilich 
^kenntnisstheoretischer  Boden,  auf  welchem  er  seine  Lehre 
Tom  Denken  sich  entfalten  lässt.  Letztere  aber,  Wahrneh- 
men, Vorstellen  und  logisches  Denken  betreffend,  hat  nicht 
die  Selbstbethätigung  des  Denkens  zu  ihrem  Lihalt,  sondern 
sie  beschäftigt  sich  damit,  des  Denkens  Formen  abzunehmen 
aus  der  Erfahrung  und  aus  den  erfahrungsmässig  gegebenen 
Verhältnissen  der  Gedanken  zu  einander.  Sie  lässt  daher 
unerledigt  die  andere  ergänzende  und  abschliessende  Frage, 
welcher  Formen  der  Gedankenwelt  sich  aus  der  Natur  und 
Thätigkeit  des  Denkens  selbst  ergeben.  Erst  durch  Beant- 
wortung dieser,  eine  Selbständigkeit  des  Denkens  gegenüber 
dem  was  nicht  Denken  ist  voraussetzenden  Frage  können 
allgemeingültige  „Gesetze"  des  Denkens  zu  Tage  treten  und 
kann  eine  Reform^  der  alten  Logik  sich  anbahnen ;  dort  da- 
gegen resultirt  vorerst  nur  ein  modernes  SeitenstĂĽck  zur 
alten  empirischen  Logik.  Des  Verf  s.  Erkenntnisslehre  kommt 
fibrigens  aus  dem  Kreisen  des  Idealismus  nicht  hinaus:  nach 
des  Referenten  Ansicht  hängt  dies  damit  zusammen,  dass 
dieselbe  einerseits  zu  schöpfen  verschmäht  aus  einer  Psycho- 
logie, welche  von  einem  substantiellen  Geistwesen  des  Men- 
schen zu  sagen  liätte,  und  dass  sie  andererseits  die  Grund- 
lage entbehrt,  von  wo  aus  die  Realität  des  üebersinnlichen 
ericannt  und  dadurch  auch  die  Realität  des  Sinnlichen  ge- 
sichert wird. 

Erlangen.  Rabus. 


352  J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen. 


Sein  und  Erkennen.  Eine  fundamental  -  philosophische  Unter- 
suchung. Von  «7.  Bergmann,  Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn. 
1880.     (IV  u.  191  S.)    8«. 

In  engem  Anschluss  an  die  Ausführungen  seiner  „R^i^^^ 
Logik"  (Berlin,  1879;  vergl.  Philos.  Monatshefte  Bd.  XVI, 
S.  338—349),  die  dort  gegebenen  Darlegungen  theils  weiter- 
führend, theils  genauer  präcisirend,  in  einigen  Punkten  auch 
berichtigend,  gibt  der  Verfasser  in  der  vorliegenden  Abhand- 
lung eine  Untersuchung  über  die  Möglichkeit  und  die  Form 
des  Erkennens,  eine  grundlegende  Untersuchung  fĂĽr  alle 
Wissenschaft  ĂĽberhaupt,  mit  einer  Tendenz  und  in  einer 
Manier,  die  am  meisten  an  J.  G.  Fichte's  „Wissenschafts- 
lehre" und  „Thatsachen  des  Bewusstseins"  erinnert.  Von 
dem,  was  man  in  dem  jĂĽngsten  Zeitalter  als  Erkenntniss- 
theorie zu  bezeichnen  pflegt,  ist  das  hier  Gebotene  durchaus 
vorschieden.  Der  Verfasser  sieht  völlig  ab  von  aller  äusseren 
Vermittelung  und  von  allem  besonderen  Gehalte  des  Erken- 
nens, ja  von  allen  einzebien  Formen  der  Erkenntnisstliätig- 
keit;  er  hat  es  ganz  allein  zu  thun  mit  der  reinen  Form  des 
Bewusstseins  als  solchen,  sofern  es  Subject  und  Object  seiner 
Thätigkeit  zugleich  ist,  imd  concentrirt  sich  ganz  auf  die 
Frage,  wie  diese  reine  Form  des  Bewusstseins  denkbar  ge- 
macht und  welcherlei  Erkenntniss  rein  aus  dieser  Form  und 
dem  im  reinen  Bewusstsein  vorgefundenen,  zu  ihm  gehörigen 
anschaulichen  Inhalt  gewonnen  werden  kann.  Eine  Analyse 
des  Phänomens  des  Bewusstseins  also  und  die  Zurückführung 
desselben  auf  seine  letzten  Elemente  bildet  den  eigentlichen 
Gegenstand  dieser  Darlegungen ;  der  Verf.  ist  d^r  Ueberzeugung, 
dass  auf  diesem  Wege  zugleich  und  nur  auf  diesem  Wege  das 
Problem  des  Verhältnisses  von  Sein  und  Erkennen  zu  lösen  sei. 
Denn  die  reine  Form  des  Bewusstseins  und  der  reine  Inhalt 
desselben  sind  im  Grunde  eins  und  dasselbe;  reines  Erkennen 
aber  kann  nur  solches  sein,  welches  das  Bewusstsein  unab- 
hängig von  aller  Erfahrung  und  allem  zufalligen  Bewusstseins- 
inhalt  rein  aus  seinem  eigenen  bleibenden  Wesen  schöpft. 


J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen.  3^ 

Der  Verfasser  steht  fest  zu  dem  Idealismus  Fichte's.  Nur 
das  Vorstellen  und  das  Ich  ist  ihm  unzweifelhaft,  das  Be- 
wusstsein  das  Letzte  und  UrsprĂĽngliche.  Die  Existenz  des 
eigenen  Ich  ist  fĂĽr  jeden  die  Thatsache  der  Thatsachen.  Die 
Frage  nach  der  Möglichkeit  und  dem  Wesen  der  Erkenntniss 
ist  deshalb,  da  nur  das  Sein  des  Ich  gewiss  ist,  eins  und 
dasselbe  mit  der  Frage,  wie  das  Ich  sich  selbst  setzen  könne; 
denn  alles  Nicht-Ich  kann  nur  aus  dem  Ich  begriffen  werden. 
Um  nun  dem  Ich  auf  die  Spur  zu  kommen,  knĂĽpft  der  Ver- 
fasser an  die  empirisch  gefundenen  und  aufgezählten  Formen 
des  Vorstellens  und  Urtheilens  an;  an  ihnen  weist  er  nach, 
was  unter  '  dem  Sein  zu  verstehen  sei.  Denn  alles  Sein 
stammt  nach  ihm  aus  dem  Vorstellen  und  ist  die  Form, 
welche  das  Vorstellen  seinemt  Inhalte  gibt.  Das  Wesen  des 
Urtheils  nun  ist  dies,  dass  die  Bestimmtheit,  die  es  dem  Dinge 
verleiht,  als  integrirendes  Glied  in  den  Begriff  des  Dinges  auf- 
genommen wird.  Indem  also  das  vorstellende  Bewusstsein 
im  Urtheilen  dem  Vorgestellten  eine  Bestimmtheit  als  gĂĽltig 
beilegt  oder  abspricht,  setzt  es  das  Vorgestellte  als  die  Ur- 
sache dieser  seiner  Bestimmtheit;  das  Sein,  welches  von  dem 
vorstellenden  Bewusstsein  dem  Vorgestellten  zugeschrieben 
wird,  erweist  sich  damit  als  die  Sixbstantialitat  und  Causalität 
selber.  Nothwendige  VerknĂĽpfung  aber,  wie  sie  in  solcher 
Causalität,  in  dem  Zusammenhange  zwischen  der  Substanz 
und  ihrer  Bestimmtheit  liegt,  kann  dem  Bewusstsein  nicht 
von  aussen  gegeben  sein,  sondern  muss  von  der  Spontaneität 
des  verständigen  Bewusstseins  in  dem  Gegebenen  hervor- 
gebracht werden.  Wird  somit  Sein,  Substantialität,  Causa- 
lität durch  das  Vorstellen  selbst  erzeugt,  so  kann  das  Seiende 
offenbar  nicht  ausser  dem  Vorstellenden  sein;  die  äusseren 
Dinge  sind  also  nicht,  sondern  scheinen  nur  zu  sein.  Nur 
das  Ich  ist,  und  das  Sein  des  Ich  ist  sein  Sichselbstproduciren. 
Jedes  Seiende  ist  ein  irgendwie  bewusstes,  denkendes  Wesen, 
und  dieses  sein  Denken  ist  das  objective  Gorrelat  zu  dem 
Denken  dessen,  der  es  denkt.  Das  Bewusstsein,  das  sich 
selbst  zum  Inhalte  hat,  ist  das  Letzte  und  UrsprĂĽngliche ;  kein 
Unbewusstes  liegt  hinter  dem  Bewusstsein,  so  dass  sich  dieses 
daraus  entwickeln   könnte.     Darin  nun  findet   der  Verfasser 

PhücMoph.  Monatsheft«  1861,  VI.  23 


364  J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen. 

den  Unterschied  seiner  Auffassung  des  Problems  von  firohereu 
begrĂĽndet.  Fichte  insbesondere  sah  die  Schwierigkeit  nicht 
sowohl  darin,  dass  das  Ich  sich  selbst,  als  vielmehr  darin, 
dass  das  Ich  das  Nicht-Ich  setzt,  und  kam  bei  dem  Gedanken 
an,  dass  das  ursprĂĽnglich  Seiende,  an  sich  bewusstlos,  sich 
erst  durch  seine  That  zum  Bewusstsein  emporarbeite.  Schel- 
ling  und  Hegel  femer,  welche  die  Elrkenntnisslehre  zur  Philo- 
sophie ĂĽberhaupt  erweiterten,  schilderten  den  Process  des 
Bewusstseins  als  Process  nicht  sowohl  im  endlichen  Ich,  als 
vielmehr  im  Absoluten;  die  Grundlage  bildete  hier  der  Be- 
griff oder  viebnehr  eine  intellectuelle  Anschauung  des  Abso- 
luten, in  welcher  der  Philosoph  miterlebt,  wie  das  Absolute 
aus  ursprünglicher  Abstractheit  sich  zu  äusserem  Dasdn  ent- 
faltet und  aus  diesem  zu  sich  selbst  kommt.  In  der  An- 
nahme einer  wirklichen  Existenz  der  materiellen  Dinge,  in 
der  Entwicklqng  des  Bewusstseins  aus  dem  UnBewussten,  in 
der  Beziehung  des  Problems  auf  das  Absolute  sieht  der  Ver- 
fasser die  fundamentalen  Mängel  der  Identitatsphilosophie. 
Aber  auch  in  der  Annahme  eines  blossen  Parallelismus  zwi- 
schen den  Formen  des  Seins  und  des  Denkens,  wie  sie  sich 
bei  manchen  Gegnern  der  Identitätsphilosophie  findet,  sieht  der 
Verfasser  nur  eine  Verschiebung  des  Problems.  Die  Au^abe 
ist  in  der  That  die,  die  Identität  Entgegengesetzter  zu  be- 
greifen; der  Gegensatz  aber  ist  nicht  der  von  Denken  und 
Sein,  sondern  von  Gedachtwerden  und  Sein.  Denken  und 
Sein  sind  dasselbe;  aber  die  Frage  ist,  wie  das  Gedachte 
sein  und  das  Seiende  gedacht  werden  kann. 

Das  Problem  liegt  also  in  dem  Produciren  des  Seins 
durch  das  Denken,  oder  da  das  Seiende  eben  das  Denkende 
ist,  in  dem  Begriff  eines  sich  durch  sein  Vorstellen  selbst 
producirenden  Ich.  Das  Räthsel  ist  das  der  causa  sui.  Um 
diesem  Räthsel  beizukommen,  zieht  der  Verfasser  wieder  seine 
Lehre  vom  ĂĽrtheil  heran.  Die  Bestimmtheit,  die  einer  Sub- 
stanz beigelegt  wird,  hat  ihre  GĂĽltigkeit  darin,  dass  sie  einen 
Widerstreit  zwischen  zwei  anderen  Bestimmtheiten  der  Sub- 
stanz aufhebt.  Auf  diese  Weise  nun  erhält  sich  auch  das 
Ich  mit  sich  identisch,  indem  es  zur  Ueberwindung  seiner 
inneren  Gegensätze  ein  Attribut  producirt,  durch  welches  es 


J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen.  355 

sich  zum  Ich  macht;  ein  Attribut  nämlich  ist  diejenige  Be- 
stimmtheft der  Substanz,  welche  derselben  immer  und  noth- 
wendig  zukommt  und  zur  Identität  der  Substanz  mit  sich 
selbst  erforderlich  ist,  während  die  anderen  Accidentien  De- 
terminationen der  Attribute  und  Ergänzung  veränderlicher 
Determinationen  sind.  Das  Attribut,  welches  das  Ich  produ- 
drt,  um  sich  in  dem  Gegensatze  seiner  als  des  Subjects  und 
seiner  als  des  Objects  in  Identität  mit  sich  zu  erhalten,  findet 
der  Verfasser,  indem  er  zu  der  anschaulichen  Form  des  zeit- 
lichen Verlaufes  greift.  Das  geforderte  Attribut  ist  die  zeit- 
liche Dauer  im  Sinne  der  activen  Selbstsetzung  des  Ich  von 
untheilbarem  Zeitmoment  zu  untheilbarem  Zeitmoment,  ein 
anfangloses  und  endloses  Produciren.  Das  Selbstproduciren 
des  Ich  ist  somit  seine  Selbsterhaltung,  das  Sein  des  Seien- 
den also  ein  ewiges  Werden,  welches  zugleich  in  jedem  Augen- 
blick vollendet  ist.  Der  Gegensatz  von  Subject  und  Object, 
der  zur  Substanz  des  Bewusstseins  gehört,  wird  in  dieser 
Weise  stetig  gesetzt,  um  stetig  aufgehoben  zu  werden;  das 
Ich  erzeugt  sich  in  seinem  thätigen  Verhalten  seine  Identität 
mit  sich  als  reale,  erfĂĽllte  Beziehung  seiner  auf  sich  selbst. 

Daran  ichliesst  sich  sogleich  ein  neues  Problem.  Damit 
wirkliche  Zeit  sei,  wird  ununterbrochene  Veränderung  erfor- 
dert; denn  leere  Zeit  wäre  gar  keine  Zeit.  Das  Subject  hat 
sich  deshalb  als  stetig  verändertes  zum  Object;  damit  aber 
erneuert  sich  der  Gegensatz  von  Subject  und  Object,  und  es 
wird  ein  zweites  Attribut  des  Seins,  eine  zweite  Kategorie 
erfordert,  um  diesen  Gegensatz  auszugleichen.  Diese  neue 
Synthese  aufzuzeigen,  verspart  sich  der  Verfasser  fĂĽr  eine 
dereinstige  Fortsetzung  seiner  Untersuchung;  es  scheint,  als 
finde  er  das  neue  Attribut  in  der  dem  Ich  wesentlichen 
Setzung  äusserer  Dinge.  Für  jetzt  unterninunt  er  nur  noch 
die  Möglichkeit  eines  reinen  Denkens  und  Erkennens  nachzu- 
weisen, welches  absehend  von  dem  im  Bewusstsein  vorgefun- 
denen Thatsächlichen  imd  Besonderen  die  Erkeimtniss  des 
Seienden  als  solchen,  des  Seienden  sofern  es  ist,  aus  dem 
reinen  Bewusstseinsinhalt  selber  schöpft. 

Reinen  Bewusstseinsinhalt  im  Gegensatze  zum  empirischen 
nennt  der  Verfasser   denjenigen,   der   dem  Bewusstsein   als 


ä56  J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen. 

solchem  zukommt,  den  allgemeinen,  im  zeitlichen  Verlaufe 
bleibenden  Inhalt,  während  der  empirische' Inhalt  d^  beson- 
dere ist,  welcher  im  zeitlichen  Verlaufe  kommt  und  geht. 
Der  empirische  Inhalt  ist  Determination  des  reinen,  und  dieser 
ist  immer  in  jenem  mitenthalten.  So  steckt  das  Ich-Bewusst- 
sein  schon  in  der  schwächsten  sinnlichen  Empfindung,  in  dem 
dumpfsten  GefĂĽhl  von  Lust  und  Schmerz.  Das  Ich  ist  in 
einem  und  demselben  zugleich  actives  Sichselbstwahrnehmen 
und  passives  Sichselbstempfinden;  in  seinem  Sichproduciren 
liegt  zugleich  das  Interesse  an  sich,  das  Sichbegehren  und 
SichfĂĽhlen,  die  Lust  an  der  steten  Befriedigung  des  Strebeos 
der  Selbstproduction  und  die  Unlust  an  der  Störung  und  Be- 
einträchtigung dieses  Strebens.  Das  Bewusstsein  ist  mithin 
ebenso  sejir  ein  praktisches  als  ein  theoretisches  Verhalten. 

Der  reine  Bewusstseinsinhalt  ist  zunächst  als  derjenige 
eines  individuellen  BeWusstseins  gefunden  worden ;  die  in  ihm 
liegende  Allgemeinheit,  welche  von  den  besonderen  Gestal- 
tungen des  empirischen  Inhalts  absieht,  weist  aber  ferner  auf 
ein  noch  Allgemeineres  hin,  auf  den  reinen  Inhalt  des  Be- 
wusstseins  als  solchen,  welches  nicht  melir  individuelles  Be- 
wusstsein ist,  wenn  es  auch  als  das,  was  allen  individuellen 
Ichs  gemeinsam  ist,  das  Moment  der  Individualität  als  ein 
nothwendiges  an  sich  hat.  Das  individuelle  Bewusstsein  ist 
in  jedem  Augenblicke  auf  ganz  bestinmite  Weise  detenninirt, 
und  diese  seine  Determination  ist  bedingt  durch  Dinge  ausser- 
halb des  Bewusstseins.  Es  bedarf  also,  um  determinirt  zu 
sein,  der  äusseren  Dinge,  und  ist  insofern  nicht  reines  Be- 
wusstsein; es  kann  ihm  nur  relative  Reinheit  zugeschrieben 
werden.  Schlechthin  reines  Bewusstsein  und  reiner  Bewusst- 
seinsinhalt ist  also  nur  als  das  allgemeine  Ich  zu  denken. 
Dass  die  Zeit  in  diesem  Sinne  zum  reinen  Inhalt  der  Ichheit 
gehört,  ist  vorher  dargelegt.  Der  Raum  kann  nicht  ebenso 
dazu  gehören,  weil  das  Ich  unräumlich  ist;  aber  es  könnte 
wohl  angenommen  werden,  dass  die  Setzung  äusserer  Dinge 
als  räumlicher  ein  Attribut  des  Ich  sei  und  somit  der  Raum 
als  Erzeugniss  eines  Attributes  des  Ich  mittelbar  zum  reinen 
Inhalt  gehöre.  Jedenfalls  ist  der  Raum  eine  Setzung  des 
Verstandes;    aber  da  sich   ein  Bewusstsein   auch  ohne  sinn- 


J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen.  357 

liehe  Empfindung  und  mithin  ohne  Veranlassung  zu  räum- 
licher Deutung  derselben  denken  lässt,  so  braucht  der  Raum 
auch  als  Werk  der  Spontaneität  deshalb  doch  nicht  reiner 
Bewusstseinsinhalt  zu  sein.  *  Und  was  endlich  die  Kategorien 
anbetrifft,  so  stellen  sie  einen  reinen  Inhalt  des  intellectueUen 
Bewusstseins  dar,  welcher  zugleich  die  Momente  der  reinen 
Form  der  Gegenständlichkeit  überhaupt  bildet.  Sie  sind  zu 
fassen  gleichsam  als  Projectionen  von  Momenten  des  Ich  in 
die  Gegenständlichkeit  hinein. 

Damit  hat  sich  der  Verfasser  den  Weg  gebahnt,  um 
schliesslich  von  dem  reinen  oder  apriorischen  Erkennen  zu 
handeb,  das  ebenso  aus  der  Betrachtung  des  Begriffs  der 
Sache  gewonnen  werde,  wie  das  aposteriorische  Erkennen 
aus  der  Betrachtung  der  Sache  selber,  und  das  zugleich  syn- 
thetischer Natur  sei,  indem  es  zu  dem  Begriff  der  Sache  ein 
neues  Moment  hinzufĂĽge.  Das  Problem  ist  nun,  wie  die  Er- 
fahrung ĂĽber  den  Begriff  einer  Sache  nicht  blos  das  Mitdenken 
eines  neuen  Prädicates,  sondern  auch  die  Rechtmässigkeit 
dieses  Mitdenkens  ergeben  könne.  Nach  den  früheren  Er- 
örterungen kann  dies  nur  so  geschehen,  dass  das  neue  Prä- 
dicat  zur  Identität  der  Sache  mit  sich  selbst  gehört,  indem 
durch  dasselbe  ein  Gegensatz,  der  in  der  Sache  liegt,  auf- 
gehoben wird.  In  der  Natur  vernĂĽnftiger  Wesen  liegt  offen- 
bar ein  Hinderniss,  die  entgegengesetzten  Momente  immittel- 
bar zu  vereinigen ;  deshalb  kann  nicht  die  Erfahrung,  sondern 
nur  die  Reflexion  auf  den  Begriff  der  Sache  die  Setzung  des 
Prädicats  rechtfertigen.  Im  Bewusstsein  des  vernünftigen 
Wesens  gibt  es  einen  reinen  Inhalt  als  das  im  Gegensatze  zu 
sich  Identische,  und  damit  die  Möglichkeit,  zunächst  den 
Gegensatz  im  Begriffe  durch  blosse  Reflexion  auf  den  Begriff 
zu  erkennen.  Ob  nuif  der  Begriff  des  Bewusstseins  vernĂĽnf- 
tiger Wesen  mit  dem  allgemeinen  Begriff  des  Bewusstsems 
einerlei  oder  nur  der  Begriff  eines  besonderen  Bewusstseins 
ist;  ob  demnach  nur  das  Seiende  als  solches,  das  ganz  all- 
gemeine Ich,  ein  Gegenstand  apriorischer  Erkenntniss  ist,  oder 
ob  es  auch  eine  apriorische  Erkenntniss  von  dem  gibt,  was 
allen  vernĂĽnftigen  Wesen  im  Besonderen  gemeinsam  ist;  ob 
es  also  apriorische  Erkenntniss  nur  metaphysischer,  oder  auch 


358  J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen. 

logischer  und  ethischer  Art  gibt:  darĂĽber  will  der  Verfasser 
ai^  dieser  Stelle  nicht  entscheiden.  Um  ferner  das  den  Gegen- 
satz ausgleichende  Prädicat  zu  finden,  hat  man  alles  das  zu 
durchmustern,  was  man  mitdenkt,  wenn  man  Seiendes  denkt, 
um  darunter  das  Passende  herauszufinden.  Denn  die  aprio- 
rische Erkenntniss  beruht  auf  der  Anschauung,  auf  der  intel- 
lectueUen  Anschauung,  die  das  Ich  von  der  Ichheit  hat;  der 
Begriff  stammt  aus  der  Anschauung  und  kann  nur  durch 
Anschauliches  ergänzt  werden;  synthetische  ürtheile  a  priori 
sind  nur  möglich  als  Bestimmung  des  Begriffes  durch  die 
Anschauung.  Das  Intelligible  ist  keineswegs  von  dem  Induc- 
tiven  getrennt,  nicht  ausschliesslich  dem  discursiven  Denken 
angehörig.  Es  ergibt  sich  also,  dass  apriorische  Erkenntniss 
als  Erkenntniss  aus  dem  Begriff  der  Sache  nur  duirch  philo- 
sophisches Denken  hervorgebracht  wird.  Freilich  tragen  auch 
andere  Erkenntnisse,  z.  B.  die  ton  der  Erfahrung  unabhän- 
gigen und  doch  nicht  auf  reiner  Begriffszergliederung  beruhen- 
den Sätze  der  Geometrie,  verwandten  Charakter.  Aber  weil 
sie  doch  nicht  eigentlich  durch  freie  PrĂĽfung  des  geistigen 
Inhaltes  gewonnen  werden,  der  Geist  vielmehr  dabei  einem 
unbegriffenen  Zwange  seiner  Natur  folgt,  so  erweisen  sie  sich 
eben  darin  als  Anticipationen  apriorischer  Erkenntniss,  welche 
bestimmt  sind,  BesitzthĂĽmer  der  Philosophie  erst  noch  zu 
werden. 

Wir  haben  versucht,  in  möglichst  gedrängter  üebersichl 
diejenigen  Wendungen  der  Untersuchung  nachzuzeichnen,  die 
uns  als  die  hauptsächlichsten  erscheinen,  und  diejenigen  Resul- 
tate hervorzuheben,  in  denen  uns  das  vorwiegende  Interesse 
des  Buches  zu  liegen  scheint.  Dass  wir  darin  die  Intention 
des  Verfassers  überall  getreu  wiedei^egeben  haben,  können 
wir  nicht  verbĂĽrgen.  Der  Verfasser  hat  es  dem  Leser  nicht 
leicht  gemacht,  ihm  zu  folgen;  allerdings  muss  ihm  zugestan- 
den werden,  dass  er  sich  auch  selbst  seine  Aufgabe  nicht 
leicht  gemacht  hat.  Vielfache  Anknüpfungen  erörternder  und 
widerlegender  Art,  besonders  an  Kant,  hemmen  den  Gang 
der  Untersuchung  mehr,  als  sie  ihn  fordern.  Es  ist  schwer, 
sich  in  den  Sprachgebrauch  des  Verfassers  hineinzufinden,  zu 
sehen,  was  er  unter  Wörtern  wie  z.  B.  Ding  oder  Begriff  verstah- 


^ 


J.  Bergmann:  Sein  und  Erkennen.  359 

den  wissen  will.    In  dieser  Fülle   von  Erörterungen  werden 
Verschiedene  von  Verschiedenem  sich  am  meisten  angezogen 
fĂĽhlen.  FĂĽr  uns  hat  unter  den  EinzelausfĂĽhrungen  besondere 
Anziehungskraft   die  siegreiche    und  grĂĽndliche  Widerlegung 
der  Lehre  vom  inneren  Sinn,    der  als  trĂĽbendes  Medium  die 
Selbstwahmehmung  des  Ich  von  seinen  Zuständen  und  Thä- 
tigkeiten  verfalschen  soll  (S.  41 — 44),    und   die  Darstellung 
der  Grundformen  des  Skepticismus  (S.  114 — 120).   Für  Jeden, 
der  nicht  in  dem  Dogmatismus   des  Sinnenscheins   und  der 
äusseren  Erfahrung  allzufest  befangen  ist,  wird  die  Denkweise 
des  Verfassers   notbwendig   sehr  viel  Sympathisches  haben; 
freilich  ohne  Bedenken  und  Restrictionen  wird  ihm  nicht  leicht 
Jemand  zustimmen.    Unseren  Dissensus   im  Einzelnen  darzu- 
legen und  zu  begrĂĽnden,  davon  sehen  wir  ab.    Wir  mĂĽssten 
dafĂĽr,   auch  wenn  wir  uns  auf  das  KĂĽrzeste  zu  fassen  ver- 
suchten, einen  ungebĂĽhrlich  grossen  Raum  in  Anspruch  neh- 
men, und  bei  alle  dem  wĂĽrden  wir  immer  noch  einem  in  sich 
geschlossenen  Gedankenbau  kaum  mehr  als  Aphorismen  ent- 
gegenstellen kennen,    womit  Niemand   gedient  wäre.    Unser 
hauptsächlichstes   Bedenken,    das   wir    eben    nur   andeuten 
wollen,   liegt  darin,   dass  der  Verfasser   nicht  genĂĽgend  be- 
achtet zu  haben  scheint,  dass  der  sichere  Ausgangspunkt  aller 
Lehre  vom  Erkennen  nicht  die  Selbstgewissheit  des  Bewusst- 
seins  ĂĽberhaupt,   sondern  nur  die  Selbstgewissheit  des  den- 
kenden  Bewusstseins    sein    kann.     Die    Unterschiede    des 
Wahmehmens,   Vorstellens,    Denkens  verschwimmen  unserer 
Meinung  nach  zu  sehr  in  der  vorliegenden  Untersuchung ;  da- 
her scheint  es  uns  zu  kommen,  dass  das  Object  des  Bewusst- 
seins beim  Verfasser  zu  sehr  nach  Analogie  des  Dinges  der 
äusseren  Wahrnehmung  gedacht  wird.  Wir  meinen,  dass  das 
Anschauliche   in   d^  Begriff,    nicht  der  Begriff  in  die  An- 
schaulichkeit aufzuheben  ist,  und  halten  es,  indem  wir  das  den- 
kende Bewusstsein  als  die  Thatsache  der  Thatsacben  ansehen, 
nicht  blos  fĂĽr  gerecljtfertigt,  sondern  fĂĽr  geboten,  den  Process 
schliesslich  als  Process  im  Absoluten  auÂŁsufassen.   Es  kommt 
dazu,  dass  wir  die  Lehre  vom  Urtheil,  wie  sie  vom  Verfasser 
ä^ebildet  ist,   uns  anzueignen  nicht  im  Stande  sind.    Aus 
dem  blossen  Wortlaut  oder  gar  aus  einer  schematischen  Form 


Ă„ 


360  H.  Steinthal:  (lesaminelte  kleine  Schriften. 

wie  „S  ist  P",  lässt  sich  über  den  Sinn  des  ürtheils  gar 
nichts  folgern.  Das  Urtheil  bekommt  seine  Bedeutung  erst 
durch  den  Zusammenhang  der  Rede  und  durch  seine  Zuge- 
hörigkeit zu  den  Gedanken  des  ürtheilenden.  Derselbe  Wort- 
laut bezeichnet  an  verschiedener  Stelle  die  verschiedensten 
logischen  Operationen.  Am  allerwenigsten  wĂĽrden  wir  zu- 
geben, dass  das  Determiniren  im  ĂĽrtheil  jedesmal  die  Bedeu- 
tung eines  nothwendigen  Zusammenhanges  zwischen  dem 
Subjectsbegriflf  und-  der  ihm  beigelegten  Bestimmung  habe; 
die  Consequenz  davon  mĂĽsste  eine  Art  von  logischem  Fata- 
lismus sein.  Wenn  ferner  der  Gegensatz  von  Subject  und 
Object  durch  die  ZuhĂĽlfenahme  der  Anschauungsform  der 
zeitlichen  Succession  aufgehoben  werden  soll,  so  scheint  uns 
damit  nur  ein  anderer  ebenso  schwieriger  Gegensatz  an  die 
Stelle  des  ursprĂĽnglichen  gesetzt  zu  sein ;  denn  das  Continuir- 
liche  ist  in  keiner  Weise  leichter  denkbar  als  das  Subject- 
Object.  Dass  aber  den  materiellen  Dingen  schlechterdings 
und  in  jedem  Sinne  die  Existenz  abgesprochen  wird,  scheint 
schwer  vereinbar  mit  der  Thatsache  eines  sinnlichen  Bewusst- 
seins,  das  unter  gleichen  Bedingungen  fĂĽr  alle  Ichs  die  gleichen 
inneren  Zustände  und  Reactionen  auf  erfahrene  Reize  zeigt 
So  könnten  wir  noch  lange  fortfahren;  es  ist  aber  besser, 
wir  schliessen  endlich  mit  dem  Ausdrucke  des  Respects  vor 
der  energischen  Gedankenarbeit  des  Verfassers,  von  welcher 
er  auch  in  dem  vorliegenden  Buche  reichliche  Beweise  gelie- 
fert hat.  Von  der  Fortsetzung  seiner  Untersuchung  ist  sicher 
die  Aufhellung  mancher  Punkte  zu  erwarten,  die  bisher  noch 
dunkel  geblieben  sind ;  um  so  mehr  wird  sie  dem  lebhaftesten 
Interesse  Derjenigen  begegnen,  die  dem  Verfasser  in  seine 
Regionen  nachzuklimmen  die  Neigung  und  das  Vermögen  haben. 

Berlin.  *    A.  Lasso  n. 


Gesammelte  kleine  Schriften  von  H.  Steinthal.  I.  Sprachwissen- 
schaftliche Abhandlungen  und  Recensionen.  Berlin,  Ferd. 
DĂĽmmler,  1880.  (450  S.)  8^ 

Recensionen  und  sprachwissenschaftliche  Abhandlungen  von 
vor  20  und  30  Jahren  werden  im  Allgemeinen  heute  nur  dann 
noch  Interesse  beanspruchen  und  erregen  können,  wenn  sie  durch 


H.  Steinthal:  Gesammelte  kleine  Schriften.  361 

ihre  innere  Bedeutsamkeit  oder  durch  den  Reiz  der  Dar- 
stellung fesseln,  oder  endlieh  Fragen  berĂĽhren,  die  noch 
immer  nicht  als  abgeschlossen  zu  betrachten  sind.  Als 
solche  werden  manche  der  in  diesem  Bande  dargebotenen 
Recensionen  und  Abhandlungen  angesehen  werden  dĂĽrfen. 

Steinthal's  Schreibweise  ist  bekannt.  Der  unermessliche 
Sprachstoff,  den  er  mit  voller  Freiheit  beherrscht  und  das 
Streben,  alle  sprachlichen  Erscheinungen  vom  philosophischen 
Standpunkte  aus  aufzufassen  und  darzustellen,  verfĂĽhren  ihn 
—  der  doch  gut  zu  schreiben  versteht,  —  gar  oft  zu  selt- 
samen Verklausulierungen  (pag.  287)  und  gewundenen  Rede- 
formen, die  Niemand  leichter  vermeiden  könnte,  als  er.  Da- 
zu kommt  häufig  die^  Anwendung  so  zahlreicher  Fremdwörter, 
dass  viele  Sätze  sich  kaum  als  deutsch  lesen  (p.  287),  keinen- 
falls  sich  leicht  lesen  lassen,  sowie  die  stark  raisonnirende 
Behandlung  aller  Stoffe,  die  ihn  oft  weit  abfĂĽhrt  von  der 
eigentlichen  Frage  (p.  290),  wenigstens  für  den  gewöhnlichen 
Leser,  was  noch  verstärkt  wird  durch  die  Liebhaberei,  fort- 
während Parallelen  aus  den  Naturwissenschaften  aufzusuchen 
und  mit  behäbiger  Breite  auszubauen. 

Der  Inhalt  des  vorliegenden  Buches  bietet  in  seiner  bun- 
ten Reichhaltigkeit  gar  vieles  Schöne,  das  gern  wieder  gelesen 
werden  mag,  während  manches  Fragmentarische  (p.  286) 
weiterer  Ausarbeitung  hätte  aufgespart  bleiben  können.  Von 
den  Recensionen  haben  viele  dadurch  noch  heute  Werth, 
dass  sie  St.'s  eigene  Anschauungen  in  reicher,  meistens  höchst 
gediegener  AusfĂĽhrung  enthalten.  Eine  der  lesenswerthesten 
scheint  uns  p.  296  „Ursprung  des  Indogermanischen" 
(zu  Georg  Curtius,  Zur  Chronologie  der  indogermanischen 
Sprachforschung,  1867)  zu  sein.  Bei  manchen  freilich  hätte 
die  breite  Entwickelung  seiner  eigenen  Theorien  immerhin 
einige  Einschränkung  erleiden  dürfen. 

Unter  den  Abhandlungen  betrachten  wir  als  eine 
hervorragende  Leistung  die  „Zur  Sprachphilosophie",  in 
welcher  St.  so  recht  auf  seinem  eigensten  Gebiete  steht  und 
in  zwei  Abschnitten  „Ueber  Apperception"  ;(p.  47—69)  und 
„Ueber  die  Vorstellung  und  die  Verdichtung  des 
Denkens"  (70—97),  auf  Grund  der  Herbart'schen  Psychologie 


962  H.  Steinthal:  GeBammelte  kleine  Schriften. 

in  schöner  gedankenreicher  Weise  diese  schwierigen  und 
tiefen  Probleme  durchforscht  und  den  Leser  zum  Selbstdenken 
anregt. 

Als  die  beste  seiner  Abhandlungen  sehen  wir  die  „Von 
der  Liebe  zur  Muttersprache"  (p.  97)  an.  Hier  erhebt 
sich  St.  zu  so  freier  edler  Rede,  dass  wir  ihm  mit  Bewunde- 
rung in  seinen  AusfĂĽhrungen  gefolgt  sind.  Der  Schluss  dieses 
Aufsatzes,  der  „das  geist-  und  gemäthverwirrende  Bonnen- 
Wesen"  bespricht,  möge  Eltern  warm  empfohlen  sein,  die 
ihre  Kinder  (leider!)  oft  zu  frĂĽh  in  fremden  Sprachen  unter- 
richten lassen.  Zu  der  Bemerkung,  dass  die  alten  Griechen 
kein  Wort  für  Muttersprache  besassen,  hätte  billig  hinzu- 
gefĂĽgt werden  sollen,  dass  nach  ihren  damaligen  Culturver- 
hältnissen  die  Sprache  ihnen  eben  nur  als  die  ncetgua 
yhaaaa  erscheinen  konnte,  ebenso  wie  f^  TtcerQtQ  als  die  TtaiQtia 
{natQux)  y^.  Dem  Neuhellenen  ist  sie  seit  dem  frĂĽhesten 
Mittelalter   ebenso   gut   wie   auch   uns   die   geweihte  heilige 

Sollen  wir  nun  auch  etwas  tadeln,  so  ist  es  die  seltsame 
Weise,  in  welcher  St.  von  der  Sprache  spricht,  als  wäre  sie 
ein  Naturkörper,  der  mit  Willen,  Neigung  und  Abneigung 
und  sonstigen  Energien  nach  vielen  Richtungen  bih  ausge- 
rüstet ist  (97  und  oft).  Da  Delbrück  in  seiner  „Einleitung  in 
das  Sprachstudium"  ĂĽber  diese  veraltete  Bopp'sche  Ausdrucks- 
weise sehr  zutreffend  sich  äussert,  so  möge  der  betreffende 
Passus  hier  angefĂĽhrt  sein.  Es  heisst  daselbst  pag.  14: 
„Neben  dieser  Erklärung  durch  Zusanmiensetzung  wird  gele- 
gentlich eine  andere,  die  symbolische,  angewendet  So 
heisst  es  ĂĽber  den  Dual:  Der  Dual  liebt  ...  .  die  breite- 
sten Endungen  (Vgl.  Gr.  §  206).  Das  Gleiche  gilt  vom  Femi- 
ninum, welches  im  Sanscrit  .  .  .  eine  ĂĽppige  FĂĽlle  der  Form 
liebt"  (§  113);  und  pag.  18:  „Man  sieht  .  .  .  dass  Bopp 
sich  die  Sprache  als  eine  Art  von  Naturkörper  vorstellt. 
Dieses  Wort  gebraucht  er  geradezu  Vocalismus  S.  1:  „Die 
Sprachen  sind  als  organische  Naturkörper  anzusehen,  die 
nach  bestimmten  Gesetzen  sich  bilden,  ein  inneres  Lebens- 
prinzip in  sich  tragend,  sich  entwickeln  und  nach  und  nach 
absterben,  indem   sie,    sich  selber  nicht  mehr  begrei- 


Fred.  Pollock:  Spinosa.  363 

fend,  die  ursprängKch  bedeutsamen,  aber  nach  und  nach  zu 
einer  mehr  äusserlicheii  Masse  gewordenen  Glieder  oder 
Formen  ablegen,  oder  verstĂĽm'meln  oder  missbrau- 
chen, d.  h.  zu  Zwecken  verwenden,  wozu  sie  ihrem  Ur- 
sprĂĽnge nach  nicht  geeignet  waren/* 

„Dieser  Satz,  so  fährt  D.  fort,  führt  nach  zwei  Richtun- 
gen weiter.  Zunächst  mochte  ich  die  Aufmerksamkeit  des 
Lesers  auf  die  Bemerkung  lenken,  dass  die  Sprache  im  Laufe 
der  Zeit  sich  selbst  nicht  mehr  begreife.  Es  wird  damit  der 
Sprache  geistige  Thätigkeit  zugeschrieben  und  von  ihr  ge- 
sprochen, als  ob  sie  ein  denkendes  Wesen  sei.  Diese  Aus- 
drucksweise ist  nicht  vereinzelt.  An  andern  Stellen  redet 
Bopp  von  dem  Geist  oder  Genius  der  Sprache  und  erkennt 
in  ihrem  Verfahren  gewisse  Tendenzen  und  Absichten. 
Manchmal  wird  auch  ...  die  einzelne  Form  wie  ein  denken- 
des Wesen  angesehen.  So  heisst  es  (Vgl.  Gr.  *  S.  516),  der 
slawische  Stamm  sjo  sei  sich  „seiner  aus  der  Urperiode  der 
Sprache  ĂĽberlieferten  Zusammensetzung  nicht  mehr  be- 
wusst.**  Diese  Wendungen  sind  Bilder  und  zwar  sehr 
naturliche,   und  wahrscheinlich  wärde  Bopp,  wenn  man  ihn 

I 

darauf  aufmerksam  gemacht  hätte,  zugestanden  haben,  dass 
in  Wahrheit  diese  Seelenthätigkeiten  nicht  in  der  Sprache, 
sondern  in  den  einzelnen  Menschen  sich  vollziehen,  aber  es 
ist  richtig,  hier  auf  die  Anfange  einer  Anschauungsweise  auf- 
merksam zu  machen,  die  sich  bei  Schleicher  (und  fugen 
wir  hinzu  bei  Steinthal)  bis  zu  einer  bewussten  Hyposta- 
sirung  des  Begriffes  gesteigert  hat.** 

Bonn.  Aug.  Boltz. 


Spiiuna.    His  life  and  philosophy  by  Fred.  PoĂĽock,  barrister 

at  law,   late  fellow  of  Trinity  College  Gambr.  and  honor. 

doctor    of    laws    of   the   Univ.    of  Edinburgh.      London, 

C.  Kegan  Paul  et  Co.     1880.    (XLII,  467  S.)    8^ 

Dies    mit    grossem   Talent    und   grĂĽndlicher    Kenntniss 

seines  Gegenstandes  geschriebene  Werk  ist   dazu  bestimmt, 

wie  der  Verfasser  sich  ausdrückt,    „englischen  Lesern  einen 

einigermassen  (fairly)  vollständigen  Bericht  über  Leben   und 

Lehre  des  Philosophen  zu  geben,  —  in  erster  Linie  allerdings 


364  Fred.  Pollock:   Spinoza. 

solchen  Lesern,  die  aus  dem  Gegenstande  kein  specielles  Stu- 
dium gemacht  haben ;  demnächst  aber  auch  denjenigen,  welche 
Spinoza  schon  aus  erster  Hand  kennen  und  selbst  kritisch 
sich  um  ihn  bemĂĽhen."  Den  ersten  dieser  Zwecke,  englische 
Leser  mit  Spinoza  näher  bekannt  zu  machen,  ist  Herrn  Pol- 
lock's  Werk  in  hohem  Maasse  zu  erfĂĽllen  geeignet;  es  wird 
sogar  manchen  bisherigen  Gegner  fĂĽr  den  auch  in  England 
noch  immer  viel  verkannten  und  geschmähten  Philosophen 
gewinnen,  da  es,  durchweg  von  warmer  Verehrung  fĂĽr  diesen 
getragen,  eine  Art  apologetischer  und  nicht  selten  encomia- 
stischer  Interpretation  fesselnd  durchzufĂĽhren  weiss.  Was 
jedoch  den  andern  Zweck,  das  wissenschaftliche  Verständniss 
Spinoza's  zu  fördern,  angeht,  so  möchte  dieser  von  dem  ge- 
ehrten Verfasser  nicht  in  gleichem  Maasse  erreicht  werden. 
Denn  zeigt  sich  derselbe  auch  ĂĽberall  als  einen  lebendigen 
und  scharfblickenden  Denker,  der  den  Gegenstand  auf  seine 
Art  wohl  zu  fassen  und  zu  behandeln  versteht,  so  kann  Ref. 
doch  nicht  umhin  zu  finden,  dass  Herr  Pollock  zu  sehr  von 
dem  gegenwärtig  in  England  herrschenden  Empirismus,  Psy- 
chologismus und  Evolutionismus  befangen  ist,  um  dem,  ganz 
anderen  Grundprincipien  huldigenden  Spinoza  gerecht  werden 
zu  können.  Durch  die  Brille  Jungenglands  angesehen  erscheint 
hier  die  alte  Riesengestalt  aus  dem  siebzehnten  Jahrhun- 
dert wie  in  fremder  Beleuchtung  und  gleichsam  zusammen- 
geschrumpft. Wenn  der  Verfasser  —  beispielsweise  —  in 
Spinoza's  göttlichem  ürwesen,  welches  Alles  ist,  in  jener 
„Substanz  mit  den  unendlichen  Attributen,  deren  jedes  eine 
ewige  unendliche  Wesenheit  ausdrĂĽckt",  nur  die  abstracte 
Naturgesetzlichkeit  erblickt,  wenn  er  Spinoza's  „intellectuelle 
Liebe  zu  Gott"  eben  nur  als  das  Eingehen  auf  diese  Natur- 
Ordnung  verstanden  wissen  will,  wenn  er  in  den  „ewigen 
Modi"  —  Spinoza  meint  damit  die  essentiae  rerum  als  ewige 
Ideen  Gottes,  wie  dies  schon  Lessing  erkannt  hatte  —  nur 
die  Bewegung  und  die  Welt  des  Stoffes  findet,  so  wird  man 
nicht  umhin  können  zu  behaupten,  dass  seine  Auffassung 
auch  in  wichtigen  Punkten  ihrem  Gegenstande  nicht  immer 
gerecht  zu  werden  vermocht  habe.  Nichtsdestoweniger  muss 
anerkannt   werden,    dass    Herr   Pollock    seine    Leser  in  die 


\ 


•■ 


Fred.  PoUock:  Spinoia.  v  365 

Gedankenwelt  Spinoza's  einzufĂĽhren  ernstlich  bestrebt  ist,  und 
wo  ihn  nicht  vorgefasste  Meinungen  hindern,  auch  wirklich 
einfĂĽhrt.  Er  erreicht  dies  besonders  auch  dadurch,  dass  er 
seinen  Expositionen  nicht  selten  längere  oder  kürzere  Stellen 
wichtigen  Inhalts  aus  des  Philosophen  Schriften  in  wörtlicher 
Uebersetzung  hinzugefĂĽgt  hat. 

Der  Auslegung  des  Systems  selbst  sind  vorausgeschickt 
zuerst  eine  Einleitung,  welche  die  Literatur  ĂĽber  Spinoza  zwar 
nicht  vollständig  behandelt,  was  sie  auch  nicht  beabsichtigt, 
jedoch  das  Wesentliche  geschickt  zusamnienfasst;  eine  sehr 
unterrichtende  detaillirte  Darstellung  des  Lebens  und  derCor- 
respondenz  des  Philosophen,  sowie  eine  Untersuchung  ĂĽber 
die  Quellen  seiner  Lehre.  In  letzterer  Beziehung  unterscheid 
det  Herr  Pollock  ganz  richtig  bei  Spinoza  das  judaistische, 
neuplatonische  Element  von  dem  Cartesianismus :  aus  dem 
ersteren  leitet  er  die  theologische,  nach  Pantheismus  und 
Mystik  neigende  Seite  der  Weltanschauung  Spinoza's  ab,  aus 
dem  letzteren  die  physikalische  und  psychologische  Theorie 
desselben.  Er  hätte  sich  nur  von  dieser  gewiss  zutreffenden 
Grundansicht  aus  auch  bewusst  bleiben  sollen,  dass  Spinoza 
den  damit  gegebenen  Gegensatz  von  Transscendentalismus 
und  Naturalismus  in  seinem  System  mehr  verdeckt,  als  inner- 
lich ĂĽberwunden  habe.  Uebrigens  erkennt  der  Verfasser  den 
Einfluss  Bruno's  auf  die  Genesis  des  Systems  Spinoza's  an 
und  bezeichnet  vortrefflich  die  Umbildung,  welche  dieser  mit 
der  Psychologie  Descartes*  vorgenommen  hat.  In  der  Expo- 
sition  der  Lehre  Spinoza's  selbst  beginnt  er  mit  der  Methodik, 
welche  an  der  Hand  des  Tractatus  de  emendatione  int.  dar- 
gelegt wird;  das  System  selbst  wird  den  fĂĽnf  BĂĽchern  der 
Ethik  entsprechend  in  fĂĽnf  Kapiteln  abgehandelt,  welche  cha- 
rakteristisch die  Ueberschriften  haben:  1)  von  der  Natur  der 
Dinge  (statt  de  deo),  2)  Leib  und  Seele  (statt  de  natura  et 
origine  mentis),  3)  die  Natur  des  Menschen  (statt  de  origine 
et  natura  affectuum),  4)  die  Knechtschaft  des  Menschen,  5)  die 
Befreiung  des  Menschen.  Was  nun  die  Lehre  von  der  gött- 
lichen Substanz  angeht,  so  genĂĽge  die  Bemerkung,  dass  der 
Verfasser  dieselbe  zwar  im  Allgemeinen  mehr  vom  naturali- 
stischen Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  gleichwohl  aber  nicht 


366  Fred.  PoUoek:  Spinoza. 

umhin  kann,  auch  ihre  idealistischen  Consequenzen  in  Erwä- 
gung zu  ziehen,  wie  aus  mehr  als  einer  seiner  Bemerkungen 
hervorgeht.    Um  so  weniger  war  denn  auch  der  Satz  aufzu- 
stellen, dass  Spinoza  zwar  die  Theologie  nicht  ignorire,  aber 
eine  Euthanasie  fĂĽr  sie  bereite,  indem  er  die  speculative  Theo- 
logie  in  Philosophie   aufgehen   lasse.    Von  Spinoza   ist  die 
Theologie  gerade  speculativ  behandelt,  nicht  aber  in  natura- 
listischen Atomismus  zerstäubt  worden,     hi  der  psychologi- 
schen Betrachtung  fĂĽhrt  Herr  Pollock  die  Lehre  des  von  Spi- 
noza aufgestellten  Parallelismus,  dem  dieser  wohl  hauptsächlich 
die  Gunst  heutiger  Psychologisten  zu  verdanken  scheint,  im 
Näheren  durch,  macht  jedoch  auch  auf  die  sich  dabei  aufdrän- 
genden Schwierigkeiten  aufmerksam.     Was  aber  das  Prindp 
der  Selbsterhaltung  anbetrifft,   von  dem  der  Verfasser  sagt, 
dass  Spinoza  es  von  Descartes  ĂĽbemommnn  habe,  ohne  sich 
um  andere  Vorgänger  zu  bekümmern,  so  möchte  Ref.  doch 
in  dieser  Hinsicht  noch  an  Hobbes  erinnern,  welcher  dasselbe 
in  ganz  ähnlichem  Sinne,  wie  Spinoza,  zum  Fundamait  der  ethi- 
schen Betrachtung  gemacht  hat  und  dessen  Affectenlehre  nebst 
ethischer  Theorie  so  ungemein  viel  BerĂĽhrungspunkte  mit  der 
Spinoza's  zeigt,   dass  mau  wohl  einen  Zusammenhang  beider 
annehmen  muss,  wie  ein  solcher  ja  fĂĽr  die  politische  Doctrin 
auch  schon  anerkannt  ist.   Jedenfalls  darf  angenommen  wer- 
den, dass  die  Vergleichung  Spinoza's  mit  Hobbes  weiter  fĂĽhrte 
als  mit  Mr.  Herbert  Spencer,    dessen  Meinungen  in  Spinoza 
hineinzuinterpretiren  ein  fruchtloses  BemĂĽhen  ist    Dass  Hen 
PoUock  kein  grösseres  Gewicht  auf  die  Beziehung  bdder  Phi- 
losophen zu  einander  (ich  meine  Spinoza  und  Hobbes)  gelegt 
hat,  erscheint  um  so  wunderbarer,   als  er  doch  die  Verglei- 
chung des  ersteren  mit  den  Stoikern  bald  nachher  so  gut 
durchfĂĽhrt.   Eines  der  interessantesten  Kapitel  ist  sodann  das, 
welches  von  Spinoza's  Politik  handelt   (the  Citizen  and  the 
State),  während  sich  Ref.  mit  der  Auffassung  des  Verfassers 
hinsichtlich  der  Ethik  Spinoza's  nur  halb  und  halb  einver- 
standen  erklären   kann.    Gibt   sich  doch  Herr  Pollock   alle 
Mühe,    die  von  Spinoza  »von  der  Körte Verhandeling  an  bis 
zum  fĂĽnften  Buch  der  Ethik  auf s  Deutlichste  ausgesprochene 
Unsterhlichkeitslehre  und  dessen   allerdings,  wenn  man  will, 


Fred.  PoUoek:  Spinoza.  367 

mystisches  Ideal  von  der  Bestimmung  des  Menschen  durch 
kĂĽhne  Auslegung  wegzuschaffen.  Wie  wenig  stimmt  dies  zu 
Spinoza's  wahrer  Gesinnung!  Was  aber  den  Abschnitt  „Spi- 
noza and  Theology"  angeht,  so  macht  dieser  mehr  den  Ein- 
druck eines  void  Standpunkte  des  heutigen,  mit  seiner  esta- 
blished  church  unzufriedenen  englischen  Radicalen  geschrie- 
benen Pamphlets  als  einer  objectiven  Darlegung  der  theolo- 
gisch kirchlichen  Gesichtspunkte  Spinoza's,  welcher,  wie 
doch  Herr  Pollock  ganz  richtig  hervorhebt,  fĂĽr  die  grosse, 
zum  freien  Denken  unfähige  Masse  allerdings  positive  Dogmen 
fordert.  Das  letzte  Kapitel  des  Werkes,  Spinoza  and  modern 
thought,  gibt  eine  kurze  Uebersicht  der  Schicksale  der  Spino- 
zaischen Philosophie,  wobei  von  ihrer  nächsten  Wirkung  in 
den  Niederlanden  begonnen  und  nach  einer  kurzen,  wenig 
zutreffenden  Bemerkimg  über  das  Verhältniss  Leibnizen's  zu 
Spinoza  der  allgemeine  Einfluss,  welchen  sie  seitdem  auf  das 
europäische  Denken  ausgeübt  hat,  in's  Auge  gefasst  ist.  Nach 
einigen  recht  interessanten  Notizen  ĂĽber  die  Beurtheilung  Spi- 
noza's Seitens  englischer  Philosophen  wird  dessen  Wiederbele- 
bung durch  Lessing  hervorgehoben  und  eine  Heihe  zum  Theil 
recht  feiner  und  auch  fĂĽr  uns  Deutsche  lehrreicher  Bemer- 
kungen ĂĽber  Kant*s,  Goethe's  und  Coleridge's  Beziehungen  zum 
Spinozismus  gemacht,  die  um  so  mehr  mteressiren,  als 
der  Verfasser  weder  Danzel's  Schriften,  noch  die  das  Ver- 
hältniss Eant's  zu  Spinoza  so  sehr  beleuchtende  Schrift  Die- 
terich's  (Kant  und  Newton,  Anm.)  zu  kennen  scheint.  Was 
ĂĽbrigens  Deutschland  anbetrifft,  so  darf  bei  aller  Anerkennung 
der  Bestrebungen  Auerbach's  doch  zur  Steuer  der  Wahrheit 
nicht  verschwiegen  werden,  dass  Spinoza's  Ruhm  unter  uns 
nicht  sowohl  Auerbach's,  als  nach  Lessing  vor  Allen  Schelling's, 
Schleiermacher's,  und  ganz  besonders  Hegel's  Verdienst  ist.  Den 
Beschluss  des  Werkes  machen  einige  Anhänge,  von  denen  der 
erste,  die  englische  Uebersetzung  der  Goler'schen  Lebensbeschrei- 
bung enthaltende,  ausdrücklich  erwähnt  werden  mag,  sowie 
6iĂĽ  genauer  Index,  welcher  von  dem  reichen  Inhalt  des  Bu- 
ches Zeugniss  ablegt. 

C.  Schaarschmidt. 


368  Litteraturbericht. 

Littentirberieht 

Ethik«  Katechismus  der  Sittenlehre.  Vod  Friedrieh  Kirchner,  Leipzig, 
J.  J.  Weber.    1881.    (VIII.,  257  S.)  8*. 

Diese  kurzgefasste,  in  populärer  Darstellung  gegebene  Ethik  gehört 
dem  Yon  der  Weber'schen  Buchhandlung  herausgegebenen  Cyclus  von  sog. 
Katechismen  an,  zu  dem  Dr.  Fr.  Kirchner  schon  einen  und  andern  Bei- 
trag geliefert  hat.  Der  vorliegende  zeichnet  sich  durch  Reichhaltigkeit 
des  Inhalts  aus.  wie  sihon  das  Register  der  behandelten  Begriffe  ergibt; 
auch  sind  die  Eintheilung  des  Stoffes  und  die  Darstellung  selbst  wegen 
ihrer  Uebersichtlichkeit  und  Klarheit  zu  loben.  Es  muss  dem  Verfasser 
ferner  nachgerĂĽhmt  werden,  dass  er  in  dieser  an  Gontroversen  so  reichen 
Materie  sich  fast  überall  selbstständig  einen  Weg  gebahnt  hat  und  meistens 
bei  Resultaten  angelangt  ist,  die  wenigstens  nach  der  Ansicht  des  Ref. 
das  Richtige  vertreten.  Namentlich  sei  hervorgehoben,  dass  er  den  heut  zu 
Tage  von  den  Ethikern  fast  allgemein  angenommenen  Determinismus 
tapfer  bekämpft  und  dagegen  denjenigen  Indeterminismus  vertritt,  welcher 
die  alleinige  Basis  fĂĽr  eine  gesunde  Sittenlehre  liefern  kann ').  Ebenso  hat 
er,  was  ja  mit  der  eleutheriologischen  Fassung  des  menschlichen  Wesens 
eng  zusammenhängt,  in  der  Entwicklung  der  ethischen  Prinzipien  selbst 
dem  Idealismus  und  Rationalismus  ausgiebig  Rechnung  getragen,  wenn  er 
dabei  auch  das  Moment  des  GefĂĽhls  hier  und  da  zu  einseitig  hervorhebt. 
Andererseits  lässt  sich  wieder  nicht  verschweigen,  dass  der  Verfasser  es 
bei  seiner  lebhaften,  in  aller  KĂĽrze  viel  umfassenden  Exposition  mitunter 
an  der  gehörigen  Gonsequenz  seiner  Aufstellungen  fehlen  lässt,  dass 
er  wohl  auch  Dinge  zusammenbringt,  die  nicht  zusammen  gehören  und  in 
der  Kritik  seiner  Vorgänger  und  Autoritäten,  z.  B.  Kants  und  Spinoza's, 
öfters  recht  desultoriscb,  um  nicht  zu  sagen  ungerecht  verföhrt.  Einige 
Mängel  der  angedeuteten  Art  lassen  sich  wohl  durch  die  Kürze  der  Dar- 
stellung entschuldigen,  andere  aber  nicht,  wie  wenn  der  Verfasser,  um 
nur  ein  Beispiel  hervorzuheben,  die  unglĂĽckselige  Schleiierm  acher 'sehe  Ein- 
theilung der  sittlichen  Thätigkeit  in  eine  «organisirende"  und  eine  ,sym- 
bolisirende"  adoptirt  und  unter  die  Letztere  auffallenderweise  nicht  nur 
Philosophie  und  Wissenschaft,  sondern  später  sogar  auch  die  thätige 
Menschenliebe  und  Selbstverleugnung  fasst,  was  doch  nicht  zu  billigen  ist. 

Was  im  Näheren  die  Eintheilung  des  vorliegenden  Katechismus  der 
Ethik  anbetrifft,  so  hat  der  Verfasser  zunächst  in  der  Einleitung  den  Be- 
griff der  Ethik,  ihr  Verhältniss  zu  den  andern  Wissenschaften,  ihren  Um- 


1)  Der  richtig  verstandene  Indeterminismus  erschöpft  sich  nicht,  wie 
von  Hartmann  sagt,  in  der  Negation  der  Wahrheit  des  Determinismus. 
Der  rechte  Indeterminismus  leugnet  nicht,  dass  jeder  Wiilensact  motivirt 
sei;  er  leugnet  aber,  was  der  Determinismus  behauptet,  die  von  vorn- 
herein feststehende  Bestimmtheit  der  WillensbeschlĂĽsse  und  Handlungen 
durch  naturgesetzlich  erfolgende  Motivation.  Dagegen  behauptet  er, 
dass  der  selbstbewusste  Mensch  Herr  seiner  Motive,  insofern  ihnen  gegen- 
ĂĽber frei  und  eben  deswegen  fĂĽr  seine  EntschlĂĽsse  und  Handlungen  ver- 
antwortlich sei. 


Litteraturbericht.  369 

fang  and  ihre  EiDtheilung  festgestellt,  sodann  in  einem  allgemeinen  Tbeil 
die  «Voraussetzungen*  der  Wissenschaft« erörtert.  Er  sucht  mit  Recht 
zuerst  eine  metaphysische  Grundlage  zu  gewinnen ;  legt  aber  mit  gleichem 
Recht  besonderen  Nachdruck  auf  die  anthropologischen  Voraussetzungen, 
die  das  Wesen  des  Willens  und  des  Handelns,  sowie  insbesondere  das  der 
Freiheit  betreffen.  In  einem  zweiten,  theoretischen  Theil  werden  sodann 
die  ethischen  Grundbegriffe  in  Betracht  gezogen  und  wird  die  GĂĽterlehre 
dargestellt;  im  dritten,  praktischen  Theil  empfangt  endlich  die  „sittliche 
Persönlichkeit*  ihre  wahren  Bestimmungen,  zunächst  ihrem  , Werden*  nach, 
was  die  Pfiichtenlehre,  sodann  ihrer  , Vollendung*  nach,  was  die  Tugend- 
lehre ergibt.  Den  Abschluss  macht  die  Lehre  vom  Charakter.  —  Die 
Abschnitte  von  der  anthropologischen  Voraussetzung  der  Ethik,  von  den 
sittlichen  GĂĽtern  und  von  der  Tugendlehre  sind  nach  des  Ref.  Ansicht 
am  besten  gelungen  und  enthalten  viel  Gutes;  weniger  die  metaphysische 
Grundlegung,  wobei  zwar  weit  ausgeholt  wird,  aber  das  Wesen  und  Wir- 
ken der  , absoluten  Vernunft*  und  der  „objectiven  Zweckmässigkeit*  im 
Kosmos  nicht  ausreichend  begrĂĽndet  scheint,  wie  doch  grade  gegenĂĽber 
dem  heut  zu  Tage  sich  so  sehr  spreizenden  Positivismus  und  Agnosticismus 
vonnöthen  gewesen  wäre.  Insbesondere  wird  aber  der  Verfasser  bei 
einer  zweiten  Auflage,  die  wir  dem  BĂĽchlein  wĂĽnschen  wollen,  darauf  Be- 
dacht nehmen  müssen,  einmal  das  Verhäjtniss  des  sentimentalen  zum  rationel- 
len Elemente  in  der  BegrĂĽndung  der  ethischen  Prinzipien  klarer  zu  stellen, 
sodann  die  Beziehung  der  Religion  zur  Sittlichkeit,  die  er  doch  mit  Recht 
ins  Auge  fasst,  näher  zu  erläutern,  als  es  diesmal  geschehen  ist. 

G.  S. 

Heber  das  Wesen  der  Liebe*  Von  Gustav  TeichtnĂĽĂĽer,  Professor  der 
Philosophie  an  der  Universität  in  Dorpat.  Leipzig,  Dunker  und  Hum- 
blot,  1879. 
Diese  geistreiche  Schrift  will  nach  der  Vorrede  das  bloss  Fachmännische 
und  Gelehrte  meiden,  um  jedem  Höhergebildeten  zugängUch  zu  sein.  So 
wenden  sich  diese  Untersuchungen  auch  nur  an  den  auserwählten  Kreis 
der  Gebildeten,  welchen  das  Denken  BedĂĽrfniss  und  Genuss  ist.  Nach 
Feststellung  der  Aufgabe  bringt  der  Verf.  im  ersten  Theil  die  Kritik  der 
früheren  Erklärungsversuche,  die  er  iu  empirische  und  speculative  unter- 
scheidet. Der  zweite  Theil  formuhrt  seine  eigene  Theorie,  die  er  in 
die  vier  Abschnitte :  Gattungsbegriff,  Artbegriff,  Division,  die  Gegenstände 
der  Liebe  gliedert.  Was  der  Verf.  über  die  empirischen  Versuche  vorträgt, 
ist,  wiewohl  nicht  erschöpfend,  doch  interessant  und  gipfelt  in  einer 
schönen  Würdigung  der  Liebe,  —  Lehre  des  Apostels  Paulus.  Die  spe- 
culativen  Versuche  theilt  er  etwas  lose  in  die  drei  Gruppen  der  rathlos 
philosophirenden,  der  theologisirenden  Denker  und  der  strengereu  Philo- 
sophen. Es  ĂĽberrascht,  Kant  und  Schopenhauer  iu  die  erste  Gruppe  ge- 
stellt zu  finden.  Aber  der  Verf.  rechtfertigt  die  Anklage  der  Rathlosigkeit 
der  beiden  Philosophen  rücksichtlich  der  höchsten  Fragen  durch  die 
Nachweisung  von  WidersprĂĽchen  deren  sie  sich  schuldig  gemacht  haben, 

Philosoph.  MoDatshefte  1881,  VI.  24 


370  Bibliographie. 

die  nicht  zu  widerlegen  ist.  Kant's  Lehre  vom  Ding  an  sich  und  der 
Erscheinung  ist  Widerspruch voU,^ seine  Moralprincip  ist  haltlos.  Der  Verf. 
sagt  ganz  mit  Recht:  ,, Von  Kant  können  wir  nichts  lernen  über  das  Wesen 
der  Liebe,  da  er  jede  mit  Neigung  vollzogene  Handlung  für  verdächtig 
oder  schlecht  erklärt."  Noch  weit  übler  ftndet  der  Verf.  die  pessimistische 
Romantik  Schopenhauer's  bestellt,  bei  welcher  die  Liebe  als  Mitleid  die 
Aufgabe  habe,  die  Welt  und  sich  selbst  fortzuschaffen,  wodurch  sie  sich 
selbst  aufhebe.  Ed.  v.  Hartmann's  „Philosophie"  sieht  der  Verf.  als  ein 
interessantes  Nachspiel  Schopenhauer's  an,  das,  auf  den  Hedonismus  des 
Aristipp  und  Hegesias  zurĂĽckfalle  und  durch  Rhetorik  Begriffe  zu  er- 
setzen suche.  Die  theologisirenden  Denker  sind  ihm  Fichte,  Schelling  und 
Schleiermacher,  deren  speculative  Kraft  ihnen  daraus  erwachsen  sei,  dass 
der  griechische  Genius  mit  dem  Anfang  des  Jahrhunderts  wieder  erwacht 
sei.  Sie  hätten  aber  dadurch  nur  die  alte  griechische  Philosophie,  wenn  auch  in 
schlackenförmiger  Oestalt,  wieder  gewinnen  können.  Diese  Auffa.ssung  mag  fQr 
H.  und  Schi,  nach  vorherrschender  Auffassung  zutreffend  erscheinen,  — 
sicherlich  aber  nicht  auf  Fichte  und  Schelling,  welche  im  Verlauf  ihrer 
Entwickelung  fraglos  zur  Anerkennung  der  persönlichen  Unsterblichkeit 
sich  erhoben  haben'),  von  welcher  nach  TeichmĂĽller  Piaton  nichts  ge- 
wusst  haben  soll  *).  Mochten  Fichte's  und  Schelling's  Methoden  und  Be- 
griffe der  Verbesserung  sehr  bedĂĽrftig  geblieben  sein,  als  philosophisch 
werthlos  (obgleich  tiefsinnig)  sind  sie  darum  doch  nicht  mit  dem  Verf. 
zu  bezeichnen. 

Hegel  gilt  dem  Verf.  als  ein  Uebergang  von  den  theologisirenden  zu 
den  methodischen  (strengeren)  Denkern.  Man  könnte  dem  beistimmen, 
wenn  nur  der  Vorzug  des  Dringens  auf  philosophische  Methode  nicht  wieder 
verloren  ginge  durch  EinfĂĽhrung  des  W^iderspruchs  als  berechtigten  Moments 
zur  Erzielung  der  Erkenntniss  und  durch  die  durchaus  verfehlte  Bedeutung, 
welche  dem  Allgemeinen  im  Verhältniss  zu  dem  IndividueUen  zugeschrieben 
wird,  welche  vom  Verf.  selber  gerĂĽgt  werden  musste,  und  zwar  auch  darum 
gerügt  werden  musste,  weil  ihre  Annahme  jede  Erklärung  der  Liebe  un- 
möglich machen  würde.  Richtig  sagt  daher  der  Verf.:  „Die  Thatsache 
der  individuell  sich  von  einander  fĂĽr  immer  abschliessenden  Existenzen 
kann  er  (Hegel)  nicht  erklären  und"  darum  auch  die  Liebe  nicht,  welche 
sowohl  als  Tendenz  zur  Vollkommenheit,  als  auch  in  der  realen  Gemein- 
schaft der  gebenden  Liebe  nicht  eine  logische  Aufhebung  des  IndividueUen 


1)  Vgl.  die  Unsterblichkeitslehren  Fichte's  und  Schelling's  im  VI.  Bande 
der  Philosophischen  Schriften  des  Referenten. 

2)  Dem  Aristoteles  scheint  Teichmüller  die  Unvergänglichkeit  der 
individuellen  Wesen  zuzuschreiben,  wenn  er  im  III.  Heft  seiner  Neuen 
Studien  zur  Geschichte  der  Begriffe  S.  409  ihn  eine  unzählbare  Menge 
von  irdischen  (sublun  arischen)  Naturen,  die  neben  einein  ander  in  endlosen 
Reiben  existiren,  annehmen  lässt,  mit  dem  Zusätze:  ,, Keine  von  diesen 
Naturen  hat  einen  Anfang  und  keine  ein  Ende*.  Man  muss  doch  wohl 
diess  auf  alle  sublunarisch  individuellen,  folglich  auch  auf  die  geistigen, 
beziehen. 


Litteraturberichl.  371 

in's  Allgemeine  ist,  sondern  eine  Anerkennung  des  Individuellen  und  eine 
ReaĂĽsirung  des  Allgemeinen  im  ewig  Individuellen  erfordert/' 

Man  hätte  nun  erwarten  sollen,  dass  der  Verf.  etwa  noch  auf  Leibniz 
zurQckgehen  und  dann  wenigstens  Herbart  und  Lotze  —  als  strengere 
Philosophen  —  berücksichtigen  werde.  Denn  diess  war  vorauszusehen, 
dass  von  Baader,  Krause,  Trendelenburg,  Weisse,  J.  H.  von  Fichte  etc. 
ĂĽberhaupt  nicht  die  Rede  sein  werde,  als  ob  sich  nicht  gerade  bei  diesen 
Philosophen  theils  Tieferes,  theils  Anregenderes  über  die  Liebe  fände, 
als  der  Verf.  bei  Kant,  Schopenhauer,  v.  Hartmann  und  Hegel  finden 
konnte.  Anstatt  also  wenigstens  auf  Leibniz,  Herbart  und  Lotze  einzu- 
gehen, wird  noch  nach  Hegel  zurĂĽckgreifend  von  Aristoteles  und  Piaton 
gef^rochen.  Aristoteles  hat  nach  ihm  eigentlich  nur  die  Selbstliebe  er- 
kannt, dem  die  meisten  Philosophen,  wie  auch  Spinoza  gefolgt  seien, 
während  Piaton,  den  Aristoteles  nur  halb  begriffen  habe,  von  allen  früheren 
das  Wesen  der  Liebe  am  Tiefsten  und  Reichsten  erfasst  habe.  Erst  das 
Christenthum  habe  eine  Weltauffassung  gegeben,  welche  die  historische 
und  individualisirende  Richtung  des  Judenthums  mit  der  universalisirenden 
griechischeu  verknüpft  und  dadurch  beide  weit  übertroffen  habe.  —  Wohl, 
aber  zunächst  nicht  in  Form  der  Philosophie. 

Im  zweiten  Theil  seiner  Schrift  wendet  sich  der  Verf.  zur  T  h  e  o  r  i  e  der  Liebe. 
Im  ersten  Abschnitt:  Gattungsbegriff  der  Liebe,  geht  er  von  der  Behauptung 
aus,  die  Liebe  sei  unbewusst  und  von  dem  ft'eien  Willen  unabhängig,  erörtert 
das  Verhältniss  von  Trieb,  Wille  und  Begehren  und  untersucht  die  metaphysi- 
schen Voraussetzungen  der  Liebe.  Das  Ergebniss  dieser  Untersuchung  ist 
grundbestimmend  für  alles  Folgende.  Wäre  die  Welt,  wird  hier  gezeigt,  ihrer 
Natur  nach  nicht  von  einer  bestimmten  Beschaffenheit,  so  könnte  es 
keine  Liebe  geben.  Z.  B.  setzten  wir,  die  Welt  bestände  aus  lauter  mate- 
riellen Atomen  oder  aus  immateriellen  Herbart'schen  Realen,  die  ein  jedes 
unbedingt  selbstständig  und  unveränderlich  sind,  so  könnte  jes  keine 
Liebe  geben;  denn  die  Liebe  setzt  eine  innerliche  Beziehung  des  einen 
auf  das  andere  voraus.  Mithin  muss  der  Atomismus  ^)  eine  falsche  Welt- 
auffassung sein,  wenn  es  wirklich  Liebe  in  der  Welt  gibt.  Ebenso  falsch 
ist  sicherlich  der  (d.  h.  jener)  Pantheismus,  der  die  einzelnen  Erscheinungen 
oder  deren  Träger  fdr  verschwindende  Lebensmomente  des  Einen  Absoluten 
hält;  denn  die  Liebe  erfordert  die  Trennung  und  Gemeinschaft  der  Lieben- 
den, aber  keine  Identität.  Aus  diesen  wichtigen  Behauptungen  hebt  nun 
der  Verf.  heraus,  dass  die  metaphysischen  Wesen  eine  Vielheit  bilden 
mĂĽssen,  dass  aber  die  Vielheit  der  Wesen  nicht  das  letzte  Wort  der  Er- 
klärung sein  kann,  „denn  a  priori  ist  bloss,  dass  Vielheit  selbst  schon  eine 
Einheit  des  Begriffs  ist".  Wenn  aber  die  qualitativen  Bestimmungen 
der  Vielen  immer  Beziehungen  zu  dem  Andern  verlangen,  so  verlangen 
sie  schliesslich  eine  Einheit  des  Ganzen  in  dem  Begriffe  der  Welt.  Da 
die  innere  Nothwendigkeit  der  Beziehung  auf  Anderes  Trieb  ist,  der  Trieb 


1)  Nämlich  der  absolute  (materiale)  Atomismus,  der  mit  dem  Materia- 
tismos  in  Eins  zusammenfällt. 


372  Litteraturbericht. 

aber  der  nächste  Gattungsbegriff  oder  das  Wesen  der  Liebe  selbst,  so  er- 
fordert der  Begriff  der  Liebe  die  Einheit  der  Welt  als  einer  Vielheit  der  Wesen. 
Das  Wesen  des  Triebes  und  der  Liebe  erscheint  nun  dem  Verf.  als  die  innere 
Nothwendigkeit  der  Beziehung  jedes  Individuellen  auf  Anderes  und  aus 
der  Unmöglichkeit  der  IsoHrung  folgt  ihm,  dass  die  Liebe  nichts  zufälliges 
ist,  sondern  metaphysische  Natur  aller  Wesen,  wonach  es  nichts  gibt, 
was  nicht  irgendwie  einem  Triebe  oder  der  Liebe  folgte,  weil  jede  denk- 
bare Lebensäusserung  eine  innere  Nothwendigkeit  der  Beziehung  auf 
Anderes  einschliesse.  Daher  steht  nach  dem  Verf.  Alles  im  Universum 
in  Harmonie  und  die  Welt  bildet  noth wendigerweise  ein  Goordinatensystem, 
dessen  Verwirklichung  nicht  von  einem  fremden  Sollen  abhängt,  sondern 
das  sich  durch  die  natürliche  Nöthigung  in  dem  Innern  jedes  Wesens, 
d.  h.  durch  Liebe  vollzieht.  Daraus  entspringt  aber  eine  zweite  metaphy- 
sische Erkenn tniss,  dass  nämlich  das  unleugbare  Streben  des  Menschen 
nach  Vervollkommnung  in  jedem  als  Anlage,  als  Potenz,  die  wirkliche 
Thätigkeit  ist,  liegen  muss.  Das  erstrebte  Vollkommene  ist  mit  Piaton 
Idee  zu  nennen  und  zuhöchst  eins  mit  dem  Göttlichen,  mit  Gott  selbst. 
Die  schon  auf  Vollkommenheit  gerichtete  Selbstliebe  ist  mithin  Liebe  zur 
Idee,  zu  Gott,  und  besteht  in  der  Entbindung,  Lösung  und  Befreiung 
unseres  eigenen  Wesens  in  Ueberwindung  der  coordinirten  äusserlichen 
Reize,  womit  die  innere  Freiheit  errungen  wird.  Die  Analyse  der  Selbst- 
liebe fĂĽhrt  daher  mit  Nothwendigkeit  zum  Idealismus. 

Besagt  die  erste  metaphysische  Erkenntniss,  dass  die  Liebe  als  innere 
Nöthigung  zur  Beziehung  auf  Anderes  die  Welt  als  ein  Goordinatensystem 
fordert,  verlangt  die  zweite  metaphysische  Erkenntniss,  dass  die  Liebe  den 
teleologischen  Idealismus  involvirt  und  die  Freiheit  des  Göttlichen  in  uns 
zum  Ziele  hat,  so  ist  nothwendig  unsere  eigene  Entwickelung  mit  der 
Entwickelung  der  ĂĽbrigen  Wesen  verknĂĽpft  und  coordinirt,  und  es  ergibt 
sich  die  Idee  von  einem  System  der  Welt,  in  welchem  nach  einer  bestinmiten 
Ordnung  unsere  Befreimig  mit  der  Vervollkommnung  aller  Dinge  zugleich 
fortschreitet.  In  diesem  edien  Idealismus  wird  der  Verf.  auch  nicht  ge- 
stört und  beirrt  durch  die  Einwendungen  und  Hinweisungen  der  Pessimisten 
auf  die  FĂĽlle  der  Uebel  und  der  Leiden  der  lebenden  Wesen,  die  ihren 
Gipfel  im  Menschen  erreiche.  Seine  Abwehr  wĂĽrde  wohl  durchschlagender 
wirksam  geworden  sein,  wenn  er  die  ethische  Nothwendigkeit  der  göttlichen 
Zulassung  der  Möglichkeit  des  physischen  und  moralischen  Uebels  und  die 
Freiheit  und  Zurechnungsfähigkeit  der  geistigen  Wesen  schärfer  hervorge- 
hoben und  fester  begründet  hätte.  Diese  Bemerkung  tritt  aber  keineswegs  der 
Aeusserung  des  Verf.  entgegen,  die  er  in  die  Worte  kleidet:  „Der  kindisch 
kurzsichtige  Pessimismus  entspringt  aus  der  Sehnsucht  nach  einem  weich- 
lichen Optimismus.  Man  vrill  das  Glück,  das  Gute  und  das  Schöne  und 
die  Lust;  man  will  «dies  Alles,  aber  wie  in  dem  Schlaraffenland  ohne  Sinn 
und  Verstand,  ohne  Thätigkeit  und  ohne  Werth.*  Der  zugemessene  Raum  ge- 
stattet uns  nicht  dem  Verf.  in  den  folgenden  Abschnitten:  Artbegriff  der 
Liebe,  Division  der  Liebe  —  mit  den  Unterabtheilungen  —,  die  Gegen- 
stände der  Liebe,   die  Liebe  zu  Beschäftigungen,   die  Liebe  zu  leblosen 


Litteraturbericht.  373 

Dingen,  die  Liebe  zu  Personen,  der  Realismus  der  Liebe  und  Egoismus,' 
in 's  Einzelne  zu  folgen.  Wir  mĂĽssen  uns  begnĂĽgen,  die  Gonsequenz  und 
den  Reich tbum  guten  Theils  tiefer  Gedanken,  womit  der  Verf.  den  be- 
zeichneten theistisch-monadologischen  Standpunkt  durch  alle  Detailunter- 
suchungen hindurchfflhrt,  rĂĽhmend  hervorzuheben,  ohne  darum  zu  ver- 
schweigen, dass  uns  eine  Reihe  von  Fragen,  aus  denen  wir  nur  die 
Schöpfungsfrage,  die  Frage  nach  der  Unendlichkeit  oder  Endlichkeit  von 
Zeit  und  Raum,  die  Willensfreiheit  und  Zurechnungsfrage,  die  Frage  nach 
der  Vollendbarkeit  des  Weltalls  etc.  erwähnen,  nicht  befriedigend  erledigt 
zu  sein  scheinen.  Die  ganze  Schrift  kann  als  ein  Excurs  der  Psychologie  mit 
Hereinziehung  metaphysischer  Momente  angesehen  werden,  welche  letztere 
das  Verlangen  nach  einer  ausgefĂĽhrten  Metaphysik  des  geistreichen  Verf. 
rege  machen,  in  welcher  die  philosophischen  Aufstellungen  desselben 
erst  ihre  volle  Begründung  finden  könnten. 

Franz  Hoffmann. 

SeliopeiĂĽuuier'8    Pbllosopliie   der  Tragoedie.    Von  August  SiebmliBt. 
Pressburg  und  Leipzig,  Verlag  von  Carl  Stampfel.  1880.  {XIV.,  447  S.)  8*. 

Hätte  der  Verfasser  seinem  Buche  etwa  den  Titel  gegeben:  „Die  tra- 
gische Literatur,  ein  Zeugniss  fĂĽr  Schopenhauer's  Pessimismus",  so  dĂĽrfte 
er  den  eigentlichen  Charakter  desselben  zutreffender  und  bestimmter  be- 
zeichnet haben.  Denn  seinen  Umfang  bekam  es  wesentlich  dadurch,  dass 
die  zerstreuten  Bemerkungen  Sch.'s,  die  alle  ihre  Wurzel  in  seiner  be- 
kannten metaphysischen  Hypothese  haben,  durch  die  ganze  Breite  alter 
und  modemer  Tragik  „belegt"  wurden.  Dazu  kommt  ein  ganz  erschreck- 
licher Citatenreichthum,  wohl  so  ziemlich  alle  einschlägigen  Autoren  von 
Aristoteles  bis  zum  bescheidensten  Verfasser  eines  Schulprogramms  herab 
umfassend.  Wem  nun,  wie  dem  Ref.,  in  philosophischen  Dingen  der 
Autoritätenbeweis  überhaupt  als  der  schwächste  gilt,  den  muss  vollends 
bei  solcher  Hochfluth  einander  jagender  nnd  Gott  weiss  aus  welchen  Zu- 
sammenhängen gerissener  Einstimmungszeugnisse  eiiie  Art  von  Seekrank- 
heit beschleichen.  FĂĽr  ein  philosophisches  Publikum  freilich,  das  vor 
allem  Gonsequenz  der  BegrĂĽndung,  Denknothwendigkeit  der  Behauptungen 
â–Ľerlangt  und  nicht  die  Zahl  der  Namen  wissen  will,  die  einer  Meinung 
beistimmen,  scheint  das  Buch  ĂĽberhaupt  nicht  berechnet,  sondern  fQr  die 
täglich  sich  mehrende  Pessimistengemeinde,  deren  Glauben  zu  kräftigen 
das  Buch'  in  der  That  geschickt  und  weltschmerzbegeistert  genug  geschrie- 
ben ist.  Es  zerföllt  in  acht  Abschnitte,  deren  erster  Begriff  und  Efedeutimg 
der  Tragoedie  erörtert.  Diese  führe  die  innere  Bedeutung,  das  Wesen 
der  Welt  als  der  denkbar  schlechtesten  vor,  und  darum  sei  Resignation, 
Verneinung  des  Willens  zum  Leben  ihre  Wirkung,  eine  Bestimmung,  deren 
Uebereinstimmung  mit  der  Aristotelischen  xa&aQĂĽig  der  2.  Abschnitt  dar- 
ZQthun  sich  abmĂĽht.  Der  3.,  Gonception  und  Stoff  ^er  Tragoedie  behan- 
delnd, bespricht  hauptsächlich  den  Werth  der  sog.  bürgerlichen  Tragoedie 
und  die  viel  ventilirte  Anlage  der  Eatastjophe  in  Lessing's  Emilie  Galotti. 
^  4.  folgt  eine  breite  Darlegung  der  auf  Kant's  Unterscheidung  zwischen 


374  Litteraturbericht. 

'dem  empirischen  und  intelligibeln  Charakter  fassenden  Ansichten  Sch/s 
ĂĽber  Charakter  ĂĽberhaupt,  ĂĽber  die  fĂĽr 's  Trauerspiel  tauglichen  Charak- 
tere (Auseinandersetzung  mit  Aristoteles'  XQI^^^  ?^^)>  ^^^^  Constanz  und 
Consequenz  der  tragischen  Charaktere,  endlich  den  nothwendigen  Gonnex 
zwischen  Charakter  und  Handlung,  zwischen  sittlicher  Schuld  und  tragi- 
scher SĂĽhne,  den  der  Verf.  unter  Berufung  auf  die  monistische  Tendenz 
der  Sch/schen  Philosophie,  kurz  als  ,  Gesetz  des  tragischen  Monismus* 
bezeichnet  und  als  den  eigentlichen  metaphysischen  Kern  aller  wahren 
Philosophie  der  Tragoedie  betrachtet.  An  Stelle  einer  BeweisfĂĽhrung 
tritt  natĂĽrlich  auch  hier  die  magische  Beleuchtung,  welche  durch  das 
Licht  jenes  Satzes  das  Leben  der  Menschen  und  dessen  Abbildung  auf 
der  Bühne  erfahren.  Diesen  längsten  Abschnitt  schliesst  der  Versuch, 
duich  Sch.'s  Metaphysik  der  allerdings  oft  genug  höchst  philiströs  Ter- 
standenen  Forderung  nach  „tragischer  Gerechtigkeit**  einen  tieferen  Sinn 
abzugewinnen.  Die  ĂĽbrigen  Abschnitte,  welche  die  Composition  der  Tra- 
gödie, Gedanken  und  Sprache,  Unterschiede  zwischen  der  antiken  und 
modernen  Tragoedie  behandeln  und  Urtheile  ĂĽber  einzelne  Dichter  brin- 
gen, geben  dem  gelehrten  Verf.  Gelegenheit,  seine  reiche  Literaturkennt- 
niss  zu  zeigen,  verlieren  sich  aber  so  sehr  ins  Detail,  dass  ein  knappes 
Referat  nicht  zu  folgen  vermag.  Wem  geistreich  und  philosophisch  fĂĽr 
identisch  gilt,  der  wird  auch  an  diesen  Detailfragen  die  Fruchtbarkeit  der 
Seh  .'sehen  Philosophie  erprobt  sehen. 

WĂĽrzburg.  Dr.  G.  Neudecker. 

Carl  Nohle.  Die  Staatslehre  Plato's  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung. 
Jena,  Ed.  Frommanu.    1880.    (XX.,  169  S.)  8^ 

Der  Zweck  des  lebendig  geschriebenen  und  geschickt  angelegten 
Werkes  ist  vornehmlich,  die  Principien,  welche  dem  politischen  Haupt- 
werk Plato's  zu  Grunde  liegen,  in  ein  helleres  und  richtigeres  Licht  zu 
setzet);  als  dies  nach  Ueberzeugung  des  Verfassers  bis  jetzt  geschehen  ist 
Um  aber  für  diese  Aufgabe  die  nöthigen  Voraussetzungen  zu  gewinnen, 
untersucht  er  zunächst  in  eingehender  Betrachtung  die  allmälige  Ausbil- 
dung der  politischen  Theorien  des  Philosophen.  Der  Hauptgedanke,  auf 
den  beim  Ganzen  die  Erörterungen  abzielen,  ist  der,  daiss  der  platonischen 
Staatslehre  mit  Unrecht  eine  UnterdrĂĽckung  oder  doch  ZurĂĽcksetzung  der 
Individualität  zugeschrieben  werde.  „Wir  sind  der  Meinung,  dass  im 
platonischen  Staate  der  Egoismus  der  Individualität  in  keiner  Weise  eine 
Schädigung  erleidet,  dass  jeder  Theil  des  Ganzen  allein  durch  das  Motiv 
der  Selbstsucht  dazu  getrieben  wird,  diejenige  Funktion  möglichst  vor- 
trefflich und  mit  ErfĂĽllung  aller  dabei  nothwendigen  Bedingungen  aus- 
zuüben, welche  ihm  in  dem  Mechanismus  des  Ganzen  zufällt.  Nicht  das 
Allgemeine  ist  im  letzten  Grunde  gesetzgebend,  sondern  der  Wille  des 
Einzelnen. 

Solche  Auffassung  scheint  uns  nur  bei  Verkennuug  der  Prinzipien 
platonischer  Philosophie  möglich,  und  was  der  Verfasser  an  Beweisgrün- 
den fĂĽr  sie  vorfĂĽhrt,  wird,  schwerlich  Jemanden  ĂĽberzeugen.    Es  kommt 


Litteraturbericht.  375 

UDS  vor,  als  sei  die  ganze  These  weit  weniger  ans  den  an  und  fQr  sich 
durchaus  tflchtigen  historischen  Studien  des  Verfassers  hervorgegangen 
als  aus  einer  Hineintragung  modern  positivistischer  Begriffe  und  Gesichts- 
punkte in  den  Gegenstand.  Von  da  aus  ist  aber  unseres  Erachtens 
weder  ein  philosophisch  tiefes  noch  ein  historisch  zutreffendes  Begreifen  des 
grossen  Philosophen  möglich.  Ist  es  z.  B.  wohl  richtig,  wenn  der  Ver- 
fasser bei  einer  PrĂĽfung  der  ethischen  Systeme  auf  den  Gegensatz  zwi- 
schen Egoismus  und  Altruismus,  der  nach  seiner  Uel^erzeugung  die  Ge- 
schichte der  Ethik  bewegt,  das  ganze  Alterthum  dem  Egoismus  zurechnet? 
Darf  man  die  Eudflmonie  eines  Plato  und  Aristoteles  mit  ihrer  Unter- 
ordnung der  Lust  unter  einen  objektiven  Lebensgehalt  und  das,  was  ein 
Hobbes  unter  Glück  versteht,  im  «Wesentlichen  auf  eine  Linie  stellen?  — 
Jedoch  das  Buch  geht  durchaus  nicht  in  jene  eine  These  auf;  es 
enthält  nicht  nur  in  seinen  historischen  Ausführungen  manches  Treffliche, 
sondern  es  bekundet  auch  in  dem  Philosophischen  eine  gewisse  Präcision 
und  Energie  des  Denkens,  namentlich  verdient  die  Art,  wie  das  Mannig- 
fache des  Stoffes  verbunden  und  bestimmten  klar  angegebenen  Zielen 
untergeordnet  wird,  unumwundene  Anerkennung.  Wir  wĂĽrden  uns  freuen, 
wenn  wir  den  Verfasser  auch  kĂĽnftig  auf  dem  Gebiete  der  alten  Philoso- 
phie thätig  fänden,  und  noch  mehr  freuen,  wenn  wir  ihn  dann  ganz  be- 
freit fänden  von  jenen  engen  positivistischen  Begriffen,  die  dem  Gelingen 
des  vorliegenden  Werkes  im  Wege  gestanden  haben. 


Neu  eingegangene  Schriften. 

Levy,  A.,  Morceaux  choisis  des  philosophes  allemands  modernes. 

Tis  so  t,  J.,  Essai  de  Philosophie  natureUe  T.  L 

Pfleiderer,  Edm.,  Kantisoher  Kriticismus  und  englische  Philosophie. 

Neudecker,  G.,  Das*  Grundproblem  der  Erkenntnisstheorie. 

Guy  au,  M..  Vers  d'un  philosophe. 

Hess,  G.,  Abriss  der  Psychologie. 

Robin  et,  Philosophie  positive.    (Bibliothöque  utile  LXVL) 

Renard,  G.,  L'homme  est  il  libre?    (Bibliothäque  utile  LXVIL) 

Bergmann,  J.,  Das  Ziel  der  Geschichte. 

Betz,  H.  J.,  Ervaringswysbegeerte. 

BernayS)  Jac,  Phokion  und  seine  neueren  Beurtheiler. 

Du  hoc,  Jul.,   Der  Optimismus   als  Weltanschauung  und   seine   religiös 

sittliche  Bedeutung. 
Mainzer,  J.,  Die  kritische  Epoche  in  der  Lehre  von  der  Einbildungskraft. 
Hayem,  Arm.,  L'ötre  social. 
Heinze,  Max,  Bericht  über  die  in  den  Jahren  1876—1880  erschienenen^ 

auf  die  nacharistotelische  Philosophie  bezĂĽglichen  Schriften. 
Bertram,  H.,  Platon's  Alkibiades  I,  Gharmides,  Protagoras. 


Bibliographie 

von 

Dr.  F.  Ascherson. 

1*  Ottammelt«  Sdirlften.  Encydopädle.  Bibliographie.  Vi  scher,  F.  Th., 
Altes  und  Neues.  ±  Heft.  8.  Stuttgart,  Bonz  und  Comp.  n.  5  M.  — 
Sigwart,  G.,  kleine  Schriften.     1.  u.  2.  Reihe.     8.    Freiburg  i.  B., 


376  Biblio^aphie. 

Mohr,  ä  n.  4  M.  50  Pf.,  geb.  ä  n.  5  M.  50  Pf.  —  Wem  ich,  A.,  die 
Medicin  der  Gegenwart  in  ihrer  Stellung  zu  den  Naturwissenschaften 
und  zur  Logik.  8.  Berlin,  G.  Reimer,  n.  IM.  —  Vierteljahr  s- 
C  a  t  a  1  o  g  aller  in  Deutschland  erschienenen  Werke  aus  dem  Gebiete  der 
Theologie  und  Philosophie.  Jahrg.  1881.  1.  Heft.  Jan.  — Harz  8. 
Leipzig,  Hinrichs'sche  Buchh.,  Verlags -Conto,  pro  10  Exemplare  ^  M. 
40  Pf. 

II.  Zur  Geftchichte  der  Philosophie.  Leigh,  Aston,  the  story  of  philosopby. 
8.  6  s.  —  Märkel,  P.,  Piatos  Ideal-Staat.  Dargestellt  und  mit  beson- 
derer RĂĽcksicht  auf  die  moderne  Zeit  beurtheilt.  8.  Berlin,  Weid- 
'  mann'sche  Buchh.  n.  2  M.  —  Dupuis,  J.,  le  nombce  geom^trique  de 
Piaton.  8.  Paris,  Hachette  et  Co.  haar  1  M.  60  Pf.  —  Teich müller, 
G.,  literarische  Fehden  im  4.  Jahrh.  vor  Chr.  8.  Breslau,  Koebner.  d. 
8  M.  —  Susemihl,  F.,  de  Magnorum  Moralium  codice  Vaticano  1341 

4.  Berlin,  Galvary.  n.  1  M.  20  Pf.* —  Busse,  A.,  de  praesidiis  Ari- 
stotelis  Politica  emendandi.  8.  Berlin,  Mayer  und  MfiUer.  n.  1  M.  SO  Ff. 

—  Ciceronis,  M.,  Tullii,  Cato  major  de  senectute.  Erklärt  v.  J.  Som- 
merbrodt.  9.  Aufl.  8.  Berlin,  Weidmannsche  Buchhandlung.  75  Pf.  — 
Wester  bĂĽrg,  E.,  der  Ursprung  der  Sage,  dass  Seneca  Christ  gewesen 
sei.  8.  Berlin,  Grosser.  1  M.  50  Pf.  —  Moeller,  W.,  über  die  Reli- 
gion Plutarchs.  Rede.  4.  Kiel,  Universitäts-Buchhandlung,  n.  1  M.  — 
Ewald,  P.,  der  Einfluss  der  stoisch-ciceronischen  Moral  auf  die  Dar- 
stellung der  Ethik  bei  Ambrosius.  8.  Leipzig,  Bredt.  n.  1  M.  äO  Pf.  ~ 
Hau  Schild.  G.  R.,  die  rationale  Psychologie  und  Erkenntnisstheorie 
Tertullians.  4.  Leipzig,  Zangenberg  und  Himly.  1  M.  50  Pf.  —  Ha u- 
r^au,  B.,  Histoire  de  la  philosophie  scolastique.  Seconde  edition.  Se- 
conde  pai-tie.  Tome  II.  (dernier).  8.  8  fr.  —  Rieger,  M.,  Dante. 
(Samml.  von  Vorträgen.  Herausg^eben  von  W.  Frommel  und  F.  Pfafif. 

5.  Bd.  Heft  9.  10.)  8.  Heidelberg,  C.  Winters'  Universitäts-Buchhand- 
lung, n.  1  M.  —  Weiss,  J.  H.,  Biographien  berühmter  jüdischer  Ge- 
lehrten des  Mittelalters.  1.  Heft.  Rabbi  Moses  ben  Maimon.  8.  Wien, 
D.  Löwy.  n.  1  M.  —  Descartes,  Discours  de  la  methode  et  premiöre 
m^ditation.  Nouvelle  Edition  par  Victor  Brochard.  12.  2  fr.  —  Philo- 
sophical  classics  for  english  readers.  Edited  by  W.  Knight.  Descartes. 
By.  J.  P.  Mahaflfy.  fcp.  3  s  6d.  —  Spinoza 's  B.  de,  kurzer  Tractat  von 
Gott,  dem  Menschen  und  dessen  GlĂĽckseligkeit.  Auf  Grund  einer  neuen 
von  A.  van  der  Linde  vorgenommenen  Vergleichung  der  Handschriften 
ins  Deutsche  übersetzt  von  G.  Sigwart.  ±  (Titel-)Ausg.  8.  Freiburg  i.  B. 
Mohr.  n.  2  M.  —  Pol  lock.  F.,  Spinoza.  His  life  and  philosopby,  8.  6s. 

—  Spie  SS,  E.,  Erhard  Weigel,  weiland  Professor  der  Mathematik  und 
Astronomie  zu  Jena,  der  Lehrer  von  Leibniz  nnd  Pufendorf.  Ein 
Lebensbild.  8.  Leipzig,  Klinkhardt.  n.  2  M.  —  Leibnizens  und 
Huygens'  Briefwechsel  mit  Papin  nebst  der  Biographie  Papin's  und 
einigen  zugehörigen  Briefen  und  Actenstücken.  Bearbeitet  von  E.  Ger- 
land. 8.  Berlin,  F.  Dümmler's  Verlag  in  Gomm.  n.  13  M.  50  Pf.  — 
P  beider  er,  E.,  Kantischer  Kriticismus  und  englische  Philosophie.  Eine 
Beleuchtung  des  deutsch-englischen  Neu-Empirismus  der  Gegenwart  als 
Beitrag  zum  Gentenarium  der  Kritik  der  reinen  Vernunft.  8.  Halle, 
Pfeffer,  n.  2.  M.  50  Pf.  —  Mainzer,  J.,  die  kritische  Epoche  in  der 
Lehre  von  der  Einbildungskraft,  aus  Humes  und  Kants  theoretischer 
Philosophie  nachgewiesen.  8.  Jena,  E.  Frommann.  n.  2  M.  40  Pf.  — , 
Werner,  K.,  Kant  in  Italien.  8.  Wien.  G.  Gerolds  Sohn  in  Gomm^ 
n.  4  M.  —  Frei,  H.,  Aus  Lessings  Studenten  jähren.  Historisch-novelli 
stische  Skizze.  8.  Zürich,  Trüb'sche  Buchh.  n.  60  Pf.  —  Fürst,  l' 
Lessing's  Nathan  der  Weise.  Historisch  und  philosophisch  erläutert. 
8.  Leipzig,  Friedrich,  n.  1  M.  —  Borgius,  E.,  Lessing's  Nathan  und 
der  Mönch  vom  Libanon.  8.  Barmen,  Klein,  n.  1  M.  20  Pf.  —  Feier, 


Bibliographie.  377 

die,  von  Leasings  hundertjährigem  Todestage  zu  Braunschweig.  8. 
Braunscbweig,  Schulbuchhandlung,  haar  75  Pf.  —  Geist,  H.  zwei 
Lessing-Feste  gefeiert  in  der  städtischen  Bealschule.  1.  Ordnung  zu 
Posen.  8.  Posen,  Rehfeld.  n.  1  M.  50  Pf.  —  Sievers,  O.,  Jean  Paul 
und  seine  Anschauung  von  Welt  und  Leben.  Ein  Vortrag.  (Sammlung 
gemeinverständlicher  Vorträge  und  Abhandlungen  wissenschaftlichen 
Inhalts  in  zwanglosen  Folgen.  Nr.  3.)  8.  Dessau,  Barth,  Separat-Gonto. 
n.  50Pf.  —  Schopenhauer,  A..  Aphorismes  sur  la  sagesse  dans  la 
vie.  Traduit  fr.  pour  la  premiäre  fois  par  J.  Gantacuzene.  8.  5  fr.  — 
Plumacher,  0.,  zwei  Individualisten  der  Schopenhauer'schen  Schule. 
8.  Wien,  Rosner.  n.  2  M.  40  Pf.  -  Ferr6,  P.  M.,  degli  universali 
secondo  la  teoria  rosminiana.   2  vol.    8.    L.  8. 

III.  Zur  phlloftophlsciieii  WeHantchauung.  Lichtstrahlen  aus  Ed.  v.  Hart- 
mann's  sämmtlichen  Werken.  Herausgegeben  und  mit  einer  Einleitung 
versehen  von  M.  Schneidewin.  8.  Berlin,  C.  Duncker's  Verlag,  geb.  n. 
5  M.  -^  Löber,  R.,  alte  Wahrheit  in  neuer  Gestalt.  2.  Bd.  Sein  und 
Werden.  8.  Gotha,  Schloessmann.  n.  6  M.  geb.  n.  7  M.  50  Pf.  — 
Helle nbach,  L.  B.,  Aus  dem  Tagebuche  eines  Philosophen.  8.  Wien, 
Rosner.  n.  5  M.  —  Glaubensbekenntniss  eines  modernen  Natur- 
forschers. 3.  Aufl.  8  BerHn,  Staude,  n.  50  Pf.  —  Foissac,  P.,  le 
mat^rialisme  et  le  spiritualisme  scientifiques  ou  les  localisations  c^rä- 
brales.  2e  ed.  revue  et  augment6e.  8.  5  fr.  —  Hö eil,  R.,  Was  ist 
Spiritismus  oder  Spiritualismus?  8.  Leipzig,  Mutze.  20  Pf .  —  Wies  er, 
J.  F.,  der  Spiritismus  und  das  Christen thum.  8.  Regensburg,  Pustet, 
n.  1  M.  20  Pf.  —  Spir  und  die  Bedeutung  seiner  Philosophie  für  die 
Gegenwart.  Vortrag.  8.  Leipzig,  Findel  n.  40  Pf.  —  Landsber^,  J., 
volksthĂĽmliche  Philosophie.  1.  u.  2.  Vorlesung.  8.  Berlin,  Issleib  in 
Comm.  ä  n.  50Pf.  Inhalt:  l.  Die  Erklärung.  —  2.  Der  Urgeist.  — 
Schul tzky,  G.  M.,  das  Quadrat  der  Bildung.  Mathematisch- philoso- 
phische Erwägungen.  8.  Berlin,  Tb.  Grieben,  n.  5  M.  i 

IV.  Zur  Erkenntnltstheorle  und  Logik.  Spencer,  H.,  first  principles  4th 
edition.  8.  16s.  —  N'eudecker,  G.,  das  Grundproblem  der  Erkenntniss- 
theorie. 8.  Nördlingen,  Beck'sche  Buchhandlung,  Verlags-Gonto.  n.  1  M. 
40  Pf.  —  Hern  an,  C.  F.,  die  Erscheinung  der  Dinge  in  der  Wahrneh- 
mung. 8.  Leipzig,  Hinrichs^sche  Buchbandl.  Verlags-Gonto.  n.  3  M.  — 
Jahn,  M.,  die  Zeitverhältnisse  des  Vorstellens  und  deren  Wichtigkeit 
für  den  Unterricht.  8.  Leipzig,  Brandstetter.  n.  80  Pf.  —  Strümpell, 
L.,  Grundriss  der  Logik  oder  dei'  Lehre  vom  wissenschaftlichen  Denken. 
8.  Leipzig,  Böhme,  n.  2  M.  80  Pf.  —  Jevons,  W.  Stanley,  studies  in 
deduetive  iogic.    A  manual  for  Students.  Gr.  8.  6  s. 

V.  Zw  Naturphllotphie^  Darwin 's,  Gh.,  gesammelte  Werke.  Uebersetzt 
von  J.  V.  Garus.  Lief.  91.  92.  8.  Stuttgart.  Schweizerbart'sche  Ver- 
lagshandlung ä  n.  1  M.  20  Pf.  [S.  ob.  S.  306.]  —  Darwin's.  Gh.,  ge- 
sammelte Werke.  Auswahl  in  6  Bänden.  Lief.  2t  u.  22,  23,  24,  25,  26. 
8.  Stuttgart,  Schweizerbart'sche  Verlagshandlung,  an.  1  M.  [S.  ob, 
S.  306.]  —  Darwin,  Gh.,  das  Bewegungsvermögen  der  Pflanzen.  Aus 
dem  englischen  ĂĽbersetzt  von  J  V.  Garus.  8.  Stuttgart,  Schweizerbart'- 
sche  Verlagshandlung,  n.  10  M.  —  Perty,  M.,  die  sichtbare  und  die 
unsichtbare  Welt.  Diesseits  und  Jenseits.  8.  Leipzig,  G.  F.  Wiuter'sche 
Verlagshandlung  n.  5.  M.  —  Dollen,  N.  E.,  Perpetuum  mobile  oder 
Welt,  Erde  und  Mensch.  Entwurf  einer  kosmologischen  Stabilitäts- 
Theorie.  8.  Riga,  Eymmel.  n.  2  M.  —  Ueber  cansalmechanische  Ent- 
stehung der  Organismen.  Von  Pilgermann  8.  Stuttgart,  Metzler'sche 
Buchhandlung,  Verlags-Gonto  in  Gomm.  1  M.  50  Pf. 

VI.  Zur  EtMk  und  Culturgetchlchte.  Al^-Laprunc,  L^on/  de  la  certitude 
raorale.  8,  7  fr.  50  es.  —  Spencer,  H.,  the  study  of  sociology.  Li- 
brary edition.   9tb.  edition.  With  postscript.  8.  lOs.  6d. 


378  Bibliographie. 

VII.  Zur  Anthropologie  und  Ptydiologio.  Archiv  fĂĽr  Anthropologie.  Zeit- 
schrift fQr  Naturgeschichte  und  Urgeschichte  des  Menschen.  Heraus- 
gegeben von  A.  Ecker  und  L.  Lindenschmit.  13.  Bd.  3.  Vierteljahrs- 
hefl.  4.  Braunschweig,  Vieweg  und  Sohu.  n.  24  M.  —  Beiträge  zur 
Anthropologie  und  Urgeschichte  Bayerns.  Red.:  J.  Ranke  u.  N.  RĂĽdiger. 
1.  u.  2.  Heft.  4.  MQnchen,  Literarisch  -  artistische  Anstalt,  pro  cplL  n. 
24  M.  —  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Herausgegeben  von  R.  Hari- 
mann,  R.  Virchow,  A.  Voss.  13.  Jahrg.  1.  Heft.  8.  BerUn,  Parey.  pro 
cplt.    n.  20  M.    —  Vorgeschichte,   die,   der  Ethnologie.    8.   Berlin, 

F.  Dümmlers  Verlag,  n.  2M.  —  Grüger,  J.,  Grundriss  der  Psychologie 
fĂĽr    den   Unterricht   und   die   Selbstbelehrung.     2.   Aufl.     8.    Leipzig, 

G.  W.  Körner  Verlag.  1  M.  80  Pf.  ~  Dronke,  Beiträge  zu  einer  Seelen- 
lehre vom  ethnographischen  Standpunkte  aus.  8.  Trier,  Lintz'scbe 
Buchhandlung,  Verlag  n.  1  M.  —  Niemann;  E.«  das  Recht  der  Indivi- 
dualität. (Sammlung  von  Vorträgen.  Herausgegeben  von  W.  Frommel 
und  F.  Pfaflf.  5.  Bd.  6.  Heft.)  n.  80  Pf.  —  Sully,  J.,  Sensation  und 
Intuition:  Studies  in  Psychology  and  Aestbetics.  2nd.  edition.  8. 
lOs.  6d.  —  Besser,  L.,  Was  ist  Empfindung?  Vortrag.  8.  Bonn, 
Strauss.  n.  1  M.  —  Harnisch,  F.  W.,  das  Leiden  beurtheilt  vom  the- 
istischen  Standpunkte.  8.  Halle,  Niemeyer,  n.  2  M.  —  Home  mann, 
E.,  vom  Zustande  des  Menschen  kurz  vor  dem  Tode.  Aus  dem  Däni- 
schen. 4.  Abdruck.  8.  Gotha,  Schloessmann.  n.  80  Pf.  —  Briefe, 
ĂĽber  die  Unsterblichkeit  der  Seele  mit  einem  Anhange  merkwĂĽrdiger 
Träume,  Ahnungen  und  Erscheinungen.  2.  Aufl.  8.  Erlangen,  Deichert. 
n.  2  M.  80  Pf.  —  Hildebrandt,  F.  W.,  der  Traum  und  seine  Ver- 
werthung  fürs  Leben.  8.  Leipzig,  Gebrüder  Senf.  n.  50  Pf.  —  Bäum- 
leV,  Gh.,  der  sogenannte  animalische  Magnetismus  oder  Hypnotismus.  8. 
Leipzig,  F.  C.  W.  Vogel,  n  2M.  —  Preyer,  W.,  die  Entdeckung  des 
Hypnotismus.  8.  Berlin,  GebrĂĽder  Paetel  n.  2  M.  50  Pf. 

VIII.  Zur  Rellgionspiillotophle.  Vorträge,  wissenschaftliche,  über  religiöse 
Fragen.  4.  Sammlung.  8.  Frankfurt  a.  M.,  Diesterweg.  n.  1  M.  40  Pf. 
—  Kaftan,  J.,  das  Wesen  der  christlichen  ReUgion.  8.  Basel,  Bahn- 
maiers  Verlag,  n.  8  M.  —  v.  Hagen,  E.,  kritische  Betrachtung  der 
wichtigsten  Grundlehren  des  Ghristenthums.  8.  Hannover,  SchĂĽssler. 
n.  4  M. 

IX.  Zur  Philosophie  der  Gotchlcbto.  Nerva,  S.  E.,  Dieu  dans  les  cieux, 
dans  la  nature  et  Thumanit^,  ou  la  Philosophie  positive  de  Thistoire. 
Edition  augment^  d*une  exposition  sommaire  de  la  doctrine  de  Tauteur. 
8.    10  fr. 

X.  Zur  Sprachphllotophle.  Steinthal,  H.,  Abriss  der  Spracfaphilosophie. 
1.  Theil.  Die  Sprache  im  Allgemeinen.  2.  Abtheilung.  8.  BerUn, 
DĂĽmmler's  Veriagsbuchh.  n.  1  M.  50  Pf.  [S.  ob.  S.  123.] Zu- 
sätze zur  1.  Aufl.  der  Einleitung  in  die  Psychologie  und  Sprachwissen- 
schuft 8.  Ebda.  n.  50  Pf.  —  Bahnsen,  J.,  Aphorismen  zur  Sprach- 
philosophie. Vom  Standpunkt  der  Willensmetaphysik.  8.  Berlin,  Th. 
Grieben,  n.  1  M.  —  Kussmaul,  A.,  die  Störungen  der  Sprache. 
(Handbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie.  Herausgegeben  von 
H.  V.  Ziemssen.  12.  Bd.  Anhang.)  2.  Aufl.  Leipzig,  F.  C.  W.«VogeI. 
n.  6  M.  —  Tesch,  P.,  Ursprung  und  Entwickelung  der  Sprache.  Vor- 
trag.   8.    Neuwied,  Heuser^sche  Verlagshandlung.    60  Pf. 

XI.  Zur  Aoothoilk.  Deinhardt,  J.  H.,  Beiträge  zur  Dispositionsldire. 
3.  Aufl.    8.    Berlin,  Gärtner's  Verlag,    n.  1  M. 

XII.  Zur  Pädagogik.  Vierteljahrs -Gatalog  aller  in  Deutschland  er- 
schienenen Werke  aus  dem  Gebiete  der  Pädagogik.  Jahrg.  1881.  1.  Hefl. 
Januar  bis  März.  8.  Leipzig,  Hinrichs'sche  Buchh.,  Verlags-Conto.  pro 
10  Exemplare  2M.  40  Pf.  —  Dictionnaire  de  p^agogie  et  d^instruc- 
tion  primaire.    Publik  par  F.  Buisson.    12.  Sörie,  2.  Partie.    8.    Paris, 


Philosophische  Vorlesungen  an  den  Deutsehen  Hochschulen.      379 

Hacheite  et  Co.  n.  2  M.  —  Nachrichten,  vierteljährliche,  von  Kir- 
chen- und  Schulsachen.  Herausgegeben  von  B.  Raven.  Jahrg.  1881. 
Nr.  1.  8.  Hannover,  Feesche.  pro  cplt.  haar  1  M.  50  Pf.  —  Schul- 
blatt, evangelisch-lutherisches.  Herausgegeben  von  der  deutschen  evan- 
gelisch-lutherischen Synode  von  Missouri,  Ohio  u.  a.  St.  16.  Jahrg.  1881. 
(12  Hefte.)  1.  Heft.  8.  St.  Louis,  Mo.  (Dresden.  H.J.Naumann.)  pro 
cplt.  n.  5  M.  —  Schneider,  K.,  Rousseau  und  Pestalozzi,  der  Idealis- 
mas auf  deutschem  und  französischem  Boden.  Zwei  Vorträge.  3.  Aufl. 
8.  Berlin,  6aertner*s  Verlag,  n.  1  M.  —  Pestalozzi,  H.,  Lienhard 
und  Gertrud.  2.— 5.(Schluss-)  Lieferung.  8.  Zürich,  Schulthess.  ä60Pf. 
[S.  ob.  S.  307.]  —  Pröhle.  H.,  Friedrich  Ludwig  Jahn's  Leben.  Neu 
bearbeitet  von  G.  Euler.  10.  Lief.  8.  Stuttgart,  Krabbe,  n.  50  Pf.  — 
Perez,  Teducation  d^s  le  berceau.  Essai  de  p^dagogie  exp^rimentale. 
8.  5  fr.  —  Laacke,  K.  Ch.  F.,  Schulgesetz  -  Sammlung.  ±  Theil. 
1.  Hälfte.  8.  Leipzig.  Siegismund  u.  Volkening.  pro  cplt.  n.  2  M.  — 
Nohl,  L.,  unsere  geistige  Bildung.  ±  Ausg.  8.  Leipzig,  Gebr.  Senf, 
u.  1  M.  50  Pf.  —  Hage  mann,  A.,  was  ist  Charakter  und  wie  kann 
er  durch  die  Erziehung  gebildet  werden?  8.  Dorpat,  KrĂĽger,   n.  75  Pf. 

—  Knecht,  F.  J.,  die  Lösung  der  Schulfrage  und  der  Canisiusverein. 
8.  Freiburg  i.  B.,  Herder 'sehe  Verlagshandlung,  n.  80  Pf .  —  Mitthei- 
lungen aus  dem  Gebiet  des  Volksschulwesens.  Herausgegeben  von  H. 
Brandi.  6.  Jahrg.  Mai  1881  bis  April  1882.  (12  Nrn.)  Nr.  1.  4.  Osna- 
brĂĽck, Wehberg,  pro  cplt.  n.  1  M.  50Pf.  --  Hunziker,  O.,  Geschichte 
der  schweizerischen  Volksschule  in  gedrängter  Darstellung.  1.  Liefg. 
S.  Hälfte  u.  2.  u.  3.  Liefg.  8.  Zürich,  Schulthess.  n.  3  M.  —  Jahres- 
bericht, 14.,  des  herzoglichen  Lehrerseminars  zu  Gotha.  Herausgegeben 
von  A.  Zeyss.  8.  Gotha,  Tbienemann.  n.  80  Pf.  ■—  Betrachtungen 
über  unser  classisches  Schulwesen.  8.  Leipzig,  Abel.  1  M.  50  Pf.  — 
Schwicker,  J.  H.,  die  ungarischen  Gynmasien.  Geschichte,  System, 
Staüstik.  8.  Budapest,  KiUan's  Universitäts-Buchh.  n.  3  M.  50  Pf.  — 
Lindemann,  R.,  Herder  und  die  Realschule  unserer  Zeit.  4.  Löbau, 
Oliva's Buchh.  n.  IM.  25  Pf.  —  Universitäts-Kalender,  deutscher. 
19.  Ausg.  Sommer-Semester  1881.  Herausg.  von  F.  Ascherson.  2  Theile. 
16.  Geh.  u.  geb.  n.  2  M.  25  Pf.  2  Theile  apart  n.  1  M.  50  Pf.  — 
JahrbĂĽcher,  neue,  fĂĽr  die  Turnkunst.  Herausg.  vonM.  Kloss.  27.  Bd. 
1.  Heft  8.  Dresden,  Schönfeld's  Verlagshandl.  pro  cplt.  n.  7  M.  50  Pf. 

—  Zenz,  A.,  das  Schulturuwesen  in  Deutschland  und  der  Schweiz  und 
die  Jugendwehr  in  der  Schweiz.  8.  Wien,  Holder,  n.  2  M.  —  Schett- 
1er,  0.,  der  Turnunterricht  in  gemischten  Volksschulklassen.  8.  Hof, 
Grau  k  Co.    n.  1  M.  20  Pf. 


Philosophische  Yörlesungen  an  den  Deutschen  Hochschulen 

im  Sommer-Semester  1881. 

(Nachtrag.) 

Prag.  Rohling:  Bibel  und  Wissenschaft.  --  Frind:  theologia  mo- 
ralis,  pars  specialis.  —  Elbl:  Schulpädagogik.  —  Blanda:  Schulpäda- 
Sogik.  —  Rulf:  Rechtsphilosophie.  —  Loewe:  die  philosophischen  Sy- 
steme des  Pläto  und  des  Aristoteles.  —  Willmann:  Encyklopädie  der 
PSdagogik  ĂĽber  A.  Komensky's  Didactica  magna;  pidagogiscbes  Seminar. 
—  Stumpf:  Metaphysik.  —  Marty:  Logik;  Geschichte  der  neueren  Phi- 
losophie. —  Durdik:  Aesthetik  der  Dichtkunst;  Psychologie.  —  We- 
runsky:  aUg:emeine  Politik  (geschichtliche  Entwicklung  von  Staat  und 
Gesellschaft  bis  zur  Gegenwart).  —  Hilberg:  Cicero's  Leben  und  Schrif- 
^;  philosophische  Gesellschaft,  griechische  Abtheilung,  Plutarchi  Moralia. 
^  Kämpf:  die  Ethik  der  Mischnah.  —  Lambel:  über  Lessing's  Laokoon. 


380  Recensionen-Verzeichniss. 

Wien,  Universität.  Krfickl:  theologia  moralis,  pars  altera.  --  Mfill- 
ner:  philosophisch-theologische  Propädeutik,  specujativer  Theil:  Metaphy- 
sik, Kosmologie,  speculative  Anthropologie,  natĂĽrliche  Theologie,  eventuell 
Moralphilosophie;  philosophisch-theologische  Propädeutik,  historischer  Theil: 
Geschichte  der  christlichen  Philosophie,  —von  Stein:  Rechtsphilosophie. 
—  Jellinek:  Rechtsphilosophie;  Leetüre  und  Besprechung  ausgewählter 
Gapitel  poUtischer  Schriftsteller  (Fortsetzung:  Montesquieu,  Rousseau, 
Burke).  —  v.  Brücke:  Physiologie  der  Stimme  und  Sprache.  —  Zim- 
mermann: Logik;  Greschichte  der  Philosophie,  IV.  Gursus,  Gegenwart 
seit  Hegel's  Tode.  —  Vogt:  Gymnasialpädagogik;  Logik;  pädagogisches 
Seminar;  pädagogische  Uebungen.  —  v.  Meinong  (Über  Wahrheit  und 
Wahrscheinlichkeit;  philosophische  Societät;  Leetüre  und  Besprechung 
von  John  Stuart  MilPs  „das  Nützlichkeitsprincip*.  —  Masaryk:  S>i>tem 
der  positiven  Philosophie  von  AugusteComte.  — Brentano:  ausgewählte 
metaphysische  Fragen ;  dialektische  Hebungen ;  kritische  Besprechung  von 
Spinoza's  Ethik.  —  Gomperz:  Greschichte  der  griechischen  Philosophie 
(vom  Tode  des  Aristoteles  bis  zur  Schliessung  der  Philosophenschulen).  — 
Klein:  über  Lessing*s  Laokoon.  —  Erich  Schmidt:  im  Seminar  für 
deutsche  Philologie  Uebungen  im  Anschluss  an  Lessing's  Hamburgische 
Dramaturgie.  —  Minor:  Goethe  und  Schiller  1794—1805. 


Becenslonen  -  Y  erzeichnlss. 

Adamson,  ĂĽber  Kant's  Philosophie,  ĂĽbersetzt  von  Schaarschmidt  (Z.  f. 
Philos.  u.  philos.  Krit.  78,  2  v.  Thiele ;  Literar.  Merkur  12  v.  Dr.  H. 
Spatzier.) 

Apelt,  0.,  Untersuchungen  ĂĽber  den  Parmenides  des  Plato.  (Jahresber. 
ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  dass.  Alterthumswiss.  1879,  12  y.  M.  Schanz.) 

Ardigo,  la  morale  dei  positivisti.  (La  philosophie  positive  13,  4  v.  G. 
W[yrouboff|.) 

Aristotelis,  Ethica  Nicomachea  ed.  Ramsauer.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fort- 
schr. d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  Susemihl.) 

Aristoteles,  Ethics,  the  fiflh  book  by  Jackson.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fort- 
schr. d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 

Aristotelis  Physica  rec.  C.  Prantl.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  dass. 
Alterthumswiss.  1879,  12  v.  Susemihl.) 

Aristotelis  de  arte  poetica  liber.  Rec.  Christ.  (Jahresber.  ĂĽb.  d. Fort- 
schr. d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 

Bain,  Erziehung  als  Wissenschaft.  (Ztschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Kritik. 
78,  2  V.  V.  Baerenbach.) 

Bahnsch,  des  Epicureers  Philodem  Schrift  ns^l  atjfseUor  etc.   (L.  C.  18.) 

Benfey,  Erinnerungen  an  Friedrich  FrĂĽbel.    (L.  G.  16.) 

Bergmann,  Sein  und  Erkennen.   (Dtsche.  Literaturztg.  18  y.  R.Eucken.) 

Bertram,  die  Unsterblichkeitslehre  Plato's.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 
d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz) 

Bertrand,  Taperception  du  corps  bumain  par  la  conscience.  (Philosophie 
positive  1881,  5.  6  v.  G.  Wyrouboff.) 

Braun,  Tb.,  Tenseignement  primaire  ä  Texposition  internationale  de  Paris 
de  1878.    (Dtsche  Literaturztg.  19  v.  Bertram.) 

Brei  tinger,  les  unit^s  d'Aristote.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class. 
Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 

Bruns,  Plato's  Gesetze.    (L.  G.  4  v.  M.  W[o]hlr[a]b.) 

BĂĽchner,  aus  dem  Geistesleben  der  Thiere.  (Dtsche.  Literaturztg.  13  v. 
Th.  Eimer.) 

Gaird,  anintroduction  to  the  philosophy  of  religion.  (Dtsche.  Literatur- 
ztg. 18  v.  0.  Pfleiderer.) 


Recenfldonen  *  Veneichniss.  381 

Garneri,  Grundlegung  der  Ethik.    (Gegenwart  15  y..W.  BoHn.) 
Cohen,  Plato^s  Ideenlehre  und  die  Mathematik.    (Jahresber.  d.  class.  Al- 

terthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Colsenet,  lavie  inconsciente de  Tesprit.  (Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos. 5,  2.) 
Comte,  Einleitung  in  die  positive  Philosophie.    (L.  G.  14.) 
Cornelius,   zur  Theorie  der  Wechselwirkung  zwischen  Leib  und   Seele. 

(L.  C.  14.) 
Diels,  H.,  Doxographi  Graeci.    Gollegit  etc.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  dass.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 
Emminger,   die  vorsokratische  Philosophie.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 
Evelin,  infini  et  quantit^.  (Philosophie  positive  1881, 5. 6  v.  G.  Wyrouboff.) 
Fischer,  ĂĽber  die  Dichterstellen  bei  Plato.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Fr ag m en t a  philosophorum  Graecormn  ed.  Mullach.   Vol.  HI.   (Voss.  Ztg., 

Sonntagsbeil.  21  v.  F.  A.  Maercker.) 
Franke,   J.  H.,  die  Wissenschaft  vom  physischen,  geistigen  und  socialen 

Leben.    (Dtsche.  Literaturztg.  15  v.  A.  Krohn.) 
Gen6,  la  mort  et  le  diable.    (Revue  criĂĽque  17.) 
Glogau,   Abriss  der  philosophischen  Grundwissenschaften.    (Vierteljschr. 

f.  wiss.  Philos.  5,  ±) 
Gregoriades,  nsgi  rtoy  fMv&toy  nttgo:  JlXartovi,   (Jahresb.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Gret,  Psychologie  der  GefĂĽhle  in  ihrer  Geschichte  und  Hauptgrundlagen. 

(Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  5,  2.) 
Grote,  Aristotle  ed.  by  A.  Bain  et  G.  Groom  Robertson.   (Jahresber.  ĂĽb. 

d.  Fortschr.  d.  class,  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
GrĂĽn,  Gulturgeschichte  des  17.  Jahrhunderts.    (L.  G.  19.) 
Harms,   die  Philosophie  seit  Kant,    2.  Aufl.    (Literar.  Merkur  12  v.  Dr. 

H.  Spatzier.) 
Hatch,   the  moral  philosophy  of  Aristotle.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  dass.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 
Henne-am-Rhyn,  das  Jenseits.    (Literar.  Merkur  14  v.  Dr.  H.  Spatzier.) 
Hoffmann,  H.,  die  Erziehung  zur  Production.  (Dtsche.  Schulztg.  18,  Beil.) 
Hunziker,  Pestalozzi  und  Fellenberg.    (Dtsche.  Schulztg.  18,  Beilage.) 
Ihm,  ĂĽber  den  Begriff  der  Platonischen  do^a,   (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz. 
Julian i,   quae  supersunt  ed.  Neumann.    (Dtsche.  Literaturztg.  19  v.  G. 

Heinrici;  L.  G.  19.) 
Kaiser  Julian 's  BĂĽcher  gegen  die  Christen.    (Dtsche.  Literaturztg.  19  v. 

6.  Heinrici.) 
Jastini,  opera  ed.  Otto.    (Revue  crit.  15.) 

Kaas.  die  Lehre  des  Aristoteles  von  der  Lust.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fort- 
schr. d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 
Königs,  über  Plato's  Kunstanschauung.    (Jahresber.  üb.  d.  Fortschr.  d. 

class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Kramm,  de  ideis  Piatonis  a  Lotzei  iudicio  defensis.    (Jahresber.  ĂĽb.  d. 

Fortschr.  d.  dass.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Krause,  A.,  populäre  Darstellung  von  Immanuel  Kant's  Kritik  der  reinen 

Vernunft.    (Literar.  Merkur  12  v.  Dr.  H.  Prochaska.) 
Kreskas,  Chasdai,  die  Willensfreiheit  von  Ph.  Bloch.   (L.  G.  21  von  H. 

Str[ack]). 
A.  Krohn,  die  Platonische  Frage.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  clas^s. 

Alterthumswiss    1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
K.  Lange,  über  Apperception.    (L.  C.  14;  Mädchenschule  8.) 
Leibniz'  philos.  Schriften  von  Gerhardt.    (Dtsche.  Literaturztg.  17  v. 
E.  Laas.) 


382  Recensionen-Verzeichniss. 

Leibnizens  und  Huyghens  Briefwechsel  mit  Papin  v.  Gerland.  (Beil.  z. 

Augsb.  AUg.  Ztg.  117.) 
Lessing's  Laokoon.    Herausgeg.  v.  BIflmner.   2.  Aufl.    (Z.  f.  Gymnasial- 

wesen  4  v.  R.  Engelroann.) 
H.  Lotze,   System  der  Philosophie.     1.    Logik.    S.  Aufl.    (Dtsche  Lite- 

raturztg.  15.) 
Luthardt,  die  modernen  Weltanschauungen  und  ihre  praktischen  Kon- 
sequenzen.   (Liter.  Merkur  13  v.  Dr.  H.  Spatzier.) 
M.  Mendelssohn,   Schriften  zur  Philosophie,  Aesthetik  und  Apologetik. 

(Gegenwart  13.) 
Michel  et,  Philosophie  der  Geschichte.    (Voss.  Ztg.,  Sonntagsbeil.  14.) 
Monrad,  Denkrichtungen  der  neueren  Zeit.  (Gegenwart  20  v.  C.Gerhard; 

L.  C.  21.) 
I.  MĂĽller,   specimen  novae  editionis  libri  Galeniani  qui  inscribitur   Ă–n 

Tccig  Tov  avif^ttrog  rgaaeaiy  al  t^c  tpv^rjg  dtvafiug  inoyrtei.    (Dtsche. 

Literaturztg.  v.  W.  Studemund.) 
Neuhäuser,  Aristoteles"  Lehre  von  den  sinnlichen  ErkenntnissvermÖgen 

und  seinen  Organen.    (Jahresber.   flb.  den  Fortschr.  d.  dass.  Alter- 

thumswiss.  1879,  12  v.  Susemihl.) 
Perez,  Töducation  dös  le  bercean.    (Vierteljahrschr.  f.  wiss.  Philos.  5,  2; 

La  Philosophie  positive  1881,  5.  6  v.  G.  WyrouboflF.) 
Pesch,  institutiones  philosophiae  naturalis  secundum  principia  S.  Thomae 

Aquinatis.    (Von  Sanghorst,  Stimmen  aus  Maria  Laach  3.) 
Plato's  Charmides  v.  Th.  Becker.    (Jahresber.  flb.  d.  Fortschr.  d.  class. 

Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Pia  ton,    il  Demoniou  di  Socrate,   trad.  da  Bonghi  fasc  ĂĽ.    (Rassenza 

critica  di  opere  fllosoflche  ecc.  I,  1.) 
Plato,  Philebus  ed  Badham  ed.  2.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class. 

Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Pollock,  Spinoza.    (Vierteljahrsch.  f.  wiss.  Philos.  5,  2.) 
Preyer,  naturwissenschaftliche  Thatsachen  und  Probleme.    (L.  G.  18.) 
Rade,  die  psychologischen  GrundzĂĽge  des  Unterrichts  in  der  Muttersprache. 

(Dtsche.  Schulztg.  14,  Beilage.) 
Radebold,  das  platonische  Staatsideal  im  Zusammenhange.    (Jahresber. 

ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  H.  Schanz.) 
Radestock,  Schlaf  und  Traum.    (Liter.  Merkur  13  v,  Dr.  H.  Spatzier.) 
R.  Reinhardt,  der  Philebus  des  Plato  und  des  Aristoteles*  Nikomachische 

Ethik.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  13 

V.  M.  Schanz  u.  v.  F.  Susemihl.) 
Ribot,  les  maladies  de  la  memoire.   (Academy  469;  La  philosophie  posi- 
tive 1881,  5.  6  V.  G.  Wyrouboff.) 
de  Roberty,  Sociologie.    (La  philosophie  positive  13,  4.) 
Roisel,  la  substance.   (La  philosophie  positive  1881,  5.  6  v.  G.  Wyrouboff.) 
B.  Rothlauf,   die  Mathematik  zu.  Piaton *s  Zeiten.    (Jahresber.  d.  class. 

Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 
Rudolph,  die  Stellung  der  Schule  zu  dem  Kampfe  zwischen  Glauben  und 

Wissen.    (Schulbl.   d.  Prov.  Brand.  5.  6  v.  K.  B[omiann];  Literar. 

Merkur  13  v.  Dr.  Fr.  Schmid.) 
Sandiah,  v.,  Glauben  und  Wissen  v.  Ph.  Bloch.  (L.  C.  21  v.  H. Strack.) 
G.  Schneider,  das  Princlp  des  Masses  in  der  Platonischen  Philosophie. 

(Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879,   12  von 

M.  Schanz.) 
G.  H.  Schneider,  der  thierische  Wille.    (Naturforscher  20.) 
G.  Schulz,  die  Beweise  fĂĽr  das  Dasein  Gottes  und  die  Gotteserkenntniss. 

(Gegenwart  17.) 
Siebeck;   Geschichte  der  Psychologie.  I.    (Dtsche.  Literaturztg.  20  von 

B.  Erdmann.) 


ReGensionen-Verzeichniss.  383 

Simchowitz,  der  Positivismas  im  Hosaismus.    (L.  C.  20.) 

Stamm,  die  Staatslehre  des  Piaton  und  Aristoteles.  (Jabresber.  Qb.  d. 
Fortachr.  d.  dass.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 

Steinthal,  Abriss  der  Sprachwissenschaft.    (L.  G.  16.) 

Steinthal,  gesammelte  kleine  Schriften.  I.  (Dtsche.  Literaturztg.  14  v. 
W.  Sehn.) 

Tegge,  de  vi  ac  notione  dialecticae  Aristoteleae.    (Philol.  Anz.  12.) 

Teichm Aller,  neue  Studien  zur  Geschichte  der  Begriffe,  3.  Heft.  (Jah- 
resber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879, 12  v.  F.  Susemihl.) 

Teichmflller,  ĂĽber  die  Reihenfolge  der  Platonischen  Dialoge.  (Jahres- 
ber.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 

Tissot,  essai  de  philosophie  naturelle.  (Philosophie  positive  1881,  5.  6 
V.  G.  Wyrouboff.) 

Uebinger,  J.,  Philosophie  des  Nicolaus  Gusanus.  (Dtsche.  Literaturztg. 
18  V.  R.  Falckenberg;  Ztschr.  fĂĽr  Philos.  und  philos.  Kritik  78,  2  v. 
Richter.)  » 

Uphues,  das  Wesen  des  Denkens  nach  Piaton.    (Dtsche.  Literaturztg 
20  V.  Ebbinghaus;  L.  C.  v.  M.  W[o]hlr[a]b.] 

Venn,  J.,  Symbohc  Logic.    (Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  5,  2.) 

Vischer,  Th.,  Altes  und  Neues,  1.  Heft.  (Dtsche.  Literaturztg.  20  v.  E. 
Zeller.) 

Vogel,  systematische  Encyklopftdie  der  Pädagogik.  (Dtsche.  Schulztg. 
Nro.  14,  Beilage.) 

Volkelt.  bnmanuel  Kant's  Erkenntnisstheorie.  (Vierteljschr.  fĂĽr  wiss. 
Philos.  5,  2  V.  F.  Staudinger.) 

Westermayer,  der  Mythus  in  Plato's  Protagoras.  (Jahresber.  ĂĽb.  d. 
Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 

Wieg  and,  die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Platonischen  Liebe.  (Jah- 
resber. ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879, 12  v.  M.  Schanz.) 

Wildauer,  die  Psychologie  des  Willens,  II.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 
d.  class.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  M.  Schanz.) 

Wille,  ĂĽber  e^og  xai  tpoĂźog  in  Aristoteles*  Poetik.  (Jahresber.  ĂĽb.  d. 
Fortschr.  d.  class.  Philol.  1879,  12  v.  F.  Susemihl.) 

J.  Gook-Wilsom,  Aristotelean  studies,  I.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 
d.  class.  Philol.  1879.  12  v.  F.  Susemihl.) 

Windelband,  Geschichte  der  neueren  Philosophie,  Bd.  2.  (Dtsche.  Lite- 
raturztg. 12  V.  J.  B.  Meyer.) 

Winkelmann,  ĂĽber  die  ersten  Staats-Uni versitftten.  (Dtsche.  Literatur- 
ztg. 16  V.  Bertram.) 

Winter,  der  Individualismus.    (Evang.  Kirchenztg.  20.) 

Witte,  die  Philosophie  unserer  Dichterheroen,  Bd.I.  (Im  neuen  Reich  19.) 

Wohlrabe,  Kant's  Lehre  vom  Gewissen.    (L.  G.  18.) 

Wolf,  J.,  Aber  den  pädagogischen  Werth  des  Platonischen  und  Mendels- 
sohn'schen  Phädon.    (L.  G.  16,  5  v.  M.  W[o]hlr[a]b.) 

Wolff,  H.,  Logik*  und  Sprachphilosophie.  (Dtsche.  Literaturztg.  13  von 
Ebbinghaus.) 

Wundt,  GrundzĂĽge  der  physiologischen  Psychologie.  (Dtsche.  Literatur- 
ztg. 16  V.  B.  Erdmann.) 

Zeller,  Philosophie  der  Griechen.  11,  2.  3.  Aufl.  (Jahresber.  ĂĽb.  d. 
Fortschr.  d.  dass.  Alterthumswiss.  1879,  12  v.  Susemihl.)  III,  1. 
3.  Aufl.    (Dtsche.  Literaturztg.  14  v.  Susemihl.J 

Zeller,  ĂĽber  die  Lehre  des  Aristoteles  von  der  Ewigkeit  der  Welt.  (Jah- 
resber. ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1879. 12  v.  Susemihl.) 

Ziller,  allgemeine  philosophische  Ethik.  (Krit.  Vierteljschr.  f.  Gesetzgebg. 
u.  Rechtswiss.    N.  F.  41  v.  Geyer.) 


384  Aus  Zeitschriften. 

Ans  Zeitschriften. 

ZeKschrlft  fOr  Philosophie  und  philosophische  Kritik.  GegrĂĽndet  vod 
J.  H.  von  Fichte,  redigirt  von  Herrn.  Ulrici.  Halle.  Bd. 78.  Hefll 
Dr.  E.  Pf  leiderer,  kantischer  Kriticismus  und  englische  Philosophie. 
Letzter  Artikel.  —  J.  L.  A,  Koch,  über  das  Gedächtniss.  —  E.  Wester- 
bürg,  Schopenhauer's  Kritik  der  kantischen  Kategorienlehre  (2.  Hälfte).  — 
Recensionen:  Dr.  G.  Thiele,  Rob.  Adamson,  ĂĽber  Kant's  Philosophie, 
übersetzt  von  G.  Schaarschmidt.  —  Prof.  Dr.  A.  Richter,  die  neuesten 
Darstellungen  der  Philosophie  des  Nicolaus  von  Kues  (I.  Job.  Uebinger.  IIa 
und  b.  —  Dr.  Rieh.  Falckenberg).  —  Fr.  v.  Baerenbach,  Alex.  Bain, 
Erziehung  «als  Wissenschaft.  ~  H.  Ulrici,  Moses  Mendelssohn^s  Schriften 
zur  Philosophie  u.  s.  w.,  herausg.  v.  Dr.  M.  Brasch.  —  Bibliographie. 

Viortei|ahrtachrlft  fĂĽr  witsonschafHIcho  Philotophio,  herausg.  v.  R.  Ave- 
narius.  Heft  U.  E.  Laas,  Vergeltung  und  Zurechnung  (1.  Artikel).  — 
F.  Jon  nies,  Anmerkungen  ĂĽber  die  Philosophie  des  Hobbes  (4.  Artikel). 
—  E.  Kraepelin*,  über  Trugwahrnehmungen  (1.  Artikel).  —  A.  v.  Le- 
clair,  kritischer  Idealismus  und  Positivismus.  Eine  Entgegnung.  —  H. 
Vai hinger,  Erwiderung.  —  Anzeigen:  F.  Staudinger,  Volkelt,  Job.  Imm. 
Kant's  Erkenntnisstheorie  u.  s.  w.  —  Selbstanzeigen  (Golsenet,  Glogau, 
Groth,  Pescz,  Pollock,  Vian).  —  Philosophische  Zeitschriften.  —  Biblio- 
graphische Mittheilungen.  —  Notizen. 

Rovue  philotophique  de  la  France  ot  de  r^trangor.  Dir.  par  Th.Ribot. 
Paris,  G.  Bailliöre  et  Co.  1881.  No.  5.  —  J.  D armesteter,  les  cosmo- 
gonies  aryennes.  —  Gharpentier  (T.-V.),  philosophes  contemporains, 
M.  Gournot.  —  Dr.  G.  le  Bon,  probl^mes  anthropologiques.  I.  La  que- 
stion  des  criminels.  —  Dr.  Gh.  Riebet,  la  memoire  ^l^mentaire.  —  Ana- 
lyses  et  comptes  rendus:  Letourneau,  la  sociologie  d'aprte  Pethnogra- 
phie.  —  Mac  Cosh,  the  emotions.  —  Notices  bibliographiques:  E.  de 
Gampou,  Th^rie  des  quantit^s  negatives.  —  F.  Labour,  M.  de  Mon- 
tyon.*—  G.  Ganestrini,  la  teoria  di  Darwin.  —  Gorrespondance :  MM. 
P.  Tannery  et  F.  Ev ellin:  sur  Tlnflni  math4matique. 


Berichtigung. 

Herr  Director  Dr.  Döring  macht  in  einer  Zuschrift  darauf  aufmerk- 
sam, dass  in  der  Besprechung  seiner  Schrift  ,  GrundzĂĽge  der  allgemeinen 
Logik*  Nr.  3  der  Monatshefte  S.  153  Z.  7  v.  u.  statt  complete  zu  lesen 
sei:  complexe;   S.  156  in  der  Mitte  statt  apodiktisch:  apodeiktisch. 


Druck  von  P.  Neuaseriu  Bona. 


|]eb«r  den  Mi  des  Widenpreehs  end  die  Bedentnng  der 

Negation. 


Dass  die  Bejahung  und  die  Verneinung  Eines  und  des- 
selben einander  ausschliessen  und  folglich  nicht  vereinigt  wer- 
den können,  das  ist  eine  Gewissheit,  die  mit  dem  Wesen  des 
Denkens  so  wesentlich  und  unmittelbar  verbunden  ist,  dass 
sie,  wenn  gleich  nicht  als  allgemeines  Gesetz  formulirt,  sich 
dem  Menschen  aufdrängen  muss,  sobald  er  zu  denken  und 
zu  reden  anfangt.  Freilich  müssen  wir  Locke  völlig  beistim- 
men, wenn  er  behauptet,  die  Kinder  erkennen  den  Unter- 
schied zwischen  SĂĽss  und  Bitter,  lange  ehe  sie  irgend  eine 
Vorstellung  eines  allgemeinen  Denkgesetzes  haben;  das  aber 
erkennen  sie  unmittelbar,  dass  der  Mangel  eines  verlangten 
Gegenstandes  nicht  dessen  Besitz  ist,  und  dass,  was  man 
ihnen  verweigert,  ihnen  nicht  gegeben  wird.  Die  Frage,  ob 
diese  Erkenntniss  a  priori  oder  a  posteriori  sei,  ist  hierbei 
untergeordneter  Art  und  lässt  sich  nicht  einfach  beantworten. 
Da  wir  uns  des  Unterschieds  zwischen  verschiedenen  Gtegen- 
ständen  ebenso  wie  des  zwischen  dem  Mangel  und  dessen  Befrie- 
digung erst  durch  die  Erfahrung  bewusst  werden,  so  ist 
allerdings  die  Erfahrung  eine  nothwendige  Bedingung,  ohne 
welche  das  Gesetz  des  Widerspruchs  niemals  zum  Bewusst- 
sein  kommen  wĂĽrde;  ein  Wesen,  das  niemals  irgend  einen 
Unterschied  empfilnde,  wĂĽrde  weder  dieses  noch  irgend  ein 
anderes  Gesetz  erkennen.  Ebenso  gewiss  ist  es  aber  anderer- 
seits, dass  wir,  um  ĂĽberhaupt  zu  denken  und  zu  erkennen, 
Bestimmtheiten  und  Gegenstande  von  einander  unterscheiden 
mĂĽssen;  und  schon  in  diesem  Unterscheiden  ist  das  fragliche 
Gesetz  enthalten,    wenn   auch  Anfangs  nur  dunkel,   als  ein 

PbiloMph.  MonaUhefle  1881.  VU  u.  VIII.  25 


386  J.  J.  BoreHus:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

Bewusstsein,  dass  das  Unterschiedene  unterschieden  ist,  d.  h. 
dass  die  irgendwie  Unterschiedenen  nicht  in  derselben  RĂĽck- 
sicht identisch  sind. 

Aber,  wenn  gleich,  dem  Vorigen  zu  Folge,  ein  unmittel- 
bares und  unentwickeltes  Bewusstsein  des  Satzes  des  Wider- 
spruchs in  allem  Denken  enthalten  ist,  so  ist  doch  ein  weiter 
Weg  von  hier  bis  zur  Aufstellung  desselben  als  eines  aus- 
drücklich formulirten  Denkgesetzes.  Noch  in  der  ältesten 
griechischen  Philosophie  war  die  Aufmerksamkeit  zu  sehr 
der  Natur  zugekehrt,  um  die  Reflexion  des  Denkens  auf  sich 
selbst  zu  y erstatten,  welche  die  unumgängliche  Bedingung 
jener  Formulirung  ist.  Die  erste  Veranlassung  derselben  scheint 
negativer  Art  gewesen  zu  sein,  d.  h.  durch  eine  Lehre,  wel- 
che jene  Bestimmtheit  und  Festigkeit  des  Denkens,  die  eben 
durch  das  fragliche  Gesetz  erzielt  wird,  ganz  zu  vernichten 
drohte.  Der  tiefe  Denker  Heraklit  war,  wahrscheinlich  durch 
Beobachtung  der  Welt  der  Erfahrung,  zu  dem  Gedanken  ge- 
fuhrt worden,  dass  es  in  der  Welt  nichts  Festes  und  Beste- 
hendes gebe,  dass  Alles  fliesse,  Alles  verändert  werde  und 
Nichts  bleibe.  „Alles  wird  aus  Jedem  und  Jedes  aus  Allem 
in  unaufhörlichem  Wechsel."  Hiermit  ist  zum  ersten  Male  die 
grosse  Wahrheit  ausgesprochen,  dass  die  Welt  sich  in 
Gegensätzen  bewegt.  „Das  Eine,  von  sich  selbst  getrennt, 
einigt  sich  immer  mit  sich  selbst;  das  Entgegengesetzte 
fĂĽgt  sich  zusammen,  aus  den  Unterschiedenen  entsteht  die 
schönste  Harmonie  und  Alles  wird  durch  Streit.  Denn  ohne 
tiefe  und  hohe  Töne  wäre  keine  musikalische  Harmonie,  noch 
die  lebendigen  Wesen  ohne  den  Gegensatz  des  Männlichen 
und  des  Weiblichen.'^  Man  muss  den  tiefen,  genialen  Blick 
bewundern,  der  sich  in  diesen  und  überhaupt  in  allen  Sätzen 
Heraklits  ausspricht.  Die  ganze  neuere  Naturwissenschaft  hat 
sie  bestätigt,  wie  auch  sein  Satz :  „die  gerade  und  die  krumme 
Linie  sind  eine  und  dieselbe,  der  Weg  der  Schraube  ist  ge- 
rade und  krumm",  freilich  in  paradoxer  Form,  eine  Wahr- 
heit antecipirt,  die  von  der  wissenschaftlichen  Forschung  be- 
stätigt worden  ist,  indem  die  Schrauben-(Spiral-)form  als  der 
allgemeine  Typus  jeder,  sowohl  geistigen  als  natĂĽrlichen  Ent- 
wickelung  betrachtet  wird.    Noch  in  unseren  Tagen  konnte 


J.  J.  Borelius:  lieber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.         .    387 

ein  grosser  Philosoph  ausrufen:   „es  ist  kein  Satz  des  Hera- 
klit,  den  ich  nicht  in  meine  Logik  aufgenommen/^ 

Aber  diese  Philosophie  konnte  selbst  nicht  dem  Gesetz 
entgehen,  das  sie  als  allgemeines  Weltgesetz  ausgesprochen 
hatte  —  dem  Gesetze  des  Werdens  und  Vergehens  —  sie 
musste  untergehen,  um  in  neuer,  veredelter  Form  von  Neuem 
aufzuerstehen.  Und  zwar  war  ihr  Untergang  verschuldet  durch 
die  abstracte  Form,  in  welcher  sie  die  von  ihr  verkĂĽndigte 
Wahrheit  ausgesprochen  hatte.  Schon  damit  man  von  einem 
Werden,  einem  ĂĽebergehen  der  Entgegengesetzten  in  einander 
reden  könne,  wird  vorausgesetzt,  dass  sie  in  irgend  einer 
RĂĽcksicht  unterschieden  seien.  Hebt  man  dagegen  jeden 
Unterschied  auf,  so  wird  dadurch  nicht  nur  die  Bewegung 
selbst  vernichtet*),  sondern  auch  jedes  Denken;  denn  das 
Denken  ist  wesentlich  Unterscheiden  und  Beziehung  des  Un- 
terschiedenen auf  einander.  Diesen  Umstand  hatte  Heraklit 
ĂĽbersehen.  Ein  Bestehendes  hatte  er  freilich  in  dem  allge- 
meinen Fluss  der  Dinge  angenommen:  die  allgemeine  Ord- 
nung des  Werdens,  näher  bestimmt  als  die  beiden  Wege 
nach  Unten  und  nach  Oben.  Indem  er  aber  aussprach,  dass 
diese  beiden  Wege  ein  und  derselbe  wären,  hob  er  auch  die- 
sen Unterschied  auf;  da  er  ohnedies  selbst  angenommen 
hatte,  dass  Alles  fliesse,  so  lag  die  Schlussfolge  ganz  nah, 
nicht  einmal  die  allgemeine  Ordnung  als  bleibend  zu  betrach- 
ten. Von  einer  wissenschaftlichen  Methode  konnte  ĂĽberhaupt 
in  der  damaligen  Philosophie  nicht  die  Rede  sein;  und  bei 
Heraklit  war  sie  überdies  durch  sein  Princip  unmöglich  ge- 
macht. Seine  Sätze  erschienen  daher  als  orakehnässige  Pa* 
radoxe  ohne  Beweis,  höchstens  mit  Hinweisung  auf  Beispiele 
aus  der  Erfahrung.  Bei  seinen  Anhängern,  die  ohne  die  Tiefe 
des  Meisters  zu  besitzen  seine  Lehre  nur  als  eine  von  aussen 
gegebene  bekommen  hatten,  musste  diese  bald  in  gedanken- 
loses Geschwätz  entarten.  *Plato  gibt  im  Theätet  eine  er- 
götzliche Schilderung  dieser  Anhänger  des  Ephesiers,  von 
denen  er  sagt,  dass  man  mit  ihnen  eben  so  wenig  als  mit 
den  Hasenden  ein  vernünftiges  Gespräch    führen  könne,  und 


1)  Aristo t.  Metaph.  1010  a.  35. 


388  J.  J.  Borelins:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

dass  sie  sich  wohl  hĂĽten,  irgend  etwas  Festes  ĂĽbrig  zu  las- 
sen, weder  in  der  Rede,  noch  in  ihren  eigenen  Seelen. 

Schon  vor  Heraklit  hatte  Xenophanes  der  Eleate  den 
Satz  ausgesprochen,  dass  Alles  Eins  sei  und  dieses  Eine  sei 
Gott.  Sein  SchĂĽler  Parmenides  fĂĽhrte  diese  Lehre  weiter 
aus,  indem  er  von  der  theologischen  Form,  welche  sie  bei 
Xenophanes  hatte,  zu  einer  logischen  ĂĽberging  und  aus  dem 
Begriffe  des  Seienden  die  Einheit  des  Alls  zu  beweisen  suchte. 
Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Parmenides  die  Lehre 
Heraklits  gekannt  habe;  jedenfalls  warnt  er  in  seinem  Lehr- 
gedichte vor  der  Ansicht  der  tauben,  blinden  und  stumpf- 
sinnigen Menschen,  denen  Sein  und  Nichtsein  dasselbe  ist  und 
Alles  herum  läuft  {nawunf  naUvrqoTtog  eoTL  yiilevdxjg)*).  Bei 
Parmenides  finden  wir  die  erste  bestimmte  Darstellung  des 
Satzes  des  Widerspruchs  in  dem  bekannten  Grundsatze:  „das 
Seiende  ist  und  das  Nichtseiende  ist  nicht^S  so  wie  auch  in 
seiner  ausdrĂĽcklichen  Verwerfung  der  entgegengesetzten  An- 
sicht, hl  der  DurchfĂĽhrung  jenes  Grundsatzes  ging  aber  Par- 
menides zu  emem  Extrem  fort,  das  nicht  weniger  als  das 
Heraklitische  die  Möglichkeit  alles  Denkens  und  Wissens  auf- 
hob. So  wahr  es  ist,  dass  Sein  und  Nichtsein,  absolut  ge- 
dacht, einander  widersprechen,  so  wahr  ist  es  auch,  dass  mit 
dem  Seienden  em  relatives  Nichtsein  vereinbar  ist,  das 
eben  in  dem  Unterschied  desselben  von  allem  anderen  Seien- 
den besteht.  Und  dieses  nicht  nur  in  der  Bedeutung,  dass 
wir,  beide  vergleichend,  finden,  dass  das  Eine  nicht  das  An- 
dere ist,  sondern  auch  so,  dass  jedes  Seiende  an  sich,  d.  h. 
unabhängig  von  unserer  vergleichenden  Reflexion,  von  Ande- 
rem wesentlich  unterschieden  und  ebenso  wesentlich  mit  ihm 
verbunden  ist®).  Dieses  ist  eben  die  Wahrheit  jener  Einheit 
des  Entgegengesetzten,  welche  der  Grundgedanke  der  Herak- 
litischen  Lehre  war,  aber  von  Parmenides  völlig  geläugnel 
wurde.  Hierdurch  wurde  es  ihm  nothwendig,  von  dem  Seien- 
den jede  Bewegung,  jedes  Entstehen  und  Untergehen,  jede 
Vielheit  und  jeden  Unterschied  auszuschliessen.    „Das  Seiende 


2)  Mullach,  Fragmenta.  S.  119. 

3)  Der  letztere  Satz  wird  ini  Folgenden  ausfQhrlicher  entwickelt  werden. 


J.  J.  Borelias:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  389 

ist  nicht  gewesen,  noch  wird  es  sein,  sondern  es  ist 
immer,  ganz  und  ungetheilt.  Denn  welche  Entstehung  woll- 
test du  ihm  suchen  oder  woraus  sollte  es  sich  vergrössern? 
Aus  dem  Nichtseienden,  darfst  du  nicht  sagen  oder  denken, 
denn  es  ist  weder  sagbar  noch  denkbar.  Das  Seiende  ist 
ferner  eines,  zusammenhängend  und  untheilbar,  nicht  hier 
mehr,  dort  weniger,  denn  es  gibt  kein  Nichtseiendes,  das  es 
verhindern  könnte  zusammenzuhängen."  Dieser  ganze  Be- 
weis grĂĽndet  sich  auf  ein  Verkennen  des  Begriffes  der  Re- 
lation; er  fallt,  indem  dieser  Begriff  festgehalten  wird.  Aber 
um  die  Bedeutung  der  Relation  zum  Bewusstsein  zu  bringen, 
gab  es  .kaum  ein  besseres  Mittel  als  sie  wie  Parmenides  ganz 
wegzuwerfen  und  dann  die  Folgen  dieses  Wegwerfens  mit 
unerbittlicher  Consequenz  darzustellen;  und  so  wurde  die 
Dialektik  des  Parmenides,  freilich  gegen  die  Absicht  ihres 
Urhebers,  ein  indirecter  Beweis  fĂĽr  die  Wichtigkeit  jener  von 
ihm  verkannten  Kategorie. 

Durch  diese  Argumentation  hatte  sich  Parmenides  in 
offenbaren  Widerspruch  gegen  die  gesammte  Erfahrung  ge- 
setzt; indessen  ist  dieses  gewissermassen  jeder  Philosophie 
gemeinsam,  den  reinen  Empirismus  nicht  einmal  ausgenom- 
men. Namentlich  war  die  ^oij  Heraklits  nicht  weniger  als 
das  unbewegte  Seiende  des  Parmenides  der  Erfahrung  wider- 
sprechend. Noch  schlimmer  war  es  aber,  dass  dieser  uner- 
bittliche Vertreter  des  Gesetzes  des  Widerspruchs  dem  Loos 
nicht  entgehen  koimte,  sich  selbst  zu  widersprechen.  Denn 
jenes  Nichtseiende,  das  weder  denkbar  noch  sagbar  sein 
sollte,  war  doch  eben  in  seinem  Leugnen  desselben  ebenso 
wohl  gedacht  als  ausgesprochen  —  freilich  als  nur  schein- 
bar, in  der  Meinung  der  unvernĂĽnftigen  Menschen,  seiend, 
aber  doch  als  seiend.  Wenn  es  in  keiner  Hinsicht  ein  Nicht- 
seiendes gab,  so  könnte  es  auch  keinen  Schein,  keine  falsche 
Vorstellung  geben.  Wenn  Parmenides  im  zweiten  Theil  sei- 
nes Lehrgedichts  eine  formliche  Theorie  des  Scheins  auf- 
stellte, so  war  dieses  in  der  That  nur  ein  DurchfĂĽhren  des 
Widerspruchs,  der  schon  im  ersten  Theil  enthalten  war. 

Weder  von  dem  Standpunkt  des  Heraklit  noch  von  dem 
des  Parmenides  war  also  ein  zusanunenhängendes  und  wider- 


390  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc, 

spruchsfreies  Denken  möglich;  beide  mussten  folgerecht  in 
die  Sophistik  auslaufen.  Dieses  geschah  einerseits  durch 
Protagoras,  der  aus  der  ^01}  Heraklits  folgerte,  dass  es  kein 
anderes  Wissen  gebe,  als  die  wechselnden  Empfindungen, 
andererseits  durch  Gorgias ,  der  mit  acht  eleaĂĽscher  Dia- 
lektik bewies,  dass  Nichts  sei,  und  dass  auch  wenn  etwas 
wäre,  es  doch  weder  gedacht  noch  ausgesprochen  werden 
könnte.  Von  den  ungereimten  und  sinnlosen  Fehlschlüssen, 
welche  den  JĂĽngern  Sophisten  zugeschrieben  werden,  grĂĽnden 
sich  mehrere  auf  eleatischen  Voraussetzungen  z.  B.  Wer  lĂĽgt, 
der  sagt  was  nicht  ist;  dem  Nichtseienden  kann  man  aber 
Nichts  thun;  also  ist  es  unmöglich  zu  lügen.  Wer  etwas 
weiss,  der  weiss  Alles;  denn  er  kann  nicht  zugleich  wissend 
und  nichtwissend  sein.  Wer  Vater  ist,  ist  Aller  Vater;  denn 
sonst  wäre  er  zugleich  Vater  und  Nicht- Vater.  Wie  werthlos 
auch  diese  Sophismen  an  sich  selbst  sind,  so  grĂĽnden  sie 
sich  doch  alle  auf  demselben  Uebersehen  des  Begriffes  der 
Relation,  das  wir  schon  in  der  Parmenideischen  Formulirung 
des  Gesetzes  des  Widerspruchs  gefunden  haben;  nur  wird 
dieser  Fehler  noch  augenfälliger  bei  Begriffen,  die  (wie  Vater 
und  wissend)  offenbar  ihre  ganze  Bedeutung  nur  durch  die 
Relation  haben.  Auch  gingen  die  Sophisten,  nachdem  die 
Bahn  einmal  gebrochen  war,  noch  weiter,  indem  sie  auch 
verschiedene  Bedeutungen  desselben  Wortes  u.  s.  w.  benutzten, 
um  aus  ihnen  ungereimte  Folgerungen  zu  ziehen. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  Trugschlüsse  wie  die  letzt- 
genannten nicht  im  Ernst  benĂĽtzt  werden  konnten,  um  die 
Wahrheit  zu  erkennen.  Um  so  viel  grösser  war  die  Gefahr 
des  völligen  Aufhörens  der  Philosophie  durch  ihre  Entartung 
zu  einer  Art  geistiger  Fechterkunst,  deren  einziger  Zweck  war, 
den  Gegner  durch  pfiffige  Kunstgriffe  zum  Schweigen  zu  bringen. 
Um  diesem  vorzubeugen,  war  es  nothwendig,  dass  das  Par- 
menideische  Gesetz:  „das  Seiende  ist  und  das  Nichtseiende 
ist  nicht'',  nach  Inhalt  und  Umfang  näher  bestimmt  wurde. 
Einen  Versuch  dieser  Bestimmungen  finden  wir  in  dem  Pla- 
tonischen Dialog  Sophistes,  wo  gezeigt  wurde,  dass  auch  das 
Nichtseiende  gewissermassen  ist,  freilich  nicht  als  absolutes, 
jedes  Sein  ausschliessendes  Nichtsein  {ivcan^lov  tov  onog  [258 D]), 


J.  J.  Boretius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  891 

aber  als  der  jedem  Seienden  einwohnende  Unterschied,  durch 
welchen  ein  jedes,  eben  weil  es  ist  was  es  ist,  jedes  Andere 
nicht  ist.  Oder,  anders  ausgedruckt,  bei  jedem  Seienden 
sind  zwei  verschiedene  Ansichten  oder  Gesichtspunkte  zu  un- 
terscheiden: dessen  Sein  an  sich  und  dessen  Beziehung  zum 
Anderen.  Von  der  ersten  Seite  betrachtet  ist  es  ein  Seien- 
des, (mit  sich)  identisch,  von  der  anderen  dagegen  einNicht- 
seiendes,  mit  Anderem  nicht-identisch.  Diese  entgegengesetz- 
ten Bestimmungen  sind  in  Einem  und  demselben  völlig  ver- 
einbar, weil  sie  ihm  nicht  in  derselben  RĂĽcksicht  {twx  biioiwg)  *) 
beigelegt  werden.  Hier  leuchtet  schon  die  Aristotelische  Auf- 
fassung des  Gesetzes  des  Widerspruchs  hervor,  und  dadurch 
sind  sowohl  der  Eleatismus  als  die  sophistischen  Spitzfindig- 
keiten im  Grunde  widerlegt*). 

Es  liegt  ausser  dem  Zweck  dieser  Betrachtung,  zu  unter- 
suchen, ob  der  Sophistes  von  Plato  selbst  verfasst  sei  oder 

4)  Plato,  Sophist,  p.  256. 

5)  Dass  Plato  in  seinen  Schriften  stets  die  GĂĽltigkeit  des  Satzes  des 
Widerspruchs  voraussetzt  (wie  besonders  Hartmann  in  seiner  Kritik  der 
dialektischen  Methode  S.  7  bemerkt  hat),  ist  keineswegs  zu  leugnen;  aber 
die  Stellen,  auf  welche  sich  Hartmann  beruft,  enthalten  zum  Theil  eine 
Einmischung  des  Satzes  vom  zureichenden  Grunde  oder  der  Ideenlehre, 
wodurch  die  wahi'e  Bedeutung  des  Satzes  verunreinigt  wird.  So  z.B.  die 
auch  von  Herbart  (W.  W.  I.  80)  angefĂĽhrte  SteUe  im  Phfido  (103.  G): 
fui^inojB  iyayrioy  iavit^  ro  iyaviiop  ecec&ai.  Hier  deutet  schon  das 
Futur  icBo&aL  an,  dass  nicht  nur  das  Sein,  sondern  auch  das  Werden 
des  Entgegengesetzten  aus  dem  Entgegengesetzten  geleugnet  wird;  und 
dieses  geht  noch  deutlicher  hervor  aus  den  vorhergehenden  Worten:  ort 
avVo  t6  irayriop  kavr^  iyarriop  ovx  Sy  nore  yiyoiro.  Femer  aber  wird 
in  diesen  Worten  avro  ro  iyayrioy  ausdrĂĽcklicli  von  dem  nqSyfjia  iytcy^ 
Ttoy  unterschieden.  Nur  in  Betreff  des  ersteren  wird  ausdrĂĽcklich  und 
unbedingt  behauptet,  dass  es  nimmer  sein  Gegentheil  werden  oder  darin 
übergehen  kann:  die  Wärme  an  sich  kann  nimmer  kalt,  das  Leben  an 
sich  nimmer  todt  werden.  Dagegen  können  die  Dinge,  die  wegen  ihrer 
Theiluahme  an  der  Wärme  oder  dem  Leben  warm  oder  lebendig  genannt 
werden,  in's  Gegentheil  ĂĽbergehen,  wenn  sie  nicht  etwa  so  beschaffen 
sind,  dass  sie,  so  lange  sie  sind,  eine  gewisse  Form  behalten,  wie  z.  B. 
das  Feuer  die  Wärme  und  die  Seele  das  Leben  (i'/ci  r^y  ixeiyov  fioQtpijy  aü 
otaynsQ  H),  Eine  andere,  ebenfalls  von  Hartmann  angefĂĽhrte  Stdle  (Rep. 
436  B)  bezieht  sich  ausdrĂĽcklich  auf  ein  nouiy  ^  na^x^iy,  also  auf  das 
Verhiltniss  der  Gausalität,  und  setzt  also  allerdings  den  Satz  des  Wider- 
sprpchs  voraus,  ohne  ihn  jedoch  bestinmit  zu  formuliren. 


392  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

nicht.    Die  darin  gegebene  Widerlegung  des  Eleatismus  und 
der  Sophistik  wĂĽrde  auch  im  letzteren  Falle  gĂĽltig  sein;  nur 
wäre   es  zweifelhaft,    ob  sie  älter  oder  jünger  wäre  als  die 
von  Aristoteles  gegebene.    Jedenfalls  mĂĽssen  wir  anerkennen, 
dass  in  anderen  platonischen  Dialogen,   besonders  der  Repu- 
blik und  dem  Timaeus,   die  Auffassung  des  Nichtseins  sich 
weit  mehr  dem  Eleatismus  nähert,  indem  hier  nicht  von  einem 
den  Ideen  innewohnenden  Nichtsein  gesprochen  wird,  sondern 
vielmehr  die  Ideenwelt  als  das  wahrhaft  Seiende  nicht  nur 
der  Materie  als  dem  Nichtseienden,  sondern  auch  der  Sinnen- 
welt als  dem  Mittleren  zwischen  Beiden  entgegengesetzt  wird. 
Möge  aber  der  Sophistes  früher  oder  später  als  die  Me- 
taphysik des  Aristoteles  sein  —  so  viel  ist  gewiss,  dass  die 
exakte  Formulirung  des  Satzes  des  Widerspruchs   als   eines 
allgemeinen  Denkgesetzes  erst  in  dieser  vorkonunt.    „Unmög- 
lich ist  es^\  heisst  es  hier,  „dass  Dasselbe  Demselben  zukomme 
und  nicht  zukomme  zugleich  und  auf  dieselbe  Weise,   und 
was  wir  sonst  noch  hinzubestimmt  haben,  sei  hinzubestimmt 
wegen  der  logischen  Spitzfindigkeiten"*).     Dieser  Zusatz,  der 
zum  grösseren  Nachdruck  noch  einmal  wiederholt  wird  ^,  be- 
zieht sich  nach  dem  Scholion  Alexander's  von  Aphrodisias  auf 
die  Kunstgriffe,  mittels  welcher  die  Sophisten  den  Schein  eines 
Widerspruches  auch  da  hervorzubringen  pflegten,   wo  dieser 
nicht  vorhanden  war,  und  welche  Aristoteles  in  seiner  Schrift 
de  sophisticis  elenchis  abgewiesen  hat,    indem   er  die  Bedin- 
gungen  der  logischen  Widerlegung  näher  angegeben.    Diese 
Bedingungen  sind,    insofern  sie  sich  auf  das  fragliche  Gesetz 
beziehen,  dass  die  sich  widersprechenden  Annahmen  im  streng- 


6)  17^0^  tag  Xoyixag  «fv^/f^e^o;  Met.  T.  3.  1005.  b.  19  folg.  Bemer- 
kenswerth  ist,  dass  auch  im  Sophistes  (256  A)  das  verwandte  Wort  <fvf/e^at- 
ysiy  vorkommt  in  einem  Ausdruck,  der  sich  ebenfalls  auf  die  Sophisten 
und  ihre  falsche  Anwendung  des  Gesetzes  des  Widerspruchs  bezieht  {rit^ 
xivticiy  Sil  T^  tavTov  r'  siyai  xal  fjL9J  xavxoif  ofioXoytfrioy  x€u  ov  Svgx^ 
qaifxiop).  Nimmt  man  hinzu  Gorg.  450  E.  {bI  ĂźovXotro  Svgx^Q^^^  ^ 
roig  X6yoig\  so  wird  es  wahrscheinlich,  dass  auch  das  Wort  (fv^/e^cux 
in  der  angefĂĽhrten  Stelle  von  Aristoteles  die  logischen  Kunstgriffe  der  So- 
phisten bezeichnet. 

7)  A.  0.  1005  b.  37.  n^ogSnoQiff&at  cf'  ^fbiiy  xtti  xavxf^  xji  nQoxaeEt  xa 
iiw9'6xa. 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc;  393 

sten  Sinne  eines  und  dasselbe  gelten,  nicht  nur  dem  Namen, 
sondern  der  Sache  nach,  in  derselben  Hinsicht,  auf  dieselbe 
Weise,  in  derselben  Beziehung  und  in  Bezug  auf  dieselbe 
Zeit  *).  Mit  dieser  Beschränkung  ist  der  Grundsatz,  welcher  die 
Möglichkeit  des  Widerspruchs  leugnet,  nach  Aristoteles  das 
festeste  aller  Principien.  Und  zwar  zutlächst  in  ontologischer 
Bedeutung  (dass  eines  und  dasselbe  nicht  zugleich  sein  und 
nichtsein  könne);  mit  dieser  ist  aber  unmittelbar  die  logische 
Bedeutung  verbunden,  dass  Niemand  annehmen  könne.  Das- 
selbe sei  zugleich  und  in  derselben  Weise  und  sei  nicht'). 
Jener  Satz  könne  nicht  direkt  bewiesen  werden,  weil  er  selbst 
die  unentbehrliche  Bedingung  jedes  Beweisens  sei;  dagegen 
könne  dessen  Wahrheit  apagogisch  bestätigt  werden,  indem 
man  zeigt,  dass  er  auch  von  dem  Leugner  desselben  voraus- 
gesetzt werde,  indem  er  ein  ĂĽrtheil  ausspricht. 

Die  von  Aristoteles  gegebene  Formulirung  des  Satzes  des 
Widerspruchs  ist  im  Ganzen  für  die  spätere  Wissenschaft 
massgebend  geworden.    Die  vielen  Beschränkungen  tragen  in 


8)  Scholia  in  Aristotelem  ed.  Acad.  Boruss.  651  b.  23.  Vgl.  De  so- 
phisticis  elenchis  S.  167  a.  23. 

9}  Nach  Sigwart  (Logik  I  S.  146)  hat  Aristoteles  mit  dem  Satze  des 
Widerspruches  unmittelbar  nur  die  Natur  unseres  Denkens  treffen  wollen ; 
dieses  soll  sieb  sogar  schon  daraus  ergeben,  dass  die  Verneinung  nur  in 
^ner  ober  das  Seiende  hinausgehenden  Bewegung  unseres  Denkens  wur- 
zele. Wir  lassen  vorläufig  diese  nominalistische  Auffassung  des  Begriffs 
der  Negation  dahingestellt  sein;  so  viel  ist  doch  gewiss,  dass  sie  nicht  die 
des  Aristoteles  ist,  wie  schon  aus  dem  Begriffe  der  ati^ijaig  hervorgeht. 
Nach  Aristoteles  ist  ĂĽberdies  die  Wahrheit  unserer  Urtbeile  wesentlich 
dadurch  bedingt,  dass  sie  das  verbinden,  was  in  den  Sachen  verbunden, 
und  das  trennen,  was  in  ihnen  getrennt  ist  (Met.  S,  10.  1051.  b.  2);  in 
den  Sachen  selbst  ist  also  die  Getrenntheit,  die  wir  im  negativen  Urtheil 
von  ihnen  prädiciren.  Und  er  setzt  ausdrücklich  hinzu:  , nicht  weil  wir 
richtig  glauben.  Jemand  sei  weiss,  ist  er  weiss,  sondern  weil  Jemand  weiss 
ist,  reden  wir  wahr,  wenn  wir  sagen,  er  sei  weiss.  **  Die  Uebereinstim- 
mung  mit  der  objectiven  Natur  der  Dinge  ist  es  also  nach  Aristoteles,  was 
unseren  Gedanken  ihre  Wahrheit  gibt.  Uebrigens  bemerkt  Sigwart  rich- 
tig, dass  bei  Aristoteles  die  subjective  (logische)  und  die  objective  (meta- 
physische) Ausdrucksweise  fĂĽr  den  Satz  des  Widerspruchs  im  Grunde  das- 
selbe sagen;  dieses  ist  aber  nur  denkbar  unter  der  Bedinguhg,  dass  die 
Bedeutung  des  Satzes  ebenso  sehr  objectiv  als  subjectiv  ist. 


394  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

der  Erörterung  des  Aristoteles  scheinbar  den  Charakter  der 
Zufälligkeit ;  in  der  Hauptstelle  sind  sie  nicht  einmal  bestimmt 
angegeben,  sondern  nur  angedeutet;  noch  weniger  findet  man 
den  Grund  angegeben,    warum  eben  diese  und  nicht  andere 
oder  mehrere  gelten  sollen.    Aber  der  leitende  Gedanke  ist 
leicht  erkenntlich  und  in  den  Worten  t6  avtOy  t^  ow^J  und 
xorra  to  avro  enthalten,  wenn  nur  diese  Worte  in  ihrer  eng- 
sten Bedeutung  festgehalten  werden.    Mit  anderen  Worten: 
alle  die  angedeuteten  Bestimmungen  ^cQog  mg  loyiTtag  dvgxt- 
Quag  bezwecken  nur,    die  strenge  Identität  oder  Einerleiheil 
des  als  seiend  und  als  nicht  -  seiend   (resp.  zukommend  und 
nicht  zukonunend)  Gesetzten  als  Bedingung  des  undenkbaren 
Widerspruchs  hervorzuheben;   sie  können  als  selbstverständ- 
lich  aus  der    Formel   wegfallen,    wenn    nur    jene    Identität 
genau  festgehalten  wird,    wie  sie  auch  gewöhnlich  bei  den 
Späteren,  höchstens  mit  Ausnahme  der  Zeitbestimmung,  aus- 
gelassen   worden   sind.     FĂĽr    die   Spccialwissenschaflen  hat 
auch  dieses  Weglassen  keinen  Nachtheil  verursacht;   so  ist 
es  z.  B.  kaum  irgend   einem   Mathematiker  eingefallen,  den 
Kreis  darum  undenkbar  oder  widersprechend  zu  finden,  weil 
er,  nachdem  man  ihn  von  Ini^en  oder  von  Aussen  betrachtet, 
concav  und  convex  (d.  h.  nicht  concav)  ist,  noch  einem  Na- 
turforscher die  Wirklichkeit  der  Petrefakte  zu  leugnen,   weil 
sie  organisch  und  zugleich  nicht  organisch  sind,    indem  die 
Anschauung  und  die  auf  diese  sich  stĂĽtzende  Reflexion  hier 
deutlich  zu  erkennen  geben,  in  welcher  Weise  die  entgegen- 
gesetzten Bestimmungen  verknüpft  sein  können.    Dag^en  ist 
die  Philosophie,   indem  sie,   die  Welt  der  Erscheinung  ĂĽber- 
schreitend,  zum  Erforschen  des  jeder  Erfahrung  unzugäng- 
lichen Wesens  fortgeht,  eben  durch  das  Vernachlässigen  der 
Aristotelischen   Beschränkungen   der   Versuchung   ausgesetzt, 
die  nur  formale  Bedeutung  des  Satzes  des  Widerspruchs  in 
eine  reale  zu  verwandeln  und  dadurch  ein  scheinbares  Wissen 
zu  erschleichen. 

Denn  es  ist  wohl  zu  bemerken,  dass  der  Satz  des  Wider- 
spruchs, wie  er  von  Aristoteles  richtig  bestimmt  ist,  keines- 
wegs ein  materiales,  sondern  nur  ein  formales  und  negatives 
Kriterium  der  Wahrheit  ist.     Er   besagt   nur,   dass   keinem 


J.  J.  Borelius:  lieber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  395 

G^enstande  ein  Prädikat  zukommen  kann  in  demselben  Sinne, 
in  welchem  es  ihm  nicht  zukommt.  Um  aber  mit  dessen 
Hülfe  etwas  von  einem  Gegenstande  bestimmen  zu  können, 
mĂĽssen  wir  den  Gegenstand  oder  jedenfalls  etwas  auf  ihn 
Bezogenes  schon  kennen;  wir  haben  an  dem  Satze  nur  ein 
(allerdings  unentbehrliches)  Regulativ  bei  der  PrĂĽfung  und 
der  Analyse  jedes  Inhalts  unserer  Erkenntniss,  aber  nicht 
eine  Quelle,  aus  der  allein  wir,  sei  es  auch  den  geringsten 
Erkenntnissstoff,  holen  könnten. 

Dass  diese  nur  negative  und  formale  Bedeutung  des 
Satzes  in  eine  reale  und  positive  verwandelt  worden  ist,  dazu 
hat  wesentlich  die  von  Parmenides  und  von  Plato  selbst  in 
der  Republik  und  dem  Timaeus  stammende  Auffassung  des 
Begriffs  des  Seins  beigetragen.  Eigentlich  enthält  dieser  Be- 
griff nur  das  Gemeinschaftliche  in  Allem,  was  wir  als  Seien- 
des denken;  es  ist  also  ganz  abstract  und  leer.  Man  könnte 
es  mit  Herbart  als  absolute  Position  bezeichnen,  wenn  nicht 
dieser  Ausdruck  eben  bei  Herbart  eine  falsche  Deutung  be- 
kommen hätte,  indem  die  absolute  Position  in  Gegensatz 
zur  relativen,  von  Anderem  abhängigen  Position  gesetzt  wurde. 
Denn  der  Begriff  des  Seins  als  solcher  verhält  sich  zu  jedem 
Gegensatze,  auch  dem  zwischen  absolutem  und  relativem  Sein 
völlig  indifferent ;  das  Relative,  der  Schein,  ja  sogar  das  Nicht- 
seiende,  insofern  es  ein  Gegenstand  unseres  Denkens  ist,  ist 
ein  Seiendes  nicht  weniger  als  das  Absolute.  Wir  haben 
oben  bemerkt,  dass  dieses  auch  schon  in  dem  Platonischen 
Sophistes  anerkannt  ist;  dass  aber  in  der  Republik  und  dem 
Timaeus  eine  andere  Auffassung  hervortritt,  indem  die  Ideen- 
welt als  tä  Ttcnftelcog  oy,  to  dhycQinig  ov,  ovaia  ^%  der  Sinnen- 
welt als  dem  Mittleren  zwischen  Sein  und  Nichtsein  entgegenge- 
setzt wird.  Und  dieses  nicht  einmal  so,  dass  «jenes  Mittlere 
nur  eine  scheinbare  Existenz  hätte;  vielmehr  wird  der  Schein 
und  die  Unfähigkeit,  das  rein  Seiende  zu  erkennen,  ausdrücklich 
aus  der  Verbindung  der  Seele  mit  jenem  Mittleren  abgeleitet '  *)• 
Nach  der  in   den  letztgenannten  Dialogen    ausgesprochenen 

10)Rep.  477  A.  Tim.  29  C. 

11)  Phädo  66 B.   Verg].  Zeller,  PhUos.  der  Gr.  II.  l.  618  (3.  Aufl.). 


3%  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

Ansicht  gibt  es  also  ein  doppeltes  Sein;   das  vollkommene^ 
das  jedes  Nichtsein  ausschliesst,  und  das  unvollkommene  sinn- 
liche,   das  von  Sein  und  Nichtsein  gemischt  ist.    Diese  An- 
sicht wurde   unter  Mitwirkung   des  Neuplatpnismus  auf  die 
Philosophie  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit  fortgepflanzt; 
und  neben  der   Aristotelischen,   rein   logischen  und  fĂĽr  die 
exacten  Wissenschaften  allein  gĂĽltigen  Auffassung  des  Wider- 
spruchs,  nach  welcher  dieser  weder  sein  noch  gedacht  wer- 
den konnte,   ging  also  noch  eine  andere,    ontologische,  nach 
welcher  jede  VerknĂĽpfung  des  Seins  und  des  Nichtseins  aus 
dem  absolut  Seienden  ausgeschlossen  war,  während  dagegen 
das  Endliche,  als  aus  Sein  und  Nichtsein  bestehend,  ein  exi- 
stirender  Widerspruch  war.    Folgerecht  durchgefĂĽhrt,  mussle 
freilich  diese  letztere  Ansicht  dahin  fĂĽhren,  nicht  weniger  das 
Sein  als  das  Nichtsein  von  Gott  zu  negiren;  und  diese  Wen- 
dung begegnet  uns  in  dem  Satze  des  Proklus,   dass  das  ur- 
sprĂĽngliche Eine  nicht  ein  ov,  sondern  ein  ijt&uuva  tqv  ono^  '^ 
sei ,    und    ferner    in    den   Schriften   des   Pseudo  -  Dionysius 
Areopagita,  wo  sich  die  christliche  Mystik  mit  neuplatonischer 
Speculation  vermählte.     Hier  wird  Gott  ausdrücklich  als  das 
Ueberseiende  und  als  die  Einheit  aller  Gegensätze  bestimmt. 
Wir  werden  später  sehen,    wie  diese  Auffassungsweise,   die 
zunächst  nur  bei  einigen  Mystikern  Beifall  fand,  sich  auch  in 
der  eigentlichen  Philosophie  geltend  machte. 

Ein  Beispiel  der  ursprĂĽnglich  von  Parmenides  stammen- 
den Auffassung,  nach  welcher  jedes  Nichtsein  von  dem  in 
Wahrheit  Seienden  ausgeschlossen  war,  gibt  uns  der  Begriff 
des  ens  realissimum  in  der  alten  Metaphysik  —  „ein  Wesen, 
in  dessen  Bestimmung  von  allen  entgegengesetzten  Prädikaten 
eines  angetroffen  wird,  nämlich  das,  was  zum  Sein  schlecht- 
hin gehört"  *').  Die  Gesammtheit  denkbarer  Eigenschaften  und 
Bestimmtheiten  wird  hier  in  zwei  grosse  Klassen  eingetheilt, 
von  denen  die  eine  ein  Sein,  die  andere  ein  Nichtsein  aus- 
drĂĽckt. Die  Beobachtung,  dass  gewisse  in  der  Erfahrung  vor- 
kommende Eigenschaften,    z.  B.  Licht,  Wärme,  Leben,    eine 


12)  Prodi  commentarii  in  Farmen idem  VI.  44. 

13)  Kant,  Kr.  d.  r.  V.  ed.  Rosenkr.  S.  450. 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  WiderBpruchs  etc.  397 

Vollkommenheit,  andere  dagegen,  wie  Finsterniss,  Kälte,  Tod, 
nur  den  Mangel  oder  die  Abwesenheit  jener  Vollkommenheit 
zu  enthalten  seheinen,  hat  ohne  Zweifel  dazu  beigetragen, 
diese  Auffassungsweise  zu  erhalten.  Es  zeigt  sich  indessen 
bei  näherer  Betrachtung,  dass  auch  diese  letzteren  Bestimmt- 
heiten nicht  ausschliesslich  negativ  sind,  sondern  eine,  nur  der 
vorigen  entgegengesetzte,  Realität  enthalten.  Die  Finsterniss 
z.  B.  ist  nur  dadurch  da,  dass  die  Lichtstrahlen  von  einem 
Körper  (z.  B.  der  Erde)  abgesperrt  oder  wenigstens  in  einem 
nicht  leuchtenden  Medium  verbreitet  werden.  Und  noch  mehr; 
das  Licht  selbst  wĂĽrde  uns  unsichtbar  bleiben  ohne  die  ca- 
mera  obscura  des  Auges.  Zählt  man  noch  hinzu  die  Fälle, 
wo  entgegengesetzte  Erscheinungen  sich  in  keinerlei  Weise  auf 
einen  blossen  Mangel  der  Realität  zurückführen  lassen,  so  zeigt 
es  sich  offenbar,  dass  die  oben  genannte  Eintheilung  keines- 
wegs durch  die  Erfahrung  bestätigt  wird.  Für  die  Reflexion 
war  sie  indessen  ein  allzu  bequemes  Mittel,  alle  Gegensätze 
in  der  Welt  auf  ein  Mehr  oder  Weniger  von  Realität  zu  re- 
duciren,  ziunal  da  man  durch  diese  Reduction  ein  Mittel  fand, 
das  Dasein  Gottes  zu  beweisen.  Wenn  aller  Gegensatz  in 
der  Welt  nur  aus  einem  Mangel  von  Sein  oder  Realität  her- 
rührte, so  brauchte  man  nur  jenen  Mangel  zu  ergänzen,  um 
den  Begriff  Gottes  zu  erreichen.  Dass  diesem  Begriffe  die 
Realität  nicht  abgehen  konnte,  war  eine  selbstverständliche 
Folge,  da  er  eben  der  hibegriff  aller  Realität  war.  Schwie- 
riger war  es  allerdings,  diesem  Gotte  Persönlichkeit,  Denken 
und  Wollen  zuzuschreiben;  jedoch  half  man  sich  gewöhnlich 
mit  der  Annahme,  dass  diese  Bestimmtheiten  Realitäten  seien, 
ohne  die  also  das  ens  realissimum  nicht  ohne  Widerspruch 
gedacht  werden  könne.  Noch  weniger  fand  man  irgend  eine 
Schwierigkeit  darin,  aus  dem  ens  realissimum  die  beschränkte 
Realität  der  endlichen  Welt  abzuleiten ;  denn  diese  musste  ja 
schon  in  der  Realität  Gottes  enthalten  sein. 

Ein  interessantes  Beispiel  der  Anwendung  jenes  Begriffs 
der  absoluten  Realität  in  der  Philosophie  gibt  uns  das  System 
Spinoza's.  Man  hat  mehrfach  darĂĽber  gestritten,  wie  Attri- 
bute und  Modi  im  Systeme  Spinoza's  als  mit  der  unendlichen 
(d.  h.  nach  Spinoza  absolut  indeterminirten)  Natur  der  Sub- 


398  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

stanz  vereinbar  und  aus  ihr  folgend  gedacht  werden  können, 
wobei  man  Attribute  und  Modi  bald  als  Eigenschaften  und 
Theile  der  göttlichen  Substanz,  bald  als  nur  subjectiv,  in  un- 
serem Verstände  und  unserer  Einbildung  existirend  erklärt 
hat.  Jede  dieser  Erklärungsweisen  ist  aber  in  offenbarem 
Widerspruch  gegen  die  Aeusserungen  Spinoza's;  und  eine 
neuerdings  versuchte  Erklärung,  nach  welcher  die  Attribute 
als  die  besonderen  Kräfte  der  Substanz  und  die  Modi  als 
Folgen  oder  Wu'kungen  dieser  Kräfte  zu  bestimmen  wären, 
lässt  eben  die  Hauptschwierigkeit  ungelöst,  nämlich  wie  die 
absolut  indeterminirte  Substanz  dazu  komme,  sich  zur  Wirk- 
samkeit zu  determiniren  '*).  Nur  die  schon  erwähnte  Auffas- 
sung der  Begriffe  der  Realität  und  der  Negation  scheint  uns 
ĂĽber  die  Denkweise  Spinoza's  einen  genĂĽgenden  Aufschluss 
zu  geben.  Ganz  ähnlich  wie  seine  Zeitgenossen,  Cartesius, 
Malebranche  u.  A.  nahm  Spinoza  Gott  als  das  Wesen  an, 
das  in  sich   alle  Realität  vereinigte.     Zugleich  sah  er  aber 


14)  Die  erste  dieser  drei  Erklärunc^weisen  war  unter  den  Zeitgenossen 
Spinoza*s  die  gewöhnliche   und  hat  offenbar  den  Vorwurf  des  Atheismus 
veranlasst;  sie  findet  sich  nicht  nur  bei  Bayle  (vergl.  K.  Fischer's  Gesch. 
d.  n.  Phil.  I.  n.  325),  sondern  auch  bei  Malebranche,  der,  je  näher  er  in 
seiner   ganzen  Denkrichtung  dem  Spinoza  stand,   um  so  mehr  es  nötbig 
fand,   sich  (freilich   ohne   Spinoza  ausdrĂĽcklich    zu  nennen)   gegen  die 
Gottlosigkeit  zu  verwahren,  nach  welcher  die  Dinge  in  der  Welt  «Theile 
oder  Modificationen  Grottes*  sein  sollten  (Entret.  IX.  2).    Die  zweite  ist  za 
unserer  Zeit  von  Erdmann  versucht  worden;  ihre  Unvereinbarkeit  mit  den 
eigenen  Worten  Spinoza^s   hat   aber  K.  Fischer   schlagend   nachgewiesen. 
Aber  auch  die  dritte  von  Fischer  selbst  gegebene  Erklfirung  drĂĽckt  sehr  un- 
vollkommen die  Denkweise  Spinoza*s  aus.    Denn   1)  ist  es  ganz  unspino- 
zistisch,  wie  Fischer  es  thut  (S.  284),   die  eine  Substanz   in  eine  Vielheit 
von  Attributen  sich  entfalten  zu  lassen;  von  einer  Entfaltung  der  Sub- 
stanz weiss  Spinoza  gar  nichts.    2)   Ebenso  unspinozistisch   ist  es,  das 
Wesen  der  Attribute  aus  dem  Begriff  der  Kraft   zu  erklären;   vielmehr, 
wenn  bei  Spinoza  AusdrĂĽcke  vorkommen,   die  a]if  diesen  Begriff  bezogen 
werden  können,  z.  B.  potentia  (Eth.  I.  prop.  34),  conatus  (IV.  prop.  22). 
vis  (IV.  5,  6),  wird  immer  die  Kraft  durch  das  Wesen  (die  Essenz)  erklärt 
3)  So  gewiss  es  ist,   dass  Spinoza  der  Substanz  Wirksamkeit  zuschreibt, 
so  gewiss  ist  es  auch,   dass   keine  Wirksamkeit  ohne  Determination  zu 
denken  ist.  Nach  Spinoza  ist  aber  die  Substanz  absolut  indeterminirt  und 
folglich  kann  er  nur  durch  unbewusste  Subreption  die  Wirksamkeit  von 
ihr  prftdiciren. 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  399 

richtig  ein,  dass  keine  Bestimmtheit  sich  ohne  Beschränkung 
(Negation)  denken  lässt.  Darum  setzte  er  Gott  oder  die 
Substanz  als  absolut  indeterminirt,  und  wenn  er  gleich  der 
Substanz  ausdrĂĽcklich  Denken  und  Ausdehnung  neben  un- 
zähligen anderen  Attributen  beilegte,  so  hob  er  jedoch  wieder 
diese  Bestimmtheit  auf,  indem  er  dem  göttlichen  Denken  Ver- 
stand und  Willen  und  der  Ausdehnung  Theilbarkeit  absprach. 
Hierdurch  war  in  der  That  jede  Ableitung  des  Endlichen  aus 
der  Substanz  von  vom  herein  abgeschnitten,  und  Spinoza 
selbst  scheint  nicht  fern  davon,  dieses  anzuerkennen,  indem 
er  schon  im  dritten  Axiom  sagt:  „si  nuUa  datur  determinata 
causa,  impossibile  est,  ut  effectus  sequatur.^'  Dessen  unge- 
achtet trägt  Spinoza  kein  Bedenken,  Gott  eine  unendliche 
Wirksamkeit  zuzuschreiben  oder  „infinita  infinitis  modis'^  aus 
ihm  folgen  zu  lassen,  aus  dem  ausdrĂĽcklich  angegebenen 
Grunde,  dass  er  alle  Realität  in  sich  befasst  (Eth.  1 ,  propp.  9, 
16  und  anderwärts).  Hier  ist  der  Schlüssel  gegeben  zu  der 
sonst  unerklärlichen  bconsequenz  Spinoza's.  Ihm  gilt  jede 
Bestimmtheit  nur  als  Negation  und  gehört  als  solche  nicht 
dem  Sein,  sondern  dem  Nichtsein  der  determinirten  Sache 
an;  das  Nichtseiende  ist  aber  nicht  und  bedarf  daher  keiner 
Ableitung  oder  Erklärung.  Ist  Gott  als  der  Inbegriff  aller 
Realität  bestimmt,  so  enthält  er  schon  in  sich  Alles,  was  in 
den  Attributen  und  Modis  real  ist  und  ist  also  der  zureichende 
Grund  alles  dessen,  was  existirt.  Nun  liegt  zwar  hier  der 
Einwurf  nahe,  dass  die  Determination  doch  nicht  ein  reines 
Nichts  sei,  sondern  etwas  Positives  enthalten  mĂĽsse,  weil  sie 
sonst  nicht  einmal  eine  Determination  wäre,  sondern  unter- 
schiedslos in  das  allgemeine  indeterminirte  Sein  zusammen- 
fliessen  wĂĽrde;  aber  wie  unwiderlegbar  auch  dieser  Einwurf 
an  sich  sein  mag,  so  gilt  er  nicht  fĂĽr  Spinoza,  weil  er  ein- 
mal in  der  Voraussetzung  sich  befestigt  hatte,  dass  die  Ne- 
gation nichts  Reales  wäre.  Aus  demselben  Grunde  leug- 
nete Spinoza  die  Realität  des  Bösen  und  des  Uebels,  da  diese 
als  blosse  Negationen  nicht  fĂĽr  die  Dinge  als  solche,  sondern 
nur  für  unser  vergleichendes  Denken  einige  Bedeutung  hätten. 
Es  lässt  sich  ohne  Schwierigkeit  zeigen,  dass  der  Begriff 
der  Realität,  wie  wir  ihn  bei  Spinoza  gefunden  haben,  auch 


400  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  3aU  des  Widerspruchs  etc. 

bei  Cartesius,  Malebranche  und  Leibniz  uns  begegnet,  wenn 
auch  in  modiflcirter  Form;  aber  um  unsern  Aufsatz  nicht 
allzu  sehr  zu  verlängern,  müssen  wir  dies  weiter  zu  verfol- 
gen hier  aufgeben.  Schon  zwei  Jahrhunderte  vor  Spinoza 
hatte  indessen  Nicolaus  Cusanus,  durch  das  Studium  des 
Pseudo-Dionysius  und  der  Mystiker  veranlasst,  sein  principium 
coincidentiae  oppositorum  aufgestellt.  Auch  nach  dem  Cu- 
saner  ist  Gott  der  Inbegriff  alles  Seins,  aber  in  der  Weise, 
dass  er  nicht  einmal  dem  Nichtsein  entgegengesetzt  ist;  er 
steht  sogar  dem  Nichtsein  näher  als  dem  Sein.  Der  Satz 
des  Widerspruchs,  oder,  wie  der  Cusaner  sich  ausdrĂĽckt,  der 
Satz  der  Bejahung  und  Verneinung,  gilt  ĂĽberhaupt  nach  ihm 
nur  fĂĽr  die  Vernunft,  welche  in  dem  mathematischen  Wissen 
culminirt;  und  schon  die  Mathematik  muss,  indem  sie  zum 
Unendlichen  fortgeht,  die  Coincidenz  der  Gegensätze  ancri^en- 
nen.  Jene  Coincidenz  ist  der  eigentliche  Gegenstand  des  Ver- 
standes, der  mystischen  Intuition,  die  sich  dadurch  zum  Er- 
kennen Gottes  erhebt.  Die  Function  der  Vernunft  besteht 
im  Trennen  und  Unterscheiden,  aber  der  Verstand  verbindet, 
was  die  Vernunft  getrennt  hat.  Wir  begegnen  hier  zum 
ersten  Male  der  Lehre,  dass  die  GĂĽltigkeit  des  Satzes 
des  Widerspruchs  auf  das  Endliche  zu  beschränken  ist. 
Die  Ansicht  des  Gusaners  ist  in  dieser  Hinsicht  eine  be- 
merkenswerthe  Antecipation  der  HegeFschen  Philosophie;  nur 
tnuss  man  dabei  beachten,  dass,  was  Hegel  Verstand  nennt, 
vom  Cusanus  Vernunft  (ratio)  genannt  wird  und  vice  versa, 
indem  die  Bedeutung  dieser  Worte  in  der  späteren  Philo- 
sophie geradezu  umgekehrt  worden  ist. 

Wenn  man  von  allem  Traditionellen  absieht,  das  Nicolaus 
als  gläubiger  Christ  und  als  Cardinal  der  römischen  Kirche 
noch  festhielt,  wogegen  Spinoza  es  verwarf,  so  ist  der  Gottes- 
begriff des  ersteren  nur  eine  mehr  folgerechte  Ausfuhrung 
desselben  Gedankens,  welcher  auch  der  Philosophie  des  letz- 
teren zu  Grunde  lag.  Auch  dem  Cusaner  ist  Gott  das  ens  realis- 
simum,  der  Inbegriff  alles  Seins;  weil  aber  den  Negationen 
nicht  weniger  als  den  Affirmationen  ein  Sein  zukonunt,  so 
macht  er  geltend,  dass  auch  jene  in  ihm  enthalten  seien. 
Nach   ihm  ist  daher  Gott  Alles,   aber  auch  Nichts,   insofern 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  401 

als  in  ihm  nichts  Abgesondertes  ist;  er  ist  ĂĽber  jeder  Affir- 
mation und  Negation,  während  er  zugleich  jede  Affirmation 
und  Negation  in  sich  einschliesst;  oder,  wie  es  der  Gusaner 
anderwärts  ausdrückt,  er  ist  das  Sein  selbst,  dem  keine  Nega- 
tion oder  Privation  zukommt,  wohl  aber  die  Negation  der 
Negation,  welche  eben  die  Spitze  der  reinsten  Affirmation 
ist^').  (In  diesen  letztangefĂĽhrten  Worten  glaubt  man  fast 
Hegel  zu  hören.)  Nach  Spinoza  ist  Gott  das  ens  absolute 
indeterminatum,  und  nur  durch  Inconsequenz  kann  er  ihm 
Wirksamkeit  zuschreiben;  nach  Nicolaus  besteht  dagegen  die 
Determination  Gottes  eben  in  seiner  Allmacht.  Ein  streng 
wissenschaftliches  AusfĂĽhren  dieser  Gedanken  darf  man  frei- 
lich bei  dem  Gusaner  nicht  suchen;  bisweilen  streift  sein  Ab- 
solutes nahe  an  die  absolute  Indifferenz  Schelling's,  wo  die 
Gegensätze  nicht  sowohl  erhalten  als  verwischt  sind.  Aber 
durch  sein  principium  coincidentiae  oppositormn  hat  er  nichts 
desto  weniger  die  wahre  Einheit  der  Gegensätze  angedeutet, 
die  nicht  ein  Verwischen  derselben,  sondern  ihre  lebendige 
Durchdringung  ist. 

Dieses  Hervorheben  der  Gegensätze,  als  in  der  Einheit 
nicht  verwischt,  sondern  erhalten,  tritt  noch  kräftiger  hervor 
bei  dem  Theosophus  Teutonicus,  Jakob  Böhme.  Von  ihm 
wird  der  Gegensatz  (Gegenwurf)  als  die  nothwendige  Beendi- 
gung alles  Seins,  selbst  des  göttlichen,  ausgesprochen.  „Alle 
Dinge  bestehen  in  Ja  und  Nein;  ohne  Gegensatz  wird  Nichts 
offenbar;  kein  Bild  erscheint  im  klaren  Spiegel,  so  eine  Seite 
nicht  verdunkelt  wird.  Wer  weiss  von  Freuden  zu  sagen, 
der  kein  Leid  empfimden,  oder  von  Frieden,  der  keinen  Streit 
gesehen^*.  Darum  gehört  der  Zorn  nicht  weniger  als  die 
Liebe  ziun  ewigen  Wesen  Gottes,  jedoch  „nicht  so,  dass  in 
Gott  Böses  neben  dem  Guten  wäre,  sondern  so,  dass  der 
Zorn  oder  die  bittere  Qualität  in  Gott  eine  ewig  währende 
Kraft,  ein  erheblicher,  triiunphirender  Freudenquell  ist." 
„Denn  im  Reich  Gottes  hat  das  Licht  das  Regiment  und  die 
andern  Qualen  und  Eigenschaften  sind  alle  heimlich"  (latent); 
„darum  wird  die  grimmige  Essenz  im  Lichte  verwandelt  in 


15)  Opera  Basileae  1865.  S.  S52,  1S5,  144,  962,  570. 

PhUo0oph.  Monatshefte  1881,  VH  a.  VHI.  S6 


L 


402  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

eine  Begierde  des  Lichts  und  der  Liebe  *•)."  Bei  allem  Unkla- 
ren und  Phantastischen,  das  die  Theosophie  Böhmens  kennzeich- 
net, gibt  ihm  jedoch  jenes  Hervorheben  der  Negation  als 
eines  Moments  selbst  des  göttlichen  Wesens  einen  rechtmäs- 
sigen Anspruch  auf  philosophische  Bedeutung.  Weder  der 
Rationalismus  noch  der  Empirismus  vermochte  indessen  diese 
Bedeutung  einzusehen ;  auch  der  Kriticismus  stand  dem  Stand- 
punkt Böhmens  zu  fem,  um  darin  etwas  Schätzbares  anzu- 
erkennen, und  so  blieb  es  Schelling  und  Hegel  vorbehalten, 
ihn  zu  Ehren  zu  bringen. 

Unter  den  älteren  vorkritischen  Schriften  Kant's  verdient 
jedoch  eine  als  Beitrag  zu  der  Lehre  ĂĽber  die  Negation  und 
den  Satz  des  Widerspruchs   angeführt  zu  werden,   nämlich 
sein  „Versuch,  den  Begriff  der  negativen  Grössen  in  die  Welt- 
weisheit einzufĂĽhren".    Kant  unterscheidet  hier  zwischen  lo- 
gischer und  realer  Opposition.    Die  logische  Opposition  be- 
steht darin,   dass  von  eben  demselben  Dinge  etwas  zugleich 
bejaht  und  verneint  wird.     Die  Folge  dieser  logischen  Ver- 
knĂĽpfung ist  gar  Nichts  (nihil  negativum  irrepraesentabile), 
wie  der  Satz  des  Widerspruches  aussagt.    Die  reale  Opposi- 
tion- ist  dagegen  diejenige,  da  zwei  Prädikate  oder  Tendenzen 
eines  Dinges  entgegengesetzt  sind;  die  Folge  ist,  dass  die  ent- 
gegengesetzten Tendenzen  einander  aufheben,  also  auch  Nichts, 
aber  in  einem  anderen  Verstände  (nihil  privativum  repraesen- 
tabile);   Kant  benennt  dieses  Nichts  Zero.    Nur  die  logische 
Opposition   ist   widersprechend   und   darum  undenkbar;  die 
reale  ist  dagegen  denkbar  und«  wirklich.    Wenn  z.  B.  ent- 
gegengesetzte Bewegungstendenzen  von  gleicher  Stärke  in  einem 
Körper  zusammentreffen,   so  heben  sie  einander  auf  und  der 
Körper  bleibt  in  Ruhe;   aber  sie  sind  beide  wirklich.    Die 
Privation   oder   die   reale  Verneinung   ist  nicht  nur  Mangel 
(defectus,  absentia),  sondern  etwas  Positives,  das  ein  anderes 
Positives  aufzuheben  vermag.   So  ist  Unlust  nicht  nur  Mangel 
an  Lust,  sondern  das  positive  Gegentheil  der  Lust  oder  ne- 
gative Lust,  der  Hass  negative  Liebe,  Untugend  negative  Tn- 


16)  Der  Weg  zu  Christo  VII.  1.   Quaest.  theos.  3.   Drei  principia.  And. 
der  Titelfig.    Aurora  2;  36—40.    Von  sechs  Pankten,  3,  1. 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  403 

gend  u.  s.  w.  Mit  dieser  Untersuchung  ĂĽber  den  Unterschied 
zwischen  logischer  und  realer  Opposition  verbindet  Kant  femer 
einige  Betrachtungen  ĂĽber  die  Anwendung  letztgenannten  Be- 
griffes. Er  stellt  dabei  zwei  aUgemeine  Sätze  auf,  nämlich: 
1)  in  aDen  natürlichen  Veränderungen  der  Welt  wird  die 
Summe  des  Positiven,  insofern  sie  dadurch  geschätzt  wird, 
dass  einstimmige  Positionen  addirt  und  real  entgegengesetzte 
von  einander  abgezogen  werden,  weder  vermehrt  noch  ver- 
mindert; 2)  alle  RealgrĂĽnde  des  Universums  geben  nach 
derselben  Schätzung  ein  Facit,  das  =  Zero  ist.  Und  end- 
lich erörtert  er  den  für  seinen  späteren  kritischen  Stand- 
punkt so  wichtigen  Causalitätsbegriff,  indem  er  den  Un- 
terschied zwischen  logischem  Grund  und  Realgrund  mit  dem 
zwischen  logischer  und  realer  Entgegensetzung  zusammenstellt. 
Die  erstere  ist  vermittelst  des  Satzes  vom  Widerspruche  deut- 
lich einzusehen,  die  letztere  dagegen  nicht.  Eine  logische 
Folge  wird  eigentlich  nur  darum  gesetzt,  weil  sie  einerlei  ist 
mit  dem  Grunde ;  eine  reale  Folge  ist  dagegen  etwas  Anderes 
als  der  Grund,  wird  jedoch  durch  den  Grund  gesetzt. 

Ein  Physiker  der  Jetztzeit  wurde  gegen  das  Beispiel,  das 
Kant  von  der  Bewegung  hergeholt  hat,  einwerfen,  dass  ent- 
gegengesetzte Bewegungstendenzen  gleicher  Stärke  nur  ober- 
flächlich betrachtet  ein  Resultat  =  Zero  geben,  in  Wahrheit 
aber  etwas  Positives  leisten,  mdem  der  Körper  durch  sie 
innerlich  erschüttert  oder  erwärmt  wird.  Und  dieser  Einwurf 
kann  noch  dahin  erweitert  werden,  dass  ĂĽberhaupt  entgegen- 
gesetzte Zustände  oder  Thätigkeiten  eben  in  ihrem  Zusam- 
mentreffen ein  positives  Resultat  geben.  Aber  nichtsdesto- 
weniger hat  Kant  durch  die  hier  angefĂĽhrte  Schrift  einen 
schätzbaren  Beitrag  zur  Einsicht  in  das  wahre  Wesen  der 
Negation  geliefert.  Während  sonst  die  Philosophen  diesen 
Begriff  entweder  als  selbstverständlich  behandelten  oder  mit 
Spinoza  als  „mera  carentia  seu  modus  cogitandi,  quem  for- 
mamus,  cum  res  inter  se  comparamus^^  betrachteten,  hat  da- 
gegen Kant  dessen  reale  Bedeutung  hervorgehoben.  Indessen 
hat  Kant  diesen  Gedanken  nicht  weiter  entwickelt.  In  seiner 
Kritik  der  reinen  Vernunft  bemerkt  er  nur  bei  der  s.  g.  Am- 
phibolie   der   Reflexionsbegriffe,   dass,   wenn  Realität   durch 


404  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

den  reinen  Verstand  (als  realitas  noumenon)  gedacht  wird, 
kein  Widerstreit  zwischen  Realitäten  sich  denken  lasse,  dass 
aber  Realitäten  in  der  Erscheinung  allerdings  unter  einander 
in  Widerstreit  sein  können.     Da  nach  Kant  die  reinen  Ver- 
standesbegriffe ausser  dem  Gebiete  der  Erscheinung  nur  leere 
Formen  sind,   so  ist  offenbar  nach  ihm  der  Satz,  dass  Rea- 
litäten, durch  den  reinen  Verstand  gedacht,  nicht  im  Wider- 
streit unter  einander  sein   können,  völlig  nutzlos  zur  Erwei- 
terung unserer  Erkenntnisse.    Indessen  lässt  ihn  Kant  inner- 
halb (des    freilich   illusorischen)  Gebietes   der  Vemunftideen 
gelten  und  erkennt  sogar  dem  Begriffe  des  ens  realissimuni 
eine  gewisse  GĂĽltigkeit  zu  als   einer  transscendentalen  Idee, 
welche  die  oberste  Bedingung  alles  Bestimmens   der  Gegen- 
stände durch  das  Denken  ausmacht.    Noch  mehr  erweitert 
sich  die  Bedeutung  dieser  Idee  auf  dem  praktischen  Gebiete, 
indem  die  Existenz  des  allerrealsten  Wesens,  wenn  auch  nicht 
als  Gegenstand  objectiver  Erkenntniss,   so  doch  als  subjectiv 
unumstössliche,  in  unserem  sittlichen  Bewusstsein  fest  gegrün- 
dete Gewissheit  hervorgehoben  wrd.    Wir  sind  weit  davon 
entfernt,   mit  den  Neukantianern  unserer  Zeit   dem  Gottes- 
begriffe jede  Wahrheit  abzusprechen  oder  es  als  ein  unwirk- 
liches Ideal  zu  setzen,   das  nur  als  imaginäres  Ziel  unserer 
Handlungen   einige  Wahrheit   besitzt.    Das   aber    behaupten 
wir,   dass  der  leere  Gedanke  eines  Inbegriffs  aller  Realität 
ganz  und  gar  unzureichend  ist,  um  eine  speculative  Theologie 
zu  begründen.    Noch  mehr  —  dieser  Gedanke  ist  sogar  zu 
schlecht,  um  als  Ideal  unseres  sittlichen  Strebens  zu  dienen 
—  mag  jener  Inbegriff  ganz  äusserlich  als  eine  Summe  vor- 
gestellt  werden   (wonach   er   also   nichts  Anderes   bedeuten 
wĂĽrde  als  die  Welt)  oder  als  das  Reale,   das  ĂĽbrig  bliebe, 
nachdem  alle  Gegensätze  durch  gegenseitiges  Subtrahiren  aus 
der  Welt  eliminirt  wären,   d.  h.  nach  der  vorher  erwähnten 
Kantischen  Schrift  nichts  Anderes  als  das  Zero.   Kant  scheint 
selbst  dieses  einzusehen,  indem  er  seine  Rede  von  dem  Inbegriff 
aller  Realitäten  als  rohen  Schattenriss  bezeichnet  und  dann 
die  höchste  Realität  nicht  als  Inbegriff,    sondern  als  Grund 
bestimmt,    so  dass  also  „die  Mannigfaltigkeit  der  Dinge  nicht 
auf  der  Einschränkung  des  Urwesens  selbst,   sondern  seiner 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  405 

vollständigen  Folge  beruhen,  zu  welcher  denn  auch  unsere 
ganze  Sinnlichkeit  sanrnit  aller  Realität  in  der  Erscheinung 
gehören,  die  zu  der  Idee  des  höchsten  Wesens  als  eine  In- 
gredienz nicht  gehören  kann/'  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass 
der  Kantische  Gottesbegriflf  durch  diese  Correctur  eine  höhere 
Bedeutung  gewinnt  als  die  früher  erwähnte;  aber  diese  höhere 
Bedeutung  ist  von  ihm  nicht  wissenschaftlich  gerechtfertigt, 
sondern  nur  durch  einen  Machtspruch  statuirt  worden  —  sei 
es  auch  nur  als  eine  fĂĽr  unsere  Vernunft  nothwendige  Idee. 
Denn  Kant's  Deduction  der  theologischen  Idee  enthält  Nichts, 
was  ĂĽber  den  rationalistischen  Begriff  des  ens  realissimum 
hinaus  führen  könnte.  Sie  wird  ausschliesslich  aus  der  Form 
des  disjunctiven  Schlusses  abgeleitet;  insofern  dabei  ein  Ver- 
haltniss  zwischen  Grund  und  Folge  hervortritt,  kann  also  auch 
dieses  nur  rem  formal  sein.  Durch  die  logische  (nur  formale) 
Folge  wird  aber,  wie  Kant  in  der  Schrift  ĂĽber  die  negativen 
Grössen  ausdrücklich  hervorgehoben  hatte,  nichts  Anderes  ge- 
setzt, als  was  einerlei  ist  mit  dem  Grunde.  Nur  durch 
Vergessen  dieser  wichtigen  Bestimmung  wurde  es  ihm  mög- 
lich, jenes  nur  formale,  analytische  Verhältniss  zwischen  Grund 
und  Folge  in  ein  reales  zu  verwandeln. 

Es  wird  vielleicht  Manchem  als  eine  ĂĽberflĂĽssig^  Arbeit 
erscheinen,  die  Kantische  Deduction  des  Gottesbegriffs  zu  kri- 
tisiren,  da  der  Philosoph  selbst  diesen  Begriff  nur  als  noth- 
wendige Idee  betrachtet,  aus  welcher  wir  keineswegs  berech- 
tigt sind,  auf  die  Wirklichkeit  ihres  Gegenstandes  zu  schliessen. 
Aber  die  Sache  wird  in  der  That  nicht  dadurch  verbessert, 
dass  Kant,  was  er  sozusagen  mit  der  einen  Hand  unrecht- 
mässig gegeben  hat,  mit  der  andern  ebenso  unrechtmässig 
zurücknimmt.  Während  er  in  der  Aufstellung  des  Gottes- 
begriffs sich  ganz  unkritisch  dem  frĂĽheren  Dogmatismus  an- 
schliesst,  ist  dagegen  hier  seine  Skepsis  in  der  That  ebenso 
unkritisch.  Er  lässt  den  Gottesbegriff  als  nothwendiges  Er- 
zeugniss  unseres  Denkens  gelten,  leugnet  aber  den  Schluss 
von  dieser  ihrer  Nothwendigkeit  auf  die  Existenz  ihres  Gegen- 
standes. Hatte  der  Dogmatismus  sich  zugetraut,  die  Existenz 
Gottes  aus  dem  Begriffe  des  ens  realissimum  zu  beweisen, 
weil  das  Sein  oder  die  Existenz  eine  Realität  wäre,  die  also 


406  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

dem  Inbegriff  aller  Realität  nicht  ohne  Widerspruch  abgehen 
könnte,  so  bemerkte  dagegen  Kant,  dass  Sein  oder  Existenz 
kein  reales  Prädikat  sei,  sondern  nur  das  Setzen  des  Subjekts 
mit  allen  seinen  Prädikaten  bezeichne.    Der  Begriff  des  ens 
realissimum  werde  darum  weder  ärmer  noch  reicher  dadurch, 
dass  die  Existenz  ihm   abgesprochen   oder  zugefĂĽgt  werde. 
Ein  Widerspruch  sei  es  allerdings,  das  Subjekt  als  existirend 
zu  setzen,  während  man  die  Existenz  eines  Prädikats  leugnet, 
das  seinem  Begriffe   nothwendig  inhärirt;   dagegen  entstehe 
kein  Widerspruch,   wenn  das  Subjekt  selbst  mit  allen  seinen 
Prädikaten  aufgehoben  wird.    Dieses   ist  allerdings  insofern 
richtig,  als  das  Gesetz  des  Widerspruchs,  wie  wir  schon  be- 
merkt haben,  rein  formal  ist  und  also  nichts  unbedingt,  son- 
dern nur  unter  der  Bedingung  eines  vorausgesetzten  Inhalts 
Etwas  bestimmt;  in  diesem  Sinne  wäre  es  sogar  an  sich  kein 
Widerspruch,   wenn  gar  Nichts   existirte,   zumal,   da  es  in 
diesem  Falle  kein  Denken   und   keinen  Widerspruch  geben 
würde.    Da  aber  das  Denken  thatsächlich  existirt,   so  wäre 
es  allerdings   in  Widerspruch   mit  dieser   Thatsache,   wenn 
man  behaupten  wollte,  dass  Nichts  existirt.   Ebenso  ist  auch 
an  ^ch,  unabhängig  von  allem  thatsächlich  Existirenden,  das 
Nichtsein  Gottes  kein  Widerspruch.     Dagegen  lässt   es  sich 
allerdings  denken,   dass  es   unter   der  Voraussetzung  eines 
thatsächlich    gegebenen   Daseins    widersprechend    sei.     Und 
dieses  mĂĽsste  eben  nach  Kant's  Deduction  der  Fall  sein,  in 
sofern,  als  er  die  Idee  des  cns  realissimum  als  eine  nothwen- 
dige  Vernunftsidee  statuirt  hatte.    Freilich  wäre  dadurch  der 
alte  ontologische  Beweis  insofern  modificirt  worden,   als  ein 
empirisches  Moment,   nämlich  das  Dasein  überhaupt  hinein- 
getragen wäre ;  aber  auch  die  alten  Scholastiker  hatten  wahr- 
scheinlich nicht  geglaubt  die  Existenz  Gottes  unabhängig  von 
allem    thatsächlich    Gegebenen    beweisen    zu    können,    und 
namentlich  hatte  Cartesius   die  Thatsache   des  Denkens  als 
die   Voraussetzung   alles   Wissens   hervorgehoben.     In  dem 
ontologischen  Beweise  liegt  also  in  der  That   implicite  auch 
der  kosmologische.    Kant  hat  dagegen   in  seiner  Kritik  den 
ontologischen  Beweis  so  behandelt,    als  wenn  jedes  kosmo- 
logische Moment  davon  ausgeschlossen  wäre   und  nachdem 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Wideraprochs  etc.  407 

er  ihn  dadurch  ohne  Schwierigkeit  abgefertigt  hat,  findet  er 
im  kosmologischen  Beweise  gerade  den  Hauptfehler,  dass  er 
den  ontologischen  voraussetzt  und  also  mit  ihm  falle.  Eben 
diese  Trennung  der  beiden  Beweise  raubt  ihnen  die  Beweis- 
kraft, die  sie  jedenfalls  nur  im  Verein  haben  köimen.  Dass 
ĂĽbrigens  diese  Beweiskraft  nicht  jedes  Moment  des  Glaubens 
oder  der  durch  keinen  Beweis  zu  ersetzenden  persönlichen 
Ueberzeugung  ĂĽberflĂĽssig  macht,  muss  allerdings  zugegeben 
werden;  dasselbe  gilt  aber  von  aller  Wissenschaft,  höchstens 
mit  Ausnahme  der  reinen  Zahlenlehre;  denn  sogar  in  der 
Geometrie  drängt  sich  etwas  Unbeweisbares  hinein,  wie  sich 
durch  die  Untersuchungen  ĂĽber  die  Parallel-Linien  ergeben  hat. 
Dass  Kant  richtig  den  Satz  des  Widerspruchs  nur  als 
negatives  Kriterium  der  Wahrheit  aufgefasst  hat,  ergibt  sich 
schon  aus  seiner  Kritik  des  ontologischen  Beweises.  Weniger 
glĂĽcklich  ist  er  dagegen  in  seinem  Versuche,  die  Aristoteli- 
sche Formel  zu  verbessern  und  zu  berichtigen.  Gegen  die 
Formel:  es  sei  unmöglich,  dass  etwas  zugleich  sei  und  nicht 
sei,  bemerkt  er  nämlich,  dass  dieselbe  eine  Einmischung  der 
Zeit  enthält,  die  einem  bloss  logischen  Grundsatze  nicht  zu- 
kommen könne.  Wir  haben  schon  oben  bemerkt,  dass  die 
Zeitbestimmung  sowie  die  übrigen  Beschränkungen,  die  der 
Formel  bei  Aristoteles  beigefĂĽgt  sind,  eigentlich  nur  beab- 
sichtigten, gegen  die  sophistischen  Kunstgriffe  die  strenge  Iden- 
tität festzuhalten,  und  dass  sie  als  selbstverständlich  weg- 
fallen können,  wenn  nur  diese  festgehalten  wird.  Uebrigens 
ist  es  allerdings  ganz  richtig,  dass  das  Gesetz  des  Wider- 
spruchs auch  unabhängig  von  jeder  Zeitbestimmung  gültig 
ist;  diese  tritt  nur  dann  hinein,  wenn  em  Prädikat  einem 
Subjecte  mit  einer  zeitlichen  Beschränkung  beigelegt  wird,  in 
welchem  Falle  die  Anwendung  des  Gesetzes  derselben  Be- 
schränkung unterliegt.  Indessen  ist  der  Sinn  des  Aristoteli- 
schen Satzes  ganz  richtig,  und  die  Veränderung,  die  Kant  in 
der  Formulirung  desselben  vornahm,  war  keineswegs  geeignet, 
diesen  Sinn  deutlicher  zu  machen.  Er  gibt  dem  Satze  fol- 
genden Ausdruck :  Keinem  Dinge  kommt  ein  Prädikat  zu,  das 
ihm  widerspricht.  Hier  ist  der  Inhalt  des  Satzes  durch  das 
Wort  „widerspricht"   eher    yerstecfct   als   angegeben;   Alles 


408  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

kommt  darauf  an,  was  man  mit  diesem  Worte  versteht  Soll 
widersprechen  dasselbe  bedeuten  als  nicht  zukonmien,  so 
haben  wir  wieder  den  alten  Aristotelischen  Satz  (keinem  Dinge 
kommt  ein  Prädikat  zu,  das  ihm  nicht  zukommt),  nur  mit 
dem  Unterschiede,  dass  die  von  Aristoteles  gegebenen  Be- 
schränkungen ausgelassen  sind,  welches  jedoch  eher  Verwir- 
rung als  Klarheit  in  die  Philosophie  gebracht  hat,  indem  die 
yySvgx€Qeuxi  Xoyiyuxt^^  die  Aristoteles  durch  sie  wegräumen 
wollte,  eben  durch  jenes  Weglassen  von  Neuem  Nahrung  ge- 
funden haben.  Keine  bessere  Auskunft  erhält  man,  wenn 
man  den  Widerspruch  durch  den  Gegensatz  zwischen  A  und 
non-A  erklärt  (nach  der  bekannten  und  auch  von  Kant 
selbst  angefĂĽhrten  Formel:  A  ist  nicht  non-A);  denn  der 
s.  g.  Begriff  non-A  ist  völlig  leer  und  lässt  es  noch  dabei 
unentschieden,  ob  darunter  Alles,  was  nicht  mit  A  genau 
identisch  ist  oder  nur  alle  dem  Begriffe  A  conträr  entgegen- 
gesetzte Bestimmtheiten  inbegriflfen  werden  sollen,  hn  ersteren 
Falle  wären  wir  wieder  zu  dem  Satze  Stilpo's  zurückgekehrt, 
dass  man  nicht  sagen  dĂĽrfe:  der  Mensch  ist  gut  oder  das 
Pferd  läuft;  im  letzteren  Falle  hat  man  nur  die  leere  Tau- 
tologie, dass  das  Unvereinbare  nicht  vereinbar  ist,  wobei  je- 
doch verschwiegen  wird,  dass,  was  in  einer  Hinsicht  un- 
vereinbar ist,  in  einer  anderen  Hinsicht  vereinbar  sein  kann. 
Dass  diese  Unklarheit  nicht  ohne  Wirkung  auf  die  nacbkan- 
tische  Philosophie  geblieben  ist,  zeigt  sich  schon  an  Fichte, 
vor  Allem  aber  an  Herbart  und  Hegel. 

Hegel  bemächtigte  sich  des  grossen  Gedankens  Heraklits, 
dass  alles  Leben  und  alle  Wirklichkeit  sich  in  Gregensätzen 
bewege.  Und  zwar  war  dieses  fĂĽr  Hegel  nicht  nur  eine  in 
aller  Erfahrung  gegebene  Thatsache,  sondern  ebenso  sehr  im 
W^esen  des  Gedankens  begrĂĽndete  apriorische  Nothwendigkeit 
Ein  schlechthin  gegensatzloses,  ein  jedes  Nichtsein  ausschlies- 
sendes  Sein  ist  nach  Hegel  undenkbar  oder  es  verkehrt  sich, 
indem  wir  es  denken,  in  sein  Gegentheil,  das  reine  Nichtsein. 
Die  absolute  Idee  ist  so  nach  Hegel  nicht  das  starre  ens  rea- 
lissimum,  das  jede  Bewegung  und  folgerecht  jede  Thätigkeit 
ausschliesst,  sondern  sie  ist  eben  die  ewige  Thätigkeit,  sich 
in  sich  zu  unterscheiden,  ihr  Anderes,  die  Natur,  zu  setzen. 


J.  J.  BoreKus:  lieber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  409 

um  aus  ihr  sich  als  freier  Geist  zurĂĽckzunehmen.  Indem  so 
die  Welt  als  das  Selbstver wirklichen  der  absoluten  Idee  auf- 
gefasst  wird,  sucht  Hegel  in  allen  Gebieten  der  Wirklichkeit 
den  allgemeinen  Rythmus  der  Idee  aufzuzeigen :  das  Zerfallen 
des  Identischen  in  Gegensätze  und  das  Zurücknehmen  der 
Gegensätze  in  eine  höhere  Identität.  Das  Gesetz  der  Ent- 
wickelung  beherrscht  also  das  ganze  System.  Hierdurch  hat 
Hegel  über  alle  Gebiete  der  Wirklichkeit  ein  verklärendes 
Licht  verbreitet;  und  mit  Recht  hat  Hartmann  *^  bemerkt, 
dass  der  Geist  der  Hegel'schen  Philosophie  beinahe  das  ganze 
Leben  der  modernen  Wissenschaft  durchdrungen  und  in  seine 
Bahnen  gelenkt  hat.  Während  aber  so  der  reiche  Gedankenin- 
halt der  HegeFschen  Philosophie  eine  tiefgreifende  Einwirkung 
auf  die  Wissenschaft  geĂĽbt  hat,  ist  dagegen  ihre  logische  Form 
fast  einstimmig  von  deren  Vertreten!  verworfen  worden.  Scheint 
doch  schon  der  erste  Satz  der  HegeFschen  Logik,  von 
der  Identität  des  Seins  und  des  Nichts,  jede  Wissenschaft 
und  jedes  mit  sich  ĂĽbereinstimmende  Denken  zu  vernichten. 
Und  weit  entfernt,  das  Gesetz  des  Widerspruchs  als  das 
höchste  gelten  zu  lassen,  erklärt  Hegel  vielmehr  ausdrücklich, 
dass  alle  Dinge  in  sich  widersprechend  seien.  Es  ist  den 
L(^em  nicht  zu  verdenken,  dass  sie  diese  und  ähnliche 
AusdrĂĽcke  absurd  gefunden  haben.  Und  ebenso  wenig  darf 
man  sich  wundem,  wenn  die  Vertreter  der  modernen  Wis- 
senschaft sich  gegen  eine  Philosophie  sträuben,  welche 
die  Grundvoraussetzung  jeder  exacten  Wissenschaft  aufzu- 
heben scheint. 

Es  wäre  unerklärlich,  dass  ein  solcher  Antagonismus, 
wie  der  zwischen  der  Aristotelischen  und  der  Hegel'schen 
Logik,  hätte  entstehen  können,  wenn  der  Begriff  des  Wider- 
spruchs bei  Aristoteles  und  bei  Hegel  genau  dieselbe  Bedeu- 
tung hätte.  Es  ist  aber  nicht  schwierig  zu  zeigen,  dass  die- 
ses nicht  der  Fall  ist.  Der  Aristotelische  Widerspruch  be- 
steht, wie  wir  mehrfach  bemerkt  haben,  darin,  dass  dasselbe 
demselben   in    derselben  Hinsicht   und   derselben  Bedeutung 


17)  Gesammelte  Studien  und  Aufsätze  gemeinyerstäQdUchen  Inhalts. 
S.  568. 


410  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

zukomme  und  nicht  zukomme,  resp.  beigelegt  und  abgespro- 
chen werde;  Beispiele  dieses  Widerspruchs  geben  die  Urtheile: 
A  ist  (in  gewisser  Hinsicht  und  in  gewisser  Bedeutung)  B, 
und  Ă„  ist  (in  derselben  Hinsicht  und  derselben  Bedeutung) 
nicht  B.    Hegel  drĂĽckt  dagegen  im  Anschluss  an  Kant  den 
Widerspruch  immer  so  aus,  dass  einem  Gegenstande  A  ein  Prä- 
dikat B  und  zugleich  dessen  Gegentheil,  nicht- B,  zukomme^ 
oder  noch  einfacher  so,  dass  das  A  selbst  ebenso  sehr  Nicht -Ă„ 
(- A)  sei.   Dieses  ist  aber  mit  dem  Aristotelischen  Widerspruch 
nur  unter  der  Bedingung  identisch,  dass   Nicht *-A  oder-A 
nichts   Anderes   bedeutet,    als   das   Leugnen   oder   die  Ab- 
wesenheit des  Prädikates  A.    Statt  dessen  gibt  aber  Heg|el 
dem  Nicht -A  ausdrucklich  eine  positive  Bedeutung;   es  ist 
sogar  eine  Hauptsache  seiner  Philosophie,  dass  das  Negative 
ebenso  sehr  positiv  ist.     Wir  werden  später  sehen,  dass  die- 
ses in  Betreff  der  realen  Negation  ganz  richtig  ist,  wie  ĂĽbri- 
gens schon  aus  der  Betrachtung  der  Eantischen  Schrift  ĂĽber 
die  negativen  Grössen  hervoi^eht.    Aber  der  Satz  des  Ari- 
stoteles gilt  ausdrĂĽcklich  nur  der  formalen  Negation;  er  wird 
also  nicht  umgestossen  dadurch,   dass  z.  B.  das  ESne  ebenso 
sehr  ein  Vielfaches,   das  Sein  fĂĽr  sich  ebenso  sehr  ein  Sein 
fĂĽr  Anderes  ist,    oder  wie  sonst  die  vielfachen  Wendungen 
heissen,   durch  welche  Hegel  die  UngĂĽltigkeit  des  Satzes  des 
Widerspruches  zu  beweisen  sucht ").   Vielmehr  muss  ihn  Hegel 


18)  Wir  erinnern  in  dieser  Hinsicht  an  eine  Stelle  in  der  Phänome- 
nologie des  Geistes  (W.  W.  IL  8^—93),  wo  Hegel  die  Ansicht  widerlegen 
will,  dass  der  Widerspruch  im  Begriffe  des  Dinges  durch  das  Hervorheben 
verschiedener  RĂĽcksichten  oder  verschiedener  .Insofern*  vermieden  wer- 
den könne.  Das  Resultat  der  Erörterung  ist,  dass  alle  diese  Unterschiede 
am  Ende  wegfallen,  und  dass  der  Gegenstand  vielmehr  in  einer  und 
derselben  RĂĽcksicht  das  Gregentheil  seiner  selbst  sei:  fĂĽr  sich,  insofern 
er  fĂĽr  Anderes,  und  fĂĽr  Anderes,  insofern  er  fĂĽr  sich  ist  Es  ist  offen- 
bar, dass  hier  statt  der  nur  formalen  Negation  des  Seins  fĂĽr  sich  eine 
reale  untergeschoben  ist.  Dass  etwas  in  derselben  Bedeutung  und  der- 
selben Hinsicht  fĂĽr  sich  sei  und  fĂĽr  sich  nicht  sei,  das  ist  ein  Widerspruch 
im  AristoteHschen  Sinne,  und  folglich  widersinnig;  dagegen  lässt  es  sich 
sehr  gut  denken,  dass  es  ebenso  sehr  fĂĽr  Anderes  als  fĂĽr  sidi  sei.  Will 
man  femer  festhalten,  dass  jedoch  auch  in  diesem  Falle  der  Widerspruch 
nur  durch  das  Geltendmachen  verschiedener  RĂĽcksichten  vermieden  wer- 
den kann,  die  eben  von  Hegel  verleugnet  worden  sind,  so  bemerke  wir, 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  411 

selbst  nolens  volens  festhalten,  um  Oberhaupt  etwas  zu  be- 
weisen oder  auch  nur  zu  behaupten,  denn  indem  er  behaup- 
tet, dass  das  Eine  ein  Vielfaches  ist,  leugnet  er  dadurch  die 
Annahme,  dass  es  eine  Einheit  ohne  alle  Vielheit  geben 
könnte. 

Ganz  im  diametralen  Gegensatze  zu  Hegel  hielt  Her  hart 
die  GĂĽltigkeit  des  Satzes  des  Widerspruchs  (oder  nach  seiner 
Terminologie  des  Nicht  -  Widerspruchs)  imverbrĂĽchlich  fest; 
indem  er  ihm  aber  dieselbe  falsche  Deutung  gab  wie  Hegel, 
so  bĂĽsste  er  dadurch  die  materiale  Wahrheit  ein,  die  jeden- 
falls durch  Hegel's  scheinbar  paradoxe  Sätze  überall  durch- 
schimmert Schon  seine  Formulirung  des  genannten  Satzes: 
Entgegengesetztes  ist  nicht  einerlei,  ist  von  der  Aristotelischen 
Formel  weit  verschieden.  Denn  nach  dieser  kann  das  in 
gewisser  Hinsicht  Entgegengesetzte  sehr  wohl  in  anderer  Hin- 
sicht einerlei  sein.  Noch  deutlicher  tritt  die  Verschiedenheit 
der  beiden  Formeln  hervor,  indem  behauptet  wird,  ein  Wider- 
spruch sei  vorhanden,  wenn  auf  die  Frage:  was  oder  wel- 
cherlei ist  dies  Eine,  geantwortet  werden  muss:  es  ist  ein 
solches  und  auch  ein  anderes,  folglich  nicht  solches  ^^).  Hier 
zeigt  sich  offenbar  die  Verwirrung,  welche  durch  den  zwei- 
deutigen Ausdruck  non-A  in  die  Lehre  vom  Widerspruch 
gebracht  worden  ist.  Statt  des  negativen  Urtheils:  „es  ist 
nicht  ein  solches",  wird  hier  das  limitative:  „es  ist  ein 
nicht-solches"  ohne  Weiteres  untergeschoben,   und  dann 


dass  eben  dieses  Leugnen  der  verschiedenen  RĂĽcksichten  dnrch  einen  Pa- 
ralogismus  hervorgebracht  wird,  indem  das  Wort  insofern  in  zweifacher 
Bedeutung  benutzt  wird.  , Insofern*  kann  nothwendige  VerknĂĽpfung  be- 
deuten, und  in  dieser  Bedeutung  ist  es  kein  Widerspruch  im  Aristoteli- 
schen Sinne,  dass  der  Gegenstand  nur  fĂĽr  sich  sein  kann,  insofern  er  zu- 
gleich fĂĽr  Anderes  ist,  d.  h.  dass  sein  Sein  fĂĽr  sich  und  sein  Sein  fĂĽr 
Anderes  einander  gegenseitig  bedingen.  Soll  dagegen  .insofern*  dasselbe 
bedeuten  als  in  einer  und  derselben  RĂĽcksicht  oder  in  einer  und  derselben 
Beziehung,  so  ist  es  freilich  nicht  nur  widersprechend,  sondern  auch 
widersinnig,  zu  behaupten,  dass  er  fĂĽr  sich  ist,  insofern  er  fĂĽr  Anderes 
ist;  denn  schon  in  den  Worten  fĂĽr  sich  und  fĂĽr  Anderes  ist  die 
Verschiedenheit  der  RĂĽcksichten  (Beziehung  auf  sich  und  Beziehung 
aaf  Anderes)  ausgesprochen. 
19)  W.  W.  I.  S.  80,  81. 


412  J.  J.  Boreliufl:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

wird  wieder  dieses  nicht  -  solches  als  gleichdeutig  mit  „ein 
anderes^^  gesetzt  Nur  durch  diese  falsche  Deutung  des  Satzes 
des  Widerspruchs  kommt  Herbart  zu  dem  fĂĽr  seine  Philo- 
sophie charakteristischen  Postulat,  dass  die  Qualität  des  Seien- 
den absolut  einfach  sei,  ohne  alle  Negation  und  Relation,  in- 
dem der  Beweis  aus  dem  Begriffe  der  absoluten  Position 
auf  einen  offenbaren  Paralogismus  sich  gründet'®).  Ganz 
wie  Hegel,  sieht  auch  Herbart  in  der  Welt  der  Erfährung 
lauter  WidersprĂĽche,  weil  in  ihr  entgegengesetzte  Bestimmun- 
gen vereinigt  sind.  Er  beruft  sich  sogar  ausdrĂĽcklich  auf 
Hegel,  der  nach  seiner  Meinung  auf  jene  WidersprĂĽche  ein 
so  grelles  Licht  geworfen  habe,  dass  auch  das  blödeste  Auge 
sie  wird  sehen  mĂĽssen  *  *).  D^egen  sind  die  Folgerungen,  die 
Beide  daraus  ziehen,  ganz  verschieden  und  verhalten  sich 
wie  modus  ponens  und  modus  toUens  des  hypothetischen 
Schlusses.  Mit  anderen  Worten,  Hegel  findet  in  den  empi- 
risch gegebenen  Widersprüchen  eine  Bestätigung  seiner  An- 
sicht, dass  alles  Seiende  widersprechend  ist;  Herbart  dagegen, 
der  jeden  Widerspruch  im  Seienden  leugnet,  folgert  im  Gegen- 
theil,  dass  die  Welt  der  Erfahrung  nicht  das  wahre  Seiende, 
sondern  nur  Schein  sei. 

Da  also  Herbart  nicht  weniger  als  Hegel  den  Satz  des 
Widerspruchs  missverstanden  hat,  so  ist  sein  Festhalten  des- 
selben weit  mehr  als  HegeFs  Verwerfen  der  wahren  philo- 
sophischen Einsicht  hinderlich.  Auch  zeigt  es  sich,  dass  Her- 
bart ihn  nur  festhalten  kann,  so  lange  als  er  sich  mit  seinen 
abstrakten  „Realen^^   herumtreibt.     Sobald  er  dagegen  zum 


^)  Der  Begriff  der  absoluten  Position  wird  bei  Herbart  dadurch  ge- 
wonnen, dass  es  sich  unmöglich  zeigt,  alles  Sein  zu  leugnen,  weil  ohne 
ein  Sein  auch  nicht  der  Schein  existiren  könnte.  Indem  also  das  Aner- 
kennen des  Seins  mit  dem  Anerkennen  eines  absolut  zu  ponirenden  zu- 
sammenfällt, wird  das  Sein  als  absolute  Position  bestimmt  Nachdem  aber 
so  das  Wort  einmal  gefunden  ist,  wird  dessen  Bedeutung  plötzlich  gani 
verkehrt.  Während  es  zunächst  nur  das  Anerkennen  bezeichnet,  dass 
Etwas  ĂĽberhaupt  als  seiend  gesetzt  werden  muss,  verwandelt  es  sich  fĂĽr 
Herbart  in  eine  Bestimmung  der  Qualität  des  Seienden,  und  nur  durch 
diese  Subreption  gelangt  er  zu  dem  Resultate,  dass  diese  Qualität  absolut 
einfach,  ohne  jede  Quantität,  Relation  und  Negation  sei, 

21)  W.  W.  IV,  7.    Vergl.  II,  240. 


J.  J.  Borelius:  lieber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  413 

Erklären  der  Erscheinung  fortgeht,  treten  nicht  nur  fingirte, 
sondern  wirkliche  WidersprĂĽche  ĂĽberall  hervor,  indem  er 
stets  dasselbe  annimmt,  was  er  ausdrĂĽcklich  geleugnet  hat. 
Die  Realen,  die  absolut  einfach  sein  sollen,  werden  jetzt 
(durch  die  sogen,  zufalligen  Ansichten)  als  zusammengesetzt 
betrachtet;  sie  sollen  jede  Negation  und  Relation  ausschliessen, 
und  dessen  ungeachtet  werden  sie  jetzt  nicht  nur  in  Relation 
gesetzt,  sondern  geradezu  in  Gegensatz.  Freilich  soll  alles 
dieses  nur  fĂĽr  uns  gelten  bei  dem  Versuche,  die  Realen  im 
Denken  zusammenzufassen.  Die  zufalligen  Ansichten  sowie 
der  intelligible  Raum  und  was  Alles  Herbart  noch  in  seine 
Metaphysik  hineinbringt,  sollen  nicht  als  Bestimmtheiten  des 
Seienden  gelten,  sondern  nur  als  nicht-reale  HĂĽlfsbegriffe  fĂĽr 
das  Denken '*).  Alles  dieses  sind  aber  nur  leere  Worte,  um 
den  offenbaren  Widerspruch  zu  verbergen.  Wäre  das  Seiende 
so  beschaffen  wie  Herbart  es  annimmt,  so  wäre  jedes  Denken 
und  jedes  Zusammenfassen  der  Realen  schlechthin  ausge- 
schlossen. Eben  das  Vorhandensein  eines  Denkens  hebt  also 
die  Herbart'sche  Metaphysik  ganz  und  gar  auf,  und  wenn 
diese  dennoch  in  der  Geschichte  der  Philosophie  einen  blei- 
benden Werth  behaupten  wird,  so  liegt  dieser  nur  darin,  dass 
sie  gegen  die  Absicht  ihres  Urhebers  die  Unhaltbarkeit  ihrer 
Voraussetzungen  schlagend  beweist.  Die  Welt  der  Erfahrung 
zu  begreifen,  ist  also  vom  Standpunkte  des  Herbart'schen 
Systems  geradezu  unmöglich.  Wenn  dessen  ungeachtet  dieses 
System  bei  den  Vertretern  der  exacten  Wissenschaft  mehr 
Anerkennung  gefunden  hat  als  das  Hegel'sche,  so  liegt  der 
Grund  darin,  dass  die  einfachen  Realen  Herbart's  sich  der 
mathematischen  Berechnung  leicht  unterwerfen ,  an  der  es 
jenen  vor  Allem  gelegen  ist,  während  sie  sich  um  die  meta- 
physische Richtigkeit  wenig  bekĂĽmmern. 

Aus  dem  Vorigen  ergibt  sich,  dass  es  dem  richtig  nach 
Aristoteles  bestimmten  Satze  des  Widerspruchs  nicht  wider- 
streitet, alles  Seiende  als  Einheit  entgegengesetzer  Bestim- 
mungen zu  begreifen.  Diese  grosse  Wahrheit,  dass  es  ein 
Sein  ohne  Gegensatz,  ohne  Negation  nicht  gibt,   wird  durch 


M)  W.  W.  I,  264. 


414  J.  J.  Boretins:  Ueber  den  Satz  des  Widersprudis  etc. 

die  gesammte  Erfahrung  bestätigt.  Indessen  sind  noch  zwei 
wichtige  EinwĂĽrfe  zu  berĂĽcksichtigen,  von  denen  der  eine  vor- 
zugsweise dem  Rationalismus,  der  andere  dem  Empirismus  ge- 
hört, wobei  jedoch  zu  bemerken  ist,  öbss  einerseits  der  Ratio- 
nalismus immer  in  letzter  Instanz  auf  die  Elrfahrung  verweisen 
muss,  während  andererseits  der  Empirismus,  wie  sehr  er  sich 
auch  gegen  jede  Metaphysik  sträubt,  nichtdestoweniger  sich 
von  metaphysischen  Voraussetzungen  nimmer  gänzlich  los- 
machen kann,  so  dass  in  der  That  die  entgegengesetzten 
Standpunkte  einander  vielfach  kreuzen. 

Zugegeben  also  —  so  ohngefahr  lautet  das  rationalistische 
Argument  —  dass  die  Welt  der  Erfahrung  uns  immer  Ein- 
heit entgegengesetzter  Bestimmungen  zeigt,   so  beweist  doch 
dieses  nimmermehr,  dass  auch  das  wahrhaft  Seiende  Gegen- 
satz und  Widerstreit  enthalte.     Die  Aufgabe  der  Philosophie 
ist  eben,  sich  durch  das  Denken  ĂĽber  die  Welt  der  Erfahrung 
zum  Absoluten  zu  erheben,   und  was  vom  Denken  als  wahr 
erkannt  wird,  das  ist  wahr,  unabhäng^  von  jeder  Erfahrung. 
Freilich  möchten  Wenige   zu  unserer  Zeit  dieses  unbedingte 
Vertrauen  zum  Gedanken  hegen;   indessen  liegt  darin  nicht 
nur  etwas  Erhabenes,  sondern  auch  Wahres.   Denn  wie  hoch 
man  auch  die  Erfahrung  schätzen  mag,  so  steht  es  doch  fest, 
dass  ohne  die  Gewissheit  des  Gedankens  von  sich  selbst  wir 
nimmer  weiter  als  bis  zu  Sammlungen  einzelner  Beobachtunga:i 
oder  viehnehr  einzelner  Empfindungen  gelangen  könnten.  Aber 
wie  sehr  man  andererseits  die  Bedeutung  und  die  Wahrheit 
des  Denkens  schätzen  mag,  so  wird  dadurch  die  Bdiauptung 
nicht  umgestossen,  dass  alles  Sein  durch  G^ensätze  bedingt 
ist,  sondern  sie  wird  viehnehr  dadurch  bestätigt.    Denn  das 
ist  eben  die  Grösse  Hegel's   als  Metaphysiker ,  bewiesen  zu 
haben,   dass  ein  Sein  ohne  Gegensatz,   ohne  Nichtsein  nicht 
denkbar  ist.    Selbst  indem  wir  es  so  denken  wollen,  mĂĽssen 
wir  es  im  Gegensatz  zmn  Nichtsein  setzen   oder  dieses  von 
ihm  negiren;   die  Negation,  die  eben  ausgeschlossen  werden 
sollte,   heftet  sich  also  eben   im  Ausschliessen  fest  an  den 
Gedanken.  Versuchen  wir  endlich  sogar  von  diesem  Ausschlies- 
sen zu  abstrahiren  und  das  Sein  unabhängig  von  allem  Gegen- 
satz, selbst  dem  gegen  das  Nichtsein  aufzufassen,  so  ratwindet 


J.  J.  BoreUus:  Uebei^  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  415 

es  sich  unserem  Denken,  oder  mit  andern  Worten  wir  denken 
in  der  That  —  Nichts "). 

Wir  wenden  uns  jetzt  zum  zweiten  Argument,  das  im 
Gegensatze  zu  dem  vorigen  eme  empirische  Basis  hat,  welches 
jedoch  nicht  hindert,  dass  es  auch  von  rationalistischen  Den- 
kern benutzt  worden  ist,  wenn  ihr  Rationalismus  eine  reali- 
stische (d.  h.  im  Sinne  des  Mittelalters  eine  nominalistische) 
Färbung  angenommen  hat.  Die  sinnliche  Empfindung  ist  (ab- 
gesehen von  ihrem  Verhältniss  zu  unserem  Selbstgefühl)  immer 
positiv,  d.  h.  es  wird  darin  etwas  Säendes,  niemals  aber 
etwas  Nichtseiendes  empfunden,  und  in  diesem  Sinne  sagt 
der  Cusaner  mit  Recht,  dass  der  Sinn  nur  bejaht,  nimmer 
aber  verneint.  Erst  die  vergleichende  Reflexion,  die  in  dem 
einen  Objecte  oder  Zeitmomente  vermisst,  was  sie  in  dem 
anderen  findet,  geht  dadurch  zum  Begriffe  des  Nichtseins 
fort,  und  dieser  zeigt  sich  insofern,  als  nicht  in  den  Gegen- 
standen als  solchen,  sondern  nur  in  unserm  vergleichenden 
Bewusstsein  existirend.  Die  Annahme  hegt  hier  ganz  nahe, 
dass  die  Negation  ĂĽberhaupt  nur  eine  subjective  GĂĽltigkeit 
habe.  So  bestimmt  schon  Spinoza  die  Privation  (und  damit 
die  Negation  überhaupt)  als  „ens  rationis  vel  modus  cogi- 
tandi,  quem  formamus,  quum  res  invicem  comparamus'^ '^). 
Und  ganz  in  demselben  Sinne  sagt  Herbart  '^) :  „die  Negationen 
sind  bloss  in  der  Vorstellung  dessen  vorhanden,  der  in  dem 
Gegenstande  etwas  sucht,  was  er  nicht  findet;  der  Mangel 
selbst  ist  Nichts/^  Endlich  hat  Sigwart  in  seiner  1873 
erschienenen  Lc^  *^)  jene  ausschliesslich  subjective  und  nomi- 
nalistische Auffassung  der  Negation  ausfĂĽhrlich  entwickelt. 
Nach  ihm  hat  die  Verneinung  keinen  andern  Sinn  als  die 
subjective  und  individuell  zufallige  Bewegung  des  Denkens, 
die  in  ihren  Einfällen,  Fragen,  Vermuthungen,  irrthümhchen 
Behauptungen  ĂĽber  das  objectiv  GĂĽltige  hinausgreifl,   in  die 


23)  Dieses  ist  unseres  Erachtens  der  Sinn  des  verrufenen  HegePschen 
Salzes,  dass  das  reine  (d.  h.  abstracte)  Sein  =  Nichts  ist.  Derselbe  Ge- 
danke findet  sich  Obrij^ns  schon  im  platonischen  Sophistes  üö  C,  D. 

24)  Ep.  XXXIV.  8. 
«5)  W.  W.  in.  128. 

26)  I.  120,  79,  127,  138. 


416  J.  J.  Borelius:  lieber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

ihr  durch  die  Natur  der  gegebenen  Vorstellungen  gesteckten 
Schranken  zu  weisen.  Das  Allgemeine  und  das  Einzebe,  das 
Prädikat  und  das  Subjekt  finden  überhaupt  in  ihrer  Tren- 
nung und  Vereinigung  schlechthin  kein  GegenstĂĽck  im  Seien- 
den; was  im  Objekt,  realiter,  getrennt  wäre,  würde  nämlich 
keine  Beziehung  aufeinander  haben,  und  es  lässt  sich  nicht 
von  dem  Prädikate  sagen,  dass  es  irgendwo  vorhanden  sei, 
um  mit  dem  Subjekte  sich  zu  vereinigen  oder  von  ihm  ge- 
trennt zu  bleiben*  Was  die  Dinge  nicht  sind,  gehört  niemals 
zu  ihrem  Sein  und  Wesen;  es  ist  nur  von  dem  vergleichen- 
den Denken  von  aussen  an  sie  herangebracht. 

Ehe  wir  zur  Entgegnung  dieser  Ansicht  fortgehen,  ist  es 
zuzugeben,   dass  sie  eine  gewisse  Wahrheit  enthält.    Wenn 
auch,   wie  schon  Wundt*'')   bemerkt   hat,   öbs   verneinende 
Urtheil  von  Sigwart  ungehörig  unterschätzt  wird,   indem  er 
dessen  Bedeutimg  allein  in  der  Abwehr  eines  möglichen  Irr- 
thums  sieht,    so  ist   doch  wahr,    dass  die  N^ation  als  be- 
wusster  Denkakt  nur  im  bewussten  Denken  existirt;   dieses 
ist  sogar  ein  analytischer  Satz.    Dasselbe  gilt  selbstverständ- 
lich auch  von  der  Realität  und  jedem  anderen  Begriffe;  als 
abstracte  Begriffe  (xcc^urrä)  existiren  sie  nimmer  unabhängig 
von  dem  Akte  der  Abstraktion.   Diese  hindert  indessen  nicht, 
dass  sie  objective  Existenz  besitzen,  wenngleich  nicht  als  ab- 
gesondert,  sondern  als  immanente  Bestimmungen  des  Wirk- 
lichen.    Sonst   wäre   es   überhaupt   unbegreiflich,   wie  wir 
irgend  einem  Urtheil  objective  Gültigkeit  zuschreiben  könnten ; 
noch  weniger  könnte  von  Naturgesetzen  die  Rede  sein.  Selbst 
Männer,   die   sich  dem  Positivismus   anschliessen   oder  an- 
nähernd^), geben  es  zu,  dass  es  in  der  Natur  Unterschiede 
der  Art  gibt,  imd  dass  diese  Arten,  weit  entfernt  nur  sub- 
jective  HĂĽlfsmittel  unserer  Gedanken  zu  sein,    vielmehr  ihre 
Wirkungen  ĂĽber  das  Gebiet  hinaus  erstrecken,  wo  unsere  Ge- 
danken ihnen  folgen  können.   Wer  aber  dieses  zugesteht,  gibt 
damit   auch  die  Realität  der  allgemeinen  Begriffe  zu.     Der 


27)  Logik,  S.  190. 

28)  Vergl.  Stuart  Mill,   System  of  Logic  II,  278  (deutsche  Unter- 
setzung 301).    Taine,  de  riiitelligenoe,  II,  2&5. 


J.  i,  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  417 

Grundirrtbum  des  Nominalismus  Sigwart's  ist  in  den  Worten 
angegeben,  dass,  was  in  den  Objecten  realiter  getrennt  ist, 
keine  Beziehung  auf  einander  habe,  sowie  in  der  mit  dieser 
im  Grunde  gleichbedeutenden,  dass  zum  Wesen  der  Dinge 
niemals  das  gehört,  was  sie  nicht  sind.  Diese  Behauptungen 
widersprechen  nicht  nur  der  wahren  Metaphysik,  sondern 
ebenso  sehr  der  Erfahrung,  die  uns  immer  und  ĂĽberall  reale 
und  wesentliche  Beziehung  des  Getrennten  auf  einander  offen- 
bart. Ohne  diese  Beziehung  gäbe  es  kein  Denken  und  keine 
Bewegung;  Alles  wäre  todt  und  starr.  Selbst  wenn  man  das 
Unmögliche  versuchen  wollte,  alles  Leben,  jede  chemische 
Verwandtschaft  und  vor  Allem  die  durch  die  ganze  Natur 
gehende  Attraction  auf  äussere  mechanische  Bewegung  zu- 
rückzuführen, so  wäre  dadurch  der  Ansicht  Sigwart's  nicht 
geholfen;  denn  schon  damit  die  Bewegung  eines  Atoms  sich 
einem  andern  mittheilen  könne,  wird  eine  reale  Beziehung 
der  Getrennten  erfordert.  Wenn  ein  herabfallender  Stein  einen 
anderen  zermalmt,  so  sind  es  nicht  nur  wir,  die  wir  den 
einen  von  dem  andern  negiren;  die  Negation  ist  thatsächlich 
gegeben  ohne  unser  Zuthun.  Freilich  lässt  es  sich  ein- 
v^enden,  dass  diese  reale  Negation  ganz  anderer  Art  sei,  als 
die  rein  formale  und  harmlose,  die  ausgesprochen  wird,  wenn 
wir  einfach  urtheilen:  A  sei  nicht  B.  Der  Unterschied  zwi- 
schen Beiden  ist  auch  schon  von  Kant  angegeben  worden, 
und  kann  näher  so  bestinunt  werden,  dass  wir  im  Denken 
Gegenstände  unmittelbar  auf  einander  beziehen  können,  die, 
wenigstens  insoweit  unsere  Beobachtungen  sich  erstrecken, 
in  keiner  näheren  Beziehung  zu  einander  stehen.  Aber  anderer- 
seits, wäre  nicht  im  Wesen  des  Objectiven  selbst  Unterschied 
und  Beziehung  des  Unterschiedenen  auf  einander,  so  wĂĽrden 
wir  niemals  dazu  kommen,  das  Getrennte  auf  einander  zu 
beziehen.  Wer  jede  Beziehung  der  Unterschiedenen  im  realen 
Sein  leugnet,  der  muss,  insofern  er  sich  getreu  bleiben  will, 
entweder  mit  Parmenides  jede  Vielheit  fĂĽr  nur  scheinbar  er- 
klären, oder  auch  mit  Herbart  eine  Menge  völlig  beziehungs- 
loser Realen  als  das  einzig  Wirkliche  annehmen,  welche  höch- 
stens durch  unser  zusammenfassendes  Denken  auf  einander 
bezogen  werden  können.    Diese  beiden  Auswege  haben  sich 

PhĂĽofloph.  Monatshefte  1881,  VII  u.  VUI.  27 


418  J.  J.  Borelius:  lieber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

aber  als  widersprechend  und  ungereimt  erwiesen:  jener,  weil 
schon  der  Schein  der  Vielheit  eine  Trennung  zwischen  dem 
wahren  Sein  und  dem  nur  scheinbar  Seienden  involvirt,  dieser, 
weil  das  zusammenfassende  Denken  selbst  eine  Beziehung  des 
Gedachten  zum  Denkenden  voraussetzt,  die  nicht  wieder  durch 
ein  neues  zusammenfassendes  Denken  (u.  s.  w.  in  infinitum) 
erklärt  werden  kann  und  folglich  in  der  eigenen  Natur  des 
Seienden  enthalten  sein  muss.  Die  Ansicht  des  Spinoza  wĂĽrde 
im  Grunde  mit  der  des  Parmenides  zusammenfallen,  wenn 
er  seine  Auffassung  der  Negation  als  eines  bloss  subjectiven 
Modus  cogitandi  consequent  durchgeführt  hätte.  In  diesem 
Falle  hätte  er  nämlich  (g^mz  wie  ihn  Erdmann,  obgleich  un- 
richtig, interpretirt)  die  Attribute  und  Modi  als  nur  unsere 
subjective  Auffassungsweisen  erklären  müssen,  da  diese  nur 
durch  ihre  Determination  sich  von  der  absoluten  Substanz 
unterscheiden,  jede  Determination  aber  nach  der  ausdrĂĽck- 
lichen Erklärung  Spinoza's  Negation  ist^*). 

Wenn  es  dem  Vorigen  zufolge  anerkannt  werden  muss, 
dass  die  formale  Negation,  die  wir  in  unseren  Urtheilen 
aussprechen,  nur  unter  der  Voraussetzung  einer  realen,  im 
objectiven  Wesen  immanenten  Negation  zu  denken  ist,  so 
ergibt  sich  auch  die  Wahrheit  des  Hegel'schen  Satzes,  dass 
das  Negative  ebenso  sehr  positiv  ist.  Dieselbe  Wahrheit  ist 
auch  von  Trendelenburg  ausgesprochen  worden  in  dem  Satze, 
dass  jede  Verneinung  sich  in  ihrem  Grunde  als  die  ausschlies- 
sende,  zurücktreibende  Kraft  einer  Bejahung  darstellen  muss '®). 
Wir  können  freilich  negative  Urtheile  aussprechen,  ohne  da- 
durch etwas  Positives  von  dem  Gegenstande  zu  bestimmen; 
aber  die  reale  Negation  ist  immer  ebenso  sehr  positiv.  Nur 
könnte  es  noch  zweifelhaft  erscheinen,  inwiefern  diese  reale 
Negation  der  Logik  angehört.  Kant  scheint  dieses  zu  leug- 
nen, indem  er  ausschliesslich  die  formale  Negation  als  logische 
Negation  bezeichnet.     Ist    aber  das  Anerkennen    der  realen 


29)  Vergl.  Epp.  41,  50. 

30)  Logische  Untersuchungen  (2.  Aufl.)  II.  147.  Dass  Sigwari  nichts- 
destoweniger (Log.  I.  128)  die  Erörterung  Trendelenburg*s  zu  Gunsten  sei- 
ner Ansicht  gedeutet  hat,  ist  nur  durch  Uebersehen  dieser  und  Ă„hnlicher 
Aeusserungen  zu  erklären. 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  419 

Negation,  wie  wir  zu  beweisen  versucht  haben,  eine  noth- 
wendige  Bedingung  jeder  widerspruchsfreien  Auffassung  der 
Wirklichkeit,  so  fallt  auch  sie,  wenigstens  in  ihrer  Allgemein- 
heit, innerhalb  der  logischen  Betrachtung.  Aus  diesem  Grunde 
ziehen  wir  vor,  was  Kant  logische  Negation  genannt  hat,  mit 
dem  Namen  „formale  Negation"  zu  bezeichnen,  um  dadurch 
dem  Missverstand  vorzubeugen,  als  wäre  die  reale  Negation 
aus  der  logischen  Betrachtung  ganz  und  gar  auszuschliessen. 

Hartmann,  der  in  seiner  Schriflj  ĂĽber  die  dialektische 
Methode  ebensowohl  die  Existenz  als  die  Denkbarkeit  des 
Widerspruchs  ausdrücklich  leugnete,  hat  in  den  späteren  Auf- 
lagen seiner  Philosophie  des  Unbewussten  dieses  Urtheil  ge- 
wissermassen  modificirt.  Freilich  gilt  ihm  der  Widerspruch 
noch  immer  als  unlogisch  (also  wohl  auch  als  undenkbar); 
aber  dieses  Unlogische  wird  doch  als  existirend  anerkannt 
vermöge  des  der  logischen  Idee  entgegengesetzten  Princips, 
des  Willens'^).  Das  Zugeständniss,  das  somit  dem  Hegel'schen 
System  gemacht  wird,  enthält  einerseits  zu  viel,  andererseits 
zu  wenig.  Der  Widerspruch  im  Aristotelischen  Sinne  kann 
ebenso  wenig  existiren  als  gedacht  werden  —  wir  möchten 
fast  sagen  noch  weniger;  denn  denken  lässt  sich,  wenn  nicht 
der  Widerspruch,  doch  wenigstens  die  Aufgabe,  den  Wider- 
spruch zu  denken'*);  wogegen  der  Existenz  als  solcher  keine 


31)  Pbilos.  des  Unbewussten,  6.  Aufl.  S.  780, 803.  Eine  Andeutung  dieser 
letzteren  Ansicht  tritt  schon  in  der  Abhandlung  ĂĽber  die  dialektische  Me- 
thode S.  74  hervor,  aber  nur  hypothetisch,  unter  der  (in  derselben  Schrift 
ausdrĂĽcklich  bestrittenen)  Voraussetzung,  dass  der  Widerspruch  wirklich 
existirte.  —  Nachdem  dieser  Aufsatz  schon  für  den  Druck  gesetzt  war,  er- 
schien in  den  ,  Philosophischen  Monatsheften"  (1881,  IV  u.  V)  eine  Abhandlung 
von  Hartmann,  wo  er  (S.  256)  ausdrücklich  erklärt,  dass  der  Widerspruch  in  der 
Wirklichkeit  ebenso  unmöglich  ist,  als  im  Denken.  Es  scheint  also,  dass 
wir  die  oben  angefĂĽhrten  Stellen  in  der  Philosophie  des  Unbewussten  miss- 
verstanden  haben  und  dass  er  die  in  seiner  Schrift  ĂĽber  die  dialektische 
Methode  ausgesprochene  Ansicht  ĂĽber  den  Widerspruch  noch  immer  fest- 
hält. Was  bedeutet  aber  dann  der  Ausdruck,  dass  ,der  Widerspruch  des 
Logischen  sich  immer  nur  an  dem  vorgefundenen  Unlogischen  entzĂĽnden 
kann."  Uns  ist  es  wenigstens  unbegreiflich,  wie  ein  Unmögliches  «sich  ent- 
zünden* oder  irgend  eine  andere  Wirksamkeit  ausüben  könne. 

3S)  Wie  Hartmann  selbst  bemerkt  hat :  Ueb.  d.  dialekt.  Methode.  S.  73. 


420  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

solche  Aufgabe  zugeschrieben  werden  kann.  Dagegen  enthält 
allerdings  die  Existenz  Widerstreit  und  Einheit  Entgegenge- 
setzter, und  diese  sollten  also  nach  Hartmann  nicht  im  Wesen 
der  Idee,  sondern  im  unlogischen  Princip  gegrĂĽndet  sein. 
Dass  nun  der  Wille  in  Hartmann's  System  ganz  und  gar  un- 
logisch  und  widersprechend  ist,  geben  wir  ohne  Bedenken 
zu  —  ein  Wille,  der  mit  der  Vorstellung  in  untrennbarer  Ein- 
heit ist,  der  Nichts  wollen  kann,  was  nicht  vorgestellt  wird, 
und  der  doch  keine  Vorstellung  als  Inhalt  hat,  sondern  nur 
seine  eigene  unendliche  Unlust,  ein  Wille  femer,  der  nur 
durch  den  bestimmten  Inhalt  die  Möglichkeit  der  Existenz 
erhält,  und  der  doch  schon  vor  der  Erreichung  dieses  Inhalts 
will,  ohne  zu  sein  und  ohne  etwas  zu  wollen,  ein  Wille 
endlich,  der,  indem  er  um  zu  existiren,  einen  Inhalt  ergreift, 
nur  eben  dieselbe  „Vorstellung",  ergreift,  die  schon  ursprüng- 
lich mit  ihm  in  untrennbarer  Einheit  verbunden  ist**)  -—  ein 
solcher  Wille  ist  ohne  Zweifel  nicht  nur  im  Hegel'schen,  son- 
dern ebensowohl  im  Aristotelischen  Sinne  unlogisch  und  wider- 
sprechend, d.  h.  widersinnig;  daraus  darf  man  aber  nicht 
folgern,  dass  dieses  Widersinnige  das  wahre  Wesen  der  Welt 
sei,  sondern  nur,  dass  das  System  Hartmann*s  unwahr  ist. 
Uebrigens  ist  das  logische  Princip  Hartmann's,  die  Vorstel- 
lung, ebenso  unlogisch  und  widersinnig,  als  der  Wille.  Es 
soll  ohne  den  Willen  gleich  Nichts  sein,  und  gibt  doch  dem 
Willen  allen  Inhalt,  den  er  jemals  besitzen  kann.  Und  dann 
soll  es  wieder  nicht  Alles  enthalten,  was  von  dem  Willen 
gewollt  wird;  denn  nach  Abzug  des  Logischen  gibt  es  in  der 
Erscheinung  einen  unlogischen  Rest,  das  Zufallige,  der  also 
vom  Willen  gewollt  wird,  ohne  jedoch  von  dem  Logischen 
bestimmt  zu  sein.  Das  ünbewusste  ist  selbst  der  grösste 
Widerspruch.  Es  soll  die  absolute  Einheit  und  Harmonie 
seiner  Attribute  sein,  so  dass  ihm  gegenĂĽber  das  Bewusstsein 
als  Friedensstörer  erscheint;  und  doch  soll  es  ganz  unab- 
hängig von  der  Welt  in  einem  Zustande  absoluter  Unseligkeit 
sich  befinden,  die  wieder  eben  durch  das  Bewusstsein  geho- 
ben werden  soll.     In  ihm  sollen   die  Attribute  in  ewiger  ab- 


33)  Vergl.  Phil,  des  Unbewussten,  8.  Aufl.,  S.  101-103,  370,  793-795. 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  421 

soluter  Einheit  und  doch  wieder  nicht  ewig!  .vereinigt  sein, 
da  sie  sich  erst  im  Akte  vereinigen,  durch  welchen  die  Welt 
entsteht'*).     Aus  diesem  Grundwiderspruche  im  Begriffe  des 
ĂĽnbewussten  fliessen  alle  die  ĂĽbrigen  WidersprĂĽche  des  Hart- 
mann'schen  Systems  her.     Dass  „ein  bloss  und  schlechter- 
dings Eines  ein  sich  selbst  aufhebender  ĂĽnbegriff  ist",   hat 
Hartmann  richtig  eingesehen'*);    aber  während  er   also    mit 
Recht  einen  relativen,  immanenten  Dualismus  als  unentbehr- 
liche Voraussetzimg  fĂĽr  die  Wahrheit  des  absoluten  Monismus 
bestimmt  hat,  fehlt  er  selbst  gegen  diesen  Grundsatz.     Denn 
in  einem  immanenten  Dualismus  mĂĽssten  die  beiden  Attri- 
bute nicht   gleichgĂĽltig   neben   einander   bestehen,    um   nur 
durch  einen  zufalligen  Anlauf  sich  zu  verbinden,  sondern  sie 
mĂĽssten   ewig   und    wesentlich   vereinigt  sein.    Und   zufolge 
dieser  Wesenseinheit  mĂĽsste  auch  unbeschadet,  des  Gegensatzes 
eine  wirkliche  communicatio  idiomatum  stattfinden,   so  dass 
die  Vernimft  durch  ihre  Einheit  mit  dem  Willen  energisch 
und  der  Wille  durch  seine  Einheit  mit  der  Vernunft  vernĂĽnftig 
wäre.    Der  Wille,    oder  wie  man  sonst  das  der  Idee  ent- 
gegengesetzte Moment  nennen  wollte,    wäre   dann  nicht  ein 
absolut  Unlogisches    oder  UnvernĂĽnftiges,    sondern   vielmehr 
die  von  der   logischen  Idee  selbst  vorausgesetzte  Bedingung 
ihrer  Realisation.    Andererseits  müsste  die  Idee  vermöge  ihrer 
wesentlichen  Verbindung  mit  dem  Entgegengesetzten  den  Gegen- 
satz in  sich  selbst  enthalten.    Dadurch  wäre  auch  der  Pessi- 
mismus, der  eben   in  der  vorausgesetzten  absoluten  Gegen- 
sätzlichkeit der  beiden  Principien  gegründet  ist,   aufgehoben 
oder  vielmehr  zu  einem  höheren  und  wahrhaften  Optimismus 
verklärt,    der  nicht  wie  der  eines  Spinoza  oder  Leibniz  das 
Böse  zu   einem    blossen   modus   cogitandi    oder   einem   nie- 
drigeren Grade  von  Realität  reducirt,  sondern  seine  Wirklich- 
keit anerkennt,    ohne  jedoch  die  Ueberzeugung   aufzugeben, 
dass  es  sich  am  Ende  als  Mittel  zur  Realisirung  der  Idee  er- 
weisen muss.     In  der  That  muss   auch  nach  Hartmann  der 
unvernĂĽnftige  Wille  dazu  dienen,   die  Idee  zu  realisiren  und 


34)  A.  0.  780,  537,  753,  795,  7%,  814. 

35)  A.  St.  815. 


432  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

ihr  zum  Bevvusstsein  ihrer  selbst  zu  verhelfen;  nur  wäre  es  nach 
ihm  besser  gewesen,  wenn  diese  Realisirung  ewig  ausgeblie- 
ben wäre.  Aber  diese  Behauptung  setzt  ein  völliges  Verken- 
nen des  Geistigen  voraus  (man  könnte  sie  die  eigentlidie 
SĂĽnde  gegen  den  Geist  nennen)  und  wĂĽrde  ohnedies,  ernstlich 
festgehalten,  unausbleiblich  zum  Selbstmord  führen  *•). 

Mit  jener  Anerkennung  des  Gegensatzes  als  eines  noth- 
wendigen  Momentes  der  Idee  selbst  wäre  also  der  Grund- 
gedanke HegePs  wieder  in  erneuerter  Gestalt  aufgenommen. 
In  ihrer  ursprĂĽnglichen  Form  kann  freilich  die  Philosophie 
Hegel' s  nicht  mehr  festgehalten  werden;  der  Satz  des  Wider- 
spruchs muss  ebensowohl  in  der  Philosophie  als  in  der  Wis- 
senschaft ĂĽberhaupt  anerkannt  und  nur  auf  seine  wahre  Be- 
deutung zurĂĽckgefĂĽhrt  werden.  Femer  wird  man  nunmehr 
schwerlich  mit  Hegel  alles  das,  was  sich  nicht  in  das  logische 
Schema  einfügen  lässt,  geringschätzen,  noch  „die  Ohnmadit 
der  Natur,  die  Begriffsbestimmungen  festzuhalten'^  zu  Hälfe 
nehmen,  um  sich  dessen  zu  entledigen.  Es  muss  nämlich 
anerkannt  werden,  dass  wir  weder  die  Idee,  noch  die  Er- 
scheinungen hinlänglich  durchschauen,  um  bei  jeder  Erschei- 
nung zu  erkennen,  was  in  ihr  von  der  Idee  bestimmt  sei  oder 
nicht.  Und  selbst  wenn  wir  es  entscheiden  könnten,  würde 
doch  immer  ein  zufalliger  Rest,  wir  möchten  mit  Hartmann 
sagen,    etwas   Unlogisches,    zurückbleiben.     Aber   es   gehört 


<  36)  Uartmann  versucht  freilich,  diese  Gonsequenz  seines  Systems  zu 
vermeiden,  indem  er  S.  759  bemerkt,  der  alleinige  Wille  finde  sich  nach 
dem  Selbstmord  in  keiner  anderen  Situation,  als  wenn  ein  Mensch  durch 
einen  Dachziegel  todtgeschlagen  werde;  er  fahre  nach  wie  vor  fort,  das  Le- 
ben zu  packen,  wo  er  dasselbe  findet;  denn  Erfahrungen  machen  und  durch 
Erfahrungen  klüger  werden,  könne  er  nicht.  Ganz  dasselbe  gilt  aber  von 
jener  universellen  Willensverneinung,  die  Hartroann  als  das  Ziel  des  Welt- 
processes  setzt.  Auch  nach  dieser  Willensvemeinung  bleibt  ja  der  Wille 
ebenso  unselig  als  vorher,  und  fĂĽr  diese  unendliche  absolute  Unseligkeit 
des  leeren  WoUens  ist  es  ganz  gleichgĂĽltig,  ob  neben  ihrer  durch  keine 
noch  so  geringe  Lust  gemilderten  Unseligkeit  eine  Welt  von  Qual  und 
Lust  besteht  oder  nicht  (S.  796).  Das  Unbewusste  fällt  also  nach  Hart- 
mann selbst  rettungslos  der  Unseligkeit  anheim;  nur  fĂĽr  das  Individuum 
gibt  es  eine  Rettung  durch  den  Tod.  Hierdurch  zeigt  sich  die  Vernich- 
tung des  Individuums  als  das  einzige  Ziel,  das  erstrebt  werden  kann,  wo- 
gegen die  allgemeine  Erlösung  als  nur  illusorisch  gesetzt  werden  muss. 


X  J.  BorelioB:  Ăśeber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  4S3 

eben  zur  Unendlichkeit  der  Idee,  dass  sie  sich  selbst  in  die* 
sem  ihr  entgegengesetzten  Elemente  realisirt  oder  dass  dieses 
nur  da  ist,  um  von  der  Idee  überwältigt  und  beherrscht  zu 
werden. 

Wir  haben  gesehen,  dass  der  Satz  des  Widerspruchs  nur 
eine  rein  formale   oder  analytische  Bedeutung  hat   und  dass 
durch  ihn  nichts  bestimmt  werden  kann  ohne  die  HĂĽlfe  eines 
gegebenen  Inhalts.   Es  könnte  scheinen,  als  wäre  dadurch  jede 
Möglichkeit   abgeschnitten,   durch   dessen  Hülfe    eine   Meta- 
physik zu  gewiimen,  da  diese  nicht  ohne  einen  synthetischen 
Inhalt  a  priori  denkbar  ist.     Allerdings  wird  in  der  gewöhn- 
lichen Logik   neben  dem  Satze   des  Widerspruchs   und  dem 
mit  diesem  im  Grunde  gleichgeltenden  Satz  der  Identität  auch 
der  Satz   des  zureichenden  Grundes    als   allgemeines  Denk- 
gesetz angefĂĽhrt.    Aber  es  kann   in  Frage  gestellt  werden, 
ob  nicht  dieser  Satz,  insofern  er  von  dem  Satze  des  Wider- 
spruchs sich  unterscheidet,  eigentlich  nur  eine  aus  der  Erfah- 
rung abstrahirte,   also  nicht  denknothwendige  Thatsache  sei. 
Dieses  ist  nicht   nur  die  allgemeine  Ansicht  des  Empirismus, 
dem  jeder  Inhalt  nur  als  empirisch  vorgefundener  gilt;  auch 
Lotze  scheint  sich  ihr  gewissermassen  anzuschli essen  ^^).   Er 
leugnet  freilich  nicht,   dass   das  Denken  einen  Trieb  besitzt, 
der  auch  unabhängig  von  aller  wirklichen  Erfahrung  zur  Vor- 
aussetzung  eines  Zusammenhangs  von  GrĂĽnden  und  Folgen 
fuhren  wurde.    Aber  dass  diese  Voraussetzung  sich  bestätigt, 
dass  das  Denken  in  dem    denkbaren  Inhalt,    den  es  selbst 
nicht  macht,  sondern  empfangt  und  vorfindet,  solche  Identitäten 
oder  Aequivalenzen  des  Verschiedenen  antrifft,    das  ist  nach 
Lotze  eine  glĂĽckliche  Thatsache,    ein  glĂĽcklicher  Zug  in  der 
Organisation  der  Welt  des  Denkbaren,   der  thatsächlich  be- 
steht«   aber   nicht   mit    derselben   Nothwendigkeit   bestehen 
müsste,  wie  die  Geltung  des  Identitätsprincips.     Denkunmög- 
Heb  wäre  eine  Welt  gar  nicht,  in  welcher  jeder  einzelne  In- 
halt mit  jedem  Anderen   so  unvergleichbar  wäre,    wie  süss 
und  dreieckig,  in  welcher  mithin  jede  Möglichkeit  fehlte.  Ver- 
schiedenes zur  BegrĂĽndung  eines  Dritten  zusammenzufassen; 


37)  System  der  Philosophie.  I.  Logik.  S.  90. 


424  J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

wäre  diese  Welt,  so  würde  zwar  das  Denken  Nichts  mit  ihr 
anzufangen  wissen,  aber  es  wurde  sie  als  eine  nach  seinem 
eigenen  Urtheil   mögliche  anerkennen  müssen.    Es  ist  nicht 
zu  leugnen,    dass  in  diesen  Worten  Lotze's   etwas  Wahres 
liegt.    Gegen  die  Möglichkeit  einer  solchen  Welt  wie  die  von 
Lotze  angedeutete  lässt  sich  vom  Standpunkte  des  rein  for- 
malen Satzes  des  Widerspruchs  ebenso  wenig  etwas  einwen- 
den, als  gegen  die  Möglichkeit  dessen,  dass  überhaupt  Nichts 
wäre.    Das  aber  muss  behauptet  werden,  dass  in  dem  einen 
wie  in  dem  andern  Falle  das  Denken  nicht  nur  „Nichts  an- 
zufangen wissen"  würde,  sondern  gar  nicht  existiren  könnte, 
es  sei  denn  als  eine  Anlage  ohne   jede  Möglichkeit  sich  zu 
verwirklichen.    Denn  das  Denken  ist  wesentlich  Beziehen  und 
Zusammenfassen  Unterschiedener;  wird  jede  Möglichkeit  dieses 
Zusammenfassens  aufgehoben,  so  ist  damit  das  Denken  selbst 
unmöglich  gemacht.    Wenn  ferner  Stuart  Mill*®)  die  soeben 
erwähnte  zusammenhanglose  Welt  sogar  vorstellbar  fuidet, 
so  ist  auch  dieses  insofern  zuzugeben,  als  wir  Alle  im  Traume, 
wenigstens  partiell,    eine  solche  besitzen.     Aber   auch  nur 
partiell ;  denn  bei  totaler  Zusammenhanglosigkeit  der  Vorstel- 
lungen wĂĽrde  sich  der  Traum  nicht  von  dem  tiefsten  Schlaf 
unterscheiden.    Femer  können  wir  auch  wachend  eine  solche 
Welt  vorstellen,  aber  nur  indem  wir  sie  der  wirklichen,  „dem 
Satze  des  Grundes  unterworfenen"  Welt  entgegenstellen;  da- 
gegen sie  unabhängig  von  diesem  Gegensatz  vorstellen  oder 
denken,    ist  ganz   und  gar  unmöglich,    weil  jedes  Vorstellen 
ein  Beziehen  Unterschiedener  ist.    Wenn  also  der  Satz  des 
Widerspruchs   sich  als  rein  formal  erwiesen  hat   und  daher 
unvermögend  ohne  Hülfe  eines  gegebenen  Inhalts  irgend  eine 
Erkenntniss  zu  begrĂĽnden,   so  haben  wir  im  Denken  selbst 
einen  solchen  hihalt,   der  indessen  nicht  empirisch  ist,   weil 
er  die  Voiaussetzung  jeder  Empirie   bildet.    Dass  auch  das 
Denken   sich  zunächst   als  empirische  Thatsache   kund  gibt, 
soll  hiermit  nicht  geleugnet  werden;  aber  diese  Thatsache  ist 
ganz  apriorischer  Natur  als  die  nothwendige  Bedingung,  ohne 
welche  keine  andere  Thatsache  erkannt  werden  könnte.  Als 


38)  System  of  Logic  D,  98  (deutsche  Uebera.  S.  108). 


J.  J.  Borelius:  Ueber  den  Satz  des  Widerspruchs  etc.  425 

a  priori  nothwendige  Wahrheit  ergibt  sich  somit  alles  das, 
ohne  welches  das  Denken  und  das  Erkennen  nicht  möglich 
wäre,  und  die  Aufgabe  der  Metaphysik  ist  eben,  dieses  Aprio- 
rische  zu  erforschen. 

Dass  schon  die  Möglichkeit  der  Erfahrung  ein  apriori- 
sches Element  in  unserem  Bewusstsein  voraussetzt,  hat  Kant 
richtig  eingesehen,  und  dadurch  hat  er  den  Empirismus  im 
Grunde  ĂĽberwunden.  Aber  jenes  richtige  Hervorheben  des 
Apriorischen  in  jeder  Erkenntniss  wurde  von  Kant  wieder 
verfälscht,  indem  er  zufolge  seiner  scharfen  Entgegensetzung 
des  Dinges  an  sich  und  der  Erscheinung  das  Apriorische  als 
nur  subjective  Form  bestimmte,  die  in  das  vom  Dinge  an 
sich  stammende  Material  der  Erkenntniss  gleichsam  von  aus- 
sen hineingelegt  wurde,  um  es  zum  Gegenstande  einer  Er- 
kenntniss zu  machen.  Während  also  Kant  gegen  den  Empi- 
rismus die  Möglichkeit  einer  Metaphysik  festhielt,  setzte  er 
doch  wieder  als  dessen  Gegenstand  nur  das  Apriorische  in 
der  Erscheinung,  das  nach  ihm,  eben  weil  es  unserem  Er- 
kenntnissvermögen wesentlich  angehörte,  jede  Erkenntniss  des 
Dinges  an  sich  verhinderte.  ,,Die  Ordnung  und  Regelmässig- 
keit an  den  Erscheinungen,  die  wir  Natur  nennen,  bringen 
wir  selbst  hinein,  und  wurden  sie  auch  nicht  darin  finden 
können,  hätten  wir  sie  nicht  oder  die  Natur  unseres  Gemü- 
Ihes  ursprünglich  hineingelegt" '•).  Nach  diesen  Worten  sollte 
man  glauben',  das  an  sich  seiende  Wesen  der  Welt  sei 
ganz  ordnungs-  und  regellos,  so  dass  nur  unser  Erkennt- 
nissvermögen durch  die  ihm  eigenthümlichen  Formen  Ord- 
nung und  Gesetz  bringe  in  das  an  sich  ganz  ungeordnete 
Material  unserer  Erkenntniss,  etwa  wie  die  Spiegel  eines  Ka- 
leidoskops die  unregelmässig  durch  einander  geworfenen  Glas- 
scherben regelmässig  geordnet  erscheinen  lassen.  Diese  An- 
sicht ist  indessen  nicht  einmal  von  Kant  selbst  genau  fest- 
gehalten worden;  denn  wo  er  (im  praktischen  Gebiete)  dem 
Noumenon  eine  positive  Bedeutung  gibt,  setzt  er  es  stets  als 
vemunftgemässe  Ordnung.  Daraus  folgt  aber  offenbar,  dass 
die  Regelmässigkeit,    die  wir  in   den  Erscheinungen   finden. 


39)  Rr.  d.  r.  V.  ed.  Rosenkr.  S.  112. 


426  J.  J.  Borelius:  Ueb«r  den  Satz  des  Widerspruchs  etc. 

nicht  ausschliesslich  unsere  subjective  Zuthat,  sondern  ebraso 
sehr  im  Wesen  des  Erkannten  gegrĂĽndet  ist.  So  gewiss  es 
ist,  dass  wir  Ordnung  und  Regehnässigkeit  in  der  Natur  nim- 
mer finden  wĂĽrden,  wenn  nicht  ein  Streben,  das  Getrennte 
zur  Einheit  zu  verbinden,  schon  ursprĂĽnglich  unserem  Geiste 
einwohnte,  ebenso  gewiss  ist  es  andererseits,  dass  jene  T^- 
denz  sich  nimmer  realisiren  wĂĽrde,  wenn  nicht  der  gegebene 
behalt  unserem  Streben  entgegenkäme.  Diese  Berichtigung 
der  Ansicht  Kant's  scheint  auch  der  eigentliche  Sinn  der  oben 
citirten  Aeusserung  Lotze's  zu  sein,  die  insofern  ganz  richtig 
ist,  wenn  man  nur  dabei  bemerkt,  dass  der  in  den  Erschei- 
nungen gegebene  Zusammenhang  nicht  bloss  eine  glĂĽckliche 
Thatsache  ist,  sondern  vor  Allem  eine  nothwendige  Bedin- 
gung des  Denkens  und  des  Erkennens.  Dass  diese  Bedingung 
auch  als  Thatsache  gegeben  und  also  ein  Denken  möglich 
ist,  das  beweist  eben,  dass  die  Formen  unseres  Erkennens 
nicht  ausschliesslich  subjectiv,  sondern  ebenso  sehr  im  Wesen 
der  objectiven  Wirklichkeit  gegrĂĽndet  sind.  Indem  dieses 
zugegeben  wird,  gewinnt  auch  die  Metaphysik  eine  höhere 
Bedeutung  als  bei  Kant;  wenn  sie  auch  unmittelbar  nur  die 
nothwendigen  Bedingungen  der  Erscheinung  zu  entwickebi 
hat,  so  muss  sie  doch  am  Ende  zu  der  Einsicht  fĂĽhren,  dass 
die  Erscheinung  selbst  nur  denkbar  ist  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  das  Wesen  sich  in  ihr  bethätigt  und  offenbart. 
Eine  Metaphysik  in  der  hier  angegebenen  Bedeutung 
wĂĽrde  sich  der  speculativen  Logik  Hegel's  insofern  anschlies- 
sen,  als  sie  die  nothwendigen  Denkbestimmungen  des  Seienden 
dialektisch  zu  untersuchen  und  zu  entwickeln  hätte,  d.  b.  die 
Bestimmungen,  welche  dem  Seienden,  insofern  es  denkbar 
sein  soll,  nothwendig  und  wesentlich  zukommen  mĂĽssen.  Da- 
gegen wĂĽrde  sie  lun  so  weniger  den  Satz  des  Widerspruchs 
in  dessen  echter,  Aristotelischen  Bedeutung  leugnen,  als  dieser 
Satz  das  nothwendige  formale  Kriterium  aller  Denkbarkeit  ist. 
Andererseits  wĂĽrde  sie  ebenso  wenig  Anspruch  darauf  machen, 
aus  einer  leeren  Form  wie  dem  leeren  Begriffe  des  Seins  oder 
dem  Satze  A  ==  A  herauszuconstruiren.  Nicht  das  leere  Sein 
oder  die  Identität  als  solche,  sondern  die  in  der  Natur  des 
Denkens  gegebene  Thatsache,  dass  wir  jenes  leere  Sein  nur 


Th.  Lippe:  Die  Au^i^abe  det  Erkenntnisslehre  etc.  4f7 

denken  können,  indem  wir  es  einem  (relativ)  Nichtseienden, 
jene  Identität  nur,  indem  wir  sie  dem  Unterschied  gegenüber- 
stellen und  dass  also  jene  Begriffe  fĂĽr  das  Denken  wesentlich 
durch  die  Entgegengesetzten  vermittelt  und  bedingt  sind,  kann 
ein  dialektisches  Fortgehen  zu  reicheren  Denkbestimmungen 
begrĂĽnden.  Es  kann  in  Zweifel  gezogen  sein,  inwiefern  eine 
solche  Metaphysik  uns  etwas  geben  könnte,  was  wir  nicht 
schon  ohne  sie  besitzen.  Aber  schon  dieses,  zu  wissen,  was 
man  besitzt  und  mit  welchem  Rechte  man  es  besitzt,  ist, 
wenigstens  in  der  Wissenschaft,  nicht  geringer  zu  schätzen  als 
der  Besitz  selbst. 

Lund.  J.  J.  Borelius. 


Me  iifpbe  der  Erkeiitiiwkhr«  iDd  die  Wiidt'sehe  Logik. 

IV. 

Die  beiden  letzten  Abschnitte  des  Werkes  (V  und  VI) 
handeln  von  den  Grundbegriffen  und  Gesetzen  der  Erkennt- 
niss.  Dass  zum  Mindesten  einige  Fragen,  die  in  dies  Kapitel 
gehören,  nach  meiner  Meinung  zweckmässiger  bereits  vor  oder 
bei  Gel^enheit  der  Begriffs-,  Urtheils-,  Schlusslehre  erörtert 
worden  wären,  habe  ich  verschiedentlich  angedeutet.  Es  gilt 
dies  gleich  vom  Begriff  des  Wissens,  mit  dem  es  das  erste 
Kapitel  des  Abschnitts  V  zu  thun  hat.  Nachdem  hier  in  einer 
Besprechung  der  erkenntnisstheoretischen  Richtungen  der  Ge- 
gensatz zwischen  einem  ausschliesslichen  Empirismus  und  einem 
ebensolchen  Apriorismus  die  gebĂĽhrende  ZurĂĽckweisung,  der 
Gegensatz  zwischen  Glauben  und  Wissen  die  gebĂĽhrende  An- 
erkennung und  Beleuchtung  erfahren  hat,  geht  der  Verf.  zur 
Untersuchung  der  Kriterien  der  Gewissheit  ĂĽber.  Ich  meine 
aber,  es  müsse  insbesondere  dieser  letzte  Punkt  bereits  völlig 
feststehen,  wenn  man  zur  klaren  Einsicht  in  das  Wesen  des 
Urtheils  gelangen  wolle.  Das  Urtheil  konunt  erst  zu  Stande, 
indem  sich  mit  dem  Uebergang  von  der  Subjects-  zur  Prä- 
dikatsvorstellung die  objective  Gewissheit  des  vorgestellten 
Verhältnisses  der  beiden  zu  einander,  kürzer  ausgedrückt,  das 
Bewusstsein   der   Zusammengehörigkeit   derselben   verbindet. 


428  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  ErkenntnisBlehre  etc. 

Dass  der  Verf.  es  unterlässt,  schon  beim  Urtheil  diese  objec- 
tive  Gewissheit  zu  erörtern,  muss  die  Meinung  erwecken,  als 
solle  sie  als  ein  dem  Urtheil  Fremdes,  oder  erst  zu  ihm  Hin- 
zukommendes betrachtet  werden.  Ich  identificire  hier  Be- 
wusstsein  der  Zusammengehörigkeit  und  objective  Gewissheit 
der  Verbindung.  Dazu  berechtigt  mich  der  Verf.  selbst.  Ich 
verstand  unter  dem  Zusammengehörigkeits  -  Bewusstsein  die 
Empfindung  des  Zwanges  zu  verbinden  oder  es  bei  der  Ver- 
bindung zu  belassen.  Dem  Verf.  aber  ist  das  Bewusstsein 
des  Zwanges,  den  Objecte  auf  unseren  Vorstellungsverlauf 
ausüben,  und  der  darin  sich  verrathenden  Unabhängigkeit 
von  unserm  Bewusstsein  die  erste  Stufe  der  objectiven  Ge- 
wissheit ĂĽberhaupt. 

Durch  diesen  Zwang  wird  die  Vorstellung  zur  Wahrneh- 
mung. Damit  ist  freilich  die  objective  Gewissheit  noch  nicht 
vollendet.  Die  Wahrnehmungen  eines  und  desselben  bdivi- 
duums  oder  die  Wahrnehmungen  verschiedener  Individuen 
können  sich  widerstreiten  und  dadurch  die  Sicherheit  des 
ursprĂĽnglichen  Zwanges  erschĂĽttern.  Es  kann  sich  als  im 
wahrnehmenden  Subject  begrĂĽndet  herausstellen,  was  zu- 
nächst sich  als  von  ihm  unabhängig  darstellte.  Es  kann  end- 
lich die  logische  Bearbeitung  die  Wahrnehmung  berichtigen. 
So  bleiben  schliesslich  fĂĽr  den  Verf.  als  objectiv  gewiss  die- 
jenigen Thatsachen  der  Wahrnehmung,  die  auf  dem  Wege 
fortschreitender  Berichtigung  —  durch  Vergleichung  der  Wahr- 
nehmungen und  der  Wahrnehmenden,  durch  Abzug  dessen, 
was  allein  im  Subject  seine  Quelle  hat,  durch  logische  Be- 
arbeitung —  nicht  mehr  beseitigt  werden  können.  Die  Er- 
örterungen scheinen  mir  völlig  klar  und  überzeugend.  Be- 
sonders meine  ich,  könne  man  dem  Verf.  nur  beistimmen, 
wenn  er  darauf  dringt,  dass  man  von  dem  Standpunkt  der 
gememen  Gewissheit,  der  Anerkennung  des  in  der  Wahrneh- 
mung Gegebenen  also,  ausgehe  und  davon  abziehe,  was  sich 
nicht  als  gegeben  bewährt,  statt  umgekehrt  von  dem  Satze, 
dass  zunächst  alles  subjectiv  sei,  seinen  Ausgang  zu  nehmen 
und  dann  nach  besonderen  Gründen  der  Objectivität  zu  su- 
chen. Wie  recht  der  Verf.  damit  hat,  dies  wĂĽrde  noch  un- 
zweideutiger hervorgetreten  sein,  wenn  er  statt  von  Krite- 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc.  429 

rien,  Kennzeichen  der  objectiven  Existenz  zu  sprechen, 
—  er  bezeichnet  den  Zwang,  die  Uebereinstimmung  etc.  mit 
diesen  Namen,  —  vielmehr  gefragt  hätte,  worin  die  objective 
Existenz  bestehe,  wessen  wir  uns  bewusst  sind,  wenn  wir 
der  objectiven  Existenz  uns  bewusst  zu  sein  behaupten.  Das 
Wort  objective  Existenz  heisst  ja  fĂĽr  uns  gar  nichts,  kann 
fĂĽr  uns  gar  nichts  heissen,  als  dass  ein  Gegebenes  oder  zur 
Ergänzung  des  Gegebenen  nothwendig  Gedachtes  sich  als  sol- 
ches bewährt,  gegen  den  Versuch  der  Aufhebung  oder  Er- 
setzung durch  ein  Anderes  Einsprache  erhebt,  der  Art,  dass 
nach  einer  anderen  Objectivität  zu  suchen  völlig  sinnlos  wäre. 
So  wie  der  Verf.  die  Frage  stellt,  bleibt  immer  der  Gedanke 
möglich,  es  könnten  am  Ende  alle  Kriterien  trügerisch  sein, 
also  die  objective  Existenz  fehlen,  auch  wo  sie  alle  vorhanden 
sind.  Immerhin  scheint  mir  eine  Deutung  der  Wundt'schen 
Auffassung  zulässig,  —  nach  späteren  Erörterungen  sogar 
wahrscheinlich  —  derzufolge  der  Gegensatz  zwischen  seiner 
Anschauung  und  meiner  Meinung  nur  ein  Gegensatz  der  Aus- 
drucksweisen wäre  ^).  Ich  könnte  dann  höchstens  noch  dies 
bedauern,  dass  es  Verf.  unterliess,  die  einfachen  Bewusst- 
seinselemente,  aus  denen  sich  das  Bewusstsein  des  Zwanges 
oder  des  Gegebenseins  zusammensetzt,  aufzuzeigen  und  den 
psychologischen  Mechanismus  zu  charakterisiren,  durch  den 
solches  Bewusstsein  entstehen,  berichtigt  werden  oder  sich 
behaupten  kann. 

Dagegen  bin  ich  in  einem  Punkte  völlig  anderer  Meinung 
als  der  Verf.  Alles  ist  bei  ihm  zunächst  G^enstand  subjec- 
tiver  Gewissheit,  des  Himmels  Blau  wie  unser  FĂĽhlen  und 
Wollen.  Diese  unmittelbare  subjective  Gewissheit  wird  bei 
den  Gegenständen  äusserer  Wahrnehmung  zu  mittelbaren  ob- 
jectiven, indem  sich  dieselben  als  vom  Subject  unabhängig 
bewähren.  Bei  den  Gegenständen  der  inneren  Wahrnehmung 
bleibt  es  bei  der  unmittelbaren  subjectiven  Gewissheit.  Darum 
föDt  „das  Hauptproblem  der  Naturwissenschaften,  die  Wahr- 

1)  Ist  die  Deutung  die  richtige,  dann  bitte  ich  darnach  meine  frĂĽhere 
Angabe,  Wundt  verzichte  völlig  darauf,  das  Wesen  der  psychischen  That- 
sachen,  die  die  Worte  Evidenz,  Glauben.  Wissen  bezeichnen,  näher  zu  be- 
stĂĽnmen,  modificiren  zu  wollen. 


490  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc. 

nehmung  durch  berichtigende  Controie  auf  ein  objectiv  Gege- 
benes zurückzuführen"  in  der  Psychologie  „im  Grunde  ganz 
hinweg".  Dieser  Entgegensetzung  kann  ich  nicht  beistimmen. 
Unsere  Lust  und  Unlust  ist  wie  das  Blau  des  Himmels  zu- 
nächst einfach  da,  thatsächlich  vorhanden.  Subjective  Ge- 
wissheit wĂĽrde  ich  dies  Vorhandensein  nicht  nennen,  weil 
darin  weder  der  Unterschied  des  Subjects  und  Objects,  noch 
das  Bewusstsein  der  Gewissheit  schon  enthalten  ist.  Letzteres 
entsteht  erst  in  dem  Versuch  aufzuheben,  es  ist  Bewusstsein 
des  Widerstandes  gegen  diesen  Versuch,  Innewerden  der  Un- 
abhängigkeit, nicht  vom  Subject  überhaupt,  sondern  vom 
gegenwärtigen  Zustande  desselben.  Jede  Gewissheit  ist  somit 
mittelbar  objectiv.  Solcher  mittelbaren  objectiven  Gewissheit 
sind  aber  die  Inhalte  des  Selbstbewusstseins  wie  die  des  ob- 
jectiven Bewusstseins  fähig.  Dass  ich  eine  Lustempfindung 
gestern  gehabt  habe,  mir  dies  nicht  bloss  einbilde,  dies  weiss 
ich,  wenn  ich  inne  werde,  dass  der  Gedanke  daran  nicht 
ein  willkĂĽrlich  von  mir  producirter,  sondern  ein  solcher  ist, 
der  objective  Geltung  verlangt,  sich  mir  als  ein  meinem  jetzi- 
gen Ich  Fremdes  aufdrängt,  sich  nicht  abweisen  lässt.  So 
gibt  es  auch  ein  Bearbeiten  der  Thatsachen  innerer  Erfah- 
rung, wie  der  äusseren..  Die  Thatsachen  der  unmittelbaren 
inneren  Erfahrung  stehen  absolut  fest,  lassen  sich  (hirch  keine 
Bearbeitung  aufheben.  Aber  auch  keine  Bearbeitung  der  In- 
halte der  äusseren  Wahrnehmung  kann  jemals  ein  solches 
Aufheben  im  Gefolge  haben.  In  beiden  Fällen  muss  sich  das 
Bearbeiten  damit  begnĂĽgen,  dem  Gegebenen  eine  andere  Stelle 
in  dem  Zusammenhang  des  Gegebenen  anzuweisen,  als  die- 
jenige war,  die  wir  ihm  ursprĂĽnglich  zuwiesen.  Das  Blau 
und  sein  räumliches  Zusammensein  mit  dem  Himmelsgewölbe 
ist  eine  Thatsache,  die  keiner  wissenschaftlichen  Correctm* 
weicht.  Vielleicht  aber  konune  ich  durch  irgendwelche  Schluss- 
folgerung dazu,  nicht  das  Himmelsgewölbe  allein,  sondern 
ausserdem  mein  Subject  als  Bedingung  fĂĽr  diese  Thatsache 
anzusehen.  Diese  Einsicht  spreche  ich  dann  in  den  Worten 
aus,  ich  stelle  das  Himmelsgewölbe  blau  vor,  abgesehen  von 
meiner  Vorstellung  aber  kommt  ihm  das  Prädikat  nicht  zu. 
So  kann  es  auch  sich  herausstellen,   dass  eine  Willens-  oder 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc.  431 

Lustempfindung,  von  der  ich  glaubte,  dass  sie  von  einem 
psychischen  Geschehen  a  unabhängig  sei,  ja  es  bedinge,  in 
der  That  durch  dies  a  bedingt  sei  oder  als  ein  Nebenerfolg 
seines  Zustandekommens  zu  gelten  habe.  Der  Verf.  identifl- 
eirt  die  Gewissheit  vom  Subjectiven,  die  mit  der  Gewissheit 
vom  Objectiven  gleichartig  ist,  mit  der  subjectiven  Gewiss- 
heit, die  den  Namen  der  Gewissheit  genau  genommen  nicht 
verdient.  Diese  Identification  kann  ich  nicht  für  zulässig 
halten. 

Verf.  geht  nach  einer  höchst  lichtvollen  Besprechung  der 
Wahrscheinlichkeit  und  des  Zufalls,  einer  eben  solchen  Er- 
örterung des  Begriffs  der  Hypothese  im  zweiten  Kapitel  über 
zu  den  allgemeinen  Erfahrungsbegriffen.  Dass  „in  dem  Be- 
griff des  Dings,  wie  ihn  die  unmittelbare  Erfahrung  auffasst, 
ach  nicht  das  Geringste  findet  von  jener  Forderung  eines 
unveränderlichen  Gegebenen,  welches  die  wechselnden  Zustände 
und  Eigenschaften  ĂĽberdaure^S  dass  die  Substanzen  und  un- 
bekannten Träger  erst  durch  „verwickelte  und  vermittelte 
Reflexion^'  in  die  Dinge  hinein  kommen,  diese  Einsicht  hebe 
ich  vor  Allem  als  werthvoll  hervor.  „Gegenstände  oder 
Dinge,  so  lautet  dann  die  positive  Bestimmung,  sind  von 
unserem  Willen  unabhängige  Complexe  von  Empfindungen, 
denen  räumliche  Selbstständigkeit  und  zeitliche  Stetigkeit  zu- 
kommt.'^ Aber  „wie  kommen  wir  dazu,  den  Dingen  diese 
Eigenschaften  zuzuschreiben?  Die  Dinge  selbst  könnten  uns 
nimmermehr  dazu  zwingen,  wenn  nicht  unser  Denken  be- 
fähigt wäre,  was  ihm  in  getrennten  Wahmehmungsakten  ge- 
geben ist,  in  einheitliche  Apperception  zusammenzufassen. 
Diese  Fähigkeit  besitzt  aber  das  Denken  nur  vermöge  der 
einheitlichen  Natur  unseres  Selbstbewusstseins.  Die  Selbst- 
ständigkeit unseres  Ich  und  der  stetige  Zusammenhang  unserer 
Vorstellungen*^  —  in  diesen  beiden  Momenten  besteht  dem 
Verf.  die  Einheit  des  Selbstbewusstseins  —  „werfen  ihren 
Reflex  auf  die  Dinge  ausser  uns.**  Letztere  Bemerkung  ist 
mir  von  besonderem  Interesse.  Das  Ding  entsteht,  indem 
wir  die  unserm  Selbstbewusstsein  eigene  Stetigkeit  und  Selbst- 
ständigkeit auf  die  Manchfaltigkeit  des  Gegebenen  übertragen. 
Die  objecĂĽve  Veranlassung  gibt,   wie  gleich  nachher  gesagt 


432  Tb.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc. 

wird,  die  räumliche  Coexistenz  eines  Manchfaltigen.  So  ent- 
steht die  Substanz,  der  einfache  beharrliche  active  Träger  der 
Erscheinungen,  indem  wir  die  relative  Einfachheit,  Beharrlich- 
keit, Activität  unseres  Selbstbewusstseins  objectiviren,  die 
Gausalitat  der  Dinge,  indem  sich  die  Gesetzmässigkeit  unseres 
logischen  Denkens  auf  die  regelmässigen  Zustandsänderungen 
der  Aussenwelt  überträgt.  Als  eine  Uebertragung  von  etwas, 
das  wir  im  Subject  finden,  aufs  Object,  eine  Verlegung  in 
dasselbe,  als  eine  Ergänzung  des  in  der  objectiven  Anschau- 
ung gegebenen  Manchfaltigen  durch  subjective  Zuthat  erscheint 
demnach  die  Erzeugung  des  Ding-,  Substanz-  und  Causalitäts- 
begriflfs.  Immerhin  muss  zu  dieser  Uebertragung  eine  objec- 
tive  Veranlassung  vorliegen.  So  darf  insbesondere  der  Sub- 
stanzbegriff, zu  dem  die  unmittelbare  Erfahrung  keine  Veran- 
lassung bietet,  nur  angewandt  werden,  insoweit  die  Wissen- 
schaft, die  auf  den  Zusammenhang  der  Erfahrungen  ausgeht, 
zur  Herstellung  dieses  Zusammenhangs  eine  derartige  meta- 
physische, d.  h.  ĂĽber  die  unmittelbare  Erfahrung  hinaus- 
gehende Ergänzung  fordert. 

Ich  habe  gegen  diese  Auffassung  mancherlei  Bedenken. 
Zunächst  glaube  ich  nicht  an  die  unmittelbare  Wahrnehmung 
der  Unabhängigkeit,  Stetigkeit,  Einfachheit,  Beharrlichkeit, 
Gesetzmässigkeit  des  denkenden  Selbstbewusstseins  (des  Wil- 
lens, der  Apperception).  Was  wir  unmittelbar  wahrnehmen, 
sind  in  der  objectiven  Welt  die  zeiträumlichen,  in  der  sub- 
jectiven  die  zeitlichen  Beziehungen  gewisser  Empfindungs- 
inlialte.  Aber  wenn  auch  alle  jene  Qualitäten  des  Selbst- 
bewusstseins sich  in  uns  unmittelbar  Ăźinden,  so  wĂĽrde  doch 
die  Veranlassung  zu  ihrer  Uebertragung  aufs  Objective 
noch  nicht  mit  einem  Recht,  sagen  wir  lieber  mit  einer 
logischen  Nothwendigkeit  der  Uebertragung  identisch 
sein.  In  der  That  geben  wir  auf  Schritt  und  Tritt  der  Nei- 
gung nach,  was  wir  in  uns  erleben,  den  Dingen  ausser  uns 
zu  leihen.  Die  lachende  Wiese,  die  drohende  Gewitterwolke, 
das  heitere  Blau  des  Himmels  geben  davon  ebenso  Zeugniss, 
wie  die  von  der  Erde  auf  den  Stein  ausgeübte  „Kraft",  der 
„Zwang",  der  die  Eigenschaften  eines  Dinges  aneinander 
bindet,  die  „Freiheit"  und  „Unabhängigkeit",  die  einer  Sub- 


Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenniniaslehre  etc.  433 

stanz  im  Verhältniss  zur  andern  eignet.  Denn  nicht  nur 
heitere  Stimmung  und  feindselige  Gesinnung,  sondern  auch 
das  KraftgefĂĽhl,  das  Beengende  des  Zwangs,  das  eigenthĂĽm- 
liehe  Wohlgefuhl,  das  uns  beschleicht,  wenn  ohne  begleitende 
Zwangsempfindung  die  Vorstellungen  in  uns  aufeinanderfolgen 
—  und  ohne  dies  Gefühl  würden  wir  schwerlich  von  Freiheit 
und  Unabhängigkeit  sprechen  —  sind  subjective  Erlebnisse. 
Ihre  Uebertragung  aber  aufs  Object  ist  anthropomorphistisches, 
mythologisches  Denken  und  soweit  entfernt  von  logischer 
Berechtigung,  dass  wir  sie  selbstverständlich  revociren,  sobald 
wir  uns  des  eigentlichen  Wesens  derselben  bewusst  werden. 
Und  wenn  wir  nun  von  allen  den  Uebertragungen  absehen, 
die  nicht  vollzogen  werden  dĂĽrfen,  ausser  wo  wir  mit  empfin- 
denden und  fĂĽhlenden,  ĂĽberhaupt  uns  gleichartigen  Wesen 
zu  thun  haben?  Dann  ist  es  mit  den  Uebertragungen  ĂĽber- 
haupt zu  Ende  und  fĂĽr's  fuhllose  Object  bleibt  nichts  ĂĽbrig, 
als  das  zeitliche  und  räumliche  Zusammensein  der  objectiven 
Vorstellungsinhalte. 

Aber  dies  Zusammensein  ist  nur  zum  Theil  ein  gegebenes, 
zum  andern  Theil  ein  von  uns  erzeugtes,  unsere  Zusammen- 
ordnung,  wir  nennen  diese  Zusammenordnung  eine  logische, 
unser  ordnendes  Verfahren  ein  Denken,  wenn  ein  Gesetz  in 
uns  die  Ordnung  befiehlt.  Ein  Manchfaches  a  b  c  werde  von 
uns  in  einen  Denkakt  zusammengefasst,  es  finde  sich  in  unserm 
Bewusstsein  von  einem  Apperceptions-  oder  Willensakt  be- 
gleitet, dann  ist  es  eben  damit  fĂĽr  uns  zur  Einheit  geworden. 
Es  ist  objective  Einheit,  ein  Gegenstand  oder  Ding,  wenn 
unser  Zusanunenfassen  eben  dieser  a  b  c,  mit  Ausschluss 
anderer,  von  dem  Crefühl  der  Nöthigung  begleitet  ist,  ich 
meine  der  Nöthigung,  die  aus  der  Anwendung  des  Denk- 
gesetzes entspringt  Vielleicht  zwingt  uns  eben  dies  Denk- 
gesetz, ein  nicht  in  der  Erfahrung  gegebenes  s^^aĂźy  unter 
allen  Umständen  als  vorhanden  anzunehmen,  ihm  immer  die- 
selben Inhalte  a  Ăź  y  zuzusprechen  und  daran  gewisse  Erfah- 
rungsthatsachen  unabänderlich  zu  knüpfen,  dann  nennen  wir 
dies  s  eine  Substanz.  Wir  sagen  damit  wiederum  nur,  dass 
wir  uns  zna  Ăź  y  irgendwie  verhalten  und  dass  dies  Verhalten 
vom  Bewusstsein  der  ^logischen  Nöthigung  begleitet  ist.    Wü* 

Fbflofoph.  Monatthefto  18B1,  VII  n.  Vm. 


434  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnistlehre  etc. 

nennen  ein  A  Ursache  eines  B,  wenn  dasselbe  GefĂĽhle  der 
Nöthigung  verräth,  dass  die  Anknüpfung  des  B  Yom  Denk- 
gesetz  gefordert  wird.  —  Was  ich  unter  dem  Denkgesetz  ver- 
stehe, sagte  ich  frĂĽher :  die  E^enthĂĽmlichkeit  unseres  Geistes, 
vermöge  der  wir  nicht  umhin  können,  unter  gleichen  Bedin- 
gungen uns  zu  denselben  Vorstellungsinhalten  in  gleicher 
Weise  denkend,  urtheilend,  zusammenordnend  zu  verhalten. 

Die  Anwendung  desselben  Denkgesetzes  auf  innere  Er- 
fahrung lässt  nun  auch  erst,  und  auf  dieselbe  Weise,  aus 
dem  zeitlichen  Verhältniss  derselben  die  Unabhängigkeit,  Be- 
harrlichkeit, Activität  etc.  des  Subjects  hervorgehen,  macht 
daraus  ein  Ding,  eine  Substanz,  ein  Manchfaches  von  Ursache 
und  Wirkung.  Ich  vermag  auch  hier  zwischen  subjectiver 
und  objectiver  Erfahrung  keinen  wesentlichen  Unterschied  zu 
finden.  Verf.  lässt,  wie  wir  sahen,  die  Einheit  des  Ich  mit 
der  Unabhängigkeit  und  Stetigkeit  der  Apperception  zusam- 
menfallen. Zugleich  bezeichnet  er  später  als  „eigentlichen 
Träger  des  Einheitsbegriffs^*  den  „einzelnen  Denkakt'\  Sollte 
sich  der  hierin  liegende  scheinbare  Widerspruch  so  lösen, 
dass  dem  Verf.  die  Unabhängigkeit  und  Stetigkeit  nur  das- 
jenige wären,  was  uns  antreibt,  die  manchfachen  Inhalte  der 
irmern  Erfahrung  in  einen  Denkakt  zu  vereinigen  und  dadurch 
allererst  zur  Einheit  zu  machen,  *  so  hätte  ich  die  Genug- 
thuung, .  in  einem  wesentlichen  Punkte  mit  dem  Verf.  fiber- 
einzustimmen. Es  bliebe  dann  noch  die  vom  Verf.  angenom- 
mene unmittelbare  Wahmehmbarkeit  der  Unabhängigkeit  und 
Stetigkeit  ebenso  wie  die  Uebertragung  dieser  Qualitäten  auf 
Objecte  als  Streitpunkt  ĂĽbrig.  Ausserdem  wĂĽrde  ich  von 
meinem  Standpunkte  aus  das  Zugeständniss  vermissen,  dass 
auch  als  „eigentlicher  Träger'*  des  Substantialitäts-  und  Cau- 
salitätsbegriffs  die  Weise  des  Subjects  sich  denkend  zum 
Manchfaltigen  zu  verhalten  gedacht  werden  mĂĽsse. 

Der  Betrachtung  des  Dingbegriffes  folgt  beim  Verf.  ein 
Abschnitt  über  Eigenschaften  und  Zustände.  Gegen  die  Zu- 
rückweisung der  Forderung,  dass  ein  unbekannter  Träger 
ursprĂĽnglich  zum  Gegebenen  hinzugedacht  werden  mĂĽsse, 
kann  man  dem  Verf.  nicht  einwenden,  dass  es  doch  nicht 
angehe,  eine  Eigenschaft  zu  denken  ohne  etwas  dem  ĂĽe  in- 


Th.  Lipps:  Die  Anfgabe  der  Erkenntnisslehre  etc.  435 

härire.  Denn  die  Eigenschaften  sind  ihm,  und  mit  allem 
Recht,  erst  ein  Product  der  Abstraction.  Nicht  sie,  sondern 
die  Complexe  der  Eigenschaften,  also  die  Dinge  sind  das  Ur- 
sprĂĽngliche. Wie  aus  den  Eigenschaftsbegriflfen  weiter  die 
Begriffe  der  Qualität  und  Quantität,  des  Zustandes  etc.  ent- 
stehen, dies  wird  vom  Verf.  näher  erörtert. 

Der  eingehenderen  Behandlung  des  Substanz-  und  Cau- 
salitätsbegriffs,  auf  die  in  diesem  Kapitel  schon  vorbereitend 
hingewiesen  wird,  geht  voran  (Kap.  III)  die  Untersuchung  der 
Formen  der  Anschauung.  Sie  verläuft  in  vier  Abschnitten, 
die  es  nach  einander  mit  der  Zeit,  dem  Raum,  der  Bewegung, 
der  Zahl  zu  thun  haben.  Wiederum  wird  beim  Raum  zuerst 
der  mathematische  RaumbegriflF,  dann  der  Ursprung  der  Raum- 
vorstellung, dann  die  Objectivität  des  Raumes  ins  Auge  ge- 
fasst.  Ich  begnĂĽge  mich  mit  wenigen  Bemerkungen,  nicht 
weil  ich  wenig,  sondern  weil  ich  im  Gnmde  alles  fĂĽr  beson- 
derer Beherzigung  werth  halte.  Insbesondere  scheinen  mir 
der  Nachweis  der  begrifflichen  Natur  des  mathematischen 
Raumes  im  Gegensatz  zur  Raumform  der  Anschauung,  die 
Kritik  der  Apriorität  des  Raumes  und  der  darauf  bezüglichen 
Kant'schen  und  modern  empiristischen  Anschauungen,  die 
WĂĽrdigung  der  mathematischen  Raumspeculationen  in  hohem 
Maasse  ĂĽberzeugend.  Dagegen  meine  ich  allerdings,  dass  des 
Verf.  Lehre  vom  Ursprung  der  Raumvorstellung  —  man  kennt 
sie  genauer  aus  seiner  physiologischen  Psychologie  —  eine 
Ergänzung  nicht  ausschliesse.  Nicht  die  Räumlichkeit,  nur 
Räumliches,  nicht  der  leere,  nur  der  erfüllte  Raum  ist  Gegen- 
stand unserer  Vorstellung,  der  Raum  ist,  anders  ausgedrĂĽckt, 
fĂĽr  unser  Vorstellen  niemals  und  nirgends  ohne  qualitatives 
Substrat.  Da  die  Gesichtsvorstellung  fĂĽr  die  dritte  Dimension 
kein  solches  Substrat  liefern  kann,  so  bleibt  der  Gesichtsraum 
ĂĽberall  und  fĂĽr  alle  Zeit  zweidimensional.  Es  fragt  sich,  wo- 
her er  die  dritte  Dimension  entleihe  und  wie  er  dies  bewerk- 
stellige. Es  ergibt  sich  daran  anschliessend  die  allgemeine 
Frage,  wie  überhaupt  die  Räume  verschiedener  Sinne  dazu 
kommen  können,  mit  einander  zu  coincidiren,  sich  zu  ergänzen 
bezw.  sich  zu  corrigiren.  Dass  der  Verf.  darauf  eine  befrie- 
digende Antwort  gebe,   scheint   mir  nicht.     Die  associative 


436  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc. 

Synthese  wenigstens  ist  ein  zu  unbestimmter  BegriiF,  als  dass 
sie  dies  leisten  könnte.  Mag  immerhin  das  System  der  Local- 
zeichen  mit  dem  System  der  Innervationen,  ich  weiss  nicht  wie, 
verschmelzen,  so  ist  damit  noch  kein  qualitatives  Substrat 
der  dritten  Dimension  gewonnen.  —  Freilich  scheint  es,  als 
liege  die  Gefahr  der  Selbsttäuschung  hinsichtlich  dessen,  was 
man  erklärt  und  nicht  erklärt  hat,  in  der  Raumtheorie  be- 
sonders nahe.  Dass  man  nichts  leistet  —  ich  sage  dies  nicht 
mit  Bezug  auf  den  Verf.  —  wenn  man  zur  Erklärung  Begriffe 
verwendet,  die  das  zu  Erklärende  jimmittelbar  in  sich  schliessen 
oder  durch  Abstraction  daraus  gewonnen  sind,  leuchtet  ein. 
Es  gehören  aber  in  die  Reihe  der  abgeleiteten,  darum  der 
Erklärung  bedürftigen  Begriffe  nicht  nur  das  Projiciren,  das 
sinnlos  ist,  so  lange  der  Gegensatz  zwischen  Körper  und 
Ă„ussenwelt  noch  nicht  gewonnen  ist,  das  Oben  und  Unten, 
Innen  und  Aussen  u.  a.  m.,  die  wenigstens  das  dreidimen- 
sionale Körperbild  voraussetzen,  sondern  ebenso  gut  die  Ent- 
fernung, Richtung  und  was  damit  zusammenhängt.  Sie  alle 
mĂĽssen  in  der  psychologischen  Raumconstruction  erst  ent- 
stehen. Es  bleiben  dann  als  Ausgangspunkte  fOr  diese  Gon- 
struction  die  einfachen  aus  einfachsten  Reizungen  hervor- 
gehenden Licht-  und  Tasteindrücke  und  deren  räumliche 
AneinanderfĂĽgungen.  Damit  wird  man  zu  beginnen  und  zu- 
zusehen haben,  wie  und  mit  ZuhĂĽlfenahme  welcher  psycho- 
logischen und  physiologischen  Voraussetzungen  man  aus  ihnen 
den  allen  Sinnen  gemeinsamen  dreidimensionalen  Raum  ge- 
winnen könne.  Es  scheint  mir  aber,  als  lasse  sich  die  all- 
gemeinste Voraussetzung  in  dem  Satze  formuliren,  dass  die 
Seele  das  Bestreben  habe,  ähnliche  und  zeitlich  coinddirende 
Erregungen  nach  Massgabe  der  Aehnlichkeit  und  Häufigkeit 
der  Coincidenz  räumlich  miteinander  zu  verschmelzen,  Un- 
ähnliches zu  trennen  —  beides,  insoweit  zufolge  der  Eigen- 
thĂĽmlichkeit  der  Seele  und  der  einzelnen  Sinne^ebiete  die 
qualitative  Verschmelzung  bezw.  Scheidung  nicht  ohne  gleich- 
zeitige räumliche  bestehen  kann.  Dass  dieser  Satz  mit  dem 
Gesetz  der  Association  verwandt  ist,  kann  ihm  nicht  zum 
Nachtheil  gereichen. 

Ich  fĂĽge  des  Verf.  Untersuchungen  ĂĽber  den  Raumbegriff 


Th.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc.  437 

angehend  noch  hinzu,  dass  ich  auch  die  erkenntnisstheoretische 
Erörterung  einiger  dem  mathematischen  Räume  angehöriger 
Specialbegriffe,  so  des  Begriffes  der  Geraden  und  der  endlosen 
Theilbarkeit  ungern  vermisse.  Dagegen  wĂĽsste  ich  zmn  Er- 
gebnisse der  Besprechung  des  objectiven  Raumes  kaum  etwas 
hinzuzufügen.  Sucht  man  „den  Begriff  des  Raumes  von  allen 
Elementen  zu  befreien,  deren  subjectiver  Ursprung  nachge- 
wiesen ist,  so  bleibt  als  Rest  die  regelmässige  Ordnimg  eines 
Manchfachen,  das  aus  einzelnen  selbstständig  gegebenen  rea- 
len Objecten  besteht."  Die  Frage  nach  der  Objectivität  der 
Zeit  findet  sich  vorher  schon  in  analogem  Sinne  beantwortet. 

Ich  citirte  oben  schon  des  Verf.  Erklärung,  der  eigent- 
liche Träger  des  Einheitsbegriffes  sei  der  einzelne  Denkakt. 
Die  Erklärung  findet  sich  in  der  Erörterung  des  Begriffes  der 
Zahl.  Sie  gibt  dem  Verf.  das,  wie  ich  denke,  einzig  richtige 
Fundament  fär  diese  Erörterung.  „Die  Function  des  Zählens 
besteht,  worauf  sie  sich  auch  beziehen  möge,  immer  in  einer 
Verbindung  einzelner  Denkakte  zu  zusammengesetzten  Ein- 
heiten." Dem  Verf.  ist  darnach  das  Zählen,  wofür  ich  alles 
Denken  angesehen  wissen  möchte,  ein  Verhalten  zum  Gege- 
benen oder  Vorgestellten,  aus  welchem  diesem  selbst  keinerlei 
Zuwachs  entsteht.  Die  Discussion  der  arithmetischen  Opera- 
tionen verlässt  diesen  Standpunkt  nicht. 

Das  vierte  Kapitel  des  Abschnitts  V  bringt  die  nähere 
Erörterung  des  Substanzbegriffes,  die  wir  bereits  theilweise 
vorausgenommen  haben.  Die  Ergänzung  der  Erfahrung  durch 
die  Annahme  von  Substanzen,  die  die  Eigenschaften  der  Ein- 
fachheit, Beharrlichkeit,  Äctivität  an  sich  tragen,  besteht  nur 
zu  Recht,  sofern  die  Uebertragung  dieser  Qualitäten  der  Ap- 
perception  auf  die  objective  Welt  durch  die  wissenschaftliche 
Pflicht,  den  Zusammenhang  der  Erfahrungen  herzustellen,  er- 
fordert wird.  Trotzdem  nehmen  die  drei  Axiome  des  Sub- 
stanzbegriffes —  der  Verf.  meint  die  Sätze,  die  dem  Wirk- 
lieben, das  aller  Erscheinung  zu  Grunde  liegt,  jene  drei  Qua- 
Ktäten  vindiciren,  —  schon  vor  jeder  Bestätigung  durch  Er- 
fahrung eine  gewisse  Evidenz  in  Anspruch.  Dies  erklärt  ^ich 
einerseits  daraus,  dass  die  psychologische  Neigung  zu  jener 
Uebertragung   nicht  auf  das  wissenschaftliche  BedĂĽrfniss 


438  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc. 

wartet,  es  erklärt  sich  andererseits  aus  der  Natur  der  An- 
schauung. Die  Grundeigenschaften  des  Raumes  nämlich  wer- 
den auf  die  im  Räume  gegebenen  realen  Substanzen  über- 
tragen, der  Art,  dass  aus  der  Einfachheit  des  Punktes,  der 
in  der  Raumanschauung  das  Letzte  ist,  der  Gedanke  des  ein- 
fachen Elements  des  Realen  entsteht,  die  Art  der  Raumgebildc 
sich  gegenseitig  ihre  Lage  zu  bestimmen  die  Forderung  der 
Wirksamkeit  physischer  Raiunobjecte  erzeugt,  die  Gleichartig- 
keit und  Unveränderlichkeit  des  Raumes  in  die  Unveränder- 
lichkeit  des  Realen  im  Räume  sich  umwandelt.  Es  mass 
aber  festgehalten  werden,  dass  auch  die  letztere  Uebertra- 
gung  den  Axiomen  ohne  empirische  Feststellung  keine  GĂĽltig- 
keit gewährt,  so  sehr  sie  zur  Erklärung  ihrer  ursprüng- 
lichen Evidenz  beitragen  mag. 

Was  die  Anwendung  des  Substanzbegrififes  auf  innere 
Erfahrung  angeht,  so  macht  der  Verf.  einen  Unterschied  zwi- 
schen dem  Gebiet  des  willkĂĽrlichen  Denkens  der  activen  Ap- 
perception  und  dem  des  sonstigen  psychologisdien  Mechanis- 
mus. Auf  jenem  Gebiete  erscheint  ihm  jeder  Substanzbegriff 
unanwendbar.  Der  Gedanke,  dass  das  Denken  „an  die  Stelle 
der  unmittelbaren  Gewissheit  seines  eigenen  Thatbestandes 
ein  hypothetisches  Object  setze",  ist  ihm  „ein  völlig  unvoll- 
ziehbarer". Ich  habe  schon  gesagt,  dass  mir  die  Gewissheit 
vom  Subject  keine  andere  ist,  als  die  wir  auch  vom  Object 
besitzen.  Fordert  der  Zusammenhang  der  inneren  Erfahrung 
eine  über  das  Gegebene  hinausgehende  Ergänzung,  dann  muss 
sie  ihm  werden;  fordert  er  zu  seiner  Erklärung  eine  Substanz, 
dann  besteht  diese  eben  so  zu  Recht,  wie  die  materiellen 
Substanzen,  die  wir  der  äusseren  Erfahrung  zu  Grunde  l^n. 
Wie  kommt  aber  der  Verf.  dazu,  das  willkĂĽrliche  Denken  als 
ein  besonders  geartetes  psychisches  Geschehen  von  dem  son- 
stigen Vorstellungsleben  zu  trennen?  Ich  gestehe,  dass  ich 
dafĂĽr  keinen  Grund  zu  finden  im  Stande  bin.  Indessen,  die 
nicht  vom  Willen  ausgehende  psychische  Thätigkeit  erlaubt 
die  Anwendung  des  Substanzbegriffes  auch  nur  in  gewissem 
Sinne.  „Da  das  Substrat  unserer  Vorstellungen  zugleich  als 
das  Substrat  begleitender  physischer  Vorgänge  anzusehen  ist, 
so  kann  die  Aufgabe  nur  in  einer  Ergänzung  des  materiellen 


Hl.  Upp«:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc.  439 

Substanzbegriffes  bestehen,  welche  denselben  tauglich  macht, 
zugleich  als  Grundlage  psychischer  Vorgänge  zu  dienen/^  Aber 
steht  jener  Satz  von  der  Identität  des  materiellen  und  psy- 
chischen Substrats  so  unzweifelhaft  fest,  dass  keine  andere 
Meinung  möglich  wäre?  Doch  lassen  wir  die  Frage,  hinsicht- 
lich deren  ich  mich  dem  Psychologen,  der  zugleich  Physiologe 
vom  Fache  ist,  allzu  wenig  gewachsen  fĂĽhle.  Es  scheint  mir 
darum  immerhin  die  Psychologie  als  Wissenschaft  fĂĽr  sich, 
die  dn  eigenes  von  keiner  anderen  entlehntes  Thatsachen- 
gebiet  besitzt,  nicht  nur  berechtigt,  sondern  auch  verpflichtet, 
diese  ihre  Thatsachen  zunächst  für  sich  zu  betrachten  und 
ihnen  die  Ergänzung  widerfahren  zu  lassen  und  den  Sub- 
stanzbegriff zu  Grunde  zu  legen,  der  ihrem  Zusammenhange 
genügen  kann.  Räumliche  Eigenschaften  —  der  Einfachheit 
oder  Äusgedehntheit,  des  Hier-  oder  Dortseins  —  wird  diese 
Psychologie  ihrer  Substanz  freilich  nicht  beilegen  können,  ein- 
fach darum,  weil  die  innere  Erfahrung  auf  keine  räumlichen 
Bestimmungen  hinweist,  dafĂĽr  werden  ihr  manchfache  son- 
stige Qualitäten  zukonunen,  die  der  materiellen  Substanz  feh- 
len. Sie  wird  auch  nie  im  Stande  sein  zu  behaupten,  dass 
die  Substanz  eine  letzte  und  absolute  sei,  so  wenig  wie  die 
Naturwissenschaft  dies  von  den  Substanzen,  die  sie  statuirt, 
zu  sagen  weiss.  Sie  wird  schUesslich,  wenn  eine  Psychologie 
und  Phyfflologie  in  sich  vereinigende  Wissenschaft  die  Iden- 
tität der  seelischen  Substanz  mit  irgend  welcher  materiellen 
unzweifelhaft  nachweist,  sich  diesem  Entscheid  ohne  Weiteres 
unterwerfen  mĂĽssen,  ebenso  wie  die  Naturwissenschaft  nichts 
emzuwenden  haben  wĂĽrde,  wenn  irgend  welche  Metaphysik 
den  Nachweis  lieferte,  dass  die  materiellen  Substanzen  auf 
geistige  zurĂĽckzufĂĽhren  oder  mit  geistigen  Wesen,  Monaden 
oder  sonstwie  genannt,  identisch  zu  setzen  seien.  Es  gab 
eine  Zeit,  da  die  Philosophie  geneigt  war,  andere  Wissen- 
schaften als  gar  nicht  eigentlich  existirend  zu  betrachten. 
Jetzt  droht  ihr  die  andere  Gefahr  allzugrosser  Bescheidenheit, 
hn  Gegensatz  zu  Beidem  scheint  sie  mir  ihre  Aufgabe  dann 
richtig  zu  verstehen,  wenn  sie  zunächst  auf  ihrem  Gebiete 
das  Ihrige  thut,  und  dann  erst  Hülfe  oder  Ergänzung  suchend 
uach  fremden  Gebieten  hinĂĽberblickt*    Man  hat  Unrecht,  be-< 


440  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnisslehre  etc. 

scheiden  zu  sein,   so  lange  man  nicht  alle  seine  Kräfte  er- 
probt hat. 

Die  Untersuchung  ĂĽber  die  Substanz  schliesst  mit  einem 
Abschnitt  ĂĽber  die  Substanz  und  das  Ding  an  sich.  Der 
Zurückweisung  einer  objectiven  Realität  jenseits  der  den  Ge- 
setzen unseres  Denkens  unterworfenen,  wird  man  zuzustim- 
men nicht  umhin  können.  Real  ist  uns  das  Wahrgenommene 
oder  Gedachte,  das  den  Gesetzen  unseres  Wahmehmens  und 
Denkens  zufolge  dem  Versuch  der  Wiederaufhebung  sich  wi- 
dersetzt.   Einen  anderen  Sinn  hat  das  Wort  Realität  gar  nicht 

Es  folgt  der  letzte  Abschnitt  des  Werkes,  von  den  Ge- 
setzen des  Erkennens.  Man  weiss,  wie  vielerlei  Deutungen 
der  Satz  der  Identität  und  des  Widerspruchs  in  der  neueren 
Logik  ausgesetzt  gewesen  ist.  Was  dabei  am  Meisten  ver- 
wundert, ist  die  Pietät,  mit  der  man  für  den  alten  Namen 
nach  einem  neuen  Inhalte  suchte,  statt  von  der  Schultradition 
absehend,  den  Thalsachen  nachzugehen  und  dem  Gewonnenen 
dann  kgend  welche  Namen  zu  geben.  Auch  der  Verf.  behält 
den  Namen  bei,  obgleich,  was  er  ihm  unterlegt,  sichtlich 
wenig  mehr  mit  dem  alten  Satze  oder  Gesetze  der  Identität 
und  des  Widerspruchs  zu  thun  hat.  Das  A  ^s  A  bezeichnet 
ihm  die  „Stetigkeit  des  logischen  Denkens^S  „brir^  die  in 
jedem  Urtheil  vorhandene  Begriffseinheit  zum  Ausdruck",  ist 
im  Grunde  nichts  Anderes,  als  eine  allgemeine  Formel  zur 
Veranschaulichung  dessen,  was  wir  thun,  wenn  wir  positive 
Urtheile  fällen.  Entsprechend  wird  A  nicht  =  non  A  als 
die  allgemeine  Formel  der  Verneinung  bezeichnet.  Ja  dieser 
Satz  scheint  sogar  zum  blossen  Ausdruck  einer  Sprachregel 
herabgedrückt  werden  zu  sollen.  Er  sagt  nämlich,  „dass  das 
Prädikat  dann  in  verneinender  Form  mit  dem  Subject  ver- 
bunden werden  mĂĽsse,  wenn  eine  Verbindung  der  Begriffe 
fĂĽr  unser  Denken  nicht  vorhanden  sei".  Die  Formel  A  ist 
entweder  B  oder  non  B  schliesslich  ist  das  Ideal  einer  logi- 
schen Disjunction,  der  „allgemeinste  Ausdruck"  des  disjimc- 
tiven  Gesetzes,  wonach  bei  jeder  Eintheilung  eines  Begriffes 
die  Glieder  desselben  sich  ausschliessen  und  vollständig  zum 
ganzen  Begriff  ergänzen  müssen.  —  Dass  man  die  in  Rede 
stehenden  Formeln  so  fassen  könne,  will  ich  nicht  leugnen, 


Th.  Lippe:  Die  Aufgabe  der  Erkenntnissl^re  etc.  441 

obgleich  ich  meine,  dass  es  beispielsweise  zur  Bezeichnung 
der  EigenthĂĽmlichkeit  des  positiven  Urtheils  bessere  Mittel 
gebe,  als  die  geheimnissvoll  klingende,  alles  oder  nichts  be* 
deutende  Formel  A  =  A.  Aber  die  Bedeutung  von  Denk- 
gesetzen  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes  haben  die 
Formeln  damit  verloren.  Soll  A  =  A  ein  wirkliches  Gesetz 
bezeichnen,  so  kann  dies  nur  etwa  so  lauten:  die  Natur  un- 
seres Denkens  zwingt  uns,  wenn  wir  an  irgend  welcher  — 
räumlich  und  zeitlich  bestimmten  —  Stelle  der  objectiven 
Welt  irgend  welchen  Vorstellungsinhalt  bejahen,  bei  dieser 
Bejahung  zu  verbleiben,  so  lange  wir  eben  diesen  Vorstel- 
lungsinhalt und  eben  jene  bestimmte  Stelle  im  Auge  haben; 
sie  verbietet  uns,  damit  geht  der  Satz  der  Identität  in  den 
des  Widerspruchs  ĂĽber,  unter  denselben  Voraussetzungen  den 
Inhalt  auch  zu  verneinen  oder  irgend  welches  sonstige  Ur- 
theil  zu  fällen,  das  die  Verneinung  mit  sich  führte.  Formu- 
liren wir  aber  so,  dann  sind  die  beiden  in  Rede  stehenden 
Sätze  offenbar  nichts  Anderes,  als  Specialßüle  des  von  uns 
ohne  Zusatz  so  genannten  Denkgesetzes.  In  seiner  Allgemein- 
heit fordert  dies  Gleichheit  der  Bejahung  (und  Verneinung) 
unter  gleichen  Bedingungen,  als  Satz  der  Identität  und  des 
Widerspruchs  verlangt  es  dieselbe  Gleichheit  unter  identischen 
Bedingungen. 

Mit  eben  diesem  Denkgesetz  f&llt  mir  der  Satz  vom  Grunde 
zusammen.  Dass  mit  dem  Grunde  die  Folge  gegeben,  mit 
der  Folge  der  Grund  aufgehoben  sei,  diese  vom  Verf.  gege- 
bene Formulirung  des  Satzes  kann  ich  nur  fĂĽr  tautologisch 
halten.  Denn  der  Grund  eines  Urtheils  ist  eben  derjenige 
Denkinhalt,  mit  dem  dies  Urtheil  nothwendig,  d.  h.  der  Art 
gegeben  ist,  dass  es  nicht  aufgehoben  werden  kann,  ohne 
dass  zugleich  jener  Denkinhalt  mit  aufgehoben  wird.  Dagegen 
gibt  es  ein  Gesetz  in  uns,  das  sagt,  der  Uebergang  von  Be- 
jahung zu  Vernemung  (und  umgekehrt)  desselben  Geistes- 
inhalts setze  eine  Veränderung  in  den  Bedingungen  der  ur- 
sprunglichen Bejahung  (bezw.  Verneinung)  voraus.  Dies  Ge- 
setz, das  anders  ausgedrückt  jede  grundlose  Veränderung  in 
unseren  Urtheilen  verbietet,  kann  als  Satz  des  Grundes  be- 
zeichnet werden.   Dass  es  gar  nichts  ist,  als  eben  „das  Denk- 


443  Th.  LippB:  Die  Auliifabe  der  Erkenntiusriehre  etc. 

gesetz*'  in  etwas  veränderter  Gestalt,  leuchtet  ein.  Zugldcfa 
repräsentirt  es  den  eigentlichen  Sinn  der  Behauptung,  keine 
Veränderung  in  der  objectiven  Welt  geschehe  ohne  Ursache; 
so  dass  allerdings,  was  der  Verf.  leugnet,  das  Gausalitäts- 
gesetz  auf  den  Satz  vom  Grunde  ohne  Rest  zurĂĽckfuhrbar 
ist.  Dass  der  Satz  vom  Grunde  die  Abhängigkeit  unserer 
Denkakte  von  einander  repräsentirt,  bleibt  dabei  bestehen. 
Er  repräsentirt  sie  aber  nicht  nur,  sondern  sagt  auch,  worin 
sie  bestehe. 

Das  Gausalgesetz  folgt  beim  Verf.  erst  auf  die  Erörterung 
der  Anwendung  logischer  Axiome  auf  die  Anschauungsformen. 
Derartige  Anwendungen  sind  die  mathematischen  Axiome,  auf 
die  sich  die  mathematischen  Operationen  stĂĽtzen.  Sie  wer* 
den  im  Einzelnen  durchgesprochen.  Als  Ursache  im  eigent- 
lichen Sinne  gilt  dem  Verf.  das  den  eintretenden  Erfolg  be- 
dingende Geschehen.  Die  bleibenden  Ursachen  weist  er 
dem  Eraftbegriffe  zu.  Auf  Grund  hiervon  entscheidet  er  die 
Frage,  ob  die  Wirkung  der  Ursache  folge  oder  mit  ihr  gleich- 
zeitig sei,  zu  Gunsten  der  ersteren  Fassung.  Ohne  Zweifel 
kann  man  gegen  jene  Bestimmung  des  Begriffes  der  Ursache 
nichts  Sachhches  einwenden.  Erkenntnisstheoretisch  zweck- 
massiger  erscheint  es  mir  immerhin,  nur  dasjenige,  was  zur 
Hervorbringung  des  Erfolges  hinreicht,  die  Gesammtheit  der 
nothwendigen  Bedmgungen  also,  als  Ursache  zu  bezeichnen. 
Das  zeitliche  Verhältniss  von  Ursache  und  Wirkung  erlddet 
damit  keine  Veränderung.  Die  Wirkung  folgt  unmittelbar  der 
vollendeten  Ursache.  Vollendet  aber  ist  die  Ursache  mit  dem 
Hinzutritt  des  verursachenden  Geschehens.  Das  Verhältniss 
des  Gausalgesetzes  zum  Satz  vom  Grunde  wird  so  bestimmt, 
dass  das  Gausalgesetz  bezeichnet  wird  als  die  Anwendung 
des  Satzes  vom  Grunde  auf  den  Inhalt  der  Erfahrung,  m 
Satz,  mit  dem  ich,  so  wie  er  da  steht,  völlig  übereinstimme. 
Der  Verf.  versteht  aber  unter  der  Anwendung  eine  durch  die 
Regehnässigkeit  des  Geschehens  veranlasste  Uebert ragung 
der  Gesetzmässigkeit  des  Denkens  auf  Objecte,  er  kennt  eine 
objective,  d.  h.  in  die  Objecte  hineingedachte  Gausalität  und 
Gesetzmässigkeit,  während  ich  diese  Begriffe  für  völlig  un- 
vollziehbar halte.    Uebrigens,   ich  muss  hier  die  MögUcbkeit 


Th.  Lipj»:  Die  Aul^abe  der  Erkenntnünlehre  ete.  448 

zugel>en,  dass  ich  mich  mit  meiner  Auffassung  der  Anschauung 
des  Verf.  nicht  äberall  im  Rechte  befinde. 

Ein  weiterer  Abschnitt  fiber  „Causalität  und  Substanz^* 
behandelt  zunächst  den  physikalischen  Eraftbegriff,  weiter  die 
phyakalischen  Axiome,  schliesslich  den  psychologischen  Kraft- 
begriff. Der  Substanzbegriff  entwickelt  sich  wissenschaftlich 
„aus  den  empirischen  Anwendungen  des  Causalbegriffs^^  Kraft 
ist  die  „an  die  Substanz  gebundene  CausaUtät".  Was  die 
Anwendung  des  Kraftbegriffs,  also  des  Causalgesetzes ,  auf 
innnere  Erfahrung  angeht,  so  macht  der  Verf.  wiederum  den 
uns  schon  bekannten  Unterschied  zwischen  dem  an  Gehirn- 
vorgänge gebundenen  Vorstellungsverlauf  und  dem  Gebiet  der 
freien  Denkthätigkeit.  Während  dort  das  Causalgesetz  in  der 
Form,  in  welcher  es  die  objective  Erfahrung  beherrscht,  an* 
wendbar  ist,  greift  hier  eine  andere,  „die  logische  Gausalität 
in  ihrer  ursprĂĽnglichen  Gestalt  Platz,  das  Gesetz  vom  Grunde 
selbst,  nach  welchem  unser  Denken  aus  gegebenen  Vorstel- 
lungensverbindungen  andere  entwickelt.  Das  unterscheidende 
Kennzeichen  dieser  logischen  Gausalität  liegt  aber  darin,  dass 
bei  ihr  aus  gegebenen  Bedingungen  eine  Folge  nicht  noth- 
wendig  gezogen  werden  muss,  sondern  dass  es  unserm  Denken 
freisteht,  ob  es  thätig  sein  will  oder  nicht.^*  Ich  meine  da- 
gegen, das  Causalitätsgesetz  müsse  von  uns  auf  Alles  ange- 
wandt werden,  also  auch  auf  innere  Erfahrung,  oder  es  be- 
stehe nicht.  Die  Thätigkeit  des  Willens  kann  Ausnahmen  von 
der  gewöhnlichen  Gausalität  nicht  begründen.  Sie  stellt  nur 
die  Aufgabe,  auch  den  Willen  als  ein  Element  des  psycholo- 
gischen Mechanismus  —  ich  bitte,  den  Ausdruck  so  harmlos 
zu  nehmen,  wie  er  gemeint  ist  —  zu  begreifen.  So  vermag 
auch  die  Thatsache,  dass  Körper  die  ihnen  mitgetheilte  Ge- 
schwindigkeit nur  insoweit  behalten,  als  es  das  Medium,  in 
dem  sie  sich  bewegen,  erlaubt,  das  Trägheitsgesetz  nur  zu 
bestätigen,  nicht  aufzuheben.  Mit  der  Willensfreiheit  steht 
jene  Ausnahmslosigkeit  der  psychologischen  Gausalität  nicht 
im  Widerstreit. 

Der  letzte  Gegenstand,  den  des  Verf.  Werk  bespricht,  ist 
der  Zweckbegriff.  Der  Zweck,  dessen  subjective  Bedeutung 
deutlich  ans  licht  gestellt  wird,  bat  objective  Bedeutung  nur 


444  Th.  Lipps:  Die  Aufgabe  der  Erkenntniaelebre  etc. 

dann,  wenn  er  weit  entfernt  der  Gausalität  als  ein  fremdes 
Wesen  gegenüberzustehen,  vielmehr  selbst  —  als  vorgestellter 
—  ein  Element  in  der  Kette  der  Ursachen  und  Wirkungen 
bildet,  d.  h.  auf  dem  Gebiet  der  bewussten  Willenstbätigkeit. 
'Ich  schliesse  hier  meine  Kritik  und  meine  daran  anschlies- 
senden und  davon  abschweifenden  Bemerkungen.  Dass,  was 
ich  auf  kurzem  Räume  vorbrachte  in  keiner  Weise  genügen 
kann,  liegt  einerseits  in  der  Natur  der  Sache,  andererseits 
muss  ich  dafdr  dem  Verf.  selbst  die  Schuld  aufbĂĽrden.  Sein 
Werk  ist  nun  einmal  nicht  der  Art,  dass  auch  nur  die  Be- 
sprechung der  Hauptpunkte  mit  Wenigem  abgemacht  werden 
könnte.  Dem  Werk  auch  positiv  gerecht  zu  werden,  darauf 
habe  ich  ja  von  vom  herein  verzichtet.  Es  muss  dafür  — 
freilich  gilt  dies  am  Ende  nicht  minder  von  dem,  was  ich 
besprach  —  auf  das  Werk  selbst  verwiesen  werden.  Eine 
nochmalige  Zusammenfassung  des  Wesentlichen  bitte  ich  unter- 
lassen zu  dĂĽrfen.  Alles  scheint  mir  am  Ende  aus  den  schon 
im  einleitenden  Aufsatze  ausgesprochenen  Forderungen  zu 
iliesseh,  dass  man  die  Logik  dem  störenden  Einfluss  der 
Sprache  möglichst  energisch  entziehe,  und  dass  man  in  der 
Analyse  der  erkenntnisstheoretischen  Thatsachen  möglichst 
bis  zum  Einfachsten  und  Elementarsten  gehe.  Im  Grunde 
sind  diese  beiden  Forderungen  nur  eine  einzige.  Keinem  fĂĽr 
unsere  Erkenntniss  in  Betracht  kommenden  Begriffe,  auch 
nicht  dem  unscheinbarsten  und  harmlosesten,  darf  die  Existenz- 
berechtigung zuerkannt  werden,  ehe  er  sich  ĂĽber  sein  Ver- 
hältniss  zu  den  einfachen  greifbaren  Vorstellungsinhalten  ge- 
nügend ausgewiesen  hat.  Nur  auf  einen  Punkt  möchte  ich 
noch  speciell  hinweisen.  Unser  meistes  Denken  verläuft  in 
stellvertretenden  Zeichen;  um  so  sicherer  und  nothwendiger, 
je  allgemeiner  und  abstracter  es  ist.  Es  besteht  in  einem 
beständigen  Uebergehen  von  gemeinten  Geistesinhalten  zu 
Zeichen,  von  Zeichen  zu  Zeichen,  von  Zeichen  wiederum  zu 
wirklichen  Geistesinhalten;  vergleichbar  dem  Umtausch  der 
materiellen  Werthe  in  Werthzeichen  oder  Werthscheine  und 
umgekehrt.  Wie  der  Mechanismus  jene$  geistigen  Umtausches 
sich  vollziehe,  wie  er  Trl^er  der  Erkenntniss  und  des  Irrthums 
sei,  ist  eine  erkenntnisstheoretisch  sehr  wesentlich  in  Betracht 


E.  Pfleiderer:  Eud&monismus  und  Egoismos.  445 

kommende  Frage.  Leider  hat  der  Verf.  darauf  verzichtet,  sie 
zum  Gegenstand  eingehenderer  Untersuchung  zu  machen. 

Die  Erkenntnisslehre  des  Verf.  stellt  uns  eine  darauf  fol- 
gende Wissenschaflslehre  in  Aussicht.  Dass  ihr  baldiges  Er- 
scheinen dem  Verf.  grossen  Dank  erwerben  wird,  ist  sicher 
Keinem,  der  den  vorliegenden  ersten  Band  des  Werkes  kennt, 
zweifelhaft.  Ich  wenigstens  bekenne  mich  diesem  in  viel 
höherem  Grade  zum  Dank  verpflichtet,  als  aus  meiner  Be- 
sprechung ersichtlich  sein  kann. 

Bonn.  Th.  Lipps. 


Eudämonismus  und  Egoismus,  eine  Ehrenrettung  des  Wohlprincips. 
Von  Edmund  Pfleiderer  in  TĂĽbingen.  (Aus  den  JahrbĂĽchern 
fĂĽr  protestantische  Theologie.)    Leipzig,  1880.  (112  S.)  8^ 

Die  Ehrenrettung  des  Wohlprincips,  welche  der  Titel  der 
vorliegenden,  durch  Klarheit  der  Gedanken,  durch  Wärme 
und  Lebendigkeit  des  ethischen  Interesses  sowie  durch  Beredt- 
samkeit  und  Gewandtheit  der  Darstellung  ausgezeichneten 
Schrift  verspricht,  richtet  sich  gegen  die  von  Kant  herrĂĽh- 
rende Verunglimpfung  desselben,  dass  dem  Willen,  der  sich 
durch  Vorstellungen  von  Wohl  und  Wehe  Anderer  leiten  lasse, 
es  doch,  wenn  man  der  Sache  auf  den  Grund  gehe,  nur  um 
das  eigene  Wohl  und  die  Befreiung  vom  eigenen  Wehe  zu 
thun  sei,  dass  also  der  Eudämonismus  identisch  sei  mit  Egois- 
mus. Der  Verfasser  hat  sich  aber  nicht  mit  der  ZurĂĽckwei- 
sung dieses  ehrenrĂĽhrigen  Vorwurfs  begnĂĽgt;  er  nimmt  fĂĽr 
das  Wohlprincip  des  Universalismus  (so  nennt  er  gelegentlich 
die  dem  Egoismus  entgegengesetzte  Art  des  Eudämonismus) 
auch  die  Ehre  in  Anspruch,  das  oberste  und  alleinige  Princip 
des  sittlichen  Wollens  zu  sein.  Er  nimmt  also  den  Grund- 
gedanken der  Ethik  Schopenhauer's  wieder  auf  (der  freilich 
so  wenig  wie  die  ĂĽbrigen  Elemente  der  Lehre  Schopenhauer's 
dessen  eigene  Entdeckung  ist),  aber,  wie  gleich  hinzugefĂĽgt 
werden  möge,  auch  nur  den  Grundgedanken.  Denn  nicht 
blos  im  Mitleid,  sondern  in  der  Liebe,  im  Wohlwollen,  welches 
sich  ebenso  sehr  in  der  Mitfreude   als  un  Mitleiden  äussert, 


446  E.  Pfleiderer:  Eodämonismus  und  Egoismus. 

erblickt  er  die  gute  Gesinnung,  und  die  Liebe  plt  ihm  keines- 
wegs fĂĽr  das  Durchgangsstadium  zwischen  den  Standpunkten 
der  Bejahung  und  der  Verneinung  des  Willens  ziun  Leben, 
noch  auch  fĂĽr  die  Wirkung  einer  Erkenntniss,  vor  welcher 
der  Schleier  der  Maja  sich  lüftet  und  die  Identität  aller 
Menschen  und  Thiere  sich  enthüllt.  Auf  einen  höheren  Stand- 
punkt als  Schopenhauer  stellt  er  sich  auch  durch  die  Forde- 
rung, dass  der  Mensch  die  Liebe,  die  er  als  natĂĽrlichen 
Zug  in  sich  finde,  zur  zweiten  höheren  Natur  erhebe,  näm- 
lich zum  freien  Erwerb  und  fruchtbringenden  Besitz  der  sitt- 
lich an  sich  arbeitenden  Persönlichkeit  (S.  47). 

Den  Eudämonismus  im  Allgemeinen  (als  das  genus,  dem 
die  species  Egoismus  angehört)  begründet  Pfleiderer  durch 
folgende  Betrachtung.  Wohl  und  Wehe,  oder  nach  dem  cor- 
relaten  Empfindungsreflex  genauer  ausgedrĂĽckt  Lust  und  Un- 
lust, präsentiren  sich  alsbald  als  dasjenige,  um  was  sich  alles 
Wollen  seinem  Wesen  nach  dreht.  Und  zwar  kann  die  Schaf- 
fung sowohl  von  Wohl  oder  Lust,  als  auch  von  Wehe  oder 
Unlust  das  Object,  den  nach  vorne  liegenden  Zielpunkt  des 
Wollens  bilden.  Aber  Unlust  und  Wehe  kann  niemals  das 
nach  rückwärts  liegende  Motiv,  d.  i.  dasjenige,  warum  das 
Object  gewollt  wird,  sein.  DafĂĽr  spricht  klar  die  Erfahrung. 
Auch  wäre  die  Schaffung  von  Wehe  als  Endzweck  etwas 
mnerlich  ganz  Undenkbares.  Denn  der  positive  wie  der  nega- 
tive Wille  sind  die  eigentlichsten  Lebensäusserungen.  Anderer- 
seits ist  Lust  erhöhtes  Lebensgefühl,  wie  Unlust  ein  relatives 
Todesgefübl.  Nun  kann  der  Wille  unmöglich  in  letzter  b- 
stanz  so  sehr  von  sich  selbst  abfallen,  dass  er  definitiv  das 
reine  Gegentheil  seiner  selbst  oder  des  Lebens  will.  Ein  Wol- 
len und  Handeln  mit  dem  endgĂĽltigen  Zweck,  Wehe  und  nur 
Wehe  zum  letzten  Erfolg  zu  haben,  wäre  hiemach  complet 
verrĂĽckt  oder  satanisch,  was  schliesslich  auf  ISns  heraus- 
kommt. Somit  ergibt  sich  fĂĽr  das  Motiv  und  den  innersten 
Kern  des  Willens  das  Resultat,  dass  er  geradezu  mit  Wohl- 
wollen identisch  ist.  Zu  demselben  Resultate  fĂĽhrt  die  von 
dem  Begriffe  des  Werthes  ausgehende  Betrachtung.  Alles 
Wollen  geht  auf  ein  wirklich  oder  vermeintlich  WerthvoUes. 
Werth   aber  ist  ein  Relationsbegriff.    Kein  Werth  ohne  ein 


E.  Pfleiderer:  Eudftmonismus  und  EgoitmuB.  447 

Bewusstsein  von  ihm,  und  zwar  gehört  zu  diesem  Bewusst- 
sein  unabtrennbar  das  Nebenmoment  irgend  eines  warmen 
Reflexes  in  der  niederen  oder  höheren  Empfindung.  Also 
hängt  der  wahre  Begriff  des  Werthes  deutlich  an  dem  Letz- 
teren. Die  Empfindung  oder  besser  das  GefĂĽhl  als  Reflex 
zweiten  Grades  ist  erst  der  definitive  Ort,  wo  ĂĽberhaupt 
Werthe  geprägt  werden.  Wohl  und  Wehe  sind  demnach 
ĂĽberall  das  wahrhaft  letzte  tHog  (das  Wohl  fĂĽr  das  positive, 
das  Wehe  fĂĽr  das  negative  Wollen),  ĂĽber  welches  es  ebenso 
unmöglich  als  uunöthig  ist,  mit  teleologischem  Warum  noch 
hinauszufragen  (S.  8—14). 

Nach  der  Begründung  des  Eudämonismus  im  Allgemeinen 
wendet  sich  der  Verf.  der  Frage  zu,  welche  Differenz  in  dem- 
selben den  cardinalen  Gegensatz  des  Guten  und  Bösen  con* 
stituire.  Er  findet,  dass  dieser  Gegensatz  seinen  Grund  nicht 
in  den  Objecten  haben  könne,  auf  welche  sich  der  werth- 
suchende  Wille  richte.  Mögen  die  verschiedenen  Stufen  von 
Lustobjecten  und  Befriedigungsweisen  in  anderer  Hinsicht  be- 
trachtlich differiren,  mögen  sie  z.  B.  vom  ästhetischen  oder 
namentlich  vom  Elugheitsstandspunkt  aus  betrachtet  ganz  er- 
hebliche Werthdistanzen  aufweisen,  vor  dem  ethischen  Richter- 
stuhl genüge  keine  emzige,  denn  Begriffe  wie  „wahrhaft  er- 
spriesslich,  vernünftig  oder  schön^^  seien  noch  immer  keine 
sittlichen  Kategorien.  So  bleibe  nur  ĂĽbrig,  die  Differenz  im 
subjectiven  Gebiete  des  GlĂĽckstrebens  zu  suchen,  d.h.  sie 
zu  suchen  nicht  in  dem,  was  fĂĽr  ein  Wohl  der  Wille  suche, 
sondern  fĂĽr  wen  er  es  erstrebe.  Hier  finde  sich  aber  der 
Gegensatz  des  egoistischen  und  des  universalistischen  Wohl- 
wollens. Und  hiermit  sei  in  der  That  das  punctum  saliens 
erreicht:  jenes  sei  das  Böse  und  dieses  das  Gute  (S.  16 — 22). 
Die  Möglichkeit  eines  völlig  selbstlosen  Wohlwollens  scheint 
Pfleiderer  durch  die  Erfahrung  verbĂĽrgt.  Es  gebe  im  wirk- 
lichen Leben  glĂĽcklicherweise  eine  hinreichende  Zahl  von  Bei- 
spielen, wo  keinerlei  eigener  Nutzen  bei  einer  guten  That 
abzusehen  sei,  Fälle,  in  welchem  auch  factisch  nach  dem 
klaren  Bewusstsein  und  nach  dem  unbestochenen  Gewissens- 
zeugniss  des  Handelnden  Fördenmg  des  fremden  Wohls  oder 
Hebung  des  fremden  Wehes  das  einzige  Motiv  sei  (S.  27). 


448  E.  Pfleiderer:  Eudämonismus  und  Egoismus. 

Dem  Wortlaute  dieser  Ausfuhrungen  nach  hält  Pfleiderer 
jeden  Willensakt,    welcher  das  eigene  Wohl  des  Wollenden 
zum  Motive  hat,  fär  böse.     ]n  Uebereiastimmung  damit  er- 
klärt er  an  einer  spätem  Stelle  (S.  90),  sich  auf  das  englisch- 
constitutionelle  Halbpartsystem  von  E^goismus  und  Nicbtegois- 
mus  nicht  einlassen  zu  können,   ob  man  nun  des  Näheren 
fär   beide  Glieder  Goordination   oder  Subordination  ansetze; 
das  sei  principlos  und  eine  Verletzung  des  auch  in  der  Ethik 
tiefwahren  Satzes:  Niemand  kani^  zwei  Herren  dienen.  SoOte 
er  in  der  That  den  Begriff  des  Erlaubten  gänzlich  beseitigen 
wollen?     Sollte   er   fordern,   dass  man   keinen  Bissen  zum 
Munde  fĂĽhre,  ohne  zuvor  das  Motiv   der  Befriedigung  des 
Hungers,  der  Esslust,  als  ein  egoistisches  beseitigt  und  durch 
die  Erwägung  ersetzt  zu  haben,  dass  man  essen  müsse,  um 
sich  zu  erhalten  und  sich  erhalten  mĂĽsse,  um  Andern  Gutes 
zu  thun?    Sollte  er  glauben,   dass  man  einer  musikalischen 
AuffĂĽhrung  nur  dann  ohne  SĂĽnde  beiwohne,  wenn  man  sich 
zuvor  versichert  habe,    dass  es  einem  nicht  um  den  eigenen 
ästhetischen  Genuss  zu  thun  sei?   Jedenfalls  wäre  ein  solcher 
Rigorismus,  der  mit  seiner  Forderung,  auf  jede  natĂĽrliche  aus 
den  BedĂĽrfnissen  unseres  Leibes  oder  Geistes  entspringende 
Regung,   und  handelte  es  sich  um  die  Biegung  eines  Fingers 
oder   den  Gebrauch  eines  Taschentuches,   zu  fahnden,  das 
Leben  unerträglich  machen  müsste,  keine  nothwendige  Gon- 
Sequenz  der  Argumentation,  ĂĽber  welche  eben  berichtet  wurde. 
Aus  dieser  folgt,  dass  kein  aus  dem  Motive  des  eigenen  Wohls 
hervorgegangener  Willensakt  sittlichen  Werth  hat;   aber  was 
keinen  Anspruch   auf  sittlichen  Werth  hat,   ist  darum  noch 
nicht  böse.    Vielleicht   hat  jedoch  der  Verf.   auch  nur  das 
Erstere  gemeint,  nur  sagen  wollen,  dass  auch  nicht  das  kleinste 
Maass  egoistischen  Handelns  sittlich  geboten  sein  könne,  wie 
es  z.  B.  der  Fall  wäre,  wenn  das  Gute  in  der  ShaftesburT"- 
sehen  Harmonie  der  selbstischen   und   geselligen  Neigungen 
bestände. 

Soweit  die  Ehrenrettung  des  Wohlprincips  bloss  die 
Identiflcurung  des  genus  Eudämonismus  mit  der  species  Egois- 
mus abweist,  scheint  sie  dem  Ref.  gelungen  zu  sein.  Auch 
darin,  dass  die  Nächstenliebe  zur  Güte  des  Willens  gehöre, 


E.  Pfleiderer:  Eadftmonismus  und  Egoismus.  449 

stimmt  derselbe  dem  Verf.  gern  bei.  Aber  die  Erhebung  der 
Nächstenliebe  zum  alleinigen  ethischen  Principe  hat  ihn  (auch 
abgesehen  von  dem  eben  erwähnten  zweifelhaften  Punkte) 
nicht  zu  ĂĽberzeugen  vermocht;  dem  Versuche,  durch  Modifi- 
cation  und  Fortbildung  Schopenhauer'scher  oder,  wenn  man 
weiter  zurĂĽckgehen  will,  Cumberland'scher  Gedanken,  die  Ethik 
zu  begrĂĽnden,-  vermag  er  sich  nicht  anzuschliessen. 

Um  den  Grund  meines  Dissensus  wenigstens  anzudeuten, 
muss  ich  mit  einem  Satze  beginnen,  der  direkt  zum  Egoismus 
zu  fĂĽhren  scheint.  Es  ist  der  Satz,  dass,  wie  alles  Bewusst- 
sein,  welches  auch  sonst  sein  Gegenstand  sein  mag,  sich 
selbst  als  jenen  Gegenstand  habendes  zum  Gegenstande  hat 
und  somit  Selbstbewusstsein,  wenn  auch  im  allgemeinen  Selbst- 
bewusstsein  im  Bewusstsein  von  einem  Anderen  ist,  so  auch 
jedes  Wollen,  worauf  es  auch  ausser  sich  ziele,  auf  sich  selbst 
gerichtet  ist  und  zwar,  wenn  es  positives  Wollen  ist,  auf  sich 
selbst  als  befriedigtes.  Das  befriedigte  Wollen  aber,  welches 
keineswegs  in  seiner  Befriedigung  erlischt,  sondern  als  ein 
Gem-Haben  des  Erreichten  fortbesteht,  ist  Lust.  Z.  B.  der 
Wille  des  Durstigen,  zu  trinken,  besteht  im  Trinken  fort,  auch 
abgesehen  davon,  dass  der  Durstige,  so  lange  er  nicht  ge- 
sättigt ist,  zu  trinken  fortfahren  will,  und  dieser  in  seiner 
Befriedigung  noch  bestehende  Wille  ist  die  Lust  des  Trinkens; 
Oder  die  Lust  am  Anblicke  eines  schönen  Gegenstandes  ist 
der  in  seiner  Befriedigung  thätige  Wille,  den  schönen  Gegen- 
stand zu  sehen,  und  dieser  Wille  braucht  gar  nicht  einmal 
als  unbefriedigter,  erst  Befriedigung  suchender  dem  Anblicke 
vorhergegangen  zu  sein,  sondem  er  kann  durch  den  sich  zu- 
fällig darbietenden  Anblick  erst  erregt,  die  Befriedigung 
kann  die  Erregung  selbst  sein.  So  will  also  nothwendig 
Jeder  in  allem  Wollen  sich  selbst,  die  Lust,  die  in  der  Be- 
friedigung seines  Willens  liegt.  Diese  Ansicht  scheint  der 
crasseste  Egoismus  zu  sein,  allein  sie  scheint  es  nur.  Denn 
nach  der  Lehre  des  Egoismus  ist  die  eigene  Lust  das  Ziel, 
der  Endzweck  alles  Wollens,  in  der  Weise,  dass  die  Vorstel- 
lung der  eigenen  Lust  das  Erste  ist  imd  der  auf  sie  gerichtete 
Wille  das  Zweite,  erregt  und  bestimmt  durch  das  Erste.  Der 
Endzweck  aber  des  Wollens,    welches  sich  selbst  als  befrie- 

Philoaoph.  MonaUhefte  1881.  VH  u.  VHI.  29 


460  E.  Pfleiderer:   Eudflmonismus  und  Egoismus. 

digtes  zum  Gegenstande  hat,  ist  nicht  nothwendig  diese  Be- 
friedigung, sondern  dasjenige,  durch  dessen  Erreichung  die 
Befriedigung  herbeigefĂĽhrt  wird.  Wer  z.  B.  Erkenntniss  sucht, 
will  zwar  die  Befriedigung  seines  Willens,  der  auf  den  Besitz 
der  Erkenntniss  gerichtet  ist,  aber  der  Endzweck  seines  Wil- 
lens und  das  Motiv  desselben  liegt  ursprĂĽnglich  nicht  in  der 
Befriedigung  seines  Willens,  nicht  in  der  aus  dem  Besitze  der 
Erkenntniss  deshalb,  weil  er  gewollt  wurde,  resultirenden 
Lust,  sondern  in  dem  Besitze  der  Erkenntniss  selbst,  der 
wenigstens  einmal  gewollt  sein  musste,  ohne  als  Lust  vorge- 
stellt zu  werden.  Bei  der  Fortsetzung  des  Erkenntnissstre- 
bens  kann  sich  die  Erinnerung  an  die  bereits  genossene  Lust 
des  Erkenntnissbesitzes  als  Motiv  einmischen,  und  inwiefern 
dies  der  Fall  ist,  ist  das  Erkenntnissstreben  egoistisch,  aber 
dabei  muss  doch  der  Wille  nach  Erkenntniss  als  solcher  (un- 
abhängig von  der  Reflexion  auf  die  aus  seiner  Befriedigung 
entspringende  Lust)  fortdauern,  indem  ohne  ihn  der  Besitz 
der  Erkenntniss  keine  Lust  gewähren  könnte. 

Ich  glaube  fĂĽr  diese  Bemerkung  auf  ein  gewisses  Ent- 
gegenkommen bei  Pfleiderer  hoffen  zu  dĂĽrfen.  Denn  eine 
absolute  Entselbstung  im  Wollen  erklärt  auch  er  für  unmög- 
lich. Nachdem  er  die  Liebe  in  ihrer  reinsten  Gestalt  dai^- 
stellt  hat,  fahrt  er  fort:  „Eine  noch  stärkere  Entselbstung  als 
das  geschilderte  Leben -im -Anderen  ist  einfach  unvollziehbar 
und  wĂĽrde  in  das  Sinnleere  ĂĽberfliegen,  so  lange  das  Selbst 
ĂĽberhaupt  noch  existirt  und  handelt,  was  ja  begreiflicher- 
maassei>  die  erste  Voraussetzimg  fĂĽr  eine  sittliche  Beurthei- 
lungsmöglichkeit  bildet.  Fällt  es  mir  doch  nicht  ein,  die 
ethische  Bekämpfung  des  Egoismus  in  der  Art  manches 
subjectiv-idealistischen Monismus  zu  einer  metaphysischen 
Anfechtung  der  Egoität  und  concreten  Einzelheit  zu  übertrei- 
ben, während  ich  überall  gerade  mngekehrt  für  das  gute 
Recht  der  lebendig  empfindenden  Individualitäten  gegenüber 
von  allgemeinen  todten  Abstractionen  kämpfe"  (S.  57). 

Ob  ein  Wollen  egoistisch  sei  oder  nicht,  hängt  nach  dem 
eben  Bemerkten  nicht  davon  ab,  ob  es  die  Lust,  die  in  seiner 
Befriedigung  liegt,  zum  Gegenstande  habe  oder  nicht  (stet? 
ist  das  erstere  der  Fall),    sondern  davon,    worin  es,  welches 


E.  Pfleiderer:   Eudfimonismus  und  Egoismus.  461 

seine  eigene  Befriedigung  zum  Gegenstande  hat,  diese  seine 
Befriedigung  findet.  Es  ist  egoistisch  dann  und  nur  dann, 
wenn  der  Stoflf  seiner  Befriedigung  wiederum  eigene  Lust 
oder  Fernhaltung  oder  Beseitigung  eigener  Unlust  ist.  Ob  in 
diesem  Falle  die  erstrebte  eigene  Lust  mit  derjenigen,  welche 
die  Befriedigung  des  Strebens  bietet,  identisch  ist,  so  dass 
auf  die  Frage,  worin  das  betreffende  Streben  seine  Befriedi- 
gung finde,,  geantwortet  werden  muss:  in  seiner  Befriedigung, 
und  also  das  egoistische  Streben  einem  in  sich  zurĂĽcklaufen- 
den Strome  gleicht,  oder  ob  sie  als  ein  von  der  Befriedigung 
des  Strebens  verschiedener  Zustand  gefasst  werden  muss, 
kann  hier  dahin  gestellt  bleiben.  Um  mich  nun  dem  Eudä- 
monismus  Pfleiderer's  anzuschliessen,  mĂĽsste  ich  fortfahren: 
dasjenige,  worin  irgend  ein  sich  selbst  als  befriedigtes  zum 
Gegenstande  habendes  Wollen  seine  Befriedigung  finde,  sei 
entweder  eigene  oder  fremde  Lust,  bez.  eigene  oder  fremde 
Freiheit  von  Unlust.  Allein  ich  meine,  der  Zusammengehörig- 
keit von  Wollen  und  Lust  sei  bereits  in  dem  Zugeständnisse 
an  den  Egoismus  gebĂĽhrend  Rechnung  getragen,  dass  alles 
Wollen,  inwiefern  es  Selbst-Wollen  sei,  die  eigene  Lust  zum 
Gegenstande  (obwohl  nicht  zum  Zwecke  und  Motive)  habe. 
Ich  sehe  nicht  ein,  warum  es  nicht  Endzwecke  geben  soll, 
die  an  sich  weder  Lust  noch  Unlust  sind  und  nur  dadurch, 
dass  in  ihnen  ein  Wollen  seine  Befriedigung  findet,  Lust  ge- 
währen, und  zwar  ohne  dieser  Lust  wegen  Endzwecke  ge- 
wesen zu  sein. 

Als  Beispiel  eines  solchen  durch  keine  Vorstellung  von 
Lust  bestimmten  Wollens  ist  schon  oben  das  auf  Erkenntniss 
gerichtete  angeführt.  Die  Erkenntniss  gewährt  Lust  nur  dem- 
jenigen, der  Erkenntniss  trieb  besitzt,  d.  i.  der  Erkenntniss 
will;  der  auf  Erkenntniss  gerichtete  Wille  kann  mithin  ur- 
sprĂĽnglich nicht  durch  die  Vorstellung  der  Lust,  welche  die 
Erkenntniss  gewährt,  bestinunt  sein;  er  muss  ja  schon  da 
gewesen  sein,  bevor  das  Subject  von  jener  Lust  etwas  er- 
fahren hatte.  Nachdem  man  die  Lust  des  Erkennens  kennen 
gelernt  hat,  ist  es  zwar  denkbar,  dass  die  Vorstellung  der- 
selben als  Motiv  des  Forschens  auftrete,  aber  das  ursprĂĽng- 
liche Verhältniss  muss   dabei   fortbestehen,    denn   wäre   der 


452  E.  Pfleiderer:   EudAmonismuH  und  Egoismufi. 

Trieb  erloschen,  so  wĂĽrde  sich  wohl  kaum  der  Wunsch  regen, 
nochmals  die  Lust  des  Erkennens  zu  geniessen,  und  sicherlich 
nicht  zur  Arbeit  veranlassen.  Auch  die  sinnlichen  Triebe 
sind  als  solche  nicht  auf  Lust  gerichtet,  sondern  auf  Verrich- 
tungen, welche  zur  Lust  erst  dadurch  werden,  dass  sie  die 
Triebe  befriedigen,  wenn  sie  auch  vielfach,  wie  z.  B.  das 
Essen,  von  Lustempfindimgen,  die  in  gewissem  Maasse  Yon 
den  betreffenden  Trieben  unabhängig  sind,  begleitet  werden. 
Es  mag  noch  desjenigen  Wollens  gedacht  werden,  dessen  Ziel 
die  Gate  des  Willens,  die  Moralität  ist.  Auch  dieses  ist  zu- 
nächst als  Trieb  vorhanden,  imd  nicht  entsteht  dieser  Trieb 
aus  der  Lust,  welche  das  Bewusstsein  der  eigenen  TĂĽchtigkeit 
gewährt,  sondern  umgekehrt  gewährt  nur  deshalb  dieses  Be- 
wusstsein Lust,  weil  es  einen  Trieb  befriedigt  Es  mag  sein, 
dass  die  Vorstellung  von  der  Lust,  welche  mit  der  Befriedi- 
gung des  moralischen  Triebes  zusammenfallt,  Motiv  des  Stre- 
bens  nach  moralischer  Vervollkommnung  werden  kann,  aber 
ursprĂĽnglich  muss  dieses  Streben  von  diesem  Motive  unab- 
hängig sein  und  auch,  wenn  letzteres  sich  einmischt,  kann 
das  ursprĂĽngliche  Streben  doch  nicht  dadurch  ersetzt  werden. 
Ich  will  die  hiermit  skizzirte  Auffassung  noch  mit  der- 
jenigen Beweisführung  Pfleiderer's,  welche  sich  auf  d«i  Be- 
griff des  Werthes  stützt,  vergleichen.  „Alles  Wollen,  beginnt 
dieselbe,  geht  auf  ein  wirklich  oder  vermeintlich  Werthvolles." 
In  der  That,  alles,  was  man  will,  ist  eben  dadurch,  dass 
man  es  will,  ein  wirklich  oder  vermeintlich  Werthvolles,  — 
ein  wirklich  Werthvolles,  wenn  in  dem  darauf  gerichteten 
Wollen  der  Wille  völlig  mit  sich  selbst  einig  ist,  wenn  es, 
mit  anderen  Worten,  als  ein  Mittel  oder  als  ein  Theil  zu 
demjenigen  gehört,  was  das  unveränderliche,  weil  durch  seine 
Natur  bestimmte  Endziel  des  Willens  bildet,  zu  dem  höchsten 
Gute,  —  ein  vermeintlich  Werthvolles,  wenn  der  darauf  ge- 
hende Wille  sich  selbst  widerspricht  oder,  was  dasselbe  heisst, 
wenn  es  nicht  wirklich,  sondern  vermeintlich  gewollt  wird. 
Und  umgekehrt  wird  alles  WerthvoUe  gewollt,  indem  es  werth- 
voll  nur  durch  sein  Gewolltwerden  ist.  Werth  und  Wille 
sind  völlig  correlative  Begriffe.  Weiter  behauptet  Pfleiderer, 
auch  zwischen  den  Begriffen  des  Werthes  und  des  LustgefĂĽhls 


E.  Pfleiderer:   Eadämonismuff  und  Egoismus.  453 

bestehe  dieses  Verhältniss.  Auch  dieses  scheint  mir  richtig. 
Während  er  aber  lehrt,  dass  allgemein  und  nothwendig  die 
Vorstellung  eines  im  GefĂĽhle  realisirten  Werthes  den  Willen 
bestimme,  gibt  es  nach  meiner  AufTassung  Fälle,  in  welchen 
die  beiden  Relationen,  die  dem  Werthbegriffe  anhängen,  so 
vereinigt  sind,  dass  der  Werth  zuerst  durch  sein  Gewollt- 
werden Werth  ist  und  die  Lust  in  der  Befriedigung  dieses 
WoUens,  also  in  der  Aneignung  oder  Realisirung  des  Werthes 
durch  das  dem  Wollen  entsprechende  Handebi  besteht.  In 
diesen  Fällen  geht  der  Wille  auf  Werthvolles  nicht  in  dem 
Sinne,  dass  er  durch  die  Vorstellung  des  realisirten,  im  Lust- 
gefĂĽhl zum  AbschlĂĽsse  gekommenen  Werthes  bestimmt  wird, 
sondern  so,  dass  er  durch  die  Wahl  seines  Zieles  dieses  erst 
zu  einem  Werthe,  der  als  solcher  gefĂĽhlt  werden  kann,  macht. 
So  gebe  ich  (um  die  vorstehenden  Erörterungen  zusam- 
menzufassen) Pfleiderer  zu,  dass  es  ein  Wollen  gibt,  dessen 
einziges  Motiv  das  Wohl  Anderer  sei,  also,  wenn  man  eudä- 
monistisch  das  Wollen  nennt,  sofern  es  ĂĽberhaupt  Wohl  oder 
Beseitigung  von  Wehe  zum  Motive  hat,  und  universalistisch 
oder  egoistisch,  je  nachdem  das  erstrebte  Wohl  das  der  Mit- 
menschen oder  das  eigene  ist,  dass  es  ein  universalistisch- 
eudämouistisches  Wollen  gibt.  Aber  ich  kann  dem  Eudämo- 
nismus  als  der  Lehre,  dass  es  kein  anderes  Motiv  des  Wol- 
fens als  die  Vorstellung  von  Wohl  oder  von  Wehelosigkeit 
geben  könne,  und  dass  auch  das  sittliche  Wollen  unter  dieser 
Nothwendigkeit  stehe,  nicht  zustimmen.  Zwar  muss  auch 
das  sittliche  Wollen  zur  GlĂĽckseligkeit  fĂĽhren,  weil  alle  Be- 
friedigung des  WoUens  GlĂĽckseligkeit  ist,  scheinbare  oder 
wahre  GlĂĽckseligkeit,  je  nachdem  sie  scheinbare  oder  wahre 
Befriedigung  ist.  Auch  gehört  die  Gluckseligkeit  zum  Ob- 
jectedes  sittlichen  Willens,  und  zwar  die  eigene,  denn  wie 
alles  Wollen  ist  auch  das  sittliche  ein  Selbstwollen.  Aber 
die  Vorstellung  der  GlĂĽckseligkeit  ist  nicht  sein  Motiv. 
Selbstverständlich  bin  ich  auch  mit  Pfleiderer  der  Ansicht, 
dass  die  Richtung  des  Wollens  auf  das  Wohl  der  Mitmen- 
schen ein  Erfordemiss  seiner  GĂĽte  sei,  aber  ich  kann  dieses 
Erforderniss  nicht  fĂĽr  das  einzige  halten.  Welches  die  ĂĽbri- 
gen seien,  habe  ich  hier  nicht  zu  untersuchen;  nur  muss  ich 


454  E.  Pfleiderer:   Eudämoniamus  und  Egoismus. 

zur  Verhütung  eines  Missverständnisses  bemerken,  dass  ich 
zwar  keinem  egoistischen  Wollen  sittlichen  Werth  beimessen 
kann,  aber  auch  nicht  allem  nicht -egoistischen.  Dies  ei^t 
sich  schon  aus  dem  oben  ĂĽber  die  sinnlichen  Triebe  Be- 
merkten. 

Ich  kehre  zu  meinem  Berichte  zurĂĽck.  Auf  die  BegrĂĽn- 
dung des  universalistischen  Eudämonismus  lässt  Pfleiderer 
eine  ausfĂĽhrliche  Auseinandersetzung  mit  Kant  folgen,  welche 
reich  an  treffenden  Gedanken  ist. 

Zunächst  handelt  es  sich  hierbei  um  die  Apriorität  des 
ethischen  Princips,  aus  welcher  Kant  folgerte,  dass  alle  ma- 
terialen  und  somit  eudämonistischen  Bestimmungsgründe  des 
Wollens  aus  dem  Gebiete  der  Moralitat  ausgeschlossen  seien. 
An  der  Apriorität  hält  auch  Pfleiderer  fest.  Sie  besteht  nach 
ihm  darin,  dass  der  Wille  ein  universelles  Moment  hat,  wel- 
ches über  der  persönlichen  Differenz  der  Einzelnen  liegt,  dass 
mit  anderen  Worten  in  dem  persönlichen  Willen  ein  Grund- 
wille, ein  überpersönlicher  Vernunft-  oder  vorsichtiger  aus- 
gedrĂĽckt Menschheitswille  enthalten  ist,  der  (ich  glaube  dies 
im  Sinne  des  Verfassers  hinzufĂĽgen  zu  dĂĽrfen)  an  sich  nicht 
leer  ist,  sondern  einen  reinen  Inhalt,  ein  apriorisches,  durch 
sein  eigenes  Wesen  gesetztes  Ziel  hat.  Dieser  Wille  gibt  das 
Sittengesetz,  indem  er  sein  apriorisches  Ziel  dem  persönlichen 
Willen  vorhält,  er  ist  der  gebietende,  von  ihm  ergeht  an  den 
persönlichen  Willen  das  Sollen.  Die  formalistische  Folgerung 
Kant's  aber  bestreitet  Pfleiderer.  Der  Inhalt  jenes  Grundwil- 
lens ist  keine  blosse  Form,  sondern  ein  wirkliches  Ziel,  nicht 
ein  blosses  Wie,  sondern  ein  Was.  Nämlich  auch  das  Grund- 
wollen muss  wie  alles  richtige  und  rationale  Wollen  im  Un- 
terschiede von  einer  sinnlosen  psychologischen  Expansion  als 
ein  motivirtes  oder  als  ein  Wohl-Wollen  gefasst  werden;  aber 
als  erhaben  über  der  persönlichen  Differenzirung  will  es  Wohl 
ohne  Ansehen  der  Person  und  stellt  sich  so  als  universales 
Wohlwollen  dar.  Der  Grundwille  spricht  zu  dem  persönlichen: 
Wolle  allezeit  —  und  zwar  natürlich  Wohl  —  sub  specie  uni- 
versi  seu  humanitatis.  Das  bestimmte  und  concrete  Was  des 
universalen  Wohls,  die  nähere  Detailirung  und  Speciflcirung 
des  generellen  Wohlprincips   muss  freilich  durch   successive 


£.  Pfleiderer:   Eudämonismus  und  Egoismus.  455 

allmälige  Erfahrung  bestimmt  werden,  aber  dieser  Beihülfe 
der  Erfahrmig  kann  kein  A  priori,  auch  Kant's  kategorischer 
Imperativ  nicht  entbehren.  Das  Bedenken  gegen  die  Möglich- 
keit einer  concreten  StofferfĂĽllung  des  allgemeinen  Princips, 
dass  der  Eine  dies,  der  Andere  jenes  je  nach  Individualität 
und  Geschmack  fĂĽr  Wohl  oder  Wehe  halte,  weist  der  Ver- 
fasser zurĂĽck,  indem  er  das  Vertrauen,  welches  Kant  der 
Sinnlichkeit  oder  Receptivität  auf  theoretischem  Gebiete  schenkt, 
dass  sie  nicht  lediglich  der  Sphäre  der  individuellen  Differen- 
zen angehöre,  auch  für  das  praktische  in  Anspruch  ninmit. 
Es  liege  kein  zwingender  Grund  vor,  warum  die  Identität  der 
Menschen  sich  ausschliesslich  auf  die  sogenannte  Vernunft- 
seite, oder  richtiger  ausgedrückt,  auf  die  Seite  der  Activität 
beschränken  sollte,  statt  sich  ebenso  in  die  Sinnlichkeit,  in 
die  Passivität  oder  Gefühls-  und  Empfanglichkeitsseite,  wel- 
dier  allerdings  alle  Wohlempfindung  angehöre,  hineinzuer- 
sirecken  (S.  29—42). 

Es  ist  ein  platonischer  Gedanke,  dass  der  gesetzgebende 
Wille  unser  eigener  Wille  ist,  dass  man  also  sittlich  handelt, 
wenn  man  das  thut,  was  man  will,  nämhch  eigentlich  will, 
in  allem  Wollen  (freilich  vielfach  mit  sich  selbst  in  Wider- 
spruch) will.  Kant  dagegen  machte  die  Vernunft,  das  Ver- 
mögen, das  Unbedingte  zu  denken,  also  ein  theoretisches  Ver- 
mögen, zum  sittlichen  Gesetzgeber ;  seine  praktische  Vernunft 
ist  keine  andere,  als  die  theoretische;  die  theoretische  Ver- 
nunft hat  nach  ihm  die  Fähigkeit,  durch  den  Gedanken  des 
Unbedingten  den  Willen  zu  bestimmen,  und  so  ist  sie  prak- 
tisch. Den  eigentlichen  Willen,  das  strebende  Ich,  das  Ich 
als  Triebwesen,  setzte  er  so  in  ein  Verhältniss  absoluter  Ab- 
hängigkeit zu  einer  ihm  äusserlichen  Macht.  Darin  liegt  der 
letzte  Grund  des  Kantischen  Formalismus,  denn  das  theore- 
tische Vermögen  kann  aus  sich  dem  Willen  keine  Materie 
geben,  keinen  Zweck  vorschreiben;  alle  Zwecke  stammen  ja 
aus  dem  Willen,  und  das  theoretische  Vermögen  kann  sich 
auf  Zwecke  nur  dadurch  beziehen,  dass  es  dieselben  vom 
Willen  erfahrt  und  im  Dienste  des  Willens  die  zu  ihrer  Er- 
reichung geeigneten  Mittel  und  Wege  sucht.  Den  platoni- 
schen Gedanken  erneuerte  Fichte,  indem  er  die  Ethik  auf  den 


456  E.  Pfleiderer:  Eudftmonismus  und  Egoismus. 

Begriff  des  sittlichen  Triebes  grĂĽndete,  aus  einem  sittlichen 
Triebe  (der  nur  indirekt  ein  Trieb  zum  Handehi,  direkt  ein 
Trieb  zur  Selbstbestimmung  sei)  das  Sittengesetz  ableitete. 
Sein  Wiedererscheinen  in  Pfleiderer's  Ethik  begrĂĽsse  ich  mit 
lebhafter  Zustimmung.  Dass  ich  es  freilich  nicht  fĂĽr  ausrei- 
chend halten  kann,  als  das  Ziel  des  Grundwillens  das  Wohl 
der  Mitmenschen  zu  bestimmen,  den  sittlichen  Trieb  mit  der 
Liebe  zu  identiĂźciren,  folgt  aus  meinen  Bemerkungen  zu  dem 
ersten  Theile  des  vorliegenden  Buches.  Aber  noch  in  einem 
anderen  Punkte  sehe  ich  mich  zu  einer  Abweichung  genö- 
thigt:  ich  kann  mich  der  Auffassung  des  Grundwillens  als 
eines  über  der  persönlichen  Differenz  der  Einzelnen  liegenden, 
als  eines  überpersönlichen  Willens,  eines  Menschheitswillens 
nicht  anschliessen,  sofern  mit  diesen  AusdrĂĽcken  nicht  bloss 
gesagt  sein  soll,  dass  der  reine  Inhalt  des  Willens,  der  aprio- 
rische Zweck,  in  allen  Personen  derselbe  sei,  sondern  die  Ein- 
heit eines  allgemeinen  Willens,  der  in  dem  individuellen  Wollen 
aller  Personen  zur  Erscheinung  (sei  es  im  Hegerschen,  sei 
es  im  Schopenhauer'schen  Sinne  des  Wortes)  gelange,  be- 
hauptet werden  soll.  Ein  Anfang  dieser  Auffassung  liegt 
schon  bei  Fichte,  inwiefern  derselbe  den  sittlichen  Trieb  ent- 
stehen lässt  durch  Verschmelzung  des  Naturtriebes,  der  dem 
Individuum  als  solchem  eignet,  mit  dem  reinen  Triebe  des 
absoluten,  des  alle  endlichen  Ichs  als  seine  Einschränkungen 
in  sich  fassenden  allgemeinen  Ich.  Fortgebildet  ist  sie  in  dem 
Schelling-HegeFschen  Pantheismus.  Der  Grundwille,  in  dessen 
Befriedigung  die  Sittlichkeit  besteht,  ist  hier  der  Weltgeist- 
Wille,  der  in  den  menschlichen  Individuen  zum  Bewusstsein 
gekommen  und  so  zum  Menschheits- Willen  geworden  ist.  Aus 
dem  Schelling  -  Hegerschen  Pantheismus  ist  sodann  der  Ge- 
danke des  allgemeinen  Willens  in  den  Atheismus  Schopen- 
hauer's  ĂĽbergegangen,  und  es  darf  wohl  die  Vermuthung  aus- 
gesprochen werden,  dass  er  von  hier  aus  Einfluss  auf  die 
Ansichten  Pfleiderer*s  gewonnen  hat  (den  ich  ĂĽbrigens  weit 
entfernt  bin,  über  historische  Zusammenhänge  belehren  zu 
wollen).  Beiläufig  bemerkt,  entsteht  Pfleiderer  aus  der  Un- 
terscheidung des  Grundwillens  als  überpersönlichen  allgemei- 
nen Menschheitswillens  und  des  persönlichen  Willens  dasselbe 


E.  Pfleiderer:   Eudämonismus  und  Egoismus.  457 

Problem,  welches  sich  fĂĽr  Kant  aus  dem  Gegensatze  von  Ver- 
nunft und  natĂĽrlichem  Willen  ergab,  das  Problem  der  Trieb- 
feder des  sittlichen  Willens.  Einer  solchen  Triebfeder  bedĂĽrfe 
es,  um  das  unmittelbare  Ueberschlagen  des  Gesetzeswillens 
in  den  persönlichen  zu  erklären.  Er  findet  diese  Triebfeder 
in  der  Dankbarkeit.  Der  Mensch  verdanke  die  materiellen, 
socialen  und  geistigen  GĂĽter,  in  welche  er  mit  seiner  Geburt 
geniessend  eintrete,  seinem  Zusammenhang  mit  dem  solidari- 
schen Organismus  der  Menschheit  und  der  zusammenhängen- 
den Arbeit  von  Jahrhunderten.  Die  Liebe  erstatte  den  Dank, 
welchen  er  der  Vor-  und  Mitwelt  schulde,  der  Mit-  und  Nach- 
welt (S.  80).  FĂĽr  die  Ansicht,  welche  den  gesetzgebenden 
Willen  mit  dem  persönlichen  identificirt,  sofern  diesem  durch 
sein  unveränderliches  Wesen  ein  Endzweck  gesetzt  ist,  fallt 
mit  der  Nothwendigkeit,  ein  Ueberschlagen  des  gesetzgeben- 
den Willens  in  den  persönlichen  anzunehmen,  das  Problem 
der  Triebfeder  fort. 

Ich  ĂĽbergehe,  um  nicht  zu  ausfĂĽhrlich  zu  werden,  die 
Vertheidigung  des  Verf.  gegen  diejenigen  Kantischen  EinwĂĽrfe 
gegen  den  Eudämonismus,  welche  er  die  psychologisch-meta- 
physischen nennt:  dass  nämlich  die  Liebe  eine  Sache  der 
Empfindung  sei,  die  Empfindung  aber  als  etwas  Passives  an 
und  ĂĽber  den  Menschen  ohne  sein  Wissen  und  Wollen  komme 
und  daher  nicht  geboten  werden  könne  (S.  42—48),  femer 
dass  sie  doch  am  Ende  die  feinste  Maskirung  der  Selbstsucht 
sei  (S.  48  —  62);  desgleichen  seine  Zurückführung  der  Abnei- 
gung Kant's  gegen  das  Princip  der  Liebe  auf  den  solipsisti- 
schen  Zug  der  Geistesanschauung  jener  Zeit  (S.  62-— 69)  und 
den  Nachweis  von  drohendem  feinen  Egoismus  gerade  bei 
Kant's  formalen  Principien  (S.  69—82). 

In  dem  letzten  Theile  seiner  Arbeit,  als  dessen  Aufgabe 
das  Inhaltsverzeichniss  die  systematische  Hebung  von  Neben- 
bedenken gegen  das  Wohlprincip  angibt,  deducirt  der  Verf. 
zunächst  aus  diesem  Principe  die  Pflicht  der  Arbeit  an  frem- 
der ethischer  Vervollkommnung,  dann  die  der  Selbstvervoll- 
kommnung (S.  83 — 91).  An  fremder  ethischer  Vervollkomm- 
nung haben  wir  zu  arbeiten,  weil  das  Gut-sein  des  Anderen 
sein   höchstes    eudämonologisches   Gutbefinden   ist,    an   der 


458  E.  Pfleiderer:  Eudämonismus  und  Egoismus. 

eigenen,  weil  der  Mensch  sich  mit  allen  seinen  Gaben  und 
Kräften  zu  einem  möglichst  tüchtigen  Organ  für  das  Ganze 
ausbilden  und  ein  brauchbares  Mitglied  der  Gesammtheit  aus 
sich  machen  soll.  Es  sei  daher  auch  Pflicht,  nach  einer  er- 
spriesslichen  Lebensstellung  und  dabei  etwa  auch  nach  einer 
gesicherten  pecuniären  Situirung  zu  trachten,  denn  Derartiges 
sei  die  Basis  der  ungehemmten  freudigen  Wirksamkeit  Dass 
sich  alle  Pflichten,  welche  Pflichten  des  Menschen  gegen  sich 
selbst  zu  sein  scheinen,  in  Wahrheit  auf  die  Mitmenschen 
beziehen,  wird  an  dem  Beispiele  eines  Menschen  illustrirt,  da* 
auf  einer  einsamen  Insel  mit  ausreichenden  Subsistenzmitteb 
ohne  allen  genealogisch-historischen  Zusammenhang  mit  ana- 
logen Wesen  und  nebenbei  auch  ohne  Beziehung  auf  eine 
Gottheit  die  completeste  Privatexistenz  fĂĽhre,  welche  sich 
denken  lasse.  Es  sei  völlig  gleichgültig,  wie  ein  solcher  Mensch 
lebe;  er  könne  thun,  was  er  möge. 

Die  Consequenz  Pfleiderer's  ist  anzuerkennen.  Aber  dieses 
Resultat  derselben  wĂĽrde  mir  zu  der  Ueberzeugung  genĂĽgen, 
dass  in  den  Prämissen  ein  Fehler  stecken  müsse.  Worin  auch 
der  sittliche  Zweck  bestehen  mag,  so  kann  sich  die  TĂĽchtig- 
keit des  Willens,  ihn  auszufĂĽhren,  nicht  bloss  als  Mittel  zu 
ihm  verhalten,  sondern  muss  zugleich  ein  Bestandtheil  des- 
selben, und  zwar  der  centrale  Bestandtheil  sein.  BezĂĽglich 
anderer  Tüchtigkeiten  und  Thätigkeiten  meiner  selbst,  z.  B. 
der  das  Erkenntnissvermögen  betreffenden,  würde  mir  mein 
sittliches  Bewusstsein  zunächst  den  Zweifel  gestatten,  ob  sie 
durch  sich  selbst  oder  durch  ihre  Folgen  gut  seien;  dagegen 
dass  die  GĂĽte  des  Willens  an  sich  gut  sei  und  nicht  bloss  als 
Mittel  für  den  Zweck  des  Wohles  meiner  Mitmenschen,  — 
dass  mein  Ginindwille  auf  meine  moralische  Vervollkommnung 
um  ihrer  selbst  willen  gerichtet  sei:  dass  ist  eine  Ueberzeu- 
gung, die  ich  nur  zugleich  mit  der  der  Verbindlichkeit  des 
Sittengesetzes  aufzugeben  vermöchte.  Die  Güte  des  Willens 
kann  freilich  nicht  der  einzige  Zweck  sein,  dem  nachzutrach- 
ten  das  Sittengesetz  gebietet,  denn  sie  besteht  eben  darin, 
dass  der  Wille  sich  dem  sittlichen  Zwecke  nach  allen  seinen 
Momenten  widme,  aber  sie  muss  zum  sittlichen  Zweck  ge- 
hören, gleichsam  das  Herz  in  dem  Organismus  desselben  bil* 


E.  Pfleiderer:   Eudftmonismus  und  Egoismus.  459 

den.  Wenn,  wie  Pfleiderer  lehrt  (S.  47),  das  universelle 
Wohlwollen  das  Gute  ist,  so  ist  es  nicht  bloss  dadurch  das 
Gute,  dass  das  Wohl  das  Gute  ist,  sondern  durch  sich  selbst; 
wenn  die  Liebe,  die  er  mit  so  schönen  und  warmen  Worten 
preist,  geboten  wird,  wie  er  zugibt,  so  wird  sie  nicht  bloss 
um  ihrer  schönen  Wirkungen,  sondern  um  ihrer  eigenen 
Schönheit  willen  geboten. 

Das  Beispiel  von  dem  Manne  auf  einsamer  Insel  ist  gerade 
geeignet,  die  Unzulänglichkeit  des  universalistischen  Wohl- 
princips  deutlich  zu  machen.  Ich  stelle  in  demselben  zunächst 
die  Beziehung  auf  eine  Gottheit  wieder  her,  denn  nur  die 
Beziehung  zu  anderen  Menschen  abzuschneiden  hatte  Pfleiderer 
das  Becht,  er  mĂĽsste  denn,  was  ich  nicht  glaube,  annehmen, 
Gott  gehöre  zu  den  Wesen,  denen  der  Mensch  wohl  zu  thun 
habe.  Nun  fallt  für  den  Einsamen  zwar  jede  Möglichkeit, 
Wohlwollen  zu  bethätigen,  Nächstenliebe  zu  üben,  fort,  aber 
es  bleibe  für  ihn  „das  vornehmste  und  höchste  Gebot":  Du 
sollst  lieben  Gott  u.  s.  w.  Und  auch  dieses  Gebot  ist  ein 
sittliches;  auch  die  Religiosität  ist  eine  Tendenz  des  Grund- 
willens im  Menschen.  Aber  auch  abgesehen  hiervon  braucht 
man  seine  Phantasie  nicht  zu  sehr  anzustrengen,  um  jenem 
Einsamen  mögliche  Handlungen  zu  finden,  deretwegen  er, 
wenn  sie  gesehen  wurden,  wĂĽrde  verachtet  werden  und  um 
deretwegen  er  sich  in  seiner  Einsamkeit  selbst  wĂĽrde  ver- 
achten mĂĽssen.  Unser  Robinson  werde  etwa  durch  einen 
Schiffbruch  in  den  Besitz  eines  Rumfasses  gebracht  und  bringe 
nim,  so  lange  der  Vorrath  hält,  seine  Tage  in  sinnloser  Trun- 
kenheit zu,  —  sollte  ihn,  wenn  er  mit  einem  allseitig  ent- 
wickelten sittlichen  Bewusstsein  auf  seine  Insel  verschlagen 
wurde,  nicht  nachher  Scham  und  Reue  befallen,  zum  Beweise, 
dass  auch  jetzt  noch  das  Sittengesetz  Bedeutung  fĂĽr  ihn  hatte? 
Nein,  es  ist  nicht  gleichgültig,  wie  der  völlig  isohrte  Mensch  lebe. 

Die  weiteren,  zur  systematischen  Hebung  von  Neben- 
bedenken gegen  das  Wohlprincip  bestimmten  AusfĂĽhrungen 
der  vorliegenden  Schrift  betreffen  den  Kampf  gegen  das  Böse 
nnd  das  Strafrecht,  Bedenken  gegen  die  Sentimentalität  des 
modernen  Humanitätsbegriffs,  die  Beziehung  auch  des  wissen- 
schaftlichen Strebens  auf  das  Wohlprincip  tmd  den  Zusammen«^ 


460  Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens. 

hang  der  Liebe  mit  dem  moralischen  Ernst  der  PĂźicht  oder 
der  sittlichen  Disciplin.  Der  Schluss  des  Ganzen  empfiehlt 
den  eudämonistischen  Grundgedanken  um  seines  Werthes  für 
das  dringende  Zeitbedürfniss  einer  dem  Leben  näheren  Ethik 
und  um  seiner  Tauglichkeit  zur  Combination  der  Eantischen 
und  Schleiermacher'schen  Leistungen  in  der  philosophischen 
Moral  willen.  Den  Schluss  dieser  Besprechung  aber  möge 
der  wiederholte  Ausdruck  der  Anerkennung  des  edlen  Stre- 
bens,  das  sich  in  dieser  Ehrenrettung  des  Wohlprincips  aus- 
spricht, sowie  der  mannichfachen  wissenschaftlichen  Verdienste 
derselben  bilden. 

Marburg.  J.  Bergmann. 


Das  Wesen  des  Denkens.  Nach  Piaton.  Von  Dr.  Karl  Uphues, 
Professor  am  Gymnasium  zu  Aarau.  Landsberg  a.  W.  1881. 
8^    S.  139. 

Dem  Verfasser  ist  die  Sprache  „Wegweiserin  und  Fahrerin 
(auch)  des  wissenschaftlichen,  philosophischen  Denkens"  (S.  14). 
Er  will  in  Folge  dessen  „das  Wesen  des  Denkens  aus  dem 
Sprachbau  herleiten  und  den  Sprachbau  als  die  Norm  der 
Philosophie  erweisen"  (S.  3).  Noch  von  einer  andern  Seite 
lässt  sich  das  Ziel,  welches  der  Verf.  sich  gesteckt,  deutlich 
machen.  Im  AnschlĂĽsse  an  Eduard  von  Hartmann  wird  be- 
hauptet, dass  „man  zu  den  Bestandtheilen  des  Urtheils,  zu 
Subject  und  Prädikat,  als  reales  Gegenstück  die  Kategorien 
Substanz  und  Accidenz  gefunden  habe",  wohingegen  „zum  Sub. 
stantivum  und  Verbum,  den  Hauptredetheilen  und  den 
unumgänglich  nothwendigen  ....  Bestandtheilen  eines  jeden 
Urtheils  ein  reales  GegenstĂĽck  zu  finden,  bis  heute  ein 
noch  ungelöstes,  vielleicht  sehr  fruchtbares  philosophisches 
Problem  sei".  Und  eben  an  der  Lösung  dieses  Problems  will 
U.  sich  versuchen  (S.  5  und  6.).  Zu  diesem  Zwecke  gehl 
er  mit  Schleicher  und  Plato  davon  aus,  dass  „Sprechen"  iden- 
tisch sei  mit  „lautem  Denken"  und  umgekehrt  „Denken"  mit 
„lautlosem  Sprechen".  Demzufolge  „weist  ihn  der  Begriff  der 
Sprache  auf  den  Begriff  des  Denkens  hin;  wir  können,  meint 
er,  das  Wesen  der  Sprache  nicht  erfassen,  wenn  wir  nicht  in 


Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  461 

das  Wesen  des  Denkens  einzudringen  suchen.  Was  ist  denn 
nun  Denken?"  (S.  6  u.  7.  Vergl.  S.  15  fg.,  29  fg.,  47.) 
Die  auf  die  Beantwortung  dieser  Frage  bezĂĽglichen  Untersuch- 
ungen bilden  die  erkenntnisstheoretische  Grundlage 
der  ganzen  Schrift,  mit  deren  Haltbarkeit  oder  ĂĽnhaltbarkeit 
die  in  dem  Buche  ebenfalls  niedergelegte  metaphysische 
Weltansicht  des  Verfassers  steht  und  fallt.  Es  ist  unsere 
Absicht,  nur  die  erstere  zum  Gegenstande  der  Besprechung  zu 
machen,  weil  der  Leser  auch  nur  in  ihr  den  wissenschaft- 
lichen Kern  des  Buches  vor  sich  hat  und  weil  sich  von 
ihrer  kritischen  Behandlung  ein  Gewinn  für  die  höhere  Er- 
kenntniss  mit  Sicherheit  erwarten  lässt. 

„Das  Wort  Denken,  schreibt  U.,  bezeichnet  jene  Thä- 
tigkeit  des  Geistes,  welche  in  einer  bestimmten  Erkenntniss 
ihr  Ziel  hat  und  ihren  Abschluss  findet.**  „Die  ursprüng- 
lichste Form  des  Erkennens'*  aber  ist  das  „Wahrnehmen**  und 
es  fragt  sich  daher  vor  allem ,  welches  sind  die  in  diesem 
vorkommenden  Momente?  „In  der  Wahrnehmung  als  be- 
wusster  auf  die  Erfassung  eines  Gegenstandes  gerichteter  See- 
lenthätigkeit ,  heisst  es ,  unterscheiden  wir  nothwendig  drei 
StĂĽcke:  das  Bewusstsein,  den  Inhalt  des  Bewusstseins 
und  den  Gegenstand.*'  (S.  19  u.  20.)  U.  ist  in  erster 
Linie  bemüht,  den  „Inhalt  des  Bewusstseins**  seiner  Beschaf- 
fenheit nach  zu  ermitteln.  „Da  die  Wahrnehmung ,  schreibt 
er,  ihren  Gegenstand  nicht  umfassen  und  umspannen,  son- 
dern nur  erfassen  soll,  da  ihr  Gegenstand  immer  ausser- 
halb ihrer  selbst  bleibt,  so  muss  innerhalb  der  Wahr- 
nehmung ein  irgendwie  bestimmter  Inhalt  gegeben  sein,  der 
dem  Bewusstsein  als  Mittel  zur  Erfassung  des  Gegenstandes 
.dient**  Gut;  aber  worin  besteht  denn  die  Bestimmtheit 
dieses  Inhaltes?  Sie  besteht,  meint  U.,  darin,  dass  der  wahr- 
genommene Gegenstand  ganz  so  wie  er  ausser  dem  wahr- 
nehmenden Subjecte  sein  soll ,  auch  in  seinem  Bewusstsein, 
seiner  Wahrnehmung  ist,  wiewohl  diese  Auffassung  dem  Un- 
gebildeten ohne  allen  Zweifel  verrĂĽckt  erscheinen  wĂĽrde. 
„Wenn  man,  lesen  wir,  einem  ungebildeten  Manne  sagte,  das 
Haus,  das  er  vor  sich  sehe,  sei  ganz  so,  wie  er  es  vor  sich 
sehe,  mit  allen  ThĂĽren,  Fenstern,  Fassungen,  Mauern  in  sei- 


4M  Karl  Uphues:  Du  Wesen  des  Denket». 

nem  Kopfe,  so  wĂĽrde  man  von  ihm  unzweifelhaft  fĂĽr  vorrĂĽckt 
gehalten  werden^'  (S.  20).  Unseres  Erachtens  wäre  in  diesem 
Falle  „der  Ungebildete"  dem  Gelehrten  gegenüber  auch  im  Tollen 
Rechte,  wofern  nur  das  „ganz  so"  in  eigentlichem  Sinne  ge- 
nommen wird.  Doch  lassen  wir  das  vorläufig  und  entwickeln 
wir  des  Verfassers  Ansichten  weiter.  Was  wird  denn  nun 
nach  U.  in  der  Wahrnehmung  wahrgenonunen?  welches  ist 
das  Object  der  Wahrnehmung?  „Nicht  der  äussere  Gegai- 
stand,  schreibt  er,  kann  das  sein,  was  erfasst  wird  bei  der 
Wahrnehmung,  er  kann  nicht  Object  der  Wahrnehmimg  sein. 
Das,  was  bei  der  Wahrnehmung  erfasst  wird,  kann  nur  der 
Wahmehmungsinhalt  sein,  der  Wahmehmungsinhalt  ist  nicht 
blosses  Mittel,  wodurch  der  Gegenstand  erfasst  wird,  er 
ist  das  Object  der  Erfassung  selbst.  Wir  nehmen  bei  der 
Wahrnehmung  nicht  ausser  uns  seiende  Gegenstände,  nicht 
wirkliche  Häuser,  sondern  nur  Bewusstseinsinhalte,  Häuser  in 
unserm  Bewusstsein,  wahr. . . .  Das  einzige  und  ausschliess- 
liche Object  des  Wahmehmungsaktes  ist  der  Wahmehmungs- 
inhalt und  die  Wahrnehmung  selbst  besteht  in  der  Objectivation 
des  Wahmehmungsinhaltes"  (S.  20—22). 

Die  vorstehende  Auffassung  der  Wahrnehmung  ist  indess, 
nach  der  Darstellung  des  Verfassers ,  eine  noch  „unvollstän- 
dige und  der  Ergänzung  bedürftig."  Wie  so?  „Schon  dann, 
heisst  es ,  wenn  wir  uns  einen  frĂĽher  gesehenen  Gegenstand 
vorstellen,  objectiviren  wir  einen Bewusstseinsinhalt,  ja  gerade 
die  Vorstellung  scheint  in  der  Objectivation  eines  Bewusst- 
seinsinhaltes  zu  bestehen.  Dass  die  Wahrnehmung  aber  ganz 
etwas  anderes  ist  als  die  Vorstellung ,  dessen  sind  wir  uns 
aufs  deutlichste  bewusst.  Die  Wahrnehmung  bezieht  sich  auf 
einen  als  wirklich  und  als  gegenwärtig  angenommenen  Gegen- 
stand, die  Vorstellung  bezieht  sich  auf  frĂĽlier  gesehene  Gegen- 
stände, aber  sie  macht  über  die  Wirklichkeit  und  Gegenwart 
derselben  nichts  aus.  In  der  Wahrnehmung  ist  in  der  That 
mehr  vorhanden  als  eine  blosse  Objectivation  eines  Bewusst- 
Seinsinhaltes.  In  der  Wahrnehmung  behaupten  wir,  dass 
der  Gegenstand  wirklich  vorhanden,  da  sei,  dass  er  so  und 
so  beschaffen  sei  und  eben  nur  durch  diese  Behauptung  er- 
hebt sich  die  Wahrnehmung  ĂĽber  die  Vorstellung."    Richtig; 


Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  463 

aber  da  wirft  sich  denn  auch  die  Frage  auf:  Wie  kommt  das 
Mehr  in  die  Wahrnehmung  gegenĂĽber  der  Vorstellung 
hinein?  Auch  der  Verfasser  umgeht  diese  Frage  nicht,  aber 
seine  Beantwortung  derselben  ist  unseres  Erachtens  eine  höchst 
unglückliche.  Er  schreibt:  „In  der  Wahrnehmung  werden 
immer  mindestens  zwei  Bewusstseinsinhalte  objectivirt:  der 
als  Gegenstand  gedachte  Bewusstseinsinhalt  und  das  Sein 
oder  die  Beschaffenheit  desselben  —  denn  dieses  Sein  oder 
die  Beschaffenheit  desselben  ist  ja  auch  nur  ein  Gedanke, 
ein  Bewusstseinsinhalt  in  uns  —  und  die  Wahrnehmung  kommt 
nur  dadurch  zu  Stande,  dass  der  zweite  Bewusstseinsinhalt 
vom  ersten  ausgesagt  oder  behauptet  wird.  Jede  Wahr- 
nehmung ist  somit  nothwendiger  Weise  ihrer  Natur  nach 
eine  Behauptung,  eine  Aussage,  einĂĽrtheil"  (S.  22u.  23). 

Ehe  wir  in  unserm  Referate  weiter  gehen,  wollen  wir 
das  vorher  mitgetheilte  einer  kurzen  aber  bĂĽndigen  Kritik 
unterziehen. 

Jede  (äussere)  Wahrnehmung  ist  offenbar  das  Product 
zweier  Factoren,  eines  auf  das  Subject  einwirkenden  Gegen- 
standes und  des  wahrnehmenden  Subjects.  Von  dem  Gegen- 
stande empfangt  das  Subject  mittelst  Einwirkung  gewisse  Ein- 
drĂĽcke, Nervenreize,  Gehirnaffectionen.  Diese  EindrĂĽcke,  Reize 
oder  Affectionen  sind  das  Einzige,  wodurch  das  Subject  mit 
der  Aussenwelt  ĂĽberhaupt  in  BerĂĽhi-ung  steht ,  sie  sind  es 
daher  auch  und  sie  ganz  allem,  welche  zur  Bildung  von 
Wahrnehmungen  veranlassen.  Wie  geschieht  das?  Das  Wie 
dieses  Vorgangs,  wie  jedes  andere  eigentliche  Wie,  ist  schlecht- 
hin unerforschbar,  ist  daher  kein  Object  der  Wissenschaft; 
aber  Thatsache  ist,  dass  das  Subject  auf  Veranlassung  empfan- 
gener EindrĂĽcke  gewisse  Vorstellungen  (ĂĽ.  wĂĽrde  sagen: 
„Bewusstseinsinhalte^*)  erzeugt,  die  als  solche  selbstverständ- 
lich einen  lediglich  subjectiven  Character  haben,  nur  in  dem 
Subjecte,  nicht  ausser  ihm  sind.  Eine  weitere  Thatsache 
ist,  dass  die  Bestimmtheit  der  Vorstellung  nach  Form  und 
hihalt  durch  die  Beschaffenheit  der  EindrĂĽcke  bedingt  wird, 
an  welche  die  Vorstellung  sich  anschliesst.  Die  EindrĂĽcke, 
welche  ein  Tisch  auf  mich  macht,  veranlassen  nicht  zur 
Bildung  der  Vorstellung  eines    Elephanten,   sondern  zu  der 


464  Karl  Uphuea:  Das  Wesen  des  Denkens. 

eines  Tisches.  Ist  nun  die  Vorstellung  in  der  Thal  auf  Veran- 
lassung empfangener  EindrĂĽcke  gebildet,  so  wird  ihr  von 
dem  Subjecte  auch  eine  Beziehung  nach  aussen,  auf  einen 
äusseren  gegenwärtigen  ihr  entsprechenden  Gregenstand  gege- 
ben und  eben  hierdurch  steigert  sich  die  blosse  Vorstellung 
zur  Wahrnehmung.  Eine  sorgfältige  Analyse  der  Wahrneh- 
mung ergibt  daher  in  ihr  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als 
drei  Momente;  diese  aber  sind  nicht,  wieĂĽ.  will,  dasBewusst- 
sein,  der  Inhalt  des  Bewusstseins  und  der  Gegenstand,  son- 
dern es  sind  1)  die  EindrĂĽcke  des  Subjects  2)  die  Vorstel- 
lung und  3)  die  Beziehung  der  Vorstellung  auf  den  (äussern) 
Gegenstand.  Isl  nun  das  wahrnehmende  Subject  zugleich 
seiner  selbst  bevnisst,  ist  es  ein  Ich,  was  aber  nicht  noth- 
wendig  und  auch  keineswegs  immer  und  ĂĽberall  z.  B.  bei 
den  Thieren,  der  FaU  ist,  so  behauptet  oder  urtheilt  es  auch 
von  dem  wahrgenommenen  Gegenstande,  dass  er  „wirklich 
vorhanden,  da  sei"  und  zwar  da  sei  nicht  „ganz  so",  wie  er 
in  seinem  Kopfe  ist  d.  i.  als  Vorstellung,  sondern  als  (objec- 
tive)  Realität.  Spricht  doch  auch  selbst  ü.  von  „einer  ding- 
lichen Natur"  des  Gegenstandes,  die  nicht  in  das  Bewusst- 
sein  hineinkönne  (S.  21).  Was  ist  diese  dingliche  Natur 
und  wie  kommt  das  seiner  selbst  bewusste  wahrnehmende 
Subject  zur  Erkenntniss  derselben? 

Wir  wissen  bereits,  dass  auch  ĂĽ.  die  Beantwortung  die- 
ser schwerwiegenden  Frage  zwar  versucht,  aber  die 
richtige  auch  nicht  getrofifen  hat.  Wahrnehmung  ist  ihm 
zunächst  ,Objectivation  des  Wahmehmungsinhaltes'^  nach  unse- 
rer Ausdrucksweise :  Beziehung  der  Vorstellung  nach  Aussen. 
Durch  die  Objectivation  des  Wahmehmungsinhaltes  wu*d  letz- 
terer nach  U.  als  (äusserer)  Gegenstand  gedacht.  Zur 
vollendeten  Wahrnehmung  soll  nun  zwar  noch  ein  Zweites 
gehören,  nämlich  dieses:  Dass  von  dem  als  Gegenstand  gedach- 
ten  Wahmehmungsinhalte  das  Sein  ausgesagt  wird, 
allein  dieses  Sein  ist  nach  U.  wieder  „nur  ein  Gredanke,  ein 
Bewusstseinsinhalt  in  uns."  Hieraus  leuchtet  klar  ein,  dass 
das  wahrnehmende  (und  seiner  selbst  bewusste)  Subject  mit 
seiner  Wahrnehmung  nie  und  nimmer  aus  sich  heraus  und 
zur  Erkenntniss  eines  ausser  ihm   und  unabhängig  von  ihm 


Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  465 

existirenden  realen  Gegenstandes  hinĂĽber  kommt.  U.  behauptet 
in  der  That  ganz  consequent:  „Das  Haus,  das  er  vor  sich 
sehe,  sei  ganz  so,  wie  er  es  vor  sich  sehe,  mit  allen  ThĂĽren, 
Fenstern,  Fassungen,  Mauern  in  seinem  Kopfe'*,  denn  das 
Haus,  das  er  vor  sich  sieht,  ist  in  der  That  schlechterdings 
nichts  als  die  nach  aussen  bezogene  und  als  seiend  prädicirte 
Vorstellung  des  Hauses  in  seinem  Kopfe,  ohne  dass  dieser 
Vorstellung  ausser  seinem  Kopfe  ein  realer  Gegenstand, 
auf  welchen  jene  sich  bezieht,  correspondirt.  Aber  wo  bleibt 
da  „die  dingliche  Natur'*  des  Hauses  ausserhalb  seines 
Kopfes,  die  doch  in  das  Bewusstsein  nicht  hineinkann.'*  Mit 
a.  W.:  Die  äusseren  Gegenstände  sind  nichts  als  die  objec- 
tivirten  d.  i.  nach  aussen  bezogenen  Vorstellungen  der  die- 
selben wahrnehmenden  Subjecte,  —  ein  subjectiver  Idealismus, 
der,  so  oft  er  auch  von  Philosophen  mag  geltend  gemacht 
werden,  doch  dem  Ungebildeten  und  das  heisst  in  diesem 
FaUe:  der  Erfahrung  und  dem  Leben  für  „verrückt**  gelten 
wird.  Und  wie  ist  U.  zu  diesem  Idealismus  gekommen? 
Auch  darüber  lässt  seine  Schrift  den  aufmerksamen  Leser 
nicht  im  Zweifel. 

In  einiger  Inconsequenz  gegen  den  aus  seiner  Auffassung 
der  Wahrnehmung  sich  ergebenden  subjectiven  Idealismus 
lässt  U.  das  wahrnehmende  Subject  doch  auch  wieder  mit 
(äusseren)  Gegenständen  in  Beziehung  und  Wechselwirkung 
treten.  Das,  was  die  Gegenstände  durch  ihre  Einwirkung 
auf  das  Subject  in  diesem  bewirken,  nennt  ü.  „Empfin- 
dung** und  „aus  der  Zusammenfassung  der  verschiedenen 
von  einem  und  demselben  Ding  in  uns  hervorgerufenen  .  .  . 
Empfindungen**  entsteht  das  Vorstellungsbild  eines  Gegen- 
standes (S.  23.)  Hier  ist  „Vorstellung**  offenbar  in  dem- 
selben Sinne  genommen,  in  welchem  auch  wir  das  Wort 
vorher  gebraucht  haben,  während  U.  unter  „Empfindung** 
dasjenige  versteht,  was  von  uns  „Eindruck,  Reiz,  Affection** 
des  Subjectes  genaimt  wird.  „Vorstellungen  nun  in  diesem 
Sinne,  also  objectivirte  Empfindungen  sind  die  objectivirten 
Bewusstseinsinhalte,  welche  in  den  Wahrnehmungen  und  Vor- 
stellungen höherer  Ordnung,  (ja  welche,  setzen  wir  hinzu, 
nach  U.  in  allem  Denken)  zu  ĂĽrtheilen  verbunden  werden** 

Philosoph.  MonaUhefte  1881,  VU  u.  VIII.  30 


466  Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens. 

(S.  24.)  Was  heisst  das  aber  anders  als:  alles  Vorstellen, 
Wahrnehmen,  Denken  erhebt  sich  ĂĽber  den  Empfindungen 
oder  den  Eindräcken,  welche  das  wahrnehmende  und  denkende 
Subject  von  den  mit  ihm  in  Wechselwirkung  stehenden 
Gegenständen  empf&ngt;  diese  Empfindungen  oder  Eindrücke 
sind  der  einzige  Inhalt,  die  alleinige  „Materie"  oder  Realität 
alles  Vorstellens  und  Denkens,  —  ein  neu  aufgewärmter 
Eantianismus ,  der  dem  in  der  Vemunftkritik  des  Meisters 
niedergelegten  so  ähnlich  sieht  wie  ein  Ei  dem  andern.  Zu 
diesen  Empfindungen  gehören  nun  auch  nach  U.  ganz  con- 
sequent  „die  Bewusstseinsinhalte  (wir  würden  mit  Günther 
sagen :  die  Ideen)  vom  Dasein  (Sein)  und  von  den  verschie- 
denen Beschaffenheiten  des  Gegenstandes",  denn  „Gedan- 
ken oder  Begriffe"  können  diese  Bewusstseinsinhalte  nicht 
sein.  Und  warum  nicht?  Weil  wir  die  Empfindungen 
einzeln  oder  mehrere  zusammen  vorstellen,  die  Begriffe 
aber  nicht  vorstellen,  sondern  nur  d  e  f  i  n  i  r  e  n  können.  Jeder 
Gedanke  oder  Begriff  besteht  zwar  aus  Empfindungen,  diese 
bilden  seinen  Inhalt,  aber  die  letzteren  erhalten  doch  nur 
dadurch  die  Form  des  Begriffes,  dass  mehrere  derselben  zu 
Aussagen  und  Urtheilen  miteinander  verbunden  werden. 
Aber  sind  die  Bewusstseinsinlialte  (Ideen)  des  Seins  u.  s.  w. 
auch  keine  Begriffe,  sind  sie  dann  schon  ohne  weiteres  und 
nothwendigerweise  Empfindungen?  Auch  U.  macht  sich  diesen 
unseres  Erachtens  wohlbegrĂĽndeten  und  beachtenswerthen  Ein- 
wurf, und  seine  Antwort  ?  Hier  ist  sie:  „Empfindungen  und 
Gedanken  (Begriffe)  machen  den  ganzen  Bestand 
unseres  Bewusstseins  aus,  auch  die  sorgsamste  Selbst- 
erforschung findet  keinen  anderen.  Sind  darum  die  fĂĽr  sieb 
allein  objectivirten  Bewusstseinsinhalte  keine  Gedanken  (Begriffe) 
so  sind  sie  nothwendiger  Weise  nichts  anderes  als  „Empfin- 
dungen, objectivirte  Empfindungen  oder  Vorstellungen"  (S.  24.) 
Zu  diesen  ob  zwar  beherzten  Versicherungen  können  wir 
nicht  Ja  und  Amen  sagen,  da  eine  wirklich  sorgsame  Selbst- 
erforschung unseres  Erachtens  das  Gegentheil  derselben  als 
Wahrheit  darthut.     Wie  so? 

Die  Erkenntnisstheorie   des    Verfassers   wurzelt   ebenso 
wie  die  Kant*s  in  der  Annahme,  dass  aller  Inhalt,  alle  Rea- 


JLbltI  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  467 

lit&t  unseres  Erkennens  einzig  und  allein  in  den  sog.  Empfin- 
dungen d.  i.  in  den  von  aussen  auf  uns  eindringenden  Ein- 
drucken, also  a  posteriori  gegeben  sei.  Allein  da  fragt  es 
sich  denn  doch  gar  sehr,  ob  diese  Kantische  Voraussetzung 
nicht  endlich  einmal  aufzugeben  sei  und  ob  man  nicht  besser 
zum  Ziele  komme,  wenn  angenommen  werde,  dass  die  pri- 
mitivste und  Hauptrealität,  welche  erkannt  werde  und  um 
welche  alles  ĂĽbrige  Erkennen  wie  um  seinen  Mittelpunkt  sich 
herumbewege,  gerade  umgekehrt  a  priori  im  Besitze  des  den- 
kenden und  erkennenden  Subjects  sich  befinde.  Um  ĂĽber 
die  Berechtigung  oder  Nicht -Berechtigung  einer  solchen  An- 
nahme entscheiden  zu  können,  ist  einzugehen  auf  eine  Unter- 
suchung des  Selbstbewusstseins,  des  Ich-Gedankens,  der,  neben- 
bei gesagt,  erfahrungsgemäss  unter  allen  Erdenwesen  nur  im 
Menschen,  nicht  auch  in  den  Thieren  vorkonomt,  so  sehr  auch 
manche  Neuere  geneigt  sind,  denselben  den  letzteren  eben- 
falls zu  vindiciren.  (Vergl.  z.  B.  Verhandlungen  der  philoso- 
phischen Gesellschaft  zu  Berlin.  18.  Heft.  Leipzig  1880. 
S.  2,  18  u.  19.) 

U.  behauptet  ganz  richtig:  „So  wenig  wir  an  der  Wirk- 
lichkeit unserer  (uns  bewussten)  Denkacte  zweifeln  können, 
ebensowenig  können  wir  an  der  Wirklichkeit  unseres 
Ich  zweifeln.  Ein  solcher  Zweifel  wäre  ja  wieder  ein 
Denkact  und  wĂĽrde  als  solcher  das  Ich  als  sein  innerstes  Wesen- 
constitutiv  nothwendig  fordern.  Das  Ich  ist  darum  fĂĽr  uns 
von  allem  Wirklichen  das  aUergewisseste*'  (S.  71  u.  72).  Sind 
diese  AussprĂĽche  richtig,  wie  ohne  alle  Umschweife  zugegeben 
werden  muss,  so  verlohnt  es  sich  doch  auch  wohl  der  MĂĽhe, 
nach  dem  Grunde  dieser  Gewissheit  des  Ich  und  nach  der 
Beschaffenheit  des  Ich  als  der  fĂĽr  uns  allergewissesten 
Wirklichkeit  zu  forschen.  Auch  U.  beschäftigt  sich  mit  die- 
sen gewichtigen  Gegenständen,  aber  leider  kann  den  Resul- 
taten seines  Nachdenkens  ĂĽber  dieselben  die  Siegespalme  nicht 
zuerkannt  werden.  „Das  Ich,  schreibt  er,  ist  nicht  eine  Rea- 
lität ausserhalb  unseres  Bewusstseins,  die  wir  erst  zu  su- 
chen und  festzustellen  hätten,  es  ist  vielmehr  das  Bewusst- 
sein  selbst''  (S.  72).  Je  bereitwilliger  wir  anerkennen,  dass 
in  der  ersten  Hälfte  dieses  Satzes  der  Grund,   um  dessent- 


468  Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens. 

willen  dem  Ich  unbezweifelbare  Gewissheit  zukommt,  wenig- 
stens durchklingt,  um  so  mehr  Veranlassung  haben  wir  aber, 
die  Richtigkeit  der  zweiten  Hälfte,  die  Identificirung  des  Ich 
mit  dem  Bewusstsein  desselben,  zu  beanstanden.  U.  fallt 
hier  wieder  ohne  Weiteres  in  Kant*s  Auffassung  des  Ich  zu- 
rĂĽck. Und  es  ist  ihm  mit  der  Identificirung  von  Ich  und 
Bewusstsein  so  sehr  Ernst,  dass  dieselbe  in  seinem  Buche  bei 
jeder  sich  darbietenden  Gelegenheit  wiederholt  wird  (vergl. 
S.  8,  26,  29,  71 — 73).  Aber  schon  aus  seiner  eigenen  Dar- 
stellung hätte  U.  von  der  Unrichtigkeit,  ja  gänzlichen  Ver- 
kehrtheit dieser  Auffassung  sich  überzeugen  können.  Zwar 
behauptet  er  u.  E.  sehr  fälschlich:  „Das  Bewusstsein 
verbindet  wie  die  Vorstellungen  so  die  Worte ...  zu  Sätzen" 
(S.  72),  aber  er  behauptet  auch  in  diametralem  Gegensatze 
hierzu:  „Ich  selbst  bin  es,  der  mit  seinem  Bewusstsein 
die  .  .  .  Gedanken  erfasst,  bezieht,  verbindet'^  (S.  8).  Er 
unterscheidet  ferner  in  Uebereinstimmung  hiermit  „das  Ich" 
von  „seinen  Thätigkeiten,  Leidenheiten  und  Zuständen*^  (S.  56), 
er  nennt  das  Ich  „das  denkende  Princip  in  uns" 
(S.  71).  Ist  aber  das  Ich  in  der  That  das  Princip  des 
(selbstbewussten)  Denkens  in  uns,  so  kaim  es  auch  nicht 
mehr  als  mit  dem  Denken  und  Bewusstsein  schlechthin  iden- 
tisch behandelt  werden.  Und  nun  erhebt  sich  die  Frage 
nach  der  richtigen  Verhältnissbestimmung  des  Ich  zum  Den- 
ken und  Bewusstsein  desselben.  Wir  können  hier  nur  auf 
einige  Punkte  aufmerksam  machen,  die  für  die  Lösung  des 
Problems  von  massgebender  Bedeutung  sind. 

Der  Verfasser  bespricht  S.  87  fg.  das  Verhaltniss  von 
„Wesen*'  (Substanz  oder  Sein)  und  „Erscheinung"'  der  Dinge. 
Er  schreibt:  „Wir  unterscheiden  in  jedem  Ding  sein  Wesen 
(besser:  das  Ding  als  solches)  von  seinen  Aeusserungen,  Be- 
wegungen, Thätigkeiten.''  Ja!  und  ist  diese  Unterscheidung 
etwa  nicht  richtig?  Können  wir  jemals  von  ihr  loskommen? 
Wir  sagen:  Ich  denke,  ich  will,  ich  fĂĽhle.  Denken,  Wollen, 
Fühlen  sind  Aeusserungen,  Thätigkeiten,  das  Ich  das  in  die- 
sen Thätigkeiten  sich  Bethätigende,  das  sich  bethätigende  Ding 
(Princip).  Ebenso  ist  es  in  der  Körperwelt.  Das  Wasser  gefriert, 
dampft,   fluthet.      Gefrieren,    dampfen,   fluthen   sind   wieder 


Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  469 

Aeusserungen,  Bewegungen  des  Wassers  als  des  sich  bewe- 
genden Dinges.  Können  etwa  die  Aeusserungen,  sei  es  ein- 
zeln oder  in  ihrer  Gesammtheit,  mit  dem  (sich  äussernden) 
Dinge  als  solchem  identisch  gesetzt  werden?  AberĂĽ.  alterirt 
sofort  schon  das  Verhältniss  des  Dinges  zu  seinen  Aeusse- 
rungen, denn  er  fahrt  fort:  „Wir  nennen  die  Aeusserungen, 
Bewegungen  und  Thätigkeiten  die  Erscheinung  des  Din- 
ges. Das  Wesen  ist  uns  das  Innere  des  Dinges,  die  Er- 
scheinung sein  Aeusseres,  das  Wesen  soll  hinter  der  Er- 
scheinung verborgen  sein  und  sich  nicht  unmittelbar  selbst, 
sondern  mittelbar  durch  die  Erscheinung  zu  erkennen 
geben."  Richtig  ist  hier,  dass  sich  das  Ding  als  solches  nicht 
unmittelbar,  sondern  nur  mittelbar  durch  seine  Aeusserungen, 
Thätigkeiten,  mit  einem  Worte:  Erscheinungen  uns  zu  erken- 
nen gibt.  Oder  wissen  wir  von  dem  Ich  anders  als  durch 
Vermittelung  seiner  Erscheinungen  und  durch  RĂĽckschluss 
aus  diesen  auf  es  selbst  als  das  in  diesen  sich  offenbarende  Prin- 
cip?  Und  wĂĽrden  wir  wohl  von  irgend  einem  Dinge  der 
Aussenwelt  irgend  eine  Kenntniss  haben,  wenn  dasselbe  nicht 
direct  oder  indirect  auf  uns  einwirkte,  wenn  es  sich  also 
durch  seine  Thätigkeiten,  Erscheinungen  uns  nicht  zu  erken- 
nen gäbe  ?  Aber  so  gewiss  das  Alles  ist,  so  ist  es  doch  ver- 
kehrt, wenn  ü.  versichert:  „Das  Wesen  (das  Ding  als  sol- 
ches) ist  uns  das  Innere  des  Dinges,  die  Erscheinung  sein 
Aeusseres"  oder  „die  Erscheinung  ist  die  Aussenseite  des 
Dinges,  das,  mit  dem  das  Ding  aufhört."  Nein!  Das  Ding 
als  solches  ist  nicht  das  Innere  seiner  selbst  und  seine  Er- 
scheinung sein  Aeusseres,  so  dass  da,  wo  die  Erscheinung 
anfangt,  das  Ding  selbst  aufhört,  sondern  das  Ding  und  seine 
Erscheinung  sind  die  beiden  Seiten  einer  Einheit,  von 
denen  jede  von.  der  anderen  aber  in  sehr  verschiedener  Weise 
bedingt  und  abhängig  ist.  Die  Erscheinung  ist  von  dem  Dinge 
abhängig  insofern,  als  jene  nicht  im  leeren  Nichts  schwe- 
ben kann,  sondern  in  und  an  dem  Dinge  wurzelt  und 
entweder  von  ihm  allein  oder  von  ihm  in  Wechselwirkung 
mit  anderen  Dingen  verursacht  ist.  Aber  das  Ding  ist 
auch  von  seiner  Erscheinung  abhängig  insofern,  als  jenes  in 
und  durch  diese  seine  Bestimmtheit  erreicht,   das  wird 


470  Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens. 

oder  zu  dem  sich  entwickelt,  was  es  werden  kann.  Und 
eben  diese  beiderseitige,  wenn  auch  ganz  verschieden  geartete 
Abhängigkeit  von  Ding  und  Erscheinung  offenbart  dem  scharf- 
sinnigen Beobachter  zur  GenĂĽge,    dass  beide,   jenes   ak  be- 
stimmtes, diese  als  Bestimmtheit  von  jenem  nichts  ur- 
sprĂĽngliches,  primitives   sind,    sondern   einer   gemeinsamen, 
tiefer   liegenden  Wurzel   entstammen,    nämlich   dem   unbe- 
stimmten Sein,   welches  eben  dadurch,   dass  es  in  die  Er- 
scheinung eingegangen,  zu  einem  bestimmten  Sein,  d.  i.  zu 
einem  Dinge  geworden  ist.    Es  ist  daher  auch  nicht  wahr, 
was  U.  behauptet,  wenigstens  in  dem  Sinne  nicht,  wie  er  es 
behauptet,  dass  die  Unterscheidung  von  Ding  und  Erscheinung 
„in  den  Dingen  einen  unveränderlichen  Seinskem"  voraus- 
setze, viehnehr  ist  zuzugeben,  dass  „alle  Veränderungen,  die 
das  Ding  durchläuft,  Veränderungen  des  Dinges  (selbst)  sind", 
dass    „sie   nicht   bloss   sein  Aeusseres,   sondern  das  Ding 
innerlichst  treffen*',    dass  die  Dinge  „sich  beständig  ver- 
ändern und  entwickeln".     Aber  folgt  daraus  auch  schon, 
wie  U.  will,    dass  die  Dinge  schlechterdings  nichts  sind  als 
„Erscheinung,    nach  innen  und  aussen  Bewegung"  und  dass 
somit  „die  Jagd  der  Philosophen  nach  dem  geheinrnissvoUen, 
tief  verborgenen,  räthselhaften  Wesen   der  Dinge  (d.  i.  nach 
den  Dingen  als  solchen  im  Unterschiede  von  ihren  Erschei- 
nungen und  Bewegungen)  eine  Jagd  nach  Phantomen  ist"? 
Oder  hat  U.  in  der  That  bewiesen,    dass   „wir  den  philoso- 
phischen Begriff  der  Substanz  imd  des  Accidenz  so  wenig 
wie  den  populären  des  Wesens  (des  Dinges)  und  der  Erschei- 
nung gebrauchen  können",  da  „der  erstere  ja  nur  eine  Con- 
sequenz  des  letzteren  ist"?    Wir  wissen  zwar  sehr  gut,  dass 
die  neueren  Philosophen  in  dem  in  Rede  stehenden  Gegen- 
stände fast  ausnahmslos  auf  der  Seite  des  Verfassers  stehen 
und  dass  derjenige,   welcher  nach  wie  vor  die  von  uns  vor- 
getragene gegentheilige  Auffassung  in  Schutz  nimmt,  das  Wort 
des  Wandsbecker  zu  beherzigen  hat: 

Greif  nicht  leicht  in  ein  Wespennest, 
Doch,  wenn  du  greifst,  so  stehe  fest. 

Aber  emen  solch'  festen  Standpunkt  fĂĽr  die  Kritik  seiner  An- 
sicht bietet  uns  U.  selbst  dar  durch  das,   was  er  ĂĽber  den 


Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  471 

Grund  unserer  Unterscheidung  der  Dinge  nach  Substanz  und 
Accidenz,  Sein  und  Erscheinen  zum  Besten  gibt.  Er  schreibt 
(S.  91  u.  92): 

„Der  Wesensbegriff  (d.  i.  der  Begriff  des  Dinges  als  sol- 
chen im  Unterschied  von  seinen  Erscheinungen)  hat  seinen 
Grund  in  der  falschen  Annahme,  dass  wir  ein  Ding  durch 
einen  einzigen  Begriff  zu  denken  vermögen,  zu  der  uns 
der  unser  Denken  beherrschende  Substantivs  atz  oder  das 
Urtheil  verfĂĽhrt.  Im  Subject  des  ĂĽrtheils  suchen  wir 
nämlich  einem  Einzelding  seinen  Ausdruck  zu*  geben  und  von 
diesem  sich  gleichbleibenden  Subject  sagen  wir  die  Verände- 
rungen des  Einzeldinges  als  seine  Prädikate  aus.  Das  Sub- 
ject wird  uns  so  zum  Ausdruck  für  das  unveränderliche 
Wesen  des  Dinges,  die  Prädikate  drücken  die  wechseln- 
den Veränderungen  des  Dinges  aus.  Natürlich,  setzt' 
U.  hinzu,  reden  wir  nur  von  ĂĽrtheilen,  welche  sowohl  im 
Subject  als  Prädikat  eine  Wirklichkeit  zum  Ausdruck  brin- 
gen, nicht  von  solchen,  die  einen  Begriff  in  seine  Merk- 
male zerlegen.  Es  handelt  sich  ja  eben  um  das  Wesen, 
welches  den  Kern  der  wirklichen  Dinge  ausmachen  soU.^^ 

Wir  fragen:  Kann  die  uns  unvermeidliche  Unterschei- 
dung der  Dinge  nach  Sein  und  Erscheinung,  Substanz  und 
Accidenz  in  der  That,  wie  ü.  will,  in  „der  falschen  Annahme" 
begründet  sein,  dass  „wir  ein  Ding  durch  einen  einzigen 
Begriff  zu  denken  vermögen"?  Ja  könnte  jene  Unterschei- 
dung ĂĽberhaupt  nur  in  unserm  Denken  auftreten,  wofern  die 
Erkenntnisstheorie  des  Verfassers  eine  vollständige  und  rich- 
tige wäre?  Gewiss  nicht.  Und  warum  nicht?  Aus  dem  ein- 
fachen Grunde,  weil  U.  (mit  Kant)  den  Inhalt,  die  Materie 
oder  Realität  unseres  Denkens  und  Erkennens  einzig  und 
allein  auf  die  Eindrücke  oder  Empfindungen  beschränkt, 
welche  die  Dinge  durch  Einwirkung  auf  uns  in  uns  hervor- 
rufen. Diese  EindrĂĽcke  oder  sogen.  Empfindungen  sind  in 
letzter  Instanz  das  Object  und  zwar  das  einzige  Object,  wel- 
ches von  dem  Subject  in  die  Formen  der  Vorstellung,  der 
Wahrnehmung  und  des  Begriffs,  d.  i.  in  die  dem  Subjecte 
eigenthĂĽmlichen  Gedankenformen  erhoben  wird.  Allein  fallen 
denn  die  erwähnten  Eindrücke  oder  Empfindungen  nicht  offen- 


472  Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens. 

bar  sammt  und  sonders  in  die  Klasse  der  blossen  Erschei- 
nung?   Sind  sie  nicht  alle  ohne  Ausnahme  eben  nichts  als 
so  oder  so  modificirle  Affectionen  des  Subjects?  Ist  aber 
dieses  ganz  unläugbar  der  Fall,   wie  sollen  dieselben  dann, 
wofern  sie  in  der  That  das  einzige  Object  des  Denkens 
sind,   dem  denkenden  Subjecte  die  Veranlassung  bieten  kön- 
nen, die  Dinge,  auf  welche  jene  zu  Vorstellungen,  Wahrneh- 
mungen oder  Begriffen  verarbeiteten  Affectionen  bezogen  wer- 
den,   nach  Sein  und  Erscheinung,   Substanz  und  Acddenz 
zu  unterscheiden?    Die  UnmögUchkeit  hierzu  liegt  doch  son- 
nenklar zu  Tage.    Aber  das  eben  ist  der  gewaltige  Irr- 
thum  der  Kant*schen  und  ebenso  der  ĂĽphues'schen  Erkennt- 
nisstheorie,   dass  alle  Realität  oder  aller  Inhalt  unseres  Den- 
kens   lediglich    aus    den    Empfindungen    oder    empfangenen 
'EindrĂĽcken  herfliesse,  also  a  posteriori  gegeben  werde,  denn 
die  Empfindungen  oder  EindrĂĽcke  sind  doch  nur  EindrĂĽcke 
des  sie  zu  Vorstellungen,  Wahrnehmungen  oder  Begriffen  ver- 
arbeitenden Subjects.     Gibt  es  nun  aber  Subjecte,   welche 
ihre  Empfindungen  nicht  bloss  in  die  erwähnten  Gedanken- 
formen umsetzen,    sondern  welche  aus  diesen  inneren  Vor- 
gängen zugleich  sich  selbst  als  Subject  im  Gedanken  gewin- 
nen, was  bei  jedem  zum  Selbstbewusstsein  oder  Ich-Gedanken 
erwachenden  Menschen  der  Fall  ist,  —  liegt  dann  die  Ver- 
muthung  so  gar  weit,  dass  ein  derartiges  Subject  doch  auch 
an  sich  selbst  als  solchem  im  Unterschiede  von  seinen 
Empfindungen  ein  Object,  einen  Inhalt  und  eine' Realität  des 
Denkens  und  Erkennens  habe,  welche  ihm  nicht  a  posteriori 
könne  zugeströmt  sein,    da  es  selber  diese  Realität  ist  und 
es  sich  selber  doch  (wenn   auch  primitiv  noch  nicht  in  der 
Form  des   selbstbewussten  Subjects),    a   priori   gegeben 
sein  muss?    Und  was  hindert  nun  dem  Gedanken  Raum  zu 
geben,  dass  ein  derartiges  Subject,  welches  die  Sprache  mit 
dem  Worte  „Ich"  oder  „Geist"  bezeichnet,    gerade  durch 
die  Unterscheidung,    die   es  an  sich  selbst  zwischen  ihm  als 
solchem  und  seinen  Empfindungen  macht,  die  gegensätzlichen 
Gedanken  des  Seins  und  der  Erscheinung,  der  Substanz  und 
des  Accidenzes  gewinne  und  dass  jenes  aus  keinem  anderen 
Grunde  auch  genöthigt  sei,  jeden  m  sein  Bewusstsein  eintre- 


Karl  Uphues:  Das  Wesen  des  Denkens.  473 

tenden  Gegenstand  unter  denselben  Bestimmungen  (Katego- 
rien) zu  denken,  als  weil  es  dieselben  zuvor  in  und  an  sich 
selbst  gefunden  und  festgestellt  hat?  Will  man  daher  der 
Genesis  der  Kategorien,  d.  i.  der  Gedanken  des  Seins  und 
der  Erscheinung,  der  Substanz  und  des  Accidenzes  u.  s.  w. 
endlich  einmal  auf  den  Grund  sehen  und  dadurch  in  die  Lage 
kommen,  etwas  Stich-  und  Probehaitigeres  als  seither  ĂĽber 
den  Inhalt  und  die  Realität  dieser  Gedanken  vorzulegen, 
—  eine  Aufgabe,  mit  der  das  Schicksal  der  Philosophie  als 
Wissenschaft  fĂĽr  die  Gegenwart  und  Zukunft  im  allerengsten 
Zusammenhange  steht,  -  so  ist  der  Weg,  den  man  hierzu 
einzuschlagen  und  zu  wandeln  hat,  jedem  Einsichtigen  von 
selber  gewiesen.  Es  genĂĽgt  nicht  darzuthun,  in  welcher  Art 
der  Mensch  seine  Empfindungen,  d.  i.  die  von  aussen  em- 
pfangenen EindrĂĽcke  zu  Vorstellungen,  Wahrnehmungen  und 
Begriffen  verarbeite,  um  dann  diese  Gedankenformen  als 
die  einzig  möglichen  auszugeben  und  in  ihnen  nach  Herzens- 
lust sich  herumzutummeln,  sondern  von  grösserem  und 
entscheidendem  Gewichte  ist  einzig  und  allein  der 
Nachweis,  auf  welchen  inneren  Vorgängen  es  beruht,  dass 
der  Mensch  nicht  nur  die  erwähnten  Denkformen  ausprägt, 
sondern  zu  denselben  zugleich  auch  als  Subject  im  Gedanken 
sich  gewinnt,  d.i.  seiner  selbst  bewusst,  ein  Ich  wird, 
da  er  als  solches  offenbar  nicht  schlechthin  gegeben,  sondern 
das  Resultat  eines  in  ihm  sich  vollziehenden  Processes  ist. 
Diese  Untersuchung  hat  der  Verfasser  der  von  uns  kritisirten 
Arbeit  mit  keiner  Silbe  berĂĽhrt,  und  eben  daher  ist  es  ge- 
kommen, dass  er  den  verhängnissvollen  Fehler  vieler  seiner 
Vorgänger,  den  Geist  des  Menschen  mit  dem  Bewusstsein 
desselben  schlechthin  zu  identificiren,  abermals  begangen  hat. 
So  bereitwillig  wir  demnach  auch  anerkennen,  dass  die  Schrift 
des  Verfassers  vor  vielen  anderen  der  Gegenwart  durch  Klar- 
heit, Scharfsinn  und  Gründlichkeit  sich  auszeichne,  so  können 
wir  zu  unserem  Bedauern  in  derselben  eine  Lösung  des  gros- 
sen Problems,  welches  dem  Philosophen  in  der  Frage  nach 
dem  „Wesen  des  Denkens**  sich  entgegenwirft,  doch  nicht 
erblicken.  Aber  der  Verfasser  setze  sich  noch  einmal  an  die 
Aufgabe,  er  schärfe  sein  Auge  statt  mit  den  Gedanken  eines 


474  William  Wallace:  Chief  aneient  philosophies. 

Kant  und  Plato  mit  denen,  welche  der  Wiener  PhOosoph 
Anton  GĂĽnther  ĂĽber  den  doppelten  im  Menschen  sich 
vollziehenden  Denkprocess,  den  des  Begriffs  und  der  Idee, 
zu  Tage  gefördert,  und  er  wird  gewiss  die  Mängel  seiner 
bisherigen  Auffassungen  entdecken  und  Leistungen  hervor- 
bringen, die  ein  bleibender  Gewinn  fĂĽr  die  Wissenschaft  und 
ihre  hohen  Interessen  sein  werden. 

Breslau.  Weber. 


Chief  aneient  philesophies.  Epicureanism.  By  Wäliam  Waäace 
M.  A.  fellow  and  tutor  of  Merton  College,  Oxford.  London, 
Society  for  promoting  Christian  knowledge.  1880.  (VIII, 
270  S.)   80. 

Dies  Werk  gibt  ein  ĂĽbersichtliches  Bild  des  Epicureismus 
auf  Grund  eingehenden  Quellenstudiums,  jedoch  mit  steter 
Bezugnahme  auf  und  AnknĂĽpfung  an  diejenige  moderne  Denk- 
weise, welche  gegenwärtig  in  England  unter  dem  Einfluss  Stuart 
MilVs,  Bain's  und  anderer  Empiristen  gang  und  gäbe  ist.  Der 
Verfasser  hat  dabei  mit  grossem  Geschick  die  richtige  Mitte 
zu  halten  gewusst  zwischen  einer  rein  gelehrten  und  einer 
bloss  populären  Darstellung,  so  dass  sein  Buch  eine  ebenso 
anmuthende  als  unterrichtende  Leetüre  gewährt.  Anhebend 
mit  einer  Einleitung,  worin  die  Stellung  des  epicureischen 
Systemes  zu  den  übrigen  Hauptlehrgebäuden  der  hellenischen 
Philosophie  bezeichnet  und  namentlich  dessen  Gegensatz  zum 
Stoicismus  scharf  hervorgehoben  wird,  geht  der  Verfasser 
im  zweiten  und  dritten  Kapitel  zur  äusseren  Geschichte  des 
Epicureismus  fort,  indem  er  zuerst  Epicur's  Leben  und  cultur- 
historische  Stellung  in  sehr  interessanter  Weise  schildert,  so- 
dann von  dem  Wesen  und  Bestand  der  epicureischen  Bruder- 
schaft handelt.  Im  vierten  Kapitel  ĂĽber  die  QueUen  der  epi- 
cureischen Lehre  und  die  Schriften  Epicurs  hat  der  Verfasser 
den  letzteren  Punkt  etwas  zu  summarisch  behandelt,  insofern 
er  zwischen  den  verschiedenen  Klassen  dieser  Schriften  und 
den  darin  gebrauchten  Stilarten  keinen  Unterschied  macht 
Freilich  liegt  der  Text  dieser  Schriften  bisher  durchweg  im 
Argen  und  ist  auch  durch  die  GobeVsche  Diogenes-Ausgabe 


William  Wallace:  Chief  andent  philosophies.  475 

nicht  eben  verbessert  worden,  indessen  weisen  doch  deutliche 
Spuren  darauf  hin,  dass  Epicur's  Stil  nicht  immer  so  lottrig 
war,  wie  in  den  grossen,  als  blosse  Hypomnemata  zu  betrach- 
tenden Schriften,  die  zur  Herausgabe  nicht  bestimmt  gewesen 
zu  sein  scheinen.  Nachdem  im  fĂĽnften  Kapitel  eine  allge- 
meine kurze  Uebersicht  des  Systems  gegeben  wordeh  ist, 
beschäftigt  sich  das  sechste  mit  der  naturwissenschaftlichen, 
das  siebente  mit  der  ethischen  Seite  desselben,  jenes  wesent- 
lich im  Anschluss  an  Lucretius,  dieses  an  Epicurs  dem  Me- 
noeceus  geschriebenen  Brief.  Im  achten  Kapitel  geht  der 
Verfasser  auf  die  epicureische  Atomentheorie  näher  ein,  er- 
örtert ihr  Verhältniss  zur  entsprechenden  democritischen  so- 
wie leibnizischen  Lehre  und  fĂĽgt  weitere  Bemerkungen  hinzu, 
welche  bei  aller  Anerkennung  der  Schwächen  der  epicurei- 
schen  Naturlehre  ĂĽberwiegend  gunstig  ausfallen.  Im  neun- 
ten Kapitel  wird  die  Kosmologie  und  Theologie  Epicurs  be- 
sprochen, im  zehnten  die  Logik  und  Psychologie  der  Schule 
skizzirt;  das  elfte  und  letzte  gibt  eine  historische  Uebersicht 
und  schliesst  mit  einer  GesammtwĂĽrdigung  des  Systems,  ĂĽber 
welches  zuletzt  der  Verfasser  sich  folgendermassen  auslässt: 
„(des  Epicureismus)  ernste  Einfachheit  steht  zu  der  Verfeine- 
rung (modemei')  ästhetischer  Empfindung  im  Gegensatz,  seine 
nüchterne  Humanität  beschämt  die  selbstsüchtige  Lust,  seine 
ungekĂĽnstelte  Sprache  bedarf  nicht  des  Aussenwerks  utilitari- 
scher  Systeme ;  was  der  Epicureismus  lehrte,  war  die  Einheit 
und  Harmonie  des  menschlichen  Wesens,  und  sein  Ziel  war, 
das  Leben  in  sich  vollgenügend  zu  machen  und  unabhängig 
von  jedweder  äusseren  Gewalt.  Heiter  und  ernst  zugleich 
fasste  der  Epicureer  diese  gegenwärtige  Welt  als  sein  Alles 
auf  und  hoffte  in  ihr  mittels  der  Vernunft  sich  einen  Hinunel 
zu  schaffen.  An  gar  Manchem  ist  der  Epicureismus  achtlos 
vorüber  gegangen,  aber  in  seiner  fröhlichen  Hinnahme  der 
Thatsächlichkeit  unseres  menschlichen  Lebens  und  der  allge- 
meinen Naturgesetze,  in  dem  Gewicht,  das  er  auf  die  Freun- 
desliebe als  das  grosse  HĂĽlfsmittel  moralischen  Fortschritts 
legte,  und  in  seiner  Verwerfung  des  die  Busse  als  Zucht  miss- 
verstehenden Ascetenthums  verkĂĽndete  der  Epicureismus  Ele- 
mente der  Wahrheit,  welche  die  Welt  nicht  wieder  verlieren 


476  William  Wallace:  Chief  ancient  philosophies. 

darf."  Ist  Ref.  auch  nicht  geneigt,  in  diese  emphatische  Lob- 
rede mit  einzustinmien ,  bei  der  die  grossen  und  bekannten 
Schattenseiten  des  geschilderten  Systems  ganz  in  den  Hinter- 
grund treten,  so  muss  er  Herrn  Wallace  doch  darin  Recht 
geben,  dass  die  epicureische  Denkweise  als  Widerhalt  gegen 
den  beim  Sinken  der  klassisch-antiken  Welt  gewaltig  um  sich 
greifenden  Aberglauben  und  Götzendienst  eine  nicht  abzu- 
leugnende Rerechtigung  und  nicht  zu  unterschätzende  Wich- 
tigkeit hatte,  auch  in  der  That  dem  BedĂĽrfhiss  weiter  Kreise 
als  eine  leichtverständliche  und  recht  bequeme  Lebensweis- 
heit tröstlich  entgegenkam.  Aber  nicht  minder  gewiss  scheint 
es  ihm  zu  sein,  dass  der  Epicureismus  in  weniger  edel  und 
fein  organisirten  Naturen,  als  die  seines  Stifters  war,  zumal  unter 
den  Römern,  in  jene  Abwege  führen  musste,  in  welche  er 
thatsächlich  geführt  hat  und  wodurch  die  Bekenner  der  Lehre 
in  ähnliche  Wesen  wie  die  Gefährten  des  Odysseus  beim 
Tranke  der  Ch'ce  verwandelt  wurden,  daher  schon  Horaz, 
der  selbst  eine  Art  Epicureer  ist,  die  „Epicuri  de  grege  por- 
cos^^  anfĂĽhrt.  Wissenschaftlich  angesehen  hat  der  Epicureis- 
mus uls  ein  Mischmasch  von  WidersprĂĽchen  sehr  geringen 
Werth  (von  denen  ich  einige  im  vorigen  Jahre  bei  Gelegen- 
heit der  Besprechung  des  Guyau'schen  Werkes  „La  morale 
d'Epicure"  [vgl.  PhĂĽos.  Monatshefte  Bd.  XV  p.  417  folgg.] 
schon  einmal  angedeutet  habe),  und  auch  das  Lob,  dass  diese 
Lehre  die  Atomentheorie  wesentlich  gefördert  und  die  aus- 
nahmslose Geltung  der  Naturgesetzlichkeit  aufgestellt  habe, 
verlangt  bei  näherem  Zusehen  sehr  eingeschränkt  zu  werden. 
Die  wissenschaftliche  Atomentheorie  der  Gegenwart  hat  mit  der 
der  Alten  nicht  mehr  als  den  Namen' gemein,  und  datirt,  wenn 
sie  einmal  in  genealogischen  Zusammenhang  mit  den  antiken 
Lehren  gebracht  wird,  schon  von  denPythagoreern  und  Leukipp. 
Was  aber  die  Ausnahmslosigkeit  der  Naturgesetze  angeht,  so 
ist  diese  ein  moderner  Begriff  der  mechanistischen  Weltan- 
schauung, welcher  mit  dem  Satze  ^ta  tuxI  ovh  expfim  gar 
nicht  stimmt,  jenem  Satze,  der  zwar  auf  Aristipp  zurĂĽck- 
gefĂĽhrt wird,  aber  auch  dem  Individualismus  Epicurs  durch- 
aus entspricht.  C.  S. 


Hartmaim:  Die  Krisis  des  Ghristenthums  in  d.  modernen  Theologie.    477 

Die  Krisis  des  Christenthums  in  der  modernen  Theologie.    Von 

Eduard  v.  Hartmann.    Berlin,    Carl  Duncker's  Verlag  (C. 

Heymann).  1880.  (XVI,  115  S.)  %\ 
In  dem  1874  erschienenen  kleinen  Werke:  „die  Selbst- 
zersetzung des  Christenthums  und  die  Religion  der  Zukunft^^ 
suchte  Herr  v.  Hartmann  den  Beweis  zu  fuhren,  dass  der 
liberale  Protestantismus  weder  auf  dem  Boden  des  eigent- 
lichen Christenthums  zu  stehen  behaupten  dĂĽrfe,  noch  im 
Stande  sei,  dem  religiösen  Bedürfniss  eine  wahre  Befriedigung 
zu  bieten.  Das  vorliegende  Buch  geht  nun  in  derselben  Rich- 
tung noch  einen  Schritt  weiter,  indem  es  zeigen  will,  „dass 
auch  der  speculative  Protestantismus  im  engem  und  im 
weitem  Sinne  nur  noch  theils  durch  gewaltsame  Fictionen, 
theils  durch  Inconsequenzen  gegen  seine  eigenen  Principien 
den  Schein  einer  innern  Zusammengehörigkeit  vorzuspiegeln 
vermag,  dass  er  aber  nicht  wie  der  vulgäre  liberale  Proter 
stantismus  der  Irreligiosität  oder  der  Werthlosigkeit  für  das 
religiöse  Bewusstsein  geziehen  werden  kann."  „In  ihm",  so 
fahrt  V.  Hartmann  fort,  „vollzieht  sich  die  geschichtliche  Krisis 
des  Christenthums,  d.  h.  in  ihm  gelangt  dasselbe  an  den 
Wendepunkt,  wo  ein  neues,  dem  christlichen  entgegengesetztes 
religiöses  Princip  in  scheinbar  noch  christlichen  Formen  ins 
Leben  tritt,  wo  die  letzte  Stufe  der  Selbstzersetzung  des 
Christenthums  sich  zugleich  als  die  Geburtsstätte  einer  neuen 
Zukunftsreligion  erweist,  welche  wesentlich  dieselben  ZĂĽge 
trägt,  die  ich  der  Zukunftsreligion  pro^osticirt  hatte." 

Diesem  Programm  gemäss  handelt  von  Hartmann  in 
einem  ersten  Abschnitt  seines  Buches  von  der  unheilbaren 
Auflösung  dessen,  was  er  als  das  christliche  Centraldogma 
betrachtet,  der  Lehre  von  der  Erlösung  durch  das  Blut  Christi, 
indem  er  zeigt,  dass  die  moderne  protestantische  Theologie 
von  Schleiermacher  an  sich  von  der  Christologie  der  alten  Dog- 
matik  mehr  oder  weniger  abgewandt  habe.  Die  drei  folgen- 
den Abschnitte  aber,  „der  speculative  Protestantismus",  „der 
theologische  Neukantianismus",  „neuhegelsche  und  neukan- 
tische  Dogmatik"  sind  kritische  Auseinandersetzungen  mit 
Otto  Pfleiderer  als  Religionsphilosophen,  R.  A.  Lipsius  und 
AI.  Em,  Biedermann  als  Dogmatikera,  welche  von  Hartmann  als 


478    Hartmann:  Die  Krisis  des  Christen thums' in  d.  modernen  Theologie. 

die  maassgebenden  Repräsentanten  des  „speculativen^^  Pro- 
testantismus ansieht,  und  der  letzte,  fĂĽnfte  Abschnitt  han- 
delt von  dem  religiösen  Grundphänomen  als  Quellpunkt 
der  Zukunftsreligion  sowie  im  Umriss  von  dieser  selbst, 
wobei  V.  Hartmann  sie,  die  Zukunftsreligion,  als  in  der  Spe- 
culation  jener  seiner  Vorgänger  schon  wirksam,  aber  darin 
als  nur  noch  nicht  recht  zum  Durchbruch  gekommen  be- 
trachtet 

Sonach  kann  der  leitende  Gesichtspunkt  des  Werkes  wohl 
so  gefasst  werden:  Nachdem  sich  an  den  drei  Hauptreprä- 
sentanten des  speculativen  Protestantismus  die  Unmöglichkeit 
gezeigt  hat,  bei  der  specifisch  christlichen  Lehre  länger  zu 
verharren,  muss  zu  einer  neuen  Religion  (dem  sog.  concreten 
Monismus)  ĂĽbergegangen  werden,  dessen  erste  Spuren  oder 
embryonale  Formen  sich  in  den  Werken  jener  drei  Männer 
allerdings  schon  zeigen,  der  aber  erst  in  der  Hartmann'schen 
Lehre  zum  vollen  Durchbruch  und  Ausdruck  gelangt. 

Gesetzt  nun,  v.  Hartmann  hätte  Recht  und  jene  drei 
Männer  wären  nicht  sowohl  Repräsentanten  des  Christenthoms 
als  —  wenn  auch  unbewusster  Weise  —  Vertreter  seiner 
Zukunftsreligion  —  was  würde  daraus  folgen  ?  Offenbar  doch 
nicht  die  Krisis,  soll  heissen  „das  Ende  des  Ghristenthums'', 
sondern  nur  die  Krisis,  d.  h.  Unhaltbarkeit  derjenigen  Art  von 
Speculation,  welche  jene  Männer  vertreten.  Das  wäre  schon 
möglich.  Allein  aus  der  Unhaltbarkeit  jener  Art  von  Specu- 
lation das  Ende  des  Ghristenthums  selbst  zu  folgern,  wäre 
nur  dann  richtig,  wenn  nachgewiesen  wĂĽrde,  dass  das  Ghri- 
stenthum  keine  andere  Art  der  Betrachtung  zuliesse,  als 
welche  jene  drei  Männer  angestellt  haben.  Das  hat  v.  Hart- 
mann jedoch  nicht  gethan  und  kann  er  nicht  thun.  Wie  es 
heisst :  multi  f uerunt  ante  Agamemnona  fortes,  so  mögen  auch 
noch  andere  wissenschaftliche  Vertheidiger  des  Ghristenthums 
vorhanden  sein  oder  in  Zukunft  auferstehen,  welche  dessen 
Geist  besser  aufgefasst  haben  und  reiner  vertreten,  als  jene 
drei.  Wäre  nun  dies  der  Fall  —  und  wie  könnte  man  es 
ohne  ausdrücklichen  Gegenbeweis  leugnen?  —  so  würde  sich  die 
Sache  anders  steUen,  als  v.  Hartmann  sie  darlegt.  Auch  das 
wäre  noch  zu  bedenken,  ob  nicht  das  Stehen  oder  Fallen  desGhri- 


Uartmann:  Die  Krisis  des  Ghristenthams  in  d.  modernen  Theologie.    479 

stentbums  von  den  Resultaten  der  Speculation  ĂĽberhaupt  ganz 
unabhängig  sei.  Aus  dem  Umstände,  dass  drei  Repräsentanten 
dieser  letzteren,  welche  v.  Hartmann  sich  aus  vielen  Anderen 
herausgreift,  nicht  sowohl  auf  dem  specifisch  christlichen,  als 
auf  dem  Boden  seiner,  der  Hartmann'schen  Religionsansicht 
zu  stehen  scheinen,  lässt  sich  also  wahrlieh  nicht  sogleich 
das  Ende  des  Christenthums  folgern. 

Ref.  will  sich  jedoch  hier  nicht  auf  die  Frage  einlassen, 
wie  es  mit  der  Haltbarkeit  oder  Nichthaltbarkeit  der  christ- 
lichen Religion  gegenĂĽber  den  wahren  oder  vermeintlichen 
Resultaten  der  modernen  Wissenschaft  stehe,  auch  nicht  ein- 
mal untersuchen,  wie  es  sich  mit  der  specifischen  Christlich- 
keit oder  Nichtchristlichkeit  der  drei  Gewährsmänner  v.  Hart- 
mann's  verhalte,  vielmehr,  was  der  Zweck  dieser  kurzen  Be- 
sprechung ist,  sich  zu  diesem  selbst  wenden  und  die  von 
ihm  selbst  aufgestellte  Religionsanschauung  ins  Auge  fassen, 
mit  welcher  er  das  Christenthum  ĂĽberholt  haben  und  die 
er  an  dessen  SteUe  setzen  will,  von  Hartmann  bezeichnet 
also  den  neuen  Standpunkt  seiner  Zukunftsreligion  als  concreten 
Monismus.  Dieser  betont  im  Gegensatz  zu  der  „abstract  mo- 
nistischen Identification  von  Gott  und  Mensch,  welche  die 
Verwischung  ihres  realen  Unterschiedes  ist",  die  „Verschieden- 
heit dieses  identischen  Subjects  in  seiner  göttlichen  Absolut- 
heit und  in  seiner  menschlichen  Eingeschränktheit''  (p.  105). 
Schon  vorher  (p.  90)  hatte  v.  Hartmann  erklärt,  „er  trete  als 
concreter  Monist  jeder  Verwischung  der  Grenze  zwischen  gött- 
lichem und  menschlichem  Wirken,  sowie  jeder  VerflĂĽchtigung 
des  Unterschiedes  zwischen  Gott  und  Mensch,  absolutem  und 
individuellem  Geist,  schroif  entgegen" ;  er  sei  eben  so  fern  von 
jeder  naturalistischen  Identification  des  raumzeitlichen  Uni- 
versums mit  Gott  wie  von  einer  Erniedrigung  des  absoluten 
Geistes  zur  Gesammtheit  der  endlichen  (bewussten)  Geistes- 
processe."  Man  sollte  somit  denken,  dass  v.  Hartmann  sich 
gerade  nicht  weit  von  der  Basis  des  Christenthums  entferne,  viel- 
mehr näher  getreten  wäre,  als  seine  drei  Gewährsmänner.  Denn 
ist  nicht  dem  Chi-istenthum  Gott  der  absolute,  weltfreie  Geist, 
der  sich  vom  Menschen  toto  genere  unterscheidet,  da  das  Wesen 
des  Letzteren,  um  v.  Hartmann's  AusdrĂĽcke  zu  wiederholen, 


480    Hartmann:  Die  Krisis  des  Ghristenthums  in  d.  modernen  Theologie. 

den  Charakter  der  Endlichkeit  und  Eingeschränktheit  trägt? 
Aber  wenn  wir  näher  zusehen,  werden  wir  freilich  bald  eines 
Anderen  belehrt.  Um  das  religiöse  Verhältniss,  sagt  v.  Hart- 
mann weiter,  vor  der  Auflösung  in  psychologische  Illusionen 
zu  schützen,  müssen  wir  „ein  und  dieselbe  religiöse  Thäüg- 
keit,  trotzdem  sie  psychologisch  gesetzmässige  Bethätigung 
des  Menschengeistes  ist,  gleichzeitig  auch  in  vollem  Umfange 
als  Actlvität  des  göttlichen  Geistes"  verstehen.  „Soll  also 
das  religiöse  Grundphänomen  keine  Illusion,  sondern  Wahr- 
heit sein,  so  muss  die  religiöse  Geistesthätigkeit  nicht  bloss 
einheitliche  (durcli  keine  Cooperation  verschiedener  Acteure 
zusammengeschweisste)  Action  sein,  sondern  sie  muss  aach 
in  demselben  unmittelbaren  Sinne  ganz  und  gar  Thätigkeit 
Gottes  wie  Thätigkeit  des  Menschen,  oder  Gott  muss  eben- 
sowohl wie  der  Mensch  Subject  dieser  einheitlichen  Thätigkeit 
sein"  (p.  104.  105).  Nun  ist  es  aber  ein  offenbarer  Wider- 
spruch, fahrt  V.  Hartmann  gleich  darauf  fort,  dass  eine  und 
dieselbe  Thätigkeit  ganz  und  ungetheilt  Thätigkeit  zweier 
Subjecte  sein  soll  —  es  gibt  dafür  nur  eine  einzige  Lösung, 
„dass  Gott  und  Mensch  nicht  zwei  Subjecte,  sondern  Ein 
Subject  sind,  wenn  auch  ein  Subject  von  verschiedenem  Um- 
fange als  Gott  und  als  Mensch.  Nur  wenn  das  individuelle 
Subject  des  Menschen  nichts  Anderes  ist  als  eine  individuelle 
Einschränkung  Gottes,  wenn  also  das  Subject  im  Menschen 
das  absolute  Subject,  obschon  als  eingeschränktes  Subject 
ist,  nur  dann  kann  die  religiöse  Geistesbethätigung  im  Men- 
schen ebenso  sehr  göttliche  wie  menschliche  Action  genannt 
werden." 

Nach  diesen  Erklärungen  muss  angenommen  werden,  dass 
V.  Hartmann,  trotz  seiner  Behauptung,  dass  er  zwischen  Gott 
und  Menschen  einen  realen  Unterschied  setze,  die  Religion 
nicht  ansehe  als  Verhältniss  des  Menschen  zu  einem  von  ihm 
verschiedenen  göttlichen  Wesen,  sondern  zu  sich  selbst,  denn 
es  soll  ja  dabei  nicht  von  zwei  „zusammengeschweissten*^ 
Subjecten,  sondern  nur  von  einem,  dem  unsern,  die  Rede 
sein.  Einmal  also  soll  der  Mensch  eine  individuelle  Ein- 
schränkung Gottes  sein,  dann  wieder  nicht,  und  auf  diesen 
inneren  Dualismus,  der  aber  in  ein  und  dasselbe  menschliche 


Hartmann:  Die  Krisis  des  Christenthums  in  d.  modernen  Theologie.    481 

Subject  fallt,  gründet  sich  nach  v.  Hartmann  das  Phänomen 
der  Religion.  Denn  anders,  als  ich  es  hier  gethan  habe, 
kann  man  doch  wohl  die  „identische  Action"  eines  und  des 
nämlichen  Subjectes  nicht  verstehen.  Wem  wird  nun,  wenn 
er  sich  zur  Orientirung  über  eine  solche  befremdende  Erklä- 
rung umsieht,  nicht  alsbald  L.  Feuerbach  einfallen,  dessen 
Standpunkt  mit  dem  Hartmann'schen  eine  unverkennbare  Ver- 
wandtschaft bemerken  lässt.  Der  Unterschied  besteht  zwi- 
schen diesem  und  v.  Hartmann  nur  darin,  dass  L.  Feuerbach 
durch  die  Identificirung  des  Göttlichen  mit  dem  Menschlichen 
die  Religion  wegerklären  und  aufheben,  v.  Hartmann  sie  des- 
sen ungeachtet  erhalten  will.  Denn  der  Letztere  erklärt  Gott, 
trotzdem  er  mit  dem  Menschen  dasselbe  Subject  ausmacht, 
fĂĽr  ein  absolutes,  freilich  ein  unbewusstes  absolutes  Subject 
(p.  107).  Mag  nun  damit  gemeint  sein,  was  da  wolle,  so  muss 
man  sich  doch  immer  an  die  ausdrückliche  Erklärung  des 
Verf.  halten,  dass  in  der  Religion  Gott  und  Mensch  ein  und 
dasselbe  Subject  ausmachen  sollen,  und  dass  dennoch,  ja 
eben  deswegen,  ein  religiöses  Verhältniss  zwischen  Beiden 
stattfinden  soll.  Ist  dies  nun  möglich?  Ist  da  nicht,  muss 
man  fragen,  das  Verfahren  Feuerbach's  richtiger,  der  die  Re- 
ligion lieber  ganz  aufgibt,  indem  er  Gott  und  Mensch  identi- 
ficirt?  Denn  wer  erkannt  zu  haben  glaubt,  dass  Gott  und 
sein  eigenes  Ich  nicht  mehr  zwei  von  einander  verschiedene 
Subjecte  sind,  sondern  ein  und  dasselbe,  das  einmal  als  gött- 
liches, dann  wieder  als  menschliches  fungirt,  in  der  Religion 
aber  diese  beiden  Momente  zur  Identität  verknüpft,  kann* 
sich  doch  nicht  länger  als  zu  Gott,  welches  er  ja  selbst  ist 
oder  werden  kann,  als  im  religiösen  Verhältnisse  stehend 
betrachten,  sofern  der  Grundton  aller  Religion  nach  allgemei- 
nem Zugeständniss  das  Bewusstsein  der  Abhängigkeit  des 
Menschen  von  einer  höheren  —  überweltlichen  und  darum 
übermenschlichen  —  Macht  ist,  von  der  man  sich  getragen 
weiss,  die  man  fĂĽrchtet,  aber  auch  verehrt  und  liebt.  Wie 
kann  ein  solches  wahrhaft  religiöses  Verhältniss,  frage  ich, 
stattfinden,  wenn  man  nach  v.  Hartmann  mit  Gott  in  der 
Art  Eins  sein  soll,  dass  man  mit  ihm  em  und  dasselbe  Sub- 
ject ausmacht?    Muss  nicht  damit  alles  religiöse  Verhalten 

Pliilu^ph.  MonaUhefte  1881,  VII  u.  VIU.  31 


483    Hartmann:  Die  Krisis  des  Ghristenthums  in  d.  modernen  Theologie. 

ein  Ende  finden?    Oder  soll  man  etwa,   nachdem  man,  wie 
V.  Hartmann   will,   im  religiösen  Bewusstsein  seine  Identität 
mit  Gott  erkannt  hat,  gegen  sich  selbst  religiöse  Verehrung 
hegen?  Ich  gebe  zu,  dass  die  speculative  Religionsphilosophie 
besonders  Biedermannes  zu  der  durch  v.  Hartmann  vertretenen 
Ansicht  insofern  den  Weg  gebahnt  hat,  als  jener  in  Nach- 
folge  Hegel's  die  Wesensgleichheit  des   Menschen  mit  Gott 
behauptet,    aber  diese  Wesensgleichheit,   welche  jedoch  bei 
ihm  noch  keineswegs  im  Sinne   einer  Identität  gefasst  wird, 
entfernt  sich  in  der  That  so  weit  von  der  Wahrheit,   als  sie 
sich  der  Hartmann'schen  Ansicht  nähert.    Will  man  die  Re- 
ligion als  solche  aufrecht  erhalten,    so  muss  doch   nicht  nur 
die  reale  Trennung,  sondern  auch  die  Wesensverschiedenheit 
Gottes  vom  Menschen  aufrecht  erhalten  werden  als  die  Basis 
des  ganzen  Verhältnisses;    wer   sich   dagegen   als   ein  wenn 
auch  nur  in  beschränktem  Maasse  mit  Gott  zu   demselben 
Subject  gewordenes  oder  ihm  gleiches  Wesen  betrachtet,  kann 
wohl  göttliches  Selbstbewusstsein  zu  haben  behaupten,   aber 
nicht  religiöses  Bewusstsein  und  Religion  haben.    Wie  übri- 
gens V.  Hartmann  trotz  seiner  Versicherung,   dass   er  nicht 
dem  abstracten,  sondern  einem  concreten  Monismus  huldige,  allen 
den  ĂĽblen  Consequenzen  des  Pantheismus  entgehen  will,  auf  den 
seine  Ansicht,  wie  er  auch  selber  zugibt,  hinauskommt,  gestehe 
ich  nicht  einzusehen.   Und  wenn  ihm  selber  nach  dem  „Eritis 
sicut  deus"  nicht  bange  werden  sollte  bei  seiner  Gottähnlich- 
keit,  so  möchte  es  doch  mit  der  Propaganda  für  seine  Zu- 
kunftsreligion schlecht  aussehen.    Denn  um  das  Christenthum 
zu  stĂĽrzen  und  dessen  Gott  zu  ĂĽbertrumpfen,  mĂĽsste  er  einen 
besseren  Gott  als  diesen,    einen  stärkeren  und  lebendigeren, 
einen  heiligeren  und  liebevolleren  Gott  zu  predigen  verstehen. 
Das  ist  aber  mit  Nichten  der  Fall:  sein  ursprĂĽngliches  abso- 
lutes Subject  ist  eigentlich  gar  kein  Gott,   sondern  nur  ein 
Phantom,   bei  dem  man  sich  nichts  Rechtes  denken  kann, 
und  die  „eigene  Geistesthätigkeit  unmittelbar  als  Thätigkeit 
des  Absoluten  in  uns  zu  e(npfinden*S   eine  Zumuthung,   die 
wohl  gestellt,  aber  nicht  erfĂĽllt  werden  kann.    Das  Christen- 
thum lehrt  dagegen  einen  absoluten  Geist  als  Gott,  dem  man 
im  Geist  und  in  der  Wahrheit  dienen  soll;    es  lehrt  ferner 


Hartmaim:  Die  Krisis  des  Christen thums  in  d.  modernen  Theologie.    483 

ein  ewiges  Reich  Gottes,  nicht  aber  leugnet  es,  wie  v.  Hartmann 
und  theilweise  auch  seine  „speculativen"  Gewährsmänner,  die 
Unsterblichkeit  —  das  Christenthum  stellt  mit  anderen  Worten 
Ideale  auf,  Gott  als  absolutes  Ideal,  einen  idealen  Erlöser, 
eine  ideale  Zukunft  des  Himmelreichs  als  die  Liebesgemein- 
schaft aller  edlen  Geister  mit  Gott  sowie  mit  einander.  Und 
V,  Hartmann?  Er  schlägt  uns  als  religiöses  Verhalten  „Selbst- 
erlösung auf  pantheistischer  Basis"  (p.  99)  vor,  als  ob  die 
pantheistische  Basis  eine  Selbsterlösung  zulasse  und  nicht 
schon  diese  Definition  dessen,  was  er  für  Religion  erklärt, 
mit  einem  unheilbaren  Widerspruch  behaftet  wäre  —  ganz 
abgesehen  davon,  dass  wieder  jeder  der  beiden  seine  Definition 
bildenden  Begriffe  den  allergewichtigsten  Bedenken  unterliegt. 
Denn  dass  erstens  der  Pantheismus  als  solcher,  wenn  er 
einigermassen  zur  Klarheit  ĂĽber  sich  selbst  gelangt,  die  Reli- 
gion ausschliesst,  mag  er  auch  selbst  aus  religiösen  Impulsen 
entsprungen  sein,  darf  wohl  nach  so  vielen  Verhandlungen 
über  diesen  Gegenstand  als  längst  nachgewiesen  erachtet 
werden:  was  aber  die  Selbsterlösung  anbetriflFt,  so  klingt  ein 
solcher  Terminus  zwar  recht  schön,  er  birgt  aber  doch 
näher  betrachtet  keinen  haltbaren  Sinn.  Die  Erlösungsbedürf- 
tigkeit setzt  immer  nicht  nur  einen  Mangel,  sondern  auch 
eine  Schuld  voraus,  deren  Aufhebung  oder  Hinwegnahme 
durch  den  Schuldigen  selbst,  wenigstens  nach  ihrer  objectiven 
Seite,  den  Folgen,  hin,  unmöglich  erscheint.  Denmach  ist 
„Selbsterlösung"  eine  contradictio  in  adjecto.  Zweitens  aber, 
selbst  die  Möglichkeit  einer  „Selbsterlösung"  zugegeben,  so 
ist  eine  solche  auf  pantheistischer  Basis  darum  unmöglich, 
weil  bei  einer  solchen  (die  den  stricten  Determinismus,  um 
nicht  zu  sagen  Fatalismus,  voraussetzt)  eine  eigentliche  Ver- 
schuldung, zu  deren  Sühne  die.  Erlösung  einzutreten  hätte, 
nicht  vorkommen  kann.  Also  ist  „Selbsterlösung  auf  pan- 
theistischer Basis"  erst  recht  eine  contradictio  in  adjecto;  so- 
mit wäre  die  Wendung,  welche  v.  Hartmann  der  Religion 
geben  will,  ebenso  wenig  metaphysisch  zu  rechtfertigen,  als 
praktisch  denkbar.  C.  S. 


484      Masaryk:  Der  Selbstmord  als  sociale  Massenerscheinung  etc. 

Der  Selbstmord  als  sociale  Massenerscheinung  der  modernen  Civi- 
lisation   von   Thomas  Garrigue  Masaryk,  Docent  der  Philo- 
sophie a.  d.  Universität  Wien.   Wien,  Carl  Konegen.   (XIV, 
245  S.)  8<>. 
Das   stetige   Anwachsen   der   Selbstmordsneigung  unter 
den  Gulturvölkern  ist  eine  Erscheinung,  welche  cüe  ernsteste 
Aufmerksamkeit  wie  der  praktischen  Politiker,   so    auch  der 
Psychologen  und  Philosophen  ĂĽberhaupt  in  Anspruch  neh- 
men muss.    Wenn  man  bedenkt,  dass  nach  massiger  Berech- 
nung in  Europa   allein  jährlich  über  20,000  Menschen  dem 
Selbstmord  zum  Opfer   fallen   und   aller  Wahrscheinlichkeil 
nach  die  vorhandenen   statistischen  Daten   die   wahre  Höhe 
des  Unheils  auch  nicht  einmal  annähernd  ausdrücken,  dass 
namentlich   in   den  Gentren   der   modernen  Civilisation,  den 
grossen  Städten,  ein  ansehnlicher  Prozentsatz  der  Einwohner- 
schaft Hand  an  sich   legt,   und    dass  vor  allen  Dingen,  wie 
bemerkt,  dies  entsetzliche  ĂĽebel  sich  in  erschreckender  Pro- 
gression steigert,  indem  es  sich,  so  weit  man  nachrechnen 
kann,  seit  dem  Beginn  besserer  statistischer  Aufzeichnungen 
mindestens  verdreifacht  hat  —  dann  freilich  haben  wir  dabei 
mit   einer    „Massenerscheinung^^    der    gefahrlichsten   Art   zu 
thun,  welche  behufs  der  Diagnose  und  der  sich  etwa  daran- 
knüpfenden Möglichkeit  einer  Heilung  die  eingehendste  Unter- 
suchung erheischt.    Li  diesem  Sinne  muss  das  vorliegende  Buch 
des  Dr.  Masaryk    sehr  willkommen  sein,    weil    darin  nicht 
allein  mit  grĂĽndlichem  Studium  hinsichtlich  des  in  der  stati- 
stischen und  sonstigen  Literatur  vorliegenden  Materials  von 
Thatsachen  zu  Werke  gegangen  ist,  sondern  allerdings  auch 
die  eigentliche  Natur  dieser  erschrecklichsten  Krankheit  unse- 
res Jahrhunderts  richtig  erkannt  zu  sein  scheint    Das  Werk 
zerfällt  in  sechs  Kapitel,  von  denen  das  erste  die  nothigen 
Begrififsbestimmungen  trifft,  das  zweite,  sehr  umfängliche,  die 
Ursachen  der  Selbstmordsneigung  untersucht,   das  dritte  die 
Arten  und  Formen  des  Selbstmords  schildert,  das  vierte  auf 
die  Geschichte  des  Uebels  eingeht,   das    fĂĽnfte    die   innem 
Beziehungen  zwischen   demselben  und   der  Civilisation  gene- 
tisch   erörtert,    das    sechste   Andeutungen   zur   Therapeutik 
jenes   verbrecherischen    Hanges    gibt.      Als   die    wichtigsten 


Masaryk:   Der  Selbstmord  als  sociale  Massenerscheinung  etc.  ^  485 

Theile  des  Werkes  mĂĽssen  das  zweite  und  das  fĂĽnfte 
Kapitel  betrachtet  werden.  In  dem  ersteren  dieser  beiden 
sehr  grĂĽndlich  gearbeiteten  Abschnitte  werden  die  Ein- 
flĂĽsse der  Natur  ĂĽberhaupt,  sodann  die  der  physischen  und 
geistigen  Organisation  des  Menschen  auf  die  Selbstmords- 
neigung besprochen,  dann  aber  diese  selbst  vom  psychologi- 
schen Standpunkt  aus  in  Betracht  gezogen.  Hier  handelt  es  sich 
ganz  wesentlich  um  die  Geisteskrankheiten,  auch  ein  sociales 
HauptĂĽbel,  deren  enge  Beziehung  zum  Umsichgreifen  der 
Selbsttödtungen  der  Verfasser  eingehend  darlegt.  Er  kommt 
dabei  zu  dem  Resultat,  dass  Selbstmordsneigung  und  Psycho- 
sen ganz  denselben  Ursachen  entspringen,  und  daher  „beide 
Phänomene  als  sociale  Massenerscheinungen  der  Gegenwart 
ihrer  Natur  nach  eigentlich  Theilphänomene,  zwei  verschie- 
dene Seiten  eines  und  desselben  Prozesses"  bilden  —  indem 
insbesondere  „die  Selbstmordsneigung  der  Gegenwart  auf 
Wahnideen  der  Givilisation  beruht." 

Diese  furchtbare,  aber  unleugbare  Wahrheit,  dass  unsere 
vielgespriesene  Givilisation  selbst,  sofern  sie  die  Menschen  in 
Wahn  und  Täuschungen  verwickelt,  der  eigentliche  Krank- 
heitsheerd  fĂĽr  die  Psychosen  und  Selbstmordneigung  der 
Gegenwart  ist,  wird  von  dem  Verfasser  schlagend  nachgewie- 
sen; und  im  fĂĽnften  Kapitel  geht  er  dann  zu  einer  geneti- 
schen Begründung  des  thatsächlichen  Befundes  über,  indem 
er  der  historischen  Entwicklung  der  näheren  Bedingungen 
nachspĂĽrt,  unter  denen  der  furchtbare  Hang  zur  Selbstent- 
leibung steht.  Er  erklärt  die  gegenwärtige  sociale  Massen- 
haftigkeit  desselben  als  die  Folge  des  allmälig  vollzogenen 
und  sich  noch  weiter  vollziehenden  Zusammenbruchs  der 
einheitlichen  Weltanschauung,  welche  das  Christenthum  der 
Culturwelt  gegeben  hatte,  und  die  unter  berechtigten  wie 
unberechtigten  Freiheitskämpfen  immer  mehr  verschwindet. 
„Der  Kampf*,  so  sagt  er,  „des  freien  Gedankens  mit  den 
positiven  Religionen  führt  zur  Irreligiosität  der  Massen;  diese 
Irreligiosität  aber  bedeutet:  intellectuelle  und  moralische  An- 
archie und  —  Tod."  Aber  der  Verf.  bleibt  nicht  bei  der 
blossen  Diagnose  der  Krankheit  stehen,  sondern  versucht  im 
letzten  Abschnitte  seines  Buches  auch  das  Mittel  zur  Heilung 


486      Masaryk:  Der  Selbstmord  als  sociale  Massenerscheinung  etc. 

derselben  anzugeben.    Nicht  von  einer  einfachen  Umkehr  auf 
dem   einmal   beschrittenen  Wege  der  Emancipation  erwartet 
er   dieselbe;   Dr.  Masaryk   ist  nicht  ein  Mann  des  heulenden 
Rückschritts,    der   religiösen  Repristination,    welche  mitunter 
auch  von  wohlgesinnten  Männern  zur  Abwehr  der  gewaltigen 
Schäden,  an  denen  unsere  Gultur  krankt  und  denen  sie  unter- 
liegen zu  mĂĽssen  scheint,   wenn  nicht  eine  Wendung  eintritt, 
gefordert  und  wohl  auch  gefördert  wird ;  er  begreift,  dass  die 
Freiheit  des  Denkens,  einmal  in  Thätigkeit  gesetzt,  nicht  wie- 
der einfach  aufgehoben  werden  könne,  vielmehr  fortbestehen 
und  nur  zu  einem  guten  Ende  durchgefĂĽhrt  werden  mĂĽsse, 
um  das  Uebel  wieder  gut  zu  machen,  zu  dessen  HerbeifĂĽh- 
rung sie  so   wesentlich  beigetragen  hat.     Allein  ebensowenig 
wie  von  einer   religiösen  Reaction    erwartet   er   die  Hebung 
der  Schäden  der  modernen  Gesellschaftt  von  wirthschafUichen 
und  politischen  Reformbestrebungen,  die  ihm  —  nicht  mit  Un- 
recht —  vielfach  kleinlich  und  unzweckmässig  vorkommen,  er 
verlangt  vielmehr    eine   Wiederbelebung  der  sittlichen 
und  religiösen  Kraft  der  Menschen,  damit  sie  befähigt 
werden,  ihrer  Aufgabe  zu  genĂĽgen  nnd  den  Anfechtungen, 
Mängeln  und  Leiden  irdischer  Existenz  erfolgreichen  Widerstand 
zu  leisten.    Dieses  Neuaufleben  einer  wahren  Lebensenergie 
kann  aber  seiner^  Meinung  nach  nicht  durch  das  Wissen  und 
die  äussere  Erziehung  herbeigeführt  werden,   sondern  durch 
die  Religion  allein.    Er  fordert  zu  diesem  Ende  ein  gereinig- 
tes, ein  so  zu  jsagen  neues  Ghristenthum,  das  er  mit  Lichten- 
berg für  das  vollkommenste  System  hält,   Ruhe  und  Glück- 
seligkeit in  der  Welt  am  schnellsten,  kräftigsten,   sichersten 
und  allgemeinsten  zu  befördern.     „Unsere  Zeit,  so  drückt  er 
sich  aus,  ist  fĂĽr  eine  neue  Religion  wie  geschaffen.    Grade 
wie    zur   römischen  Kaiserzeit  ist   die   Gesellschaft   in  ihren 
Grundfesten  erschĂĽttert:  dieJMenschen  fĂĽhlen  sich  unglĂĽcklich, 
die  Unzufriedenheit  und  der  Wunsch  nach  einem  Erlöser  ist 

allgemein." lf»»Da  die  Religion,  obwohl  sie  in  wahrhaft 

protestantischer  Weise  Sache  des  Individuuums  sein  muss, 
trotzdem  zugleich  eine  Volksreligion  sein  soll,  durch  welche 
die  Herzen  aller  Menschen  ohne  Ausnahme  gereinigt  wĂĽrden, 
so   dĂĽrfte  sie   in   ihrem  theoretischen  Theile   kaum   auf  der 


Masaryk:  Der  Selbstmord  als  sociale  Massenerscheinung  etc.      487 

Höhe  der  intellectuellen  Bildung  stehen;  vielmehr  denke  ich 
mir  die  Sache  so,  dass  sie,  gerade  so  wie  der  mittelalterliche 
Katholicismus ,  ein  neues  besseres  Mittelalter  inauguriren 
könnte,  —  bis  —  schliesslich  „Eine  Heerde  und  Ein  Hirte 
werden  wird." 

Ref.  schliesst  sidi  dem  Gedanken  des  Verfassers,  dass  nicht 
von  der  Wissenschaft  und  sog.  Bildung,  sondern  von  der 
Religion  allein  eine  grĂĽndlich  heilende  Reform  der  kranken- 
den Culturwelt  ausgehen  könne,  mit  vollem  Herzen  an. 
Durch  die  Wissenschaft  ist  die  Menschheit  auf  ihrem  Wege  frei- 
lich um  so  mehr  gefördert  worden,  als  sich  an  die  grossen  Ent- 
deckungen auf  dem  Felde  der  Naturkunde  eine  Reihe  glän- 
zender technischer  Erfindungen  angereiht  haben;  aber  andrer- 
seits darf  doch  nicht  verkannt  werden,  dass  damit  ein  mehr 
oder  weniger  durchgreifender  Naturalismus  der  Weltanschau- 
ung herbeigefĂĽhrt  worden  ist,  der  sich  bald  als  grober  Mate- 
rialismus, bald  als  noch  absurderer  Positivismus  geltend 
macht,  als  RĂĽckschlag  den  Pessimismus  und  Nihilismus  zur 
Folge  hat,  und  die  Menschen  um  den  Glauben  an  die  ideale 
Welt,  an  Gott  und  ihre  ewige  Bestimmung  bringt,  ohne 
welchen  Glauben  sie  nun  einmal  nicht  gedeihen  können, 
vielmehr  nach  dem  Grundsatz:  Optimi  corruptio  pessima, 
noch  unter  die  Thierheit  sinken.  Heutzutage  muss  denn 
allerdings  wohl  auch  blöden  Augen  klar  geworden  sein,  dass 
von  dieser  in  so  grosse  Einseitigkeit  verrannten  wissenschaftlichen 
Richtung,  zu  deren  hervorragendsten  Leistungen  der  Atheismus 
und  die  Orsinibomben  gezählt  werden  müssen,  das  Heil  schlech- 
terdings nicht  erwartet  werden  darf.  Vielmehr  muss,  wenn 
grundlich  geholfen  werden  soll,  aus  der  Tiefe  des  GemĂĽths 
der  Menschheit  ein  belebender  Strom  frischen  geistigen  Lebens 
ausgehen,  der  um  eben  allgemein  wirksam  zu  sein,  nur  als 
die  Erregung  eines  religiösen,  die  Seelen  der  Menschen  voU 
und  innigst  ergreifenden  Glaubens  gedacht  werden  kann,  fähig, 
sowohl  die  innere  Hohlheit  des  Katholicismus  als  die  Zerfahren- 
heit des  Protestantismus  zu  ĂĽberwinden.  Das  ist  es  wohl 
auch,  was  Dr.  Masaryk  sagen  will;  und  es  ist  tröstlich,  in 
ihm  einem  Schriftsteller  zu  begegnen,  welcher  sich  nicht,  wie 
gar  mancher  unter  den  jĂĽngeren  Vertretern  der  Philosophie, 


488     W.  V.  Maltzahn  u.  R.  Boxberger:  Gotthold  Ephraim  Lessing. 

Über  die  wahre  Lage  der  Dinge  täuscht,  vielmehr  diese 
sieht,  wie  sie  ist,  und  es  auch  auszusprechen  den  Muth  hat. 
Sein  Buch  sei  als  ein  Mene  Tekel  Upharsin  allen  denjenigen 
empfohlen,  welche,  wie  Ref.,  der  Meinung  sind,  dass  die 
Philosophie  ihre  Aufgabe,  die  Besonnenheit  des  Zeitalters  zu 
sein,  nur  dann  erfüllen  könne,  wenn  sie  sich  nicht  begnügt, 
theoretisch  Lehrgebäude  zu  stiften  und  zu  revidiren,  son- 
dern sich  auch  nach  den  praktischen  Consequenzen  umsieht, 
welche  die  zu  Weltanschauungen  und  Lebensprinzipien  er- 
hobenen wissenschaftlichen  (oder  sich  als  wissenschaftlich 
geberdenden)  Theorien  nach  sich  ziehn.  C.  S. 


Gotthold  Ephraim  Lessing.  Sein  Leben  und  seine  Werke.  Von 
TA.  W.  Danzd  und  G.  E.  Guhratier.  Zweite  berichtigte 
und  vermehrte  Auflage.  Herausg.  von  W,  von  MaĂśzahn 
und  B.  Boxherger.  Bd.  L  IL  Berlin,  Theod.  Hofmann. 
1880—1881.  (VII,  520;  699  S.)  8^ 
DanzeVs  treffliches,  von  Guhrauer  mit  HĂĽlfe  des  von 
jenem  hinterlassenen  Materials  abgeschlossenes  Werk  ĂĽber 
Lessing,  eine  der  vorzĂĽglichsten  Leistungen  dieses  ganzen  Ge- 
bietes unserer  Literatur,  erscheint  hier  in  einer  neuen  Aus- 
gabe, welche  die  beiden  Bearbeiter,  wie  sie  sich  ausdrĂĽcken, 
auf  dem  heutigen  Standpunkt  der  Lessing-Forschung  zu  hal- 
ten bemüht  gewesen  sind,  ohne  irgendwie  die  Pietät  gegen 
die  dahingeschiedenen  Verfasser  aus  den  Augen  zu  setzen. 
In  der  That  haben  sie  den  Text  mit  möglichst  schonender 
Hand  behandelt,  auch  da,  wo  nach  ihrem  Geschmack,  wie 
sie  sagen,  die  GrĂĽndlichkeit  bisweilen  allzu  grĂĽndlich,  die  phi- 
losophische Speculation  bisweilen  allzu  speculativ  wird  - 
und  sie  haben  wohl  daran  gethan.  Das  eingeschlagene  Ver- 
fahren ist  also  so,  dass  sehr  wenig  aus  dem  Text  weggefal- 
len, auch  nicht  viel  daran  zugesetzt  worden  ist,  dagegen  durch 
eine  grosse  Anzahl  inhaltsreicher  Noten  und  fordersamer  Ver- 
weisungen der  Zweck,  den  Anfordenmgen  der  Gegenwart  mit 
dieser  neuen  Bearbeitung  des  Werkes  gerecht  zu  werden,  fast 
durchaus  erreicht  worden  ist.  Dabei  versteht  es  sich ,  dass 
die  dem  Danzerschen  Text  bei  seinem  ersten  Erschemen  bei- 


Ktmo  Fischer:  6.  E.  Lessing  als  Refonnator  der  deutschen  Literatur.    489 

gegebenen  Anhänge,  welche  seitdem  sowohl  in  die  von  Herrn 
V.  Maltzahn  bearbeitete  zweite  Lachmann'sche  Ausgabe,  als 
auch  in  die  als  Theil  der  Hemperschen  Nationalbibliothek 
publicirte  Sammlung  von  Lessing's  Schriften  Aufnahme  ge- 
funden hatten,  jetzt  von  den  Herausgebern  der  vorliegenden 
zweiten  Ausgabe  des  Werkes  nicht  wiederholt  worden  sind, 
vielmehr  ist  an  deren  Stelle  eine  Reihe  neu  aufgefundener, 
bisher  noch  unbekannter  Lessingiana  getreten,  so  wie  auch, 
schon  in  Folge  der  mannigfachen  Zusätze,  das  Namenregister 
am  Schluss  des  zweiten  Bandes  viel  vollständiger  geworden 
ist.  Ref.  theilt  die  Hoffnung  der  Herausgeber,  dass  die  neue 
Ausgabe  Anklang  finden  und  sich  dem  Studium  des  einzigen 
Mannes,  dem  das  Werk  gewidmet  ist,  als  forderlich  erweisen 
werde.  Denn  wenn  es  wahr  ist,  dass  Lessings  Schriften  dem 
deutschen  Volke  den  treuesten  und  unvergänglichen  Spiegel 
seiner  edelsten  nationalen  EigenthĂĽmlichkeiten  vorhalten,  so  darf 
man  auch  erwarten,  dass  diese  höchst  dankenswerthe,  mit 
ebenso  viel  Fleiss  als  Geschick  ausgefĂĽhrte  &neuerung  der 
vorzĂĽglichen  Arbeit  DanzeFs  und  Guhrauer's,  welche  uns  in 
Lessing's  Werden  und  Wachsen,  Wirken  und  Schaffen  ein- 
fĂĽhrt, ja  recht  eigentlich  einweiht,  zu  geisteswacher  frucht- 
barer Thätigkeit  einen  frischen  Sporn  bieten  werde.       C.  S. 


6.  E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur,  dargestellt 
von  Kuno-  Fischer.     Tbl.  I.    Lessing's  reformatorische  Be- 
deutung.    Minna  von   Barnhelm.     Faust.     Emilia  Galotti. 
Tbl.  IL    Nathan  der  Weise.     3.   neu  bearbeitete  Auflage. 
Stuttgart,  J.  G.  Cotta.    1881.    (VI,  261 ;  VI,  193.)   8^ 
Da  am  15.  Febr.  d.  J.  ein  Saeculum  verflossen  war,  seit- 
dem Lessing  starb,  so  benutzt  der  Verfasser  oben  genannter 
Schrift  diesen  Umstand,   um  die  reformatorischen  Leistungen 
des  ausserordentlichen  Mannes,    insbesondere  in  Hinsicht  des 
deutschen  Drama's,  in  das  rechte  Licht  zu  setzen.  Will  man 
recht  ermessen,   was  Lessing  fĂĽr  unsere  nationale  Literatur 
und  damit  fĂĽr  unser  ganzes  Geistesleben  gewirkt  hat,  so  thut 
man  am  besten,  sich  daran  zu  erinnern,  wie  jene  vor  Lessing 
beschaffen  war  und  dann  zuzusehen,  auf  welchen  Standpunkt 


490    Kuno  Fischer:  G.E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur. 

er  sie  erhoben  hat.     Diesen  Weg  schlägt  denn   auch  Fischer 
ein,    indem  er  in  der  einleitenden  Abhandlung  (dem  ersten 
Abschnitt)  seines    Buches    zuerst    auf   die   Anfange   unserer 
neueren  Nationalliteratur  von  der  Reformation  an  zurĂĽckgrei- 
fend die  Bewegungen  und  Bestrebungen  in  derselben  bis  auf 
Lessing  schildert,  sodann  aber  zeigt,   welche  Ausgänge  und 
welchen  Entwicklungsgang  dieser  im  Anschluss  an  jene  ge- 
nommen hat.    Daran  schliesst  sich  die  Darstellung  des  refor- 
matorischen Characters,  der  Lessing's  Wirksamkeit  nach  den 
verschiedensten  Seiten  hin  auszeichnet.  In  den  folgenden  Ab- 
schnitten  geht  der  Verfasser  auf  Lessing's  Thätigkeit  für  die 
Bühne  näher  ein,  indem  er  im  zweiten  und  vierten  die  beiden 
bahnbrechenden  Dramen  „Minna  von  Barnhelm*'  und  „Erailia 
Galotti"   einer   eingehenden   und   geistreichen  Analyse  unter- 
wirft,   die  Handlung  beider  StĂĽcke  genau  exponirt  und  die 
darin  auftretenden  Personen  scharf  charakterisirt.   Im  dritten 
Abschnitt  handelt  er  von   den  Faustentwürfen  Lessing's.  — 
Der  zweite  Theil  des  Fischer'schen  Werkes,  welcher  sich  mit 
der  letzten  dramatischen  Arbeit  unseres  Dichters,    „Nathan 
dem  Weisen"  beschäftigt,  erscheint  der  früheren  Darstellung 
in  den  ersten  Auflagen  gegenĂĽber  durch  einen  ersten  ein- 
leitenden Abschnitt  vermehrt,  in  welchem  von  der  „Entstehung 
und  Grundidee"  des  Drama's  die  Rede  ist.     Darin  lässt  der 
Verfasser  sich  besonders  angelegen  sein,  die  von  Lessing  vor- 
genommene Umbildung  der  zuerst  in  den  Gesta  Romanorum 
auftauchenden   und   unter  Andern  auch  durch  Bocaccio  be- 
nutzten Parabel  von  den  drei  Ringen,  welche  den  Mittelpunkt 
des  Lessing'schen  StĂĽckes  bildet  und  die  ihm  zu  Grunde  lie- 
gende Idee  am  deutlichsten  ausdrĂĽckt,  eingehend  zu  beleuchten. 
Ref.  muss  freilich  bekennen,  dass  ihm  weder  diese  Fischer'sche 
Erklärung  der  Parabel,  noch  dessen  Interpretation  der  Figur 
des  Nathan  einleuchten  will.     Was  das  erstere  anbetrifft,  so 
ist  in  der  That   die  Schwierigkeit  gross,    wie  man  auch  die 
Sache  angreift,   und  die  gewaltige  Discrepanz   der  Erklärer 
darum  sehr  erklärlich.    Was  aber   die  Titelrolle  des  Nathan 
angeht,    so   scheint  Fischer's  Auslegung  doch   eine   sehr  ge- 
zwungene zu  sein,  wenn  er  meint,  Lessing  habe  gerade  des- 
wegen einen  Juden  zum  Mustermenschen  gemacht,   weil  das 


Euno  Fischer :  6.  ÂŁ.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur.    491 

Judenlhum  die  unduldsamste,  von  dem  Ideal  der  toleranten 
Vernunflreligion  entfernteste  der  positiven  Religionen  sei. 
Dem  Ref.  scheint  die  Erklärung  näher  zu  liegen.  Indem 
Lessing  die  Mohamedaner  in  seinem  Drama  viel  edler  er- 
scheinen Hess,  als  die  darin  auftretenden  Christen,  und  einen 
Juden  als  idealen  Helden  in  die  Mitte  stellte,  wollte  er  die 
Theologen  ärgern,  die  ihn  so  viel  geärgert  hatten,  und  zwar 
um  so  mehr  ärgern,  als  sie  ihm  in  diesem  Falle  nicht  kritisch 
tadelnd  beikommen  konnten.  Das  hat  er  selbst  erklärt,  in- 
dem er  seinem  Bruder  schrieb:  „die  Theologen  aller  geoflfen- 
barten  Religionen  (natĂĽrlich  meint  er  die  christlichen)  werden 
freilich  innerlich  darauf  schimpfen,  doch  dawider  sich  öffent- 
lich erklären,  werden  sie  wohl  bleiben  lassen.'*  Eine  Ver- 
herrlichung des  Judenthums  hat  Lessing  allerdings  nicht  beab- 
sichtigt, aber  wahr  ist  es,  dass  das  Ghristenthum  im  „Nathan'* 
schlecht  wegkommt,  wenngleich  der  Dichter  durch  das  bekannte 
Wort  des  Klosterbruders  an  Nathan  (Nathan,  Ihr  seyd  ein 
Christ,  bei  Gott,  Ihr  seyd  ein  Christ !  Ein  besserer  Christ  war 
nie!)  hinlänglich  zu  verstehen  gibt,  dass  seiner  Ansicht  nach 
nur  auf  dem  Boden  des  Christenthums  die  höchste,  reinste 
Tugend  erwachsen  könne,  und  gerade  deswegen  die  Theologen 
ausser  Stande  gesetzt  werden,  gegen  ihn  anzukämpfen,  son- 
dern ihren  Aerger,  dass  ein  Jude  zum  Idealmenschen  erhoben 
wird,  hinunterschlucken  mĂĽssen.  Dabei  kann  man  aber  nicht 
leugnen,  dass  im  Grossen  und  Ganzen  das  StĂĽck  doch  den  Ein- 
druck einer  Verherrlichung  des  Judenthums  und  einer  Herab- 
setzung des  Christenthums  macht,  wodurch  es  zwar  insofern 
Zeugniss  von  der  individuell  edlen  Gesinnung  Lessing's  ablegt, 
als  er  sich  hier,  wie  von  jeher,  des  lange  verfolgten  jĂĽdischen 
Stammes  annimmt,  ĂĽbrigens  aber  der  welthistorischen  Stellung 
des  Christenthums  nicht  volle  Gerechtigkeit  widerfahren  lässt. 
—  Fischer's  Buch,  nach  Form  und  Inhalt  gleich  fesselnd,  muss 
als  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Lessing  -  Literatur  betrachtet 
werden.  C.  S. 


492  Litteraturbericht. 

t 

litteratnrberieht. 


Die   Schopenhaner- Literatur.      Versuch  einer  chronologischen  Ueber- 
sicht  derselben  von  Friedrich  Laban.    Leipzig.   F.  A.  Brockhaus.  1880. 
(123  S.)  8^ 
Die  seit  nunmehr  fast   einem  Menschen  alter   der  Schopenhauer'scfaen 
Philosophie    zugewandte  Aufmerksamkeit    und   die   in   der  That  greise 
Wichtigkeit,  welche  jene  Lehre  fĂĽr  die  Literatur  wie  die  Denkungsart  der 
Gegenwart   erlangt   hat,    Hess    es    dem    Verfasser    vorliegender  Schrift, 
Herrn  F.  Laban,  wĂĽnschenswerth  erscheinen,  eine  chronologisch-geordnete 
bibliographische  Uebersicht  der    auf   Schopenhauer  bezĂĽglichen  Schriften 
zu  veröffentlichen,  nachdem  er  von  einem  viel  grösseren  Plane,  .die  Schick- 
sale der  Philosophie   desselben  in  einem   umfassenden  Gemälde  zu  ent- 
rollen'^v  abzustehen  sich  gezwungen  gesehen  hatte.    Nicht  ĂĽbel  bezeichnet 
der  Verfasser  seinen  vorliegenden  Grundriss  als  eine  Art  Skelett  der  gei- 
stigen Bewegung,  die  Schopenhauer  hervorgerufen  hat,  und  er  hat  mit  seiner 
Publikation  dem  Studium  der  Geschichte  der  zeitgenössischen  Philosophie 
einen  anzuerkennenden  Dienst  geleistet.     Nachdem  er  in  einem  ersten 
Abschnitt  die  Schriften  Schopenhauers   mit  bibliographischer  Genauigkät 
verzeichnet,   theilt   er  im  zweiten  . Biographisches*  ĂĽberschriebenen  alle 
Schriften   mit,   welche   entweder  ausdrĂĽcklich   von  Schopenhauers  Leben 
handeln,  wie  die  Arbeiten  Gwinners  und  Frauenstädt*s,  oder  doch  sich  in 
irgend  einer  Weise  darauf  beziehen.    Der  dritte  Abschnitt  aber,  .Kritik, 
Erläuterung  und  Weiterbildung'  überschrieben,   gibt,    mit  dem  Jahr  1814 
beginnend  und  chronologisch  von  da  an  weiterschreitend,  in  je  drei  Unter- 
abtheilungen alles  auf  Schopenhauer's  Lehre  BezĂĽgliche,  was,   soweit  die 
Kunde  des  Verfassers  reicht,   Jahr  fĂĽr  Jahr  erschienen   ist.    Unter  der 
Abtheilung  A  dieses  dritten  Abschnittes  hat  er  diejenigen  Werke  genannt, 
.die  sich  im  Ganzen   mit  Schopenhauer  befassen,  seine  Lehre  entweder 
anerkennend  und  verbreitend,  oder  dieselbe  kritisirend  und  verwerfend, 
oder  aber  auch  auf  derselben  fussend  und  sie  weiter  bildend*".    Unter  B 
stehen  sodann  die  BĂĽcher  und  Journalartikel,  in  denen  sich  Stellen  ĂĽber 
Schopenhauer    finden,    .welche    sich    ĂĽber    mehrere  Seiten    erstrecken*. 
Unter  G  kommen   schliesslich   .die  Seitencitate  aus    den  verschiedensten 
Schriftwerken,  in   welchen   ĂĽber  Schopenhauer  nur  nebenbei  gesprochen 
wird**.    Allerdings  hat  —  auch  bei  Ausschluss  solcher  Bücher  ode^Büche^ 
stellen,   welche  den  Einfluss  Schopenhauer 's  bekunden,  ohne  ihn  zu  nen- 
nen —  besonders  in  der  dritten  Abtheilung  nicht  Vollständigkeit  erreicht 
werden  können,  indessen  ist  doch  das,   was  der  Verfasser  bietet,  zur 
Orientining  in   der  eigentlichen   Schopenhauerliteratur    äusserst  nützlich 
und  zeugt  von  grossem  Sammelfleiss.    Schade   nur,  dass  H.  Laban  ein 
Namensregister  seinem  Buche  beizufügen   versäumt  hat,   was  bei  einer 
etwaigen  zweiten  Auflage  nachzuholen  nicht  vergessen  werden  darf,  da  es 
eine  wesentliche  Erleichterung  bei  der  Benutzung  bilden  wĂĽrde.  Im  Einzelnen 
will  Ref.   nur   noch  bemerken,   dass  die  von  dem  Verf.  richtig  aufgefon- 


Litteraturbericht.  493 

dene  älteste  Darstellung  des  Schopenhauer'schen  Systems  von  J.  G.  Ratze 
(die  sich  dadurch  von  allen  Schriften  ihrer  2^t  unterscheidet,  dass  sie 
dieses  System  ab  eines  der  interessantesten  und  ausgedehntesten  seit 
Kant  bezeichnet)  nicht  in  das  Jahr  1819  hätte  gesetzt  werden  sollen,  da 
sie  die  Jahreszahl  1820  trägt;  und  dass  der  Verfasser  unter  dem  Jahr 
1851  Gumposch's  Buch  (die  philosophische  Literatur  der  Deutschen  u.  s.  w. 
Regensburg,  £.  J.  Manz)  hätte  erwähnen  können,  der  pag.  473,  von  Schopen- 
hauer sprechend  und  dessen  Werke  u.  s.  w.  aufzählend,  Amter  Anderm 
sagt:  ,,Er  ist  Fremdling  in  der  Heimath  mid  wird  es  bleiben*.  Denn 
schon  zwei  Jahre  darauf  erfolgte  jener  Trompetenstoss  von  England  her, 
welcher  Frauenstädt  veranlasste,  seine  .Briefe  über  die  Schopenhauer'sche 
Philosophie"  herauszugeben  und  die  neue  Aera  des  Schopenhauerthums 
in  Gang  zu  bringen. 

Die  Vorrede  der  Laban'schen  Schrift  macht  noch  eine  besondere  Be- 
merkung nöthig,  weil  darin  nicht  ohne  eine  gewisse  Prätension  als  neu 
und  allein  richtig  ein  Standpunkt  geltend  gemacht  wird,  welcher  nicht 
nur  der  .Universitätsphilosophie"  (auf  diese  sieht  H.  Laban  als  Verehrer 
Schopenhauer's  selbstverständlich  mit  der  tiefsten  Verachtung  herab),  son- 
dern der  Schopenbauer^schen  Lehre  selbst,  fĂĽr  welche  doch  der  Verfasser 
mit  grosser  Bewunderung  erfüllt  ist,  zuwiderlaufend,  als  ein  äusserstes  Re- 
sultat abwendiger  Geistesströmung  der  Gregenwart  wohl  Beachtung  ver- 
dient. Die  stärkste  Scheidewand,  so  ungefähr  drückt  sich  der  Verfasser 
aus,  zwischen  unserem  Jahrhundert  und  den  frĂĽheren  ist  die  .wissenschaft- 
liche Erkenntniss  von  dem  natĂĽrlichen  UrsprĂĽnge  der  moralischen  Empfin- 
dungen und  ethischen  Phänomene"  und  er  bezeichnet  an  einer  andern 
Stelle  diese  jüngste  Entwicklungsphase  als  die  «völlig  überzeugende  wissen- 
schaftliche Einsicht  in  die  gänzliche  Unverantwortlichkeit  des  menschlichen 
Handelns",  so  dass  man,  wie  er  behauptet,  .gegenwärtig  endlich  an^gt 
und  ernstlich  Miene  macht,  die  Dinge  und  das  Leben  seiner  wahren  Be- 
schaffenheit nach  zu  taxiren.  Kein  Wunder,  wenn  sich  dabei  auch  die 
Menschen  unverhflllter  und  ihrer  wahren  Beschaffenheit  nach  zeigen, 
also  sagen  wir  es  nur  grade  heraus  —  thierischer".  Wenn  Schopenhauer 
es  als  das  Problem  der  Philosophie  bezeichnet  hat,  die  das  Weltphänomen 
hervorbringende  Ki*aft  mit  der  Moralität  der  Gesinnung  in  Verbindung  zu 
setzen  und  dadurch  eine  moralische  Weltordnung  als  Grundlage  der  phy- 
sischen nachzuweisen,  so  hat  Herr  Laban  mit  seinem  FĂĽhrer  Nietzsche 
diesen  Standpunkt  also  gänzlich  überschritten;  er  stellt  in  seiner  Lehre 
die  Vereinigung  des  Positivismus  mit  dem  Schopenhauer*schen  Pessimis- 
mus insofern  dar,  als  er  zwar  alle  .irrthĂĽmlichen  Werthbestimmungen" 
(er  meint  die  moralischen)  .aus  der  Lebensbetrachtung  eliminirt",  d.  h. 
den  Menschen  als  ein  blosses  Naturphänomen  betrachtet  wissen  will,  zu-, 
gleich  aber  den  Schmerz  als  das  eigentliche  Positive  ansieht,  kurz,  wie 
er  sich  selbst  ausspricht,  bei  jener  pessimistischen  Lebensanschauung  an- 
gelangt ist,  .vor  welcher  auch  das  Ethische  sich  in  das  allgemeine  bedeu- 
tungslose Nichts  verflĂĽchtigt  hat".  Dim  sind  alle  .lUusionen",  die  auf 
eine  Befriedigung  des  metaphysischen  BedĂĽrfnisses  abzielten,  zusammen- 


494  Litteraturbericht. 

gebrochen;  ihm  bleibt  ,als  letzter  unlösbarer  Rest  nur  noch  das  Brflten 
Aber  die  Fatalität  des  Daseins  übrig".  Das  Grunddogma  des  Verf.,  das 
er  als  einen  sich  von  selbst  verstehenden  Glaubensartikel  behandelt,  ist 
also  der  Determinismus:  diesen  handhabt  er  selbst  gegen  Schopeahauer, 
um  die  Moralität  und  das  eng  damit  verbundene  Metaphysische  los  zu 
werden.  Er  will  demgemäss  nur  Physisches  anerkennen,  und  rückt  dies 
gänzlich  in  den  Bereich  der  Nothwendigkeit  und  Unverantwortlichkeii. 
Mit  diesen  naturalistischen  oder  positivistischen  Grundsätzen  verbinde  er 
aber  ferner  die  Schopenhauer'sche  Behauptung  von  dem  Positiven  des 
Schmerzes  und  demgemäss  von  der  Trostlosigkeit  des  Daseins  als  letztes 
Dogma.  Das  ist  der  wesentliche  Inhalt  der  Laban*schen  Lehre,  welche  er  als 
die  Frucht  einer  ganz  besondern  Liebe  zur  Wahrheit  angesehen  wissen  will 
und  als  das  höchste  Resultat  des  philosophischen  Denkens  betrachtet.  — 
Es  braucht  wohl  nur  mit  einem  Wort  darauf  hingewiesen  zu  werden,  dass 
da  weder  der  Determinismus,  noch  der  empiristische  Positivismus,  noch 
der  absolute  Pessimismus  sich  wissenschaftlich  rechtfertigen  lassen,  die 
Prätension  des  Verfassers,  dass  sein  Standpunkt  die  alleinige  Vertretung 
begi*ĂĽndeter  Wahrheit  ausmache,  einfach  zu  Boden  ĂźUlt.  Aber  der  kĂĽnf- 
tige Geschichtsschreiber  der  Pathologie  des  philosophischen  Geistes  unserer 
Zeit  wird  auch  an  dieser  Erscheinung  nicht  achtlos  vorĂĽbergehen  dĂĽrfen, 
deren  Träger  offenbar  demselben  Nihilismus  zutreibt,  bei  welchem  schon  so 
manche  seiner  Gesinnungsgenossen  angelangt  sind  und  dessen  in  unaus- 
bleiblicher Gonsequenz  bereits  zum  Vorschein  gekommene  graunvoUe 
FrĂĽchte  nachgerade  auch  den  Stumpfsinnigsten  ĂĽber  das  eigentliche  Wesen 
dieser  Richtung  aufklären  können. 


Untersnchiiiigeii  ĂĽber  den  Pamenides  des  Plato  von  Dr.  Otto  A^ 
Weimar,  1879.    (56  S.)    %\ 

Das  nachgerade  unheimlich  gewordene  Geschäft  einer  Vertheidigung 
der  Echtheit  des  unter  Plato*s  Schriften  stehenden  Parmenidesdialogs 
unternimmt  der  Verf.  obiger  Abhandlung  so,  dass  er  mit  der  PrĂĽfung  des 
zweiten  Theiles  der  genannten  Schrift  einsetzt.  Eine  eingehende  Unter- 
suchung der  logischen  Gestaltung  dieses  zweiten  Theils  zeigt  ihm  nun, 
dass  wir  es  darin  mit  einem  Gewebe  nichtsnutziger  Sophismen  und  Ab- 
surditäten zu  thun  haben,  weiche  von  ,  Plato '^  als  Verfasser  des  Dialoges 
nicht  ernst  gemeint  sein  können.  Wie  sind  sie  denn  gemeint?  Der  Ve^ 
fasser  geräth  auf  folgende  Hypothese:  Plato  war  seiner  Ideenlehre  wegen 
von  den  Megarikem  angegriffen  worden,  er  musste  sich  mit  dieser  streit- 
fertigen Schule,  die  übrigens  durch  ihr  specifisches  Verhältniss  zum  Eiea- 
tismus  mit  ihm  einen  gemeinsamen  Ausgangspunkt  der  Speculation  hatte, 
auseinandersetzen  und  er  that  dies  vermittelst  des  Dialogs  Pannenides  so, 
dass  er  in  dessen  erstem  Theile  die  EinwĂĽrfe  der  Megariker,  welche  er 
freilich  nicht  widerlegen  konnte,  die  ihn  aber  doch  auch  nicht  zum  Auf- 
geben seiner  Ideenlehre  veranlassten,  hinstellte,  im  zweiten  TheiJe  alier 


Litteraturbericht.  495 

mit  den  eigenen  Waffen  der  zenonisch-ro^^rischen  Oialectik  die  UnhalU 
barkeit  des  eleatisch  -  megarischen  EiitheitsbegrifTs  darlegte.  .Alle  Ein- 
wflrTe*  —  das  will  Plato  nach  Dr.  Apelt's  Meinung  mit  und  in  dem  Par- 

menides  sagen  —  .die  ihr  (Hegartker)  mir  macht,   kann  ich  euch  in  ver- 
etärktem  Maosse  und  mit  neuen   vermehrt  zurückgeben*.      ,Uass   Plato 
dies  nun  in  sophistischer  Weise  that,   wQrde  sich  aus  dem  polemischen 
Zweck  dea  Ganzen,  so  lange  wir  an  Plato  als  dem  Verfasser  festhalten,  auf 
<]as  Beste  nicht  nur  begreifen  lassen,  sondern  als  um  so  wirksamer  aner- 
kannt werden  mOssen,   als  darin  zugleich  eine  meisterhafte  Persiflage  der 
eleatisch-megarischen  Dialeclik  liegt  u.  s.  w.*  Am  Schluss  glaubt  der  Verf. 
dem  Dialog  Parmenides  eine  so  frQhe  Abfassungszeit  zuweisen  zu  mĂĽssen, 
dass  er  ihn  noch  vor  Sophista  und  Theaelet  setzt,   die  doch  seiner  Hej- 
DDng  nach  auch  schon  frĂĽh  anzusetzen  sind,  und  glaubt  aus  diesem  Um- 
stände das  befremdende  Stillschweigen  des  Aristoteles  Ober  denselben  er- 
\&na  zu  kSnnen.    Was  den  Ref.   anbetrifft,  so   ist  dessen    seit   vielen 
Jihren  gewonnene  und  festgehaltene  Ansicht  von  der  Uiiechtheit  des  Par- 
menidesdiali^  durch  Dr.  Apelt   nicht    im  Geringsten   erschSttert  worden. 
Et  freut  sich  zwar,  anerkennen  zu  können,  dass  der  Haupttheil  der  Apelt'- 
achen   Schrift,    die   sehr    eingehende   Untersuchung    des   zweiten    Theiles 
te  Dialogs  (p.  3— 31)  einen    wichtigen  Fortschritt   in  der  Analyse  und 
richtigen  Schätzung  des  wunderlichen  Opus  bildet,    und  findet  auch  das, 
was  Dr.  Ă„pelt  gegen  Zeller's  allerdings  schon  hinreichend  widerlegte  An- 
sicht ĂĽber  das  von  Plato  angeblich  angenommene  VerhSItniss  der  Ideen 
ni  den  Erscheinungen  pag.  33—40  beibringt,  durchaus  sacbgemtlss.   Aber 
der  von  Dr.  Apelt  selbst  versuchten  Verwerlhung   jener  Argumentationen 
Vi  Gunsten  eines  abschliessenden  Urtbeils  ĂĽber  den  gesammten  Dialog  als 
ein  Werk  Flato's  kann  er  sich   nicht  anschliessen.    Ref.  glaubt  im  Hin- 
blick auf  die  Einleitung  des  Theaetet   nicht  an  derartige  .Auseinander- 
setzungen* zwischen  Plato  und  der  megarischen  Schule,  am  allerwenigsten 
zu  einer  so  fHlben  Zeit,   wo  es  noch  keine  megarische  Schule  gab;    er 
glaubt  aber  auch  nicht,    dass  wenn  Plato  sich    mit  den  Hegarikern  hatte 
.auseinandersetzen"  wollen,  er  es  so  angefangen  hätte,  wie  Dr.  Apelt  auf 
Grnnd  sdner  Auslegung  des  Parmenides  annimmt.    Was  wflre  wohl  un- 
g«chiiiier  gewesen,  als  die  Einwürfe,  weiche  er  nicht  widerlegen  konnte, 
•dbat  mit  wichtiger  Miene  als  unwiderleglich  vorzubringen  und  daran  eine 
meht  enute,   sondern  nur  scheinbare,  dm'ch  und  durch  sophistische  und 
ungereimte  Widerlegung  des  m^arischen  Grundprincips  zu  knĂĽpfen?    Das 
Bne  wie  da«  Andere  bt  Ptatos  durchaus  unwürdig.    Freilich  ersehen  wir 
-  {Rep.  X,  Theaelet,    Phaedo),  dass  der  Ideenlehre 
'en  gewichtige  EinwĂĽrfe  gemacht  wor- 
im  unbequem  genug  waren,  aber  wir 
rwehren  sucht,  so  gut  er  es  kann.   Im 
t:  da  wird  die  Idecnlebre  ganz  ernst- 
jehalten.   Wenn  Dr.  Apelt  mit  Recht 
;.)  Plato's  immer  gleiches  Festhallen 
er  uns  dann  glauben  machen  wollen, 


496  Litteraturbericht. 

dass  Plato  den  ersten  Theil  des  Parmenides  hätte  schreiben  können?  Da 
wäre  ja  Plato  mit  sich  selbst  in  offenen  Widerspruch  gerathenl  Und 
wenn  Dr.  Apelt  die  erbärmliche  Sophistik  des  in  beständiger  Nachahmung 
des  Zenonisches  Buches,  wie  gradezu  angedeutet  wird,  abgefassten  zweiten 
Theiles  als  solche  erkannt  hat,  ja  dies  in  dankenswerther  Art  nachwdst, 
wie  kann  er  dann  noch  meinen,  dass  ein  grosser  Denker,  wie  Plato,  auf 
diese  Manier  die  Megariker  habe  können  widerlegen  oder  auch  nur  ver- 
spotten wollen?  Dass  der  Parmenidesdialog  zum  Megarismus  in  irgend 
einem  Yerhältniss  steht,  ist  sicherlich  anzunehmen,  aber  weder  kann  er 
einfach  denselben  zu  widerlegen  bestimmt  gewesen  sein,  weil  sonst  der 
erste  Theil  all'  und  jeden  Sinn  verliert,  noch  kann  er  Plato  zum  Ver- 
fasser haben,  weil  man  diesem  (von  allen  anderen  formellen  GrĂĽnden  ab- 
gesehen) nicht  die  Albernheit  zutrauen  darf,  durch  den  von  ihm  boch- 
geschätzten  Parmenides  schwer  wiegende  und  auch  als  solche  ausdrücklich 
bezeichnete  GrĂĽnde  gegen  seine  eigne  Ideenlehre  vortragen  zu  lassen,  ohne 
dass  auch  nur  ein  Versuch  gemacht  wird,  dieselben  zurĂĽckzuweisen.  Aber 
wenn  man  an  die  entscheidendsten  Stellen  des  Dialogs  denkt  (p.  135folgg.), 
so  scheint  es  auch  gar  nicht  so,  als  ob  der  Verfasser  mehr  als  ein  obe^ 
flächlicher  Nachahmer  und  zugleich  Bewunderer  der  zenonischen  Dialectik 
war,  womit  nicht  streitet,  dass  er  die  in  den  philosophischen  Schulen 
umlaufende  Polemik  gegen  Plato's  Ideenlehre  kannte,  welche  er  curioser 
Weise  unter  der  Maske  des  Parmenides  zu  Markte  gebracht  hat. 


ErlEnternngen  zu  des  Sextus  Emplricng  Pyrrhonelseheu  Omndcfigeii. 

Von  Ettgen  Pappenheim,  Leipzig,  E.  Koschny  (L.  Heimann's  Verlag) 
1881.  (VI.,  290  S.)  S\  (Philos.  Bibliothek  Bd.  86). 
Prof.  E.  Pappenheim  hatte  bereits  im  Jahre  1877  seine  Uebersetzung 
der  wichtigsten  Schrift  des  Sextus,  der  Pyrrhoneischen  GrundzĂĽge,  in  der 
Philos.  Bibliothek  (Bd.  74)  veröffentlicht,  deren  Verdienst  um  so  grösser 
war,  als  fĂĽr  jenen  skeptischen  Philosophen  ausser  dem  Gommentar  des 
alten  J.  A.  Fabricius  ein  nennenswerthes  HĂĽlfsmittel  kaum  bestand.  Jetzt 
lässt  er  nun  seine  Erläuterungen  zu  jener  Schrift  folgen,  die  als  ein  fort- 
laufender Gommentar  dazu  zu  betrachten  sind  und  sich  der  erstgenannten 
Publication  durchaus  würdig  anschliessen.  Zu  den  vorliegenden  Erläuterun- 
gen erfreute  sich  Prof.  Pappenheim  noch  einer  UnterstĂĽtzung  durch  die 
nachgelassenen  Papiere  des  im  Januar  1877  ĂĽi  Erlangen  verstorbenen 
Prof.  D.  Zimmermann,  der  sich  nahezu  fĂĽnfzig  Jahre  vorzugsweise  mit 
Sextus  Empiricus  beschäftigte  und  besonders  der  Vorbereitung  einer  kri- 
tischen mit  lateinischer  Uebersetzung  und  Erklärung  zu  begleitenden  Aus- 
gabe der  Pyrrhoneischen  GrundzĂĽge  bis  in  die  letzten  Lebensjahre  hinein 
seinen  andauernden  Fleiss  gewidmet  hatte.  Diesen  auf  Sextus  bezĂĽglichen 
litterarischen  Nachlass  Zimmermanns  hat  also  Prof.  Pappenheim  benutzen 
dürfen,  wie  denn  auch  seine  Erläuterungen  an  vielen  Stellen  bezeugen, 
wo  er  seine  Uebereinstimmung   mit  oder   seine  Abweichung   von  Jenes 


Litteraturbericht.  497 

Ansichten  vorträgt.  Auch  Pappenheim  hat  dem  Sextus  mehrjährige,  sehr 
eingehende  Studien  zugewandt  und  erweist  sich  in  seinem  Gommentar 
als  ebenso  tĂĽchtigen  Kenner  der  alten  Philosophie  und  der  auf  sie  bezĂĽg- 
lichen Litteratur,  wie  als  geschickten  Interpreten  des  durch  Bekkers  Aus- 
gabe dem  Yerständniss  allerdings  viel  näher  gebrachten  Textes  seines 
Schriftstellers.  Man  wird  fortan  bei  der  LeetĂĽre  des  Letzteren  des  Pappen- 
heim'schen  Commentars  nicht  entrathen  dĂĽrfen.  Als  besonders  werthvoU 
sei  daraus  nur  die  Abhandlung  ĂĽber  die  zehn  Tropen  hervorgehoben  (zu 
§  35  p.  21 — 46;  man  vergl.  auch  die  Anmerkung  zu  §  164  p.  63—65) 
welche  fĂĽr  jeden  der  Geschichte  der  Philosophie  Beflissenen  von  grossem 
Interesse  sein  wird,  so  wie  auch  die  Erörterung  zu  §  226—235  p.  82—86 
über  das  Verhältniss  der  Skepsis  zur  späteren  Akademie.  Da  Sextus  £m- 
piricus  nicht  bloss  fĂĽr  die  Geschichte  der  Philosophie  Wichtigkeit  hat, 
sondern  auch  durch  seine  Skepsis  selbst  noch  directere  Beziehungen  zur 
modernen  Behandlungsweise  wissenschaftlicher  Probleme  bietet,  so  bilden 
Pappenheim's  beide  Arbeiten  über  denselben  einen  höchst  schätzens- 
wertben  Beitrag  zur  philosophischen  Bibliothek. 


ülatorwisseiischaftliche  Thatsachen  und  Probleme.  Populäre  Vor- 
träge von  W,  Preyer,  Prof.  d.  Physiol.  und  Director  des  physiol.  In- 
stituts d.  U.  Jena.  Berlin,  Gebr.  Paetel.  (VIII,  340  S.)  8^ 
An  den  in  diesem  Bande  vereinigten  Vorträgen,  welche  bereits  in 
Zeitschriften  oder  in  der  Form  von  Broschüren  veröffentlicht  worden 
waren,  hat  der  Verf.,  indem  er  sie  jetzt  zusammen  herausgibt,  hier  und  da 
sachliche  und  formelle  Verbesserungen  vorgenommen  und  Excurse  hinzu- 
gefügt. Die  beiden  ersten  Vorträge  beschäftigen  sich  mit  den  aUgemeinen 
Bedingungen  und  den  verschiedenen  Ansichten  von  der  Entstehung  des 
Lebens;  der  dritte  handelt  von  der  Goncurrenz  in  der  Natur;  der  vierte 
von  den  Empfindungs-  und  Bewegungsnerven,  der  fĂĽnfte  von  den  Grenzen 
dei'  sinnlichen  Wahrnehmung,  der  sechste  vom  thierischen  Magnetismus, 
der  siebente  ist  „Psychogenesis'^  überschrieben,  und  der  achte  verbreitet 
sich  ĂĽber  die  Aufgabe  der  Naturwissenschaft.  Der  vierte  und  fĂĽnfte  die- 
ser Vorträge  haben  am  meisten  positiv  wissenschaftlichen  Gehalt  und 
erscheinen  auch  am  abgerundetsten,  während  die  ersten  sich  mehr  mit 
Hypothesen  und  Allgemeinheiten  beschäftigen;  von  ganz  besonderem 
Werthe  dĂĽrfte  aber  der  sechste  sein  ĂĽber  den  sog.  thierischen  Magnetismus, 
der  mit  seiner  Beigabe  von  litterarischen  Notizen  allgemeiner  Beachtung 
empfohlen  zu  werden  verdient.  In  den  beiden  letzten  Vorträgen  hat  sich 
der  Verfasser  an  Themata  gewagt,  die  vor  einem  grösseren  Publikum  zu 
verbandeln  kaum  zulässig  erscheint.  Es  sind  darin  zwar  recht  hübsche, 
theilweise  recht  geistreiche  Reflexionen  gegeben,  aber  ein  befriedigender 
Abschluss  wird  nicht  erreicht.  Die  beigegebenen  Excurse  enthalten  viel 
des  Interessanten  und  Unterrichtenden. 


Philosoph.  Monatshefte  18^1,  VII  u.  VIII.  32 


496  LĂśteraturbericht. 

Zur  Religiontphilosophie. 


Die  Religion  des  Gewisgens  als  Zuknnftsideal.    Von  Dr.  Alea:.  Wtr- 
niehe.    Berlin,  C.  Duncker,  1880.    XIV  und  127  S. 

Diese  Schrift  tritt  fĂĽr  das  Zukunftsideal  einer  Religion  ein,  die  nur 
im  Gewissen,  wie  dasselbe  sich  im  Menschen  allmählich  entwickelt  hat 
und  seinen  Ausdruck  findet  in  dem  kategorischen  Imperativ:  , Suche  die 
Gesammt- Willens -Befriedigung  zu  vermehren/  ihre  Quelle  hat  und  keinen 
anderen  Gottesdienst  kennt  als  den  einer  thatkräftigen  Menschenliebe.  Das 
Ghristenthum  hat  sich  nach  der  Meinung  des  Verfassers  ĂĽberlebt  Die 
Kritik  hat  erwiesen,  dass  die  Urkunden  des  Ghristenthums  die  in  sich 
widersprechendsten  Lehren  und  Auffassungen  der  Person  Christi  enthalten. 
Christus  selbst  ist  zwar  eine  durchaus  edle  Gestalt,  aber  wie  er  selbst 
eigentlich  nur  der  Messias  der  Juden  sein  wollte,  so  ist  auch  die  von  ihm 
gelehrte  Moral  nicht  f^ei  von  Lohnsucht.  Zwar  kommt  in  der  Trinitäts- 
lehre  die  Versöhnung  des  transcendenten  Gottes  mit  dem  immanenten 
zum  Ausdruck,  allein  im  Allgemeinen  hat  der  Protestantismus  seine  cultur- 
historische  Aufgabe,  das  Christenthum  zu  vernichten,  bereits  vollendet. 
Es  kommt  nun  darauf  an,  die  Idee  einer  Religion  des  Gewissens  philo- 
sophisch zu  begrĂĽnden.  Der  Verfasser  geht  dabei  von  dem  Kantischen 
Freiheitsbegriff  aus  und  versucht  dessen  Unhaltbarkeit  darzuthun.  Es  ist 
Kant  nicht  gelungen,  die  Gottesidee  mit  der  Idee  der  individuellen  Frei- 
heit in  Einklang  zu  setzen.  Kant  sage,  die  Schöpfung  beziehe  sich  nicht 
auf  Erscheinungen,  sondern  auf  Dinge  an  sich;  sowie  nun  die  Freiheit 
unbeschadet  des  Naturmechanismus  der  Handlungen  behauptet  werden 
könne,  so  könne  auch  durch  den  Umstand,  dass  die  handelnden  Wesen 
Geschöpfe  seien,  die  Freiheit  nicht  angefochten  werden,  weil  die  Schöpfung 
ihre  intelligible,  nicht  ihre  sensible  Existenz  betreffe  und  also  nicht  als 
Bestinmiungsgrund  der  Erscheinungen  angesehen  werden  könne.  Kant 
durfte  aber  nicht  von  einem  Reiche  der  Dinge  an  sich  sprechen,  sondern 
nur  von  einem  Noumenon,  weil  die  Zahl  nur  in  der  Sinnenwelt  Bedeu- 
tung hat.  Dieses  Noumenon  ist  Gott,  die  Welt  aber  seine  Erscheinung. 
Von  Freiheit  kann  nur  in  dem  Sinne  die  Rede  sein,  dass  Gott  sich  in 
dreier  Wahl  die  Gesetze  seines  Wirkens  vorgeschrieben  hat,  von  denoi  er 
jedoch  nun  nicht  mehr  abweichen  kann.  So  gelangt  der  Verf.  zum  Pan- 
theismus, dem  auch  Kant  einmal  sehr  nahe  gewesen  sein  soll  (S.  59).  In 
der  Art,  wie  nun  der  Verf.  die  durchgängige  Abhängigkeit  des  Willens 
«als  gesetzmässiger  Reaction*'  darstellt,  vernimmt  man  mehrfach  Anklänge 
an  Schopenhauer.  Die  Tugend  ist  insoweit  lehrbar,  als  die  Vorstellung 
des  Sittengesetzes  in  ausreichender  Stärke  erzeugt  werden  kann,  um  die 
entgegengesetzten  Motive  zu  ĂĽberwinden.  Der  Zweck  der  Strafe  kann  nur 
sein,  das  Individuum  zu  bessern  und  die  Gesellschaft  zu  schĂĽtzen.  Der 
sittliche  Maassstab  ist  der  höchste,  weil  im  sittlichen  Leben  sieh  der 
immanente  Crott  vorzugsweise  offenbart. 


Litteraturbericht.  499 , 

Der  Verf.  meint  sehr  richtig:  «Die  Religion  darf  nicht  wissen,  wo 
die  Dichtung  beginnt*  (S.  112).  Femer:  ,die  Idee  der  Gottheit  ist  zu 
jeder  Zeit  in  eine  bestimmte  Anschauungsform  gekleidet  worden"  (S.  107). 
Dieses  scheint  uns  nur  im  Widerspruch  damit  zu  stehen,  dass  der  Grott.es- 
dienst  in  Zukunft  nur  ein  praktischer,  auf  Menschenliebe  gerichteter  sein 
soll.  Auch  ist  es  uns  unfasslich,  wie  man  Kant's  Unterscheidung  von 
Noumenon  und  Erscheinung  zu  adoptiren  und  dabei  sich  zum  Pantheis- 
mus zu  bekennen  vermag. 


Pigtlelsmiis  und  8ii1»8taiiiialiBiiiiis.    Von   Eduard  Jankowski,   Königl. 
Gymnasiallehrer  a.  D.   G6then,  P.  Schettler,    1880.    VIII  und  172  S. 

Der  Verf.  bezeichnet  als  ein  Haupterforderniss  der  Wissenschaftlich- 
keit, sich  bei  jedem  ausgesprochenen  Satze  bewusst  zu  sein,  welchen  Grad 
Ton  Gewissheit  derselbe  hat.  Daher  muss  die  Methode  den  Stoff  nach 
den  Gebieten  des  Wissens,  Glaubens  und  Vermuthens  sondern.  Insofern 
das  Wissen  ein  sehr  beschränktes  ist,  muss  dem  Glauben  die  allerhöchste 
Wichtigkeit  fĂĽr  unser  theoretisches  wie  praktisches  Verhalten  beigemessen 
werden.  Die  innere  NOthigung  des  Glaubens  unterscheidet  den  Pisticis- 
mus  von  dem  Skepticismus.  Die  Gewissheit,  welche  die  Denkgesetze  gewähren, 
ist  keineswegs  eine  absolute.  Die  vielgerĂĽhmte  Induction  unserer  Tage 
darf  doch  nie  von  absolutem  Wissen  sprechen.  „Wenn  nämlich  in  den 
Experimenten  X  immer  durch  die  Factoren  A,  6,  G  erzielt  worden  ist,  so 
ist  es  doch  immerhin  möglich,  dass  noch  ein  Factor  D  stets  mitgewirkt 
habe,  ohne  dass  wir  eine  Kenntniss  davon  hatten,  so  dass  A,  B,  G  fĂĽr 
sich  kein  X  geben  wĂĽrden. '^  Da  aber  die  Begriffe,  Urtheile  und  SchlĂĽsse 
auf  den  Denkgesetzen  beruhen,  so  wird  von  jenen  dasselbe  gelten  wie 
von  diesen.  Denn  etwas  Apriorisches  giebt  es  ĂĽberhaupt  nicht  in  unserer 
Erkenntniss;  alle  Erkenntniss  stammt  der  Form  und  dem  Inhalte  nach 
aus  der  Erfahrung.  Die  Erfahrung  wird  nur  durch  die  Erfahrung  begriffen. 
Der  Raum  ist  nicht  eine  reine  Anschauung.  Als  Bewegungsmöglichkeit 
nehmen  wir  vielmehr  einen  realen  Raum  an;  er  ist  daher  etwas  Intelli- 
gibles.  Der  Raum  muss  als  unendlich  gedacht  werden.  Als  solcher  ist 
er  eine  äussere  Wesenheit  Gottes.  Wäre  er  etwas  Apriorisches,  so  müss- 
ten  alle  Menschen  dieselbe  Vorstellung  von  ihm  haben.  Sogar  die  geo- 
metrischen Axiome  werden  nur,  wie  die  Naturgesetze,  a  posteriori  durch 
Induction  gewonnen.  Aebnliches  gilt  von  der  Zeit;  auch  sie  ist  eine 
äussere  Wesenheit  Gottes.  Dadurch,  dass  Raum  und  Zeit  als  äussere 
Wesenheiten  Gottes  gedacht  werden,  wird  Gott  keineswegs  versinnlicht ; 
denn  wir  nehmen  Raum  und  Zeit  in  ihrer  Realität  und  abgesehen  von 
den  räuiplichen  und  zeitlichen  Dingen  durchaus  nicht  mit  den  fünf  Sinnen 
wahr.  Die  geheime  Quelle  alles  metaphysischen  Nihilismus  liegt  darin, 
dass  man  sich  das  Absolute  ausser  Raum  und  Zeit  dachte.  Die  neuere 
Philosophie  hat  ein  gewisses  Bestreben,  den  Unendlichkeitsbegriff  als  Miss- 
gebilde zu  beseitigen;  damit  hängt  zusammen  die  Auffassung  des  Raumes 


500  Litteraturbericht. 

und  der  Zeit  als  bloss  in  uns  liegender  und  daher  mit  uns  und  der  Well 
verschwindender  Anschauungen,  und  doch  erhält  durch  die  RSumlicbkeit 
und  Zeitlichkeit  die  rein  geistige  Substanz  sozusagen  erst  Fleisch  und 
Bein. 

Wie  Raum  und  Zeit  etwas  Wesentliches  sind,  so  sind  auch  die  An- 
schauungsbilder in  uns  nicht  nur  subjektive  Zeichen  von  VorgäDgen  in 
der  realen  Welt,  sondern  wirkliche  Bilder  der  Dinge.  Wir  werden  also 
unseren  Sinnen  trauen.  Auch  das  ist  Pisticismus.  —  Auch  die  geistigen 
Vermögen  des  Menschen  sind  nichts  apriorisches.  Sie  sind  nur  etwas 
Intellectuelles;  wir  abstrahiren  sie  aus  der  Erfahrung.  Real  sind  nur  die 
göttlichen  Willenseffekte. 

Das  Nichts  kann  nicht  sein.  Daraus  folgert  der  Verf.  den  Begriff  des 
Absoluten,  und  zwar  ist  dieses  schon  deshalb,  weil  Raum  und  Zeit  seine 
äusseren  Wesenheiten  sind,  ein  all  =  eines;  es  ist  ferner  ein  persönliches, 
da  das  Nichtwissen  von  sich  eine  Negation  in  dem  Absoluten  wäre,  wäh- 
rend es  doch  schlechthin  Position  ist.  —  In  der  Wahrnehmung  sind  Sub- 
stanz und  Accidenz  eben  so  wenig  zu  trennen,  wie  sie  Oberhaupt  nicht 
anders  als  in  abstracto  getrennt  werden  können.  Wir  nehmen  also  die 
Substanz  nackt  und  bloss  in  ihren  Zuständen  wahr.  Das  ist  Substanzia- 
lismus.  Indem  die  Welt  durchaus  abhängig  von  dem  Absoluten  gedacht 
werden  muss,  erscheint  die  Willensfreiheit  allerdings  unerklärlich;  doch 
ist  dieses  kein  Grund,  sie  zu  leugnen.  —  Alle  unmittelbare  Wahrnehmung 
ist  Intusperception.  Der  menschliche  Greist  ist  mit  seinem  Körper  «gleich- 
zeitortig."  Darauf  beruht  die  Sicherheit  alles  Wahmehmens.  Wir  inQssen 
annehmen,  dass  die  Dinge  so  sind,  wie  sie  uns  erscheinen.  Sonst  wäre 
Alles  Täuschung.  — 

Im  letzten  Abschnitt  sucht  der  Veri.  auf  genetischem  Wege  darzuthun, 
wie  wir  zur  Erkenntniss  einer  räumlich  ausgedehnten  Welt  und  eines 
realen  Raumes  gelangen.  Er  stellt  sich  zu  diesem  Zweck  ein  denkendes, 
fĂĽhlendes  und  wollendes  Ich  vor,  dem  jedoch  immer  nur  ein  Sinn,  dann 
zwei  und  mehrere  Sinne  ohne  Bewegung,  endlich  sämmtliche  Sinne  in 
Verbindung  mit  der  Bewegung  beigelegt  werden.  Hieraus  ergeben  sich 
dann  die  spezifischen  Welten  und  Räume  der  einzelnen  wie  der  kombi- 
nirten  Sinne,  und  es  zeigt  sich  endlich,  welchen  erstaunlichen  Einfluss  die 
Bewegung  auf  das  Zustandekommen  der  normalen  Ansicht  von  der  Welt  hat 
(Auf  S.  130  ff.  wird  eine  treffliche  Polemik  gegen  die  Annahme  von  mehr  als 
drei  räumlichen  Dimensionen  durchgeführt.)  Das  bewegungslose  Ich  würde 
im  wachen  Zustande  umgekehrt  träumen  d.  h.  es  würde  die  Spiegelbilder  des 
Gesichtssinnes,  die  wir  in  Folge  der  Bewegungserfahrung  auch  träiunend 
nach  aussen  hin  reflektiren  und  demgemäss  perspektivisch  schauen,  nur 
flächenhaft  auffassen.  So  ist  die  Bewegung  auch  der  Schlüssel  zum  Ver- 
ständniss  des  Traumlebens;  der  Unterschied  zwischen  dem  Traumleben 
und  dem  wirklichen  Leben  beruht  nur  auf  dem  in  dem  ersteren  von 
Aussendingen  völlig  unabhängigen  Entstehen  der  Sinnesbilder.  Auch  der 
Somnambulismus  und  alle  visionären  Zustände,  in  denen  die  unabhängigen 


Litteraturbericht.  501 

Sinnesbilder  eine  so  merkwürdige  Rolle  spielen,  sind  nur  möglich  unter 
Voraussetzung  der  Bewegungserfahrung,  daher  jene  Zustände  bei  dem 
bewegungslosen  Ich  nicht  eintreten  können. 

Diese  interessante  und  mit  musterhafter  Klarheit  abgefasste  Schrift 
ist  ein  lebhafter  Protest  gegen  den  transcendentalen  Idealismus  Kant's. 
Der  Versuch,  die  sinnliche  und  die  Obersinnliche  Welt  zu  OberbrĂĽcken, 
wird  freilich  an  der  von  Kant  dagegen  errichteten  Veste  scheitern.  Den 
Gläubigen  lässt  die  inbrünstige  Gluth,  mit  der  er  sich  im  Grebet  seines 
Gottes  dadurch  zu  versichern  meint,  dass  er  ihn  unter  den  verschiedensten 
bildlichen  Bezeichnungen  anruft,  nicht  zur  Erkenntniss  des  Widerspruches 
kommen,  der  darin  liegt,  das  Uebersinnliche  auf  diesem  Wege  zu  erfassen, 
allein  Kant  sollte  denen,  fĂĽr  die  es  gilt,  doch  nicht  vergebens  sein  quos 
ego!  zugerufen  haben. 


Der  Streit  wider  den  nnbewnssten  Athelsmns  dieser  Zelt  auf  Veran- 
lassung von  0.  Pfleiderers  neuester  Religionsphilosophie  und  Vortrag 
ĂĽber  Christen  thum  und  Naturwissenschaft  fortgesetzt  von  ĂĽ.  R.  Schmid, 
zweite  vermehrte  Ausgabe.   MĂĽnchen.   Ackermann.   1879.   34  S. 

Darstellniig  der  christlichen  Bellgrlon  fOr  alle  Gebildete  insonderheit 
Lehrer  und  Geistliche  von  U.  R,  Schmid.  p.  em.  MĂĽnchen,  Ackermann. 
1880.    183  S. 

Ein  Mahnmf  an  unsere  Zelt  auf  Grund  des  tiefsten  Zusammenhangs 
ihrer  Verirrungen  nebst  Andeutungen  fĂĽr  den  wahren  Fortschritt,  von 
U.  R,  Schmid.  Zweite  verb.  und  verm.  Auflage.  MĂĽnchen,  Ackermann. 
1880.   148  S. 

In  der  ersten  der  genannten  Schriften  sucht  der  Verf.  zu  zeigen,  dass 
eine  Vereinigung  der  verschiedenen  Weltansichten  durch  den  Verstand 
unmöglich  ist.  Die  mechanische  Nothwendigkeit  schliesst  die  Freiheit 
aus,  und  diese  widerspricht  wieder  der  Allmacht  Gottes.  So  sind  denn 
einerseits  vor  dem  „strengen  Denken**  die  materielle,  die  geistige 
und  die  gläubige  Weltansicht  miteinander  unvereinbar;  andererseits 
freilich  gelangt  erst  das  strengste  Denken  zu  einer  einheitlichen  Welt- 
anschauung. Das  Organ  derselben  ist  unter  FĂĽhrerschaft  der  Vernunft 
als  des  ,  Vermögens  der  Ideen*  der  Mensch  in  der  Vereinigung  aller  seiner 
Geisteskräfte.  Von  diesem  Standpunkt  aus  deutet  nun  der  Verf.  eine  Fort- 
bildung der  Friesischen  Philosophie  an.  Der  Glaube  geht  allem  Wissen 
vorher:  der  Glaube  an  Gott  ist  die  relativ  vollkommene  Art  und  Weise 
der  Erkenntniss.  Unser  persönliches  Verhältniss  zu  Grott  beruht  auf  der 
Allgemeinheit  und  Nothwendigkeit  sowohl  der  Vernunftideen  als  auch  des 
Verhältnisses  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Allerdings  wird  das  unerforsch- 
liche  Wesen  Gottes  dadurch  nicht  erschöpft;  Idee  Gottes  und  Verhältniss 
zu  Gott  mĂĽssen  daher  immer  in  Wechselwirkung  stehen.  Aus  dieser 
Wechselwirkung  folgt  dann  die  Vereinigung  der  verschiedenen  widerstrei- 
tenden Weltansichten  durch  die  religiöse  Weltanschauung.  Der  Pantheis- 
mus bat  nur  poetische  Bedeutung,  indem  er  fĂĽr  das  GefĂĽhl  ein  bildliches 


502  Litieraturbehcbt. 

« 

Einssein  Gottes  mit  der  Welt  ausspricht.  Indem  der  Pantheismus  0.  Pflei- 
derer's  dem  Verstände  genug  thun  will,  verwickelt  er  sich  in  die  gröbsten 
Widerspruche;  er  wird  dadurch  zum  Atheismus,  dass  er  das  ĂĽberwelt- 
liche Wesen  Gottes  verkennt.  Damit  trägt  er  die  Signatur  unserer  Zeit; 
denn  der  Atheismus  dieser  Zeit  geht  aus  dem  Wahn  «einer  durch  den 
Verstand  zu  erreichenden  und  den  Verstand  befriedigenden  einheitlichen 
Weltansicht '^  hervor.  —  Wir  begnügen  uns,  die  beiden  anderen  Schriften 
des  Verf.  an  dieser  Stelle  nur  anzuzeigen,  nachdem  wir  seinen  Standpunkt 
auf  Grund  der  zuerst  genannten  Schrift  dargetban  haben. 

Arthur  Jung. 


Das  Soll  nnd  Haben  der  Menschlieit.  Kritische  Einleitung  in  die  Phi- 
losophie der  Geschichte  von  Dr.  Robert  Binde,  Erste  erweiterte  Abthei- 
lung einer  von  der  phil.  Facultät  zu  Göttingen  belobigten  Preisbewer- 
bungsschrift. Berlin,  1880.  DĂĽmmler.  120  S. 
Die  Philosophie  der  Geschichte  hat  zu  ihrem  Gegenstande  die  Ent- 
wicklung des  menschlichen  Geistes,  wie  er  im  Zusammenhang  mit  der 
Natur  und  im  Verkehr  der  Menschen  in  drei  grossen  Perioden  fortschreitet 
Auf  der  ersten  Stufe  ist  vorherrschend  die  Gebundenheit  in  den  gegebenen 
Natur-  und  Gesellschaftsverhältnissen,  auf  der  zweiten  wird  die  Kritik  zum 
Hebel  des  Fortschritts,  auf  der  dritten  vollzieht  sich  die  Selbstbefreiung 
des  Geistes.  Es  sind  die  Factoren,  welche  diese  Entwicklung  bestimmen, 
und  das  Gesetz  der  Wirkung  festzustellen;  das  letztere  lässt  sieb  aus- 
sprechen als  Antagonismus  der  Bewegung.  Die  sich  bekämpfenden  Gegen- 
sätze erzeugen  in  ihrer  Ausgleichung  den  geschichtlichen  Fortschritt.  Der 
Mensch  hat  sich  nach  dem  übereinstimmenden  Zeugniss  der  Paläontologie, 
der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  und  der  Zoologie  aus  einem  Zu- 
stande der  UnvoUkommenheit  allmählig  erhoben.  Obgleich  die  weisse  Race 
als  eine  bevorzugte  erscheint,  so  kann  doch  an  einer  geistigen  Einheit 
und  Entwicklungsfähigkeit  des  Menschengeschlechts  nicht  gezweifelt  wer- 
den. Die  Geschichtsphilosophie  hat  die  Ergebnisse  sämmtlicher  anthropo- 
logischer Wissenschaften  zusammenzufassen,  um  einer  monistischen  Welt- 
ansicht  Eingang  zu  verschaffen,  in  welcher  Natur  und  Geist,  Materie  und 
Idee,  Aeusseres  und  Inneres,  Sein  und  Denken  zur  Einheit  verknĂĽpft  wer- 
den und  als  Ein  Lebensprozess  erscheinen,  der  nur  fĂĽr  die  Abstraction 
in  zwei  sich  scheinbar  auschliessende  Momente  auseinandertritt.  Jede 
Bewegung  muss  in  jedem  Moment  mit  einer  relativen  Hemmung  behaftet 
sein,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  jedem  Moment  ĂĽberwunden 
wird.  Dieser  Satz  gilt  ebensowohl  fĂĽr  das  Wesen  alles  VorsteUens  und 
Denkens  selbst,  wie  das  Vorstellen  und  Denken  einer  solchen  Hemmuug 
von  aussen  bedarf,  welche  die  reale  Objectivität  der  Dinge  verbürgt.  Aber 
eben  dieses  Gesetz  zeigt  sich  auch  in  allen  Kämpfen  und  daraus  hervor- 
gehenden Siegen  der  geschichtlichen  Bewegung.  Als  subjective  Triebfeder 
der  Geschichte  muss  der  Freiheitstrieb  angesehen  werden;  dieser  zielt 
auf  Uebereinstimmung  des  Denkens  und  Wollens  mit  sich  selber  und  mit 


Litteraturbericht.  503 

der  äusseren  Welt.  Es  gibt  einen  Fortschritt  in  der  Geschichte,  und  zwar 
nicht  blos  in  technischer,  sondern   auch  in  moralischer  Beziehung.    Der 
Mensch  begreift   immer  mehr  seine  Stellung  und  Aufgabe   in  der  Welt: 
wie  sollte  diese  Erkenn tniss  nicht  zur  Erreichung  des  Weltzwecks  in  dem- 
selben Grade  fĂĽhren,  als  die  Thatsachen  der  Gegenwart  auf  allen  Gebieten 
eine  Verfeinerung   des  äusseren,   eine  Vertiefung  und   Bereicherung  des 
inneren  Lebens  darthun,  und  als  das  politisch-ethische,  das  religiös-meta» 
physische  und  das  wissenschaflliche  Problem  mit  immer  wachsendem  Er- 
folge gelöst  werden?     Den  Begriff  der  Freiheit  des  Willens  bestimmt  der 
Verf.  im  Wesentlichen  nach  Hegel:  Der  Geist  ist  frei,  weil  er  sich  selbst 
bestimmt,  wenn  auch  die  Ideen  Anfangs  nur  mittelst  des  Instincts  wirken. 
Die  Herrschaft  der  Vernunft  ist  das  Endziel  der  Geschichte.     Da  der 
menschliche  Geist  von  Anfang  an,   ohne  sich   dessen  gleich  bewusst  zu 
sein,  auf  dieses  Ziel  hingearbeitet  hat,   da  sich  in  dem  Siege  des  Allge- 
meinen ĂĽber  das  wiederstrebende  Einzelne  eine  sittliche  Weltordnung  noch 
immer  wiederhergestellt  hat,   da  ĂĽberhaupt  der  Verlauf  der  Greschichte 
einen  Plan  aufweist,  vermöge  dessen   auch  die  Selbstsucht  der  grossen 
Männer  dem  höchsten  Zwecke  dienen  muss,    und  der   weit  über  den  be- 
schränkten Blick  des  Individuums  hinausliegt,   so  gelangt  die  Geschichts- 
philosophie am  Ende  zu  der  Annahme  einer  göttlichen  Vorsehung. 

Der  unbedingte  Optimismus  des  Verfassers  wird  mit  Recht  Wider- 
spruch hervorrufen.  Gerade  die  Geschichte  legt  uns  wieder  recht  das 
ignoramus  der  Weisen  aller  Zeiten  nahe.  Auf  einem  modernen  Schlacht- 
felde lassen  sich  bekanntlich  die  Chancen  des  Verherens  und  Gewinnens 
schlechterdings  nicht  übersehen  —  sollte  auf  dem  Schlachtfelde  der  Ge- 
schichte diese  Uebersicht  etwa  leichter  sein? 

Arthur  Jung. 


Meine  Forschnngen  Im  Gebiete  des  Geistes«    Zwei  empirisch-philoso- 
phische Untersuchungen  von  Joh,  Arbes.  Pilsen,  G.  Maasch.  1880.  97  S. 

In  der  ersten  der  beiden  Untersuchungen  handelt  der  Verfasser  von 
«unbestimmten  Gefühlen  oder  Denkgefühlen '^.  Die  unbestimmten  Gefühle 
sind  entweder  unbewusste  oder  bewusste;  die  letzteren  treten  wieder  ent- 
weder nicht  sofort  oder  sofort  in's  Bewusstsein.  Bei  den  bewussten  un- 
bestimmten GefĂĽhlen  hat  man  diejenigen,  deren  eigentliches  Wesen  wir 
trotz  des  Bewusstseins  ihrer  Existenz  nicht  kennen,  zu  unterscheiden  von 
denjenigen,  deren  Natur  wir  erkennen.  FĂĽr  die  Forschung  haben  die 
bewussten,  unbestimmten  GefĂĽhle,  die  aus  den  unbewussten  hervorgehen 
können,  die  höchste  Bedeutung;  denn  sie  geben  den  Antrieb  zum  Nach- 
denken, ja,  es  entwickeln  sich  aus  einer  relativen  Klarheit  wieder  unbe- 
stimmte Gefühle  höherer  Ordnung.  So  schreiten  wir  von  einer  Klarheit 
zur  andern  fort,  und  wie  die  Gase  die  Weltkörper  mit  höheren  Regionen 
verbinden,  so  vermitteln  die  DenkgefĂĽhle  Geist  mit  Geist. 

In  der  zweiten  Untersuchung  wird  der  Begriff  der  Freiheit  erörtert. 
Der  Verfasser  geht  von  dem  Begriff  eines  ideellen  Geistes  aus,  indem  er 


504  Neu  eingegangene  Schriften. 

Yon  den  Mängeln  des  aus  der  Erfahrung  erkannten  menschlichen  Geistes 
abstrahirt:  Die  Freiheit  des  ideellen  Geistes  besteht  im  Freisein  von  Hinder- 
nissen bei  dem  bewussten  Vorwärtsschreiten  auf  ein  bestimmtes  Ziel  hin. 
Der  menschliche  Geist  besitzt  nur  ein  Freiheitsvermögen ;  er  bethätigt  sich 
auch  in  Bezug  auf  seine  Freiheit  nach  verschiedenen  Richtungen  verschie- 
den und  ist  nur  frei  auf  dem  Gebiete,  das  er  beherrscht.  Die  moralische 
Freiheit  ist  die  vollkommene  Erkenntniss  der  moralischen  Sdte  einer 
freien  Handlung.  Man  sieht,  dass  der  Freiheitsbegriff  des  Verfassers  ein 
empirischer  bleibt  und  darum  schliesslich  von  dem  der  Nothwendigkeit 
aufgesogen  werden  muss,  wie  er  denn,  allerdings  skeptisch,  mit  dem 
Satze  schliesst:  Wenn  wir  die  Erfahrung  zu  Grunde  legen,  so  erscheint 
unser  Leben  und  Streben  mathematisch  bestimmbar. 

Besonders  durch  viele  treffliche  Beispiele  regen  die  beiden  Aufsätze 
an;  indessen  vermisst  man  doch  zu  sehr  die  Berücksichtigung  der  Lösun- 
gen, welche  die  betreffenden  Fragen  bisher  gefunden  haben. 

Arthur  Jung. 

Das  Wesen  der  Form*  Stunden  des  Nachdenkens  ĂĽber  die  Erscheinun- 
gen des  Erdenlebens  von  Moritz  Tower,  Leipzig.  Ed.  Wartigs  Verlag 
(E.  Hoppe).    1880.    (116  S.)  8*. 

Das  BĂĽchelchen,  welches  sich  durch  elegante  Ausstattung  und  leichten 
angenehmen  Styl  empfiehlt,  zerfällt  in  drei  Theile.  Im  ersten  sucht  der 
Verf.  darzuthun,  dass  Alles  in  der  Welt  aus  dem  Licht  als  seiner  Quelle 
stamme,  eine  nicht  gerade  neue  Ansicht,  die  sich  aber  um  so  weniger  als 
richtig  nachweisen  lässt,  als  bis  jetzt  kein  Mensch  eigentlich  weiss,  was  das 
Wesen  des  Lichtes  ist.  luden  beiden  letzten  Abschnitten,  , Lebensformen' 
und  «Gulturformen''  überschrieben  bekundet  der  Verfasser  eine  durchaus 
edle  und  wahrhaft  humane  Lebensanschauung,  ohne  sie  indessen  anders  als 
in  der  Form  leichter  Reflexion  geltend  zu  machen. 


Nen  eingegangene  Schriften. 

Land,  J.  P.  N.,  Over  de  uitgaven  en  den  Text  der  Ethica  van  Spinoza. 

Nolen,  D.,  Leibniz,ria  monadologie.    Nouvelle  Edition  annot^. 

Sigwart,  Christoph,  Kleine  Schriften.    1.  2.  Reihe. 

Eucken,  R.,  Zur  Erinnerung  an  R.  Gb.  F.  Krause. 

Hoff  mann,  L.,  Thier-Psychologie. 

TeichmĂĽller,  G.,  Literarische  Fehden  im  4.  Jahrh.  v.  Chr. 

Althaus,  K.,  Von  der  Ueberzeugung  insbesondere  der  religiösen. 

Pietscher,  A.,  Entstehung  und  Inhalt  des  Rechts. 

Ders.,  Jurist  und  Dichter. 

Hauschild,   G.   R.,    Die   rationale   Psychologie    und   Erkenntnisstheorie 

Tertullian's. 
Koeber,  R.,  Schopenhauer's  Erlösungslehre. 
Grapengiesser,  G.,  SprĂĽche  aus  dem  Leben  und  fĂĽr  das  Leben. 
The  Students  Dream. 

Schmitz-Dumont,  0.,  Die  Einheit  der  Naturkräfte. 
Bloch,  Thit.,  Vom  Glauben  und  Wissen.    Saadiah's  Emunoth  we  Deolh. 
Ders.,  Die  Willensfreiheit  von  Ghasdai  Kreskas. 


Biblio^aphie.  505 

Vaibinger,  H..  Gommentar  zu  Kant's  Kritik  der  reinen  Vernunft.  Bd.  1. 

Erste  Hälfte. 
RuDze,  Max,   KanVs  Bedeutung  auf  Grund  der  Entwicklungsgeschichte 

seiner  Philosophie. 
Ghiapelli,  Aless.,  Kant  e  la  psicolögia  contemporanea. 
Grassmann,  Roh.,  Das  Weltleben  oder  die  Metaphysik. 
Reicke,  Job.,  Kant's  Rede  ,,De  Medicina  corporis  quae  philosopborum  est". 
Dembowski,  Job.,  Quaestiones  Aristotelicae  duae. 
Cunha  Seixas,  J.  M.  da,  Galeria  de  sciencias  contemporaneas. 
Ders.,  Principios  geraes  de  pbilosophia  da  historia. 
FlĂĽgel,  0,  Die  speculative  Theologie  der  Gegenwart  kritisch  beleuchtet. 
Zirngiebl,  Eh.,  Jobannes  Huber. 
Adamson,  Robert,  Fichte. 


Bibliographie 

von 

Dr.  F.  Ascherson. 

I.  Gesammelte  Schriften.  Zeitschriften.  Hoffmann,  F.,  philosophische 
Schriften.  7.  Bd.  8.  Erlangen,  Deichert  n.  6  M.  [S.  ob.  Bd.  XV,  S. 
507.]  —  RGmelin,  G.,  Reden  und  Aufsätze.  Neue  Folge.  8.  Freiburg 
i.  B.,  Mohr.  n.  2  M.  —  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  u.  Sprach- 
wissenschaft. Herausgegeben  von  M.  Lazarus  u.  H.  Steinthal.  13.  Bd. 
1.  u.  1  Heft.    8.    Berlin,  DĂĽmmler^s  Verlagsbuchhdlg.    n.  4  M.  80  Pf. 

II.  Zttr  Geschichte  der  Philosophie  und  der  Wissenschaft  Seh  wegler,  A., 
Geschichte  der  Philosophie  im  Umriss.  11.  Aufl.,  ergänzt  durch  eine 
Darstellung  der  Schopenhauer'schen  Lehre  von  R.  Koeber.  8.  Stuttgart, 
Conradi.  n.  3  M.  60  Pf.  —  Seh  weg  1er,  A.,  Geschichte  der  griechischen 
Philosophie.  Herausgegeben  von  K.  Köstlin.  3.  Aufl.  1.  Hälfte.  Frei- 
burg i.  B.,  Mohr.  n.  3M.  —  Kunert,  R..  quae  inter  Glitophontem  dia- 
logum  et  Piatonis  rempublicam  intercedat  necessitudo.  8.  Berlin,  Mayer 
u.  Müller,  n.  1  M.  —  Aristote,  Morale  ä  Nicomaque  [8.  Li  vre].  Texte 
grec  avec  des  notes  par  L.  Levy.  16.  Paris.  Hachette.  Gart.  80  Pf.  — 
Frohschammer,  J.,  Ueber  die  Principien  der  Aristotelischen  Philoso- 
phie und  die  Bedeutung  der  Phantasie  in  derselben.  8.  Manchen,  A. 
xVckermann.  n.  3  M.  —  Bernays,  J. ,  Phokion  u.  seine  neueren  Beur- 
Iheiler.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  griechischen  Philosophie  und 
Politik.  8.  Berlin,  Besser 'sehe  Buchhandlung,  n.  4  M.  —  Koffmane, 
6.,  die  Gnosis  nach  ihrer  Tendenz  und  Organisation.  8.  Breslau,  Köhler, 
n.  60  Pf.  —  Minucius  Felix,  M.,  Octavius.  Ein  Dialog.  Uebersetzt 
T.  Dombart.  2.  Ausg.  8.  Erlangen,  Deichert.  n.  2  M.  40  Pf.  -  Schneid, 
M.,  Die  Philosophie  des  hl.  Thomas  von  Aquin  und  ihre  Bedeutung  fĂĽr 
die  Gegenwart.  8.  Würzburg,  Woerl.  IM.  40  Pf.  —  v.  Reichen  au,  W., 
Die  monistische  Philosophie  von  Spinoza  bis  auf  unsere  Tage.  8.  Göln, 
Mayer,  n.  7  M.  —  Palm,  R.,  Wie  begründet  Locke  die  Realität  der 
Erkenntniss?  8.  Jena,  Neuenhahn.  n.  80  Pf.  —  Leibniz,  la  mona- 
dologie.  Publiee  par  H.  Lacbelier.  16.  Paris,  Hachette.  16.  Gart.  80  Pf.  — 
Pabst,  G.  R.,  Vorlesungen  ĂĽber  G.  E.  Lessing's  Nathan.  Herausgegeben 
von  F.  Edinger.  8.  Bern,  Haller.  n.  4M.  —  Vaihingen  H.,  Gommen- 
tar zu  Kant's  Kritik  der  reinen  Vernunft.  1.  Bd.  1.  Hälfte.  8.  Stuttgart, 
Spemann.  n.  4M.  50  Pf.  —  Fichte,  J.  G.,  Reden  an  die  deutsche  Na- 
tion. Mit  einer  Einleitung  von  J.  H.  Fichte.  Wohlfeile  [Titel-]  Ausgabe 
12.  Freiburg  i.  B.,  Mohr.  n.  35  Pf.  —  Eucken,  R.,  zur  Erinnerung 
an  R.  Cb.  F.  Krause.  Festrede.  8.  Leipzig,  Veit  u.  Go.  n.  1  M.  20  Pf. 
—  Schopenhauer,  A,  Die  beiden  Grundprobleme  der  Ethik.  3.  Aufl. 


506  Bibliographie. 

8.  Leipzig,  Brockhaus.  n.  4M.  50  Pf.  geb.  n.  5M.  50  Pf.  —  Kletschke, 
H.,  Gharakterzuge  aus  dem  Leben  Arthur  Schopenhauers.  Vortrag.  8. 
Quedlinburg,  Huch.  30  Pf.  —  do.  Zeitz,  Huch.  30  Pf.  —  Koeber,  R., 
Schopenhauer's  Erlösungslehre.  8.  Berlin,  G.  Dunckers  Verlag,  n.  1  M. 
—  Voigt,  6.,  Friedrich  Rflckert's  Gedankenlyrik  nach  ihrem  philoso- 
phischen Inhalte  dargIstelU.  8.  Annaberg,  Graser.  n.  1.  M.  80  Pf.  ~ 
de  Magelhaes,  J.  J.  L.,  Silvestre  Pinheiro  Ferreira,  Sein  Leben  und 
seine  Philosophie.  Mit  einer  Einleitung  ĂĽber  die  wichtigsten  portugiesi- 
schen Philosophen  vor  ihm.  8.  Bonn,  Behrendt,  n.  1  M.  —  v.  GhrisU 
W.,  Gedächtnissrede  auf  Leonhard  ?.  Spengel.  4.  München,  Franz'sche 
Buchhandlung,    haar  1  M.  50  Pf. 

III.  Zur  philosophischen  Weltanschauung.  Reiff,  F.,  Giebt  es  einen  Welt- 
zweck? (Zeitfragen  des  christlichen  Volkslebens.  Herausgegeben  von 
E.  Frbr.  v.  Ungern -Sternberg  und  G.  Schlosser.  Heft  38.)  8.  Heilbronn, 
Gebr.  Henninger.  n.  1  M.  —  Du  hoc,  J.,  Der  Optimismus  als  Weltan- 
schauung und  seine  religiös  ethische  Bedeutung  für  die  Gegenwart  8. 
Bonn,  Strauss  Verlag,  n.  7  M.  —  Gätschenberger ,  S.,  Nihilismus, 
Pessimismus  u.  Weltschmerz.  (Deutsche  Zeit-  und  Streitfragen.  Flog- 
Schriften  zur  Kenntniss  der  Gegenwart.  Herausgeg.  von  F.  v.  Holtzen- 
dorfT.  Heft  152.)  8.  Berlin,  Habel.  Subscriptionspreis  n.  75  Pf.  Einzel- 
preis n.  1  M.  —  Soury,  J.,  de  Hylozoismo  apud  recentiores.  8.  Paris, 
Ollendorff.  haar  4  M.  —  Seh  reit  er,  E.,  Die  Versöhnung  von  Natur  u. 
Kultur.  (Vorträge  über  unsere  Zeit  und  naturgemässe  Philosophie.  8. 
Leipzig,  Hohn.    n.  2  M.  80  Pf. 

IV.  Zur  Logik.  Kirchner,  F.,  Katechismus  der  Logik  (Weber*s  illustrirte 
Katechismen  Nr.  100).  8.  Leipzig ,  Weber.  Geb.  n.  2  M.  50  Pf.  - 
Scheffler,  H.,  Die  Naturgesetze  und  ihr  Zusammenhang  mit  denPrin- 
cipien  der  abstrakten  Wissenschaften.  4.  (Schluss-)Theil.  Die  Theorie 
des  Bewusstseins  oder  die  philosophischen  Gesetze.  8.  Leipzig,  Förster, 
n.  9  M.    [S.  ob.  Bd.  XVI,  S.  378.]     - 

V.  Zur  Metaphysik.  Grassmann,  R.,  das  Weltleben  oder  die  Metaphysik. 
8.  Stettin,  Grassmann.   6  M. 

VI.  Zur  Naturphilosophie.  Darwin*s,  Gh.,  Gesammelte  Werke.  Auswahl  in 
6  Bänden.  Lief.  27,  28.  29,  30,  31,  32,  33,  34,  35,  36.  8.  Stutt|^ 
Schweizerbart'sche  Verlagshandlung,  ä  n.  1  M.  [S.  ob.  S.  377.]  —  Haeckel, 
E.,  Ueber  die  Entstehung  und  den  Stammbaum  des  Menschengeschlechts. 
Zwei  Vorträge.  (Sammlung  gemeinverständlicher  wissenschafthcher  Vor- 
träge, herausgegeben  von  R.  Virchow  und  F.  v.  Holtzendorff.  Heft  52 
und  53).  4.  Aufl.  8.  Berlin,  Habel.  n.  1  M.  60  Pf.  —  Weber,  H., 
Ueber  Gausalität  in  den  Naturwissenschaften.  Rede.  8.  Leipzig,  En- 
gelmann, n.  60  Pf.  —  Schmitz-Dumont,  0.,  Die  Einheit  der  Natur- 
kräfte und  die  Deutung  ihrer  gemeinsamen  Formel.  8.  Berlin,  G. 
Duncker's  Verlag,  n.  4M.  —  Grundlehren,  die,  der  wahren  Natur- 
religion nach  Darwin  u.  Haeckel.  Moderne  Dogmen  fĂĽr  Kirche  u.  Haus. 
8.    Berlin,  Staude,    n.  1  M. 

VII.  Zur  Ethik,  Culturgeschichte  und  Rechtsphilosophie.  Zahn,  D.,  Die  na- 
tĂĽrliche Moral  chrisUich  beurtheilt  und  angewandt  auf  die  Gegenwart  in 
Kirche,  Schule  und  innere  Mission.  8.  Gotha,  Schlossmann.  n.  3  M. 
60  Pf.  —  Sittenlehre,  die  katholische.  Zum  Gebrauche  für  die  Zög- 
linge des  k.  Schullehrer-Seminars  in  Freising.  8.  Freising,  Datterer^s 
Verlag,  n.  60  Pf.  —  Du  bring,  E. ,  Der  Werth  des  Lebens,  populär 
dargestellt.  3.  Aufl.  8.  Leipzig,  Fues'  Verlag,  n.  6  M.  —  S  top  ei,  F., 
Die  freie  Gesellschaft.  Versuch  einer  Schlichtung  des  Streites  zvrischen 
Individualismus  u.  Socialismus.  8.  Chemnitz,  Schmeitzner.  n.  6  M.  60  Pf. 

VIII.  Zur  Anthropologie  und  Psychologie.  Gless,  A.,  Das  Ideal  der  Mensch- 
heit. Nach  G.  Chr.  Fr.  Krause's  Schrift  „Das  Urbild  der  Menschheit* 
8.  Stuttgart,  Krabbe,  n.  2  M.  geb.  haar  2 M.  50  Pf.  —  Mittheilungen 


Bibliographie.  507 

der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien.  Red.  v.  F.Ritter  v.  Hauer, 
C.  Langer,  M.  Mach  etc.  10.  u.  11.  Bd.  8.  Wien,  G.  Gerolds  Sohn  ä  n. 
12  M.  —  Sammlungen,  die  anthropologischen,  Deutschlands.  Berlin. 
1.  Theil.  Zusammengestellt  von  G.  Broesche.  4.  Braunschweig,  Vieweg 
u,  Sohn.  n.  7  M.  20  Pf.  —  Zell  er,  E.,  üeber  die  Messung  psychischer 
Vorgänge.  4.  Berlin,  Dümmlers  Yerlagsbuchh.  in  Gomm.  n.  80  Pf.  — 
Preyer,  W.,  Ueber  den  Farben-  und  Temperatur- Sinn,  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  Farbenblindheit.  8.  Bonn,  Strauss'  Verlag,  n.  2  M.  — 
Schallberg,  J.,  Unsterblichkeit  oder  die  persönliche  Fortdauer  der 
Seele  nach  dem  Tode.  4.  Aufl.  8.  Naumburg,  RegePs  Verlag,  n.  1  M. 

IX.  Zur  Religionsphliosophie.  Strauss,  D.  F.,  Der  alte  und  neue  Glaube. 
Ein  Bekenntniss.    11.  Aufl.    1.  Liefg.  8.  Bonn,  Strauss  Verlag,  n.  1  M. 

—  Robert,  F.,  Neue  Gedanken  über  Gott.  Gott  das  einzig  unbegreif- 
bare Wesen  in  der  Natur.    8.    Hamburg,  Grflning.  n.  50  Pf. 

X.  Zur  Philosophie  der  Geechichte.  Bergmann,  J.,  Das  Ziel  der  Geschichte. 
Rede.  8.  Marburg,  Elwert'sche  Verlagsbuchhandlung.  75  Pf. 

XI.  Zur  Aeethetiit  Seemann,  Th.,  Grundriss  der  Poetik,  oder  die  Lehre 
von  den  Dichtungsarten.  8.  Berlin,  Bohne,  n.  3  M. 

XII.  Zur  Pädagogik.  E ncy kl opädie  des  gesammtenErziehungs-u.  Unter- 
richtswesens. Herausgegeben  von  K.  A.  Schmid.  4.  Bd.  3.  Abth.  2.  Aufl. 
8.  Gotha,  Besser,  n.  6  M.  [S.  ob.  S.  307.]  —  Klassiker,  pädagogische 
Auswahl  der  besten  pädagogischen  Schriftsteller.  Mit  Erläuterungen. 
Herausgeg.  von  G.A.  Lindner.  8.  u.  9.  Bd.  8.  Wien,  Pichler's  Witwe  u. 
Sohn.  5  M.  50  Pf.  Inhalt:  8.  M.  F.  Quintilianus.  Rednerische 
Unterweisungen.  Bearbeitet  von  G.  Lindner.  Plutarch's  Abhand- 
lung Ober  die  Erziehung  der  Kinder.  Uebersetzt  von  H.  Deinhardt. 
3  M.  50  Pf.  9.  R.  Ascham's  Schulmeister  mit  einer  Einleitung  von 
R.  Ascham's  Leben  u.  Wirken.  Einleitung,  Uebersetzung  u.  Gommentar 
von  J.  Holzamer.  2  M.  [S.  ob.  Bd.  XV.  S.  633.]  —  Schütze,  H.,  Aus- 
lese aus  den  Werken  berühmter  Lehrer  u.  Pädagogen  des  Mittelalters. 
b.  Heft,  Karl  der  Grosse:  Verordnungen  und  Briefe.  8.  GĂĽtersloh,  Ber- 
telsmann, n.  40  Pf.  [S.  ob.  Bd.  XVI,  S.  187.]  —  Vives,  J.  L.,  ausge- 
wählte pädagogische  Schriften.  Uebersetzt  v.  R.  Heine.  Heft  1.  2.  (K. 
Richters  pädagogische  BibUothek  Heft  92.  93).  8.  Leipzig,  M.  Herx's 
Verlag  an.  50  Pf.  —  Rundschan,  allgemeine,  auf  dem  Gebiete  des 
Unterrichtswesens  aller  Länder.  Herausgegeben  von  F.  Körner.  Jahrg. 
1881.  1.  Heft.  8.  Berlin,  Issleib.  Vierteljährlich  3  M.  —  Kellner,  L., 
Kurze  Geschichte  der  Erziehung  und  des  Unterrichts,  mit  vorwaltender 
RĂĽcksicht  auf  das  Volksschulwesen.  6.  Aufl.  8.  Freiburg  i.  B.,  Herder*- 
sche  Verlagshandlung,  n.  2  M.  —  Kruse,  K.,  Die  pädagogischen  Mei- 
nungen des  Michel  Montaigne  nach  den  Begriffen  und  Grundsätzen  der 
philosophischen  Pädagogik  dargestellt  u.  beurtheilt.  8.  Jena,  Neuenhahn, 
n.  IM.  35  Pf.  —  Locke,  John,  Einige  Gedanken  über  Erziehung.  Ueber- 
setzt von  M.  Schuster.  2.  Aufl.  Geb.  n.  3  M.  50  Pf.  (K.  Richter's  päda- 
gogische Bibliothek.  Heft  26-30.)  8.  Leipzig,  M.  Hessens  Verlag,  ä  Heft 
n.  50  Pf.  geb.  cplt.  n.  3  M.  50  Pf.  —  Gitschmann,  W.,  Die  Pädago- 
gik des  John  Locke  historisch  und  psychologisch  beleuchtet.  8.  Göthen, 
Schettler's  Verlag,  n.  1  M.  20  Pf.  dito  n.  1  M.  70  Pf.  —  Eiselen,  F., 
Goethe's  Pädagogik.  Vortrag.   8.  Frankfurt  a.  M.,  Diesterweg.  n.  50  Pf. 

—  Hagemann,  A.,  Was  ist  Charakter  und  wie  kann  er  durch  die  Er- 
ziehung gebildet  werden?  2.  Aufl.  Dorpat,  KrĂĽger,  n.  75  Pf.  dito  3. 
Aufl.  Ebda.  75  Pf.  —  Auer,  L.,  Volksbildung,  Schulfrage,  Schulstreit, 
Gedanken  und  Vorschläge.  8.  Donauwörth,  Buchhandlung  des  katholi- 
schen Erziehungsvereins,  n.  60  Pf.  —  Cornelia,  Zeitschrift  für  häus- 
liche Erziehung.  Herausgegeben  von  C.  Pilz.  36.  Bd.  (5  Hefte.)  1.  Heft. 
8.  Leipzig,  Kempe.  pro  cplt.  2  M.  25  Pf.  —  Chronik,  allgemeine,  des 
Volksschulwesens.  Herausgegeben  von  L.  W.  Seyffarth.  1880.  Neue  Folge. 


508  Recensionen -Verzeichniss. 

3.  Jahrgang.  8.  Breslau,  Morgenstern,  n.  6M.  —  Böhm,  F.,  Vorschläge 
zur  Bekämpfung  des  Materialismus  seiteps  der  Volksschule.  8.  Berlin, 
Haack.  n.  50  Pf.  —  Sehr  ad  er,  W.,  Die  Verfassung  der  höheren  Schu- 
len. Pädagogische  Bedenken.  2.  Aufl.  2.  Ausg.  8.  Berlin,  Hempel.  n. 
6  M.  —  V.  Tiling,  W.,  Von  dem  Rechte  und  dem  Werthe  der  Gyni- 
nasialbildung.  8.  Riga,  Stieda's  Verlag,  n.  1  M.  40  Pf.  —  Stöckl,  A., 
Der  moderne  Religionsunterricht  an  den  deutschen  Gymnasien.  8.  Mainz, 
Kirchheim.  75  Pf.  —  v.  Tiling,  Der  gymnasiale  Religionsmitemeht.  8. 
Riga,  Stieda^s  Verlag,    n.  1  M.  40  Pf. 


Becensionen  -  Yerzelchniss. 

Aristotle,  Nicoraachean  Ethics  translated  by  Peters.  (Academy  475  y. 
Herbert  Richards.) 

Arnold,  B.,  Lessings  Emilia Galotti  in  ihrem  Verhältniss  z. Poetik  d.  Ari- 
stoteles und  zur  Hamburgischen  Dramaturgie.  (Archiv  f.  d.  Stod.  d. 
neueren  Spr.  65,  2.3.) 

Ascher,  allgemeine  Grundsätze  der  vorbeugenden  u.  korrektioneilen  Er- 
ziehung. (Dtsche.  Schulztg.  24,  Beilage.) 

Bahn  seh,  des  Epikureers  Philodemus  Schrift  tibqI  atifjtsitoy  xai  ffiifjieuSastĂĽv. 
(Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschritt  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v. 
M.  Heinze.) 

Bauer,  Christus  u.  die  Gitesaren.  (Jahresher.  ĂĽber  den  Fortschr.  d.  class. 
Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 

Biedermann,  G.,  Philosophie  als  Begriffswissenschaft.  (Dtsche.  Literatur- 
Ztg.  26  V.  E.  Laas.) 

Bilharz  und  Dannegger,  metaphysische  AnfangsgrĂĽnde  der  mathema- 
tischen Wissenschaft.  (Gegenwart  22  v.  W.  Boliu.) 

Braitmaier,  die  poetische  Theorie  Gottscheds  u.  der  Schweizer.  (Archiv 
f.  d.  Stud.  d.  neueren  Sprachen  65,  2.  3.) 

Braune,  Mark  Aurel's  Meditationen.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class. 
Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 

Busse,  de  praesidiis  Aristotelis  Politica  emendandi.  (Dtsche.  Literaturztg. 
22  V.  F.  Susemihl.) 

Cicero  de  legibus  ed.  Boirac.  (Revue  crit.  22  v.  E.  Benoist.) 

Danzei  u.  Gubrauer,  G.  E.  Lessing.  2.  Aufl.  (L.  C.  23.) 

Deisenberg,  Theismus  u.  Pantheismus.  (Deutsche  Literaturztg.  22  v.  H. 
Cohen.) 

Dich],  Zur  Ethik  des  Stoikers  Levin  von  Kittron.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fort- 
schr. d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 

Doxographi  graeci  v.  Diels.  (Jahresber.  ĂĽber  Fortschr.  der  class.  Alter- 
thumswiss. 1880,  4.  5  V.  M.  Heinze.) 

Du  hoc,  der  Optimismus  als  V^eltanschauung.  (Gegenwart  28  v.W.  Bolin.) 

Edgeworth,  Mathematical  Psychics,  an  Essay  on  the  App^cation  of  Ha- 
thematics  in  the  Moral  sciences.  (Academy  476  v.  A.  Marshall.) 

Ehren  hau  SS,  die  neuere  Philosophie  und  der  christliche  Glaube.  (Dtsche. 
Literaturztg.  24  v.  0.  Pfleiderer.) 

Falckenberg,  GrundzĂĽge  der  Philosophie  des  Nicolaus  Cusanus.  (Z.  f. 
Philos.  u.  philos.  Kritik.  N.  F,  77,  2.) 

Fischer,  K.,  Geschichte  der  neueren  Philosophie.  1.  Thl.  3.  Aufl.  (Gegen- 
wart 29  V.  Hugo  Göring.) 

Fischer,  K.,  G.  E.  Lessing  als  Reformator  der  deutschen  Literatur  da^ 
gestellt.  (Dtsche.  Literaturztg.  28  v.  E.  Schmidt.) 

Fowler,  Bacon  (Academy  474  v.  Franklin  T.  Richards.) 

Franke,  Stoicismus  u.  Christenthum.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  cJass, 
Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 


Recensionen  -  Verzeicbniss.  509 

Geiger,  der  Ursprung  der  Sprache.   2.  Aufl.   (Literar.  Merkur  18  v.  Dr. 

H.  Spatzier.) 
Girard,  ia  philosopbie  scientifique   (Gott.  geb.  Anz.  23,  24  v.  Baumann.) 
Gizycki,  P.  v.,  ĂĽb.  d.  Leben  u.  die  Moralphilosophie  des  ÂŁpikur.  (Jahres- 

ber.  Ob.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Glöckner,  quaestiones  Annaeanae.    (Jahresber.  üb.  d.  Fortschr.  d.  class. 

Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Glogau,  G.,  Ziel  u.  Wesen  der  humanistischen  Bildung.  (Dtsche.  Litera- 

turztg.  28.) 
Gomperz,  neue  BruchstĂĽcke  Epikur 's,  insbesondere  ĂĽber  die  Willensfrage. 

(Jahresber.  ĂĽber  d.  Fortschr.  der  class.  Alterthumswiss.  1880.  4.  5  v. 

M.  Heinze.) 
Guy  au.  la  morale  d*Epicure.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alter- 
thumswiss. 1880,  4.  5  V.  M.  Heinze.) 
Haas,  J.,  de  L.  Annaei  Senecae  philosophi  monitis.   (Jahresber.  ĂĽber  den 

Fortschr.  d.  dass.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Harms,  Geschichte  der  Logik.  (L.  G.  27). 

Hartmann,  E.  v.,  die  Krisis  des  Christenthunis  in  der  modernen  Theo- 
logie. (Dtsche.  Literaturztg.  22,  v.  H.  Holtzmann.) 
Hauck,  Staat  u.  Gesellschaft  (Im  neuen  Reich  26.) 
Heinze,  die  Erkenntnisslehre  der  Stoiker.  (Jahresber.  ĂĽber  den  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.) 
Hellenbach,  die  Vorurtheile  der  Menschheit.  (L.  G.  24.) 
Hellenbach,  aus  dem  Tagebuche  eines  Philosophen.  (Literar.  Merkur  18, 

V.  Dr.  H.  Spatzier.) 
Henne-am  Rhyn,  Kulturgeschichte  des  Judenthums.    (Dtsche.  Literatur- 
ztg. 24  y.  Wellhausen.) 
Jankowski,  Pisticismus  und  Substanzialismus.  (L.  C.  24.) 
Kant,   von  der  Macht  des  GemĂĽthes  seiner  krankhaften  GefĂĽhle  Meister 

zu  sein.  (Frauenanwalt  6.) 
Kern,  F.,  Untersuchung  ĂĽber  die  Quellen  der  Philosophie  des  Xenophanes. 

(PhĂĽoL  Anz.  4.  5.) 
Kern,  G.,  Bemerkimgen  zum  zehnten  Buch  d.  Laertius  Diogenes.  (Jahres- 
ber. ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4. 5.  v.  M.  Heinze). 
Krause,  populäre  Darstellung  von  Kant's  Kritik  der  reinen  Vernunft.  (Im 

neuen  Reich  27.) 
Leibniz,  philosophische  Schriften,  herausg.  v.  Gerhardt.  (L.  G.  27.) 
Marcus   Aurelius   Selbstbetrachtungen.    Uebersetzt  von  A.  Wittstock. 

(Jahresber.  ĂĽber  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1881,  4.  5.  v. 

M.  Heinze.) 
Marx,  Anordnung  der  die  Medicin  betreffenden  AussprĂĽche  des  Philosophen 

Seneca.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4. 

5.  V.  M.  Heinze.) 
Matinee,  Piaton  et  Plotin.  (Dtsche.  Literaturztg.  24.  v.  H.  F.  MĂĽller.) 
Mendelssöhn's,  M.,  Schriften  zur  Philosophie.  (Dtsche.  Literaturztg.  28. 

V.  J.  B.  Meyer.) 
Michelet,  System  der  Philosophie.  Bd.  4,  1.  ( Viertel jschr.  f.  Volkswirth- 

sch.  u.  Gulturgesch.  Bd.  70.) 
MĂĽnz,  die  Keime  der  Erkenntnisstheorie  in  der  vorsophistischen  Periode 

d,  griech.  Philosophie.  (Philol.  Anz.  3  v.  H.  v.  Kleist.) 
Mullach,  Fragmenta  philosophorum  graecorum.   Vol.  III.    (L.  G.  28.)  v. 

M.  W(o)'hlr(a)b. 
Nägelsbach,  v.,  Gymnasial-Pädagogik.  (Z.  f.  Gymnasialwesen  5.) 
Noble,  die  Staatslehre  Plato's  (Jahrb.  f.  Nationalökon.  u.  Statistik.  N.  F. 

3,  1.  V.  A.  Krohn.) 
Papiro  Ercolanese  inedito,  v.  D.  Comparetti.   (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 


610  Recensioiien  -  Veneichniss. 

Pesch,  institutiones  phĂĽosophiae  naturalis  sec.  principia  S.  Thomae  Aqui- 

natis.  (Natur  u.  Offenbarung  27,  6.) 
Piatonis  opera  ed.  H.  Schanz.  (Dtsche.  Literaturztg.  Nr.  S5  y.  Susemihl.) 
Plotin  Enneaden  ĂĽbersetzt  von  H.  F.  MĂĽller.  (L.  G.  26.) 
Plotini  Enneades  rec.  H.  F.  MĂĽller.  Vol.  II.  (L.  G.  26.) 
Probst,  E.,  L.  Annaeus  Seneca  aus  seinen  Schriften.  (Jahresber.  ĂĽber  d. 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Rieger.  Goethe's  Faust  nach  seinem  religiösen  Gehalte.  (L.  G.  24.) 
Schaefer,   F.,  quid  Graeci  de  origine  phĂĽosophiae  a  harharis  duoenda 

ezistimayerint.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  AlterthuiDswiss. 

1880,  4.  5.  y.  M.  Heinze.) 
Schlegel,  J.  H.,  ĂĽber  den  BegrifT  d.  Romanischen.  (Archiv  f.  d.  Stud.  d. 

neuer.  Spr.  65,  2.  3.) 
Schmid,  Encyklopädie  des  gesammten  Erziehungs-  u.  Unterrichtswesens. 

(Z.  f.  Gyronasialwesen  5  v.  Klix.) 
Schneemann,  die  Entstehung  der thomistisch-molinistischen Gontroverse. 

(Katholik  N.  F.  23,  Mai  v.  Höhler.) 
Schneider,  K.,  Rousseau  u.  Pestalozzi.  (Dtsche.  Schulztg.  24,  Beilage.) 
Schneider,  0.,  ein  Lehrplan  f.  d.  deutschen  Unterricht.  (L.  G.  25.  Zeit- 

sehr.  f.  Gymnasialwesen  6.  v.  Wilmanns.) 
Schumann,  Geschichte  der  Pädagogik  im  Umriss.  2.  Aufl.  (Dtsche. Schul- 
ztg. 24,  Beilage.) 
Schuster,   ĂĽber  die  erhaltenen  Portraits  der  griechischen  Philosophen. 

(Jahresber.  ĂĽb.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Senecae  Dialogorum  libri  XII  rec.  Koch  et  Vahlen   (Jahresber.  Ober  die 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Senecae  epistulae  aliquot  ex  Bambergensi  et  Argentoratensi  codicibus  ed. 

BĂĽcheier.   (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880, 

4.  5.  y.  M.  Heinze.) 
Senecae  libri  de  beneficiis  et  de  dementia  rec.  Gertz.   (Jahresber.  Ober 

d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Senecae  monita  et  eiusdem  morientis  extremae  voces  ex codd. Paris,  pri- 

mus  ed.  WölfiElin.    (Jahresber.  üb.  d.  Fortschr.  der  class.  Alterthums- 
wiss. 1880,  4.  5.  V.  M.  Heinze.) 
Seoane,  elliptische  Philosophie  d.  verborg.  Wirkenden.  Th.  2.  (L.  G.  26.) 
Siedler,  de  L.  Annaei  Senecae  philosophia  morali.    (Jahresber.  ĂĽber  die 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Strümpell,  psychologische  Pädagogik.   (Jahrb.  f.  Philol.  u.  Pädagogik.  5. 

V.  M.  Jahn.) 
Symbolae  Joachimicae.  Th.  2.  (Ztschr.  f.  Gymnasialwesen.  7. 8.  v.  Paulsen.) 
Tylor,  Anthropology  (Academy  471.  v.  F.  W.  Rudier.) 
Vignoli,  Mythus  u.  Wissenschaft.  (Dtsche.  Litztg.  27.  v.  H.  Usener.) 
Vischer,  Altes  u.  Neues.  (Literar.  Merkur  16  u.  17  v.  Dr.  G.  Rennert.) 
Vogel,  systematische  Encyklopädie  der  Pädagogik.  (L.  G.  25.) 
Win  ekler,  der  Stoicismus  eine  Wurzel  des  Ghristenthums.  (Jahresber.  Qb. 

d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Wunder,  L.  Annaeus  Seneca  quid  de  diis  senserit.    (Jahresber.  ĂĽber  d. 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5.  v.  M.  Heinze.) 
Ziemer,  das  psychologische  Moment  in  der  Bildung  syntaktischer  Sprach- 

formen.  (Philol.  Anz.  4.  5.) 
Ziller,  allgem.  philosophische  Ethik.  (Gott.  gel.  Anz.  23.24.  v.  Baumann.) 


Aus  Zeitschriften.  611 

A118  Zeitsehriften. 

ZatttchrHt  fOr  Philosophie  und  philosophische  Krliil(.  GegrĂĽndet  von  J.  H. 
V.  Pichte,  redigirt  von  Herrn.  Ulrici.  Halle.  Bd.  79.  Heft  1.  Dr.  G. 
Runze,  Kritische  Darstellung  der  Geschichte  des  ontologischen  Beweis- 
verfahrens seit  Anselm  (2.  Art.).  •—  Prof.  Dr.  Joh.  Volkelt,  Die  Farben 
und  die  Seele.  —  Dr.  J.  L.  A.  Koch,  Ueber  das  Unterscheidungsver- 
mögen. —  Dr.  Th.  Achelis,  Kritische  Darstellung  der  Platonischen 
Ideenlehre.  —  Recensionen:  H.  Ulrici,  F.  Kirchner,  Ethik,  Katechismus 
der  Sittenlehre.  —  H.  Ulrici,  Prof.  Dr.  Gaspari,  Das  Erkenntnisspro- 
blem.* —  Ders.,  M.  Heinze,  Zur  Erkenntnisslehre  der  Stoiker.  —  Ders., 
Ernst  Plalner  als  Gegner  Kant's.  —  Ders.,  P.  Knoodt,  Anton  Günther.  — 
F.  Hoff  mann,  L.  B.  Hellenbach,  Die  Vorurtheile  der  Menschheit.  — 
Dr.  B.  T.  St  räter,  Dr.  Joh.  H.  Witte,  Die  Philosophie  unserer  Dichter- 
Heroen.  —  Prof.  Dr.  Rabus,  Dr.  Julius  Bahnsen,  Der  Widerspruch  im 
Wissen  und  Wesen  der  Welt.  —  Prof.  Dr.  A.  Richter,  G.  Liebmann, 
Zur  Analysis  der  Wirklichkeit.  —  Ders.,  Gustav  F.  Pfisterer,  Pädago- 
gische Psychologie.  —  Ders.,  Stefan  Fellner,  Gompendium  der  Natur- 
wissenschaften aus  der  Schule  zu  Fulda  im  IX.  Jahrhundert.  —  G.  J. 
Gerhard,  Leibnizen's  und  Huygen's  Briefwechsel  mit  Papin.  —  Prof. 
Dr.  Gottschick,  Die  ,. LĂĽcke*  in  Kant's  Beweis  fĂĽr  die  transscendentale 
Idealität  von  Raum  und  Zeit.  —  Bibliographie. 

Viorteljahrsschrift  fOr  wissensohaftliche  Philosophie,  unter  Mitwirkung  von 
M.  Heinze  und  W.  Wundt,  herausg.  von  Th.  Avenarius.  Jahrg.  V. 
Heft  3.  P.  Harzer,  Leibniz'  dynamische  Anschauungen.  —  E.  Laas, 
Vergeltung  und  Zurechnung.  2.  Art.  —  E.  Kraepelin.  Ueber  Tnigwar- 
nehmungen.  2.  Art.  (Schluss.)  J.  Bergmann,  Erwiderung.  —  G.  Sig- 
wart,  Berichtigung.  —  Anzeigen:  G.  v.  Gizycki,  —  Dr.  H.  Höffding, 
Die  Grundlage  der  humanen  Ethik.  —  Selbstanzeigen:  Bleuler,  E.  und 
Lehmann,  K.  —  Spitta,  H.  —  Philosophische  Zeitschriften.  —  Biblio- 
graphische Mittheilungen.  —  Garl  Görings  literarischer  Nachlass. 

Mind.  A  quarterly  review  of  psychology  and  philosophy.  London, 
Williams  and  Norgate.  Nro.  XXIU  July  1881.  Prof.  J.  Earle,  The 
History  of  the  Word  ,Mind'.  —  E.  Montgomery,  The  Substantiality 
of  Life.  —  J.  T.  Punnett,  Efficiency  as  a  Proximate  End  in  Morals.  — 
Prof,  J.  Royce,  „Mindstuff"  and  Reality.  —  J.  Sully,  George  Eliot's 
Art.  —  Notes  and  Discussions.  —  Critical  Notices.  —  New  Books.  — 
Miscellaneous. 

Tho  Journal  of  speculatlve  Philosophy.  Ed.  by  W.  T.Harris.  1881  Jan. 
Vol.  XV.  Nr.  1.  Schelling  on  medicine  etc.  tr.  by  E.  S.  Morgan.  — 
Hegel  on  the  absolute  religion  tr.  by  F.  L.  Sold  an.  —  The  Science  of 
Education  paraphr.  by  A.  C.  Brockett.  —  Analysis  of  Rosenkranz  Peda- 
gogics  by  the  editor.  —  Kants  Anthropology  tr.  by  A.  E.  Kroeger.  — 
Notes  and  Discussions.  —  Book  Notices.  —  Books  received. 

Rovuo  phllosophique  de  la  France  et  de  Titrangor.  Dir.  par  Th.  Ribot. 
Paris,  G.  Balliere  et  Go.  1881.  Nr.  6.  Georges  Gu^rauJt,  Du  röle 
du  Mouvement  dans  les  4motions  esth^tiques.  —  A.  Fouill^e,  Critique 
de  la  morale  de  Kant  (2.  article).  —  Herbert  Spencer,  Des  gouverne- 
ments  compos^.  —  Adrien  Naville,  L'amour-propre:  ^tude  psycholo- 
gique.  —  Analyses  et  comptes  rendus:  Sergi,  Elementi  di  psicologia.  — 
Ardigö,  Lo  studio  della  storia  della  filosofia.  —  Benno  Erdmann, 
Kant's  Kritik  der  Urtheilskraft.  —  Franck,  R^formateurs  et  publicistes 
de  TEurope.  —  Ar6s  y  Sanz,  Discurso  sobre  la  metafisica.  —  Revue 
des  p^riodiques  ^trangers:  Viertel jahrsschrift  fĂĽr  wissenschaftliche  Philo- 
sophie. —  Zeitschrift  für  Philosophie  und  philosophische  Kritik.  —  J.  Ocho- 
rowicz,  Projet  d*un  congr^s  international  de  Psychologie.  —  A.  Espinas, 
La  Philosophie  4cossaise  au  XVIII.  siöcle  et  les  origines  de  la  philosophie 


512  MisceUe. 

anglaise  contemporaine  (2r  article).  —  6.  Guöroult,  Du  röle  du  mou?e- 
ment  dans  les  ämotions  esth^tiques  (iin).  —  Herbert  Spencer,  Lecorps 
consultatif.  —  Analyses  et  comptes  rendus:  A.  deRoberty,  La  socio- 
logie.  —  W.  Wallace,  Epicureanism.  —  J.  Veitch,  The  Method  ofDes- 
cartes  with  a  new  introductory  Essay.  —  Notices  bibliographiques:  Leo- 
pold Bresson.,  Id^es  modernes:  cosmologie,  t^ociologie.  —  P.  Knoodt, 
Anton  Günther,  eme  Biographie.  —  S.  F.  de  Do  mini  eis,  La  pedagogia 
e  il  Darwinismo.  —  C.  Bosa,  La  familia  educatrice  ecc.  —  Revue  des 
p^riodiques  ^trangers:  La  Rassegna  critica.  —  Rivista  di  filosofia  scienü- 
lica.  —  P.  Jan  et,  Sur  la  valeur  du  syllogisme.  —  A.  Espinas  La  Philo- 
sophie ^cossaise  au  XVIIL  sidcle  et  les  origines  de  la  philosophie  anglaise 
contemporaine  (3.  article).  —  P.  Tannery,  L*^ucation  platonicienne 
(3.  article).  —  Analyses  et  comptes  rendus:  B.  Perez,  L'^ucation  d^s 
le  berceau:  essai  de  p^dagogie  exp^rimentale.  —  Benno  Er d manu, 
Kant's  Kriticismus:  eine  historische  Untersuchung  (1.  article).  —  J.  P. 
Mahaffy,  Descartes.  —  Notices  bibliogrophiques :  B.  Gonta,  Philosophie 
mat^rialiste:  introduction  k  la  m^taphysique.  —  G.  Piola,  Forza  e  ma- 
teria.  —  0.  Pfleiderer.  Religionsphilosophie  auf  geschichtlicher  Grund- 
lage. —  Revue  des  p4riodiques  ^trangers:  Mind.  —  The  Platonbt.  — 
The  Princeton  Review. 

La  fiio8ofia  delle  tcuole  Italiane,  rivista  bimestrale.  Roma  Vol.  XXIU. 
2a.  Franc.  Bonatelli,  Filosofia  della  Storia.  —  La  Storia  come  fattore 
della  Goltura  umana.  —  G.  Jandelli,  Sociologia.  11  Precursore  di  Mal- 
thus.  —  Bibliografia:  1)  Seb.  Turbiglio.  —  2)  Ad.  Franck.  —  3)B.Pera. 
—  4)  G.  M.  Bertini.  —  5)  G.  Barzellotti.  —  6)  A.  BrogiaJdi.  —  7)  S. 
Prato.  —  8)  P.  E.  Tuletti.  —  P.  D.  Ercole,  Sülle  Idee,  risposta  al  prof. 
Ferri.  —  Corsi  filosofici  nelle  üniversitä  Italiane.  —  II  corso  di  EsLetica 
del  prof.  Tari.  —  Recenti  publicazioni. 


Mlscelle. 


Auf  eine  an  mich  ergangene  Anfrage  will  ich  hiermit  öiTentlich,  da 
die  Sache,  obwohl  eine  Kleinigkeit,  doch  nicht  ohne  allgemeineres  Interesse 
ist,  bemerken,  dass  der  heut  zu  Tage  viel  gebrauchte  Ausdruck  «Nihilis- 
mus**  allerdings  nicht,  wie  vielfach  behauptet  wird,  von  dem  russischen 
Novellisten  Turgenieff  zuerst  gebraucht  worden,  sondern  dass  er  älteren 
Datums  ist.  Ich  kenne  ihn  namentlich  aus  Job.  Heinr.  Jacobi's  Schriften, 
wo  er  z.  B.  im  dritten  Bande  der  Werke  p.44  und  p.  291  vorkommt  Ob 
aber  Jacobi  Erfinder  des  Terminus  «Nihilismus*^  sei,  wie  man  aas  der 
ersteren  der  beiden  angeführten  Stellen  schliessen  möchte ,  vermag  ich 
nicht  zu  sagen.  G.  S. 

Der  Nekrolog,  welcher  dem  am  2.  Juli  zu  Berlin  verstorbenen  Pro- 
fessor Herrn.  Lotze  zugedacht  ist,  kann,  da  das  Manuscript  dazu  sich  noch 
nicht  im  Besitz  der  Redaction  befindet,  erst  im  nächsten  Heft  erscheinen. 


Druck  von  P.  Neuaser  in  Bonn. 


Die  Aofgibe  ond  die  Fundamentilsehwierigleit  der  ErleautnisH- 
th«orie  als  «iaer  foraossetniDgslosen  Wissensehaft. 


I. 

Jede  Wissenschaft  —  mit  alleiniger  Ausnahme  derjenigen, 
die  sich  eben  dm-ch  diese  Erörtermigen  als  nothwendig  er- 
weisen soll  —  macht  eine  gewisse  Voraussetzung  über  die 
Möglichkeit  des  Erkennens.  Entweder  setzt  das  wissenschaft- 
liche Denken  stillschweigend  voraus,  dass  der  Gegenstand 
seiner  Wissenschaft,  sei  es  in  erschöpfender  Weise,  sei  es 
bis  zu  einem  gewissen  Umfange  und  Grade,  dem  Erkennen 
zugänglich  sei,  oder  es  wird  doch  wenigstens  stillschweigend 
angenommen,  dass  es  ĂĽberhaupt  ein  objectives,  d.  h.  ein 
in  allgemeingĂĽltiger  Weise  Gesetze  feststellendes  Erkennen 
gebe.  Zuweilen  nämlich  sind  die  Wissenschaften  so  vorsich- 
tig, bevor  sie  in  die  Untersuchung  ihres  Gegenstandes  ein- 
treten, sich  die  Frage  nach  den  Grenzen,  die  sich  auf  ihrem 
Gebiete  vielleicht  dem  menschlichen  Erkennen  entgegenstellen, 
vorzulegen.  Allein  indem  sie  an  die  Beantwortung  dieser 
Frage  gehen,  konmit  es  ihnen  nicht  in  den  Sinn,  die  Mög- 
lichkeit des  Erkennens  ĂĽberhaupt  zu  bezweifeln  und  zu 
prĂĽfen.  Und  es  ist  dies  auch  ganz  in  der  Ordnung;  denn 
wollte  jede  Wissenschaft  ab  ovo,  mit  der  Beantwortung  der 
Frage  nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens  überhaupt  anfan- 
gen, so  wĂĽrde  sie  sich  Untersuchimgen  aufbĂĽrden,  die  so- 
wohl dem  Gegenstande  als  der  Methode  nach  einen  von  dem, 
was  sie  eigentlich  betreiben  will,  grundverschiedenen  Cha- 
rakter haben.  Auch  mĂĽsste  dann  jede  Wissenschaft  mit 
genau  denselben  und  zudem  höchst  weitläufigen  ^und  ver- 
wickelten Erörterungen  beginnen.     Es  wird  daher  —  wenn 

Philosoph.  Monalshefte  1881,  IX  u.  X.  33 


514         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

solche  Erörterungen  überhaupt  nöthig  sind  —  das  Amt  einer 
besonderen  Wissenschaft  sein,  sie  zu  fĂĽhren. 

Das  Entscheidende  in  der  Beantwortung  der  Frage,  ob 
und  in  welchem  Sinne  eine  besondere  Wissenschaft  vom  Er- 
.  kennen  gefordert  sei,  liegt  darin,  dass  das  objective  Erkennen 
nicht  absolut  selbstverständlich,  nicht  absolut  un- 
bezwei feibar  ist.  Diese  Einsicht  ergibt  sich  einfach  aus 
der  unbestreitbaren  Erwägung,  dass  alle  die  Akte,  die  darauf 
Anspruch  erheben,  ein  Erkennen  zu  sein,  unabtrennbar  an 
das  Individuum  gebunden  sind,  sich  zunächst  und  unmittelbar 
nirgends  anderswo  als  im  Bewusstsein  des  Individuums  voll- 
ziehen. Es  mag  sein,  dass  diese  Akte  mehr  sind  als  bloss 
individuelle  Bewusstseinsphänomene ;  es  mag  vielleicht  sogar 
die  Ansicht,  welche  ihnen  kein  weiteres  Sein  und  Gelten  zu- 
schreibt, unglaublich  flach  und  absurd  sein;  allein  zunächst, 
vor  aller  Reflexion,  Untersuchung  und  BegrĂĽndung,  steht  es 
keineswegs  fest,  dass  das,  was  wir  fĂĽr  einen  Erkenntnissakt 
halten,  mehr  sei  als  ein  ganz  individueller  Vorgang,  der  weder 
auf  die  Zustinmiung  der  anderen  Individuen  rechnen,  noch 
für  eine  gesetzmässig  verknüpfte  Wirklichkeit  Geltung  bean- 
spruchen dĂĽrfe,  fasse  man  das  Wirkliche  nun  als  Ding  an 
sich  oder  rein  phänomenalistisch  auf.  Wodurch  sollte  uns 
in  einer  Weise,  die  alle  Untersuchung  ĂĽberflĂĽssig  machte,  ver- 
bürgt werden  können,  dass  das  Erkennen  eine  vom  Riechen, 
Schmecken  u.  dgl.  qualitativ  verschiedene  Geltung  habe  ?  Das 
Erkennen  ist  wie  das  Riechen  ein  individueller  Bewusstseins- 
vorgang  und  hat  die  Wirklichkeit  eines  solchen.  Soviel  ist 
unbestreitbar.  Darüber  hinaus  aber  hört  die  Unbezweifeibar- 
keit  auf. 

Es  wäre  ein  ganz  naiver  Einwand,  dass  das  Erkennen  sich 
durch  die  Zusammenstimmung  mit  der  Wirklichkeit,  der  Er- 
scheinung oder  der  Erfahrung  rechtfertige.  Denn  Wirklichkeit, 
Erscheinung,  Erfahrung  —  dies  Alles  existirt  für  mein  Er- 
kennen ja  selbst  nur  als  ein  Erkanntes,  gehört  zur  Erkennt- 
niss  selber  und  unterliegt  daher,  so  lange  nicht  die  Sicher- 
heit des  Erkermens  anderswie  festgestellt  ist,  gleichfalls  dem 
Zweifel,  ob  es  mehr  sei  als  mein  individuelles  Bewusstseins- 
bild.    Es  ist  ganz  unmöglich,  den  Inhalt  meiner  auf  ein  ob- 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  515 

jectives  Erkennen  Anspruch  erhebenden  psychischen  Akte  mit 
dem  Gegenstande  selbst,  der  erkannt  werden  soll,  zu  ver- 
gleichen. Was  das  Erkennen  in  seine  Hand  bekommt,  ist  ja 
zunächst  und  unmittelbar  immer  schon  wieder  in  die  Form 
eines  individuellen  Bewusstseinsaktes  eingegangen.  Und  ebenso 
naiv  wäre  es,  einzuwenden,  dass  es  ja  doch  so  viele  heute 
allgemein  oder  fast  allgemein  anerkannte  wissenschaftliche 
Sätze  gebe;  warum  solle  die  Theorie  des  Erkennens  sich 
nicht  auf  diese  stĂĽtzen  dĂĽrfen?  Ich  will  hier  zugeben,  dass  unsere 
Zeit  eine  grosse  Anzahl  von  nahezu  allgemein  anerkannten  Wahr- 
heiten aufzuweisen  habe;  ja  ich  will  dem  Einwurfe  sogar  mit 
der  weiteren  Annalune  entgegenkommen,  dass  sich  diese 
Wahrheiten  fĂĽr  die  so  eigenthĂĽmlichen  erkenntnisstheoretischen 
Fragen  mit  grossem  Erfolge  verwerthen  lassen.  Allein  es 
fragt  sich,  ob  die  Thatsache,  dass  eine  Wahrheit  von  der  bei 
Weitem  grössten  Zahl  der  denkfahigen,  gebildeten  Menschen 
einer  Zeit  anerkannt  wird,  das  Erkennen  zu  dem  Rang  eines 
unbezweifelbaren  Factums  erheben  könne.  Und  da  kann  die 
Antwort  nicht  zweifelhaft  sein,  wenn  man  erwägt,  dass  die 
Thatsache  der  allgemeinen  Anerkennung  doch  selbst  zunächst 
nur  als  eine  Vorstellung  meines  individuellen  Bewusstseins 
existirt,  und  dass  die  allgemeine  Verbreitung  einer  täuschen- 
den Einbildung,  die  man  sich  vielleicht  aus  einem  gewissen 
allgemeinen  psychischen  Zwange  entsprungen  denken  könnte, 
keineswegs  zu  den  Unmöglichkeiten  gehört.  —  Es  bleibt  also 
dabei:  die  Wissenschaft  hat  allen  Grund,  sich  mit  der  Frage 
nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens  aufs  Ernsteste  zu  be- 
schäftigen. 

Es  lässt  sich  die  Aufgabe  der  Philosophie  geradezu  da- 
hin bestimmen,  die  Selbstverständlichkeit  möglichst  einzu- 
schränken, üeberhaupt  würde  es  ja  niemals  zu  Fortschritten 
im  Erkennen  gekommen  sein,  wenn  nicht  dasjenige,  was  sich 
bisher  dem  Menschen  als  problemlos,  als  frei  von  allen 
Schwierigkeiten  und  ünerklärlichkeiten  darstellte,  in  immer 
steigendem  Maasse  fĂĽr  ihn  diesen  Charakter  des  Selbstver- 
ständlichen verloren  hätte  und  so  immer  mehr  an  die  Stelle 
eines  einfachen,  ruhigen  Hinnehmens  die  scharfe  Unruhe  des 
Fragens  getreten  wäre.    So  lag  auch  für  die  Philosophie  eine 


516         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  firkenntnisstheorie. 

Hauptbedingung  ihres  Fortschreitens  darin,  dass  diejenigen 
allgemeinen  Weltverhältnisse,  bei  denen  sich  der  Geist  bisher 
als  bei  einem  einfachen  So-  und  Nichtanderssein  beruhigt 
hatte,  immer  mehr  Anstösse  zu  Fragen,  Alternativen  und  ver- 
schiedenen Lösungsmöglichkeiten  darboten.  Da  nun  über  die 
Philosophie  hinaus  keine  Wissenschaft  mehr  liegt,  welche  die 
von  ihr  nicht  gestellten  Probleme  übernähme,  so  darf  von 
ihr  erwartet  werden,  dass  sie  nur  vor  dem  absolut  Selbst- 
verständlichen mit  ihrem  Fragen  Halt  mache  und  nament- 
lich scharf  darauf  Acht  habe,  dass  sie  nicht  Manches  unwill- 
kĂĽrlich, und  ohne  es  ausdrĂĽcklich  fĂĽr  etwas  absolut  Selbst- 
verständliches zu  erklären,  doch  so  behandle,  als  verstände 
es  sich  ohne  Weiteres  von  selbst.  Die  ganze  &kenntniss- 
theorie  im  modernen  Sinne  des  Wortes  ist  aus  einer  solchen 
Verschärfung  des  philosophischen  Bewusstseins  entsprungen. 
Man  sah  immer  deutlicher  ein,  dass  das  Erkennen  keines- 
wegs in  den  Bereich  des  absolut  Selbstverständlichen  gehöre, 
und  dass  sich  daher  die  Philosophie  seine  Möglichkeit  zum 
Probleme  machen  mĂĽsse.  Nur  besass  man  in  den  bei  Weitem 
meisten  Fällen  nicht  genug  Muth  und  Gonsequenz  des  Den- 
kens, um  das  Erkennen  in  seinem  vollen  Umfange,  d.h. 
soweit  es  irgend  auf  AllgemeingĂĽltigkeit  und  auf  ein  Fest- 
stellen von  Regeln,  Gesetzen,  causalen  Beziehungen  u,  dg). 
Anspruch  erhebt,  als  etwas  Fragliches  hinzustellen. 

Werm  man  sich  auf  solche  Weise  das  Erkeimen  in  sei- 
nem vollen  Umfange  und  aus  dem  Grunde,  weil  ihm  die 
Selbstverständlichkeit  oder  Unbezweifelbarkeit  mangelt,  zum 
Probleme  macht,  so  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  welche 
Stelle  der  Erkermtnisstheorie  als  der  sich  mit  diesem  Pro- 
bleme befassenden  Wissenschaft  im  Organismus  der  Wissen- 
schaften gebĂĽhre.  Die  Erkenntnisstheorie  hat  allen  anderen 
Wissenschaften  voranzugehen;  sie  darf  sich  in  keiner  Weise 
Sätze  aus  anderen  Wissenschaften  zur  Grundlage  geben;  sie 
hat  in  ihren  grundlegenden  Erörterungen  alle  anderen  Wis- 
senschaften als  nicht  vorhanden  anzusehen;  sie  ist  die  im 
strengsten  Sinne  voraussetzungslose  Wissenschaft.  Wer 
das  Erkennen  dieses  oder  jenes  Gebietes,  ohne  zuerst 
unser  Problem  erledigt  zu  haben,  ohne  Weiteres  ver- 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntuisstheorie.         517 

sucht  und  ausĂĽbt,  der  kann  wohl  an  irgend  einer  Stelle  sei- 
ner Erkenntnissunternehmungen,  etwa  irgendwo  in  der  Psy- 
chologie oder  Logik  oder  Metaphysik,  auch  den  Fragen,  in- 
wieweit ein  Erkennen  möglich  sei,  worin  es  seine  Bedin- 
gungen und  Schranken  habe  u.  dgl.,  eine  eingehende  Beant- 
wortung widmen.  Und  es  wird  dies,  ohne  Frage  fĂĽr  den 
lĂĽckenlosen  Ausbau  und  die  Befestigung  seines  Standpunktes 
nĂĽtzlich  sein;  ja  es  kann  sich  aus  einer  solchen,  auf  Grund- 
lage mannigfacher  Erkenntnissresultate  aufgebauten,  also  dog- 
matischen Erkenntnisstheorie  als  weiterer  Gewinn  die  werth- 
volle  Einsicht  ergeben,  dass  in  einer  Welt,  die  so  eingerichtet 
ist,  wie  es  die  vorangegangenen  Wissenssätze  ausdrücklich 
oder  implicite  festgesetzt  haben,  ein  Erkennen  von  gewissem 
Charakter  in  der  That  möglich  oder  gar  nothwendig  sei. 
Allein  ganz  unausgemacht  bleibt  es,  ob  ein  solches  Erkennen 
überhaupt  möglich  sei.  Denn  worauf  beruht  für  eine 
solche  dogmatische  Erkenntnisstheorie  die  Erkenntniss,  dass 
die  Wirklichkeit  jene  vorausgesetzte  Beschaffenheit  habe,  aus 
der  sich  ein  gewisses  Erkennen  als  möglich  oder  nothwendig 
ergibt?  Offenbar  doch  selbst  schon  auf  der  Voraussetzung, 
dass  diesem  in  bestimmter  Weise  gearteten  Erkennen  GĂĽltig- 
keit zukomme.  Wie  will  ich  aber  ein  Object  rechtfertigen, 
wenn  sämmtliche  oder  auch  nur  einige  Sätze,  auf  Grund 
deren  diese  Rechtfertigung  geschieht,  selbst  schon  ihre  GĂĽltig- 
keit nur  der  Voraussetzung,  dass  dies  Object  bereits  gerecht- 
fertigt da  stehe,  verdanken?  Eine  Erkenntnisstheorie  also,  die 
logische,  psychologische,  metaphysische  Annahmen  voraussetzt, 
wĂĽrde  gerade  das  BedĂĽrfniss  unbefriedigt  lassen,  das  uns  ziu* 
Forderung  einer  Erkenntnisstheorie  imwiderstehlich  hintrieb. 
Wir  wollten,  weil  dem  Erkennen  die  absolute  Unbezweifel- 
barkeit  mangelt,  uns  darĂĽber  Rechenschaft  geben,  ob  und  in- 
wieweit ein  Erkennen  überhaupt  möglich  sei;  wir  wollten 
verhindern,  dass  das  Erkennen  auf  gut  GlĂĽck  gewagt  werde 
und  ihm  das  principielle  Bewusstsein  ĂĽber  seine  letzten  Kri- 
terien, ĂĽber  seinen  Umfang  und  seine  Grenzen  und  Grade 
fehle;  wir  wollten  die  Gefahr  beseitigen,  die  allen  Wissen- 
schaften von  dem  Einwurfe  droht,  dass  vielleicht  alles  Wissen 
nichts  sei,   als  eine  in  sich  zusammenstimmende  Fiction,   als 


518         J.  Voikelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  vv.  der  Erkenntnisstheorie. 

eine  bedeutungslose  Seifenblase,  ein  individuelles  Product, 
das,  wie  Riechen  und  Schmecken,  neben  allen  etwa  vorhan- 
denen ähnlichen  individuellen  Producten  unvergleichbar  und 
verbindungslos  dastehe.  Gerade  zu  einem  solchen  Ziele  kann 
aber  jene  dogmatische  Erkenntnisstheorie  nimmermehr  fĂĽhren. 
Mache  ich  mir  das  Erkennen  nicht  vor  allem  wirklichen  Er- 
kennen, sondern  erst  im  weiteren  Verlaufe  desselben  zum 
Probleme,  so  schweben  nach  wie  vor  alle  Wissenschaften  in 
der  Luft,  indem  ihr  Bestand  an  einer  Voraussetzung  hängt, 
die  wie  etwas  Selbstverständliches  angenommen  wird,  allein 
dies  nimmermehr  ist. 

Ich  will  hier  die  Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie  nicht 
zergliedern,  sondern  nur  den  allerwichtigsten  Theil  derselben 
hervorheben.  Wer  sich  über  die  Möglichkeit  des  Erkennens, 
ĂĽber  seine  allgemeinsten  Leistungsweisen  und  ihre  Schranken 
und  Grade  klar  werden  will,  wird  sich  vor  Allem  darĂĽber 
Rechenschaft  zu  geben  haben,  worin  die  letzten,  primitivsten 
Principien  des  Erkennens  bestehen,  d.  h.  diejenigen  Principien, 
die  nicht  selbst  schon  auf  der  Voraussetzung  eines  Erkennens 
beruhen  und  sich  daher  nicht  weiter  zerlegen,  zurĂĽckfĂĽhren 
und  begrĂĽnden  lassen.  Wenn  irgendwo  in  der  Philosophie, 
so  herrscht  in  dieser  Frage  die  allergrösste  Verwirrung.  So 
begnügt  man  sich  sehr  häufig  und  sogar  in  erkenntnisstheo- 
retischen Untersuchungen  mit  dem  Ausdrucke,  dass  in  der 
Uebereinstimmung  mit  der  Erfahrung  das  Kriterium  des 
Erkennens  liege.  Worauf  es  vor  Allem  ankäme,  dies  wäre 
eine  scharfe  Abgrenzung  dessen,  was  wirklich  erfahren  wer- 
den kann,  gegen  alles  dasjenige,  was,  wiewohl  an  sich 
absolut  unerfahrbar,  doch  als  Ergänzung,  Zusammen- 
fĂĽgung und  WeiterfĂĽhrung  der  durch  die  Erfahrung  gegebenen 
BruchstĂĽcke  der  Erscheinungswelt  unwillkĂĽrlich  zu  der  Erfah- 
rung selbst  hinzugeschlagen  zu  werden  pflegt.  Und  docli 
wird  diese  Aufgabe  meistentheils  kaum  gestellt,  geschweige 
denn  gelöst,  sondern  es  wird  mit  dem  uncontrolirten,  tausend- 
fache ĂĽnerfahrbarkeiten  stillschweigend  in  sich  bergenden  Aus- 
drucke „Erfahrung"  sorglos  und  unter  dem  Ansprüche  auf 
grosse  Exactheit  weiter  operirt.  Damit  hängt  zusammen, 
dass  man  sich  mit  dem  dunkeln  GefĂĽhle  begnĂĽgt,    es  werde 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  519 

wohl,  wenn  man  sich  nicht  allzuweit  ĂĽber  die  unmittelbare 
Erfahrung  hinauswage,  diese  Erfahrung  selbst  eine  sichere 
Gontrole  fĂĽr  solche  Ueberschreitungen  ihrer  selbst  abgeben. 
Als  ob  es  nicht  ein  ganz  unkritisches,  vermischendes  Ver- 
fahren wäre,  in  den  puren  Thatsachen  der  Erfahrung 
GrĂĽnde  dafĂĽr  zu  sehen,  dass  es  sich  jenseits  der  Erfah- 
rungsgrenze, wenn  auch  in  der  nächsten  Nähe  derselben, 
ebenso  verhalten  werde! 

Einen  ganz  ähnlichen  Mangel  an  scharfen  Untersuchungen 
und  Begrenzungen  findet  ein  kritisches  Auge  fast  ĂĽberall  da, 
wo  die  unbezweifelbare  Selbstgewissheit  des  Vorstel- 
len s  als  Kriterium  des  Erkennens  in  den  Vordergrund  gestellt 
wird.  Kaum  ist  dieses  Kriterium  ausgesprochen,  so  hat  es 
sich  auch  schon  in  etwas  ganz  anderes  verwandelt:  das 
Sichselbstgegenwärtigsein  der  Vorstellungen  erhebt  sich  un- 
willkĂĽrlich allenthalben  zu  dem  AnsprĂĽche,  dass  die  Vorstel- 
lungen ĂĽber  ihre  unmittelbare  Gegenwart  im  Bewusstsein 
hinaus  irgendwie  Geltung  haben  sollen.  Und  nicht  geringer 
ist  meistentheils  die  Unklarheit  dort,  wo  der  gesunde  Verstand, 
das  klare  und  deutliche  Vorstellen,  die  reine  Vernunft,  die 
Bearbeitung  der  Begriffe,  die  innere  Uebereinstimmung  der 
Erkenntnissresultate  oder  etwa  ein  gewisses  unmittelbares  Ge- 
fĂĽhl fĂĽr  das  Abgeschmackte  und  Verkehrte  u.  dgl.  als  Erkennt- 
nissprincipien  entweder  stillschweigend  vorausgesetzt  oder  aus- 
drücklich genannt  werden.  Alle  diese  Massstäbe  der  Erkennt- 
niss  sind  sowohl  eng  mit  einander  verwandt,  als  auch  wieder 
vielfach  von  einander  verschieden,  und  doch  wird  bald  der 
eine,  bald  der  andere  —  und  zwar  oft  bei  demselben  Denker 
—  als  wahrhaftes  Erkenntnissprincip  proclamirt  oder  noch 
öfters  stillschweigend  und  beiläufig  vorausgesetzt.  Ausserdem 
sind  die  genannten  Mittel  der  Erkenntniss  nicht  letzte,  ein- 
fache, jede  weitere  BegrĂĽndung  und  ZurĂĽckfĂĽhrung  verbietende 
Erkenntnissprincipien,  wiewohl  sie  zu  solchen  in  engerer  oder 
fernerer  Beziehung  stehen.  Auf  die  Frage,  woher  ihnen  denn 
das  Ansehen  von  Quellen  und  PrĂĽfsteinen  der  objectiven  Er- 
kenntniss komme,  weisen  sie  uns  sämmtlich  nach  rückwärts 
auf  einfachere  Principien  hin. 

Dies  Alles   muss  dringend   dazu  auffordera,   der  Frage 


520         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

scharf  ins  Gesicht  zu  sehen,  auf  welche  einfachste,  nicht  weiter 
zerlegbare  und  zurĂĽctfĂĽhrbare  Principien  wir  unser  Vertrauen 
auf  die  Erreichbarkeit  einer  wenigstens  relativen  V^ahrheit 
grĂĽnden.  Der  entscheidende  Grund  jedoch,  die  Beantwortung 
dieser  Frage  als  eine  höchst  wichtige  Angelegenheit  in  der 
Philosophie  zu  behandeln,  liegt  darin,  dass  es  sich  nur  durch 
die  Beantwortung  derselben  erreichen  lässt,  das  Problem  der 
Möglichkeit  der  Erkenntniss,  diese  Gardinalfrage  der  Erkennt- 
nisstheorie, einer  gründlichen  Lösung  entgegenzuführen.  Wie 
soll  darĂĽber  entschieden  werden,  ob  und  inwieweit  das  Er- 
kennen zu  den  berechtigten  AnsprĂĽchen  des  menschlichen 
Geistes  gehöre,  wenn  die  Frage  vernachlässigt  wird,  wie  die 
einfachsten  Principien  heissen,  auf  deren  Grundlage  wir  das 
Erkennen  aufbauen?  Ich  muss  wissen,  welchen  Charakter 
die  letzten  einfachen  Potenzen  besitzen,  durch  welche,  ohne 
dass  sie  selbst  schon  ein  Erkennen  voraussetzen,  unsere  Vor- 
stellungen sich  zum  Werthe  des  Erkennens  erheben ;  ich  muss 
wissen,  welche  Leistungsfähigkeit  den  letzten  Wurzeto  und 
Quellen  zukommt,  aus  denen  ich  ĂĽberhaupt  das  Bewusstsein 
schöpfe,  ein  Erkennen  zu  besitzen  und  dazu  berechtigt  zu 
sein.  Und  es  muss  möglich  sein,  diese  letzten  Principien  an- 
zugeben. Denn  es  handelt  sich  dabei  um  etwas,  was  durch- 
aus im  Lichte  des  Bewusstseins  vorgeht.  Ich  soll  nicht  etwa 
die  metaphysischen  oder  psychologischen  Factoren  angeben, 
aus  denen  das  Erkennen  entspringt.  Dies  hat  in  der  Meta- 
physik und  Psychologie  zu  geschehen,  wo,  wie  so  viele  andere 
Thatsachen,  so  auch  das  Erkennen  unter  Voraussetzung  der 
mannichfachen  vorangegangenen  Erkenntnissresultate  in  seinen 
Bedingungen  und  Ursachen  zu  untersuchen  sein  wird.  Hier 
dagegen  richtet  sich  die  Frage  auf  die  Principien,  die  ich, 
indem  mein  Bewusstsein  Erkenntniss  hervorzubringen  sich 
anschickt,  in  bewusster  Weise  zum  Kriterium  alles  &kennens 
mache,  also  auf  etwas,  was  sich  vor  dem  nach  innen  gewen- 
deten Blicke  in  keiner  Weise  verbergen  kann. 

Wir  fanden  vorhin  den  principiellen  sachlichen  Grund 
für  die  Aufstellung  einer  sich  mit  der  Möglichkeit  des  Erken- 
nens beschäftigenden  Wissenschaft  in  dem  Umstände,  dass 
dem   Erkennen   die   absolute   Selbstverständlichkeit  mangelt 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  521 

Allein  selbst  wenn  man  sich  diesem  prineipiellen  Grunde  als 
einer  blossen  Spitzfindigkeit  verschliessen  wollte,  so  liegen 
doch  so  viele  und  so  dringende  historische,  der  geschicht- 
lichen Entwickelung  des  Wissens  zu  entnehmende  GrĂĽnde  fĂĽr 
die  Nothwendigkeit  einer  Erkenntnisstheorie  in  unserem  Sinne 
vor,  dass  nur  eingewurzeltes  Vorurtheil  sich  gegen  diese  Noth- 
wendigkeit sträuben  kann.  Ich  habe  ganz  allgemein  bekannte 
und  auf  der  Oberfläche  liegende  Thatsachen  vor  Augen,  die 
man  jedoch  viel  zu  wenig  beherzigt:  die  trotz  des  grĂĽnd- 
lichsten, angestrengtesten  und  gewissenhaftesten  Denkens  un- 
vermeidlichen, zahlreichen  prineipiellen  Meinungsunterschiede 
auf  allen  Gebieten  des  Wissens,  den  rastlosen  Wechsel  in 
dem,  was  mit  fortschreitender  Zeit  selbst  den  strengsten, 
freiesten  Denkern  fĂĽr  ausgemacht  und  bleibend  gilt,  die  Un- 
möglichkeit, sich  selbst  beim  besten,  entgegenkommendsten 
Willen  von  so  Vielem,  wenn  nicht  von  dem  Meisten,  was  wir 
bei  ernsten,  fähigen  Forschern  als  bewiesen  hingestellt  finden, 
zu  ĂĽberzeugen.  Sieht  man  von  dem  Constatiren  des  That- 
sächlichen  ab,  wiewohl  auch  hierin  Unsicherheit  und  Wechsel 
der  Ansichten  in  Menge  anzutrefifen  ist,  so  gibt  es  sicherlich 
unter  dem,  was  Jeder  von  seinem  Standpunkte  als  ausgemacht 
ansieht,  nur  äusserst  Weniges,  was  nicht  allen  Ernstes  und 
von  ganz  vernünftigen  Denkern  bezweifelt  worden  wäre;  wie 
sich  andererseits  —  mit  einiger  Uebertreibung  ausgedrückt  — 
kaum  etwas  so  absurd  Scheinendes  findet,  dass  es  nicht  von 
Denkern,  denen  man  sonst  Urtheil,  Schärfe  und  Tiefe  nicht 
absprechen  kann,  ernstlich  als  höchste  Weisheit  gepriesen 
worden  wäre.  Angesichts  eines  solchen  Widerstreites  der 
Resultate  des  Erkennens,  angesichts  dieser  Unsicherheit  lind 
Vergänglichkeit  derselben  muss  man  sich  doch  wohl  fragen, 
wie  sich  einst  Locke,  als  er  seine  disputirenden  Freunde  der 
Lösung  der  Zweifel  nicht  näher  kommen  sah,  gefragt  hat: 
ob  das  Erkennen  nicht  am  Ende  gar  ĂĽberhaupt  auf  einem 
eingebildeten  AnsprĂĽche  beruhe,  und  ob  es  daher  nicht  ge- 
boten sei,  sich  vor  allem  facĂĽschen  Erkennen  die  Frage  nach 
der  Möglichkeit  desselben  vorzulegen.  Und  noch  dringender 
erscheint  diese  Frage,  wenn  man  bedenkt,  dass  in  der  Sophi- 
stik  und  Skepsis  des  griechischen  Alterthums  in  der  That  die 


52!2  J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenninisstheorie. 

radicale  Verneinung  der  Möglichkeit  jedweder  Erkenntniss 
eine  gewichtvollo,  imponirende  historische  Wirklichkeit  erhal- 
ten hat. 

Stände  mir  mehr  Raum  zu  Gebote,  so  würde  ich  hier 
auf  eine  nähere  Vergleichung  der  beiden  Erkenntnisstheorien, 
welche  Locke,  der  BegrĂĽnder  dieser  Wissenschaft  in  England, 
und  Kant,  ihr  BegrĂĽnder  in  Deutschland,  geschaffen  haben, 
mit  Beziehung  auf  die  Fassung  der  Hauptfrage  eingehen. 
Hier  will  ich  nur  erwähnen,  dass  Locke  in  dieser  Beziehung 
einen  gewissen  Vorzug  vor  Kant  hat.  Ei*  fordert  mit  der- 
selben Schärfe  wie  Kant,  dass  man  vor  allen  anderen  Unter- 
suchungen die  Fähigkeiten  des  Verstandes  prüfen,  die  Grenzen 
des  Erkennens  ermitteln,  den  Maassstab  fĂĽr  die  Gewissheit 
unseres  Erkennens  finden  und  das  Erkennbare  vom  Nichl- 
erkennbaren  scheiden  solle.  Dabei  jedoch  schränkt  er  diese 
Frage  nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens  nicht,  wie  Kant, 
auf  das  aus  der  reinen  Vernunft  entspringende,  d.  h.  im 
strengsten  Sinne  nothwendige  und  allgemeine  Erkennen  ein, 
sondern  sie  gilt  ihm,  wie  seine  späteren  Ausführungen  dar- 
thun,  ebenso  sehr  für  das  wahrscheinliche,  zu  bloss  „com- 
parativer  Allgemeinheit"  fĂĽhrende  empirische  Wissen.  Und 
ferner  geht  er  nicht,  wie  Kant,  von  der  ausdrĂĽcklichen  Vor- 
aussetzung aus,  dass  es  thatsächlich  ein  allgemeines  und  noth- 
wendiges  Wissen  gebe  ^).  Diese  von  Kant  nie  ausdrĂĽcklich 
in  PrĂĽfung  gezogene  Voraussetzung  ist  mit  dem,  was  wir 
von  jede;r  wahren  Erkenntnisstheorie  fordern  mĂĽssen,  derart 
in  Widerspruch,  dass  man  sich  ernstlich  die  Frage  vorlegen 
muss,  ob  seine  „Kritik  der  reinen  Vernunft"  als  kritische  Er- 
kenntnisstheorie in  unserem  Sume  gelten  dĂĽrfe.  Ist  nun  auch 
diese  Frage  aus  GrĂĽnden,  die  ich  hier  nicht  auseinandersetzen 
kann,  mit  Ja  zu  beantworten,  so  ist  doch  durch  jene  dog- 
matische Voraussetzung  die  kritische  Haltung  der  Kantischen 
Erkenntnisstheorie  in  durchgreifender  Weise  gestört.  Mögen 
nun  auch  bei  Locke  im  Laufe  der  Darstellung  sich  alle  mög- 


1)  In  meinem  Buche  i^ber  Kant's  Erkenntnisstheorie  (Leipzig  1879, 
S.  193  ff.)  findet  man  ausfflhriich  nachgewiesen,  dass  Kant  in  der  That 
diese  Voraussetzung  ĂĽberall  an  die  Spitze  stellt. 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  523 

liehen  ungeprĂĽften  Voraussetzungen  einschleichen  und  zum 
grossen  Theile  psychologische  Untersuchungen  an  die  Stelle 
der  erkenntnisstheoretischen  treten,  so  lastet  doch  auf  seinen 
Entwickelungen  nicht  das  eingehende,  starre  Dogma,  dass  an 
der  thatsächlichen  Existenz  und  Geltung  eines  allgemeinen 
und  nothwendigen  (und  noch  dazu  als  recht  umfassend  ge- 
dachten) Wissens  ein  fĂĽr  alle  Mal  nicht  gezweifelt  werden 
dĂĽrfe.  Er  will  ĂĽberhaupt  die  Gewissheit  des  menschlichen 
Wissens  untersuchen,  einen  Maassstab  fĂĽr  sie  auffinden  und 
so  sehen,  „ob  es  überhaupt  so  etwas  in  Wahrheit  gebe,  und 
ob  die  Menschheit  die  genĂĽgenden  Mittel  zur  Erlangung  einer 
sicheren  Kenntniss  derselben  besitze"  (An  essay  concerning 
human  understandifig  I,  1,  §  2). 

Diese  freiere,  weitere  Fassung  der  Aufgabe  erleichtert  es 
dann  auch  Locke,  auf  die  Frage  nach  den  letzten,  nicht 
weiter  ableitbaren  Principien  und  Quellen  des  Wissens  ein- 
zugehen, den  Erkenntnisswerth  derselben  genau  zu  bestimmen 
und  demgemäss  den  Bereich  des  Erkennens  zu  ordnen  und 
den  verschiedenen  Weisen  und  Zweigen  des  Erkennens  ihre 
berechtigten  AnsprĂĽche  und  eigenthĂĽmlichen  Schranken  zu- 
zuweisen. Ohne  Frage  ist  das  vierte  Buch  seines  Essay,  wie- 
wohl man  es  gegen  die  beiden  ersten  BĂĽcher  meist  in  den 
Hintergrund  zu  stellen  pflegt,  in  erkenntnisstheoretischer  Be- 
ziehung das  unvergleichlich  wichtigste.  In  diesem  Buche  nun 
eben  findet  man  in  eingehendster  Weise  diese  echt  erkennt- 
nisstheoretischen Untersuchungen  ĂĽber  die  Principien,  Grade 
und  Grenzen  der  Gewissheit  gefĂĽhrt,  wenn  auch  Eintheilung 
und  Fortschritt  derselben  sich  nicht  unmittelbar  aus  diesen 
principiellen  Gesichtspunkten  ergeben  und  das  vierte  Buch 
dem  ersten  Blick  ein  ziemlich  zerstreutes  Vielerlei  darbietet. 
Auch  m  dieser  Beziehung  ist  der  klare,  wiewohl  oft  ziemlich 
oberflächliche  Engländer  dem  weit  tiefer  dringenden,  aber  im 
Auseinandernehmen  der  Fragen  weniger  beweglichen  Deut- 
schen voraus.  Nirgends  bei  Kant  richtet  sich  die  Erörterung 
ausdrĂĽcklich  darauf,  die  letzten  Principien  der  Gewissheit  zu 
ordnen,  gegen  einander  abzugrenzen,  ihre  Leistungsfähigkeit 
zu  bestimmen  u.  dgl.  Ueberall  wirken  in  seinem  Denken  die  , 
letzten  Erkenntnissprincipien  in  Form  von  mehr  oder  weniger 


524         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

dunkel  bewussten  Triebfedern.  Man  denke  nur  z.  B.  daran, 
dass  er  sich  die  Frage,  welches  berechtigte  Erkenntnissprincip 
ihm  ermögliche,  zu  den  zahlreichen  Bestimmungen  des  Dinges 
an  sich  zu  kommen,  nirgends  auch  nur  vorlegt,  trotzdem  es 
sich  hier  doch  um  Behauptungen  handelt,  die  in  ein  Gebiet 
hinĂĽbergreifen,  das  in  Folge  gewisser  von  ihm  in  den  Vorder- 
grund gestellter  Principien  dem  Erkennen  absolut  verschlossen 
bleiben  mĂĽsste,  und  die  daher  ganz  besonders  der  erkennl- 
nisstheoretischen  Rechtfertigung  bedĂĽrften. 

IL 

Mit  so  unabweisbarer  Nothwendigkeit  sich  uns  auch  die 
Forderung  einer  voraussetzungslosen  Erkenntnisstheorie  auf- 
gedrängt hat,  so  dürfen  wir  uns  doch  nicht  verhehlen,  dass 
in  dieser  Forderung  eine  principielle  Schwierigkeit  von  grösster 
Tragweite  enthalten  ist.  Es  lässt  sich  diese  Schwierigkeit  in 
der  Form  eines  scheinbar  unauflöslichen  Widerspruches  dar- 
stellen, der  die  ganze  Erkenntnisstheorie  im  allerersten  Keime 
zu  vernichten  droht.  Die  Erkenntnisstheorie  soll  die  Frage 
nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens  in  einer  nicht  selbst 
schon  das  Factum  des  Erkennens  voraussetzenden  Weise  be- 
antworten. Dies  eben  scheint  ganz  unmöglich  zu  sein.  Der 
Erkenntnisstheoretiker  muss  schon  bei  seinem  ersten  Schritte 
ein  Erkennen  ausüben;  die  Sätze,  mit  denen  er  seine  Unter- 
suchungen beginnt,  hätten  keinen  Sinn,  wenn  sie  nicht  mit 
dem  Ansprüche  aufträten,  als  Erkennen  zu  gelten.  Er  hat 
also  da,  wo  er  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens 
eben  erst  untersuchen  soll,  den  festen  Glauben,  dass  sich  ein 
solches  gewinnen  lasse,  und  ĂĽbt,  zum  Mindesten  bei  den 
ersten  Schritten,  die  er  thut,  auf  Grund  dieses  völlig  unge- 
prĂĽften Glaubens  faktisch  ein  Erkennen  aus.  Damit  ist  aber 
seinen  Untersuchungen  eine  dogmatische  Grundlage  gege- 
ben, und  Alles,  was  er  ĂĽber  die  Erreichbarkeit  des  Erkennens 
festsetzt,  ist  principiell  gerade  so  viel  werth,  als  wenn  er 
dies  Problem  erst  irgendwo  in  der  Metaphysik  oder  Psycho- 
logie abhandelte.  Seine  BemĂĽhungen  sollen  den  Zweck  haben, 
zu  verhindern,  dass  das  Erkennen  ohne  ein  sicheres  und  ge- 
gründetes Bewusstsein  über  die  Leistungsfähigkeit  der  letzten, 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  525 

einfachsten  Erkenntnissprincipien  ausgeĂĽbt  werde.  Und  nun 
gibt  er  selbst  seinen  Untersuchungen  eine  Grundlage,  welche 
die  GĂĽltigkeit  gewisser  Denkgesetze  ĂĽber  das  individuelle  Be- 
wusstsein  hinaus  als  etwas  Selbstverständliches  voraussetzt, 
also  ein  Erkenntnissprincip,  das  sich  durchaus  nicht  von  selbst 
versteht,  ganz  ungeprĂĽft  aufnimmt.  Es  scheint  sonach  nichts 
Anderes  ĂĽbrig  zu  bleiben,  als  die  Idee  einer  voraussetzungs- 
losen Erkenntnisstheorie  als  eine  widerspruchsvolle  Forderung 
fahren  zu  lassen  und  so  das  Erkennen  entweder  auf  gut 
GlĂĽck  auszuĂĽben  oder  sich  bei  einer  sich  im  Zirkel  bewegen- 
den, gerade  in  der  Hauptsache  leistungsunfahigen  Erkennt- 
nisstheorie zu  begnĂĽgen  oder  gar,  eben  wegen  des  Mangels 
an  begrĂĽndeten  Erkenntnissprincipien,  zur  Partei  des  abso- 
luten Skepticismus  ĂĽberzugehen. 

Dieser  Einwand  ist  schon  oft  gegen  die  kritische  Erkennt- 
nisstheorie erhoben  worden.  Am  Bekanntesten  ist  die  Art, 
wie  ihn  Hegel  vorbringt  (Encyklopädie  §  10  und  Geschichte 
der  Philosophie  3.  Bd.  2.  Aufl.  S.  504).  Er  erkennt  an,  dass 
es  ein  grosser  und  wichtiger  Schritt  Kant's  gewesen  sei,  das 
Erkennen  der  Betrachtung  unterworfen  zu  haben.  Das  Ver- 
kehrte aber  findet  er  darin,  dass  Kant  verlangt  habe,  vor 
dem  Erkennen  das  Erkenntnissvermögen  zu  untersuchen.  Das 
Erkennen  werde  dabei  vorgestellt  wie  ein  Instrument,  wo- 
durch man  sich  der  Wahrheit  bemächtigen  wolle,  und  das 
daher,  ehe  man  damit  die  Arbeit  unternehme,  nach  seiner 
Fähigkeit,  den  Gegenstand  zu  packen,  untersucht  werden 
mĂĽsse.  Sehe  dies  nicht  so  aus,  als  ob  man  nĂĽt  Spiessen 
und  Stangen  auf  die  Wahrheit  losgehen  könnte?  „Ferner  ist 
dabei  die  Forderung  diese :  man  soll  das  Erkenntnissvermögen 
erkennen,  ehe  man  erkennt.  Wie  man  erkennen  will,  ohne 
zu  erkennen,  vor  der  Wahrheit  das  Wahre  erfassen  will,  ist 
nicht  zu  sagen.  Es  ist  die  Geschichte,  die  vom  Scholasticus 
erzählt  wird,  der  nicht  eher  in's  Wasser  gehen  wollte,  als 
bis  er  schwimmen  könne."  Kant  übe  fortwährend  das  Er- 
kennen aus  und  meine  doch  immer,  erst  zum  Erkennen  kom- 
men zu  müssen.  „Es  geht  ihm  wie  den  Juden:  der  Geist 
geht  mitten  hindurch,  und  sie  merken  es  nicht."  —  In  der 
That,  man  kann  die  Fundamentalschwierigkeit  der  kritischen 


526         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

Erkenntnisstheorie  nicht  treffender  und  drastischer  zum  Aus- 
druck bringen,  wenn  vielleicht  auch  Kant  hierdurch  nicht 
ganz  getroffen  wird.  Indessen  passt  der  Einwurf  nur  darum 
nicht  völlig  auf  Kant,  weil  dieser  nicht  genügend  voraus- 
setzungslos, d.  h.  nicht  genĂĽgend  kritisch  in  seiner  Erkennt- 
nisstheorie verfährt  *).  Hegel  liess  sich  übrigens  durch  jene 
Schwierigkeit  nur  in  seiner  Ueberzeugung  bestärken,  dass  das 
Denken,  indem  es  sich  ohne  Weiteres  mit  Zusammenfassung 
aller  seiner  Energie  und  Innerlichkeit  in  AusĂĽbung  bringe, 
eben  an  den  Resultaten  dieses  muthigen  Fortschreitens  seine 
alldurchdringende  Erkenntnissmacht  beweise.  Auch  bei  den 
alten  Skeptikern  begegnen  wir  jenem  Einwände,  nur  Hessen 
sich  diese,  da  bei  ihnen  nicht,  wie  bei  Hegel,  die  kritische 
Gewissenhaftigkeit  des  Verstandes  durch  das  siegesgewisse 
Pathos  eines  gewaltigen  Denkens  ĂĽberwogen  wurde,  durch 
jenen  scheinbar  unĂĽberwindlichen  Widerspruch  zu  der  vom 
Standpunkte  jenes  Widerspruchs  unanfechtbaren  Consequenz 
forttreiben,  dass,  da  es  keine  begrĂĽndeten  Kriterien  des  Er- 
kennens  gebe,  ĂĽberhaupt  alles  Erkennen  durch  und  durch 
relativer  und  subjectiver  Natur  sei^). 


1)  Mit  HegePs  Auseinandersetzung  hat  man  sich  vielfach  beschäftigt: 
z.B.  Kuno  Fischer,  Geschichte  der  neueren  Philosophie  III. Bd.lAufl. 
S.  24,  Karl  Göring,  System  der  kritischen  Philosophie  1.  Bd.  S.  16 ff. 
u.  A.  Beide  indessen  werden  Hegel  nicht  gerecht,  weil  sie  ĂĽbersehen, 
dass  dieser  seinen  Einwand  gegen  die  voraussetzuugslose  Erkennt- 
nisstheorie erhebt,  gegen  eine  Art  Erkenntnisstheorie  also,  wie  die  Kan- 
tische zwar  faktisch  nicht  ist,  wie  sie  aber  sein  sollte,  wenn  sie  ihre 
Aufgabe  vollständig  erkannt  hätte. 

2)  So  fĂĽhrte  schon  Karneades  unter  den  GrĂĽnden,  warum  es  kein 
sicheres  Wissen  gebe,  auch  den  Gedanken  an,  dass  dann  die  Möglichkeit 
der  BeweisfĂĽhrung  erst  selbst  bewiesen  werden  mĂĽsse,  dies  aber  eben 
unmöglich  sei  (vergl.  Zeller,  Philosophie  der  Griechen  III.  Bd.  1.  Theil, 
3.  Aufl.,  S.  504).  Besonders  aber  kam  der  Scharfsinn  der  späteren  Skep- 
tiker darauf,  der  stolzen  Erkenntnisssicherheit  des  menschlichen  Gdstes 
jenen  Zirkel  entgegenzuhalten,  wie  das  Erkennen,  wenn  es,  wie  es  doch 
unabweislich  gefordert  sei,  die  PrĂĽfung  und  BegrĂĽndung  seiner  selbst  vor- 
nehmen woUe,  doch  schon  immer  sich  selbst  voraussetzen  mĂĽsse.  Es  ge- 
schah dies  beiAenesidemus,  Agrippa  und  ihren  Nachfolgern  besonders 
in  der  Form,  dass  das  Kriterium  des  Erkennens  selbst  wieder  fraglich  sei 
und  daher  eines  neuen  Kriteriums  bedĂĽrfe,  von  dem  aber  wiederum  genau 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  527 

Wir  stehen  sonach  einer  eigentliĂĽmlichen  Sachlage  gegen- 
ĂĽber:   einerseits  haben  wir   als   eine  wissenschaftliche  Noth- 

* 

wendigkeit  erkannt,  allem  Erkennen  eine  voraussetzungslose 
Untersuchung  der  Möglichkeit  desErkennens  voranzuschicken; 
andererseits  steht  uns  ebenso -unwiderleglich  fest,  dass  jede 
solche  Untersuchung  schon  in  ihren  ersten  Schritten,  durch 
welche  die  Möglichkeit  des  Erkennens  doch  erst  geprüft  und 
gesichert  werden  soll,  in  nichts  Anderem  als  in  der  faktischen 
Ausübung  des  Erkennens  selber  bestehen  könne.  Wie  sollen 
wir  uns  dieser  Antinomie  gegenĂĽber  helfen?  Sollen  wir  mit 
den  alten  Skeptikern  auf  alles  Erkennen  verzichten,  oder 
werden  wir  lieber  den  unwissenschaftlichen  Entschluss  fassen, 
das  Erkennen  in  dogmatischem  Vertrauen  auf  unsere  Erkennt- 
nisskraft auszuĂĽben  und  uns  gegen  die  Mahnungen  des  kri- 
tischen Gewissens  ein  fĂĽr  alle  Mal  taub  zu  stellen?  In  der 
That,  diese  Alternative  wäre  unvermeidlich,  wenn  nicht  ein 
gewisser  Umstand  vorläge,  den  ich  bis  jetzt  absichtlich  über- 
sehen habe. 

Wir  sagten:  die  Möglichkeit  des  Erkennens  bedürfe  darum 
einer  Untersuchung,  weil  dasselbe  nichts  absolut  Selbstver- 
ständliches sei,  und  wir  meinten  hiermit  das  Erkennen  im 
strengen  Sinne,  das  Erkennen  mit  dem  Charakter  der  objec- 
tiven  Geltung,   der  (sei  es  relativen,  sei  es  absoluten)  Allge- 


daaselbe  gelte;  und  so  gehe  es  in's  Unendliche  weiter  (vergl.  Zeller  a.  a.  0. 
III.  Bd.,  2.  Theil,  2.  Aufl.,  S.  18;  27;  30;  32).  Auch  als  man,  von  der 
Zeit  Montaigne's  angefangen,  sich  wieder,  vor  Allem  in  Frankreich,  der 
Argumente  der  alten  Skeptiker  zu  erinnern  begann,  tauchte  jener  princi- 
piellste  Einwurf  gegen  die  Möglichkeit  des  Erkennens  wieder  auf,  wenn  er 
auch  immer  auf  gleichem  Fusse  mit  vielen  anderen,  weit  weniger  wich- 
tigen Einwänden  behandelt  wurde.  Besonders  Huet  in  seinem  Trait^  phi- 
losophique  de  la  faiblesse  de  Tesprit  humain  kommt  hierauf  zu  sprechen. 
Vor  allen  philosophischen  Untersuchungen  mĂĽsse  man  die  unbekannte 
und  zweifelhafte  Natur  des  menschlichen  Verstandes  feststellen;  dies  aber 
könnte  wiederum  nur  durch  den  menschlichen  Verstand  geschehen;  wie 
aber  solle  eine  zweifelhafte  Sache  durch  diese  zweifelhafte  Sache  selbst 
entschieden  werden  (a.  a.  0.  Amsterdam,  1723;  S.  51)?  Wahres  und  Fal- 
sches sei  ĂĽberall  vermischt,  man  bedĂĽrfe  daher  eines  Kriteriums  der  Wahr- 
heit; die  Feststellung  dieses  Kriteriums  aber,  das  Fernhalten  falscher  Merk- 
male von  demselben,  setze  selbst  schon  den  Besitz  der  Wahrheit  voraus 
(S.  69  ff.). 


528  J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

meinheit  Allein  gibt  es  nicht  auch  ein  absolut  selbst- 
verständliches Erkennen?  Falls  es  ein  solches  gäbe, 
so  könnte  mit  ihm  die  Erkenntnisstheorie  getrost  ihren  An- 
fang machen,  ohne  in  jenen  verbotenen  Zirkel  zu  gerathen. 
Nun  lehrt  uns  aber  der  einfachste  Blick  auf  das  eigene  Be- 
wusstsein,  dass  wir  nicht  wenig  in  solch  absolut  selbstver- 
ständlicher und  daher  absolut  unbezweifelbarer  Weise  zu  er- 
kennen im  Stande  sind.  Sobald  ich  nämlich  auf  das,  was 
in  meinem  eigenen  Bewusstsein  geschieht,  meine  Aufmerksam- 
keit lenke,  so  habe  ich  eben  damit  mit  vollkommener  Selbst- 
verständlichkeit „erkannt",  dass  gewisse  Thatsachen  in  mei- 
nem Bewusstsein  einander  folgten  (oder  vielleicht  theilweise 
zugleich  stattfanden).  Ich  bin  unzWeifelhaft  im  Stande,  von 
dem,  was  in  meinem  Bewusstsein  von  Augenblick  zu  Augen- 
blick vorgeht,  eine  unbestimmt  grosse  Menge  mit  Aufmerk- 
samkeit zu  betrachten  und  dies  so  Betrachtete  als  ein  in 
meinem  Bewusstsein  Geschehenes  auszusprechen.  So  erstreckt 
sich  also  das  absolut  selbstverständliche  Erkennen  auf  einen 
sehr  grossen  Theil  meiner  eigenen  Bewusstseinsvorgänge.  Nur 
der  Verrückte  könnte  bezweifeln,  ob  es,  wenn  er  eben  die 
Empfindung  des  SĂĽssen  oder  die  Anschauung  eines  WĂĽrfels 
hat,  eine  richtige  Erkenntniss  sei,  wenn  er  den  Satz  aus- 
spreche, dass  in  seinem  Bewusstsein  soeben  die  Empfindung 
des  SĂĽssen  oder  die  Vorstellung  eines  WĂĽrfels  vorhanden 
sei.  Es  ist  hier  nicht  meine  Aufgabe,  festzustellen,  unter 
welchen  Bedingungen  und  Einschränkungen  die  Fähigkeit  des 
aufmerksamen  Betrachtens  der  eigenen  Bewusstseinszustände 
entspringe,  und  in  welcher  Weise  sie  sich  entwickele,  Ueber- 
haupt  kommt  es  hier  nicht  darauf  an,  auszumachen  inwie- 
weit in  meinem  Bewusstsein  etwas  vorgehen  könne,  was  sich 
meiner  Aufmerksamkeit  zu  entziehen  im  Stande  sei.  FĂĽr  uns 
ist  das  Eine  wichtig,  dass,  sobald  ich  meine  Bewusstseins- 
vorgänge mit  Aufmerksamkeit  auffassen  und  aussprechen  kann, 
eine  absolut  unbezweifelbare  Erkenntniss  vorliegt.  Die  absofute 
Unbezweifelbarkeit  desErkennens  gibt  sich  in  unzweideutiger 
Weise  kund.    Dies  ist  zunächst  genug. 

Nur  unter  einer  Bedingung  sonach   lässt  sich  die  For- 
derung einer  wirklich  kritischen  Erkenntnisstheorie   erfĂĽDen: 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.         539 

es  muss  mit  dem  Aussprechen  der  sieh  mit  absoluter  Selbst- 
verständlichkeit dem  Erkennen  darbietenden  Bewusstseinsvor- 
gänge  begonnen  werden.  Dabei  ist  klar^  dass  der  so  begin- 
nende Erkenntnisstheoretiker  zunächst  immer  nur  in  der  ersten 
Person  der  Einzahl  sprechen  darf  („ich  finde  in  meinem  eige- 
nen Bewusstsein  dies  und  das^^  u.  dgl.).  Denn  wenn  er  sagte, 
dass  Alien  oder  den  Meisten  ihr  Bewusstsein  gewisse 
Thatsachen  zeige,  so  wĂĽrde  er  damit  zum  Mintlesten  voraus- 
setzen, dass  es  ausser  der  seinigen  noch  andere  Bewusst- 
seinssphären,  und  zwar  von  mehr  oder  weniger  übereinstim- 
mender Beschaffenheit,  gebe;  er  wĂĽrde  sonach  einen  objec- 
tiven,  keineswegs  absolut  selbstverständlichen  Wissenssatz  zu 
Grunde  legen,  während  doch  erst  die  Möglichkeit  alles  objec- 
tiven  Erkennens  geprĂĽft  werden  soll. 

Soll  denn  also  allen  Ernstes  die  Erkenntnisstheorie  in 
ihrem  Beginnen  uns  nichts  Anderes  geben,  als  ein  Bild  von 
dem  bunten,  regellosen  Gewoge  der  Bewusstseinsthatsachen, 
die  der  jeweilige  Erkenntnisstheoretiker  in  sich  vorfindet? 
Einem  solchen  Bezeichnen  und  Aufzählen  des  eigenen  Be- 
wusstseinskrames  wĂĽrde  aber  doch,  Avenn  durchaus  keine 
allgemeinen,  principiellen  Sätze  vorausgesetzt  werden  dürfen, 
jedwedes  richtunggebende,  fördernde  Ziel  fehlen.  Es  würde 
also  der  Erkenntnisstheorie  zugemuthet  werden,  sich  blind 
und  auf  gut  GlĂĽck  in  den  ganz  individuellen  Bewusstseins- 
vorgängen  herumzutreiben.  Wohin  soll  dies  aber  führen? 
Welches  Interesse  kann  es  haben,  zu  erfahren,  was  in  diesem 
oder  jenem  einzelnen  Bewusstsein  von  Moment  zu  Moment 
auftaucht? 

In  der  That  wĂĽrde  fĂĽr  den  Erkenntnisstheoretiker  mit 
dem  Betreten  des  absolut  selbstverständlichen  Bodens  nichts 
gewonnen  sein,  wenn  er  sich  beim  Aussprechen  seiner  unbe- 
zweifelbar  vorliegenden  Bewusstseinsvorgänge  nicht  von  Ge- 
sichtspunkten leiten  lassen  dĂĽrfte,  die  sich  aus  dem  absolut 
Selbstverständlichen  nicht  gewinnen  lassen.  Was  uns  fest- 
steht, ist  dies,  dass  die  Erkenntnisstheorie  zu  Beginn  nichts, 
was  sich  nicht  absolut  von  selbst  verstĂĽnde,  behaupten 
darf.  Damit  ist  ihr  aber  keineswegs  verboten,  sich  in  der 
Auswahl  des  absolut  selbstverständlichen  Inhalts,  den  sie  aus- 

Philoaoph.  MonaUhefle  1881,  IX  u.  X.  34 


530         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

sprechen  und  behaupten  will,   von  irgend  welchen  vieĂĽeichi 
sehr  complicirlen,  auf  verwickelten  Voraussetzungen  beruhen- 
den Principien  leiten  zu  lassen.  Mögen  sich  auch  die  leitenden 
Gesichtspunkte  keineswegs  von  selbst  verstehen,  so  thul  dies 
doch  der  absoluten  Selbstverständlichkeit   der   unter  dieser 
Leitung  zu  Stande  gekommenen  Behauptungen  nicht  den  min- 
desten Eintrag,  vorausgesetzt  natĂĽrlich,  dass  diese  Behauptun- 
gen nichts  enthalten,  als  das  Aufzeigen  und  Aussprechen  eines 
mit  absoluter  Unbezweifelbarkeit  sich  darbietenden  Bewusst- 
seinsinhaltes.  Für  den  Charakter  der  absoluten  Selbstverständ- 
lichkeit irgend  eines  Erkenntnissinhaltes  ist   es   ganz  gleich- 
gĂĽltig, ob  ich  bei  der  Wahl  und  Zusammenstellung  desselben 
einer  närrischen  Laune  oder  einem  wohlerwogenen  Principe 
folge.     Wenn    ich    constatire,    dass   ich    eben    das    Bild   des 
blauen  Himmels  in  meiner  Anschauung  hatte   und  •  zugleich 
den  Druck  des  zu  engen  Rockes  spĂĽrte,  so  hat  dies  an  ab- 
soluter Selbstverständlichkeit  nichts  voraus  vor  der  Erkeniit- 
niss,  die  ich  mir  vielleicht  in  Folge  eines  lange  Zeit  erwogenen 
Princips  zum  Bewusstsein  gebracht  habe:   es  sei  nirgends  in 
meinen  Bewusstseinsvorgängen,  sobald  nichts  zu  ihnen  hinzu- 
gedacht werde,  auch  nur  eine  Spur  von  Gesetzmässigkeit  zu 
entdecken.     Jene  Erkenntniss  ist  fĂĽr   die  Erkenntnisstheorie 
höchst  gleichgültig,   diese  dagegen  von  entscheidender  Wich- 
tigkeit; beide  jedoch  sind  von  derselben  Selbstverständlichkeit 
und  Unbezweifelbarkeit;    denn  beide  enthalten  nichts  als  ein 
Aussprechen  des  in  meinem  Bewusstsein  unmittelbar  Vorlie- 
genden.   Stehen  einmal  die  absolut  selbstverständlichen  Be- 
hauptungen da,    so  ist  es  für  sie  durchaus  zufällig,   ob 
sie  aus  diesen  oder  jenen  Motiven  hingestellt  wurden.    Die 
Erkenntnisstheorie  darf  also  ganz  wohl  mit  allerhand  metho- 
dischen Erwägungen  beginnen,    nur  muss  sie  dieselben  aus- 
schliesslich zu  dem  Zwecke  benutzen,  unter  dem  bereit  lie- 
genden absolut  selbstverständlichen  hihalte  eine  gewisse  Aus- 
wahl zu  treffen.    Ist  diese  Auswahl  erfolgt,  dann  ist  es  ebenso, 
als  ob  jene  Erwägungen  nicht  vorangegangen  wären. 

So  wird  z.  B.  der  Erkenntnisstheoretiker  an  seine  Auf- 
gabe mit  dem  Bewusstsein  herantreten,  dass  es  in  erster 
Linie  darauf  ankommen  werde,  die  primitivsten,  nicht  weiter 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.         531 

ableitbaren  Erkenntnissprincipien  scharf  auseinanderzuhalten. 
Dieser  methodische  Gesichtspunkt  wird  ihn  dahin  brin- 
gen, den  Satz  aufzustellen,  dass  das  aufmerksame  AuflFassen 
und  Aussprechen  der  eigenen  Bewusstseinsvorgänge  eo  ipso 
eine  absolut  unbezweifelbare  Erkenntniss  sei,  dass  hierin  das 
allererste  Erkenntnissprincip  liege,  und  dass,  was  sonst  auch 
für  Erkenntnissprincipien  dazu  kommen  mögen,  durch  keines 
absolute  Unbezweifelbarkeit  geleistet  werden  könne.  Der  In- 
halt dieses  Satzes  ist  ohne  Weiteres  selbstverständlich,  d.  h. 
er  ergibt  sich  aus  dem  einfachen  Sichbesinnen  auf  das,  was  ich 
in  den  eigenen  Bewusstseinsvorgängen  erfahre;  doch  würde 
der  Erkenntnisstheoretiker  nicht  gerade  mit  ihm  den  Anfang 
machen,  wenn  er  nicht  jenen  methodischen,  auf  vielfachen 
Voraussetzungen  beruhenden  Gesichtspunkt  hinzubrächte. 

Ein  anderer  Gesichtspunkt  der  beginnenden  Erkenntniss- 
theorie wird  darin  bestehen,  dass  es  ĂĽberaus  wichtig  sei,  die 
Frage  zu  beantworten,  ob  es  durch  jenes  absolut  unbezweifel- 
bare Erkennen  zu  dem  Aufstellen  irgend  welcher  Regeln,  Ge- 
setze,  causaler  Beziehungen  u.  dgl.  kommen  könne.  Diese 
Frage  entspringt  nur  dann,  wenn  man  weiss,  welch  eminente 
Bedeutung  diese  Begriffe  fĂĽr  die  Wissenschaft  haben.  Wie- 
wohl nun  dieses  jene  Frage  hervorrufende  Wissen  natĂĽrlich 
nicht  aus  meinem  selbstverständlichen  Bewusstseinsinhalte 
herfliesst,  so  hat  doch  die  Antwort,  die  hierauf  zu  ertheilen 
ist,  einen  absolut  selbstverständlichen  Inhalt.  Sie  kann 
nämlich  nicht  anders  lauten  als  so,  dass  sich  auch  durch  die 
geschärfteste  Aufmerksamkeit  innerhalb  des  eigenen  Bewusst- 
seins  absolut  nichts  von  Regelmässigkeit,  Gesetz,  Zusammen- 
hang entdecken  lässt,  und  dass,  wenn  es  überhaupt  etwas 
Derartiges  geben  soll,  ein  ĂĽber  das  Bewusstsein  hinauslie- 
gendes, absolut  unerfahrbares  Reich,  ein  Reich  der  Dinge  an 
sich,  angenommen  werden  muss.  Der  Inhalt  dieser  Ant- 
wort ist  fĂĽr  denjenigen,  der  sich  nur  die  MĂĽhe  nimmt,  auf 
seine  eigenen  Bewusstseinsvorgänge  aufmerksam  und  unbe- 
fangen zu  achten  und  sie  durch  nichts  Hinzugedachtes  still- 
schweigend zu  ergänzen,  gleichfalls  von  einer  Selbstverständ- 
lichkeit, die  nichts  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Diese  beiden  Beispiele  werden  gezeigt  haben,  wie  ich  es 


532         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  CrkenntniuBtheorie. 

mir  als  möglich  denke,  dass  der  Erkemitnisstheoretiker,  un- 
beschadet der  vollen  Selbstverständlichkeit  des  von  ihm  im 
Anfange  seines  Unternehmens  behaupteten  Inhalts,  sich  den- 
noch von  wohlerwogenen,  keineswegs  sich  von  selbst  ver- 
stehenden methodischen  Gesichtspunkten  leiten  lasse. 
Wie  ich  mir  diese  die  Erkenntnisstheorie  eröflfnenden  Ausfüh- 
rungen näher  denke,  kann  ich  hier  nicht  erörtern.  Andeu- 
tungen darĂĽber  habe  ich  in  meinem  Buche  ĂĽber  Kant  zu 
geben  versucht. 

Noch  eine  Frage  drängt  sich  hier  auf.  Wie  wird  es 
denn  dem  Erkenntnisstheoretiker  möglich,  nachdem  er  mit 
lauter  absolut  selbstverständlichen  Sätzen  glücklich  den  An- 
fang gemacht,  aus  der  Sphäre  der  absoluten  Selbstverständ- 
lichkeit, d.  h.  aus  der  Sphäre  der  eigenen  Bewusstseinsvor- 
gänge,  herauszukommen?  Dieses  Bedürfniss  muss  sich  ihm 
aufdrängen,  da  er  im  Bereiche  des  eigenen  Bewusstseins  nir- 
gends auch  nur  eine  Spur  von  Gesetzmässigkeit  zu  entdecken 
vermag,  die  Wissenschaft  aber  eben  in  dem  Erkennen  der 
Gesetzmässigkeit  besteht.  Also  auch  hier  wird  der  Erkenntniss- 
theoretiker durch  ein  Motiv  weitergetrieben,  das  nicht  aus  dem 
Inhalte  des  absolut  selbstverständlich  Erkannten  folgt.  Viel- 
mehr muss  er  von  ganz  anderswoher  die  Begriffe  des  Gesetzes, 
der  Causalität  u. s.w.  kennen  und  den  Werth  dieser  Begriffe 
wĂĽrdigen  gelernt  haben.  Doch  wird  auch  durch  dieses  Motiv 
kein  unerlaubter  Factor  in  die  Erkenntnisstheorie  hereingetra- 
gen, vorausgesetzt,  dass  die  Behauptungen,  zu  denen  dies 
Motiv  hintreibt,  sich  vollständig  aus  den  vorangehenden,  ab- 
solut selbstverständlichen  Behauptungen  rechtfertigen.  Der 
Erdenntnisstheoretiker  wird  daher  auch  an  diesem  Punkte, 
wo  er,  von  jenem  BedĂĽrfhisse  getrieben,  sich  umsieht,  ob  er 
irgendwie  das  Eingeschlossensein  in  seinen  individuellen,  un- 
zusammenhängenden Bewusstseinsvorgängen  durchbrechen  und 
zu  einer  allgemeingĂĽltigen,  sich  auf  causalen  Zusammenhang 
beziehenden  Erkenntniss  konunen  könne,  nichts  Anderes  thun 
dĂĽrfen,  als  Umschau  halten  unter  seinen  sich  ihm 
mit  voller  Unbezweifelbarkeit  darbietenden  Be- 
wusstseinserscheinungen.  Es  wäre  ein  verkehrtes  Ver- 
fahren,  von  irgend  welchen  Gesichtspunkten  aus  im  Voraus 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.         533 

ZU  bestimmen,  welche  BeschalBfenhelt  denjenigen  Bewusstseins- 
acten  zukommen  mĂĽsse,  die  im  Stande  sein  sollen,  uns  ein 
Erkennen  von  dem  transsubjectiven  Gebiete  zu  ermöglichen, 
und  nun  dann  gemäss  dieser  vorher  entworfenen 
Bestimmung  zu  entscheiden,  ob  diesen  oder  jenen  Arten 
von  Vorstellungen  transsubjective  Geltung  zuzusprechen  sei. 
Vielmehr  wird  man  sich  mit  voller  Unbefangenheit  dem  Laufe 
der  eigenen  Vorstellungen  einfach  hinzugeben  und  nun  zuzu- 
sehen haben,  ob  uns  durch  das  eigene  innere  Erfahren 
und  Erleben  in  irgend  einer  Art  von  Vorstellungen  ein 
Mehreres  verbĂĽrgt  werde,  als  bloss  die  individuell  -  subjec- 
live  Existenz  dieser  Vorstellungen,  und  mit  welcher  Art  von 
Zwang  nnd  mit  welchem  Grade  von  Gewissheit  sich  unserer 
unmittelbaren  Erfahrung  dies  Plus,  dies  transsubjective  Gelten, 
kund  thut.  Meiner  ĂĽeberzeugung  nach  werden  sich  bei  dieser 
Umschau  dem  Erkenntnisstheoretiker  vor  Allem  diejenigen 
Vorstellungen  aufdrängen,  die  jene  eigenthümliche  sachliche 
Nothwendigkeit  mit  sich  fĂĽhren,  die  man  als  logische  Noth- 
wendigkeit  zu  bezeichnen  pflegt.  Der  logische  Charakter  der 
Vorstellungen  wird  sich  mit  unwiderstehlicher,  unmittelbarer 
Gewalt  als  dasjenige  Expediens  erweisen,  das  uns  in  erster 
Linie  und  mit  relativ  grösster  Sicherheit  über  die  individuelle 
Bewusstseinssphäre  hinausgreifen  lässt. 

Es  ist  hier  nicht  meine  Aufgabe,  darzuthun,  welche  Leistungs- 
fähigkeit dem  logischen,  begrifflichen  Denken,  diesem  objec- 
tiven  Erkenntnissprincipe,  zukomme,  und  welchen  Einfluss  die 
individualistisch  -  suljjective  Herkunft  dieses  Princips  auf  die 
Ansicht  von  der  Bedeutung  desselben  haben  mĂĽsse.  Hier 
kommt  es  mir  nur  darauf  an,  zweierlei  hervorzuheben. 

Erstlich  ist  aus  allem  Vorangegangenen  klar,  dass,  wenn 
es  ĂĽberhaupt  ein  Princip  objectiver,  ĂĽber  das  Einzelbewusst- 
sein  hinausfĂĽhrender  Erkenntniss  oder  mehrere  solcher  Prin- 
cipien  gibt,  dieselben  sich  in  keiner  Weise,  weder  aus  Erfah- 
rung noch  sonst  woher,  beweisen  lassen,  sondern  dass  sie 
ihren  Ursprung  einzig  und  allein  in  dem  haben  mĂĽssen,  was 
das  Einzelbewusstsein  mit  absoluter  Selbstverständlichkeit  und 
Unbezweifelbarkeit  unmittelbar  in  sich  erfährt.  Es  müssen 
sich  also,  wenn  es  ein  objectives  Erkennen  geben  soll,  unter 


534         J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie. 

meinen  bewussten  und  daher  mit  vollkommener  Unbezweifel- 
barkeit  zu  erkennenden  Vorstellungen  auch  solche  finden,  die 
zu  mir  sprechen :  du  musst  uns  ansehen  als  Stimme  aus  dem 
Reiche  des  Transsubjectiven ,  als  eine  nicht  allein  fĂĽr  dein 
Bewusstsein  massgebende,  sondern  objectiv  geltende  Macht! 
Und  der  Erkenntnisstheoretiker  kann  nichts  Anderes  thun, 
als  einfach  aussprechen  und  verkĂĽnden,  was  er  bei  dem 
Haben  dieser  Vorstellungen  innerlich  erfahrt,  und  die  Anderen 
auffordern,  in  sich  zu  gehen  und  dieselbe  Erfahrung  nachzu- 
'  erleben.  VerfĂĽhre  er  anders,  so  wĂĽrde  er  nicht  mehr  voraus- 
setzungslos vorgehen,  sondern  das,  was  Erkenntnissprincip, 
Kriterium  der  Wahrheit  sein  soll,  auf  ein  uncontrolirtes,  ohne 
Kriterium  zu  Stande  gekommenes  Erkennen  grĂĽnden.  Es  ist 
nun  weiter  klai*,  dass  die  objectiven  Erkenntnissprincipien, 
eben  weil  sie  sich  mir  lediglich  in  der  Form  der  unmittel- 
baren Erfahrung  des  Bewusstseins ,  d.  d.  in  der  Form  des 
absolut  Selbstverständlichen  kundthun  können,  keine  unbe- 
zweifelbare  Gewissheit  zu  gewähren  im  Stande  sind.  Was 
ich  auf  Grund  dieser  Principien  erkenne,  beruht  sonach  aller- 
dings auf  einem  objectiven  Gelten  gewisser  Vorstellungen; 
allein  dies  objective  Gelten  wieder  findet  doch  nur  darum 
Statt,  weil  ich  mich  entschlossen  habe,  dem  unwider- 
stehlichen, sich  unmittelbar  als  sachlich  bezeugenden  Zwange, 
der  mit  gewissen  Vorstellungen  verknĂĽpft  ist,  Glauben  zu 
schenken.  Das  objective  Gelten  kann  sich  nie  von  dem  sub- 
jectivistischen  Boden  losreissen  und  daher  auch  nie  völlige 
Gewissheit,  sondern  nur  besten  Falls  hojje  Wahrscheinlichkeil 
geben. 

Zweitens  will  ich  hier  darauf  hinweisen,  dass  sich  die 
Erkenntnisstheorie  von  dem  Augenblicke  an,  wo  sie  ein  ob- 
jectives  Erkenntnissprincip  anzuerkennen  sich  gedrungen  sieht, 
weit  freier  bewegen  kann.  Jetzt  hat  sie  sich  nicht  mehr 
ängstlich  vor  dem  Ueberschreiten  des  absolut  Selbstverständ- 
lichen zu  hĂĽten,  sie  ist  jetzt  nicht  mehr  an  das  blosse  Aus- 
sprechen dessen,  was  das  Einzelbewusstsein  unmittelbar  in 
sich  erfahrt,  gebunden,  sondern  sie  darf  nun  die  Principien 
der  objectiven  Erkenntniss,  soweit  sie  sich  durch  ihre  eigene, 
unmittelbar   erfahrbare  Stimme    als  unwiderstehlich  erwiesen 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  535 

haben,  getrost  anwenden  und  sich  durch  ihre  Anwendung 
auf  ihrem  Wege  weiter  bestimmen  lassen.  Ja,  es  wird  so- 
gar möglich  sein,  nachdem  ein  objectives  Erkenntnissprincip 
im  Allgemeinen  festgestellt  und  so  ein  nicht  mehr  rĂĽck- 
gängig zu  machendes  Mittel  der  Weiterbeförderung  gewonnen 
ist,  die  besonderen  Fragen,  die  sich  an  dieses  Princip 
knĂĽpfen  (also  z.  B.  die  Fragen  nach  seinen  Bedingungen, 
nach  der  in  ihm  implicite  mitgesetzten  objectiven  Beschaffen- 
heit des  Weltzusammenhanges  u.  dgl.)  vermittelst  des  in 
seiner  Allgemeinheit  schon  feststehenden  Princips 
zu  beantworten.  Doch  dies  kann  erst  an  den  betreffenden 
Stellen  im  V^erlaufe  der  erkenntnisstlieoretischen  Darstellung 
deutlich  werden. 

III. 

Ich  verhehle  mir  nicht,  dass  den  Meisten  die  voranste- 
henden Erörterungen  als  zu  breit,  wenn  nicht  gar  als  über- 
flĂĽssig erscheinen  werden.  Indessen  meine  ich,  dass  man  es 
mit  der  Frage  nach  den  primitiven  Grundlagen  unseres  Er- 
kennens  nicht  ernst  genug  nehmen  könne.  Mit  der  so  oft 
gehörten  Forderung,  dass  sich  die  Erkenntnisstheorie  von 
allen  metaphysischen  Voraussetzungen  befreien  und  an  die 
Spitze  der  Philosophie  treten  mĂĽsse,  ist  es  nicht  gethan;  sie 
muss  sich  zugleich  alle  Gonsequenzen  ihres  Anspruches  auf 
die  Stellung  einer  Fundamentaldisciplin  klar  machen  und  sich 
daher  von  allen  Voraussetzungen,  auch  von  denen  des  ge- 
sunden Verstandes  und  des  wissenschaftlichen  Denkens  ĂĽber- 
haupt, frei  halten.  So  lange  sie  dies  nicht  thut,  wird  sie 
ĂĽber  den  Umfang  des  Erkennens,  die  Grade  der  Gewissheit 
u.  s.  w.  im  Dunkeln  tappen  und  in  Bezug  auf  die  Methoden 
der  Erkenntniss  in  die  verschiedensten  Ueber-  und  ĂĽnter- 
schätzungen  hineingerathen.  Eben  darum  nun,  weil  diese  hoch- 
wichtige Forderung  der  Voraussetzungslosigkeit  der  Erkennt- 
nisstheorie noch  lange  nicht  genĂĽgend  scharf  und  ernst  ge- 
nommen wird,  hielt  ich  es  nicht  fĂĽr  ĂĽberflĂĽssig,  die  Noth- 
wendigkeit  des  Preisgebens  aller  Voraussetzungen,  die  damit 
verknĂĽpfte  Fundamentalschwierigkeit  und  die  aus  der  Ueber- 
windung  derselben  hci-vorgehende  eigenthĂĽmliche  Beschaffen- 


536  J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnissiheorie. 

heit  der  Erkenntnisstheorie  mit  aller  Schärfe  und  unzweideu- 
tigen Genauigkeit,  deren  ich  fähig  war,  zu  behandeln.  In  dem 
Nachdruck  aber,  mit  dem  ich  meine  Ansichten  hinstellte,  war 
ich  darum  eher  etwas  zu  verschwenderisch,  als  zu  sparsam, 
weil  ich  gerne  den  einen  oder  den  anderen  der  Denker,  die 
jetzt  auf  dem  erkenntnisstheoretischen  Gebiete  arbeiten,  ver- 
anlassen möchte,  den  von  mir  hervorgehobenen  Punkten  ein- 
gehende Aufmerksamkeit  zuzuwenden  und  in  ruhig  sachliche 
Discussion  mit  mh*  hierĂĽber  zu  treten. 

Schliesslich  will  ich  beispielsweise  auf  einige  der  neue- 
sten Ansichten  ĂĽber  Stellung  und  Aufgabe  der  Erkenntniss- 
theorie hinweisen,  um  so  zu  zeigen,  wie  sehr  die  neuesten 
erkenntnisstheoretischen  Bestrebungen,  trotzdem  sie  in  vielen 
Beziehungen  sich  nach  dem  Ziele  der  Voraussetzungslosigkeil 
hin  bewegen,  mir  doch  noch  vielfach  auf  halbem  Wege  stehen 
zu  bleiben  scheinen. 

So  verlangt  Carl  Göring,  dass  die  Erkenntnisstheorie 
an  die  Spitze  des  philosophischen  Systems  zu  stellen  und  so 
zur  philosophischen  Propädeutik  zu  erheben  sei.  Und  er 
stellt  diese  Forderung,  weil  er  ganz  richtig  einsieht,  dass  die 
Philosophie  zuerst  die  Aufgabe  habe,  zu  entscheiden,  welche 
Vorstellungen  und  wieviel  an  ihnen  als  mit  dem  Gedanken 
des  Seins  verknĂĽpft,  d.  h.  als  durch  existirende  Gegenstande 
verursacht,  angesehen  werden  mĂĽsse.  Andererseits  jedoch 
hält  er  es  in  jeder  Beziehung  für  unmöglich,  die  Erkenntniss- 
weise der  Philosophie  vor  dem  Eintritt  in  dieselbe  zu  recht- 
fertigen; das  einzige  Kriterium  fĂĽr  die  Richtigkeit  einer  Me- 
thode sei,  dass  durch  sie  eine  Wissenschaft  geschaffen  wor- 
den ist.  So  könne  auch  die  Philosophie  die  Weise  ihres 
Erkennens  einzig  dadurch  in  ihrer  GĂĽltigkeit  darthun,  dass 
sie  auf  ihren  eigenen  erfolgreichen  Bestand,  auf  die  durch 
sie  faktisch  zu  Stande  gekommenen  Erkenntnisse  hinweise. 
Mit  den  ĂĽbrigen  Wissenschaften  verhalte  es  sich  anders.  Sie 
haben  „nachweislich  viele  genügend  bewährte  Erkenntnisse 
aufzuweisen" ;  eben  darum  mĂĽsse  ihnen  der  Philosoph  schon 
beim  Eintritt  in  die  Philosophie,  also  auch  da,  wo  er  die 
Erkenntnisstheorie  beginne,  „ohne  nähere  Prüfung  Glauben 
schenken"  (System  der  kritischen  Philosophie,  I.  Bd.,  S.  12  f., 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.         537 

24  f.,  32  ff.)-  Göring  meint,  dass  die  Resultate  des  Erkennens 
einfach  schon  durch  ihr  faktisches  Vorhandensein  die  GĂĽltig- 
keit der  Principien  und  Weisen  der  Erkenntniss,  durch  welche 
sie  gewonnen  wurden,  zu  bezeugen  im  Stande  sind.  Allein 
wodurch  garantiren  uns  denn  die  Resultate  der  wissenschaft- 
lichen Erkenntniss,  die  diese  bezeugende  Kraft  nach  rückwärts 
ausĂĽben  sollen,  ihre  objective  GĂĽltigkeit?  Da  wir  der  Wahr- 
heit nicht  in's  unverschleierte  Antlitz  schauen  können,  so  sind 
es  selbst  wieder  nur  gewisse  Principien,  Weisen,  Me- 
thoden der  Erkenntniss  (z.  B.  das  Princip  eines  gewissen 
Werthes  der  inductiven  Methode  oder  des  logischen  Denkens 
u.  dgl.),  unter  deren  stillschweigender  Voraussetzung  jenen 
Resultaten  objective  Gültigkeit  zugesprochen  wird.  Göring 
inuss  daher  consequenter  Weise  diese  Erkenntnissprincipien 
für  absolut  selbstverständlich  halten,  was  ^ie  aber  nach  un- 
serer frĂĽheren  Darlegung  durchaus  nicht  sind.  Ausserdem 
fragt  es  sich  dann,  wozu  er  es  noch  nöthig  findet,  die  Prin- 
cipien der  Erkenntniss  rückwärts  durch  die  Resultate  bestä- 
tigen zu  lassen,  und  wie  die  Erkenntnisstheorie,  wenn  sie  sich 
doch  mit  den  Principien,  Weisen  und  Methoden  der  Erkennt- 
niss nicht  beschäftigen  dürfe,  es  anfangen  solle,  die  ihr  von 
Göring  zur  Lösung  gegebene  Grundfrage,  inwieweit  sich 
die  objective  GĂĽltigkeit  der  Vorstellungen  erstrecke,  zu  be- 
antworten. 

Benno  Erdmann  stellt  in  seinem  beachtenswerthen 
Aufsatze  über  „die  Gliederung  der  Wissenschaften"  (Viertel- 
jahrsschrift fĂĽr  wissenschaftliche  Philosophie,  IL  Jahrg.,  1 .  Heft, 
S.  72  ff.)  die  Erkenntnisstheorie  zwar  nicht  an  die  Spitze  der 
Wissenschaften,  doch  aber  will  er  sie  von  allen  metaphysi- 
schen Voraussetzungen  frei  gehallen  wissen.  Alle  ĂĽbrigen 
Wissenschaften  haben  es  mit  dem  Erkenntniss  in  halte  unserer 
Vorstellungen  zu  thun,  nur  die  Lehre  vom  Erkennen  (Erkennt- 
nisstheorie und  Logik)  mit  dem  Erkenntniss  w  e  r  t  h  e  derselben. 
Die  Wissenschaft  hat  zu  ermitteln,  welches  Recht  der  psy- 
chische Vorgang  des  Erkennens  zu  dem  AnsprĂĽche  auf  Gel- 
tung habe.  Im  Besonderen  hat  die  Erkenntnisstheorie  „das 
Verhältniss  des  Dinges  zu  unserem  eigenen  Erkennen",  „die 
Gesetze,  welche  die  Beziehungen  des  Erkennens  zu  den  Din- 


538  J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u»  s.  w.  der  Erkennlnisstheorie. 

gen  regeln",  zu  erörtern.  Soweit  werden  wir  vollkommen 
beistimmen  dĂĽrfen.  Andererseits  jedoch  stellt  Erdmann  die 
Sache  so  dar,  als  ob  die  Erkenntnisstheorie,  wie  jede  andere 
Wissenschaft,  gewisse  thatsäch liehe  Beziehungen  vor  sich 
liegen  und  nun  zu  untersuchen  hätte.  Nur  bestehe  hier  das 
thatsächlich  Vorliegende  in  den  mit  dem  Ansprüche  auf 
Geltung  auftretenden  psychischen  Vorgängen  des  Denkens, 
näher  in  den  unserem  Denken  zur  inhaltlichen  Voraussetzung 
dienenden,  in  jedem  Urtheile  jeder  Wissenschaft  enthymema- 
tisch  enthaltenen  Prämissen.  Nur  dadurch  werden  die  Ge- 
setze des  Erkennens  normativ,  dass  sie  thatsächlich 
sind  (vgl.  besonders  S.  96  ff.;  102).  Ich  weiss  in  der  Thai 
nicht,  wie  Erdmann's  Erkenntnisstheorie  ĂĽber  eine  Psycho- 
logie der  Denkfunctionen  hinauskommen  solle.  Wenn  ich  die 
„Gruppe  thatsächlicher  Beziehungen  unseres  Vorstellens",  die 
man  Erkemien  nennt,  in  derselben  Weise  untersuche,  wie 
dies  die  anderen  Wissenschaften  mit  ihren  empirisch  vorlie- 
genden Gebieten  thun,  so  werde  ich  mich  eben  fortwährend 
in  dem  Elemente  der  empii'ischen  Thatsächlichkeit  bewegen, 
nie  aber  etwas  darüber  ausmachen  können,  mit  welchem 
Rechte  oder  Unrechte  diese  thatsächlichen  psychologi- 
schen Vorgänge  den  Anspruch  auf  objective  Geltung  erheben. 
Freilich  muss  sich  die  Erkenntnisstheorie,  wie  ich  zeigte,  an 
das  durch  die  innere  Erfahrung  unmittelbar  Gegebene  halten, 
allein  sie  thut  dies  in  der  Absicht,  um  zuzusehen,  wie  sich 
uns  innerhalb  dieser  absolut  selbstverständlichen  Thatsäch- 
lichkeit  in  primitiver,  nicht  weiter  zurückfährbarer  Weise  die 
Gewissheit  des  über  diese  Thatsächlichkeit  hinausführenden 
Erkennens  aufdränge.  Sie  lässt  also  das  Erkennen  vor 
unseren  Augen  entstehen,  jedoch  nicht  in  psychologischer 
Weise,  sondern  lediglich  mit  RĂĽcksicht  auf  seine  Geltung  oder 
—  was  dasselbe  ist  —  mit  Rücksicht  auf  die  Formen  der 
Gewissheit,  in  denen  es  uns  zu  Theil  wird. 

R  i  e  h  1  bestimmt  in  der  Einleitung  zu  dem  zweiten  Bande 
seines  Werkes  „Der  philosophische  Kriticismus"  die  allgemeine 
Aufgabe  der  Erkenntnisstheorie.  Mit  vollem  Recht  dringt  er 
auf  die  Trennung  von  Erkenntnisstheorie  und  Psychologie; 
jene  habe  sich  mit  der  Frage  nach  der  Entstehung  oder  indi- 


J.  Volke)!:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  ErkenntnissĂśieorie.  539 

viduellen  Erwerbung  der  Erkenntniss  nicht  zu  befassen;  ihre 
Aufgabe  beziehe  sich  vielmehr  auf  das  Problem,  wie  der  Er- 
kenntniss ungeachtet  ihrer  Subjectivität  objectiv- gültige  Be- 
deutung zukommen  könne  *).  Doch  auch  Riehl  verfährt  nicht 
voraussetzungslos  genug.  Er  bezeichnet  die  Erkenntnisstheorie 
als  „Theorie  der  allgemeinen  Erfahrung**  und  will  mit  diesem 

1)  Der  Unterschied  zwischen  Erkenntnisslheorie  und  Psychologie 
kann  nicht  genug  eingeschärft  werden.  Die  erkenntnisstheoretische  Lite- 
ratur ist  voll  von  der  Vermischung  beider  Gebiete.  Ein  besonders  auf- 
fallendes* Beispiel  bietet  Horwicz  dar  (Analyse  des  Denkens.  Grund- 
linien der  Erkenntnisstheorie.  Halle,  1875.  Zweiter  Theil  der  ,  Psycholo- 
gischen Analysen  auf  physiologischer  Grundlage").  Er  macht  es  sich  zur 
Aufgabe,  das  theoretische  Erkennen  aus  der  praktischen  GefĂĽhlsreaction, 
aus  der  einheitlichen  Zusammenfassung  subjectiver  Gefühlszustände  im 
Wege  der  Entwicklung  hervorgehen  zu  lassen;  er  will  zeigen,  wie  das 
objective  Erkennen  aus  den  elementarsten  psychischen  Processen  schritt- 
weise entspringe.  Sicherlich  ist  das  eine  wichtige  Aufgabe  der  Philosophie, 
und  Horwicz'  Art,  sie  zu  lösen,  enthält  viel  Verdienstvolles.  Nur  ist  dies 
eben  eine  psychologische,  nicht  eine  erkennluisstheoretische  Untersuchung. 
Diesen  Unterschied  hat  sich  nun  aber  Horwicz  nicht  klar  gemacht.  Er 
stellt  sich  ausdrucklich  die  Aufgabe,  eine  „wirkliche  Erkenntnisstheorie "  zu 
liefern,  und  setzt  die  seinige  der  Kantischen  gegenĂĽber,  die  auf  den  Namen 
, Erkenntnisstheorie '^  eigentlich  keinen  Anspruch  habe.  Durchweg  fĂĽhrt 
er  seine  Untersuchungen  in  dem  Sinne,  dass  durch  sie  die  Frage,  wie  das 
Erkennen,  dieser  subjective  Geisteszustand,  den  Anspruch  auf  objective 
Bedeutung  erheben  könne,  beantwortet  und  so  «die  Kluft  zwischen  Denken 
und  Wirklichkeit **  ĂĽberbrĂĽckt  werden  solle.  Hierdurch  kommt  es,  dass 
weder  die  psychologische,  noch  die  erkenntnisstheoretische  Art  bei  ihm 
rein  durchgefĂĽhrt  erscheint.  Er  meint  es  mit  der  Rechtfertigung  der  ob- 
jectiven  Geltung  des  zunächst  subjectiven  Erkennens  zu  thun  zu  haben, 
und  kommt  doch  nirgends  auf  die  springenden  Punkte  dieser  Aufgabe  zu 
sprechen;  denn  ĂĽberall  setzt  er  bei  sehien  Untersuchungen,  bald  unter 
dieser,  bald  unter  jener  Verhüllung,  die  Thatsächlichkeit  eines  die  Dinge 
selbst  abspiegelnden  Erkennens  wie  etwas  Selbstverständliches  voraus  und 
weiss  die  ungeheure  Schwierigkeit  nicht  zu  wĂĽrdigen,  die  fĂĽr  das  Erkennen 
durch  den  Gegensatz  von  Bewusstsein  und  Ding  an  sich  entsteht.  Dies 
gilt  auch  insbesondere  von  seiner  „Theorie  der  Coincidenz*  (S.  128  f.)-- 
Nach  meinen  obigen  Auseinandersetzungen  ĂĽber  die  Aufgabe  der  Erkennt- 
nisstheorie wird  Horwicz  vielleicht  einsehen,  dass  ich  von  den  polemischen 
Bemerkungen,  die  ich  vor  mehreren  Jahren  in  der  „Jenaer  Literatur- 
Zeitung"  (1876,  Nr.  3)  gegen  seine  Erkenntnisstheorie  machte,  und  die  er 
als  „vollständig  unbegreiflich*  zurückweisen  zu  müssen  glaubte  (Philos. 
Monatshefte,  XII.  Bd.,  2.  Heft,  S.  79  ff.),  nichts  Wesentliches  zurĂĽckneh- 
men kann. 


540  J.  Volkell:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkeimtnisgtbeorie. 

Ausdrucke  die  „apriorischen  Erfahrungsbegriffe^^  die  aUge- 
meinen  Gesetze  oder  Bedingungen  des  Bewusstseins  als  ihren 
näheren  Gegenstand  bestimmt  wissen.  Er  nimmt  also  Ton 
vornherein  eine  durchgängige  Verknüpfung  aller  Vorstellungen 
nach  allgemeinsten  Bewusstseinsgesetzen  an.  Noch  mehr  fällt  es 
auf,  dass  er  seine  erkenntnisstheoretischen  Untersuchungen  von 
der  „realistischen  Hypothese  aus"  fuhren  wül.  „Ich  nehme  an, 
dass  etwas  vom  Bewusstsein  Verschiedenes  und  Unabhängiges 
existire,  unter  welcher  Annahme  das  eigentliche  Problem  der 
Erkenntnisstheorie  erst  seine  eigentliche  Bedeutung  und  Trag- 
weite erhält."  Sollte  es  nicht  umgekehrt  richtig  sein,  dass 
die  Frage  nach  der  Möglichkeit  der  Erkenntniss  viel  dringen- 
der werden  mĂĽsse,  wenn  auch  die  Existenz  realer  Dinge  zu- 
nächst als  durchaus  bezweifelbar  angesehen  und  sonach  ver- 
langt werde,  dass  auch  die  Entscheidung  ĂĽber  diese  Frage 
erst  auf  Grundlage  der  Entscheidungen  der  Erkenntnisstheorie 
gegeben  werden  solle?  Und  femer:  wie  will  denn  Riehl  das 
Erkenntnissprincip,  auf  Grundlage  dessen  er  seine  „realistische 
Hypothese"  gewinnt,  unparteiisch  prĂĽfen,  wenn  es  doch  schon 
diese  Hypothese  selbst  ist,  von  der  aus  er  die  objective  Be- 
deutung der  Erkenntniss  der  PrĂĽfung  unterwerfen  wiU? 

Schliesslich  will  ich  noch  Wundt's  gedenken  (vgl.  be- 
sonders Logik,  Bd.  I,  S.  2  ff.).  Er  hat  durchaus  Recht,  wenn 
er  Logik  und  Erkenntnisstheorie  nicht  von  einander  trennen, 
sondern  die  logischen  Normen  des  Denkens  im  Zusammen- 
hange mit  der  Frage  nach  den  Grundlagen  und  Grenzen  des 
Wissens  behandeln  will.  So  widmet  er  denn  in  der  Logik 
vor  Allem  auch  der  Frage  nach  den  Kriterien  der  Gewissheit 
eine  höchst  beachtenswerthe  principielle  Erörterung.  Nach 
meiner  Ueberzeugung  allerdings  muss  die  Erkenntnisstheorie 
nicht  in  die  Logik  hereingezogen,  sondern  umgekehrt  die  Logik 
zu  einem  Theil  der  Erkenntnisstheorie  herabgesetzt  werden. 
Die  Erkenntnisstheorie  ist  die  allgemeinere,  ĂĽbergreifende 
Wissenschaft.  Sie  stösst  im  Verlaufe  ihrer  Erörterungen  un- 
vermeidlich auf  das  logische  Denken  und  hat  dasselbe  nach 
seinem  objectiven  Werthe  zu  prüfen.  Diese  Aufgabe  lässt 
sich  nicht  vollziehen  ohne  ein  Eingehen  auf  die  allgemeinsten 
Formen  und  Gesetze  des  Denkens,  welche  in  der  Logik  dar- 


J.  Volkelt:  Die  Aufgabe  u.  s.  w.  der  Erkenntnisstheorie.  541 

gestellt  zu  werden  pflegen.  Sollen  diese  Formen  und  Gesetze 
nach  ihrer  Leistungsfähigkeit  für  das  objective  Erkennen  un- 
tersucht werden,  so  muss  nothwendiger  Weise  eine  einfache 
Darstellung  derselben  vorangehen.  So  wird  also  die  Erkennt- 
nisstheorie durch  den  eigenen  Gang  ihrer  Aufgaben  zur  Un- 
tersuchung und  Erledigung  der  specifisch  logischen  Fragen 
geführt.  Die  Logik  hat  sich  sonach  vollständig  in  die  Er- 
kenntnisstheorie aufzulösen.  Doch  die  Bestimmung  des  Ver- 
hältnisses beider  Wissenschaften  ist  es  nicht,  was  mich  hier 
zu  beschäftigen  hat.  Ich  habe  hier  erstlich  darauf  hinzu- 
weisen, dass  Wundt  seinen  erkenntnisstheoretischen  Unterr 
suchungen  die  Lehre  von  den  Begriffen,  Urtheilen  und  SchlĂĽs- 
sen voranschickt.  So  tritt  er  also  in  die  Erkenntnisstheorie 
mit  der  Voraussetzung  ein,  dass  es  allgemeingĂĽltige  For- 
men des  Denkens  gebe,  —  eine  Voraussetzung,  die  sich 
keineswegs  völlig  von  selbst  versteht,  und  die,  da  auf 
ihrer  Grundlage  die  Erkenntnisstheorie  erst  an  die  PrĂĽ- 
fung des  objectiven  Werthes  der  Erkenntnissvoi^änge  geht, 
auch  fĂĽr  allen  weiteren  Verlauf  der  Wissenschaft  ein  unge- 
prĂĽfter, dogmatischer  Bestandtheil  derselben  bleiben  muss. 
Wundt  sagt  geradezu,  dass  die  Logik  —  diese  Grundlage  der 
Erkenntnisstheorie  —  unter  der  Voraussetzung  steht,  „dass 
das  Denken  ein  zur  Erkenntniss  geeignetes  Werkzeug  und 
hierdurch  befähigt  sei,  schliesslich  eine  Uebereinstimmung 
unserer  Begriffe  mit  den  Erkenntnissobjecten  zu  erreichen.'' 
Zweitens  lässt  er  den  logischen  und  den  erkenntnisstheore- 
tischen Untersuchungen  eine  „psychologische  Entwicklungs- 
geschichte des  Denkens"  vorangehen.  So  wird  bei  Wundt 
die  Erkenntnisstheorie  auch  von  der  Psychologie  abhängig. 
Dazu  kommt  dann  noch,  dass  er,  ähnlich  wie  Benno  Erd- 
mann, behauptet,  die  Logik  müsse  „aus  den  thatsächlich 
geĂĽbten  Verfahrungsweisen  des  Denkens  und  der  Forschung 
ihre  allgemeinen  Resultate  abstrahiren." 

Durch  diese  den  neuesten  erkenntnisstheoretischen  Be- 
strebungen entnommenen  Beispiele  wird  es  sich,  hoffe  ich, 
gerechtfertigt  haben,  wenn  ich  in  der  AusfĂĽhrlichkeit,  womit 
ich  meine  Ansichten  ĂĽber  Erkenntnisstheorie  begrĂĽndete,  lieber 
zu  viel  als  zu  wenig  that.  Johannes  Volkelt. 


542  6.  Knauer:  Was  ist  Begriff? 


Was  ist  Begriff? 


Der  zu  Anfang  des  3.  Heftes  des  XVII.  Bandes  dieser 
Hefte  veröflfentlichte  Aufsatz  von  Prof.  Volkelt  in  Jena: 
„lieber  die  logischen  Schwierigkeiten  in  der  einfachsten  Form 
der  Begriflfsbildung"  geht  von  der  „einfachen,  weiten  und 
allbekannten  Bestimmung"  aus,  „dass  der  BegriflF  etwas  vielem 
Einzelnen  Gemeinsames  zusammenfasse"  (S.  129),  bleibt 
dabei  stehen,  dass  dieses  Zusammengefasste  nur  die  gemein- 
samen Merkmale  der  unter  den  Begriff  zu  befassenden 
Gegenstände  sein  können,  und  kommt  nicht  über  die  Einsicht 
hinaus,  dass  diese  logische  Forderung,  die  gemeinsamen  Merk- 
male zusammenzufassen,  zugleich  aber  auch  die  „unterschei- 
denden Merkmale  in  der  Form  der  Möglichkeit  mitzudenken" 
(S.  142),  eigentlich  das  menschliche  Vermögen  übersteigt. 
„Nur  ein  intuitiver  (»von  den  Formen  der  Endlichkeit  und 
Zeitlichkeit  losgelöster«  S.  142)  Verstand  also  kann  die  im 
Begriffe  liegende  logische  Forderung  erfĂĽllen"  (S.  136).  Eigent- 
lich ist,  da  wir  solchen  intuitiven  Verstand  nicht  besitzen, 
jeder  Begriff  nur  eine  „Abbreviatur",  die  in  unserem  Vor- 
stellen auf  das  ,Jdeal  des  Begriffes"  bezogen  wird  (S.  146). 
„Der  menschliche  Verstand  ist  ausser  Stande,  das,  was  der 
Begriff  uns  zu  denken  aufgibt,  wirklich  zu  denken.  Der  Be- 
griff ist  fĂĽr  uns  ein  logisches  Ideal,  das  wir  nur  andeu- 
tungsweise zu  erfüllen  vermögen"  (S.  137). 

Dieser  Aufsatz  ist  äusserst  lehrreich,  es  kann  wirklich 
das  Ergebniss  der  Untersuchung  nicht  anders  ausfallen,  wenn 
man  von  jener  Bestimmung  ausgeht,  die  Verf.  „einfach,  weit 
und  allbekannt"  nennt.  Aber  eben  deshalb  fragt  es  sich,  ob 
jene  allbekannte  Bestimmung  wirklich  dem  Sachverhalte  ent- 
spricht, oder  ob  sie  trotz  ihrer  allerdings  weiten  Verbreitung 
am  Ende  doch  nur  eine  irrthĂĽmliche  ist.  Und  dieses  Letztere 
glaube  ich  mit  aller  Bestimmtheit  behaupten  und  verfechten 
zu  können,  wandele  dabei  aber  nur  in  den  Fussstapfen  meines 
Jenenser  Lehrers  Apelt.  Das  waren  etwa  nach  meiner  Erinne- 
rung die  Worte,  mit  welchen  Prof.  Apelt  uns  seine  SchĂĽler 
auf  das  Irrige  jener  Bestimmung  hinwies: 


6.  Knauer:  Was  ist  Begriff?  543 

In  der  Geschichte  der  Philosophie  treten  zwei  grund- 
verschiedene Auffassungen  und  Erklärungen  dessen, 
was  Begriff  sei,  hervor.  Die  eine,  von  der  grossen  Mehrzahl, 
ja  von  fast  allen  Philosophirenden  adoptirt,  lautet:  „Begriff 
ist  die  Zusammenfassung  der  verschiedenen  Merk- 
male eines  Gegenstandes."  Die  andere,  nur  von  Weni- 
gen angenommen,  aber  unter  sie  gehört  unser  Kant,  lautet: 
„Begriff  ist  die  Auffassung  eines  verschiedenen  Gegen- 
ständen gemeinsamen  Merkmals,'*  wohlzumerken :  eines 
einzigen,  nur  eines  einzigen  Merkmals,  das  eben  den  Begriff 
bildet,  so  viel  Sondermerkmale  diesem  einen  etwa  nachher 
auch  beigelegt  werden  mĂĽssen.  Die  erste,  die  unkritische 
Auffassung  ist  irrig  und  wird  zur  Quelle  weiterer  folgen- 
schwerer IrrthĂĽmer ;  die  zweite,  die  der  kritischen  Philosophie, 
ist  die  allein  und  unbedingt  richtige. 

Weitere  AusfĂĽhrungen  aus  dem  mĂĽndlichen  Vortrage 
meines  Lehrers  vermag  ich  jetzt  nicht  mehr  sicher  beizufĂĽgen, 
es  dĂĽrfte  leicht  meine  eigene  weitere  FortfĂĽhrung  der  bezĂĽg- 
lichen Erwägungen  unwillkürlich  hereinspielen.  Ob  mein 
Lehrer  nicht  auch  in  seinen  Schriftwerken,  die  mir  gerade 
nicht  vollständig  zur  Hand  sind,  sich  irgendwo  über  diesen 
Punkt  ausgesprochen  hat,  weiss  ich  zur  Zeit  nicht  zu  sagen; 
das  Ergebniss  des  mĂĽndlichen  Vortrags  aber  ist  fĂĽr  mich 
eine  der  sichersten  Errungenschaften  aus  meiner  Studienzeit 
geblieben. 

Auch  darauf  kann  ich  mich  nicht  besinnen,  ob  Apelt 
uns  bestimmte  Belagsstellen  aus  Kant  nachgewiesen  hat. 
Aber  ich  selbst  habe  später  solche  gesucht  und  gefunden, 
so  dass  ich  an  der  Richtigkeit  der  Apelt'schen  Behauptung 
bezĂĽglich  Kant's  nicht  zweifeln  kann,  wenn  auch  Stellen  der 
von  Jäsche  herausgegebenen  „Logik"  irre  machen  könnten 
(z.  B.  dass  daselbst  in  §  6  beim  Begriffsbilden  die  Reflexion 
mitten  zwischen  Comparation  und  Abstraction  gesetzt  und  so 
erklärt  wird:  „Überlegung,  wie  verschiedene  Vorstellungen 
in  Einem  Bewusstsein  begriffen  sein  können.").  Als  von  mir 
selbst  bemerkte  Hauptstellen  aus  Kant  fĂĽhre  ich  an:  Kr.  d. 
reinen  V.  2.  Aufl.  S.  376/77:  Erkenntniss  „ist  entweder  An- 
schauung oder  Begriff  (intuitus  vel  conceptus).     Jene  bezieht 


544  Q.  Knauer:   Was  ist  Begriff? 

sich  unmittelbar  auf  den  Gegenstand  und  ist  einzeln:  dieser 
mittelbar,  vermittelst  eines  Merkmals,  was  mehreren  Din- 
gen gemein  sein  kann"  —  also  nicht  vermittelst  der  Zusammen- 
fassung der  mehreren  Dingen  gemeinsamen  Merkmale.  Sodann 
S.  39/40  der  2.  Aufl.  und  zwar  nur  in  dieser:  „Nun  muss 
man  zwar  einen  jeden  Begriff  als  eine  Vorstellung  den- 
ken, die  in  einer  unendlichen  Menge  von  verschiedenen  mög- 
lichen Vorstellungen  (als  ihr  gemeinschaftliches  Merk- 
mal) enthalten  ist,  mithin  diese  unter  sich  enthält"  u.  s.  w. 
—  also  nicht  als  eine  Vorstellung,  in  der  eine  Menge  von 
Vorstellungen  als  gemeinsame  Merkmale  der  zugehörigen  Gegen- 
stände enthalten  sind.  —  Und  auch  in  der  ,.Logik"  heisst 
es  gleich  §  1  Anm.  1:  „Der  Begriff  ist  der  Anschauung  ent- 
gegengesetzt; denn  er  ist  eine  allgemeine  Vorstellung  oder 
eine  Vorstellung  dessen,  was  mehreren  Objecten  gemein 
ist,  also  eine  Vorstellung,  so  fern  sie  in  verschiedenen  ent- 
halten sein  kann"  —  also  nicht  eine  Vereinigung  und  Zusammen- 
fassung von  Vorstellungen.  Und  §  5  Anm.  1 :  Die  allgemeine 
Logik  kann  „den  Begriff  nur  in  Rücksicht  seiner  Form,  d.  h. 
nur  subjectivisch  erwägen;  nicht  wie  er  durch  ein  Merk- 
mal ein  Object  bestimmt,  sondern  nur  wie  er  auf  mehrere 
Objecte  kann  bezogen  werden"  —  also  der  Begriff  bestinrait 
ein  Object  durch  ein,  durch  ein  einziges  Merkmal,  nicht  durch 
verschiedene  zusammengefasste  Merkmale.  Ich  meine,  diese 
Stellen  genĂĽgen,  um  die  Berufung  Apelts  auf  Kant  als  richtig 
zu  bestätigen. 

Die  Ausführungen  von  Fries  in  seiner  „Neuen  Kr.  d. 
V."  2.  Aufl.  1.  Band  sind  nicht  so  bestimmt  und  deutlich, 
wie  die  Apelt'sche  Darlegung,  besonders  da  er  mit  Vorliebe 
den  Ausdruck  „Theüvorstellungen"  verwendet,  und  da  er  in 
etwaigen  Definitionen  von  Begriffen  zu  schnell  vollständige 
Angaben  ihres  Inhalts  sieht;  doch  sagt  auch  Fries:  der  Begriff 
„ist  ein  allgemeiner  gleicher  Theil  aller  jener  Vorstellungen 
[die  in  seinem  Umfang  stehen]  und  ist  in  ihnen  als  Merk- 
mal enthalten,  daher  hat  jeder  Begriff  eine  Sphäre  von  Vor- 
stellungen, denen  er  als  Merkmal  zukommt,  und  einen 
bestimmten  Inhalt,  welcher  ihm  selbst  zukommt"  (S.  208)  — 
also  keineswegs  kommt  er  den  in  seinem  Umfang  stehenden 


6.  Knauer:   Was  ist  Begriff?  545 

Vorstellungen  als  ein  Sammelsurium  von  Merkmalen  zu.  Und 
S.  209:  „Wir  stellen  uns  daher  einen  BegriflF  gewöhnlich  gar 
nicht  durch  seine  Definition,  sondern  nur  durch  ein  Schema 
der  Einbildungskraft  vor/^  Sonach  ist  auch  Fries  auf  unserer 
Seite. 

Man  gestatte  mir  nun,  unsere  Auffassung  kurz  als  die 
kritische,  die  gegentheilige  als  die  unkritische  zu  bezeichnen, 
wie  schon  Apelt  das  that. 

Das  Verfängliche  der  unkritischen  Auflassung  liegt  in  der 
Behauptung,  dass  im  Begrifl'e  etwas  zusammengefasst  werde 
(wie  denn  dieser  Ausdruck  „zusammenfassen"  sich  wieder- 
holt auch  in  der  Volkelt'schen  Abhandlung  findet),  und  ich 
habe  mir  längst  gesagt,  es  wird  wohl  der  lateinische  Aus- 
druck conceptus  fĂĽr  Begriff  viel  dazu  beigetragen  haben, 
dass  obige  Behauptung  unbesehen  als  selbstverständlich  hin- 
genommen worden  ist.  Aber  die  lateinische  Vorsilbe  con 
ĂĽberhaupt  und  insonderheit  im  Verbum  concipio  hat  gar 
nicht  eine  unserem  deutschen  „zusammen,  zusammen-fassen" 
gleiche  Kraft  imd  Bedeutung.  Es  sei  nur  daran  erinnert, 
dass  concipere  auch  das  Empfangen  beim  Zeugungsakt  bedeutet, 
und  dass  es  in  den  verschiedensten  Verbindungen  fĂĽr  das 
blosse  Aufiiehmen,  Auffassen  gebraucht  wird.  Nichts  hindert 
uns  bei  unserer  kritischen  Explication^  wonach  im  Begriff 
nicht  Mancherlei  zusammengefasst,  wohl  aber  Einerlei  auf- 
gefasst  wird,  den  lateinischen  Ausdruck  conceptus  beizu- 
behalten. 

Substantive,  Adjective  und  Verba  sind  in  den  Sprachen 
HüUen  für  Begriffe,  sie  sind  Begriffswörter,  wie  man  sie 
wohl  genannt  hat,  während  in  Conjunctionen,  Präpositionen 
u.  s.  w.,  auch  in  den  Pronominibus  keine  Begriffe  sich  bergen. 
Nehme  man  nun  irgend  welche  Eigenschaften  von  Dingen, 
die  ja  bald  adjectivisch,  bald  substantivisch  ausgedrĂĽckt  wer- 
den können,  und  frage  sich,  was  in  dem  entsprechenden 
Begriff,  dem  das  Wort  zur  HĂĽlle  dient,  zusanunengefasst  sein 
soll.  Wie  steht  es  z.  B.  mit  den  Farbebegriffen?  Welche 
gemeinsamen  Merkmale  sollen  denn  im  Begriffe  „roth**  zu- 
sammengefasst sein?  Keine;  sondern  roth,  Röthe  ist  nur  die 
Auffassung  eines  einzigen  Merkmals,  das  verschiedenen  Gegen- 

Philosoph.  Monatshefte  1881.  IX  u.  X.  .35 


546  6.  Knauer:   Was  ist  Begriff? 

ständen  in  der  Beobachtung  zukommt,  ja  das  ich  willkürlich 
durch  j  Anstreichen  und  Malen  irgend  welchen  (Jegenständen 
beibringen  kann,  so  dass  es  dann  von  anderen  Beobachtern 
auch  an  ihnen  wahrgenommen  wird.  —  Oder  welche  unter- 
schiedlichen Merkmale  sollen  in  den  Begriffen  Essen  und 
Trinken  zusammengefasst  sein?  Keine;  in  diesen  B^riffen 
ist  nur  je  Ein  Merkmal  des  Handelns  thierischer  Wesen  auf- 
gefasst.  —  Oder  nehmen  wir  Wechselwirkungs- Begriffe,  die 
auch  nur  accidentelle  Bedeutung  haben,  z.  B.  Krieg  und 
Friede.  Welches  Sammelsurium  gemeinsamer  Merkmale 
mĂĽsste  wohl  zusammengefasst  werden,  ehe  man  diese  Begriffe 
fest  gewinnen  könnte,  falls  die  Forderung  „zusammenzufassen'^ 
wirklich  richtig  wäre?  Aber  sie  ist  es  nicht.  Im  B^iff 
„Krieg"  ist  eben  nur  Ein  Merkmal  aufgefasst,  sicher  auf- 
gefasst  von  Wilden  wie  von  Culturvölkern,  ebenso  im  Begriff 
„Friede" ;  und  so  mannichfaltig  die  Einzel-Merkmale  im  hihalt 
des  Begriffes  Krieg  auch  sein  mögen,  und  eine  wie  unerschöpf- 
liche FĂĽlle  von  Merkmalen  auch  zur  Beschreibung  der  Seg- 
nungen des  Friedens  sich  bieten  mag,  Krieg  wie  Friede  sind 
so  bestimmte  und  so  deutlich  zu  unterscheidende  Erschei- 
nungen, dass  ĂĽber  die  Bedeutung  der  bezĂĽglichen  Begriffe 
nie  ein  prinzipieller  Streit  entstehen  kann,  werm  auch  hie  und 
da  ihre  Anwendung  auf  Zustände,  die  der  Beurtheilung  vor- 
liegen, fraglich  bleiben  mag. 

Das  waren  nun  freilich  his  jetzt  nur  Accidenz-Begriffe, 
auf  die  wir  mit  diesen  Beispielen  hingewiesen  haben.  Aber 
es  hat  wahrhaftig  auch  mit  unseren  Substanz-Begriffen 
keine  andere  Bewandtniss.  Welche  unterschiedlichen  gemein- 
samen Merkmale  sind  denn  im  Begriffe  Katze  oder  Hund 
zusammengefasst?  Keine;  sondern  ein  einziges  Merkmal,  das 
allen  Exemplaren  der  betreffenden  Thiergattungen  zukoramt, 
das  eben  die  Katze  zur  Katze  und  den  Hund  zum  Hunde 
macht,  jist  darin  aufgefasst,  soviel  Sonder -Merkmale  dann  auch 
im  Inhalt  der  beiden  Begriffe  sich  bergen  mögen;  verwenden 
doch  Kinder  schon  im  frĂĽhesten  Alter,  sobald  sie  die  ersten 
Worte  sprechen  körmen,  diese  beiden  Begriffe  mit  ziemlicher, 
freilich  nicht  unumstösslicher  Sicherheit,  ohne  dass  sie  ein 
deutliches  Bewusstsein  vom  Unterschied  des  Katzen-  und  des 


6.  Knauer:    Was  ist  Begriff?  547 

Hunde-Kopfes,    der  verschiedenen  Construction  des  Gebisses 
u.  s.  w.  u.  s.  w.  haben. 

Die  Markomannen  einst  hielten  die  von  Kaiser  Marc 
AureFs  Leuten  ihnen  über  die  Donau  zugesendeten  Löwen 
fĂĽr  grosse  Hunde  und  schlugen  sie  als  solche  mit  ihren  Keu- 
len todt.  Sie  hatten  sich  bei  der  Anwendung  des  Hunde- 
Begriffs  auf  diese  grossen  Raubthiere  geirrt,  aber  den  Hunde- 
Begriff  als  solchen  hatten  sie  sicher,  sie  hatten  darin  ein 
Merkmal  aufgefasst,  das  sie  (hier  allerdings  irrthĂĽmlich)  auch 
an  den  Löwen  wiederzufinden  meinten.  Richtiger  urtheilte 
jener  Kreuzfahrer,  der  dem  gegen  sein  Ross  anspringenden 
Löwen  mit  dem  Ausruf:  ei  du  verfluchte  Katze!  den  Kopf 
spaltete,  das  Fell  abzog  und  auf  sein  Thier  hing,  und  der 
nachher  erst  zu  seiner  Verwunderung  erfuhr,  dass  er  den 
König  der  Thiere  erschlagen.  Er  hatte  im  Begriff  „Katze" 
ein  Merkmal  aufgefasst,  bei  dessen  Verwendung  auf  das 
anspringende  Raubthier  er  sich  auch  nicht,  wie  jene  Marko- 
mannen bei  der  Verwendung  des  Begriffes  „Hund",  tauschte. 

In  meiner  Schrift  „Seele  und  Geist"  (Leipzig  1880)  habe 
ich  schon  S.  68  auf  diesen  Streit  um  das,  was  Begriff  sei, 
hingewiesen  und  habe  dort  als  ein,  wie  ich  glaube,  schlagen- 
des Beispiel  fĂĽr  die  Richtigkeit  der  kritischen  Explication  an 
die  Begriffe  Vater  und  Mutter  erinnert,  die  das  kleine 
Kind  schon  sicher  besitzt  und  verwendet,  ohne  doch  irgend- 
wie die  wesentlichen  Merkmale  des  Vater-  und  Mutter -Seins 
zu  kennen  und  sie  etwa  „zusammenfassen"  zu  können.  So 
lange  das  Kind  nur  seinen  eigenen  Vater  kennt  und  etwa 
Papa  nennt,  so  lange  wird  bei  ihm  nur  eine  anschauliche 
Vorstellung  vorhanden  sein;  so  bald  ihm  aber  ein  anderer 
Mann  gezeigt  und  von  diesem  etwa  gesagt  wird;  „Das  ist 
Fritzchens  Papa",  und  das  Kind  acceptirt  diese  Bezeichnung: 
dann  hat  es  den  Papa-  oder  Vater -Begriff  gewonnen,  die 
Einzelanschauung  ist  zum  Begriffe  geworden;  und  das  tritt 
in  der  That  bei  den  meisten  Kindern  schon  sehr  frĂĽh  ein. 
Was  haben  die  Kleinen  denn  in  diesem  Begriff  fĂĽr  Merkmale 
zusammengefasst  ?  Gar  keine,  sondern  sie  haben  ein  einziges 
Merkmal,  eben  das  des  Vater-Seins,  aufgefasst,  instinctiv  auf- 
gefasst —  und  so  bekommen  auch  wir  Grossen  die  Mehrzahl 


548  6.  Knauer:   Was  ist  Begriff? 

unserer  neuen  Begriffe  nach  und  nach  durch  immer  neue 
instinctive  Auffassung  von  Merkmalen.  Wenn  nun  so  ein 
Kindchen,  vielleicht  dadurch  veranlasst,  dass  sein  und  Fritz- 
chens Vater  beide  Vollbarte  tragen,  einen  dritten  vollbär- 
tigen aber  noch  unverheiratheten  Mann,  der  in  das  Zinuner 
tritt,  auch  als  einen  Papa  bezeichnet,  so  hat  es  sich  aller- 
dings geirrt,  ebenso  wie  nach  obigem  Beispiel  einst  die  Mar- 
komannen sich  geirrt  hatten,  aber  der  hrrthum  haftet  nicht 
dem  Begriffe  selbst  an  (wiewohl  in  dessen  Inhalt  das  acci- 
dentelle  Merkmal  der  Vollbärtigkeit  fälschlich  versetzt  worden 
war),  sondern  er  liegt  nur  in  einer  unberechtigten  Verwen- 
dung des  Begriffs. 

Doch  wie  viele  Begriffe  werden  Tag  fĂĽr  Tag  falschlich 
verwendet,  nicht  bloss  von  Kindern,  nicht  bloss  von  Leuten 
aus  den  unteren  Schichten  des  Volkes,  sondern  selbst  unter 
Umstanden  von  den  in  ihrem  Specialfach  Gelehrtesten,  von 
denen,  wo  sie  sich  auf  fremde  Gebiete  begeben,  ein  SprĂĽch- 
wort mitunter  nicht  mit  Unrecht  behauptet:  Die  Gelehrtesten 
sind  oft  die  verkehrtesten!  Werden  die  Begriffe  aber  falsch- 
lich angewendet,  so  ist  doch  damit  nicht  gesagt,  dass  diese 
Begriffe  selbst  nicht  vorhanden  seien;  und  selbst  in  sich  und 
an  sich  irrige  Begriffe  sind  und  bleiben  doch  Begriffe,  sowie 
irrige  Nachrichten  und  GerĂĽchte  doch  Nachrichten  und  Ge- 
rĂĽchte bleiben,  mag  man  denselben  dann  auch  noch  die 
Ehrenbezeichnung  als  „Enten*^  oder  welche  sonst  beilegen. 

Was  verwechselt  die  unkritische  Explication?  Sie  ver- 
wechselt den  Begriff  mit  seinem  Inhalt;  aber  der 
Begriff  ist  nicht  gleich  seinem  Inhalt,  so  wenig  er  gleich  sei- 
nem Umfange  ist.  Die  unterschiedlichen  Merkmale,  die  nach 
der  unkritischen  Darstellung  zusammengefasst  sein  soUen, 
damit  der  Begriff  gewoimen  werden  konnte,  coastituiren 
nicht  den  Begriff,  sondern  seinen  Inhalt,  man  kann  sie  aus 
seinem  Inhalt  herauslösen,  aber  das  geschieht  oft  erst,  nach- 
dem der  Begriff  selbst  schon  lange  mit  Sicherheit  verwendet 
worden  ist,  ohne  dass  man  sie  kannte.  Der  Begriff  selbst 
ist  nur  einer  Schale  vergleichbar;  was  alles  in  solch  einer 
Schale  verborgen  ist,  weiss  man  zum  voraus  nicht,  das  erfahrt 
man  erst  mit  der  Zeit,  vielleicht  auch  nie.    Wer  weiss,  welche 


6.  Knauer:    Was  ist  Begriff?  549 

Merkmale  man  noch  einmal  aus  dem  Inhalt  des  Begriffes 
Phosphor  herausholen  wird;  schon  ist  der  Begriff  fĂĽr  unsere 
Chemiker  ein  inhaltreicher  geworden,  inhaltreicher,  als  er  fĂĽr 
die  ersten  Darsteller  des  Stoffes  war;  aber  hat  die  chemische 
Wissenschaft  schon  seinen  ganzen  Inhalt  ausgeschöpft?  Nie- 
mand kann  das  behaupten. 

Die  von  Volkelt  aufgewiesenen  Schwierigkeiten  betreffen 
nicht,  wie  er  es  darstellt,  die  Begriffe  selbst  oder  die  Bildung 
der  Begriffe,  sondern  sie  betreffen  den  Inhalt  derselben  und 
die  Versuche,  diesen  Inhalt  zu  ermitteln.  Die  Nuss 
ist  immer  schon  da,  aber  wer  knackt  .sie  und  zeigt,  was 
darin  ist?  Viele  Begriffe  sind  und  bleiben  ungeknackte 
NĂĽsse;  und  sind  sie  geknackt,  so  kann  man  immer  noch 
nicht  behaupten,  dass  man  alles,  was  sich  aus  dem  Kerne 
wĂĽrde  herausnehmen  lassen,  wirklich  schon  herausgenommen 
habe.  Der  Begriff  „Wasser*'  ist  ein  der  Menschheit  von  den 
Urzeiten  her  geläufiger,  aber  wie  lange  hat  es  gedauert,  ehe 
man  Wasser  in  Wasserstoff  und  Sauerstoff  zerlegen  lernte 
und  so  einen  frĂĽher  ungeahnten  Inhalt  des  Begriffes  gewann. 
Haben  wir  nun  heute  den  Begriff  Wasser  etwa  sicherer,  als 
unsere  Vorfahren,  die  das  Wasser  fĂĽr  eines  von  den  vier 
Elementen  hielten?  Waren  diese  etwa  mehr  in  Versuchung, 
Wasser  mit  Ă–el  oder  mit  Wein  zu  verwechseln,  als  wir? 
Nein,  durchaus  nicht;  den  Begriff  selbst  haben  wir  nicht 
sicherer,  aber  wir  wissen  mehr  vom  Inhalt  dieses  Begriffes, 
als  imsere  Altvordern  davon  wussten.  Und  nennt  der  Wilde 
von  seinem  Standpunkt  aus  den  Branntwein  „Feuerwasser", 
so  darf  man  ihm  auch  diese  Bezeichnung  keineswegs  abstreiten, 
nur  muss  Geschmack  und  Wirkung  bald  ihn  ĂĽberzeugen, 
dass  Feuerwasser  ein  ganz  neuer  Begriff  ist,  den  er  gewonnen, 
in  dem  nur  gleichnissweise  die  fĂĽr  den  Begriff  Wasser  selbst 
dienende  sprachliche  Bezeichnung  mit  verwendet  ist.  Der 
Wilde,  der  das  Feuerwasser  noch  nicht  geschmeckt  hat,  mag 
meinen,  seinen  Wasserbegriff  als  solchen  auch  auf  diese  farb- 
lose Flüssigkeit  sicher  anwenden  zu  können,  er  muss  sich 
nachher  ĂĽberzeugen,  dass  diese  Meinung  irrig  war. 

Wie  ich  schon  in  „Seele  und  Geist**  a.  a.  O.  es  ausge- 
sprochen: Ungelehrte  oder  doch  Unerfahrene  haben  mitunter 


550  6.  Knauer:   Was  ist  Begriff? 

nahezu  inhaltlose  oder  doch  meist  inhaltarme  Begriffe,  Erfah- 
rene und  Gelehrte  werden  meist  inhaltreichere  Begriffe  haben, 
aber  dabei  können  Gelehrte  wie  Ungelehrte  ganz  dieselben 
Begriffe  besitzen  und  verwenden,   und  ganz  mit  derselben 
Sicherheit.    Nehmen  wir  das  Volkelt'sche  Beispiel  vom  Begriffe 
„Kameel"  (S.  144),    so  können  wir  sagen:    Der  Knabe,  der 
auf  einem  roh  gearbeiteten  Bilderbogen  Kameele  abgebildet 
findet  und  ihre  Gestalten  als  solche  kennen  lernt ;  der  Besucher 
des  zoologischen  Gartens;  der  Afrika-Reisende  und  der  Kameele 
zĂĽchtende  Beduine,  sie  haben  alle  denselben  Begriff  Kameel; 
alle  werden  Kameele  nicht  mit  Elephanten,  Rindern,  Pferden 
u.  s.  w.  verwechseln;  aber  freilich  jener  Knabe  hat  in  seinem 
Begriff  nur  wenig  Inhalt,  und  wieder  fĂĽr  den  Beduinen  dĂĽrfte 
der  Begriff  doch  noch  inhaltreicher  sein,  als  fĂĽr  den  wissen- 
schaftlich gebildeten  Reisenden. 

Der  Begriff  als  solcher  ist  nicht  ein  Postulat,  wie 
Volkelt  S.  145  im  Anschluss  an  Wundt  meint.  Aber  ein 
Postulat  ist  es,  den  Inhalt  eines  gewonnenen  Begriffs  zu 
ermitteln,  und  diesem  Postulat  kann  oft  auch  der  Gelehrteste 
nicht  gerecht  werden.  „Das  ist  ein  Nordlicht"  ist  bald 
gesagt,  wenn  die  allgemein  so  bezeichnete  Erscheinung  am 
Himmel  sich  zeigt,  aber  fĂĽr  den  gelehrten  Geographen  und 
Astronomen  ist  der  Inhalt  dieses  Begriffes  bis  jetzt  noch  fast 
so  verschlossen  und  verborgen,  wie  fĂĽr  den  schlichten  Bauers- 
mann, und  doch  sind  beide  im  Stande,  den  Begriff  selbst 
nahezu  mit  gleicher  Sicherheit  zu  verwenden.  Der  Begriff 
selbst  ist  auch  nie  eine  „Abbreviatur",  aber  was  wir  von 
seinem  Inhalt  wissen,  könnte  wohl  mitunter  so  bezeichnet 
werden. 


Wenn  es  mit  unseren  Begriffen  als  solchen  so  stände, 
wie  Volkelt  infolge  der  von  ihm  aufgewiesenen  logischen 
Schwierigkeiten  meint  annehmen  zu  mĂĽssen,  wenn  die  Begriffe 
selbst  so  unsicher  wären,  nur  so  annähernd,  wie  es  in  der 
That  meist  mit  ihrem  von  uns  erforschten  Inhalte  ist,  wie 
wäre  dann  eine  sichere  Mittheilung  der  Gedanken  unter  den 
Menschen  möglich?  Dann  müsste  ja  alles  wanken  und  unge- 
wiss bleiben;    es  gäbe  keine  Wissenschaft,    die  sich  sicher 


G.  Knauer:   Was  ist  Begriff?  551 

lehren  liesse;  es  könnten  die  Nachkommen  nicht  auf  dem 
von  den  Vorfahren  Ermittelten  weiter  bauen;  es  Hessen  sich 
keine  Erfahrungen  machen,  die  unsere  Kenntnisse  dauernd 
bereicherten;  die  Bedeutung  des  Experimentes  und  der  Induc- 
tion  überhaupt  wärde  hinfallig  werden;  ja  es  wärden  die 
einfachsten  Wahrnehmungen,  von  verschiedenen  Beobachtern 
gemacht,  zu  den  heillosesten  Missverständnissen  und  Streitig* 
keiten  ausschlagen;  ja,  da  die  Sprache  sich  dem  Denken 
accomodirt,  es  wĂĽrde  eine  babylonische  Sprachverwirrung 
ohne  Gleichen  herrschen  mĂĽssen. 

Aber  thatsächlich  steht  es  so  schlimm  unter  uns  vielfach 
irrenden  Menschenkindern  doch  wahrhaftig  nicht.  Mag  auch 
ĂĽber  die  Berechtigung  und  Verwendung  mancher  Begriffe 
Streit  und  Irrung  unter  den  denkenden  Menschen  sich  zeigen; 
mögen  namentlich  auch  die  sprachlichen  Hüllen,  mit  denen 
man  instinctiv  gewonnene  Begriffe  zu  umkleiden  sucht,  ihr 
Verfängliches  haben  und  zu  den  verschiedensten  Missver- 
standnissen Veranlassung  geben:  die  empirischen  Begriffe 
sinnesanschaulicher  Gegenstände  stehen  im  allgemeinen  fest, 
nicht  allein  die  empirischen  Substanz-,  sondern  auch  die 
bezĂĽglichen  Accidenz- Begriffe;  auch  Begriffe  von  bloss  Ge- 
dachtem aus  dem  Bereiche  der  Erfahrung  werden  zu  einem 
grossen  Theile  mit  unumstösslicher  Sicherheit  gebraucht, 
wenn  auch  einzelne  zweifelhaft  bleiben  und  Schwierigkeiten 
bereiten;  apriorische  Begriffe  werden  benutzt  und  mit  Sicher- 
heit verwendet,  während  die  Gelehrten  vielleicht  noch  sich 
bemĂĽhen,  sie  als  solche  aufzufinden  und  in  ihrer  Eigenart 
darzustellen,  sie  drängen  eben  a  priori  sich  auf  und  steigen 
durch  das  Fenster  des  Instinctes  in  das  Haus,  ohne  erst  im 
Vorsaal  ihre  Visitenkarten  abzugeben;  a  priori  anschauliche 
Begriffe,  die  der  Zahlen  und  mathematischen  Zeichen,  geome- 
trische und  stereometrische  Form-  und  Gestalt-Begriffe  bringen 
auch  bald  ihren  ganzen  hihalt  mit,  der  eben  darum  auch 
nicht  zweifelhaft  bleibt.  Bei  den  letzteren  allein  lassen  aus 
dem  im  Begriff  selbst  aufgefassten  anschaulichen  Merkmal 
auch  die  Merkmale  des  Inhalts  sich  ohne  weiteres  analysiren; 
sie  allein  könnten  den  Schein  erwecken,  als  ob  die  unkritische 
Explication  vom  Wesen  der  Begriffe  die  richtige  sei,  und  doch 


552  6.  Knauer:   Was  ist  Be^iff? 

ist  auch  hier  nicht  ein  Mancherlei  zusammengefasst,  sondern 
immer  Einerlei,  Ein  Item  aufgefasst,  aus  dem  nur  durch  die 
hier  mögliche  strenge  Definition  sofort  der  ganze  Inhalt  sich 
ausschöpfen  lässt. 

Ich  behaupte  also,  der  Thatbestand,  dass  wir  Menschen 
im  allgemeinen  unsere  Begriffe  sicher  verwenden,    dass  mit 
ihrer  Hülfe  einer  dem  anderen  sich  leicht  verständlich  machen 
kann,   der  Fortschritt   der   Wissenschaften    und   Fertigkeiten 
des  Lebens  —  das  alles  beweist,    dass  es   mit  unseren  Be- 
griffen und  mit  unserem  Begriflfebilden  nicht  so  stehen  kann, 
wie  nach  der  unkritischen  Explication,  wenn  sie  recht  hätte, 
es  stehen  mĂĽsste.    Begriffe  sind  im  allgemeinen  nicht  Postu- 
late,  sondern  vorliegende  feste  Krystallisationen  des  Denkens, 
nicht  Abbreviaturen,  sondern  vollständig  ausgeschriebene  Ge- 
danken.   Ein  Ideal  des  Begriffes,  das  neben  der  unvollkommenen 
Wirklichkeit  herläuft,    gibt   es  in   den  meisten   Fällen  nicht: 
Begriffe  sind  in  der  Regel  vollständig  erreichbare  und  wirk- 
lich gewonnene  Denk -Realien,    dass  ich  mich  so  ausdrĂĽcke. 
Auch  reine  Begriffe,  die  nichts  Anschauliches  an  sich  und  in 
sich  haben,  sind  eben  als  Begriffe  nicht  Ideale,  sondern  durch 
und  durch  real,    mag  auch  in   ihnen  (d.  h.  in  ihrem  Inhalt) 
Ideales  enthalten  sein;    auch  Begriffe  von  Gegenständen,   die 
man  noch  nie  hat  wirklich  auffinden  oder  darstellen  können, 
selbst   der   leere   Begriff  des    viereckigen  Kreises   oder  der 
causa  sui,  sind  Denk -Realien. 

Vielleicht  möchte  da  Jemand  einwerfen :  Diese  Darstellung 
macht  alle  Vorstellungen  sofort  zu  Begriffen,  während  wir 
entschieden  behaupten,  dass  nicht  jede  Vorstellung  sofort 
auch  Begriff  ist.  Und  ganz  richtig,  das  gestehe  und  bekenne 
ich:  Nur  mit  solchen  Vorstellungen,  die  bereits  zu  Begriffen 
geworden  sind,  lässt  sich  sicher  operiren,  nur  mit  Hülfe 
solcher  können  Menschen  sich  unter  einander  verständigen, 
nur  Begriffe  constituiren  wirkliche  ĂĽrtheile;  mit  blossen  an- 
schaulichen Vorstellungen  kann  man  wohl  Fragen  stellen  und 
Ausrufe-Sätze  bilden  (Was  ist  das?  —  Das  ist  nun  einmal 
so,  so!),  aber  urtheilen  kann  man  nicht,  ĂĽrtheile  verlangen, 
wenn  auch  nicht  durchaus  in  das  Subject,  so  doch  in  das 
Prädicat,  feste  Begriffe.    Und  es  hat  darum  auch  unser  Ver- 


G.  Knauer:   Was  ist  Begriff?  563 

stand,  unsere  Denkkraft  das  Bestreben,  alle  Anschauungen 
in  feste  und  bleibende  Begriffe  zu  verwandeln.  Trotzdem 
aber  gibt  es  noch  genug  Anschauungsmaterial,  das  noch 
nicht  Begriff  geworden  ist  tmd  vielleicht  auch  nie  Begriff 
werden  kann.  „Was  ist  das  dort,  ein  Mensch  oder  ein 
Baum?"  fragt  ein  Wandrer  den  anderen.  Mensch  und  Baum 
sind  Begriffe,  über  die  kein  Streit  möglich  ist,  feste,  sichere 
Begriffe,  die  in  abstracto  in  das  Prädicat  des  Fragesatzes 
gestellt  werden.  Aber  was  ist  das  Subject  „das  dort"?.  Das 
ist  eine  blosse  Anschauung,  die  der  Anschauende  eben  gern 
auf  einen  Begriff  bringen  möchte.  Sowie  ihm  das  gelungen, 
wird  er  sich  nicht  mehr  an  die  Anschauung  halten,  sondern 
den  Begriff  (sei*s  Mensch,  sei's  Baum)  in  concreto  verwenden; 
er  wird  fortfahren  und  sagen:  Der  Mensch  dort  oder  der 
Baum  dort;  und  nun  kann  er  des  weiteren  urtheilen.  —  Oder 
es  wird  gefragt  bei  schlechter  Schrift:  „Soll  das  ein  a  oder 
ein  o  sein?"  Die  Buchstaben  a  und  o  haben  hier  auch 
Bedeutung  und  Geltung  von  Begriffen  (es  sind  Laut-Begriffe), 
„das"  aber,  das  auf  dem  Papier  stehende  schlecht  ausge- 
schriebene Zeichen,  ist  bloss  Anschauung.  Ist  die  Antwort, 
meinetwegen  des  SchĂĽlers  dem  Lehrer  gegenĂĽber,  erfolgt: 
„es  soll  ein  a  sein",  so  wird  der  Lehrer  nicht  mehr  fort- 
fahren und  sagen:  „das  da  ist  falsch",  sondern  er  wird  an 
den  Begriff  in  concreto  sich  halten:  „Dieses  a  ist  falsch" 
oder  „es  ist  richtig."  —  Bei  Verwendung  von  Präpositionen 
in  der  Rede  bleibt  man  meist  bei  einer  blossen  Anschauung 
stehen,  die  nicht  in  Begriffe  sich  umsetzen  lässt,  und  so 
spielen  ĂĽberhaupt  Anschauungen  zwischen  den  Begriffs- 
wörtem,  zur  Verbindung  derselben  in  der  Rede,  eine  grosse 
Rolle. 

Es  bleibt  auch  dabei,  dass  die  Hauptanschauungen,  die 
apriorischen  Anschauungen  Raum  und  Zeit  („absolut" 
genommen)  stets  nur  Anschauungen  sind  und  nie  zu  Begriffen 
werden,  denn  es  wird  mit  ihnen  keineswegs  ein  verschiedenen 
Gegenstanden  gemeinsames  Merkmal  aufgefasst  (um  noch  bei 
der  Apelt'schen  Fassung  der  kritischen  Explication  stehen  zu 
bleiben,  nach  meiner  eigenen  weiter  unten  vorzutragenden 
Fassung  wird  die  Sache  noch  deutlicher).    Dagegen  alle  Raum- 


554  G.  Knauer:   Was  ist  Begnff? 

und  Zeit-  Ab-  und  Ausschnitte,  die  wir  machen,  oder  alle 
angeschauten  relativen  Räume  und  Zeiten  führen  zur  Bil- 
dung a  priori  anschaulicher  Begriffe.  Quadrat  und  Kubus 
sind  Auffassungen  eines  verschiedenen  Gegenstanden  gemein- 
samen Merkmals,  denn  ich  kann  Quadrate  und  Kuben,  gleiche 
und  ungleiche,  nach  Belieben  construiren  und  sie  neben  ein- 
ander stellen;  ebenso  kami  ich  aus  der  ZeiĂśinie  nach  Belieben 
herausschneiden  Stunden,  Tage,  Jahre,  Jahrhunderte;  hier 
sind  also  Begriffe  gewonnen,  die  auch  so  bestinunt  sind,  als 
nur  irgend  sich  verlangen  lässt.  Aber  ich  kann  nicht  neben 
den  Einen  absoluten  Raum  noch  einen  anderen,  neben  die 
Eine  absolute  Zeit  noch  eine  zweite  stellen,  es  ist  also  mit 
Raum  und  Zeit  kein  verschiedenen  Gegenständen  gemeinsames 
Merkmal  aufgefasst.  Und  das  war's,  was  Kant  in  seiner 
„transscendentalen  Aesthetik"  als  kritisches  Ergebniss  aufweisen 
wollte  und  aufgewiesen  hat,  wenn  er  dabei  auch  noch  die 
Schwachheit  sich  zu  Schulden  kommen  liess,  in  den  Ueber- 
Schriften  seiner  Darlegungen  den  ĂĽblichen  unkritischen  Aus- 
druck „Begriff*  beizubehalten. 

Raum  und  Zeit  als  solche  sind  und  bleiben  Anschauungen 
ohne  Begriff'e,  und  Anschauungen  ohne  Begriffe  sind  blind 
(Kr.  d.  reinen  V.  2.  Aufl.  S.  75);  wahrhaftig  Raum  und  Zeit, 
als  Anschauungen  a  priori  sicher  unser  Eigenthmn  und  Erb- 
theil,  so  sehr  dass  wir  gar  nicht  im  Stande  sind  uns  von 
ihnen  zu  trennen,  von  ihnen  zu  abstrahiren,  bleiben  blinde 
Anschauungen,  daher  die  ungeheueren  Schwierigkeiten,  die 
sie  unserem  Verstände  bereiten  und  die  gar  nicht  zu  besei- 
tigen sind.  Aber  die  Farben,  um  noch  einmal  auf  sie  zu 
kommen,  die  vielleicht  Mancher  auch  nicht  fĂĽr  Begriffe,  son- 
dern nur  für  Anschauungen  erklären  möchte,  sind  wirklich 
Begriffe,  denn  sie  sind  nicht  „blind";  dass  in  den  Farbe- 
Unterscheidungen  wirklich  Anschauungen  in  Begriffe  verwandelt 
sind,  wird  auch  dadurch  bewiesen,  dass  die  NĂĽancirungen 
oder  verschiedenen  Schattirungen  subsumirt  werden:  hoch- 
roth,  neuroth,  blassroth,  dunkelroth,  rosenroth  u.  s.  w.  aUe- 
sammt  werden  sie  unter  den  Begriff  „roth*'  subsumirt  „Das 
dort"  aber  in  dem  oben  angefĂĽhrten  Beispiel  war  auch,  weil 
ohne  Begriff,   nur   blinde  Anschauung.     Begriffe   ohne  An- 


6.  Knauer:   Was  ist  Begriff?  555 

schauung  dagegen  (so  ist  richtiger  zu  sagen  statt  mit  Kant 
selbst:  „Gedanken  ohne  Inhalt"  a.  a.  0.)  auf  dem  Gebiete, 
wo  doch  Anschauung  möglich  ist  und  wo  nur  durch  An- 
schauung der  Gegenstand  geliefert  werden  kann,  sind  leer, 
d.  h.  es  befindet  sich  nichts  innerhalb  der  Umfangs-Sphäre, 
die  sie  beschreiben  könnten,  wenn  sie  auch  im  Denken  einen 
Inhalt  haben,  keineswegs  inhaltlos  sind.  Centaur  und  Ein- 
horn z.  B.  sind  feste,  auch  keineswegs  inhaltlose,  aber  doch 
leere  Begriffe,  ebensogut  wie  etwa  Zweieck  oder  die  berĂĽhmte 
vierte  Dimension  des  Raumes;  dort  fehlt  die  Anschauung 
a  posteriori  oder  die  Erfahrung;  hier  fehlt  die  Anschauung 
a  priori. 

Eine  eigenthĂĽmliche  Stellung  nehmen  noch  die  Ideen 
ein,  wie  wir  JĂĽnger  der  kritischen  Philosophie  sie  nennen. 
Es  gibt  selbst  einen  Begriff  der  Idee,  mit  „Idee"  wird  ein 
verschiedenen  Gegenständen  (welches  hier  Gedanken  sind) 
gemeinsames  Merkmal  aufgefasst;  aber  die  Ideen  selbst  sind 
keine  Begriffe,  sondern  nur  Gedanken;  nicht  aufgefasste  Merk- 
male, sondern  bloss  mit  Nothwendigkeit  hervortretende,  aber 
in  gewisser  Beziehung  unfassbare  Gedanken.  Niemand,  Nichts 
nöthigt  uns,  die  Begriffe  Centaur  und  Einhorn  zu  verwenden, 
auf  wirkliche  Naturgegenstände  anzuwenden;  es  liegt  keine 
Nöthigung  vor,  ein  Zweieck  oder  eine  vierte  Dimension  des 
Raumes  zu  setzen,  anzunehmen.  Daher  handelt  es  sich  dort 
nur  um  leere  Begriffe.  Aber  die  Ideen  werden  mit  Noth- 
wendigkeit producirt;  das  „Atom"  schon  ist  ein  Gedanke, 
auf  den  die  Menschen  von  je  her  gestossen  sind,  ohne  doch 
je  den  Begriff  davon  wirklich  gewinnen  zu  können;  ebenso 
haben  sich  die  Vernunft -Ideen,  wie  ich  sie  nenne,  von  je 
her  den  Menschen  aufgedrängt.  Hier  liegen  Gedanken  vor, 
die  weder  anschauliche  Vorstellungen  noch  auch  Begriffe 
sind.     Die  Ideen  sind  etwas  ganz  Besonderes. 

Bisher  haben  wir  uns  einfach  an  die  Apelt'sche  Fassung 
der  kritischen  Explication  dessen,  was  Begriff  sei,  gehalten, 
doch  habe  ich  mich  im  Laufe  meiner  Forschungen  genöthigt 
gesehen,  diese  Explication  noch  bestimmter  zu  fassen,  wenn 
sie  nun  auch  bei  mir  den  Anschein  des  Schleppenden  bekommt. 


556  G.  Knauer:   Was  ist  Begriff? 

Ich  drücke  mich  jetzt  so  aus  (vergl  „Seele  und  Geist"  S. 
27.  68): 

Begriff  ist  die  Auffassung  eines  Gegen- 
stände unterscheidenden  und  möglicher 
Weise  wieder  andere  Gegenstände  ver- 
bindenden Merkmals. 
Der  Ausdruck  „Gegenstände^^  ist  hier  ganz  allgemein  zu 
fassen,  diese  Gegenstände,  die  durch  das  Merkmal  zunächst 
unterschieden  werden,  können  auch  bloss  psychische  Gebilde 
sein,  blosse  Gedanken  oder  Vorstellungen;  die  in  dnem 
Begriffe  aufgefassten  Merkmale  werden  nach  stattgehabter 
Auffassung  sofort  selbst  wieder  zu  Gegenständen  in  psy- 
chischem Besitz.  Bei  der  blossen  Anschauung  wird  noch 
kein  solches  unterscheidendes  Merkmal  „aufgefasst^\  d.  h. 
als  deutliche  und  sichere  Errungenschaft  den  psychischen 
Gebilden  einverleibt;  sowie  ein  solches  dem  im  Bewusstsein 
sich  aufspeichernden  Vorstellungs- Schatze  hinzugefĂĽgt  wird, 
ist  allemal  der  Vorgang  der  Begriffsbildung  zu  constatiren. 
Entschieden  haben  mir  aber  meine  Untersuchungen  gezeigt, 
dass  das  Unterscheiden  der  Gegenstände  bei  der  Bildung 
der  Begriffe  das  Erste  ist.  Das  kleine  Kind  schon,  nach  dem 
oben  angegebenen  Beispiel,  fasst  das  Merkmal  Vater  auf, 
indem  es  ztmächst  Mutter  und  Vater  unterscheidet.  Sobald 
die  Bildung  des  Begriffs  im  Gange  ist  (wenn  ich  so  sagen 
darf),  wird  es  dem  Kinde  nicht  mehr  beikommen,  ein  Wesen 
in  weiblicher  Kleidung  fĂĽr  einen  Papa  zu  halten,  wenn  es 
auch  bei  der  Verwendung  des  sich  bildenden  Begriffs  auf 
Männer  leicht  noch  sich  täuschen  kann.  Sowie  aber  die 
Unterscheidung  gewonnen  ist,  das  Merkmal  als  ein  unter- 
scheidendes aufgefasst  ist,  entsteht  sofort  auch  das  Streben, 
das  Verlangen,  es  zur  Vereinigung  von  Gegenständen  im  Denken 
(eben  Vereinigung  durch  Unterstellen  unter  den  Begriff)  zu 
benutzen,  wobei  freilich  brrthĂĽmer  nicht  ausgeschlossen  sind, 
und  so  mag  das  Kind  nach  obigem  Beispiel  vollbärtige  Männer 
ohne  weiteres  unter  den  gewonnenen  Papa -Begriff  zu  sub- 
sumiren  trachten.  Wir  alle,  sowie  wir  einen  neuen  B^priff 
durch  Unterscheidung  gewonnen  haben;  werden  auch  suchen, 
unter  ihn  Gegenstand  an  Gegenstand  zu  reihen. 


G.  Knauer:    Was  ist  Begriff?  567 

Dabei  entsteht  nun  die  Frage:  Kann  man  auch  dann 
von  einem  Begriffe  reden,  wenn  das  aufgefasste  Merkmal  nur 
an  einem  einzigen  Gegenstand  hervortritt  und  nur  diesen 
einen  Gegenstand  von  anderen  andersgearteten  Gegenständen 
unterscheidet?  Z.  B.:  Gibt  es  auch  einen  Begriff  „Sonne^^ 
wie  einen  Begriff  „Planet"?  oder  bleibt  „Sonne"  nur  eine 
anschauliche  Vorstellung?  So  lange  ich  unter  dem  Banne  der 
Ă„pelt'schen  Fassung  der  Explication  stand,  schwankte  ich. 
Aber  nachgerade  musste  ich  entschieden  auch  einen  Begriff 
Sonne  zugestehen,  konnte  man  doch,  als  man  ĂĽber  die  Fix- 
sterne einigermassen  zur  Klarheit  gekommen  war,  diese  sofort 
auch  als  Sonnen  bezeichnen,  diesen  Begriff,  den  man  also 
schon  besitzen  musste,  auf  sie  anwenden;  war  es  doch  vor 
den  Galileischen  Entdeckungen  auch  so,  dass  man  nur  Einen 
Mond  hatte,  als  aber  Galilei  die  Trabanten  des  Jupiter 
im  Femrohr  fand,  war  man  sofort  im  Stande  sie  Monde  zu 
nennen,  man  besass  also  bereits  einen  Begriff  Mond,  den 
man  auf  diese  Trabanten  anzuwenden  vermochte.  Es  gibt 
ja,  wie  schon  oben  angedeutet,  auch  Begriffe  von  Gegenstän- 
den, die  noch  nie  hergestellt  oder  dargestellt  worden  sind; 
wir  haben  einen  Begriff  von  der  Quadratur  des  Kreises, 
einen  Begriff  vom  perpetuum  mobile.  Auch  in  solchen  Be- 
griffen ist  zunächst  ein  Unterscheidendes  aufgefasst. 

Diese  Erwägungen  nun  haben  mich  bestimmt,  in  der 
Explication  das  Unterscheidende  des  Merkmals  an  erster 
Stelle  zu  betonen  und  derselben  die  obige  von  der  ApelV- 
schen  abweichende  Fassung  zu  geben,  indem  ich  doch  wesent- 
lich bei  der  durch  meinen  Lehrer  mir  gewordenen  Aufklärung 
beharre. 

Es  könnte  so  scheinen,  als  wäre  der  Unterschied  der 
kritischen  und  unkritischen  Auffassung  nicht  eben  von  beson- 
derem Belange;  es  könnte  ein  der  Sache  ferner  Stehender 
vielleicht  den  ganzen  Streit  fĂĽr  ein  unnĂĽtzes  Kramen  mit 
Worten  halten;  aber  dem  ist  nicht  so.  Das  beweist  gerade 
schlagend  der  Volkelt'sche  Aufsatz.  Der  Verf.  hat  sich,  der 
unkritischen  Auffassung  als  der  richtigen  unbedingt  ver- 
trauend, mit  Scharfsinn  in  das  fragliche  Problem  vertieft, 
und  da  haben  sich  Schwierigkeiten  ĂĽber  Schwierigkeiten  vor 


558  Baumann:  Wundfs  Lehre  vom  Willen  etc. 

seinem  Forschen  aufgethĂĽrmt.  Und  doch,  wo  sind  in  der 
Wirklichkeit  diese  Schwierigkeiten?  „Rosen  auf  den  Weg 
gestreut  und  des  Harms  vergessen!"  könnte  der  blosse  Empi- 
riker dem  sich  bedrängt  fühlenden  Logiker  zurufen:  „Wir 
haben  unsere  Begriffe  fest  und  zweifellos,  wir  handiren  mit 
ihnen  in  Sicherheit  nach  BeKeben,  also,  ihr  Logiker,  ihr 
scheint  den  Wald  vor  lauter  Bäumen  nicht  zu  sehen."  Und 
in  der  That  gilt  hier  wieder  einmal,  dass  die  Theorie,  wenn 
sie  von  falschen  Voraussetzungen  ausgeht,  grau  ist,  während 
der  Lebensbaum  lustig  im  goldenen  Sonnenlichte  weiter  grĂĽnt. 
Es  ist  mein  Wunsch  und  meine  Bitte,  Herr  Professor 
Volkelt  wolle  doch  diese  meine  Entgegnung  ernstlich  prĂĽfen 
und  die  Erörterung,  falls  er  glaubt  auf  dem  traditionellen 
Standpunkt  beharren  zu  mĂĽssen,  weiter  fĂĽhren,  damit  es  uns 
wo  möglich  gelinge,  das  von  ihm  angeregte  logische  Problem 
seiner  definitiven  Lösung  näher  zu  bringen. 

Liebenwerda.  Dr.  Gustav  Knauer. 


Wudt's  Lehre  vom  Willen  ud  sein  aumistiselier  iMisiiL 


In  meinem  „Handbuch  der  MoraP'  (Leipzig  1879)  bin 
ich  davon  ausgegangen,  dass  im  Begriff  des  Willens  die 
hauptsächlichen  Merkmale  seien  1)  ein  vorgestellter  Inhalt, 
2)  ein  Werthurtheil  bezĂĽglich  dieses  Inhalts,  3)  dass  auf 
diese  Vorstellung  und  Werthschätzung  innere  oder  zugleich 
auch  äussere  Bethätigung  zur  Realisirung  jenes  Inhalts  ein- 
trete. Diese  Begriffsbestimmung  des  Willens  war  aus  dem 
gebildeten  Leben  abstrahirt  und  ausdrĂĽcklich  darauf  hinge- 
wiesen, dass  sie  sich  ĂĽber  die  ganze  Erde  nachweisen  lasse, 
sofern  man  eben  nur  die  innere  oder  zugleich  auch  äussere 
Bethätigung  Wille  nenne,  welche  auf  Vorstellung  und  Werth- 
schätzung hm  eintrete.  So  gut  ich  mich  für  diese  Haupt- 
merkmale im  Begriff  des  Willens  auf  die  allgemeine  Meinung 
der  gebildeten  Menschheit  und  der  Menschheit  ĂĽberhaupt 
berufen  konnte,  ebenso  gut  hätte  ich  mich  etwa  auf  Kant 
und  auf  Herbart  berufen  können.  Kant  hat  den  Willen 
definirt  als  ein  Vermögen   den  Vorstellungen   entsprechende 


Banmann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc.  559 

Gegenstande  entweder  hervorzubringen  oder  doch  sich  selbst 
zur  Bewirkung  derselben  zu  bestimmen,  das  physische  Ver- 
mögen mag  nun  hinreichend  sein  oder  nicht ').  Freilich  passt 
diese  Erklärung  eigentlich  nur  auf  Handlungen  des  Willens 
in  der  Aussenwelt;  den  Willen,  seine  Gedanken  innerlich  zu 
sammeln  u.  ä.,  würde  man  nur  mit  einer  gewissen  Künst- 
lichkeit darunter  bringen  können,  aber  das  ist  deutlich  aus- 
gedrĂĽckt, dass  von  Wille  nur  die  Rede  sei,  wo  Vorstellung 
eines  Gegenstandes,  eines  Inhaltes,  der  zu  verwirklichen  sei, 
vorauf  gehe.  Das  Werthurtheil  fehlt,  aber  thatsächlich  hat 
es  Kant  nachgebracht,  denn  in  der  Kritik  der  Urtheilskraft  *) 
gibt  er  dem  Angenehmen  und  Guten  eine  Beziehung  auf  das 
Begehrungsvermögen,  und  erklärt  das  Angenehme  als  das, 
was  den  Sinnen  in  der  Empfindung  gefällt,  das  Gute 
als  das,  was  vermittelst  der  Vernunft  durch  den 
blossen  Begriff  gefällt,  und  unter  das  Gute  rechnet  er 
ausdrĂĽcklich  auch  das  absolut  Werthvolle,  d.  i.  das  Mora- 
lische, und  stellt  dann  eine  Vergleichung  der  drei  specifischen 
Arten  des  Wohlgefallens  (des  Angenehmen,  Schönen,  Guten) 
an,  von  welchen  eben  das  Angenehme  und  Gute  eine  Be- 
ziehung zum  Begehrungsvermögen  haben.  Nach  Her  hart 
ist  beim  Willen  wesentlich,  dass  man  die  Erreichbarkeit  seines 
Inhalts  bestimmt  voraussetzt®).  Beim  Willen  hat  nach  ihm 
die  sog.  praktische  Vernunft  ihre  Stelle,  theils  als  Erwägung, 
wie  weit  unsere  Kräfte  reichen,  theils  als  ein  sich  Geltend- 
machen der  verschiedenen  Maximen,  der  Maximen  der  Leiden- 
schaften, der  GlĂĽckseligkeit,  der  Moral*).  Also  Vorstellung 
wird  beim  Willen  vorausgesetzt  und  irgend  ein  Werthurtheil, 
sei  es  auch  nur,  wie  bei  den  Leidenschaften  („bleibenden 
Dispositionen  zu  Begierden*')  so,  dass  es  Ueberwindung  kostet 
sich  von  dem  betreffenden  Streben,  wenn  es  auftaucht,  zu 
trennen*).     Bis   auf  Baumgarten   hätte   ich   zurückgehen 

1)  W.  W.  V.  Hartenstein  V  S.  15. 

2)  Ibid.  V  S.  209  flf. 

3J  W.  W.  V.  Hartenstein  VI  S.  361:   „was  man  tpill,  dessen 
Erreichung  setzt  man  bestimmt  voraus*. 

4)  Ibid.  S.  362,  3,  4. 

5)  Ibid.  S.  355. 


560  Baumann:  Wundes  Lehre  vom  Willen  etc. 

können.  Baumgarten  spricht  sich  in  der  „Metaphysik'^  (Deutsch, 
1 783)  §  490  so  aus :  „Was  ich  begehre,  von  dem  l )  sehe  ich  vor- 
her, dass  es  in  den  zukĂĽnftigen  Reihen  meiner  ganzen  Vor- 
stellungen enthalten  sein  werde,  2)  erwarte  ich,  dass  es  wirk- 
lich  sein   werde,    wenn   ich   meine   Kraft   bestimmt  haben 
werde,  um  es  zu  wirken,  und  3)  es  gefallt  mir".    Der  Wille 
ist  ihm  dann  §  510  das  Begehrungsvermögen,    insofern  es 
dem   oberen  Erkenntnissvermögen   folgt,    d.  h.   nach  §  462 
dem  Verstau  d  oder  dem  Vermögen  der  deutlichen  Erkenntniss. 
Ich  habe  mich  auf  alle  diese  Männer  nicht  berufen,  we3 
sie  zwar  alle  beim  Willen  Vorstellung,  Werthurtheil  und  da- 
rauf bezügUche  Bethätigung  statuiren,   aber  doch  mit  allerlei 
besonderen  NĂĽancirungen,  welche  mit  den  EigenthĂĽmlichkeiten 
ihrer    sonstigen  Philosophie   zusammenhängen.     Es   handelte 
sich  aber  darum,    einen  Ausgangspunkt  im  allgemein  herr- 
schenden Sprachgebrauch   zu   gewinnen,    um   nähere  Erwä- 
gungen erst  daran  anzuknĂĽpfen.    Es  gereicht  mir  zur  Befrie- 
digung, aus  SigwarVs  Kleinen  Schriften  2.  Reihe  1881 
zu  constatiren,   dass  meine  Ăźegriffsbestinmiung  des  Wollens 
principiell  zusammentrifft  mit  einem  Aufsätze  desselben,  der 
1879   als   Osterprogramm   der    philosophischen   Facultät  zu 
Tübingen  erschienen  ist,  mir  aber  jetzt  erst  zugänglich  wurde. 
Nach  Sigwart  meint  die  Sprache  des  gewöhnlichen  Lebens 
unter  Wille  einen  Prozess,  dessen  Momente  sind:   die  Vor- 
stellung eines  kĂĽnftigen  Zustandes,   welche  begleitet  ist  von 
dem  Gedanken,  es  stehe  in  meiner  Macht,  sie  zu  verwirk- 
lichen, und  welche  irgend  einen  Reiz  für  mich  enthält,  mein 
Interesse   erweckt,   mir  von  irgend  einer  Seite  Befriedigung 
verspricht,    mich   (nach  dem   alten  Ausdruck)   sollicitirl. 
Das  Soll  ich?  und  das  Kann  ich?  werden  dann  noch  aus- 
fĂĽhrlicher von  Sigwart  erwogen,  imd  daran  schliesst  sich  die 
Willensentscheidung,  das  Bejahen  oder  Verneinen,  dass 
der  vorgestellte  kĂĽnftige  Zustand   mein  Zweck   sei.     Auf 
die  Erwägung  der  Mittel  im  Einzelnen,   falls  es  eine  Hand- 
lung nach  aussen  gilt,  folgt  dann  der  Willensimpuls  zu  einer 
bestimmten  Bewegung.    Es  ist   klar,  dass  auch  bei  Sig- 
wart die  Hauptmomente  sind  Vorstellung  eines  Inhalts,  Werth- 
schätzung,    und  mit  beiden  zusammenhängende  innere  oder 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  561 

zugleich  auch  äussere  Bethatigung ;  die  weiteren  Ausführungen 
des  Soll,  des  Kann,  die  förmliche  Entscheidung  sanunt  der 
ĂĽeberlegung  der  Mittel  und  dem  sich  daran  anschliessenden 
Beginn  der  äusseren  Bethatigung  kommen  in  dieser  Stufen- 
folge bei  wichtigen  und  complicirteren  Handlungen  vor,  aber 
sie  sind  in  dieser  AusfĂĽhrlichkeit  nicht  die  Regel,  sondern 
gewöhnlich  verläuft  auch  der  eflfective  Wille  schneller. 

Von  jener  Begriffsbestimmung  des  Willens,  fĂĽr  die  somit 
der  herrschende  Sprachgebrauch  aller  Zeiten  und  Völker 
zeugt  und  mit  der  sich  der  wissenschaftliche  Sprachgebrauch 
in  ĂĽberwiegender  FĂĽhlung  gehalten,  habe  ich  dann  Anlass 
genommen  zu  gewissen  Fragen  ĂĽber  die  Genesis  des  WoUens 
und  speciell  des  effectiven,  die  uns  aber  zur  Zeit  hier  nicht 
beschäftigen  sollen.  Vielmehr  möchte  ich  zunächst  feststellen, 
dass  nicht  alle  Philosophen  geneigt  scheinen,  jenen  Sprach- 
gebrauch von  WiUe  zu  befolgen,  und  ich  meine  damit  nicht 
Schopenhauer  und  v.  Hartmann,  von  denen  es  ja  be- 
kannt ist,  dass  sie  Wille  in  einem  blos  analogen  Sinne  mit 
dem  gebrauchen,  was  der  herrschende  Sprachgebrauch  da- 
runter versteht,  sondern  ich  meine  die  Lehre  vom  Willen, 
wie  sie  W.  Wundt  in  seiner  „physiologischen  Psychologie 
2.  Auflage"  (Leipzig  1880)  Band  II  vorgetragen  hat. 

Die  GrundzĂĽge  dieser  ganz  anderen  Begriffsbestimmung 
des  Willens  sind :  „Neben  dem  Gehen  und  Kommen  der 
Vorstellungen  nehmen  wir  in  uns  nicht  selten  mehr  oder 
weniger  deutlich  eine  innere  Thätigkeit  wahr,  welche  wir  als 
Aufmerksamkeit  bezeichnen.  In  der  unmittelbaren  Selbst- 
auffassung gibt  sie  sich  dadurch  zu  erkennen,  dass  das  Be- 
wusstsein  den  Zusammenhang  der  Vorstellungen,  auf  den  es 
sich  bezieht,  keineswegs  zu  jeder  Zeit  in  gleicher  Weise  gegen- 
wärtig hat,  sondern  dass  es  bestimmten  Vorstellungen  in 
höherem  Grade  zugewandt  ist  als  anderen  0*"  nSagen  wir  von 
den  in  einem  gegebenen  Moment  gegenwärtigen  Vorstellungen, 
sie  befanden  sich  im  Blickfeld  des  Bewusstseins,  so  kann 
man  denjenigen  Theil  des  letztern,  welchem  die  Aufmerk- 
samkeit zugekehrt  ist,  als  den  inneren  Blickpunkt  be- 


1)  Bd.  II  S.  905. 

Philosoph.  Monatshefte  1881.  IX  u.  X.  36 


562  Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc. 

zeichnen.  Den  Eintritt  einer  Vorstellung  in  das  innere  Blick- 
feld wollen  wir  die  Perception,  ihren  Eintritt  in  den  Blick- 
punkt die  Appereeption  nennen*)".  Nachdem  S.  206—9 
Beispiele  der  Aufmerksamkeit  gegeben  sind,  wird  das  Facit 
so  gezogen:  „Die  bei  der  Elrweckung  der  Auftnerksamkeit 
stattfindenden  physiologischen  Vorgänge  sind  demnach  im 
Allgemeinen  folgendermassen  zu  denken.  Der  erste  Anstoss 
erfolgt  immer  entweder  durch  eine  äussere  oder  durch  eine 
innere  Reizung.  Eine  solche  Reizung  hat  zunächst  eine  Vor- 
stellung zur  Folge,  ein  Anschauungs-  oder  ein  Phantasie- 
bild, welches  vorläufig  noch  ausserhalb  des  inneren  Blick- 
punktes liegt.  Die  sensorische  Reizung  wird  nun  aber  zu- 
gleich auf  das  Centralgebiet  der  Appereeption  ĂĽbertragen, 
von  dem  aus  sie  auf  doppeltem  Wege  weiter  geleitet  werden 
kann:  erstens  nach  den  sensorischen  Gebieten  zurĂĽck,  indem 
sieh  dadurch  die  Vorstellung  verstärkt;  und  zweitens  auf  das 
Gebiet  der  willkĂĽrlichen  Muskulatur,  wodurch  jene  Muskel- 
spannungen auftreten,  die  das  GefĂĽhl  der  Aufmerksamkeit 
bilden  helfen  und  ihrerseits  auf  die  letztere  verstärkend  zu- 
rückwirken, gemäss  dem  Gesetz,  dass  associirte  Gefühle  sich 
unterstützen  *)*'.  Dann  heisst  es  sofort  weiter :  „Nach  allen 
Erscheinungen,  welche  bei  der  Thätigkeit  der  Appereeption 
sich  darbieten,  fallt  dieselbe  durchaus  mit  jener  Function  des 
Bewusstseins  zusammen,  welche  wir  mit  RĂĽcksicht  auf  die 
äusseren  Handlungen  als  Willen  bezeichnen  *)".  —  „Gewöhn- 
lich hat  man  nur  in  jenen  Fällen,  wo  sich  die  Willens- 
anstrengung entweder  in  auffallend  hohem  Grade  geltend 
macht,  oder  wo  deutlich  eine  Wahl  zwischen  verschiedenen 
disponiblen  Vorstellungen  stattfindet,  eine  innere  Wirksamkeit 
des  Willens  angenommen.  Die  Aufmerksamkeit  selbst  wurde 
demnach  in  eine  willkĂĽrliche  und  unwillkĂĽrliche  unter- 
schieden. Man  verkennt  aber  dabei  völlig,  dass  auch  bei 
der  äusseren  Willenshandlung  ein  Schwanken  zwischen  ver- 
schiedenen Motiven  durchaus  nicht  nothwendig  vorhanden 
sein  muss.   Der  Wille  kann  eindeutig  bestimmt  sein*)."  — 


1)  Ibid.  S.  206.        2)  S.  209—10. 
3)  S.  210.  4)  S.  210-1. 


Baumann:  WundVa  Lehre' vom  Willen  etc.  563 

„Es  znuss  sogar  die  Apperception  als  der  primitive  Willens- 
akt angesehen  werden,  der  bei  der  äusseren  willkürlichen 
Handlung  stets  vorausgesetzt  wird  *)". 

Nach  diesem  Ansatz  werden  wir  also  sagen  können:  bei 
Wundt  ist  Wille  die  innere  Thätigkeit,  welche  sich  sowohl 
bei  inneren  geistigen  Prozessen  als  auch  bei  solchen,  mit 
welchen  äussere  Bewegungen  sich  verbinden,  diese  Processe 
verstärkend,  fühlbar  macht.  Der  Unterschied  gegen  die 
andere  Auffassung  ist  gross  genug.  Nach  dieser  ist  Wille 
die  innere  oder  zugleich  auch  äussere  Bethätigung,  welche 
auf  Vorstellung  und  Werthschätzung  eintritt,  nach  Wundt 
ist  Wille  innere,  besonders  verstärkende  Thätigkeit  überhaupt. 
Dort  also  ist  Wille  eine  specielle  Art  der  Gattung  innerer 
oder  zugleich  auch  äusserer  Bethätigung,  bei  Wundt  deckt 
sich  Wille  mit  dem  ganzen  Umfang  innerer,  besonders  ver- 
stärkender Thätigkeit  überhaupt.  Dass  nämlich  die  innere 
Thätigkeit,  welche  ==  Wille  stets  eine  verstärkende  sein 
mĂĽsse,  tritt  oft  bei  Wundt  zurĂĽck  hinter  dem  Gedanken,  dass 
Wille  innere  Thätigkeit  überhaupt  sei.  So  heisst  es:  „Die 
Apperception,  welche  wir  unmittelbar  als  eine  innere 
Thätigkeit  empfinden,  und  von  welcher  aus  wir  dann  den 
Charakter  innerer  Thätigkeit  auch  auf  den  Inhalt  der  Apper- 
ception übertragen  *)".  Dass  Wille  =  spontaner  Thätigkeit 
überhaupt,  lehrt  die  Stelle  über  Herbart :  „Die  entscheidende 
Wichtigkeit,  welche  der  spontanen  Thätigkeit  des  Vorstellen- 
den bei  der  Apperception  zukommt,  ist  hier  ganz  und  gar 
übersehen')".  An  anderen  Stellen  schreibt  er:  „In  dem 
Willen  erfasst  das  Subject  unmittelbar  sein  eigenes  inneres 
Handetafi  *)"  „ —  muss  unmittelbar  jenes  Gefühl  innerer  Thätig- 
keit entstehen,  welches  wir  als  charakteristisch  fĂĽr  jeden 
Apperceptionsakt  kennen  *)".  Im  ersten  Band  war  diese  Auf- 
fassung schon  anticipirt:  „Die  Apperception  empfinden  wir 
femer  unmittelbar  als  eine  innere  Thätigkeit.  —  Diese  innere 


1) 

S. 

211. 

2) 

S. 

304. 

3) 

S. 

316. 

4) 

s. 

388. 

5) 

s. 

392. 

564  Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc. 

Thätigkeit  ist  endlich  durchaus  identisch  zu  setzen  mit  der 
Wirksamkeit  unseres  Willens*)."  Wo  daher  Wundt  innere, 
besonders  innere  verstärkende  Thätigkeit  erkennt,  sieht  er 
gemäss  seiner  Begriffsbestimmung  Wille.  So  in  den  Trieben. 
Trieb  ist  ihm  eine  Gemüthsbewegung,  die  sich  in  äussere 
Körperbewegungen  von  solcher  Beschaffenheit  umzusetzen 
strebt,  dass  durch  den  Erfolg  der  Bewegung  entweder  ein 
vorhandenes  Lustgefühl  vergrössert  oder  ein  vorhandenes  ün- 
lustgefühl  beseitigt  wird*).  Später  heisst  es  dann:  „Jede 
Spannung  der  Apperception,  wodurch  sich  diese  einer  zu  er- 
fassenden Vorstellung  zuwendet,  ist  eine  elementare  Trieb- 
äusserung,  die  sich  als  Begehrung  oder  Widerstrebung  ge- 
staltet, wenn  der  Inhalt  der  Vorstellung  Anlass  gibt  zu 
GefĂĽhlen  der  Lust  oder  Unlust.  Li  diesem  weiteren  Sinne 
könnte  man  also  die  ganze  Bewegung  der  Aufmerksamkeit, 
welche  den  Verlauf  der  Vorstellungen  durch  den  Blickpunkt 
des  Bewusstseins  bestimmt,  eine  Triebäusserung  nennen')." 
In  den  zuerst  oben  angefĂĽhrten  Stellen  war  von  Wundt 
nicht  ex  professo  vom  Willen  gehandelt,  sondern  von  der 
Apperception,  und  diese  hatte  nur  auf  den  Willen  gefĂĽhrt. 
S.  383  ff.  folgt  der  besondere  Abschnitt  von  dem  Willen 
und  den  äusseren  Willenshandlungen.  Die  B[aupt- 
punkte  der  Begriffsfestsetzung  sind  hier  diese:  „Definiren 
lässt  sich  der  Wille  ebensowenig  wie  das  Bewusstsein.  Wenn 
wir  denselben  als  eine  im  Bewusstsein  wahrnehmbare  Thätig- 
keit bezeichnen,  welche  theils  in  den  Verlauf  unserer  inneren 
Zustände  bestimmend  eingreift,  theils  äussere  Bewegungen, 
die  jenen  Zuständen  entsprechen,  hervorbringt,  so  ist  diese 
Umschreibung  um  so  weniger  eine  eigentliche  Begriffsbestim- 
mung zu  nennen,  als  uns  die  Vorstellung  einer  Thätigkeit 
zunächst  überhaupt  nur  aus  unseren  eigenen  Willenshand- 
lungen bekannt  ist  und  erst  von  ihnen  auf  äussere  bewegte 
Gegenstände  übertragen  wurde*)."  „Unter  diesen  (den  psy- 
sichchen)  Phänomenen  sind  es  die  Gefühle  und  Gemüthsbe- 

1)  Bd.  I  S.  492. 

2)  Bd.  U  S.  333. 

3)  Ibid.  S.  341. 

4)  S.  383. 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  565 

wegungen,  zu  denen  der  Wille  in  nächster  Beziehung  steht. 
—  —  Insbesondere  sind  es  die  Triebe,  in  denen  diese  Be- 
ziehung zum  Willen  deutlich  hervortritt*).**  „In  der  bis- 
herigen Darstellung  der  Apperception  zeigte  sich  diese  als 
eine  den  Vorstellungen  gegenübertretende  Thätigkeit,  welche 
bald  von  einem  vorherrschenden  Reiz  passiv  bestimmt  wird, 
bald  zwischen  verschiedenen  EindrĂĽcken  activ  eine  Wahl 
trifft,  und  welche  in  beiden  Fällen  im  Stande  zu  sein  scheint, 
die  centrale  Sinneserregung  zu  verstärken*)**.  —  —  „Der 
Unterschied  (der  passiven  und  der  activen  Apperception) 
stellte  sich  als  gradweiser  und  als  ein  Unterschied  der  Ent- 
wicklung dar  ^)**.  „Dass  die  Apperception  *  eine  bewusste 
Thätigkeit  sei,  kann  nicht  wohl  bezweifelt  werden.  Was  wir 
bei  einer  einfachen  passiven  Apperception  in  uns  wahrnehmen, 
ist  einerseits  eine  Vorstellung,  andererseits  ein  GefĂĽhl  innerer 
Thätigkeit,  mit  dessen  Anwachsen  zugleich  die  Intensität  der 
Vorstellung  zunimmt*).**  „Die  active  Apperception  unter- 
scheidet sich  von  jenem  einfachen  Vorgang  nur  durch  das 
begleitende  Bewusstsein  einer  Mehrheit  disponibler  Vorstel- 
lungen, wobei  das  Gefühl  innerer  Thätigkeit  in  seiner  quali- 
tativen Färbung  wechselt,  je  nachdem  im  Gefolge  desselben 
die  eine  oder  andere  Vorstellung  an  Intensität  zunimmt^)**. 
„Die  innere  Willensthätigkeit  ist  von  Anfang  an  mit  dem 
Bewusstsein  gegeben,  da  es  ein  Bewusstsein  ohne  Apper- 
ception für  uns  nicht  gibt,  und  die  äussere  Handlung  er- 
scheint als  eine  Bethätigung  des  Willens,  deren  Folgen  zwar 
verschieden  sind  von  denjenigen  der  inneren  Handlung  der 
Apperception,  daher  sie  auch  zu  abweichenden  Entwicklungen 
Anlass  bieten,  welche  aber  in  ihrer  unmittelbaren  psycho- 
logischen Beschaffenheit  durchaus  mit  derselben  ĂĽberein- 
stimmt*)**. „So  werden  wir  dadurch  nothwendig  zu  der 
Annahme  gedrängt,    dass  die  äussere  Willenshandlung 


1) 

S. 

384. 

2) 

S. 

385. 

3) 

s. 

385. 

4) 

s. 

386. 

5) 

s. 

386-7. 

6) 

s. 

390. 

566  Baumann:  Wundt*8  Lehre  vom  Willen  etc. 

ihrem  ursprĂĽnglichen  Wesen  nach  nichts  anderes  ist 
als  eine  specielle  Form  der  Apperception,  indem  sie 
einen  untrennbaren  Bestandtheil  jener  Appereep- 
tionen  bildet,  die  sich  auf  den  eigenen  Körper  des 
handelnden  Wesens  beziehen*)".  Also  Wille  ist  innere, 
besonders  innere  verstärkende  Thätigkeit,  welche  theils  im 
Gedankenlauf  allein  sich  geltend  macht,  theils  auch  in  äusseren 
Bewegungen  sich  zeigt.  Die  Triebbewegungen  werden  aus- 
drücklich unter  den  Willen  subsumirt:  „Sie  (die  Triebbewe- 
gung) unterscheidet  sich  von  den  eigentlichen  Reflexen  da- 
durch, dass  sie  von  Bewusstseinsvorgängen  begleitet  wird, 
und  dass  sie  vom  Standpunkt  der  letzteren  aus  betrachtet 
eine  Handlung  ist,  welche  in  einem  den  Willen  ein- 
deutig determinirenden  Motiv  ihren  Ursprung  hat 
Schon  die  einfachste  Triebhandlung  ist  eine  Willenshandr 
lung.  Den  Ausdruck  willkĂĽrliche  Handlung  werden  wir 
dagegen  speciell  fĂĽr  eine  solche  Willenshandlung  beibehalten 
können,  bei  der  eine  Wahl  zwischen  verschiedenen  Motiven 
stattfindet «)." 

Wundt  ist  sich  dabei  sehr  wohl  bewusst,  dass  seine 
Auffassung  des  Willens  zu  der  anderen  in  dem  allgemeinen 
Sprachgebrauch  von  Leben  und  Wissenschaft  vorherrschenden 
in  schärfstem  Gegensatz  steht.  Er  lässt  sich  darüber  so  aus: 
„Die  Willenshandlungen  erscheinen  hier  als  die  letzte  Stufe 
in  der  Entwicklung  psychischer  Lebensäusserungen,  während 
sie  an  den  Anfang  derselben  zu  stellen  sind®)",  „Im  Gegen- 
satz zu  jener  Anschauung,  welche  den  Willen  aus  GefĂĽhlen 
und  Trieben  entstehen  lässt,  müssen  wir  darum  vielmehr  den 
Willen  als  die  fundamentale  Thatsache  bezeichnen,  von  der 
zunächst  die  Gefühlszustände  des  Bewusstseins  bedingt  sind, 
unter  deren  Einfluss  dann  weiterhin  aus  diesen  sich  Triebe 
entwickeln,  und  die  Triebe  in  immer  verwickeitere  Formen 
äusserer  Willenshandlungen  sich  umsetzen.  Gefühle  und  Triebe 
erscheinen  nun  nicht  mehr  als  Vorstufen  fĂĽr  die  Entwicklung 
des  Willens,   sondern  als  Vorgänge,    die  dieser  Entwicklung 

1)  S.  391. 

2)  S.  412-13. 

3)  S.  389. 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  567 

selbst  angehören,  und  bei  denen  die  Wirksamkeit  der  inneren 
Willensthätigkeit  als  constante  Bedingung  erforderlich  ist*)." 
Nach  alle  dem  ist  also  Wille  fĂĽr  Wundt  innere,  beson- 
sonders  innere  verstärkende  Thätigkeit,  und  da  diese  un- 
zweifelhaft in  der  Aufmerksamkeit  im  weitesten  Sinne  da  ist, 
in  den  Trieben  aller  Art  da  ist,  bei  vielen  körperlichen  Be- 
wegungen den  Anstoss  gibt,  so  ist  ihm  Wille  eine  fundamen- 
tale Thatsache  geistigen  Lebens  ĂĽberhaupt,  nicht  eine  psy- 
chische Erscheinung,  welche  andere  fundamentale  Thatsachen 
zur  Vorraussetzung  hat.  Ich  kann  also  obige  Formulirung 
des  Gegensatzes  nur  wiederholen.  Nach  dem  vorherrschenden 
Sprachgebrauch  ist  WiUe  die  besondere  Art  innerer  oder 
zugleich  auch  äusserer  Bethätigung,  welche  auf  Vorstellung 
und  Werthschätzung  hin  eintritt,  nach  Wundt  istWiDe  psy- 
chisches Thätigkeitsgefühl  überhaupt,  wie  es  im  Gedankenlauf 
und  in  Bewegung  nach  aussen  zum  Bewusstsein  kommt. 
Man  könnte  zunächst  die  Frage  aufwerfen,  war  es  nicht 
vielleicht  nöthig,  einen  solchen  zusammenfassenden  Namen 
für  das  psychische  Thätigkeitsgefühl  zu  haben,  und  bot  sich 
dafür  nicht  das  Wort  Wille  am  nächsten  dar?  Nöthig  war 
das  darum  nicht,  weil  die  andere  Ansicht  vom  Willen  dies 
innere  Thätigkeitsgefühl  stets  anerkannt  hat  und  anerkennen 
kann.  Man  hat  für  die  innere  Thätigkeit  längst  den  Namen 
Spontaneität.  Kant,  an  dessen  transcendentale  Analytik^ die 
Wundt'sche  Lehre  von  der  Apperception  vielfach  erinnert  — 
das  eigentliche  Denken  ist  Wundt  active  Apperception  und  die 
Association  blos  ein  Reflex  derselben*)  —  hat  darum  von 
einer  Spontaneität  des  Verstandes  gesprochen  gegenüber  der 
Receptivität  der  Eindrücke.  Nach  Baumgarten  (Metaphysik, 
Deutsch,  1783,  §  521)  ist  eine  Handlung,  welche  von  einer 
zureichenden  Quelle,  die  innerlich  in  dem  handelnden  Dinge 
angetroffen  wird,  abhängt,  eine  selbstthätige  (actio  spontanea) 
luid  er  schreibt  daher  allen  Monaden,  d.  h.  allen  Elementen 
der  Welt  nach  Leibniz'scher  Auffassimg,  Selbstthätigkeit  zu. 
Der  Ausdruck  ist  Wundt  nicht  unbekannt,   er   sagt   z.  B.: 


1)  S.  385. 

2)  S.  309  u.  S.  305. 


568  Baumana:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc. 

sobald  spontane,  d.  h.  nicht  aus  äusseren  Reizen,  sondern 
aus  reproducirten  Vorstellungen  entspringende  Bewegungen 
auftreten  ^)".  Demgemäss  wird  die  andere  Auffassung  des 
Willens  jeder  inneren  Thätigkeit  und  dem  Willen,  sofern  er 
eine  solche  ist,  gerecht,  indem  sie  dieselbe  als  Spontaneität 
bezeichnet,  und  dann  verschiedene  Arten  von  Spontaneität 
unterscheidet,  deren  eine,  nämlich  die,  wo  auf  VorsteDung 
und  Werthschätzung  innere  oder  zugleich  auch  äussere  Be- 
thätigung  eintritt,  als  Wille  bezeichnet  wird.  Wenn  wir 
einmal  annähmen,  es  walte  ein  bioser  Unterschied  des  Sprach- 
gebrauchs ob  zwischen  Wundt  und  der  gewöhnlichen  Fassung 
des  Willens,  so  wĂĽrde  sich  doch  nicht  leugnen  lassen,  dass 
der  Genius  der  Sprache  gegen  Wundt  stände.  Denn  dass 
wir  innere  Thätigkeit  eben  als  innere  Thätigkeit  bezeichnen 
können,  und  wenn  wir  gelehrt  sein  wollen,  Spontaneität  oder 
Selbstthätigkeit  dafür  sagen  mögen,  dem  steht  nichts  im 
Wege,  und  also  sollen  wir  das  Wort  Wille  nicht  aus  seiner 
speciellen  Bedeutung  ohne  Noth  in  eine  generelle  zwingen. 
Und  wohin  kommen  wir  mit  dem  Wundt'schen  Sprachgebrauch 
z.B.  bei  der  Phantasie  ?  Bei  Wundt  lesen  wir:  „Wir  können 
eine  doppelte  Wirksamkeit  der  Phantasie  unterscheiden,  eine 
passive  und  eine  active.  Im  wesentlichen  entspricht  diese 
GegenĂĽberstellung  derjenigen  der  passiven  und  activen  Apper- 
ception.  Passiv  ist  unsere  Phantasie,  wenn  wir  uns  dem 
Spiel  der  Vorstellungen  ĂĽberlassen,  die  von  irgend  einer  6e- 
sanMntvorstellimg  in  uns  angeregt  werden ;  activ  ist  sie,  wenn 
unser  Wille  zwischen  den  bei  einer  solchen  Zerlegung  sich 
darbietenden  Vorstellungen  auswählt  und  auf  diese  Weise 
planmässig  das  Einzelne  zu  einem  Ganzen  zusammenfügt. 
Auch  diese  beiden  Richtungen  der  Phantasie  bilden  aber 
keineswegs  Gegensätze ;  vielmehr  bietet  die  passive  der  activen 
Phantasie  das  Material  dar,  aus  welchem  diese  ihre  Erzeug- 
nisse formt.  Die  passive  Phantasie  ist  fast  fortwährend  in 
uns  wirksam.  Insbesondere  ist  eine  bevorstehende  Handlung 
oder  die  Zukunft  überhaupt  ein  sehr  häufiges  Object  der 
Phantasiethätigkeit  etc. Die   active  Phantasiethätigkeit 

1)  S.  411. 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  569 

liegt  jeder  Art  künstlerischer  Schöpfung  zu  Grunde,  und  in 
gewissem  Grade  ist  sie  an  allen  anderen  schöpferischen  Er- 
zeugnissen des  menschlichen  Geistes  betheiligt,  an  den  Erfin- 
dungen der  Technik  so  gut  wie  an  den  Entdeckungen  der 
Wissenschaft  ^)."  Ich  habe  nichts  gegen  die  Art,  wie  inhalt- 
lich hier  die  Phantasie  beschrieben  wird,  aber  ich  muss 
daran  erinnern,  dass  Wundt  alle  Phantasie,  die  active  und 
die  passive,  sofern  er  sie  ausdrĂĽcklich  mit  unter  die  apper- 
ceptiven  Verbindungen  rechnet*),  sammt  und  sonders  als 
Willenshandlungen  auffassen  muss.  Der  träumerischste 
Gedankenlauf  in  uns  ist  also  Willenshandlung,  die  aus  der 
Tiefe  seines  Wesens  mit  ursprĂĽnglicher  Gewalt  hervor- 
brechende, ihm  selbst  vielleicht  ĂĽberraschende  Gonception 
des  Dichters,  des  KĂĽnstlers  ist  danach  Willenshandlung.  Was 
hilft  es,  wenn  die  Dichter  versichern,  ihr  Talent  stehe  wenig 
unter  der  Herrschaft  des  Willens,  auch  die  sogenannte  active 
Phantasiethätigkeit  nicht,  sondern  ihr  Wille  vermöge  blos  als 
Vorstellung  und  Werthschätzung  und  sich  daran  anschliessende 
BemĂĽhung  anregend  auf  ihr  Talent  zu  wirken,  aber  es  sei 
nicht  immer  sicher,  dass  dieser  Wille  in  einem  gegebenen 
Moment  sich  wirksam  erweise?  Der  Psychologe  decretirt 
ihnen  zu,  dass  passive  und  active  Phantasie  Willenshandlung 
sei,  weil  sie  eben  innere  Thätigkeit  ist.  In  dieselbe  Misslich- 
keit  kommen  wir  bei  Wundt  mit  dem  Verstand.  Nach  ihm 
„bezeichnen  wir  als  Verstandesanlage  schliesslich  die  Dispo- 
sition des  Bewusstseins  hinsichtlich  der  Processc  des  logischen 
Denkens  oder  jener  apperceptiven  Verbindungen,  bei  denen 
die  Vorstellungen  die  Bedeutung  von  Begriffen  besitzen.  Wie 
wir  die  Phantasiethätigkeit  ein  Denken  in  Bildern  genannt 
haben,  so  könnte  man  die  Verstandesthätigkeit  füglich  auch 
als  ein  Phantasiren  in  Begriffen  bezeichnen  ^)."  Ich  habe 
wieder  gar  nichts  gegen  die  inhaltliche  Ansetzung  des  Ver- 


1)  S.  321—2. 

2)  S.  321:  ,In  der  Phantasiethätigkeit  etc.    Diese  Verbindung  trägt 
durchaus   den  Charakter   der  apperceptiven  Verbindungen   in   sich. 

Die  Phantasiethätigkeit  ist  also,   kurz  gesagt,   ein  Denken  in 

Bildern." 

3)  S.  323. 


570  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

Standes,  aber  viel  dagegen,  dass  der  Verstand,  weil  er  innere 
Thätigkeit  ist,  darum  sammt  und  sonders  zur  Willenshand- 
lung  gemacht  wird.  Dann  mĂĽssen  wir  das  Genie  sowohl  als 
die  Beschränktheit  für  Willenshandlungen  erklären;  dag^n 
werden  sowohl  die  höchste  intellectuelle  Begabung  wie  die 
sich  selbst  bescheidende  Beschränktheit  Verwahrung  einlegea 
Diese  wird  erklären,  dass  sie  trotz  ihrer  Willensanstrengung 
den  angeborenen  Defect  nicht  ganz  habe  heilen  können,  etwa 
mangelhafte  Befähigung  für  das  und  das;  das  Genie,  sofern 
es  nicht  in  allem  Genie  war,  hat  oft  genug  bekannt,  dass 
eine  analoge  üebertragung  seiner  Befähigung  für  ein  Fach 
auf  ein  anderes  selbst  bei  der  höchsten  Willensanstrengung 
nur  massigen  oder  gar  keinen  Erfolg  gehabt  habe.  Selbst 
das  Gedächtniss  mussWundt  für  eine  Willenshandlung  sammt 
und  sonders  erklären;  denn  er  zählt  es  unter  die  bestinunten 
Richtungen  geistiger  Thätigkeit  *),  also  wenn  jemand  von 
Natur  schwer  behält  oder  leicht,  oder  dies  schwer  behält 
und  jenes  leicht,  so  muss  nach  Wundt  jede  dieser  Weisen 
WiUenshandlui^  sein  von  Anfang  an.  Das  sind,  meine  ich, 
arge  Misslichkeiten,  welche  sich  an  den  Wundt'schen  Sprach- 
gebrauch anschliessen,  innere  Thätigkeit  überhaupt  =  WiDe 
zu  setzen.  Ja,  man  könnte  noch  viel  weiter  gehen.  Wenn 
wir  den  Reiz  zu  niesen  oder  zu  gähnen  verspüren,  so  ver- 
spüren wir  sehr  oft  dabei  das  Gefühl  einer  inneren  Verstär- 
kung des  Reizes  so,  dass  schliesslich  auch  die  bezĂĽgliche 
äussere  Handlung  hervorbricht.  Diesen  Prozess  müsste  nun 
Wundt  Wille  nennen,  in  Wirklichkeit  läuft  er  sehr  oft  ohne 
unseren  Willen  und  selbst  gegen  denselben  ab,  d.  h.  gegen 
das,  was  eben  der  herrschende  Sprachgebrauch  von  Leben 
und  Wissenschaft  Wille  nennt.  Es  kann  nicht  fehlen,  dass 
Wundt  selbst  gegen  seinen  eigenen  Sprachgebrauch  unwill- 
kĂĽrlich Zeugniss  ablegt.  Da  nach  ihm  schon  die  einfachste 
Triebhandlung  eine  Willenshandlung  ist,  so  soll  der  Aus- 
druck willkĂĽrliche  Handlung  speciell  fĂĽr  eine  solche 
Willenshandlung  beibehalten  werden,  bei  der  eine  Wahl 
zwischen  verschiedenen  Motiven  stattfindet^).    Aber  es  ge- 


1)  S.  318.         2)  S.  413. 


Baumiuin:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  571 

lingt  ihm  nicht  das  zu  thun.  Denn  danach  durfte  er  nicht 
schreiben:  „Activ  ist  sie  (die  Phantasie),  wenn  unser  Wille 
zwischen  den  bei  einer  solchen  Zerlegung  sich  darbietenden 
Vorstellungen  auswählt  und  auf  diese  Weise  planmässig  das 
Einzelne  zum  Ganzen  zusammenfĂĽgt  ^y\  Denn  hier  mĂĽsste 
es  statt  Wille  heissen  die  willkĂĽrliche  Handlung  oder 
kurzweg  die  WillkĂĽr.  Danach  durfte  nicht  geschrieben 
werden :  „Auch  hier  (bei  der  geistigen  Störung)  verliert  der 
Wille  mehr  und  mehr  die  Herrschaft  ĂĽber  die  durch  die 
jeweiligen  Aflfecte  entstehenden  Triebhandlungen*);"  denn 
Wille  ist  noch  da  nach  Wundt,  sofern  ja  jeder  Trieb  selbst 
ihm  zufolge  eine  Willenshandlung  ist.  Ebensowenig  durfte 
Wundt  schreiben:  „Dieser  Einfluss  des  Willens  (auf  die 
Afifecle)  wird  aber  in  der  Regel  ohnmächtig,  wenn  die  Ge- 
müthsbewegung  zu  hohem  Grade  anwächst.  Auch  gelingt 
es  ihm  meistens  nur  das  Innere  zu  verschleiem,  selten  es 
ganz  zu  verhĂĽllen")."  Denn  Wille  ist  nach  ihm  auch  die 
übermächtig  ausbrechende  Gemüthsbewegung,  auch  das  durch- 
scheinende Innere.  Dass  es  also  Wundt  nicht  gelingt,  den 
Ausdruck  Wille  so  festzuhalten,  wie  er  seinen  Begriff  be- 
schrieben hat,  mag  ein  Beweis  mehr  sein,  wenn  es  eines 
solchen  ijoch  bedurfte,,  dass  das  Wort  Wille  im  vorheiTschen- 
den  Sprachgebrauch  von  Leben  und  Wissenschaft  nicht  mehr 
ein  jimgfräuliches  ist,  welches  mit  irgend  einem  Begriff  noch 
erst  vermählt  werden  könnte,  sondern  dies  Wort  hat  längst 
eine  Ehe  eingegangen,  an  der  es  trotz  des  Versuchs,  es  da- 
raus loszureissen,  festhält;  es  bezeichnet  nicht  jede  innere 
Thätigkeit,  auch  nicht  jede  verstärkende,  sondern  eine  ganz 
besonders  circumstanciirte. 

Nach  dem  Bisherigen  könnte  die  gewöhnliche  Ansicht 
vom  Willen  und  die  von  Wundt  vertretene  als  eine  blosse 
Differenz  des  Sprachgebrauchs  erscheinen,  wobei  allerdings 
der  Wundt*sche  Sprachgebrauch  als  Veranlassung  zur  Ver- 
wirrung gdten  mĂĽsste,  weil  er  ein  in  einem  engeren  Sinn 
feststehendes  Wort  zu  einem  viel  allgemeineren  Sinn  erweitert. 

1)  S.  321. 

2)  S.  381. 

3)  S.  419. 


572  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

Allein  es  ist  nicht  eine  blosse  Differenz  des  Sprachgebrauchs, 
die  hier  obwaltet;  das  erhellt  schon  aus  dem  Eifer,  mit 
welchem  Wundt  seine  Fassmig  des  Willens  durch  sachliche 
Argumente  zu  stĂĽtzen  bemĂĽht  ist.  Wir  gehen  daher  auf  die 
sachlichen  GrĂĽnde  Wundt's  fĂĽr  seine  Ansicht  und  seine  Ge- 
gengründe gegen  die  gewöhnliche  Ansicht  jetzt  ausführlich 
ein.  Nach  Wundt  ist  es  eine  längst  gemachte  Bemerkung, 
„dass  der  Wille  auf  den  Verlauf  unserer  Vorstellungen  ein- 
wirken könne",  aber  „trotzdem  hat  man  gewöhnlich  nur  in 
jenen  Fällen,  wo  sich  die  Willensanstrengung  entweder  in 
auffallend  hohem  Grade  geltend  macht,  oder  wo  deutlich 
eine  Wahl  zwischen  verschiedenen  disponiblen  Vorstellungen 
stattfindet,  eine  innere  Wirksamkeit  des  Willens  angenommen  0". 
Dabei  verkenne  man  völlig,  dass  auch  bei  der  äusseren  Willens- 
handlung ein  Schwanken  zwischen  verschiedenen  Motiven 
durchaus  nicht  nothwendig  vorhanden  sein  mĂĽsse.  Der  Wille 
könne  eindeutig  bestimmt  sein,  und  sei  dies  auch  beun 
Menschen  in  der  weitaus  ĂĽberwiegenden  Anzahl  der  Willens- 
handlungen. Es  mĂĽsse  aber  sogar  die  Apperception  als  der 
primitive  Willensact  angesehen  werden,  der  bei  den  äusse- 
ren willkĂĽrlichen  Handlungen  stets  vorausgesetzt  werde.  Be- 
dingung fĂĽr  die  AusfĂĽhrung  einer  willkĂĽrlichen  Bewegung  sei 
die  Apperception  der  Vorstellung  dieser  Bewegung.  Im  all- 
gemeinen, namentlich  aber  bei  complicirteren  und  nicht  zuvor 
eingeübten  Bewegungen  gehe  die  innere  der  äusseren  WiUens- 
handlung  auch  der  Zeit  noch  voraus.  In  Folge  der  EinĂĽbung 
könne  aber  diese  Zwischenzeit  verkürzt  werden  imd  endlich 
ganz  verschwinden*).  In  dieser  ganzen  AusfĂĽhrung  vermag 
ich  keinen  Grund  zu  erkennen,  von  der  gewöhnlichen  Ansicht 
vom  Willen  abzugehen.  Nach  dieser  ist  Wille  derjenige 
geistige  Zustand,  wo  auf  Vorstellung  und  Werthschätzung 
innere  oder  zugleich  auch  äussere  Bethätigung  eintritt,  diese 
Bethätigung  ms^  nun  schwach  (conatus)  oder  stark  und  er- 
folgreich sein  (eflfectiver  Wille,  Wille  mit  Realisirung  des  vor- 
gestellten Inhalts).    Eine  Wahl  zwischen  verschiedenen  Mo- 


1)  S.  210  u.  211. 
S.  211. 


Baumann:  Wandt*8  Lehre  vom  Willen  etc.  573 

tiven  kann  dabei  statthaben,  ist  aber  nicht  nothwendig;  es 
gibt  auch  bei  der  gewöhnlichen  Willensfassung  eindeutigen 
Willen.  Dass  zur  willkürlichen  äusseren  Bewegung  Vorstel- 
lung und  Werthschätzung  als  voraufgehend  mindestens  ordine 
rationis  gehört,  ist  gewiss,  also  auch  Apperception,  d.  h.  dass 
diese  Vorstellung  und  Werthschätzung  im  Wundt'schen  Blick- 
punkt des  Bewusstseins  steht.  Aus  alle  dem  folgt  aber  nicht 
im  Mindesten,  dass  Wille  erweitert  werden  mĂĽsse  zu  innerer 
Thätigkeit  überhaupt,  denn  von  der  inneren  oder  zugleich 
auch  äusseren  Bethätigung,  welche  auf  Vorstellung  und  Werth- 
schätzung eintritt  und  zusammen  mit  diesen  Wille  genannt 
wird,  ist  eben  sehr  unterschieden  die  innere  Bethätigung, 
welche  nicht  zu  ihrem  Eintritt  Vorstellung  und  Werthschätzung 
erfordert.  Dahin  gehören  also  alle  an  sich  unwillkürlichen 
Thätigkeiten,  z.  B.  Gedächtniss,  Phantasie,  Verstand,  auch 
Vernunft,  die  Triebe,  als  GefĂĽhle,  welche  sofort  in  gewisse 
Bewegungen  (Lotze)  oder,  allgemein,  in  eine  Tendenz  zum 
inneren  (Wissenstrieb  z.  B.)  oder  auch  äusseren  Thun  über- 
gehen u.  s.  w.  Alle  diese  inneren  Thätigkeiten,  welche  somit 
vom  Willen  sehr  verschieden  sind,  können  natürlich  und 
werden  sehr  bald  vielfach  vom  Willen  als  Vorstellung  und 
Werthschätzung  und  darauf  folgender  innerer  oder  zugleich 
auch  äusserer  Bethätigung  durchzogen,  aber  in  den  verschie- 
denen Menschen  in  sehr  verschiedenem  Grade,  und  es  fehlt 
sehr  viel,  dass  alles  das  auch  im  höchst  durchgebildeten 
Menschen  Wille  geworden  sei. 

Neue  Argumente  bringt  Wundt  in  dem  Abschnitt:  „Von 
demWillen  und  den  äusseren  Willenshandlungen" 
S.  383  flf.  Dort  wird  die  Ansicht  bekämpft,  welche  den 
Willen  aus  GefĂĽhlen  und  Trieben  entstehen  lasse;  citirt  wird 
S.  384  Lotze,  Medicinische  Psychologie  S.  298.  Gemeint 
ist  die  Lehre,  welche  Herbart  zuerst  angeregt  hat  in  Bezug 
auf  die  willkürlichen  äusseren  Bewegungen,  und  die  Lotze 
etwa  so  ausgeführt  hat.  „Die  Seele  weiss  nicht  von  sich  aus, 
wie  es  gelingt,  einzelne  Glieder  in  Bewegung  zu  setzen.  Sie 
musste  das  alles  lernen,  und  dabei  dient  ihr  der  Umstand, 
dass  die  Bewegungen  selbst  solcher  Muskeln,  die  sonst  ge- 
wöhnlich vom  Willen  beherrscht  werden,  doch  nicht  immer 


574  Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc. 

von  Zustanden  der  Seele  ausgehen,  sondern  wie  z.  B.  in 
Krämpfen  oft  ohne  Zuthun  der  Seele  auf  Veranlassung  phy- 
sischer innerer  Reize  geschehen.  In  der  ersten  Jugend  findet 
dies  in  sehr  ausgedehntem  Masse  statt;  indem  dann  der 
Körper  sich  von  selbst  bewegt,  macht  die  Seele  die  Erfah- 
rung, dass  eine  gewisse  anschauliche  Bewegung  a  irgend 
eines  Gliedes  mit  einer  Veränderung  a  ihres  Gemeingeföhls 
verbunden  ist;  will  sie  später  die  Bewegung  a  wieder  er- 
zeugen, so  reproducirt  sie  in  sich  den  Zustand  a  ihres  Ge- 
meingeföhls, d.  h.  die  Art,  wie  ihr  zu  Muthe  war,  als  die 
Bewegung  a  geschah,  und  dies  ist  der  innere  Zustand  der 
Seele,  auf  dessen  Wiedererinnerung  die  wirkliche  Bewegung 

erfolgt. Der  Wille  ist  demnach  ein  ziemlich  accesso- 

risches  Element  in  der  Hervorbringung  auch  der  willkĂĽrlichen 
Bewegungen,  seine  Wirksamkeit  erschöpft  sich  in  der  Her- 
stellung einer  Vorstellung  oder  eines  Gemuthszustandes,  mit 
welchem  weiter  das  Entstehen  der  Bewegung  als  automatische 
Folge  verbunden  ist,  und  erklärlich  wird  dies  auch  nur,  wenn 
man  annimmt,  dass  weder  Vorstellung  noch  GemĂĽthsaffect 
unmittelbar  als  psychische  Elemente  diese  Folge  erzeugen, 
sondern  dass  sie  zunächst  auf  die  sensiblen  Gentralorgane 
rückwärts  wirken  und  in  ihnen  dieselben  Zustände  erwecken, 
die  sie  erfahren  wĂĽrden,  wenn  der  Inhalt  der  VorsteDung 
von  neuem  als  Sinnesreiz  auf  uns  einwirkte,  mit  anderen 
Worten,  es  wird  durch  die  Vorstellung  blos  die  Disposition 
zur  Bewegung,  welche  in  dem  Centralorgan  und  weiterhin 
von  sich  und  zum  Theil  mit  Ausbildung  von  frĂĽher  liegt,  er- 
weckt; wo  also  keine  ursprĂĽngliche  Bewegung  und  keine 
ursprüngliche  Disposition  zur  Bewegui^  unabhängig  vom  blos 
psychischen  Wollen  im  Körper  liegt,  bringt  alles  Wollen  keine 
Bewegung,  also  auch  kein  (äusseres)  VoDbringen  hervor." 
Das  alles  wird  gesagt  von  den  willkürlichen  äusseren  Be- 
wegungen, also  von  denen,  welche  auf  Vorstellung  und  Werth- 
schätzung  und  die  sich  daran  anschliessende  innere  Be- 
thätigung  (Impuls)  eintreten.  In  der  „Metaphysik"  (System 
der  Philosophie  2.  Thl.)  S.  586  f.  hat  Lotze  diese  Anschau- 
ung nochmals  prägnant  gegeben.  Er  war  damit  nicht  ge- 
meint zu  läugnen,  dass  die  Seele  vielleicht  Thätigkeiten  auch 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  575 

ausübe  zum  ursprünglichen  Aufbau  des  Körpers  selbst,  er 
läugnet  nur,  dass  diese  Thätigkeit  Wille  genannt  werden 
könne.  Man  vergleiche  die  recapitulirende  Betrachtung  im 
Mikrokosmus  2.  Aufl.  Bd.  I  S.  322:  „Als  wir  die  Vorstel- 
lungen prüften,  welche  über  den  Grund  der  zweckmässigen 
Bildung  des  lebendigen  Körpers  nach  und  nach  hervorgetreten 
sind,  haben  wir  bereits  jener  Ansicht  gedacht,  welche  seine 
Harmonie  nur  aus  der  thätigen  Mitwirkung  eines  geistigen 
Wesens  ableitbar  glaubte.  Wir  haben  damals  gesehen,  dass 
diese  Meinung  ihr  Ziel  verfehlte,  wenn  sie  durch  die  HĂĽlfe 
der  Seele  die  Entwicklung  des  Körpers  dem  Gebiete  des 
mechanischen  Geschehens  zu  entziehen  suchte.  Denn  das, 
wodurch  allein  die  Seele  mehr  ist,  als  der  blinde  Mechanis- 
mus, die  verständige  Ueberlegung  und  die  willkürliche  Wahl 
der  Zwecke  und  Mittel,  konnte  nach  Allem,  was  die  Erfah- 
rung uns  lehrte,  nicht  als  mitwirkend  bei  dem  allmäligen 
Aufbau  der  körperlichen  Gestalt,  betrachtet  werden.  Die 
Formen  des  Leibes  werden  in  einem  Zeitraum  endgĂĽltig  fest- 
gestellt oder  vorbereitet,  in  welchem  alle  diese  Thätigkeiten 
der  Seele  ihrer  Ausbildung  noch  entgegensehen;  Alles,  was 
sie  selbst  daher  zur  Begründung  des  körperlichen  Lebens  bei- 
tragen konnte,  vermochte  sie  nur,  sofern  sie  als  ein  Element 
neben  anderen  in  den  Zusammenhang  der  mechanischen 
Wechselwirkungen  mit  verflochten  war,  aus  deren  zusammen- 
stimmender Thätigkeit  mit  blinder  Nothwendigkeit  die  vorher- 
bestimmte Form  des  Organismus  hervorging." 

Was  setzt  nun  Wundt  dieser  Ansicht  entgegen,  dass  die 
willkĂĽrliche  Bewegung,  d.  h.  Bewegung  auf  Vorstellung  und 
Werthschätzung  hin  ursprünglich  unwillkürUche  Bewegung  zu 
ihrer  Erklärung  erfordere,  d.  h.  spontane  Bewegung,  welche 
ohne  voraufgehende  Vorstellung  und  Werthschätzung,  also 
ohne  das  Moment,  welches  nach  der  gewöhnlichen  Ansicht 
zum  Willen  unerlässlich  ist,  aus  äusseren  oder  inneren  Reizen 
eingetreten  ist,  bei  welchen  die  Seele,  d.  h.  das  Psychische 
in  uns  immerhin  mitwirken  mochte,  nur  nicht  als  Vorstellung 
und  Werthschätzung  ?  Er  setzt  dem  zunächst  nichts  entgegen, 
als  dass  er  eben  die  Sache  anders  bestimme,  d.  h.  innere, 
besonders   innere   verstärkende   Thätigkeit    überhaupt   Wille 


576  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

nenne.  Er  schreibt :  „Es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  man  hier- 
bei die  Entstehung  äusserer  und  noch  dazu  zweckbewusster 
Willenshandlungen  mit  der  Entstehung  des  Willens  selber 
verwechselt.  Nun  ist  die  äussere  Willenshandlung,  wie  schon 
frĂĽher  bemerkt  wurde,  ein  unter  mannichfaltigen  Vermittlungen 
entstandenes  Folgeproduct  der  inneren  Willensthätigkeit,  der 
Apperception.  Bei  dieser  lässt  sich  aber  von  einer  Entste- 
hung ĂĽberhaupt  nicht  reden,  sondern  es  lassen  sich  nur  die 
Entwicklungen  aufzeigen,  zu  denen  sie  unter  Hinzutritt  weiterer 
bedingender  Momente  den  Anlass  bietet.  So  kann  denn  auch 
davon  keine  Rede  sein,  dass  jene  primitive  innere  Willens- 
thätigkeit  sich   erst    aus    Gefühlen   und    Trieben   entwickelt 

hätte. —  —  Gefühle  und  Triebe  erscheinen  nun  nicht 

mehr  als  Vorstufen  fĂĽr  die  Entwicklung  des  WiUens,  sondern 
als  Vorgänge,  die  dieser  Entwicklung  selbst  angehören,  und 
bei  denen  die  Wirksamkeit  der  inneren  Willensthätigkeit  als 
constante  Bedingung  erforderlich  ist  ^)".  Man  erinnere  sich, 
dass  für  Wundt  innere  Willensthätigkeit  =  Apperception, 
d.  h.  Aufmerksamkeit  ist.  Bei  dieser  hat  er  den  Unterschied 
von  unwillkĂĽrlicher  und  willkĂĽrlicher  aufgehoben,  weil  alle 
Aufmerksamkeit,  selbst  die  passive,  d.  h.  durch  einen  Ein- 
druck eindeutig  bestimmte,  innere  Thätigkeit  sei  und  innere 
Thätigkeit  eben  Wille  sei.  Danach  ist  es  natürlich  selbst- 
verständlich, dass  Wille  bei  allen  geistigen  Zuständen  dabei 
ist  und  sogar  der  wesentliche  Factor  ist;  sowie  die  Seele 
einem  GefĂĽhl,  einem  Trieb,  einer  Vorstellung  zugewendet  ist, 
sowie  sie  nach  aussen  gerichtet  ist,  ist  sie  ja  aufmerksam, 
thätig,  also  Wille.  Man  könnte  kurz  sagen:  für  Wundt  ist 
psychische  Regsamkeit  ĂĽberhaupt  =  Wille. 

S.  389  bestreitet  Wundt  mit  neuen  Argumenten  die  oben 
nach  Lotze  vorgetragene  Lehre,  dass  die  willkĂĽrliche  Bewe- 
gung aus  ursprĂĽnglich  unwillkĂĽrliche]^  entstanden  zu  denken 
sei,  welche  Lehre  wohl  unabhängig  von  Lotze  in  England 
Bain  sehr  ausfĂĽhrlich  vertreten  hat.  Ich  glaube,  Wundt 
misst  beiden  Männern  und  überhaupt  der  gewöhnlichen  An- 
sicht vom  Willen  dabei  mit  Unrecht  die  Meinung   zu,   dass 


1)  S.  384  u.  85. 


Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc.  577 

der  Wille  zunächst  gewisse  körperliche  Bewegungen  seiner 
Herrschaft  unterwerfe,  um  dann  erst  einen  gelegentlichen 
Einfluäs  auf  den  Vorstellungsverlauf  zu  gewinnen.  Denn  dass 
Gedächtnlss,  Einbildungskraft,  Verstand  etc.  nicht  ursprüng- 
lich Willenshandlungen  sind,  stand  lange  fest,  ehe  man  die 
Frage  aufwarf,  wie  es  eigentlich  näher  zu  denken  sei,  dass 
die  Seele  viele  körperliche  Bewegungen  willkürlich  hervor- 
rufen könne,  während  sie  bei  anderen  das  nicht  könne.  Alle 
jene  geistigen  Zustände  sind  allerdings  geistige  Thätigkeiten, 
aber  darum  sind  sie  noch  nicht  Wille.  Jene  geistigen  Thätig- 
keiten entstehen  zuerst  unwillkĂĽrlich,  und  erst  darauf  hin 
werden  sie  auch  gewollt,  d.  h.  wird  auf  Vorstellung  und 
Werthschätzung  derselben  hin  innere  oder  zugleich  auch  äussere 
Realisirungsbethätigung  angewendet.  Wundt  fragt  nun  in 
Bezug  auf  jene  Herleitung  der  willkĂĽrlichen  Bewegungen  aus 
ursprünglich  unwillkürlichen:  „Wie  kommt  dann  aber  der 
Wille  zu  der  Entdeckung,  dass  gewisse  Bewegungsvorstellun- 
gen seinem  Befehl  gehorchen?  Wie  ist  dies  denkbar,  wenn 
er  nicht  von  Anfang  an  einen  Einfluss  auf  Bewegungen  des 
eigenen  Körpers  besitzt?  *)".  Ich  sehe  nicht  ab,  wo  da  eine 
Schwierigkeit  liegt.  Stattgefunden  haben  unwillkĂĽrliche  Be- 
wegungen mit  daran  sich  knĂĽpfenden  Vorstellungen  und  Werth- 
schätzungen;  sobald  nun  diese  Vorstellungen  und  Werth- 
schätzungen  aus  irgend  welchen  psychologischen  Gründen 
sich  reproduciren,  entsteht  auch  wieder  eine  Tendenz  zu  der 
Körperbewegung,  welche  früher  und  vielleicht  recht  oft  damit 
verbunden  war.  Es  liegt  da  nichts  vor,  als  was  wir  lOOOfaltig 
in  uns  erleben,  eine  umgekehrte  Association,  aus  der  sich 
zugleich  erklärt,  warum  der  (effective)  Wille  auch  in  dieser 
Hinsicht  sich  nur  langsam  und  schwer  ausbildet,  eben  weil 
dabei  eine  umgekehrte  Association  statt  hat.  Dieser  ganze 
Vorgang,  dass  auf  Vorstellung  und  Werthschätzung  innere 
oder  zugleich  auch  äussere  Bethätigung  eintritt,  ist  der  Wille; 
nicht  der  Wille  merkt,  dass  gewisse  Bewegungsvorstellungen 
seinem  Befehl  gehorchen,  sondern  unsere  Seele,  womit  zu- 
nächst nicht  mehr  gemeint  zu  sein  braucht  als   unser  psy- 


1)  S.  389. 

Philosoph.  MonaUheae,  1881.    iX  u.  X.  37 


578  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

chisches  bewusstes  Wesen,  merkt  das,  gerade  wie  es  merkt, 
dass  eine  Menge  unwillkĂĽrlicher  Zustande  in  ihm  sieh  finden, 
d.  h.  solche,  die  ohne  voraufgehende  Vorstellung  imd  Werth- 
schätzung  und  selbst  gegen  vorhandene  VorsteUung  und 
Werthschätzung  in  ihm  auftreten.  Wundt  fahrt  fort:  „Auch 
spricht  die  Beobachtung  in  keiner  Weise  fĂĽr  eine  solche  zu- 
fällig gemachte  Entdeckung  des  Willenseinflusses  auf  die 
Muskeln.  Niemand,  der  die  Bewegungserscheinungen  in  der 
niederen  Thierwelt  kennt,  wird  zugeben,  dass  hier  alle  Körper- 
bewegungen automatischer  und  reflectorischer  Natur  seien, 
oder  dass  auch  nur  diese  unwillkĂĽrlichen  Bewegungen  bei 
der  Entwicklung  der  Lebensäusserungen  eines  einzelnen  Thier- 
individuums  den  Bewegungen  von  willkĂĽrlichem  Charakter 
vorausgehen  mĂĽssen.  Gerade  bei  den  niedersten  Wesen, 
z.  B.  den  Protozoen,  Gölenteraten,  Würmern,  treten  die 
Körperbewegungen  von  automatischem  und  reflectorisehem 
Charakter  durchaus  zurĂĽck  gegenĂĽber  solchen  Handlungen, 
die  auf  eine  vomngegangene  Empfindung  oder  Vorstellung 
und  einen  daraus  entstandenen  Trieb  hinweisen,  und  denen 
wir  darnach  den  Charakter  emfacher  Willenshandlungen  bei- 
legen müssen  *)."  Vorweg  möchte  ich  hierzu  bemerken,  dass 
von  einer  zufällig  gemachten  Entdeckung  des  Willensein- 
flusses auf  die  Muskeln  bei  jener  Theorie  durchaus  nicht  die 
Rede  ist;  diese  Entdeckung  zu  machen  gehört  nach  ihr  ebenso 
zur  Naturbeschaffenheit  des  Menschen,  wie  Farben,  Töne  und 
die  sonstigen  Empfindungen  zu  erleben.  Eine  metaphysisch 
letzte  Erklärung  hat  jene  Ansicht  mit  ihrer  nächsten  Behaup- 
tung auch  nicht  geben  wollen,  sie  behauptet  nur,  dass  die 
willkĂĽrlichen  Bewegungen  in  der  eigenthĂĽmlichen  Beschaffen- 
heit und  Begrenztheit,  wie  sie  beobachtet  werden,  zu  ihrer 
Erklärung  unwillkürliche  Bewegungen  voraussetzen.  Was 
dann  den  Einwand  mit  den  niederen  Thieren  betrifft,  so 
wäre  man  methodologisch  wohl  befugt  ihn  abzuweisen;  denn 
alles,  was  wir  von  dem  Seelenleben  der  Thiere  wissen,  be- 
ruht lediglich,  und  Wundt  selbst  wird  das  zuerst  zugestehen, 
der  sich  wiederholt  sehr  massvoll  ĂĽber  Thierpsychologie  ge- 

1)  S.  389. 


Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc.  579 

äussert  hat,  —  es  beruht  das  alles  auf  Analogieschlüssen 
vom  Menschen  aus,  die  um  so  unsicherer  werden,  je  mehr 
man  sich  der  niederen  Thierwelt  nähert.  Aber  geben  wir 
Wandt  seine  Behauptung  ĂĽber  diese  Thiere  zu,  lassen  wir 
bei  ihnen  „die  Körperbewegungen  von  automatischem  und 
reflectorischem  Charakter  durchaus  zurĂĽcktreten  gegenĂĽber 
solchen  Handlungen,  die  auf  eine  vorangegangene  Empfin- 
dung oder  Vorstellung  und  einen  daraus  entstandenen  Trieb 
hinweisen",  so  wird  das  gegen  unsere  Ansicht  nur  sprechen, 
wenn  Wundt  erweisen  kann,  dass  auch  bei  den  ersten  Be- 
wegungen, welche  diese  Thiere  vollfĂĽhrten,  Vorstellung  und 
Werthschätzung  als  Bedingung  derselben  voraufgingen.  Wenn 
er  das  nicht  beweisen  kann,  wie  er  es  denn  nicht  kann,  so 
werden  wir  nach  aller  Analogie  annehmen,  dass  auch  bei 
ihnen  Wille,  soweit  er  vorhanden  ist,  d.  h.  innere  oder  zu- 
gleich auch  äussere  Bethätigung  auf  Vorstellung  und  Werth- 
schätzung hin,  erst  aus  unwillkürlichen  Bethätigungen  hervor- 
ging. Wir  werden  aber  vielleicht  gut  thun,  ihnen  Wille  nicht 
in  höherem  Grade  beizulegen,  als  wir  es  bei  kleineren  Kindern 
auch  thun,  in  deren  geistige  Art  sich  ja  gewiss  frĂĽh  manches 
WĂĽlenselement  einmischt,  die  aber  doch  ĂĽberwiegend  nach 
Trieben  handeln  und  nicht  nach  Wille.  Wundt  fahrt  fort: 
„Dagegen  ist  allerdings  anzuerkennen,  dass  bei  den  höheren 
Organismen,  z.  B.  beim  Menschen,  zwar  ebenfalls  von  Anfang 
an  Willensreactionen  nicht  fehlen,  dass  aber  neben  ihnen 
zugleich  zahlreiche  automatische  und  reflectorische  Bewegungen 
vorkommen,  für  deren  allmälige  Beherrschung  durch  den 
Willen  dann  zum  Theil  die  Schilderung  zutrifft,  welche  man 
von  der  Entwicklung  des  Willens  ĂĽberhaupt  zu  entwerfen 
pflegt  *)".  Also  WiDensreactionen  fehlen  beim  Menschen  von 
Anfang  an  nicht  ganz.  Es  ist  wohl  nicht  zufällig,  dass  Wundt 
schreibt  „Willensreactionen"  und  nicht  „WiUensactionen",  er 
meint  wohl  damit,  z.  B.  dass  ein  Reiz,  der  von  aussen  auf 
den  Säugling  wirkt,  als  unangenehm  empfunden  wird  und 
Bewegungen  zu  seiner  Abwehr  hervorruft.  Aber  die  Frage 
ist  gerade:  darf  man  das  schon  Wille  nennen?   Die  gewöhn- 

1)  S.  389. 


580  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

liehe  Ansicht  wird  das  nicht  thun,  so  wenig  sie  es  WiUe 
nennt,  wenn  der  Schlafende  sich  im  Bett  umdreht,  weil  ihm 
seine  Lage  ohne  helles  Bewusstsein  darum  unangenehm  war, 
oder  wir  im  Wachen  es  Wille  nennen,  wenn  wir  uns  ĂĽber 
das  Gesicht  streichen,  ohne  Bewusstsein  von  dem  Dass  und 
Warum  zu  haben.  Seine  eigene  Ansicht  ĂĽber  die  vorliegende 
Frage  formulirt  Wundt  dahin:  „Dass  die  äussere  Willens- 
handlung ihrem  urspränglichen  Wesen  nach  nichts 
anderes  ist  als  eine  specielle  Form  der  Apperception, 
indem  sie  einen  untrennbaren  Bestandtheil  jener  Ap- 
perceptionen  bildet,  die  sich  auf  den  eigenen  Körper 
des  handelnden  Wesens  beziehen*)".  Vorher  fĂĽhrt  er 
dafür  besonders  an:  „Noch  das  Kind  und  der  Natunnensch, 
ebenso  wie  sie  die  wahrgenommene  Handlung  leicht  zur 
Nachahmung  fortreisst,  sind  nicht  im  Stande,  die  lebhafte 
Vorstellung  einer  eigenen  Bewegung  zu  vollziehen,  ohne  dass 
diese  auch  wirklich  eintrete.  Wir  haben  also  allen  Grund 
anzunehmen,  dass  hier  innere  Apperception  und  äussere 
Handlung  nicht  ursprüi^lich  geschiedene  Vorgänge  sind,  son- 
dern dass  umgekehrt  ihre  Trennung  auf  der  späteren  Ent- 
wicklung des  Bewusstseins  beruht,  welche  Wettstreitphäno- 
mene zwischen  den  Willensimpulsen  und  damit  Willenshem- 
mungen möglich  macht')."  Also  äussere  Bewegung  und 
innere  Apperception  sind  ursprĂĽnglich  im  Menschen  nicht 
getrennt,  die  äussere  Willenshandlung  ist  ursprünglich  ein 
untrennbarer  Bestandtheil  jener  Apperceptionen,  die  sich  auf 
den  eigenen  Körper  des  handekiden  Wesens  beziehen.  Das 
sind  lauter  Sätze,  welche  die  von  Wundt  bekämpfte  Theorie 
auch  hat;  denn  nach  ihr  löst  sich  der  Wille,  d.  h.  die  auf 
Vorstellung  und  Weilhschätzung  folgende  innere  oder  zugleich 
auch  äussere  Bethätigung,  erst  allmälig  heraus  aus  der  ganzen 
Menge  von  geistig  -  sinnlichen  Zuständen,  welche  die  Seele 
durchmacht,  unter  diesen  Zuständen  finden  sich  auch  Apper- 
ceptionen, d.  h.  bewusste  Auffassungen  des  eigenen  Leibes 
und  der  darauf  bezĂĽglichen  passiven  und  activen  GefĂĽhle. 
Aber  damit  ist  gar  nichts  darĂĽber  entschieden,  ob  die  activen 

1)  S.  391. 

2)  S.  391. 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  581 

GefĂĽhle  in  Bezug  auf  die  leiblichen  Bewegungen  ursprĂĽng- 
lich von  der  Seele,  sofern  sie  vorstellend  und  fĂĽhlend  ist, 
ausgehen,  was  ja  doch  der  Gegenstand  der  Controverse  ist. 
Die  von  Wundt  bekämpfte  Theorie  sagt:  da  man  das  nicht 
annehmen  kann,  sintemal  die  Seele  des  Menschen  unzweifel- 
haft erst  die  Herrschaft  ĂĽber  ihren  Organismus,  soweit  sie 
dieselbe  ĂĽberhaupt  gewinnt,  langsam  und  mĂĽhsam  durch 
ĂĽebung  erlernt,  so  muss  unwillkĂĽrliche  Bewegung  vorher- 
gehen, bei  welcher  die  Seele  vielleicht  mitwirkt,  aber  nicht 
durch  Vorstellung  und  GefĂĽhl,  sondern  in  der  Weise  eines 
blos  organischen  Elementes.  Wundt  nennt  1)  alle  geistige 
Thätigkeit  Wille  und  möchte  2)  speciell  die  directe  locomo- 
torische  Wirksamkeit  der  Seele  erhalten  wissen,  und  glaubt 
das  durch  die  Apperception  bewiesen,  als  welche  bei  allen 
unseren  geistigen  Zustanden  unentbehrlich  sei  und  als  Thätig- 
keit eben  Wille  sei.  Die  gegenüberstehende  Ansicht  läugnet, 
dass  innere  Thätigkeit  überhaupt  Wille  sei,  sondern  ihr  ist 
Wille  ein  besonderer  Fall  der  inneren  oder  zugleich  auch 
äusseren  Bethätigung,  sie  erkennt  daher  dem  Argument  aus 
der  Apperception  für  die  äusseren  Körperbewegungen  keine 
Kraft  zu.  Was  speciell  den  Hinweis  auf  das  Kind  und  den 
Naturmenschen  betriffl,  so  ist  dagegen  zu  erinnern,  1)  dass 
eine  wahrgenommene  Handlung  sie  nur  dann  leicht  zur  Nach- 
ahmung fortreisst,  wenn  die  in  der  Handlung  vorkommenden 
Bewegungselemente  schon  vorher  in  ihnen  entwickelt  waren, 
und  selbst  ihre  Combination  einigermassen  vorbereitet;  wo 
das  gar  nicht  ist  oder  nur  wenig  ist,  tritt  keine  Nachahmung 
ein  oder  der  Versuch  wird  bald  aufgegeben.  2)  Dass  Kind 
und  Naturmensch  aber  nicht  im  Stande  sind  eine  lebhafte 
Vorstellung  einer  eigenen  Bewegung  zu  vollziehen,  ohne  dass 
diese  auch  wirklich  eintrete,  ist  wahr  mit  der  Beschränkung, 
dass  jene  lebhafte  Vorstellung  einer  eigenen  Bewegung  keine 
ursprĂĽngliche  That,  sondern  eine  reproducirte  Vorstellung  ist, 
also  die  Bewegung  als  voraufgegangen  voraussetzt,  was 
alles  mit  der  von  Wimdt  bekämpften  Theorie  vortrefflich 
stimmt 

Wenn  man  nach  all  diesen  AusfĂĽhrungen  Wundt's  seinen 
schliesslichen  Ansatz   der  Entstehung   willkürlicher   äusserer 


582  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

• 

Bewegungen  liest,  so  sollte  man  glauben,  es  handle  sich 
eigentlich  doch  nur  um  einen  Wortstreit.  Er  lehrt  nämlich: 
„Angeboren  ist  nur  die  in  der  Organisation  begründete  Eigen- 
schaft, auf  gewisse  äussere  Eindrücke  Bewegungen  von  be- 
stimmter Form  auszufĂĽhren;  die  Vorstellung  dieser  Bewe- 
gungen entsteht  aber  in  Folge  ihres  wirklichen  Vollzugs.  Dem- 
nach haben  wir  uns  die  erste  Entstehung  einer  Willenshand- 
lung so  zu  denken,  dass  ein  äusserer  Eindruck  und  mit  ihm 
gleichzeitig  die  ^on  ihm  ausgelöste  Bewegung  appercipirt 
wurde.  Wir  bezeichnen  aber  eine  solche  Bewegung,  obgleich 
sie  nach  ihrer  physischen  Seite  durchaus  den  mechanischen 
Bedingungen  des  Reflexes  entspricht,  doch  schon  als  eine 
einfache  Triebbewegung,  weil  der  Eindruck  im  Bewusst- 
sein  von  einer  mehr  oder  minder  gefĂĽhlsstarken  Empfindung 
begleitet  wird,  welcher  letzteren  dann  auch  die  ausgefĂĽhrte 
Bewegung  entspricht,  insofern  dieselbe  entweder  ein  Streben 
nach  dem  einwirkenden  Reiz  oder  ein  ZurĂĽckziehen  von  dem- 
selben herbeifĂĽhrt.  Indem  nun  eine  solche  Bewegung  bei 
ihrer  AusfĂĽhrung  sofort  appercipirt  wird,  muss  unmittelbar 
jenes  Gefühl  innerer  Thätigkeit  entstehen,  welches  wir  als 
charakteristisch  fĂĽr  jeden  Apperceptionsact  kennen.  Dieses 
Gefühl  erhält  aber  hier  dadurch  eine  charakteristische  Färbung, 
dass  es  mit  der  Bewegungsempfindung  zu  einem  untrenn- 
baren Complexe  verschmilzt.  So  bildet  denn  die  Entstehung 
dieser  Verschmelzung  die  Grundlage  fĂĽr  die  Unterscheidung 
der  äusseren  von  den  inneren  Willenshandlungen ;  erst  secun- 
där  greifen  in  diese  Unterscheidung  die  Vorstellungen  des 
eigenen  Körpers  und  seiner  Theile  ein,  im  Zusanaraen- 
hang  mit  der  Bedeutung,  welche  das  sich  entwickehide 
Selbstbewusstsein  ihnen  anweist  *)."  Wundt  lässt  also  gleich- 
falls die  Vorstellung  der  Bewegung  erst  aus  der  auf  Empfin- 
dung reflexartig  eingetretenen  Bewegung  hervorgehen,  das 
GefĂĽhl,  welches  sich  zugleich  dabei  einstellt,  dass  die  ent- 
stehende Bewegung  entweder  den  einwirkenden  Reiz  festhält 
oder  flieht,  verschmilzt  mit  der  Bewegung  und  wohl  auch 
mit  der  Empfindung.    Aus  alle  dem  bildet  sich  dann  in  der 


1)  S.  392.    YergL  dazu  S.  413-4. 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  583 

Seele  das  Bewusstsein  heraus,  dass  auf  gewisse  reproducirte 
Vorstellungen  und  Gefühle  äussere  Bewegungen  eintreten  oder 
das,  was  wir  äussere  Willenshandlungen  nennen.  Ich  sehe 
nicht  ab,  wie  sich  eigentlich  dieser  Ansatz  von  der  bekämpften 
Theorie  unterscheidet,  es  mĂĽsste  denn  sein,  dass  Wundt 
ganz  besonderen  Werth  auf  das  Gefühl  innerer  Thätigkeit 
legt,  welches  ihm  chai'akterjstisch  fĂĽr  den  AppercepĂĽonsact 
ist,  und  etwa  meinte,  dass  nur,  wo  eine  gefĂĽhlsstarke 
Vorstellung  die  Bewegung  hervorruft,  von  Wille  die  Rede 
sein  könne.  Wille  wäre  ihm  dann  innere  Anstrengung, 
ein  gewisser  Aufwand  geistiger  Kraft,  zeige  er  sich  nun  blos 
innerlich  oder  zugleich  auch  in  äusseren  Bewegungen.  Allein 
so  oft  sich  dies  thatsächlich  so  verhält,  dass  der  Wille  An- 
strengtmg  ist,  fĂĽr  nothwendig  zu  seinem  Begriflf  wird  man 
es  nicht  erachten  können ;  der  Wille  besteht  immer  in  innerer 
oder  zugleich  auch  äusserer  Bethätigung,  welche  auf  Vorstel- 
lung und  Werthschätzung  eintritt,  aber  diese  Bethätigung 
selbst  kann  stark,  schwach,  leicht,  mĂĽhselig  etc.  sein,  das 
gibt  Nuancirungen  des  Willens.  Oft  ist  es  das  einemal  so, 
das  anderemal  so,  wir  suchen  sogar  die  dabei  mitwirkenden 
Factoren  so  auszubilden,  dass  Vorstellung,  Werthschätzung 
und  die  der  Realisirung  dienende  innere  oder  zugleich  auch 
äussere  Bethätigung  möglichst  zusammenfallen,  dass  firma 
facultas  statt  habe.  Auch  eine  andere  Aeusserung  Wundt's 
stimmt  ganz  mit  der  Tendenz  der  von  ihm  bekämpften 
Theorie  überein,  nämlich  die,  „dass,  wer  nicht  den  Willen 
als  einen  deus  ex  machina  ansieht,  der  plötzlich,  ohne  dass 
über  seine  Herkunft  Rechenschaft  zu  geben  erlaubt  wäre, 
durch  einen  ihm  innewohnenden  räthselhaften  Instinct  die 
Maschine  des  eigenen  Leibes  zu  beherrschen  vermag,  auf 
eine  derartige  Entwicklung  der  complicirteren  Willenshand- 
lungen aus  einfacheren  psychischen  Acten  zurĂĽckgefĂĽhrt  wer- 
den muss  *)".  Mit  Recht  wendet  Wundt  denselben  Satz 
auch  auf  das  höhere  Geistesleben  an.  Er  sagt:  „Begehren 
und  Widerstreben  bilden  die  Grundlagen  aller  Willenshand- 
lungen.   Die   geistige  Entwicklung   des  Menschen   macht   in 

1)  S.  392. 


584  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

dieser  Hinsicht  keinen  Unterschied.  Sie  hebt  nicht  die  Triebe 
auf  oder  lehrt  sie  unterdrĂĽcken,  sondern  sie  erweckt  nur 
neue  und  höhere  Formen  des  Begehrens,  welche  über  die  in 
dem  Thier  und  in  dem  Naturmenschen  wirksamen  Triebe 
immer  mehr  die  Herrschaft  erlangen  ')." 

Dass  aber  doch  kein  Wortstreit  vorliegt,  sieht  man  wie- 
der aus  den  Sätzen,  in  welchen  Wundt  seine  Ansicht  schliess- 
lieh  so  formulirt:  „dass  willkürliche  Bewegungen, 
Triebbewegungen  und  Reflexe  gemeinsam  sich 
aus  einer  Form  der  Bewegung  entwickeln,  welche 
in  gewissem  Sinne  die  Merkmale  der  Willenshand- 
lungen und  des  Reflexes  gleichzeitig  an  sich  trägt"*). 
„Nach  ihrer  physischen  Seite  gleicht  also  die  (Trieb-)  Bewe- 
gung vollständig  einer  Reflexbewegung.  Aber  sie  unterschei- 
det sich  von  den  eigentlichen  Reflexen  dadurch,  dass  sie  von 
Bewusstseinsvorgängen  begleitet  wird,  und  dass  sie  vom  Stand- 
punkt der  letzteren  aus  betrachtet  eine  Handlung  ist, 
welche  in  einem  den  Wollen  eindeutig  determini- 
renden  Motiv  ihren  Ursprung  hat.  Schon  die  ein- 
fachste Triebhandlung  ist  also  Willenshandlung"*).  Unter 
den  (rein)  automatischen  und  reflectorischen  Bewegungen  da- 
gegen versteht  er  nur  solche,  die  ausschliesslich  als  mecha- 
nische Erfolge  der  Verbindungen  der  Nervenelemente  und  der 
Einwirkung  physischer  Reize  auf  dieselben  entstehen,  ohne 
dass  begleitende  Empfindungen  und  GefĂĽhle  nachweisbar  sind*). 
Endlich  fĂĽhrt  er  seinen  Gegensatz  zu  der  von  Lotze  vertre- 
tenen oben  ausgefĂĽhrten  Ansicht  ĂĽber  die  Entstehung  will- 
kĂĽrlicher Bewegungen  mit  kurzer  Wiederholung  seiner  frĂĽ- 
heren Argumente  so  aus:  „Alles  spricht  also  dafür,  dass  nicht 
die  Willenshandlungen  aus  den  Reflexen  hervorgegangen  sind, 
sondern  dass  die  Reflexe  mechanisch  gewordene 
Willenshandlungen  sind,  entstanden  durch  die  Wir- 
kungen, welche  die  eingeĂĽbten  Willensbewegungen  auf  die 
bleibende  Organisation  des  Nervensystems  hervorbrachten"*). 

1)  8^334. 

2)  S.  393. 

3)  S.  412. 

4)  S.  402. 

5)  S.  410—11. 


Baumann:  Wundes  Lehre  vom  Willen  etc.  585 

Er  setzt  hinzu:  „Empirische  Beweise  für  diese  Folgerung  aus 
der  individuellen  Entwicklung  werden  wir  unten  bei  der  Be- 
trachtung der  willkürlichen  Bewegung  noch  näher  kennen 
lernen.*'  Die  von  Wundt  gemeinten  Betrachtungen  sind  diese. 
S.  414  wird  auf  die  Erfahrung  verwiesen,  dass  Bewegungen, 
denen  ursprĂĽnglich  eine  bewusste  Absicht  zu  Grunde  lag, 
nach  häufiger  Wiederholung  auch  ohne  solche  vollkommen 
unbewusst  ausgeführt  werden.  Wundt  fahrt  dann  fort:  „Ver- 
gleichen wir  mit  den  Erfolgen  der  individuellen  Uebung  die 
complicirteren  Instincthandlungen  der  Thiere,  so  können  sicht- 
lich die  letzteren  nur  erklärt  werden,  wenn  man  annimmt, 
dass  ein  ursprünglicher  Trieb  allmälig  willkürliche  Handlungen 
in  seine  Dienste  genommen  hat,  die  dann,  auf  die  Organisa- 
tion zurĂĽckwirkend,  zu  mechanisch  eingeĂĽbten  Triebhandlun- 
gen geworden  sind.  Ebenso  werden  wir  in  allen  jenen  oft 
höchst  zweckmässigen  und  zusammengesetzten  Reflexen,  die 
man  bei  Thieren  beobachtet,  welchen  die  zu  den  Functionen 
des  Bewusstscins  unerlässlichen  Centraltheile  mangeln,  die 
Residuen  eingeĂĽbter  WillkĂĽrbewegungen  sehen  dĂĽrfen.  Die 
individuelle  Entwicklung  unterstĂĽtzt  so  die  aus  der  gene- 
rellen geschöpfte  Annahme,  dass  sich  nicht  die  W^illenshand- 
lungen  aus  Reflexen  entwickelt  haben,  sondern  dass  im  Gegen- 
theil  die  zweckmässigen  Reflexbewegungen  stabil  und  mecha- 
nisch gewordene  Willenshandlungen  sind"  *).  Die  Nothwen- 
digkeit  dieses  Schlusses  ist  nicht  einzusehen.  Was  den  zwei- 
ten der  erwähnten  Fälle  betrifft,  so  hat  Lotze  die  von  Wundt 
vertretene  Deutung  zuerst  gegeben,  er,  der  doch  die  willkĂĽr- 
lichen Bewegungen  aus  ursprĂĽnglich  unwillkĂĽrlichen  Bewe- 
gungen sich  herausbilden  lässt.  Was  den  ersten  Fall  betrifft, 
so  ist  es  ja  gewiss  denkbar,  dass  complicirtere  Instincthand- 
lungen so  entstanden  sein  können,  aber  dieselben  sind  ja 
nach  Wundt  von  einem  ursprĂĽnglichen  Trieb  ausgegangen. 
Da  fragt  sich  wieder:  ist  der  Trieb  schon  Willenshandlung, 
was  Wundt  bejaht,  die  gewöhnliche  Ansicht  vom  Willen  ver- 
neint, und  zwar,  wie  wir  glauben  gezeigt  zu  haben,  mit  gutem 
Recht  verneint. 

1)  S.  415. 


586  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

Je  mehr  sich  so  immer  wieder  hervordrängt,  dass  der 
Streit  zwischen  der  gewöhnlichen  Ansicht  vom  Willen  und  der 
Wundt'schen  im  Grunde  darauf  zurĂĽckgeht,  dass  Wundt  alle 
innere,  besonders  innere  verstärkende  Thätigkeit  schon  Wille 
nennt,  die  gewöhnliche  Ansicht  nur  eine  viel  mehr  circum- 
stantiirte  Art  innerer  Bethätigung  als  Wille  gelten  lässt,  desto 
mehr  drängt  sich  auch  immer  wieder  die  Erwägung  auf,  was 
mag  Wundt  zu  dieser  seiner  Fassung  gebracht  haben?  was 
mag  er  für  einen  geheimen  Anstoss  an  der  gewöhnlichen  An- 
sicht vom  Willen  genommen  haben  ?  Ich  glaube,  dieser  ge- 
heime Anstoss  lag  in  Folgendem :  Wundt  betont  beim  \Villen 
besonders  das  Gefühl  innerer  Thätigkeit,  innerer  verstärkender 
Thätigkeit,  welches  dann  ein  Streben  nach  dem  einwirkenden 
Reiz  oder  ein  ZurĂĽckziehen  von  demselben  herbeifĂĽhrt.  Nun 
ist  zuzugestehen,  dass  darin  ein  wesentliches  Moment  des 
Willens  erfasst  ist,  es  ist  eben  die  innere  oder  zugleich 
auch  äussere  Bethätigung,  welche  sich  an  Vorstellung  und 
Werthschätzung  anschliesst.  Diese  innere  Bethätigung  als 
Steigerung  des  Festhaltens  oder  Fliehens  ist  in  der  That  auch 
beim  Trieb  schon  da;  sofern  die  Triebe  als  GefĂĽhle,  welche 
sofort  in  Bewegung  oder  Tendenz  zur  Bethätigung  übergehen 
—  diese  Definition  passt  auf  körperliche  und  geistige  Triebe 
gleich  sehr  —  durch  die  mit  ihnen  verbundenen  Bethätigun- 
gen  Befriedigung  herbeifĂĽhren  oder  nicht,  steigert  oder  min- 
dert sich  auch  die  Tendenz  selber.  Muss  man  dies  Moment 
im  Trieb,  das  ja  als  Gefühl  Bewusstsein  und  oft  auch  nähere, 
wenngleich  nur  verworrene  Vorstellung  ist,  schon  Wille  nennen, 
so  wĂĽrde  Wundt  Recht  haben.  Aber  ich  glaube,  er  selbst 
nennt  das  im  concreten  Falle  nicht  so,  wie  er  es  nach  seiner 
Theorie  mĂĽsste.  Wundt  hat  ĂĽberaus  trefiflich  von  einigen 
Trieben  gehandelt  S.  202.  Dort  nennt  er  den  Geschlechts- 
trieb den  einzigen  Fall,  wo  uns  ĂĽber  die  Entwicklung  eines 
Triebes  aus  eigener  Erfahrung  ein  ürtheil  zustehen  könne. 
Und  schreibt  dann:  „So  sicher  nun  derselbe  zu  den  ange- 
borenen Instincten  gehört,  ebenso  gewiss  ist  es,  dass  die 
sämmtlichen  Vorstellungen,  welche  im  Verlauf  seiner  Ent- 
wicklung zur  Geltung  kommen,  aus  der  Erfahrung  herstam- 
men.   Selbst  die  extremsten  Anhänger  der  angehörten  Ideen 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  587 

werden  nicht  geneigt  sein,  dem  Menschen  eine  angeborene 
Kenntniss  der  GeschlechtsdiflFerenz  zuzuschreiben,  und  den- 
noch wĂĽrde  diese  Annahme  ebenso  nothwendig  sein,  wie  die 
angeborene  Vorstellung  der  Mutterbrust  beim  Säugling.  Wo- 
rin bestehen  denn  aber  diejenigen  Elemente,  die  wir  bei  allen 
diesen  Instincten  wirklich  als  die  angeborenen  anzusehen 
haben?  Zunächst  und  unmittelbar  nur  in  der  in  unserer  Or- 
ganisation gegebenen  Anlage  zur  Entstehung  bestimmter  Ge- 
meinempfindungen und  zur  Association  bestimmter  Bewegun- 
gen mit  diesen  Gemeinempfindungen :  Angeboren  ist  dem  neu- 
geborenen Kinde  wie  dem  neugeborenen  HĂĽhnchen  nur  die 
Fähigkeit,  Hunger  zu  empfinden  und  die  Verbindung  dieser 
Gemeinempfindung  mit  bestimmten  Bewegungen  —  —  — 
(S.  203);  aber  von  der  Mutterbrust  besitzt  der  Säugling 
ebensowenig  eine  angeborene  Vorstellung,  wie  das  HĂĽhnchen 
von  den  Körnern,  die  es  fressen  wird.  Bei  beiden  ist  daher 
in  der  That  die  AusĂĽbung  des  Nahrungstriebes  das  gemein- 
same Erzeugniss  ursprĂĽnglicher  Anlagen  der  Organisation  und 
frĂĽhester  Lebenserfahrung."  Aber  muss  man  dann  nicht  fort- 
fahren: und  eben  darum  sprechen  wir  Anfangs  bloss  von 
einem  Trieb  zur  Nahrung  bei  dem  Säugling,  und  von  einem 
Willen  zur  Nahrung  erst  dann,  wenn  durch  wiederholte  Be- 
friedigung des  Triebes  in  Folge  äusserer  oder  innerer  Reize, 
die  aber  als  solche  gar  nicht  zum  Bewusstsein  zu  kommen 
brauchen,  die  Vorstellung  nicht  nur  der  Nahrung,  sondern 
auch  das  GefĂĽhl  der  dadurch  zu  gewinnenden  Befriedigung 
entsteht  und  darauf  hin  Bethätigung  zur  Realisirung  dieses 
ganzen  bihaltes  eintritt  ?  Freilich  der  Volkssprachgebrauch  sagt 
auch  vom  schreienden  Säugling,  der  kaum  zur  Welt  gekom- 
men, er  will  trinken;  aber  er  sagt  auch  von  Pflanzen,  die 
nur  an  feucht -schattigen  Stellen  leben,  sie  suchten  dieselben 
auf,  und  vom  zurechtgemachten  Ofen,  wenn  das  Feuer  aus 
irgend  einem  Grunde  nicht  angeht,  er  wolle  nicht  brennen. 
Diesen  Sprachgebrauch  hat  Wundt  nicht  etwa  aufnehmen 
wollen,  sondern  ihm  schwebt  immer  vor,  dass  bei  der  Trieb- 
bewegung das  LustgefĂĽhl  die  Bewegung  steigert,  und  diese 
so  steigernde  innere  Bethätigung  ist  ihm  dann  Wille.  Das 
ist  allerdings   ein  Element   des  Willens   und  zwar  ein  sehr 


588  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

wesentliches,  aber  trotzdem  werden  wir  doch  von  Wille  erst 
reden,  wenn  nicht  bloss  thatsächlich  ein  Lustgefühl  mit  dieser 
Steigerungswirkung  da  ist,  sondern  aus  dem  ganzen  Erlebniss 
sich  die  bezĂĽgliche  Vorstellung  mit  ihrem  LustgefĂĽhl  heraus- 
gebildet hat  und  nun  die  entsprechende  Bethätigung  selbst 
wachruft;  denn  nur  dieser  Sinn  von  Wille  entspricht  dem 
herrschenden  Sprachgebrauch  des  gebildeten  Lebens  und  der 
Wissenschaft.  Das  kann  man  Wundt  zugeben,  dass  jdas  er- 
innerte Lustgefühl  mit  daraus  entspringender  Bethätigung 
sehr  frĂĽh  im  Leben  der  Menschen  und  Thiere  eine  Rolle 
spielt,  selbst  wo  die  Vorstellung  noch  sehr  schwach  und  ver- 
worren ist,  etwa  bloss  im  Anblick  der  Amme,  der  Mutter- 
brust, der  Flasche,  bei  Thieren  im  Geruch  einer  Speise  be- 
steht; aber  dass  der  Wille  sehr  frĂĽh  in  noch  elementarer 
Fassung  wirksam  ist,  macht  ihn  darum  nicht  zu  dem  Ur- 
sprĂĽnglichen gegenĂĽber  den  Trieben,  sondern  diese  elemen- 
taren Formen  sind  eben  die  Stufen,  wie  sich  der  Wille  aus 
den  Trieben  entwickelt,  und  werden  gerade  bei  der  gewöhn- 
lichen Ansicht  vom  Willen  gefordert. 

Zum  Schlu.ss  muss  ich  noch,  und  zwar  sehr  eingehend, 
auf  einen  Punkt  kommen,  von  dem  ich  fĂĽrchte,  dass  er  auf 
Wundt's  Willenslehre  stark  eingewirkt  hat,  und  der  etwa  so 
ausgedrĂĽckt  werden  kann,  dass  der  Metaphysiker  Wundt  dem 
physiologischen  Psychologen  Wundt  Gedanken  und  Feder  etwas 
geleitet  hat.  Wo  Wundt  S.  410  von  der  Lotze'schen  Herlei- 
tung der  willkĂĽrlichen  Bewegungen  aus  ursprĂĽnglich  unwill- 
kürlichen spricht,  macht  er  die  Bemerkung:  „Die  Vorstellung, 
dass  fertige  Reflexapparate  von  verwickelter  Einrichtung  der 
Seele  zur  VerfĂĽgung  gestellt  werden,  ist  nur  auf  Grund  einer 
Anschauung  vollziehbar,  welche  in  Gartesianischer  Weise  die 
Verbindung  von  Seele  und  Körper  als  eine  äussere  und  me- 
chanische ansieht,  die  jeden  Augenblick  ohne  wesentlichen 
Nachtheil  fĂĽr  beide  hergestellt  und  getrennt  werden  kann." 
Ich  glaube  zunächst,  dass  Wundt  hier  ohne  Noth  die  Meta- 
physik hineinzieht;  denn  z.  B.  Bain,  der  die  gleiche  Lehre 
und  am  ausfĂĽhrlichsten  vertreten  hat,  wird  kaum  einer  sol- 
chen Denkweise  huldigen.  Aber  die  Stelle  deutet  doch  an, 
dass  Wundt  die  Vorstellung  auch  darum  nicht  will,   weil  sie 


Baumann:  Wandt*s  Lehre  vom  Willen  etc.  589 

ihm  Leib  und  Seele  nicht  eng  genug  zusammenfasst.  In  der 
Thal  glaubt  Wundt  gerade  seine  Willenslehre  auch  metaphy- 
sisch verwerthen  zq  können.  Er  meint:  „Schon  die  Verglei- 
chung  der  psychischen  Lebensäusserungen  in  der  Thierwelt 
fährt  zu  der  Annahme  einer  Entwicklungsreihe  individueller 
Bewusstseinsformen,  welche  von  einfachsten  Triebhandlungen 

übereinstimmender  Art  ausgeht. '—  Diejenige  psychische 

Function  aber,  fĂĽr  deren  Aeusserungen  das  genetische  Princip 
seine  umfassendste  Geltung  gewinnt,  ist  der  Wille.  Von  den 
einfachsten  zu  den  verwickeltsten  Willenshandlungen  fĂĽhrt 
eine  stetige  Entwicklungsreihe,  in  deren  Glieder  alle  anderen 
psychischen  Entwiekelungen  wirkungsvoll  eingreifen"  *).  Er 
argumentirt  nun  so:  „Als  das  wirkliche  Element  aller  geisti- 
gen Functionen  wird  diejenige  Thätigkeit  anzuerkennen  sein, 
bei  welcher  Empfindung  und  Wille  in  ursprĂĽnglicher  Verbin- 
dung wirksam  sind.  Diese  ursprungliche  Thätigkeit  ist  aber 
—  —  der  Trieb"*).  „Der  Trieb  als  psychisches  Grundphä- 
nomen enthält  die  Bewegung  zunächst  nur  als  Bewegungs- 
empfindung, dann  in  Folge  der  in  der  Vorstellungsbildung 
sich  vollziehenden  Triebentwickelung  als  Vorstellung  der  Be- 
wegung. Nun  ist  aber  die  Unterscheidung  zwischen  der  wirk- 
lichen Bewegung  und  ihrer  Vorstellung  erst  ein  spät  voll- 
zogener Unterscheidungsact  des  Bewusstseins:  die  Macht  des 
WiDens  über  die  Bewegungen  des  Körpers  bildet  daher  von 
Anfang  an  einen  integrirenden  Bestandtheil  der  inneren  Er- 
fahrung"^). „Durch  die  Bewegung,  die  er  herbeiführt,  wirkt 
der  Trieb  zurĂĽck  auf  die  physische  Organisation,  und  er  hin- 
terlässt  an  dieser  jene  bleibenden  Spiu*en,  welche  zunächst 
die  Erneuerung  der  Triebbewegung  erleichtem,  dann  aber, 
indem  sich  die  RĂĽckwirkungen  anderer  Triebhandlungen  hin- 
zugeseUen,  die  Entstehung  verwickelterer  Triebäusserungen 
gestatten.  BegĂĽnstigt  wird  ausserdem  diese  Ent Wickelung 
durch  den  früher  geschilderten  allmäliehen  Uebergang  von 
Triebbewegungen  in  rein  mechanische  Reflexe  und  Mitbewe- 
gungen, welche  nun  eine  mehr  und  mehr  sich  vervoUkomm- 

1)  S.  441. 
ä)  S.  455. 
3)  S.  456-7. 


590  Baumann:  Wundt*8  Lehre  Toro  Willen  etc. 

nende  Verwerthung  der  körperlichen  Bewegungsmittel  gestat- 
ten.    So   werden  wir  zu  der  Auffassung  gedrängt,   dass  die 
physische  Entwicklung  nicht   die  Ursache,    sondern  vielmehr 
die  Wirkung  der  psychischen  Entwicklung   ist.     Die 
körperliche  Organisation  liefert  die  durch  die  psychische  Ent- 
wicklung der  frĂĽheren  Geschlechter,   zu  einem  kleinen  TheQ 
auch  durch  die  individuelle  Bewusstseinsentwicklung  erwor- 
benen Anlagen.    Jene  uralte  animistische  Auffassung,  welche 
zuerst  Aristoteles  in  die  berĂĽhmte  wissenschaftliche  Definition 
der  Seele  als   der  „ersten  Entelechie  des   lebenden 
Körpers"  zusammenfasste,    erweist  sich,    in  freilich  verän- 
derter Gestalt,  als  die  einzige,  die  das  Problem  der  geistigen 
und  der  körperlichen  Entwicklung  gleichzeitig  zu  erleuchten 
verspricht.    Nur  die  Voraussetzung,  dass  die  psychische  Ent- 
wicklung den  Körper  geschaffen  hat,    macht  die  trotz  aller 
antiteleologischen  Neigungen  der  heutigen  Biologie  nicht  abzu- 
weisende Thatsache    der   Zweckmässigkeit    aller  Lebens- 
erscheinungen begreiflich.     Diese  Zweckmässigkeit  hat  eben 
darin  ihren  Grund,  dass  ein  Theil  der  Lebenserscheinungen, 
die   bewussten  Willenshandlungen,    unmittelbar   aus   Zweck- 
motiven  entspringen,    der   andere   grössere   Theil    derselben 
aber  gleichsam  aus  versteinerten  ĂĽeberresten  vormaliger  Zweck- 
handlungen besteht.   Dies  schliesst  nicht  aus,  dass  auch  noch 
durch  das  Zusammenwirken  äusserer  Verhältnisse  Resultate 
herbeigeführt  werden  können,   die   wir   eben  mit  Rücksicht 
auf  diese  Verhältnisse  als  zweckmässige  betrachten  müssen, 
wie  wir  ja  schon  in  der  unorganischen  Natur  von  einer  der- 
artigen Anwendung  des  Zweckprincips  Gebrauch  machen  kön- 
nen.    In  der  That  gehört  ein  grosser  Theil  der  von  Darwin 
hervorgehobenen   Anpassungen  vorzugsweise  hierher.     Doch 
dürften  solche  Verhältnisse  in  der  organischen  Natur  immer- 
hin  eine   relativ  untergeordnete  Rolle  spielen  gegenĂĽber  den 
aus  der  psychischen  Entwicklung  der  organischen  Wesen  her- 
vorgehenden  Zweckmotiven"*).     „Nur   in   einer   Beziehung 
scheint  fĂĽr  die  ZurĂĽckfĂĽhrung  der  physischen  auf  die  psy- 
chische Entwicklung  eine  LĂĽcke  zu  bleiben,  welche  die  psy- 


1)  S.  457  und  8. 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  591 

chologische  Beobachtung  niemals  hoffen  darf  auszufĂĽllen.  Nir- 
gends lässt  die  £rfalu*ung  mit  zureichender  Sicherheit  den 
Schluss  zu,  dass  Triebe  —  sofern  wir  diesem  Begriff  über- 
haupt die  Bedeutung  lassen,  in  der  er  fĂĽr  die  Psychologie 
verwerthbar  ist  —  auf  die  Entwicklung  der  Pflanzen  Ein- 

fluss  gewinnen. (Doch)  scheinen  manche  Erscheinungen 

des  Pflanzenlebens  darauf  hinzuweisen,  dass  sie  einer  psy- 
chischen Grundlage  nicht  ganz  entbehren.  Abgesehen  von 
denjenigen  Lebenserscheinungen,  die,  wie  die  Geschlechtsfunc- 
üonen,  in  Formen  auftreten,  die  äusserhch  den  entsprechen- 
den Triebäusserungen  der  Thiere  durchaus  verwandt  sind, 
ist  hier  besonders  auf  die  Thatsache  hinzuweisen,  dass  jene 
niedersten  Wesen,  mit  denen  die  Entwicklung  der  Pflanzen 
wie  der  Thiere  beginnt,  in  ihren  Lebensäusserungen  den  Thieren 
verwandter  sind,  so  dass,  wie  solches  auch  mit  RĂĽcksicht 
auf  die  Stoffwechselvorgänge  schon  betont  worden  ist  (Pflü- 
ger, in  seinem  Archiv  X,  S.  305),  die  Pflanzen  als  ein- 
seitig entwickelte  Thiere  erscheinen.  Die  psychische 
Entwicklung  kömite  bei  ihnen  in  einer  frühen  Lebensperiode 
stillgestanden  sein  und  zu  fest  bleibenden  Residuen  ursprĂĽng- 
licher Triebhandlungen  gefĂĽhrt  haben,  worauf  die  weitere 
Ausbildung  der  Organisation  der  Einwirkung  äusserer  Lebens- 
bedingungen anheimfieP^  ^).  Zu  diesen  Betrachtungen  hat  nun 
abschliessend  nach  Wundt  noch  der  psychophysische  Stand- 
punkt hinzuzutreten,  d.  h.  die  Betrachtung,  dass  laut  der  Er- 
fahrung sich  nichts  in  unserem  Bewusstsein  ereignet,  was 
nicht  in  bestimmten  physischen  Vorgängen  seine  sinnliche 
Grundlage  fände").  „Wie  der  physikalische  Standpunkt  als 
elementare  Eigenschaft  der  Substanz  die  Bewegung  ver- 
langt, je  nach  Umständen  oder  der  besonderen  Richtung  der 
Theorien  die  Bewegung  selbst  oder  die  Fähigkeit,  Bewegung 
hervorzubringen,  so  verlangt  der  psychophysische  Standpunkt, 
dass  die  bewegte  Substanz  zugleich  Trägerin  sei 
des  psychischen  Elementarphänomens,  des  Trie- 
bes.    In  diesem  liegt  aber  an  und  fĂĽr  sich  schon  die  Bezie- 


1)  S.  468. 

2)  S.  459. 


592  Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc. 

hung  zu  der  physischen  Elementarerscheinung,  zur  Bewegung. 
Jede  Bewegung  wird  daher  vom  psychophysischen  Standpunkte 
aus  aufgefasst  werden  können  als  Triebäusserung,  denmach 
als  ein  Vorgang,  der  in  seiner  äusseren  Erscheinung  einer 
Empfindung  entspricht,  die  ihn  begleitet  und  die  in  ihrer  Be- 
schaflfenheit  mit  der  Bewegung  veränderlich  ist"*).  „Da  wir 
zu  den  Lebensäusserungen,  welche  die  complexen  Substanzen 
der  organischen  Natur  entwickeln,  inunerhin  in  den  einfacheren 
Gestaltungen  der  leblosen  Natur  die  Vorbedingungen  voraus- 
setzen mĂĽssen,  so  wird  auch  ,die  Annahme  nicht  zu  umgehen 
sein,   dass  in  dem  einfachsten  Substanzelement,    dem  Atom, 

elementarste  Triebformen  bereits  vorgebildet  seien. 

Angemessener  vielleicht  wäre  es,  bei  ihnen  nur  von  einer 
Triebanlage  zu  reden,  von  einem  inneren  Zustand,  der 
unter  hinzutretenden  gĂĽnstigen  Bedingungen  zum  Triebe  wer- 
den kann,  und  bei  dem  vorläufig  nur  der  äussere  Bestand- 
theil  des  letzteren,  die  Bewegung,  uns  erfassbar  ist.  Was 
aber  jenen  Zuständen  der  Substanzelemente  fehlt,  um  als 
Triebe  im  psychologischen  Sinne  gelten  zu  können,  das  ist 
ihr  innerer  Zusammenhang,  die  Continuität  und  Ver- 
bindung der  Zustände,  die  uns  als  Bedingung  des  Bewusst- 

seins  gilt"*). In  der  That  bietet  hierfĂĽr  (fĂĽr  das 

letztere)  schon  die  einfache  Thatsache,  dass  Bewusstseins- 
erscheinungen  nur  an  den  complicirtesten  Verbindungen  der 
organischen  Natur  hervortreten,  einen  augenfälligen  Beleg.  Da- 
durch wird  aber  auch  die  psychophysische  Erklärung  genö- 
tUgt,  das  Auftreten  der  psychischen  Lebensäusserungen  mit 
der  Natur  jener  organischen  Substanzverbindungen,  an  denen 
sie  hervortreten,  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Gerade  dies 
hat  die  monadologische  Hypothese  versäumt.  Indem  sie  einem 
einzelnen  Substanzelement,  einem  psychischen  Atom,  BewĂĽsst- 
sein  in  jeder  möglichen  Entwicklungsform  zuschreibt,  lässt 
sie  die  Gebundenheit  der  psychischen  Lebensäusserungen  an 
bestimmte  organische  Lebensformen  als  zufalliges  Ereigniss 
oder  imerklärliches  Wunder  erscheinen,  und  wird   sie  gleich 


IJ  S.  460-1. 
2)  S.  461. 


Baumann:  Wundt^s  Lehre  vom  Willen  etc.  593 

unfähig,  die  psychische  wie  die  physische  Entwicklung  be- 
greiflich zu  machen"  *).  „Das  Bewusstsein  mit  seinen  man- 
nichfaltigen  und  doch  in  durchgängiger  Verbindung  stehenden 
Zuständen  ist  für  unsere  innere  Auffassung  eine  ähnliche 
Einheit  wie  für  die  äussere  der  leibliche  Organismus,  und  die 
durchgängige  Wechselbeziehung  zwischen  Physischem  und  Psy- 
chischem fĂĽhrt  zu  der  Annahme,  dass,  was  wir  Seele 
nennen,  das  innere  Sein  der  nämlichen  Einheit  ist, 
die  wir  äusserlich  als  den  zu  ihr  gehörigen  Leib  an- 
schauen"*). „Diese  Auffassung  des  Problems  der  Wechsel- 
beziehung fĂĽhrt  aber  weiterhin  unvermeidlich  zu  der  Voraus- 
setzung, dass  das  geistige  Sein  die  Wirklichkeit  der  Dinge, 
und  dass  die  wesentlichste  Eigenschaft  derselben  die  Ent- 
wicklung ist.  Das  menschliche  Bewusstsein  ist  fĂĽr  uns  die 
Spitze  dieser  Entwicklung:  es  bildet  den  Knotenpunkt  im 
Naturlauf,  in  welchem  die  Welt  sich  auf  sich  selber  be- 
sinnt" «). 

Der  allgemeine  Sinn  dieser  Darlegungen  Wundt's  ist  nicht 
misszuverstehen;  anknĂĽpfend  an  seine  Lehre  vom  Willen  sieht 
er  als  eine  Urthatsache  an,  dass  Empfindung  und  Bewegung 
in  jedem  Weltelement  zusammen  sind,  so  zwar,  dass  Empfin- 
dung zugleich  Bewegung  ist  und  Bewegung  Empfindung,  aber 
doch  auch  wieder  so,  dass  das  Psychische  gleichsam  das 
Primäre  und  eigentlich  Wesentliche  ist.  Denjenigen,  welche 
von  der  Seele  bewusste  Bewegung  nur  indirect  ausgehen 
lassen  (monadologische  Hypothese),  wird  entgegengehalten, 
dass  sie  die  durchgängige  Gebundenheit  des  geistigen  Lebens 
an  organische  Substanzverbindungen  nicht  genĂĽgend  berĂĽck- 
sichtigen. 

Es  ist  schwer,  sich  mit  einer  Metaphysik  auseinander- 
zusetzen, die  mehr  gelegentlich  und,  man  kann  wohl  sagen, 
plötzlich  vorgetragen  wird  und  nothwendig  darum  in  Thesen 
und  Begründung  nur  prägnante  Andeutungen  gibt.  Das  An- 
gemessene wird  daher  sein,  die  Einwendungen  und  Gegen- 
aufstellungen gleichfalls  mit  prägnanter  Kürze  zu  geben. 

1)  S.  461-2. 
2}  S.  463. 
3)  S.  464. 

Philosoph.  MonatBhefle  1881«  IX  u.  X.  38 


594  Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc. 

Ich  behaupte  nun  erstens:  der  Gedanke,  von  welchem 
Wundt  dabei  ausgeht,  dass  Wille  eine  Urthatsache  des  geisti- 
gen Lebens  sei,  ist  nicht  von  ihm  erwiesen  laut  allen  unseren 
früheren  Ausführungen.  Damit  fällt  die  Basis  für  seine  ganze 
Deduction.  Aber  auch  andere  Annahmen,  die  er  macht, 
erleiden  starke  Einwendungen.    Nämlich 

2)  Die  Herleitung  der  Zweckmässigkeit  des  Körpers  von 
der  Seele  kann  einen  doppelten  Sinn  haben.  Der  eigentliche 
Sinn  von  Zweck  ist:  Vorstellung  eines  ZukĂĽnftigen  oder 
noch  nicht  Seienden,  welche  um  ihres  Werthes  willen  Grund 
wird  zu  Bethätigungen,  ihren  Inhalt  zu  verwirklichen.  In  diesem 
eigentlichen  Sinne  kann  Wundt  die  Seele  nicht  die  Ursache 
der  Zweckmässigkeit  ihres  Leibes  nennen;  denn  dann  müsste 
sie  von  Anfang  an  nach  bewussten  Zwecken  handeln,  wie 
wir  es  in  der  Erfahrung  nicht  kennen.  •  Wundt  muss  also 
eine  unbewusste  und  unwillkürliche  zweckmässige  Thätigkeit 
in  ihr  annehmen;  dann  wirkt  sie  aber  nicht  anders,  als  wie 
andere  Elemente  vielfach  auch  wirken,  sie  wirkt  dann  nicht 
als  psychisches  Wesen,  sondern  bloss  als  organisches  oder 
physisches,  und  die  ganze  Frage,  wie  sie  dazu  kommt,  zweck- 
mässig zu  wirken,  bleibt  offen. 

3)  Wundt  sieht  es  als  erwiesen  an,  dass  sich  nichts  in 
unserem  Bewusstsein  ereigne,  was  nicht  in  bestimmten  phy- 
sischen Vorgängen  seine  sinnliche  Grundlage  habe.  Ich  glaube, 
man  hat  allen  Grund,  den  Satz  in  dieser  Ausdehnung  zu 
leugnen.  Unser  ganzes  geistiges  Leben,  dass  wir  ĂĽberhaupt 
denken,  fühlen  und  wollen,  ist  fort  und  fort  körperlich  be- 
dingt, aber  trotzdem  kommen  in  unserem  geistigen  Leben 
eine  Menge  Erscheinungen  vor,  welche  zwar  inmierhin  eine 
Veranlassung,  Gelegenheit  u.  s.  w.  in  unserer  sinnlichen,  d.  h. 
körperlichen  Seite  haben  mögen,  aber  nimmermehr  die  bloss 
psychische  Innenseite  einer  körperlichen  Aussenseite  sein 
können.  Dahin  gehören  z.  B.  die  Begriffe:  Möglich,  Noth- 
wendig,  der  strenge  Begriff  der  Ursache,  der  Formalbegriff 
und  ĂĽberhaupt  die  Voraussetzung  von  Substanzen,  um  nur 
solche  Beispiele  zu  nennen,  bei  denen  die  Sache  unzweifelhaft 
gemacht  werden  kann.  Wundt  selbst  hat  von  dem  Substanz- 
begriff bemerkt :  „Da  ein  diesem  Begriff  entsprechendes  Objed 


Baumann:  Wundt's  Lehre  vom  Willen  etc.  69Si 

nicht  von  uns  unmittelbar  wahrgenommen  werden  kann  und 
da  fortwährend  weitere  Berichtigungen  durch  vollkommene 
Erfahrungen  denkbar  sind,  so  ist  der  Begriff  der  Substanz 
gleichzeitig  metaphysisch  und  hypothetisch^). 

4)  Wenn  nicht  behauptet  werden  kann,  dass  alle  unsere 
geistigen  Zustande  Innenseiten  unserer  körperlichen  Vorgänge 
seien,  so  fallt  die  Basis  fĂĽr  Wundt's  Monismus  weg,  der 
Empfindung  und  Bewegung  ursprĂĽnglich  zusammenfasst.  Wundt 
stĂĽtzt  denselben  gegen  die  monadologische  Hypothese  von  der 
Seele  damit,  dass  nur  im  Zusammenhang  mit  körperlichen 
Substanzverbindungen  seelische  Zustände  vorkämen.  Daraus 
mag  man  immerhin  schliessen,  —  dass  unsere  Seele  nie 
anders  sich  bethätigen  kann,  auch  nach  den  Seiten  ihrer 
Natur,  wo  sie  nicht  bloss  receptiv  ist  (Farbenempfindungen 
u.  s.  w.),  sondern  spontan  (wie  in  den  oben  genannten  Be- 
griffen), als  auf  Anregung  durch  andere  geeignete  Elemente; 
mehr  folgt  daraus  nicht.  Dass  Geist  nicht  anders  wirklich 
sein  könne  als  in  dieser  Verbindung,  und  unsere  Seele  der 
Knotenpunkt  der  Welt  sei,  in  welchem  sie  sich  auf  sich  selbst 
besinne,  das  sind  Verabsolutirungen  der  Wirklichkeit,  wie  sie 
ja  ein  ErbĂĽbel  vieler  Philosophien  zu  sein  scheinen,  die  das 
Wirkliche  zum  allein  Möglichen  und  Nothwendigen  machen, 
wo  das  Wirkliche  sich  nur  als  Wirkliches  präsentirt  und  jene 
geistigen  Reflexionen  der  Möglichkeit  und  Nothwendigkeit  uns 
gar  nicht  zwingen,  etwas  Anderes  dai*aus  zu  machen. 

5)  Wundt  hat  in  der  Einleitung  zu  seinen  abschliessen- 
den Gesichtspunkten  Materialismus  und  Spiritualismus  kritisirt. 
Er  verwirft  den  Materialismus.  Derselbe  Verkenne,  „dass  der 
inneren  Erfahrung  vor  aller  äusseren  die  Priorität  zukonunt, 
dass  die  Objecte  der  Aussenwelt  Vorstellungen  sind,  die  sich 
nach  psychologischen  Gesetzen  in  uns  entwickelt  habend  und 
dass  vor  Allem  der  Begriff  der  Materie  ein  gänzlich  hypothe- 
tischer Begriff  ist,  welchen  wir  den  Erscheinungen  der  Aussen- 
welt unterlegen,  um  uns  das  wechselnde  Spiel  derselben  er- 
klärlich zu  machen ')".  Dem  dualistischen  Spiritualismus  stellt 


1)  n.  S.  453. 

2)  S.  444. 


596  Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc. 

Wundt  die  Schwierigkeit  der  Wechselwirkung  entgegen  *),  dem 
monistischen  Spiritualismus,  der  nur  geistige  Substanzen  kennt '), 
in  seiner  monadologischen  Form,  die  er  allein  fĂĽr  berĂĽck- 
sichtigenswerth  hält,  stellt  er  entgegen,  wie  leicht  solche  An- 
schauungen wieder  dem  vulgären  Dualismus  mit  allen  seinen 
Widersprächen  anheimfallen,  sobald  der  Versuch  gemacht 
werde,  für  das  Problem  der  Wechselwirkung  eine  Erklärung  zu 
finden');  die  monadologische  Vorstellung  mĂĽsste  zu  der  Annahme 
fĂĽhren,  dass  ein  und  dieselbe  Seele  sich  gleichzeitig  an  ver- 
schiedenen Punkten  des  Gehirns  befinde.  Denn  bei  jeder  ein- 
zelnen Vorstellung  wirken  zahllose  elementare  Empfindungen 
zusammen,  denen  Erregungen  verschiedener,  zum  Theil  weit 
auseinander  liegender  Punkte  des  Gentralorgans  entsprechen  *). 
Auf  die  Frage,  warum  das  intuitive  Vermögen  der  Seele  (das 
Vermögen,  innerlich  die  Zustande  der  Monaden  des  Leibes 
zu  empfinden,  ohne  dass  es  fĂĽr  sie  emes  realen  oder 
gar  räumlichen  Zusammenseins  mit  denselben  bedürfe),  auf 
die  Monaden  des  eigehen  Körpers  beschränkt  sei,  bleibt 
auch  bei  der  letzten  Wendimg  des  monadologischen  Gedan- 
kens (Lotze)  das  Wunder  einer  ursprĂĽnglichen  FĂĽgung  die 
einzige  Ausflucht^).  Der  Grundfehler  des  monadologischen 
Spiritualismus  ist,  dass  er  aus  der  Einheit  der  Seele  eine 
Einfachheit  ihres  Wesens  macht,  aber  wenn  der  Organis- 
mus eine  Einheit  ist,  welche  im  Zusammenhang  der  Theile 
besteht,  so  treffen  wir  auch  in  dem  Bewusstsein  sowohl  suc- 
cessiv  wie  gleichzeitig  eine  Mannichfaltigkeit  an,  die  auf  eine 
Vielheit  seiner  Grundlage  hinweist  •).  Zum  Schluss  wird  noch 
einmal  gegen  den  monistischen  Spiritualismus  besonders  auf 
seme  Unfähigkeit  bezüglich  des  Problems  der  Wechselwirkung 
hingewiesen^). 

Das  ist  die  Kritik,   durch  welche  Wundt  sich  Bahn  zu 
seinen  positiven  metaphysischen  Aufstellungen  gemacht  hat 


1)  s. 

445. 

2)  S. 

445. 

3)  S. 

446. 

4)  S. 

446—7. 

5)  S. 

447. 

6)  S. 

447. 

7)  S. 

44o. 

Bauroann:  Wundt*s  Lehre  vom  WiUen  etc.  597 

In  Bezug  auf  die  Kritik  des  Materialismus  sehKesse  ich  mich 
ihm  ganz  an.  Was  die  Kritik  des  Spiritualismus  betrifft,  so 
gestehe  ich  meine  Verwunderung  ĂĽber  die  Bedeutung,  welche 
Wundt  nocli  immer  der  Frage  nach  der  Wechselwirkung  bei- 
legt. Schon  von  Kant  wird  es  als  eine  bekannte  Sache  be- 
trachtet, dass  wir  das  Wie?  der  gegenseitigen  Einwirkungen 
von  Substanzen  ĂĽberhaupt  nicht  einsehen.  Diese  Erkenntniss 
erweckt  zu  haben  ist  ein  Verdienst  von  Hume,  sofern  er 
darauf  hinwies,  dass  wir  das  Wie?  d.  h.  das  innere  Band 
der  Einwirkung  weder  zwischen  Körper  und  Körper,  noch 
zwischen  Körper  und  Geist,  noch  zwischen  den  geistigen  Vor- 
gangen in  uns  einsehen.  Auf  diese  Einsicht  mĂĽssen  wir  also 
ĂĽberhaupt  verzichten,  auch  der  Wundt'sche  Animismus  kann 
nur  statuiren,  dass  die  Seele  als  ursprĂĽnglich  Empfindung  und 
Bewegung  zugleich,  den  Körper  gestaltet  etc.,  ohne  eine  Ein- 
sicht in  das  Wie?  dieses  Vorgangs  zu  eröffnen.  Also  das 
Hauptbedenken  Wundt's  gegen  den  Spiritualismus  ĂĽberhaupt, 
weil  eine  Schwierigkeit  fĂĽr  jede  Ansicht  von  der  Seele,  muss 
wegfallen.  Die  Frage  nach  dem  Sitz  der  Seele,  als  eine  be- 
sondere Schwierigkeit,  kommt  damit  gleichfalls  in  Wegfall; 
denn  Sitz  der  Seele  sollte  doch  so  viel  sein  wie  Ansatzpunkt 
der  Wechselwirkung  der  Seele,  und  dass  die  Seele  als  be- 
wusstes  Vorstellen  und  Wollen  in  besonderer  Weise  an  das 
Gehirn  und  vielleicht  bestimmte  Theile  desselben  gebunden 
ist,  bleibt  auch  bei  Wundt  stehen.  Dass  der  Spiritualismus 
aus  der  Einheit  der  Seele  eine  Einfachheit  gemacht  habe,  ist 
insofern  richtig,  als  er  damit  Theilung  und  Theilbarkeit  aus- 
schliessen  wollte;  eine  substanzielle  Einheit  in  dem  Sinne, 
dass  eine  Verbindung  und  Durchdringung  der  Vorstellungen 
möglich,  gar  nicht  immer  wirklich  ist,  wird  man  zugeben 
mĂĽssen,  die  Argumente  dafĂĽr  gehen  ihrem  Grundgedanken 
nach  bis  auf  Aristoteles  zurĂĽck^).  Das  wirkliche  geistige 
Leben  zeigt  allerdings  eine  Mannichfaltigkeit  und  Vielfältigkeit, 


1)  Aristoteles  de  anima  rll,  11:  ovre  «fij  xs^m^iof^vois  Mix^tn 
xgivsiy  oxi  ixBQOp  ro  yXvxv  rov  Xevxov,  dXXd  Sei  ivl  ti^i  afupat  (f^Aa 
ecyfti.  ovTtü  fiky  yuQ  xay  ei  rov  f^u  iyta  rov  &h  üv  uXa&oiOf  dtfkoy  äy  eZti  ou 
irega  dXXij^y  det  Si  ro  iy  Xiyety  Sri  irsffoy  iriQoy  yaq  ro  yXvxv  rov 
Xivxov'  XiyH  a^  ro  1x^x6*  wne  wc  ^y^h  ovrw  xai  yoei  xai  nh^^Ayerm, 


598  Baumaun:  Wundt^s  Lehre  vom  Willen  etc. 

welche  auf  eine  Mannichfaltigkeit  seiner  Grundlagen  hinweist, 
aber  das  Ich  ist  nicht  immer  bloss  formale  Einheit,  und  selbst 
soweit  es  das  ist,   wird  die  Deutung  auf  eine  centrale,  wenn 
auch  darum  noch  gar  nicht  übermächtige  Monade  nicht  ver- 
mieden werden  können.     Wenn  nun  aber  auch  der  Spiritua- 
lismus in  seiner  herrschenden  Form  nicht  von  Schwierigkeiten 
frei  sein  sollte,    folgt  daraus,   dass   der  Animismus  Wundts 
nicht  noch  mehr  solche  Schwierigkeiten  bietet?    Das  Eigen- 
thĂĽniliche  desselben  ist,  dass  er  Empfindung  und  Bewegung, 
Geistiges  und  Körperliches   in  Eins  zusammenfasst,    so  dass 
im  Menschen  „das,  was  wir  Seele  nennen,    das  innere 
Sein  der  nämlichen  Einheit  ist,    die  wir   äusserlich 
als  den  zu  ihr  gehörigen  Leib  anschauen.'^    Es  ist  ein 
altes  Verfahren  in  der  Philosophie  und  ĂĽberhaupt  der  Mensch- 
heit, zu  glauben,   dass  man  Gegensätze   dadurch  los   werde, 
dass  man  sie  als  Eins  fasst;    da  nun  dem  reinen  Materialis- 
mus sich  Schwierigkeiten  entgegenstellen  und  dem  reinen  Spi- 
ritualismus und  auch  der  Verbindung  beider  sich  Schwierig- 
keiten entgegenzustellen  scheinen,  so  greift  man  zum  Monis- 
mus in  jenem  Sinne.     Aber  es  kann  sich  psychologisch  sehr 
Vieles  als  eine  Idee,  als  eine  rettende  Aussicht  u.  s.  w.  dar- 
bieten, was  man  bei  streng  logischer  Reflexion,  die  doch  der 
oberste  PrĂĽfstein   aller  metaphysischen  Hypothesen   bleiben 
muss,   zu  verwerfen   sich  gezwungen  findet.    Und  da  stehe 
ich  denn  zu  jenen  Hypothesen  so.    Falsch  ist  der  Materialis- 
mus; denn  aus  Materie  als  Grösse  und  Bewegung  kann  man 
Denken  nicht  logisch  ableiten.  Logisch  ableiten  heisst  zeigen, 
dass   die  Inhalte    ĂĽbereinstimmen,   diese  dififeriren  aber  bei 
Materie  und  Denken  offenbar.    Den  monistischen  Spiritualis- 
mus, dem  alles  Geist  ist,  halte  ich  an  sich  für  logisch  mög- 
lich.   Nach  ihm  erscheinen  rein  intensive  Kräfte,   solche,  die 
unserm  Denken,  Fühlen,  Wollen  ähnlich  sind,  und  bloss  in- 
tensiv  auf  unsern  Geist   wirken,    als  Raumgrösse  und  Be- 
wegung.    Nun   schliesst   es   keinen  Widerspruch    ein,    dass 
einem  betrachtenden  Geist  nach   dessen  besonderer  Einrich- 
tung etwas  anderes  erscheint,   als  es  in  sich  ist.     Aber  dass 
der   spiritualistisclie  Monismus   eine  nothwendige   oder  auch 
nur  eine  der  Wirklichkeit  entsprechende  Annahme  sei,  kann 


Baumann:  Wundt*s  Lehre  vom  Willen  etc.  599 

nicht  gezeigt  werden.  Wir  können  nicht  einsehen,  dass  ein 
so  und  so  beschaffener  geistiger  Eindruck  sich  nothwendig  in 
eine  Grössen-  und  Bewegungsvorstellung  umsetzen  müsse,  und 
selbst  die  blosse  Thatsächlichkeit  dieser  Umsetzung  vermögen 
wir  nicht  nachzuweisen;  denn  dazu  mĂĽssten  wir  erst  consta- 
tiren  können,  dass  das  Object  an  sich  geistig  sei  und  uns 
doch,  auf  das  Subject  wirkend,  einen  materiellen  Eindruck 
erzeuge.  Ganz  anders  Hegt  der  Fall  mit  der  Subjectivität 
von  Farben,  Tönen  etc. ;  denn  da  können  wir  aus  der  Wahr- 
nehmung selbst  Indicien  erbringen,  dass  es  genĂĽgt,  als  ihre 
objective  Ursache  Bewegungen  feiner  Materie  anzusetzen. 
Dass  wir  uns  aber  Sein  nicht  anders  denken  könnten  bei 
tieferer  Analyse  denn  als  FĂĽr-sich-sein,  halte  ich  darum  fĂĽr 
keinen  geeigneten  Anhaltspunkt  dieses  Monismus,  weil  wir 
durch  jene  Behauptung  doch  keine  Vorstellimg  bekommen, 
wie  es  in  den  niederen  Thieren,  in  den  Pflanzen,  in  den  un- 
organischen Elementen  innerlich  aussieht;  ja  unser  eigenes 
FĂĽr-sich-sein  kennen  wir  doch  nur  als  bewusstes,  nun  ist 
aber  stets  nur  ein  kleiner  Theil  miseres  Seins  uns  bevnisst 
und  es  gibt  grosse  Zeiten  unseres  Lebens,  in  denen  wir 
keinerlei  bewusstes  Sein  haben,  keinerlei  FĂĽr-uns-sein,  und 
doch  können  wir  ohne  Willkür  nicht  behaupten,  dass  unser 
Sein  in  jenen  Zeiten  oder  nach  jenen  Seiten  aufgehoben  sei. 
Logisch  unhaltbar  ist  der  Monismus,  nach  welchem  Natur 
und  Geist,  Denken  und  mechanische  Bewegung  dasselbe  sind, 
sich  bloss  wie  zwei  Seiten  des  Nämlichen  verhalten  sollen. 
Denn  das  ist  entweder  soviel  wie:  Denken  ist  zugleich  Nicht- 
denken,  und  mechanische  Bewegung  ist  zugleich  Nicht- 
bewegung,  also  ein  formeller  logischer  Widerspruch  in  sich 
selber,  —  oder  der  Ausdruck  zwei  Seiten  des  Nämlichen 
hat  den  Sinn,  dass  man  eine  Substanz  mit  zwei  Kräften 
statuirt,  mechanischer  Bewegung  und  Denken.  Dann  sind 
aber  diese  Kräfte  nicht  dasselbe,  sondern  in  sich  von 
einander  verschieden,  und  wir  haben  einen  willkĂĽrlich  zu- 
sammengeschweissten  universellen  Dualismus,  darum  willkĂĽr- 
lich, weil  die  Natur  uns  keineswegs  ĂĽberall  auch  eine  geistige 
Seite  zeigt  ähnlich  wie  bei  den  Thieren.  Das  sind  die  Gründe, 
warum  ich  bei  einem  gemässigten  Dualismus  verbleibe,   der 


600  Baumann:  WundVs  Lehre  vom  Willen  etc. 

die  Körper  nicht  Descartisch  denkt,  sondern  ihnen  eine  innere 
Natur   zugesteht,    die  aber  darum   nicht  nothwendig  geistig 
anzusetzen  ist;  ausdrĂĽcklich  bekenne  ich,  dass  ich  recht  ne\e 
Schwierigkeiten  dabei  nicht  zu  lösen  im   Stande  bin,  mich 
tröstend,  dass  dieser  Zug  aller  Philosophie  und  Wissenschaft 
bis  jetzt  eigen  war  und  von  recht  respectabeln  Philosophen 
auch  eingestanden  worden   ist,    und  mich  besonders  darauf 
stĂĽtzend,  dass  ich  die  Logik  auf  meiner  Seite  habe  und  keine 
willkĂĽrlichen  Voraussetzungen  mache.     Verbitten  wĂĽrde  ich 
mir  bei  Einwendungen  gegen  diesen  Standpunkt  nur  die  jetzt 
wieder  um  sich  greifende  Postulatenphilosophie ,   welche  ar- 
gumentirt:    wenn  Wissen,  das  wir  doch  als  möglich  denken, 
möglich   sein   soll,    so   muss   man   die   und  die    Annahmen 
machen,  also  z.  B.  die  monistische  oder  sonst  eine.    Solchen 
Argumenten  würde  ich  erwidern :  möglich,  d.  h.  ohne  Wider- 
spruch denkbar,   mag  ja   Wissen   sein,    obwohl,    was  recht 
wenig  bekannt  ist,    selbst  sein  FormalbegriflF  gar  nicht  bei 
allen  Philosophen  derselbe  war  und  ist;    aber  aus  der  logi- 
schen Möglichkeit,   d.  h.  Widerspruchslosigkeit  eines  Begriffs, 
folgt  noch  nicht  die  reale  MögKchkeit  für  uns,  d.  h.  dass  wir 
jenen  logischen   Begriflf  vom  Wissen  auch   in  allen  Thoilen 
realisiren  könnten,  sondern  diese  reale  Möglichkeit  kann  sich 
nur  erweisen  in  den  wissenschaftlichen  und  philosophischen 
Versuchen  selber.    Dass  es  da  noch  an  vielen  Punkten  hapert, 
ist  gewiss,  deshalb  werden  wir  unverdrossen  weiter  arbeiten, 
aber  eben  Wissen  nur  durch  Leistungen,  welche  seinem  Be- 
griflf entsprechen,    fĂĽr   erbracht   halten,    und    nicht    durch 
blosse  Postulate,   deren  Gedankengang  nur  zu   oft   erinnert 
an  das:    „reim  dich,    oder  ich  fress  dich."     Wenn  mir  aber 
Jemand  sagte:    der  unvertilgbare  Trieb  nach  Wissen  in  uns 
bürgt  für  dieses  Triebes  höheren  Ursprung,  und  also  auch  für 
die  Berechtigung  jener  Postulate,   so  mĂĽsste  ich  ihm  sagen: 
Freund,    du  kennst  noch  nicht  die  Elemente  des  Philosophi- 
rens;  denn  du  fängst  mit  Voraussetzungen  an  zu  philosophi- 
ren,   welche  selbst  schon  eine  ganze  fertige  Philosophie  in 
sich  enthalten.   Ich  bemerke  ausdrĂĽcklich,  dass  Wundt  selbst 
solche  Einred.  n  ferne  liegen  vnirden,   aber  man  kann  heut- 
zutage  wieder   allerlei   zu   hören   bekommen.    Aber  Wundt 


Baumann:  WundVs  Lehre  vom  WĂĽlen  etc.  601 

wĂĽrde  vielleicht  einwenden,  so  sei  sein  Monismus  gar  nicht 
gedacht,  wie  ich  ihn  verstanden  hätte;  denn  er  nähme  ja 
die  Zusammenkoppelung  von  Empfindung  und  Bewegung  wie- 
der zurĂĽck  und  lasse  das  Geistige  das  Wesen  der  Dinge  sein. 
Indess  im  Sinne  des  monistischen  Spiritualismus  hat  dies 
Wundt  nicht  gemeint,  denn  den  bekämpft  er  ja  als  unzu- 
länglich. Seine  Absicht  ist  eine  monistische  In  -  Einsfassung 
von  Körperlichem  und  Geistigem,  aber  allerdings  so,  dass 
das  Geistige,  die  Innenseite,  gewissermassen  das  Wesentliche 
ist,  weil  das  unmittelbar  von  jeder  Substanz  erfasst  wird, 
aber  zugleich  soll  doch  von  ihr  auch  unmittelbar  erfasst  wer- 
den, dass  Bewegung  von  ihr  ausgehe,  und  zwar  als  ursprĂĽng- 
lich mit  der  Empfindung  eins.  Es  ist  das  also,  wie  Wundt 
es  selbst  charakterisirt  hat,  ein  animistischer  Monismus,  und 
von  der  logischen  Kritik  dieser  Grundansicht  habe  ich  nichts 
zurĂĽckzunehmen. 

Das  Ergebniss  ist:  Nach  dem  vorherrschenden  Sprach- 
gebrauch des  gebildeten  Lebens  und  der  Wissenschaft  ist 
Wille  der  geistige  Zustand,  wo  mit  Vorstellung  und  Werth- 
schätzung  innere  oder  zugleich  auch  äussere  Bethätigung  zur 
Realisirung  des  werthgeschätzten  Inhalts  oder  zur  Nichtreali- 
sirung  des  in  der  Schätzung  Verworfenen  eintritt.  Nach 
Wimdt  ist  Wille  innere  Thätigkeit  überhaupt,  besonders  aber 
die  Steigerung  innerer  Thätigkeit,  welche  bei  Lust-  oder  Un- 
lustgefühlen  eintritt.  Nach  der  gewöhnlichen  Ansicht  ist  so- 
mit Wille  eine  besondere  Art  der  inneren  Thätigkeit,  nach 
Wundt  ist  Wille  innere,  besonders  verstärkende  Thätigkeit 
ĂĽberhaupt.  Soweit  die  Differenz  ein  blosser  Unterschied  im 
Sprachgebrauch  war,  lag  kein  BedĂĽrfniss  fĂĽr  den  Wundt'schen 
Sprachgebrauch  vor.  Denn  dass  es  innere  und  innere  verstär- 
kende Thätigkeit  gäbe,  hat  die  gewöhnliche  Ansicht  vom 
Willen  nicht  geläugnet,  sie  hat  sie  nur  eben  innere  Thätig- 
keit oder  Spontaneität  genannt.  Aber  es  ist  keine  blosse 
Wortdiflferenz ;  denn  die  gewöhnliche  Ansicht  vom  Willen  wird 
dazu  gefĂĽhrt,  den  Willen  ĂĽberhaupt,  nicht  bloss  die  willkĂĽr- 
lichen Bewegungen,  aus  ursprünglich  unwillkürlichen  Bethäti- 
gungen  (leiblichen  und  geistigen  Trieben  u.  ä.)  sich  heraus- 
bilden zu  lassen.     Erst  sind  ihr  die  logischen,   ästhetischen, 


602       J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  etc. 

sittlichen  Elemente  etc.  spontan  da,  wenn  auch  zum  Theil 
unter  Anregung  von  aussen,  dann  entwickelt  sich  daraus  erst 
der  Wille,  logisch,  ästhetisch,  sittlich  u.  s.  w.  zu  denken  und 
zu  handeln.  Besonders  ausgefĂĽhrt  war  diese  Entwicklung 
des  Willens  an  den  willkĂĽrlichen  Bewegungen,  weil  der  Fall 
am  complicirtesten  liegt.  Wundt  bestreitet  diese  Herleitung 
des  Willens  aus  unwillkĂĽrlichen  geistigen  und  leiblichen  Be- 
thätigungen  mit  aus  dem  Grunde,  weil  ihm  besonders  die 
Herleitung  der  willkürlichen  Körperbewegungen  aus  unwill- 
kĂĽrlichen zum  Dualismus  oder  zur  monadologischen'  Seelen- 
ansicht zu  fĂĽhren  scheint,  die  nach  ihm  fĂĽr  eine  abschlies- 
sende Auffassung  des  seelischen  Lebens  unĂĽberwindliche  Schwie- 
rigkeiten bietet.  Wille  ist  ihm  eine  ĂĽrthatsache  der  letzten 
Elemente  ĂĽberhaupt,  diese  haben  Empfindung  und  Bewegung 
zugleich,  mindestens  der  Anlage  nach,  und  zwar  verhalten 
sich  beide  wie  Innen-  und  Aussenseite.  Dieser  metaphysischen 
Wendung  seiner  Willenslehre  stellten  wir  entgegen  die  logische 
Undenkbarkeit  dieses  animistischen  Monismus,  wenn  er  streng 
gemeint  ist,  und  seine  WillkĂĽrlichkeit,  wenn  er  laxer  ge- 
fasst  wird. 

Göttingen.  Baumann. 


Die  Temittling  der  prineipiellen  fiegensttie  direh  lut's 
Kritik  der  reinen  Temnnft  nnd  der  virtnelle  Apri«rinn 

der  letiteren. 


Es  ist,  zumal  für  die  Anhänger  der  Grundtendenz  des 
Kriticismus,  ĂĽberaus  erfreulich  zu  sehen,  welche  FrĂĽchte  die 
seit  etwa  zwanzig  Jahren  auf  das  Regste  und  Eifrigste  be- 
triebene Eantforschung  gezeitigt  hat. 

Von  allen  Seiten  her  werden  Stimmen  laut,  die  es  sogar 
den  weitesten  Kreisen  zum  Verständniss  bringen  wollen,  was 
es  heisst,  dass  wir  in  diesem  Jahre  die  Säcularfeier  des  Er- 
scheinens von  Immanuel  Kant's  „Kritik  der  reinen  Vernunft** 
begehen,   des  ersten  kritischen  Hauptwerkes,    durch  welches 


J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  etc.       603 

der    VerkĂĽnder   des    kategorischen   Imperativs    unsterblichen 
Ruhm  erworben  hat. 

Von  den  grossen  Zeitungen  in  Deutschland  brachte  die 
jJJIational-Zeitung"  einen  Feuilleton -Artikel  aus  der  bewähr- 
ten Feder  Ed.  Zeller's,  und  die  „Kölnische  Zeitung"  zog  den- 
selben  zum  Theil  aus.  In  P.  Lindau's  „Gegenwai-t"  schrieb 
Prof.  Johann  Volkelt  in  Jena  ein  paar  Aufsätze  über  Kant's 
Kritik  der  reinen  Vernunft;  von  anderen  periodischen  Zeit- 
schriften wird,  wie  ich  höre,  „Nord  und  Süd"  entsprechende 
£ssays  von  Kuno  Fischer  bringen,  während  die  „Grenzboten" 
(in  II,  1881)  bereits  einen  solchen  von  C.  Gerhard  in  Bonn 
unter  der  üeberschrift  „Zum  Jubiläum  eines  Buches"  ent- 
halten. 

Eines  der  bedeutsamsten  Denkmale  wird  aber  Kant  als 
dem  Verfasser  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  in  diesem  Jubel- 
jahre derselben  durch  Dr.  H.  Vaihinger  in  Strassburg  gesetzt, 
indem  er  einen  wissenschaftlichen,  auf  vier  Bände  angelegten 
Commentar  zu  diesem  für  die  ganze  europäische  Philosophie 
epochemachenden  Werke  herausgibt,  von  dessen  erstem  Band 
die  erste  Hälfte  bereits  erschienen  ist.  — 

Und  worin  stimmen  alle  diese  Männer  überein,  die,  durch- 
weg mit  dem  trefflichsten  wissenschaftlichen  RĂĽstzeuge  aus- 
gestattet, fĂĽr  die  von  Kant  hervorgerufene  Revolution  der 
Denkungsart  und  insonderheit  fĂĽr  Bewahrung  und  Ausnutzung 
ihrer  methodischen  Errungenschaften  in  die  Schranken  treten? 
Sie  sind  einig  darin,  dass  wir  in  Kant's  Lehre  eine  Philoso- 
phie zu  erblicken  haben,  welche  die  bis  dahin  in  ihr  vor- 
handenen fundamentalen  Gegensätze  innerlich*  vermittelt  und 
aussöhnt,  sowie  auf  Grund  eines  solchen  Erfolges  zugleich 
den  unvergänglichen  Werth  der  von  jeher  der  gebildeten 
Menschheit  theuren  sittlichen  und  religiösen  Ideale  sicher 
stellt  und  die  Wirklichkeit  eines  vernĂĽnftigen  Reiches  der 
Zwecke  verbĂĽrgt. 

Es  erscheint  daher  als  die  nächste  Forderung,  welche 
an  die  Fortbildner  der  Philosophie  ergeht,  bevor  sie  irgend 
einen  Schritt  weiter  thun,  sich  mit  dem  Wesen  jener  Ver- 
mittlung und  Aussöhnung  innigst  vertraut  zu  machen,  um 
den  Segen  der  in  ihr  gewonnenen  wissenschaftlichen  Errun- 


604       J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  etc. 

genschaft  nicht  leichtfertig  Preis  zu  geben.  Welches  aber 
sind  die  GrĂĽnde  fĂĽr  die  Behauptung,  dass  in  der  Kantischen 
Philosophie  ein  solcher  Segen  enthalten  sei?  Sie  bestehen 
im  Wesentlichen  in  der  Thatsache,  dass  erstlich  die  berech- 
tigten Elemente  des  Dogmatismus  und  Skepticismus,  zweitens 
die  des  Rationalismus  und  Empirismus,  gleichviel  ob  dieser 
intellectualistisch  oder  sensualistisch  gefärbt  sei,  endlich  drit- 
tens auch  diejenigen  des  Spiritualismus  und  Materialismus 
durch  Kant's  Philosophie  als  Glieder  eines  organischen  Ganzen 
verwerthet  wurden.  Verloren  doch  dadurch  jene  frĂĽheren 
Grundrichtungen  philosophischer  Systeme  den  Charakter  ein- 
seitiger Auffassung  in  der  neuen  Welt-  und  Lebensanschauung 
Kant's.  — 

Im  Recht  nämlich  befand  sich  zuvörderst  der  Dogmatis- 
mus, wenn  er  Zutrauen  hatte  zu  der  Befähigung  des  mensch- 
Hchen  Geistes,  die  Dinge  zu  erkennen;  er  irrte  jedoch,  wenn 
er  in  naiver  Weise  den  menschlichen  Geist  unmittelbar  fĂĽr 
einen  Spiegel  derselben  hielt.  Dem  gegenĂĽber  ist  vielmehr 
der  Skeptiker  wohl  befugt,  auf  die  Täuschung  der  Sinne  und 
die  Vorurtheile  des  Verstandes,  sowie  auf  die  Relativität  der 
menschlichen  Erkenntniss  hinzuweisen. 

Gewiss  erkennen  wir  die  Dinge,  jedoch,  sofern  sie  nicht 
von  unserer  Vernunft  hervorgebracht  und  selbst  geistig  sind, 
nicht  unmittelbar,  sondern  wir  bemächtigen  uns  ihrer  nur 
im  Rahmen  der  ursprĂĽnglichen  Bedingungen  unseres  Geistes 
und  nur,  sofern  wir  durch  Nachweisung  der  aus  ihnen  her- 
vorgehenden objectiven  und  gesetzmässigen  Natur  unserer 
Auffassung  derselben  die  letztere  ihrer  individuellen  und  zu- 
falligen Beschaffenheit  in  kritischer  Selbstbesinnung  entklddet 
haben.  Dem  Dogmatismus  und  Skepticismus  gegenĂĽber  er- 
scheint darum  der  Kriticismus  im  Rechte. 

Diese  drei  Arten  speculativer  Anschauung  bezeichnen 
ebenso  viele  Unterschiede  der  Methode.  Aber  nicht  bloss 
diese  letztere,  auch  die  Differenz  ĂĽber  den  Ursprung  unserer 
Erkenntniss,  sowie  die  andere  ĂĽber  den  qualitativen  Ge- 
halt des  in  ihr  erfassten  fundamentalsten  Seins  begrĂĽnden 
einen  weiteren  principiellen  Gegensatz  .der  philosophischen 
Systeme. 


J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  etc.       605 

Was  zuvörderst  die  Abweichung  über  die  Quellen  un- 
serer ÂŁrkenntniss  anlangt,  so  stammt  nach  dem  Rationalisnms 
alles  Wissen  aus  der  Vernunft,  insonderheit  aus  dem  Ver- 
stände und  seinen  reinen  und  in  sich  noth wendigen  Begriffen. 
Die  schärfste  Zuspitzung  erhält  diese  Theorie,  indem  sie  nach 
mathematischer  Exactheit  strebend,  eine  von  jeder  zufalligen 
Anregung  und  jedem  besonderen  Vorkommen  unabhängige 
GĂĽltigkeit  der  Erkenntnisse  lediglich  in  angeborenen  Wahrhei- 
ten und  Vorstellungen  erblicken  zu  können  glaubt.  Ganz 
anders  urtheilt  der  Empirismus.  Im  contradictorischen  Gegen- 
satze zu  diesem  nativistischen  Rationalismus  lässt  er  alle  un- 
sere Einsichten  auf  erworbenen,  im  Laufe  der  Erfahrung  ge- 
wonnenen Vorstellungen  beruhen.  FreiĂĽch  kann  diese  Erfah- 
rung eine  doppelte  sein,  indem  diese  Vorstellungen  entweder 
auf  den  Eindrücken  der  Sinne  oder  auf  den  Thätigkeiten  des 
Verstandes  beruhen.  Wer  beide  Wege  als  gleich  wichtig  an- 
erkennt, ist  schlechthin  Empiriker,  wer  jedoch  nur  den  ersteren 
als  ursprünglichen  Vorstellungsquell  gelten  lässt,  Sensualist, 
während  der,  welcher  diese  Ansicht  vom  Verstände  hat,  In- 
tellectualist  genannt  werden  kann.  Indess  erscheint  nur  der 
Sensualist  als  reiner  Empiriker,  wie  denn  auch  geschichtlich 
Locke's  Anschauung,  die  Verstand  und  Sinne  als  gleichwer- 
thige  Grundlagen  der  Erfahrung  ansah,  zum  Sensualismus  in 
folgerechter  Entwicklung  gefĂĽhrt  hat.  Der  Empiriker  schlecht- 
hin aber,  und  vollends  der  Intellectualist,  halten  mit  ihrer 
Spontaneität  des  Verstandes  an  einem  so  starken  Reste  ur- 
sprĂĽnglicher Seelenkraft  fest,  dass  sie  nolens  volens  doch 
wieder  dem  Rationalismus  verfallen.  Kant  ĂĽberwand  nicht 
bloss  die  Einseitigkeiten  des  Sensualismus  und  Intellectualis- 
mus,  sondern  vor  Allem  auch  den  schärfsten  und  umfassend- 
sten Gegensatz,  welchen  er  in  den  Ansichten  ĂĽber  den  Ur- 
sprung der  Erkenntnisse  vorfand,  nämlich  den  Gegensatz 
zwischen  jenem  nativistischen  Rationalismus  und  dem  so  zu 
sagen  psycho  -  historischen  Empirismus,  indem  er  ihn  durch 
semen  virtuellen  Apriorismus  beseitigte.  Er  bewerk- 
stelligte dies  dadurch,  dass  er  zuvörderst  zugab,  dass  ohne 
Erfahrung  keine  streng  wissenschaftliche  und  im  eigentlichen 
Sinne  theoretische  Erkenntniss  möglich  sei.     Ja  er  ging  in 


606       J.  Witte:  Die  VermittluDg  der  principieUen  Gegensätze  etc. 

diesem  Zugestandnisse  sogar  noch  weiter ;  denn  da  der  Inhalt 
solcher  Erkenntniss  stets  auf  Wahrnehmungen  beruhe,  die 
der  Empfindung  und  sinnlichen  Auffassung  bedĂĽrfen,  so  ist 
er  erstlich  der  Ueberzeugung,  dass  die  Sinne  ein  unentbehr- 
licher Quell  jedweder  theoretischen  Einsicht  sind.  Indess  wir 
wĂĽrden  diese  SinneseindrĂĽcke  nicht  zu  ordnen  im  Stande  sein, 
noch  sie  als  constanten  Besitz  dem  Geiste  einverleiben  kön- 
nen, ohne  dass  in  unserem  Gemuthe  gewisse  Formen  der 
reinen  inneren  Anschauung  bereit  lägen,  und  wir  würden  sie 
überdies  nicht  auf  Gegenstände  zu  beziehen  und  in  Urtheilen 
zu  verwerthen  vermögen,  welche  Aussagen  über  deren  be- 
ständiges Wesen  und  gesetzmässigen  Zusammenhang  enthiel- 
ten, falls  es  nicht  ursprĂĽngliche  Bedingungen  des  Verstandes 
gäbe,  die  so  etwas  möglich  machten.  Darum  ist  auch  femer  dem 
InteUectualismus  zuzugestehen,  dass  der  Verstand  und  die  Refle- 
xion eine  unveräusserliche  Grundlage  der  Erkenntniss  ausmache. 
Es  gibt  also  freilich  sowohl  Functionen  der  Sinne  als 
auch  solche  des  Verstandes,  ohne  die  kein  Wissen  möglich 
ist.  Darin  haben  InteUectualismus  und  Sensualismus,  darin 
eben  deshalb  auch  der  Empirismus  Recht.  Aber  nicht  in  diesen 
Leistungen  der  Sinne  und  des  Verstandes  und,  da  letztere  in 
der  Hauptsache  auch  die  Erfahrung  bewirken,  auch  nicht  in 
dieser  ist  der  Schatz  eines  wahrhaften  Wissens  erschöpft.  Denn 
weder  die  Sinne  noch  der  Verstand  könnten  so  functioniren, 
besässe  der  Geist  nicht  ursprüngliche  Vermögen,  die  ihn  dazu 
geschickt  machten,  den  Erfahrungsstoff  in  so  normaler  Weise 
aufzunehmen  und  des  Weiteren  zu  einem  eigenthĂĽmlichen  Be- 
sitze auf  dieselbe  Art  zu  verarbeiten.  Dem  Geiste  wohnen 
daher  zwar  nicht  durch  die  Geburt,  aber  doch  mit  der  Ge- 
burt verliehene  ursprüngliche  Kräfte  bei,  d.  h.  Fähigkeiten, 
stets  auf  ganz  dieselbe  Weise  sein  beständiges  ewiges  Wesen 
in  bestimmter  Richtung  auf  besondere  Anlässe  zu  bethätigen. 
Solche  Fähigkeit  zu  constanten  Veränderungen  oder  zur  Er- 
regbarkeit in  bestimmter  Richtung  ist  eine  Grundkraft  oder 
ein  Vermögen.  Der  Nativismus  ist  im  Unrecht,  wenn  er  an- 
geborene Ideen,  Urtheile  oder  gar  Erkenntnisse,  die  sänunt- 
lich,  worin  dem  Empirismus  beizupflichten  ist,  der  Vermitt- 
lung der  Erfahrung  bedĂĽrfen,  annimmt;  aber  er  ist  im  Recht, 


J.  Witte:  Die  VermittluDg  der  principiellen  Gegensätze  etc.       607 

wenn  er  die  Seele  nicht  als  tabula  rasa,  die  (man  weiss  nicht 
von  wem)  mit  SinneseindrĂĽcken  oder  Verstandesbegriflfen  be- 
schrieben werden  soll,  gelten  lässt,  sondern  darauf  besteht, 
einen  von  jedweder  Erfahrimg  und  ihren  Zufälligkeiten  un- 
abhängigen und  bestandigen  Kern  des  Geistes  anzunehmen. 
Nur  „angeboren^'  darf  derselbe  nicht  sein,  wenigstens  nicht, 
was  Kant  sogar  wörtlich  abweist,  als  eine  Art  von  subjecti- 
ver,  „uns  mit  unserer  Existenz  zugleich  eingepflanzter  An- 
lage^\  Nicht  eine  fertige  Anlage,  sondern  eine  ursprĂĽng- 
liche, unerschöpfliche  und  wahrhaft  schöpferische  Grundkraft, 
ein  geistiges  Urvermögen  ist  in  allem  zu  sehen,  was  Kant 
a  priori  nennt  und  als  etwas,  das  dem  Wesen  und  Quell 
nach  von  Erfahrung  unabhängig  ist,  angesehen  wissen  will. 
Jene  subjective  fertige  Anlage  wäre  ein  individuell  beschränk- 
ter und  in  bestimmten  Zeitpunkten,  hier  in  dem  der  Geburt, 
abgeschlossener  Besitz;  dieses  apriorische  Vermögen  jedoch 
bedeutet  ein  geistiges  Eigenthum,  welches  ein  ewiges  Sein 
und  Werden  darstellt,  das  mit  nie  versiegender  Substanz  und 
Kraft  sich  stets  aus  seinem  unergrĂĽndlichen  Quell  selbst  er- 
neut und  dieses  Wesen  gegenüber  Anderem  bewährt.  Nur 
weil  solche  Vermögen  aus  einem  ewigen  Sein  und  Leben 
stammen,  können  sie  auch  das  Beständige  im  Dasein  imd  in 
dem  Wandel  der  Erscheinungen  erfassen  und  in  sie  einbilden. 
Subjective  Anlagen  könnten  nicht  objective  Bedeutung  gewin- 
nen, denn  ihr  Ursprung  liegt  in  der  Erfahrung;  apriorische 
Vermögen  können  dies,  denn  ihr  Ursprung  liegt  in  der  Ewig- 
keit; sie  stammen  von  Ewigkeit  her,  wie  sie  wirksam  sind 
in  Ewigkeit  hin.  Sie  sind  „angeboren*  \  insofern  durch  sie 
zugleich  mit  der  Geburt  sich  das  ewige  Wesen  des  Geistes 
in  eine  besondere,  einen  Leib  durchdringende  seelische  Indi- 
vidualität hineingesenkt  hat.  Aber  auch  solche  nunmehr  in 
der  Seele  enthaltene  geistige  Vermögen  sind  keine  fertigen 
Anlagen  und  kein  ruhender  Besitz,  sondern  in  unermĂĽdlicher 
Lebendigkeit  sprudekide  Quellen  der  Wahrheit.  Kein  Inhalt 
einer  Erkenntniss  ist  also  als  ein  vollendeter  Besitz,  derjenige 
der  tiefsten  und  allgemeinsten  Wahrheiten  sogar  am  Wenig- 
sten, von  Haus  aus  in  der  Seele  enthalten;  nicht  actuell, 
nur  virtuell  ist  diese  Träger  ewiger  Wahrheiten. 


60ß       J.  Wille:  Die  Vennillluiig  der  principiellen  Gegensätze  etc. 

Von  Platon's  Ideen,  von  den  mittelalterlichen  Universalia 
ante  rem,  von  des  Cartesius'  und  der  frĂĽheren  Rationalisten 
ideae  innatae,  von  des  Leibniz'  id^es  innres  seines  Systems 
praeformirter  Begriffe  gilt  es  in  gleicher  Weise,  dass  sie  sämmt- 
lich  ein  nativistisches  und  als  solches  actuelles  Apriori  dar- 
stellen; im  Gegensatze  zu  allen  diesen  ist  Kant's  Apriori  eine 
ursprĂĽngliche  Erwerbung  oder  ein  virtuelles  Apriori.  In 
dieser  Eigenschaft  liegt  seine  specifische  Differenz. 

Gerade  an  diesem  Punkte  zeigt  es  sich  aber,  wie  fruchtbar 
die  Weite  von  Kant's  philosophischem  ĂĽmblick,  die  seltene 
Ausdehnung  seines  speculativen  Horizontes  werden  sollte.  Oder 
hätte  er  solche  Versöhnung  zwischen  den  Gegensätzen  in  Rück- 
sicht der  Anschauungen  ĂĽber  den  Ursprung  der  Erkenntniss 
herbeiführen  können,  wenn  ihm  nicht  zu  gleicher  Zeit  die 
Unterschiede  derselben  rĂĽcksichtlich  der  Methode  und  die 
Beziehung  jener  zu  diesen  deutlich  vor  Augen  gestanden 
hätten?  Beide  Gesichtspunkte  vereinigte  er  in  seinem  energi- 
schen Denken.  Der  Kriticismus  konnte  nur  deshalb  mit  der 
Behauptung  eines  Rahmens  fĂĽr  die  Dinge,  der  sich  in  ur- 
sprĂĽnglichen Bedingungen  des  Geistes  darstelle,  hervortreten 
und  auf  solche  als  auf  die  Mittel  zur  Scheidung  des  Wesent- 
lichen und  Zufalligen  in  unserem  Bewusstsein  hinweisen,  wenn 
er  ĂĽberdies  durch  PrĂĽfui^  des  Ursprungs  der  Erkenntnisse 
die  Ueberzeugung  eines  aller  Erfahrung  vorausliegenden  We- 
sens des  Geistes  gewonnen  hatte,  das  doch  nicht  denselben 
Bedenken,  wie  der  nativistische  Rationalismus  ausgesetzt  war. 
Eben  einen  solchen  Geistesbesitz  entdeckte  Kant  in  den  aprio- 
rischen Vermögen  und  in  den  mit  ihnen  zu  behauptenden  ur- 
sprĂĽnglichen Vernunftformen  und  Thatsachen  des  Bewusstseins. 

Unser  Geist  enthält  ihnen  zufolge  ursprüngliche  Bedin- 
gungen des  Bewusstseins,  die  jedoch  nicht  ein  schlummernder 
und  todter  Besitz  sind,  sondern  ein  solcher,  der  erst  im  Be- 
sonderen zu  Inhalt,  Klarheit  und  Bestimmtheit  gelangt,  wenn 
er  mit  der  Erfahrung  ringt  und  auf  Anlass  derselben  die  Ge- 
setze und  Formen  ausbildet,  von  denen  beherrscht  das  an 
sich  zerstreute  und  bei  Absehen  von  dem  geistigen  Antheile 
in  ihm  zusammenhangslose  Dasein  der  Erscheinungen  sich  zu 
dem  Ganzen  eines  organischen  Wissens  stets  mehr  und  rei- 


J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensatze  etc.       609 

eher  entwickelt.  Unser  Geist  ist  mithin  kern  Spiegel  der 
Dinge,  sondern  er  ist  der  Schöpfer  derselben,  und  noch  dazu 
ist  er  dies  sogar  als  Urheber  eines  solchen  Rahmens  fĂĽr  die- 
selben, der  geeignet  ist,  auf  Grund  ursprĂĽnglicher  und  ewig 
gültiger  Vernunflformen,  die  wir  mittels  apriorischer  Vermögen 
erzeugen,  ein  Bild  der  objectiven  und  aller  zufalligen  Beschaf- 
fenheit entrĂĽckten  Natur  der  Gegenstande  einzuschliessen.  Nicht 
nur  der  Inhalt  des  Verstandes  und  seines  im  Anschluss  an 
die  SinneseindrĂĽcke  gebildeten  Materials  wird  durch  solche 
Arbeit  des  Geistes  zu  einem  Besitze  von  objectivem  Werthe 
erhoben;  nein,  die  gleiche  Arbeit  muss  auch  an  dem  Inhalte 
der  Sinnlichkeit  geschehen.  Auch  dies  hat  Kant  gezeigt  und 
darum  die  Energie  des  Geistes  und  seine  Macht  bis  auf  die 
Materie  erstreckt,  ohne  freilich  sie  zu  ignoriren  oder  gar  weg 
zu  decretiren.  Allerdings  ist  bei  ihm  der  Geist  der  letzteren 
noch  nicht  in  genĂĽgender  Weise  Herr  geworden.  Denn  Kant 
gebot  der  ursprĂĽnglichen  Kraft  seines  Geistes  Halt  vor  dem 
Inhalte  der  Sinnlichkeit.  Nur  die  reinen  Formen  derselben 
sollte  der  Geist  erzeugen,  nicht  den  Inhalt.  Nach  dieser 
Seite  hin  fĂĽhrte  die  neuere  Physiologie,  indem  sie  auch  an 
dem  Inhalte  der  Empfindungen  den  geistigen  Antheil  nach- 
wies, Kant's  Unternehmen  weiter. 

Allein  gerade  hier  zeigte  es  sich,  wie  sehr  eine  bisher 
noch  nicht  hervorgehobene  weitere  Forderung,  die  nach  Kant 
an  objective  Erkenntniss  zu  stellen  ist,  ĂĽbersehen  und  seine 
Lehre  darum  missverstanden  wurde.  Mit  dem  blossen  Nach- 
weise des  geistigen  Antheils,  der  ja  an  sich  auch  individuell 
und  subjectiv  sein  kann,  ist  dem  Apriorismus  nicht  genĂĽgt. 
Dieser  erheischt,  dass  solcher  Antheil  unbedingten  und  allge- 
mein gĂĽltigen  Werth  habe.  Solchen  erlangt  derselbe  erst, 
sofern  sein  Dasein  zugleich  als  ein  Fall  und  Beispiel  erscheint, 
in  welchem  die  Gesetzmässigkeit  der  nach  den  reinen  Formen 
der  Sinne  und  des  Verstandes  aufgefassten  und  auf  rem  ver- 
nünftige Weise  streng  zusammenhängenden  Welt  zum  Aus- 
drucke kommt.  Mit  einem  Worte:  Die  apriorische  Geistes- 
arbeit ist  mannigfaltig,  aber  nicht  isolirt.  Der  Geist  gewinnt 
objective  Ergebnisse  nur  alsdann,  wenn  die  apriorischen  Be- 
dingungen der  Sinne,   des  Verstandes  und  der  Vernunft,   um 

Philosoph.  Monatshefte,  1881.    IX  u.  X.  39 


610       J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensfttze  etc. 

nur  die  wichtigsten  zu  nennen,  in  Bezug  auf  ein  bestimmtes 
Object  oder  einen  Kreis  solcher  Objecte  zugleich  oder  doch 
auf  sich  ergänzende  Weise  functioniren  und  in  klarer  Selbst- 
besinnung das  ewig  gĂĽltige  Wesen  der  Erscheinungen  und 
ihren  ebenso  gĂĽltigen  Zusammenhang  mit  Anderem  zimi  Be- 
wusstsein  bringen. 

In  der  neueren  Philosophie  untersuchte  Baco  zuerst  die 
Erkenntniss.  Sie  war  ihm  ein  Hebel,  der  von  allem  ange- 
setzten Staube  durch  Befreiung  von  Vorurtheilen  und  durch 
innige,  mittels  inductiver  Methode  zu  bewirkende  Hingabe  an 
die  Natur  der  Dinge  gereinigt  werden  müsse,  während  Car- 
tesius  dasselbe  durch  den  Hinweis  auf  die  Selbstgewissheit 
des  reinen  Denkens  zu  erreichen  hoffte.  Locke  steigerte  diese 
Tendenz  zur  erkenntnisstheoretischen  Betrachtung,  indem  er 
den  Hebel  nicht  mehr  als  ein  fertiges  Werkzeug  gelten  liess, 
sondern  seine  Entstehung  untersuchte,  um  durch  Darlegung 
seines  Ursprungs  das  innere  Wesen  desselben  zu  enthĂĽllen 
imd  nach  diesem  seine  Leistungsfähigkeit  zu  bestimmen.  Allein 
weder  des  fertigen,  noch  des  entstehenden  Hebels  Natur 
zu  ergrĂĽnden,  genĂĽgte  Kant;  dieser  erforscht  vielmehr  die 
Grundkraft,  welche  die  Entstehung  und  Erzeugung  eines  sol- 
chen Hebels  der  Gewissheit,  wie  wir  ihn  an  der  echten,  un- 
bedingt allgemeinen  und  streng  nothwendigen  Erkenntniss 
besitzen,  ermöglicht.  Baco  lehrt  den  Hebel  der  letzteren  sau- 
ber und  gescliickt  anzusetzen.  Locke  beschreibt  die  besonde- 
ren Thatsachen  des  Seelenlebens,  aus  denen  jener  sich  zu- 
sammensetzt, Kant  allein  die  VernunftgrĂĽnde,  die  letzteres 
erklären.  Schon  Baco  und  Locke  und  nicht  minder  Carte- 
sius,  sowie  Leibniz,  der  in  dieser  Hinsicht  die  letzteren  beiden 
zu  vermittebi  sucht,  wollen  erkenntnisstheoretisch  verfahren, 
jedoch  erst  bei  Kant  tritt  mit  jenem  fundamental  -  kritischen 
Gesichtspunkte  die  positive  und  in  sich  selbst  ruhende  Me- 
thode solchen  Verfahrens  rein  und  voll  hervor.  Bei  Baco  und 
Cartesius  herrscht  Methodologie,  welche  bei  jenem  empiri- 
stisch, bei  diesem  rationalistisch  erscheint,  bei  Locke  empirische, 
bei  Leibniz  rationale  Psychologie  in  den  erkenntnisstheoreti- 
schen Forschungen,  bei  Kant  eine  alle  diese  Momente  um- 
fassende positive  Kritik  und  echte  Erkenntnisstheorie. 


J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  etc.       611 

Es  erĂĽbrigt,  Eant's  Stellung  zu  der  Auffassung  des  qua- 
litativen Gehaltes  des  fundamentalen  Seins  zu  bezeichnen. 
Spiritualismus  und  Materialismus  waren  in  dieser  Hin- 
sicht die  schärfsten  Gegensätze  vor  ihm.  Dem  ersteren  zu- 
folge ist  das  wahre  Sein  lediglich  von  ĂĽbersinnlicher  Beschaf- 
fenheit, nach  letzterem  ist  es  nur  sinnlich.  Nach  Kant  jedoch 
wissen  wir  auf  streng  theoretischem  Wege  von  keinem  Sein, 
das  nicht  zugleich  vorgestellt  und  darum  wenigstens  mit  einem 
Antheile  des  Geistigen  ausgestattet  wäre,  ebensowenig  jedoch 
von  einem  Inhalte,  der  nicht  sinnlich  aufgefasst  werden  mĂĽsste. 
So  combinirt  sich  hier  wiederum  der  Gesichtspunkt  der  Me- 
thode und  des  Ursprungs  mit  dem  der  Stellung  zum 
qualitativen  Gehalte.  Das  Ergebniss  davon  ist  der 
transseendentale  Idealismus.  Durch  ihn  wird  vor 
Allem  Spiritualismus  und  Materialismus  versöhnt.  Denn  alles 
gewusste  Sein  ist  als  solches  stets  geistig,  wie  jener  mit  Recht 
behauptet,  aber  darum  noch  nicht  nur  geistig,  worin  eben 
derselbe  sich  täuscht.  Vielmehr,  da  alles  theoretische  und 
strenge  Wissen  an  den  doppelten  Quell  der  sinnlichen  An- 
schauung und  des  begreifenden  Verstandes  gewiesen  ist,  so 
kann  der  Inhalt  desselben  im  Hinblick  auf  den  ersteren  nie- 
mals anders  als  zugleich  von  materieller  Beschaffenheit  ge- 
dacht werden.  Wer  blosse  Vorstellungen  und  die  rein  gei- 
stigen Bedingungen  derselben  als  seiend  setzen  wollte,  wĂĽrde 
in  den  absoluten  oder  transscendenten  Idealismus  verfallen. 
Wer  umgekehrt  glauben  sollte,  die  Dinge,  auch  wenn  sie  als 
blosse  Sinnengegenstände  aufgefasst  würden,  für  ein  von  uns 
unabhängiges  materielles  Sein  ansehen  zu  können,  würde  sich 
des  Fehlers  des  crassesten  Realismus  oder  Materialismus  schul- 
dig machen.  Der  transseendentale  Idealismus  hingegen  hält 
die  rechte  Mitte  zwischen  beiden  Extremen.  Er  hält  fest  an 
der  Idealität  alles  von  uns  mit  theoretischer  Gewissheit  auf- 
gefassten  Seins,  sofern  er  von  ihm,  als  einem  solchen,  so  wenig 
im  Stande  ist,  den  geistigen  Antheil  auszuscheiden,  dass  viel- 
mehr lediglich  von  dieser  Seite  her  ihm  der  Zugang  zu  deni 
unbedingten  und  objectiven  Werthe  seiner  Einsichten  gesichert 
erscheint ;  indessen  hĂĽtet  sich  dieser  Idealismus,  irgendwo  ĂĽber 
die  Grenzen  unseres  Bewusstseins  hinauszugehen  und  irgend  einen 


612       J.  Witte:  Die  Vermittlung  der  principiellen  Gegensätze  etc. 

für  den  wissenschaftlichen  Gebrauch  desselben  unerlässlichen 
Bestandtheil  ausser  Acht  zu  lassen.  Darum  muss  jeder  in  sol- 
chem gewonnene  Inhalt  eine  Beziehung  zur  Erfahrung  und 
Sinnlichkeit  haben.  Dieser  Idealismus  bleibt  zwar  nicht  bei 
der  Erfahrung  stehen,  sondern  erhebt  sich  ĂĽber  sie,  jedoch 
nur  so,  dass  er  die  bestandigen,  dem  Wesen  nach  von  Uir 
unabhängigen  und  doch  ihr  selbst  zu  Grunde  liegenden  Ver- 
nunftbedingungen feststellt.  Sein  Verfahren  ist  nur  trans- 
scendental,  d.  h.  ĂĽber  die  zufallige  mid  individuelle  Er- 
fahrimg nach  Art  eines  ĂĽber  sie  hinausstrebenden  Wissens 
sich  erhebend,  aber  nicht  transscendent  oder  die  Erfah- 
rung ĂĽberfliegend.  Das  Complement  dieses  transscendentalen 
Idealismus  ist  daher  ein  empirischer  Realismus,  ein 
Realismus,  der  die  objective  GĂĽltigkeit  der  idealen  Vemunft- 
formen  durch  Bewährung  derselben  in  der  Erfahrung  mittels 
Einschränkung  und  Beziehung  der  apriorischen  Vernunftthat- 
sachen  auf  den  Inhalt  derselben  fordert.  Wie  daher  dieser 
Idealismus  mit  empirischem  Realismus  vereinbar  ist,  so  er- 
scheint er  insonderheit  ganz  unverträglich  mit  dem  empiri- 
schen und  noch  mehr  mit  dem  mystischen  Idealismus.  Jener 
irrt,  weil  er,  wie  bei  Gartesius,  einen  einseitig  aufgefassteii 
Erfahnmgsinhalt,  den  des  reinen  Denkens  zum  absoluten  Sein 
erhebt,  dieser,  weil  er  (wie  bei  Berkeley)  eben  denselben  mit 
letzterem  auf  wunderbare  Weise  verschmilzt.  Auch  diesen 
vor  Kant  dagewesenen  Formen  des  Idealismus  tritt  die  kri- 
tische Lehre  als  eine  neue,  von  höherem  Gesichtspunkte  aus 
gewonnene  Weltanschauung  gegenüber.  — 

Es  ist  hiernach  nicht  nur  eine  leere  Redensart,  sondern 
eine  begrĂĽndete  ĂĽeberzeugung,  wenn  man  in  Kant's  Lehre 
eine  üeberwindung  und  Versöhnung  der  früheren  principiellen 
Gegensätze  philosophischer  Systeme  erblickt.  Und  dass  die- 
selbe nicht  bloss  die  Folge  eines  seichten  Eklecticismus  war, 
der  willkĂĽrlich  das  ihm  Zusagende  aus  anderen  Lehren  sich 
aneignet,  sondern  das  Ergebniss  einer  tiefer  gehenden  Me- 
thode, m  welcher  innerlich  jene  Gegensätze  ausgesöhnt  und 
zu  sich  ergänzenden  Momenten  eines  umfassenderen  Ganzen 
herabgestimmt  sind,  das  beweist  vor  Allem  der  Umstand, 
dass  noch  niemals  vorher   in  gleicher  Weise  und  mit  klarem 


Baumann:  Zum  Gedächtniss  H.  Lotze's.  613 

Bewusstsein  auf  die  Methode,  den  Ursprung  und  den  quali- 
tativen Fundamentalgehalt  der  Erkenntniss  zugleich  RĂĽcksicht 
genommen  war. 

Eben  dies  ist  auch  der  Grund,  weshalb  durch  Kant's 
Lehre  eine  weitere  Verständigung  über  die  Anforderungen 
des  praktischen  und  ästhetischen  Vermögens  herbeigeführt 
wurde.  Kant  wurde  auch  in  dieser  Beziehung  der  Urheber 
und  Verkünder  neuer  und  versöhnender  Gesichtspunkte;  in- 
dess  den  Nachweis  davon  im  Besonderen  zu  fĂĽhren,  muss  ich 
mir  fĂĽr  eine  andere  Gelegenheit  aufsparen^  da  er  ĂĽber  den 
Zweck  dieses  Aufsatzes  hinausgeht. 

Bonn.  J.  Witte. 


Znm  OedSchtniss  H.  Lotze's. 


Der  Forscher  und  Denker,  dessen  Gedächtniss  diese  Zeilen  gewidmel 
sind,  pflegte  im  mtlndlichen  Verkehr,  in  welchem  fiber  11  Jahre  als  Col- 
lege und  Fachgenosse  mit  ihm  zu  stehen  der  Unterzeichnete  das  GlĂĽck 
hatte,  öfter  zu  äussern:  ^Wenn  ich  Jemandes  Lob  annehme,  so  gestehe 
ich  ihm  damit  eigentlich  auch  die  Berechtigung  zu,  mich  zu  tadeln.* 
Durch  diese  Wendung  wollte  er  Beides  ablehnen.  Ich  glaube  daher 
am  ehesten  noch  im  Geiste  des  Verewigten  zu  verfahren,  wenn  ich 
mich  bei  dem,  was  ich  über  ihn  sagen  möchte,  auf  den  formalen 
Standpunkt  stelle,  den  er  selber  sich  wählte,  so  oft  er  in  Sachen  philoso- 
phischer Berufungen  um  seinen  Beirath  angegangen  wurde.  Da  argumen- 
tirte  er:  ,Eine  inhaltlich  anerkannte  Philosophie,  zu  welcher  zu  gehören 
man  von  Jedem,  der  auf  den  Namen  eines  Philosophen  Anspruch  macht, 
von  Rechtswegen  fordern  könnte,  gibt  es  noch  nicht;  es  kann  sich  also 
blos  darum  handeln,  mit  welchem  Vorrath  von  Kenntnissen,  mit  wie  viel 
Talent  und  wie  viel  Fleiss  hat  sich  Jemand  der  Bearbeitung  derjenigen 
Aufgaben  gewidmet,  welche  mit  ziemlicher  Uebereinstimmung  zu  allen 
Zeiten  als  philosophische  sind  angesehen  worden.*  Femer  werde  ich  mich 
möglichst  der  Kürze  befleissigen ;  ich  darf  von  den  Lesern  der  Monatshefte 
voraussetzen,  dass  sie  nicht  nur  mit  der  Philosophie  Lotze's  vertraut,  son- 
dern dass  sie  auch  mit  den  Umständen  seines  Lebensganges  bekannt  sind, 
soweit  sie  für  seine  Philosophie  von  Belang  sein  mögen.  Dagegen  sei  es 
verstattet,  von  meiner  persönlichen  Bekanntschaft  aus  hier  und  da  Züge 
einzuflechten,  welche  geeignet  sind,  eine  Beleuchtung  auf  die  philosophische 
Art  des  Mannes  zu  werfen. 

Melanchthon  soll  gegen  sein  Lebensende  geäussert  haben :  ,Ich  hinter- 
lasse diese  Welt  über  einige  Punkte  aufgeklärter,   als  ich  sie  gefunden 


614  Baumann:  Zum  Gedächtniss  H.  Lotze's. 

habe.*   So  bescheiden  diese  Worte  sind,  so  enthalten  sie  doch  das  Höchste, 
was   ein  grosser  theoretisch  wirkender  Geist  der  Mit-   und  Nachwelt  zu 
leisten  im  Stande  ist.  Ich  trage  kein  Bedenken,  Lotze  unter  diese  grossen 
Geister  zu  zählen,  durch  die  und  nach  denen  manches  anders  ist,  als  es 
vor  ihnen  war.    Zwar  auf  den  Inhalt  der  Philosophie  bezieht  sich  diese 
Neuerung  nicht,  wie  er  selbst  ausgesprochen,  wohl  aber  hat  er  fĂĽr  immer 
zum  Bewusstsein  gebracht,  dass  aller  Idealismus,   fĂĽr  so  wahr  und  hoch 
er  sich  halten  mag,   in  der  Wissenschaft  leer  und  unfruchtbar  ist,   wenn 
er  nicht  vermag   sich  damit  zu  durchdringen,   dass  es  in   der  Welt  ein 
Reich  allgemeiner  Gesetze  gibt  und  dass  diese  selbst  ihre  Träger  an  einem 
Reich  concreter  Einzelrealitäten  haben.   Allgemeine  Gesetze,  wirkende  ür- 
Sachen,   höchste  Zwecke,   —   diese  drei  Gedanken   müssen  nach  ihm  in 
einer  idealistischen  Philosophie  sich  so  durchdringen,  dass  zwar  die  Zwecke 
das  Leitende  und  das  Ziel  des  Weltlaufs  sind,   aber  die  Mittel  ihrer  Ver- 
wirklichung, und  zwar  die  sehr  genau  zu  erforschenden  Mittel,  jene  beiden 
ersten  bilden.    Es  ist  nicht  so,  dass  Lotze  diese  Forderungen  blos  aufge- 
stellt hätte,  sondern  er  hat  sie  zu  verwirklichen  versucht,   besonders  für 
das  Gebiet,  welches  ihm  solcher  AusfĂĽhrungen  am  bedĂĽrftigsten  erschien, 
das  Gebiet  des  organischen  Lebens.   Das  sind  die  Leistungen,  wie  sie  vor- 
liegen in  der  , Allgemeinen  Pathologie  und  Therapie  als  mecha- 
nische Naturwissenschaften,    1.  Auflage  1842,   2.  Auflage  1848,  in 
den  Abhandlungen   ĂĽber  Leben,   Lebenskraft  1843,   Instinct  1844, 
Seele  und  Seelenleben    1846,   alle  drei  in  dem  Handwörterbuch  der 
Physiologie,  herausgegeben  von  R.  Wagner,  in  der  Allgemeinen  Phy- 
siologie des  körperlichen   Lebens  1851,   in  der  Medicinischen 
Psychologie  oder  Physiologie  der  Seele  1852."  Diese  seine  Leistun- 
gen sind  die  beste  Schulung,  die  es  gibt  und  lange  geben  wird  fĂĽr  alle  Die- 
jenigen, welche  sich  zur  Bearbeitung  philosophischer  Aufgaben  verwandter 
Art  tĂĽchtig  machen  wollen,  und  studirt,  wiederholt  studiil  mĂĽssen  sie  von 
Allen  werden,   welche  überhaupt  Philosophie  fachmässig  zu  treiben  die 
ernsthafte  Neigung  haben.    Es  ist  ganz  gleichgĂĽltig  dabei,   ob  nach  dem 
Standpunkt  der  biologischen  Wissenschaften  von  heute  inhaltlich  alles  dort 
Gelehrte  noch  so  kann  aufrecht  erhalten  werden,  es  handelt  sich  lediglich 
um   die  formelle  Art  der  wissenschaftlichen  Tendenz   und  Bearbeitung; 
diese  wird  stets  ein  Muster  und  zugleich  eine  weckende  Kraft  für  ähnliche 
Arbeiten  bleiben.    Dazu  kommt  hier  noch  ein  Anderes,  was  Lotze  selbst 
stets  hervorgehoben   hat.    So  sehr  ihm   bei  diesen  Arbeiten  auch  seine 
höchsten   idealistischen  Ueberzeugungen   immer  vorschwebten,   so  hat  er 
doch  im  Detail  sie  zurĂĽckgestellt,   wo  sich  aus.  ihnen  Deductionen  weder 
zur  Zeit,  noch  ĂĽberhaupt  machen  Hessen,  und  hat  gleichsam  mittlere  An- 
knüpfungspunkte der  Forschung  und  Erklärung  gesucht,   welche  für  sich 
oder  selbst  vorläufig  könnten  festgestellt  werden,  ohne  sich  sofort  mit  den 
höchsten  Principien  zu  befassen.  Diese  Methode,  welche  die  philosophische 
Detailforschung  noch  lange  wird  brauchen  mĂĽssen,  hat  er  zum  lebhaftesten 
Bewusstsein  gebracht  nicht  nur  durch  die  Beispiele,  die  er  davon  gegeben, 
sondern   auch  durch   ihre  eifrige  BefĂĽrwortung  gegenĂĽber  der  Gering- 


Baumann:  Zum  Gedächtniss  H.  Lotze's.  615 

Schätzung,  welcher  dem  Idealismus  alter  Art  bezüglich  solcher  Arbeiten  eigen 
war.  Meine  Ansicht  ist  nicht,  dass  nun,  da  und  nachdem  diese  herrlichen 
Arbeiten  Lotze's  da  sind,  alle  Welt,  die  ĂĽberhaupt  philosophirt,  die  Me- 
thode derselben  bereits  beherzigt  hätte,  im  Gegentheil,  man  kann  finden, 
dass  sie  vielfach  recht  wenig  beherzigt  ist,  ja  dass  diese  Arbeiten  mit  Aus- 
nähme  etwa  der  Medicinischen  Psychologie  mehr  als  blos  naturwissen- 
schaftliche denn  als  philosophische  gelten,  wie  es  denn  eine  Zeit  in  Lotze's 
Leben  soll  gegeben  haben,  wo  die  Philosophen  von  ihm  sagten:  ,er  ist 
ein  grosser  Physiologe",  und  die  Naturforscher:  ,er  ist  ein  grosser  Philo- 
soph *".  Dieses  gegenseitige  Zuschieben  beweist  eben,  dass  etwas  Neues 
und  Eigenthümliches  an  dem  Manne  war,  welches  sich  mit  den  angewöh- 
ten  Ganones  gelehrter  Beurtheilung  nicht  sofort  vertrug.  Aber  diese 
Arbeiten  von  Lotze  sind  einmal  da  und  werden  je  länger  desto  mehr  — 
das  woUen  wir  zum  Heil  der  Philosophie  mindestens  hoffen  —  gerade  bei 
solchen,  welche  sich  zum  eigenen  Philosophiren  auszubilden  Neigung  haben, 
die  Grundlagen  ihrer  Studien  über  diese  Gegenstände  bilden.  Aber  auch 
von  solchen  mĂĽssen  diese  Arbeiten  gekannt  werden,  welche  etwa  Lust 
hätten,  das,  was  Lotze  in  jenen  Arbeiten  erstrebt  hat,  nunmehr  als  einen 
sicheren  Erwerb  des  allgemeinen  wissenschaftlichen  Bewusstseins  zu  be- 
trachten und  sich  mehr  des  Mannes  späteren  Arbeiten  mit  ihrem  Studium 
zuzuwenden.  Gerade  für  diese  späteren  Arbeiten  enthalten  aber  auch  jene 
frĂĽheren,  abgesehen  von  ihrer  methodologischen  Ausbildungskraft,  sehr 
interessante  Beiträge.  Nicht  nur  in  mancherlei  Wendungen  und  immer 
neuen  Ansätzen  kommen  die  letzten  metaphysischen  Hauptgedanken  Lotze's 
darin  vor,  oft  wo  man  es  kaum  suchen  wĂĽrde,  sondern  ĂĽber  GrefĂĽhle  z.  B. 
und  körperliche  Grundlagen  und  Anregungen  des  Seelenlebens  hat  er  zum 
Theil  ausführlicher  darin  gehandelt  als  später.  Sehr  erwünscht  wäre  es, 
wenn  die  Verlagshandlung  bald  daran  dächte,  eine  Gesammtausgabe  der 
Werke  Lotze's  zu  beginnen.  Jetzt  steht  gerade  dem  Studium  jener  älteren 
Arbeiten  vielfach  die  Schwierigkeit  ihrer  Beschaffung  im  Wege.  In  diese 
Gesammtausgabe  mĂĽssten  aber  auch  die  Recensionen  Lotze's  aufgenommen 
werden;  gerade  in  Recensionen  drĂĽckt  sich  oft,  hervorgerufen  durch  die 
besondere  Gelegenheit,  sehr  lebhaft  aus,  worauf  ein  Schriftsteller  positiv 
und  negativ  Bedeutung  legt. 

Wenn  Lotze  in  seinen  Schriften  ĂĽber  das  organische  und  organisch- 
seelische Leben  seine  letzten  metaphysischen  Ansichten  mehr  gelegentlich 
und  mehr  hinweisend  auf  sie,  als  auf  einen  Abschluss  und  eine  Forde- 
rung der  vollständigen  Wissenschaft,  hingestellt  hat,  so  ist  es  auffallend, 
dass  er  sich  dabei  so  wenig  auf  seine  Metaphysik  vom  Jahre  1841  und 
die  damit  Innerlich  verbundene  Logik  von  1843  berufen  hat.  Es  hängt 
das  wohl  damit  zusammen,  dass  er  nach  mündlichen  Erklärungen  zwar 
inhaltlich  alle  Hauptgedanken  dieser  Schriften  nach  wie  vor  festhielt,  aber 
die  Form  derselben,  bei  der  er  glaubte  besonders  in  der  Metaphysik  noch 
etwas  unter  Hegelschem  Einfluss  gestanden  zu  haben,  preisgab.  Es  wäre 
eine  interessante  Aufgabe,  diese  Erstlingsschriften  mit  der  späteren  Be- 
arbeitung der  Logik  und  Metaphysik  im  System  der  Philosophie  nach 


616  Baumann:  Zum  Gedächtniss  H.  Lotze*s. 

Form  und  Inhalt  zu  vergleichen  und  die  GrĂĽnde  der  Aeiidenmgen  aufzu- 
suchen, so  weit  sie  angedeutet  sind  oder  sich  errathen  lassen.     Hier  ist 
ein  sehr  fruchtbarer  und  inhaltreicher  Stoff  fĂĽr  mancherlei  philosophische 
Abhandlungen.    Die   metaphysische   GrundĂĽberzeugung   Lotze*s   war   von 
Anfang  an  bekanntlich  die,    wie  er  sie,   gleichsam  ihre  Genesis  in  ihm 
selbst  andeutend,  Metaphysik  von  1841,  S.  6  ausgedrĂĽckt  hat:    ,In  der 
glorreichen  innerlichen  Welt  jugendlicher  Phantasien  kommt  es  zum  Be- 
wusstsein,  dass  über  den  gewöhnlichen  Gedankenlauf  hinaus  noch  ein  an- 
derer wesenhafter  Inhalt  liegt,  der  als  das  einzig  Werthvolle  und  wahrhaft 
Wirkliche  mit  aller  Kraft  des  Geistes  erfasst   wird.      Ihm   wird    es   zuge- 
schrieben,  weder  selbst  eine  einzelne  Erscheinung  zu  sein,   noch  der  Be- 
grenztheit und  Vergänglichkeit  des  Endlichen  zu  unterliegen ;  als  das  wahr- 
haft Wirkliche,  das,  was  in  allem  Erscheinenden  das  Seiende  ist,  kann  es 
nicht  ein  nur  unwirklicher  Gedanke  des  Geistes  sein,   sondern  besitzt  im 
höchsten  Maass  jene  übergreifende  Gültigkeit,   auch  ausserhalb  des  den- 
kenden Geistes  das  an  und  fĂĽr  sich  Seiende  zu  sein."     Von  da  aus  wird 
die  Aufgabe  der  Philosophie  S.  8  so  bezeichnet:  «Den  Inhalt  jener  Begei- 
sterung können  wir   nicht  aufgeben;   und  wenn  vorher  die   Philosophie 
als  ein  harmloses  Spiel  erschien,  das  als  Möglichkeit  in  einem  Verhältniss 
des  Geistes  begrĂĽndet,   der  begĂĽnstigenden  EinflĂĽsse  zur  Entfaltung  war- 
tete,  so  ist  diese  Pflicht,  das,  was  wir  für  das  Höchste  halten,  gegen  die 
Veränderlichkeit  unseres  eigenen  Gemüthes  zu  schützen,   die  Nothwendig- 
keit,  wnlche  gebietet,  aus  der  Ahnung  an  eine  Arbeit  des  Erkennens.  aus 
der  individuellen  Meinung  in  das  allen  Individuen  gemeinsame  Gebiet  des 
Denkens  ĂĽberzugehen.**    Das  Gemeinsame  im  Begriff  dieses  wahrhaft  Seien- 
den ist  nach  S.  13  „das  sittliche  Gewicht,  das  auf  ihn  gelegt  wird*.    ,Die 
Apodikticität   des   Daseins   kann   nur   dem  Guten  zugestanden   werden* 
(S.  324).    Das  Verhältniss  der  Welt  zu  diesem  Princip  wird  S.  335  so  an- 
gesetzt: ,ĂĽm  die  Begritfe  der  GrĂĽnde,  der  Ursache  und  des  Zweckes  grup- 
pirt  sich  der  Zusammenhang  der  Dinge,  Materie.  Kraft  und  sinnliche  Er- 
scheinung sind  die  Spitzen  der  kosmologischen  Betrachtung ;  lauter  Begriffe, 
welche  den  Zusammenhang  der  Bewegung  aus  dem  noch  unerfĂĽllten  in 
den  erfĂĽllten  Zweck  festhalten.   Dieses  Ueber gehen  aus  dem  vorausgesetzten 
Wesen   durch   die  Erscheinung  zu  dem  erfĂĽllten  Wesen  ist  die  Seele  der 
Metaphysik,  alles  hängt  daran,  dass  ein  Sollendes  da  sei,  das  dieses  Spiel 
der  Gedanken  in  Bewegung  setze."     Von  derselben  Eigen thĂĽmlichkeit  sei- 
nes Idealismus  ist  die  Logik  von  1843  durchzogen.    ,So  gewiss,  heisst  es 
S.  7,  als  die  letzte,  faktische  Nothwendigkeit   nur   dem    mit  Befriedigung 
zugeschrieben  werden  kann,  was  um  seines  Werthes  fĂĽr  den  moralischen 
Geist  willen  eine  unbedingte  Bejahung  fordert  und  zu  ertragen  fähig  ist, 
so  gewiss  muss  als  das  letzte  Ziel  der  Philosophie  gelten,    auch  die  For- 
men der  Logik  und  ihre  Gesetze  nicht  als  bloss  thatsächlich  vorhandene 
Naturnothwendigkeiten  des  Geistes,  sondern  als  Erscheinungen  aufzufassen, 
die  von  einer   anderen  höheren  Wurzel   ausgehen   und  wesentlich  dieser 
ihre  Nothwendigkeit  verdanken.*     S.  9:    ,So  wie  der  Anfang  der  Meta- 
physik,  so  liegt  auch  der  der  Logik  in  der  Ethik,   und  zwar  durch  das 


Baumann:  Zum  Ged&chtniss  H.  Lotze's.  617 

Hittelglied  der  Metaphysik  selber/  Diesen  Standpunkt,  dass  das  Gute  das 
eigentliche  Erklärungs-  und  Bewirkungsprincip  der  Welt  und  aller  ihrer 
allgemeinen  Gesetze  und  concreten  Seinsweisen  sei,  hat  Lotze  stets  fest- 
gehalten. Schon  aus  der  Art,  wie  er  in  den  angefĂĽhrten  Stellen  der  Meta- 
physik von  1841  S.  6,  8,  13  den  Ansatz  von  Inhalt  und  Aufgabe  der  Meta- 
physik macht,  tritt  lebhaft  entgegen,  dass  wir  es  hier  nicht  mit  einem 
kalten,  schematisch  -  ruhigen  Denken  zu  thun  haben,  sondern  mit  einem 
persönlichen  LebensgefQhl,  welches  weiss,  dass  man  versucht  sein  könnte, 
es  auch  anders  zu  deuten,  an  dessen  Festhaltung  und  DurchfĂĽhrung  in 
einem  System  allgemeiner  Gedanken  aber  alle  Kraft  des  Geistes  und  Her- 
zens soll  gesetzt  werden.  Das  ist  der  persönliche  Reiz  Lotze'scher  Meta- 
physik, welcher  sich  durch  alle  Schriften  des  Mannes  hindurchzieht,  ein 
Zauber,  den  man  vielleicht  nur  noch  bei  Plato  so  lebhaft  empfindet.  Wie 
hat  er  auch  in  allen  seinen  naturphilosophischen  Schriften  sich  bemĂĽht, 
diesen  Grundgedanken  mindestens  als  Richtungs-  und  Zielpunkten  der 
Forschung  immer  neue  und  deutlichere  Wendungen  zu  geben!  was 
hat  er  besonders  auch  unermĂĽdlich  den  Begriff  der  Sittlichkeit  und  des 
Werthes  immer  wieder  reicher  bestimmt!  Sehr  charakteristische  AusfĂĽh- 
rungen hierüber  enth&lt  die  Abhandlung  über  den  Begriff  der  Schön- 
heit in  den  ^  Göttinger  Studien **  von  1845;  Lotze  hat  ja  überhaupt  sich 
stets  bemĂĽht,  die  Aesthetik  mit  dem  Begriff  des  Guten  in  innere  Verbin- 
dung zu  setzen.  Jedoch  geben  die  Arbeiten  nach  der  ersten  Metaphysik 
bis  zum  Mikrokosmus  nur  BruchstĂĽcke  und  kurze  Aufweisungen  seiner 
idealistischen  Ueberzeugungen.  Der  „Mikrokosmus"  selbst  ist  beiden  Grund- 
tendenzen Lotze's  gewidmet;  er  fusst  in  ihm  ganz  auf  seinen  frĂĽheren 
Arbeiten,  welche  der  mechanischen  Auffassung  auch  der  organischen  Natur 
und  der  allgemeinen  Gesetzlichkeit  alles  Wirkens  gewidmet  sind,  aber  aus- 
gefĂĽhrt soll  nunmehr  im  Einzelnen  werden,  dass  alles  das  den  BedĂĽrf- 
nissen des  GemĂĽthes  und  der  unbefangenen  Auffassung  keinen  Eintrag 
thue,  wie  sie  in  Religion  und  Poesie,  überhaupt  in  den  ästhetisch  -  ethi- 
schen Momenten  des  Lebens  sich  stets  Ausdruck  gegeben.  Das  Neuhinzu- 
gekommene im  Mikrokosmus  war  nach  Lotze's  eigener  Erklärung  (Streit- 
schriften S.  15)  die  Philosophie  der  Geschichte  als  die  nothwendige  Ergän- 
zung der  Psychologie.  Dieser  Versuch  einer  Anthropologie  sollte  „die  ganze 
Bedeutung  des  menschlichen  Daseins  aus  der  vereinigten  Betrachtung  des 
individuellen  Lebens  und  der  Gulturgeschichte  unseres  Geschlechtes  zu  er- 
forschen suchen.*  Diese  drei  Bände  haben  Lotze's  Ansichten  ganz  beson- 
ders in  weitere  Kreise  eingefĂĽhrt,  sie  haben  ihm  eine  Gemeinde  gewonnen 
in  Deutschland  nicht  nur,  sondern  in  Europa  und  weit  ĂĽber  seine  Grenzen 
hinaus.  Wenn  dies  Buch  so  schriftstellerisch  sein  Hauptwerk  ist,  so  ist 
es  philosophisch,  ganz  nach  dem  formalen  Maassstab  beurtheilt,  den  wir 
ĂĽberhaupt  allein  anlegen,  nicht  sein  Hauptwerk  und  wollte  es  nicht  sein. 
In  den  naturwissenschaftlichen  und  psychologischen  Partien  beruht  es  zum 
grossen  Theil  auf  den  frĂĽheren  Schriften  und  gibt  oft  nur  kurz  wieder, 
was  dort  in  ausfĂĽhrlicher  und  eindringender  Untersuchung  zu  finden  ist. 
Ueber  die  philosophische  Behandlung  hat  er  sich  selbst  im  Eingang 


618  Baumann:  Zum  Gedächtniss  H.  Lotze's. 

des  letzten  neunten  Buches  so  ausgesprochen,  Bd.  3  S.  456(1.  Aufl.):  «Ueberall 
habe  ich  mich  bemĂĽht,  den  theils  verscJiwiegenen,  theils  nur  in  einzefaien 
Andeutungen  hervorbrechenden  Yorurtheilen  nachzugehen,  welche  aus  ästhe- 
tischen Interessen  des  GefĂĽhls  und  anderen  BedĂĽrfnissen  des  GemĂĽths 
entsprungen,  die  wahren  Wurzeln  sind,  mit  denen  die  yerschiedensien 
Meinungen  in  unserem  Geiste  haften.  Nur  geringer  Gebrauch  konnte  des- 
halb von  philosophischen  Begriffen  und  Grundsätzen  gemacht  werden, 
welche  grossentheils  erst  zu  späterer  dialektischer  Begründung,  Vertheidi- 
gung  oder  Widerlegung  solcher  Vorurtheile  zugeschärft,  den  eigentlichen 
lebendigen  Werth  derselben  fĂĽr  das  menschliche  Herz  wenig  mehr  erken- 
nen lassen."  Damit  nun  der  Zusammenhang  seiner  Ansichten  herrortrete, 
hat  er  das  neunte  Buch  hinzugefügt,  welches  eine  möglichst  gedrängte 
und  doch  für  gebildete  und  philosophisch  interessirte  Kreise  verständliche 
Metaphysik  geben  sollte.  Gerade  über  die  Schwerverständlichkeit  dieses 
letzten  Buches  habe  ich  indess  vielfach  von  Männern  klagen  hören,  wdche 
ganz  im  Gedankenkreis  des  Mikrokosmus  lebten.  Dieselben  haben  auch 
geäussert:  daLotze  in  diesem  Werk  fast  nie  citire,  auch  sich  selbst  ni<^t, 
so  fehlten  ihnen  oft  die  genauen  Beziehungspunkte  mancher  kritisirten 
oder  überhaupt  herbeigezogenen  Ansichten.  Es  wäre  darum  Vielen  dankois- 
werth,  wenn  eine  kundige  Hand  kurze  Erläuterungen  zu  dem  Werk  liefern 
wollte,  welche  etwa  die  Stellen  der  eigenen  frĂĽheren  Schriften  Lotze*s  be- 
zeichneten, auf  denen  die  Darstellung  ruht,  die  Männer  nennten,  welche 
an  bestimmten  Stellen  bekämpft  oder  benutzt  werden,  und  deren  Lehren, 
so  wie  sie  sie  selbst  vorgetragen  haben,  kurz  hinstellten.  Gerade  das 
letzte  Buch,  welches  so  vielfach  an  Herbart  polemisch  abläuft  —  ein  Ver- 
fahren, das,  wie  ich  glaube,  aus  naheliegenden  inneren  GrĂĽnden  Lotze 
früh  hier  gehabt  hat  — ,  würde  dadurch  ein  Licht  gewinnen,  das  sich 
selbst  anzuzĂĽnden  eine  sehr  ausgebreitete  Vertrautheit  mit  Philosophie 
erfordert.  Selbst  der  Versuch  einer  schulmässig  kurzen  Formulirung  der 
Lotze'schen  Thesen  und  GrĂĽnde  fĂĽr  dieselben  durch  den  ganzen  Mikro- 
kosmus wĂĽrde  mindestens  das  sehr  EigenthĂĽmliche  der  Denkw^se  des 
Mannes  in  ein  helles  Licht  zu  stellen  geeignet  sein.  Durch  einen  solchen 
Gommentar  würde  sich  auch  hervorheben,  was  völlig  neu  hinzugekommen 
ist  in  dem  Buche.  Nach  Lotze  selbst  sind  es  die  geschichtsphilosophischen 
Ansichten,  —  sehr  interessant,  aber  etwas  kurz  dafür,  dass  man  sich 
bei  ihnen  nicht  auf  so  durchgearbeitete  Voruntersuchungen  zurĂĽckbeziehen 
kann,  wie  bei  den  naturphilosophischen,  psychologischen,  logischen  und 
metaphysischen  Partien.  Selbst  in  grosse,  d.  h.  durch  grosse  Zahlen  und 
grosse  EigenthĂĽmlichkeiten  getragene  Gruppen  der  Menschheit  hat  hierbei 
Lotze  sich  weniger  zu  versetzen  gewusst.  Er  deutet  das  mehrfach  an. 
S.  136  Bd.  3  heisst  es:  „Manches  Gut  der  Erkenntniss,  der  Ordnung  und 
der  Lebensschönheit  haben  gewiss  schon  die  grossen  Gulturkreise  Asiens 
entwickelt,  aber  mit  jenem  hellen  frischen  köstlichen  Wachen  des  ganzen 
Geistes,  das  wir  nachempfinden  können,  hat  die  Menschheit  doch  erst  im 
griechischen  Volke  die  Augen  voll  gegen  die  Welt  und  gegen  den  Himmel 
aufgeschlagen,*  und  S.  147:   «Unter  den  theokratisch  geordneten  Völkern 


Baumann:  Zum  Gedftchtniss  H.  Loize's.  619 

deB  Orients  erscheinen  uns  die  Hebräer  wie  Nüchterne  unter  Trunkenen;  dem 
Alierthum  freilich  dĂĽnkten  sie  die  Trftumer  unter  den  Wachenden  zu  sein.* 
Es  ist  ein  grosses  Zeichen  davon,  wie  hoch  und  ernst  Lotze  seine 
philosophischen  Ziele  sich  selbst  stets  gesteckt  hat,  dass  er  durch  den  Er- 
folg des  Mikrokosmus  nicht  dahin  gefĂĽhrt  wurde,  sich  bei  ihm  zu  beruhi- 
gen, sondern  mit  jugendlichem  Eifer  mitten  unter  den  neuen  Auflagen 
desselben  sich  daran  begab,  ein  ganzes  System  der  Philosophie,  freilich  in 
einem  gemässigteren  Sinne,  als  man  dies  Wort  einst  verstanden  hatte, 
mit  aller  Strenge  und  in  nöthiger  AusfQhrlichkeit  zu  geben.  So  lebhaft 
er  daran  arbeitete,  so  ging  es  nach  ihm  selbst  langsam  damit  vorwärts. 
Er  äusserte  in  der  Zeit  öfter:  «Man  müsse  recht  viel  Bücher  vor  dem 
fĂĽnfzigsten  Jahre  schreiben,  denn  dann  sehe  man  Manches  noch  als  einen 
wohl  zu  ĂĽberspringenden  Graben  an,  was  Einem  mit  zunehmendem  Alter 
sich  zu  einer  Kluft  erweitere,  ĂĽber  die  man  ein  HinĂĽberkommen  nicht 
absehe.*  Erschienen  sind  von  diesem  , System  der  Philosophie"  die 
«Logik,  drei  Bücher  vom  Denken,  vom  Untersuchen  und  vom  Erkennen, 
die  Metaphysik,  drei  BĂĽcher  der  Ontologie,  Kosmologie  und  Psychologie** ; 
die  Logik  bereits  in  zweiter  Auflage,  welche  erweitert  ist  durch  einen  Ab- 
schnitt ĂĽber  den  logischen  GalcĂĽl.  Es  sind  das  Werke,  die  wieder  von 
rein  formalem  Standpunkt  aus  und  gleichgĂĽltig,  ob  man  ihnen  inhaltlich 
viel  oder  wenig  oder  gar  nicht  zustimmt,  ein  Hauptstudium  aller  sein 
werden,  welche  sich  mit  irgend  einer  der  obigen  Wissenschaften  selbst- 
ständig abgeben  oder  abzugeben  gedenken;  unzweifelhaft  aber  hat  ihnen 
der  Mikrokosmus  auch  in  den  gelehrten  Kreisen  ĂĽberhaupt  Bahn  gemacht. 
Eine  FĂĽUe  der  Kenntnisse,  des  Scharfsinns  und  der  EigenthĂĽmlichkeit  ist 
in  ihnen,  wie  sie  in  der  Geschichte  der  Philosophie  selbst  bei  ihren  Heroen 
selten  vereinigt  gewesen  ist.  Um  so  bedauerlicher  wäre  es,  wenn  das 
Werk  unvollendet  bliebe,  wie  es  zur  Zeit  noch  ist.  Es  fehlt  der  dritte 
Band,  welcher  die  Hauptpunkte  der  praktischen  Philosophie,  der  Aesthetik 
und  der  Religionsphilosophie  enthalten  sollte  mit  Eingehen  nur  auf  ein- 
zelnes wichtigere  Detail,  etwa  in  der  Art,  wie  es  der  zweite  Band  bei  der 
Psychologie  gemacht  hatte.  Das  gänzliche  Ausfallen  dieses  Theils  wäre 
darum  so  bedauerlich,  weil  gewisse  Grundgedanken,  von  denen  Lotze  in 
den  beiden  ersten  Theilen  bereits  grossen  Gebrauch  gemacht  hat,  erst 
dort  ihre  principielle  AusfĂĽhrung  finden  sollten:  so  die  teleologische  Vor- 
aussetzung, so  die  Lehre,  dass  der  Eine  Weltgrund,  welchen  die  Meta- 
physik wegen  der  Wechselwirkung  als  denknothwendig  forderte,  persön- 
licher Geist  sei.  Ich  weiss  nicht,  ob  sich  vorbereitende  Ausarbeitungen 
zu  dem  letzten  Band  im  Nachlass  gefunden  haben,  und  muss  es  eher  be- 
zweifeln. Sollte  es  nicht  der  Fall  sein,  so  wĂĽrde  es  sich  fragen:  kann 
man  nicht  die  LĂĽcke  irgendwie  ausfĂĽllen?  Aus  dem  Mikrokosmus  kann 
man  das  nicht.  Man  vergleiche  nur  die  jetzige  Metaphysik  und  Natur- 
philosophie mit  den  entsprechenden  AusfĂĽhrungen  des  Mikrokosmus,  es  ist 
der  Unterschied  einer  schulmässigen  Behandlung  von  einer  gleichsam 
mehr  freien  und  sich,  wo  es  nur  geht,  an  das  gewöhnliche  Bewusstsein 
anlehnenden  Erörterung.    Lotze  wollte  gerade,  was  im  Mikrokosmus  viel- 


620  Baamaim:   Zum  Gedächtiiiss  H.  Lotze's. 

fach  mehr  als  freie  Annahme  erschien,  auch  möglichst  als  Denknoihwen- 
digkeit  aufzeigen,  d.  h.  als  eine  Annahme  jedes  Denkens,  sobald  es  nur 
sich  Qber  sich  selbst  genügend  zu  verständigen  versucht.  Am  ehesten 
möchte  noch  der  ausfallende  Abschnitt  über  Aesthetik  aus  der  ,  Geschichte 
^  der  Aesthetik  in  Deutschland",  München  1868,  zu  ergänzen  sein  und  aus 

den  zwei  Abhandlungen  in  den  Göttinger  Studien  von  1845  und  ISi?. 
Das  Hauptinteresse  jener  .Geschichte  der  Aesthetik*  ist  ja  gerade,  dass 
man  Lotze*s  eigene  ästhetische  Ansichten  daraus  kennen  lernt.  Dagegen 
mĂĽsste  man  meines  Erachtens  fĂĽr  die  Moral,  mindestens  in  den  funda- 
'  mentalen  Fragen,  —  das  Detail  und  die  Ueberführung  der  sittlichen  Ideen 
ins  Leben  wollte  Lotze  nach  Aeusserungen  an  Andere. der  Kirche  und  den 
Geistlichen  überlassen  — ,  und  für  die  Religionsphilosophie  auf  die  gehal- 
tenen Vorlesungen  zurĂĽckgehen.  Es  wĂĽrde  nicht  genĂĽgen,  die  resomiren- 
den-  Dictate  der  Hauptgedanken  drucken  zu  lassen ,  welche  Lotze  nach 
voraufgegangener  mündlicher  Erörterung  jedesmal  zu  geben  pflegte,  son- 
dern man  mĂĽsste  sich  umsehen,  eventuell  durch  Aufrufe  in  den  Zeitungen, 
ob  nicht  in  dem  letzten  Jahrzehnt  ein  oder  der  andere  Zuhörer  die  ganzen 
Vorlesungen  stenographirt  hat.  Aus  verschiedenen  Semestern  könnte  man 
dann  ein  Buch  zusammenstellen,  welches  zwar  ähnlich  aussehen  würde, 
wie  manche  Bände  von  Hegel  und  Schleiermacher,  aber  wahrscheinlidi 
einen  guten  Einblick  in  die  letzte  Fassung  verschaffte,  wie  sie  Lotze  selbst 
etwa  inhaltlich  wĂĽrde  gegeben  haben.  Warum  aber  bei  ihm  gerade  auf 
Moral  und  Religionsphilosophie  soviel  ankommt,  Hegt  von  Anfang  an  aus 
seiner  ganzen  Tendenz  zu  Tage.  Das  ist  ja  eben  das  EigenthĂĽmlichste 
an  ihm,  dass  ihm  die  Welt  der  Werthe,  insbesondere  der  sittlichen,  das 
Bestimmende  fĂĽr  die  Welt  der  allgemeinen  Gesetze  und  ihrer  concreten 
Beziehungspunkte  war,  und  dass  ihm  die  Welt  der  Werthe  selbst  galt  als 
der  Inhalt  eines  persönlichen  Geistes,  der  alle  andere  Realität  in  sich  ent- 
hält als  seine  lebendigen  modi  oder  wie  man  es  ausdrücken  mag.  Sollte 
es  gar  nicht  mögUch  sein,  direct  oder  indirect  letzte  Ausarbeitungen 
Lotze*s  hierĂĽber  als  einen  dritten  Band  des  Systems  der  Philosophie  zu 
erhalten,  so  wĂĽrde  ich  vorschlagen,  mindestens  alle  Stellen  der  frĂĽheren 
Werke  zu  sammeln,  wo  er  oft  mehr  gelegentlich  und  selbst  blos  in  An- 
deutungen hinweisend  oder  abschliessend  Werthbestimmungen  bespricht 
und  seine  religiösen,  d.  h.  philosophisch  -  religiösen  Ansichten  bekennt. 
Mindestens  hat  man  dann  alle  seine  hierher  gehörigen  Aeusserungen  zu- 
sammen, und  ich  glaube,  man  wird  ĂĽberrascht  sein  ĂĽber  das  Interessante 
und  Anregende  schon  dieser  blossen  Zusammenstellung.  Das  gehört  ja 
mit  zu  Lotze*s  EigenthĂĽmlichkeit,  dass  das,  was  sonst  Religion  und  Poesie 
Besonderes  an  sich  haben,  das  Gefühl  geistiger  persönlicher  Lebendigkeit 
zum  Eins  und  Alles  der  Welt  zu  machen,  Lotze  zum  Ausgangs-  und  Ziel- 
punkt aller  Philosophie  macht.  Dadurch  unterscheidet  er  sich  von  den 
Standpunkten,  welche  Poesie  und  Religion  zwar  schätzen  als  das  Höchste 
in  sich  tragend,  aber  in  einer  inadäquaten  Form,  während  das  Wissen, 
das  sie  selbst  vom  Höchsten  geben,  gerade  die  Lebendigkeit  und  Persön- 
lichkeit entbehrt,  welche  Lotze  dem  Höchsten  zueignen  möchte.    Es  tritt 


Baumann:  Zum  Gedftchtniss  H.  Lotze*s.  621 

aber  in  jenen  AusfĂĽhrungen  auch  die  formelle  EigenthQmlichkeit  hervor, 
um  derenwillen  er  so  bildend  ist  fĂĽr  das  eigene  Denken,  so  anregend  bleibt 
für  Jeden,  der  selbst  untersucht,  dass  er  nämlich  keine  verschwiegenen 
und  versteckten  Voraussetzungen  macht,  sondern  sie  alle  heraussagt,  auch 
wo  er  sich  nicht  mehr  getraut,  sie  denen,  die  sie  etwa  nicht  anerkennen 
möchten,  mindestens  indirect  plausibel  zu  machen.  Es  ist  ja  in  aller  Phi- 
losophie nicht  die  logische  VerknĂĽpfung  die  Hauptsache,  soqdern  die 
letzten  Wahrheiten,  welche  bei  der  systematischen  VerknĂĽpfung  benutzt 
werden.  Diese  letzten,  nicht  mehr  beweisbaren,  d.  h.  nicht  mehr  aus 
anderen  Urtheilen  ableitbaren,  Wahrheiten  sind  es  und  ihre  GĂĽltigkeit  oder 
Nichtgültigkeit,  auf  die  es  ankommt.  Während  nun  diese  letzten  Voraus- 
setzungen bei  manchen  Philosophen  so  tief  verborgen  liegen,  dass  es  oft 
eine  förmliche  Nachgrabung  erfordert  sie  blosszulegen,  rückt  sie  Lotze  stets 
in  das  hellste  Licht  mindestens  des  persönlichen  Bekenntnisses,  und  wo 
er  sie  nicht  stets  anerkannt  findet,  sucht  er  die  eventuellen  Hindernisse, 
die  ihrem  Hervortreten  im  GemĂĽthe  des  Einzelnen  entgegenzustehen  schei- 
nen, zu  beseitigen.  MerkwĂĽrdig  war,  dass  er  eine  Besprechung  von  Prin- 
cipien  im  mĂĽndlichen  Verkehr  gern  abgelehnt  hat  und  zwar,  wie  mir  ver- 
sichert worden  ist,  von  frĂĽh  an.  Vielleicht  war  der  Grund  derselbe,  aus 
dem  wir  ja  Alle  vermeiden,  unsere  religiösen  und  ethischen  innersten 
Empfindungen  zum  Gegenstand  mĂĽndlicher  Unterhaltung  zu  machen;  bei 
ihm  fielen  eben  seine  letzten  metaphysischen  Principien  und  sein  religiöses 
und  ethisch -ästhetisches  Empfinden  unmittelbar  zusammen.  Dieser  so 
irgendwie  zu  Stande  gebrachte  dritte  Band  des  Systems  der  Philosophie 
mĂĽsste  endlich  noch  einen  Anhang  zum  ganzen  Werk  erhalten.  Das  sind 
die  Vorlesungen  ĂĽber  Geschichte  der  neueren  Philosophie,  welche  Lotze 
öfter,  zuletzt  noch  wenige  Semester  vor  seinem  Abscheiden  gehalten  hat. 
Stenographische  Nachschriften  derselben  sind  gewiss  zu  beschaffen.  Es 
hat  ein  hohes  Interesse,  zu  sehen,  wie  ein  grosser  Denker  seine  Vorgänger 
aufgefasst  hat. 

Man  hat  seit  Langem  die  Frage  aufgeworfen,  warum  ein  Mann  wie 
Lotze  keine  Schule  gebildet  habe.  Was  man  damit  meinen  kann,  hängt 
mit  einem  der  grossartigsten  Züge  seiner  Persönlichkeit  zusammen,  wie 
sie  sich  auch  im  Leben  darstellte.  So  lebhaft  Lotze  von  der  Ueberzeu- 
gung  durchdrungen  war,  dass  die  Grundgedanken  seiner  Weltansicht  die 
richtigen  und  zutreffenden  seien,  ebenso  rĂĽckhaltlos  hat  er  stets  bekannt, 
dass  diese  Grundgedanken  mehr  eine  Richtung  der  Forschung  und  der 
philosophischen  Arbeit  böten,  dass  er  aber  selbst  weit  davon  entfernt  sei 
und  es  sogar  für  menschenunmöglich  halte,  ein  eigentliches  geschlossenes 
System  im  frĂĽheren  Sinne  damit  zu  gestalten.  Was  sich  mit  jenen  Grund- 
gedanken thun  liess  nach  ihm,  hat  er  gethan,  er  hat  sein  Leben  lang  an 
einer  immer  kräftigeren  und  packenderen  Ausgestaltung  derselben  gear- 
beitet und  zugleich  immer  von  Neuem  darzulegen  versucht,  dass  diese 
Grundgedanken  durch  die  Fortschritte  der  naturwissenschaftlichen  und  der 
historischen  Wissenschaften  theils  bestätigt  würden,  theils  mit  ihnen,  so 
weit  sie  selber  sicher  seien,  vereinbar  blieben,  ohne  doch  je  zu  verhehlen, 


622  Baumann:  Zum  GMftchtniss  H.  Lotze*s. 

dass  er  Vieles,  was  er  in  Bezug  auf  seine  GrundĂĽberzeugung  wĂĽnsche  lei- 
sten zu  können,  nach  unserer  Kenntniss  der  Welt  nicht  im  Stande  sei, 
wirklich  zu  leisten.  Theilnehmer  an  solcher  stetigen  Arbeit  hat  er  sehr 
gerne  gehabt,  aber  eine  Schule  im  herkömrohchen  Sinne,  welche  immer 
etwas  des  jurare  in  verba  magistri  bedarf,  konnte  er  bei  dieser  Art  nicht 
haben,  denn  eben  die  dazu  erforderlichen  Formulirungen  und  Schematisi- 
rangen  und  das  ganze  Thun,  als  ob  nun  alle  Hauptsachen  fertig  wären, 
verschmähte  er.  Er  konnte  Leute  haben,  welche  sich  dankbar  von  seiner 
Gesammtart  erheben  und  erbauen  Hessen,  —  eine  solche  stille  Gemeinde 
hat  er  seit  dem  Mikrokosmus  in  grosser  Ausdehnung  gehabt  — ,  er  konnte 
Leute  haben,  welche  in  irgend  einer  Weise  von  ihm  angeregt  waren  zu 
eigener  Forschung,  solche  Schule  im  weiteren  Smne  hat  er  gehabt  mit 
oder  ohne  pers^ynliche  Einwirkung.  Er  liebte  aber  auch  da  die  Selbst- 
ständigkeit, er  hatte  gar  nichts  dagegen,  wenn  die  Betreffenden  nicht  alle 
seine  Ansichten  theilten.  So  sehr  war  ihm  dies  Verlangen  f^emd,  dass  er 
Männer,  die  sich  ganz  und  gar  ihm  in  all  seinen  Worten  und  Wendungen 
anschlössen,  sich  zunächst  mit  einer  gewissen  beobachtenden  Verwunde- 
rang  ansah.  Jüngere  Männer  auf  -gut  Glück,  d.  h.  ehe  sie  besonderes 
Talent  gezeigt,  durch  absichtliche  persönliche  Anregung  seinerseits  zu  Phi- 
losophen heranzuziehen,  hat  er  stets  vermieden;  dass  ein  Studirender  im 
siebenten  oder  achten  Semester  unter  fortwährender  Anregung  und  etwa 
vielfach  unter  den  Augen  des  Lehrers  eine  Doctordissertation  im  Sinne 
und  Geiste  dieses  Lehrers  zu  Stande  brächte,  hat  er  für  keine  Bürgschaft 
der  Befähigung  und  erreichten  Tüchtigkeit  zum  selbstständigen  künftigen 
Phüosophiren  gehalten.  Selbst  wenn  sich  Jemand  ihm  näherte  mit  dem 
Wunsche,  Philosoph  zu  werden,  hat  er  ihm  gerathen,  dieses  Bestreben 
mit  einem  Fachstudium  zu  verknĂĽpfen,  wie  er  denn  theoretisches  Philoso- 
phiren ohne  die  Grundlage  einer  soliden  mathematisch -naturwissenschaft- 
lichen Bildung  für  wenig  fhichtverheissend  erachtete,  und  es  höchlich  bil- 
ligte, wenn  man  etwa  Jemand,  der  sich  zur  Beschäftigung  mit  praktischer 
Philosophie  vorbereiten  wollte,  auf  römische  Rechtsgeschichte  mit  Institu- 
tionen, auf  Nationalökonomie  und  Statistik  sammt  Gulturgeschichte  als 
unerlässliche  Fundamentirungen  hinwies.  Sobald  sich  aber  ein  junger 
Mann,  und  wenn  er  noch  Student  war,  etwa  mit  einer  Arbeit  ihm  nahte, 
an  der  er  Kenntnisse  und  Talent  zum  Philosophiren  wahrnahm,  da  hat 
er  sich  dessen  mit  allem  Interesse  angenommen  und  ihn  nicht  aus  den 
Augen  gelassen,  immer  aber  ängstlich  bemüht,  die  selbstständige  EntwidL- 
lung  desselben,  selbst  wenn  er  ihre  Richtung  nicht  ganz  billigte,  seiner- 
seits nicht  zu  stören.  Ein  solcher  Mann  bildet  keine  Schule  im  gewöhn- 
lichen Sinne,  denn  eine  solche  braucht  nicht  bloss  einen  anregenden  Geist, 
sondern  noch  mehr  feststehende  Formeln,  die  sich  leicht  anwenden  lassen, 
und  eine  Manier  der  Arbeit,  die  sich  nicht  allzuschwer  absehen  lässt.  Ein 
solcher  Mann  leistet  aber  viel  mehr  sowohl  fĂĽr  eigentliches  Philosophiren, 
als  fĂĽr  blosse  philosophische  Bildung;  er  gibt  der  letzteren,  was  sie  braucht, 
und  hält  ihr  doch  das  Gefühl  wach,  dass  sie  noch  nicht  selbst  Philosophie 
ist,   der  ersteren  aber  stellt  er  Richtungen  und  Ziele  der  Forschung  in 


Litteraturbericht.  623 

musterhaften  AusfAhrungen  vor  und  weckt  doch  stets  dabei  das  Bewusst- 
sein,  dass  alles  das  noch  immer  fortgesetzte  neue  Arbeit  verlange.  Und 
so  mag  es  denn  ausdrĂĽcklich  gesagt  sein,  was  die  Zeit  immer  mehr  er- 
härten wird:  an  Vielseitigkeit  und  Beweglichkeit  des  Denkens  und  an  gei- 
stig weckender  Kraft  —  selbst  seine  kühnsten  Paradoxien  sind  voll  Scharf- 
sinn und  voller  Poesie  —  erinnert  von  den  deutschen  Philosophen  Lotze 
am  Meisten  an  Leibniz,  der  von  sich  aus  auch  nicht  Schule  gemacht  hat. 
Ob  ich  darum  Lotze  einen  WolfiT  wĂĽnschen  soll,  weiss  ich  nicht;  ich 
giaube,  er  wird  ohne  einen  solchen  eine  reinere  und  tiefere  Nachwir- 
kung haben. 

Göttingen.  Baumann. 

Littentnrberieht. 


Philoftophisohe  Schriften  von  Dr.  Frcmz  Hofftmmn,  o.  Professor  an 
der  Universität  Würzburg  u.  s.  w.  Siebenter  Band.  Erlangen,  A. 
Deichert.    1881.    XVI  u.  .464  S.    8^ 

Auf  eine  denkwĂĽrdige  kulturgeschichtliche  Erscheinung  beziehen  sich 
die  vorliegenden  Abhandlungen.  „SpirituaUstische  Studien**  sind  es,  welche 
in  diesem  siebenten  lehrreichen  Bande  «einer  gesammelten  Schriften  der 
unermĂĽdete  Verfasser  bietet.  Seine  kritische  Forschung  richtet  er  somit 
auf  das  Geisterreich  und  auf  dessen  Manifestationen ;  äusseren  Anlass  gibt 
ihm  die  spiritistische  und  antispiritistische  Literatur.  Zur  WĂĽrdigung  der 
Dinge  aber  findet  er  den  geeigneten  Standpunkt  in  einer  Philosophie,  wie 
sie  vor  anderen  von  Baader  vertreten  worden  ist:  des  letzteren  Lehre 
von  der  inneren  Leiblichkeit,  dann  dessen  Auffassung  des  Verhältnisses 
von  Geistigem  und  Materiellem  sowie  des  Verhältnisses  von  Geist  zu  Geist 
zeigt  sich  dabei  von  besonderer  Tragweite. 

Der  Spiritualismus  im  allgemeinen  Sinne  ist  dem  V.  eine  Weltan- 
schauung, welche  Gott  als  den  absoluten  Geist  erkennt  und  anerkennt; 
besondere  Erfahrungsbeweise  aber  fĂĽr  solche  Weltanschauung  sieht  er  in 
den  Ergebnissen  spiritistischer  Experimente.  Eben  durch  diese  scheint 
ihm  ermittelt  „dass  eine  für  unsere  Sinne  unsichtbare  Region  abgeschie- 
dener Geister,  die  nicht  jeder  Art  von  Leibhchkeit  entkleidet  sind,  exis- 
tirt.**  Er  weiss,  dass  der  SpirituaUsmus  nur  relativen  Werth  haben  kann 
für  den  gläubigen  Christen  und  für  den  theistiscben  Philosophen;  er  be- 
rĂĽcksichtigt auch,  was  die  Gegner  vorzubringen  haben ;  er  verschliesst  das 
Auge  nicht  vor  Ausschreitungen  der  ganzen  Bewegung.  Aber  er  dringt 
auf  wissenschaftliche  Untersuchung  der  spiritistichen  Phänomene  und  auf 
das  Experiment,  ohne  welches  die  Wissenschaft  nicht  vorwärts  komme. 
Am  schärfsten  hat  er  seine  bezügliche  Ansicht  dargelegt  bei  Besprechung 
von  Owen*s  Werk  ĂĽber  das  streitige  Land,  S.  S70  ff,  von  Perty*s  Buch 
ĂĽber  den  jetzigen  Spiritualismus,  S.  278  ff.,  von  Fechner's  Tagesansicht 
gegenĂĽber  der  Nachtansicht,  S.  341  ff. 


624  Bibliographie. 

lu  der  That  sind  die  spiritistischen  Vorkommnisse,  seitdem  herror- 
ragende  Männer  der  Wissenschaft  sich  ihnen  zugewendet  haben,  mehr 
und  mehr  zur  wissenschaftlichen  Angelegenheit  und  zu  einer  harten  Probe 
für  die  Zulänglichkeit  insbesondere  der  neueren  Philosophie  geworden. 
Doch  unabweisbare  Bedenken  erheben  sich  gegen  des  Verfassers  Aufmunte- 
rung zum  spiritistischen  Experimentiren  (cf.  S.  373  n.  0.):  nicht  die  Be- 
denken jener,  welche  von  selbstsĂĽchtiger  Scheu,  aus  ihrem  bisherigen 
Goncept  zu  kommen,  zurĂĽckgehalten  werden;  auch  nicht  jener,  welclien 
die  kirchUche  Autorität  verbietend  in  den  Weg  tritt  (cf.  S.  338),  sondern 
Bedenken  anderer  Art.  Denn  wer  immer  in  Christus  den  Weg,  die  Wahr- 
heit und  das  Leben  gefunden  hat  und  hierdurch  persönlich  mit  Gott  und 
dem  Jenseits  bereits  verbunden  ist,  dĂĽrfte  geringe  Lust  haben,  sich  erst 
durch  andere  Medien  vom  Dasein  eines  Geisterreiches  zu  ĂĽberzeugen,  imd 
möchte  wenig  Verlangen  tragen  nach  einem  Verkehr  mit  Geistern  dunkler 
Herkunft,  welche  nicht  minder  als  ein  irdischer  Priester  und  Prophet  den 
Glauben  fĂĽr  ihre  Mittheilungen  in  Anspruch  nehmen;  die  Theorie  selbst 
aber,  welche  die  spiritistischen  Vorkommnisse  zu  erklären  im  Stande  wäre, 
kann  nicht  lediglich  aus  den  zu  erklärenden  Experimenten  erwachsen, 
sondern  muss  darĂĽber  hinaus  eines  breiteren  Fundamentes  sich  zu  rĂĽhmen 
haben  und  eines  umfassenderen  Princips,  das  nothwendig  durch  andere 
und  höhere  Thatsachen  und  Erfahrungen  gewonnen  ist:  das  vergällt  die 
Freude  am  und  zum  spiritistischen  Experimente  und  stärkt  die  Meinung, 
dass  seine  eigene  DĂĽrftigkeit  den  modernen  Spiritismus  so  wie  allen  frĂĽ- 
heren epidemischen  Geisterspuk  wieder  verschwinden  lässt  vor  der  Morgen- 
röthe  eines  neuen  Tages,  dessen  Anbruch  der  Spiritismus  an  seinem  Theüe 
vielleicht  vorbedeutet  hat. 

Erlangen.  Rabus. 


Ueber  Kant'B  Prineipien  der  Ethik  und  Sohopenhaner's  BenrthelluB^ 
derselben*  Eine  kritische  Studie  von  Dr.  Otto  Lehmann,  Berlin,  Theod. 
Grieben.   1880.  (107  S.)  8*. 

Eine  mit  Klarheit  und  Scharfsinn  verfasste  Monographie,  deren  Stu- 
dium Allen,  die  sich  mit  Kantus  Philosophie  befassen,  dringend  empfohlen 
zu  werden  verdient.  Nachdem  der  Verfasser  im  ersten  Kapitel  den  er- 
kenntniss-theoretischen  Grundgedanken  des  Kantischen  Kriticismus  darge- 
stellt, insbesondere  den  Gegensatz  von  Erkenntnisslehre  und  Psychologie, 
sowie  den  von  innerer  Erfahrung  und  apriorischer  Erkenntniss  bei 
Kant  hervorgehoben,  sodann  die  Auffassung  Schopenhauer's  hinsichtlich 
dieses  kritischen  Grundgedankens  aufgezeigt,  geht  er  im  zweiten  Ka- 
pitel dazu  ĂĽber,  das  rationalistische  Fundament  der  Kantischen  Ethik 
und  Schopenhauer's  Beurtheilung  desselben  darzulegen.  Im  dritten  Kapitel 
bespricht  er  alsdann  das  gegenseitige  Verhältniss  der  beiden  ethiscJien 
Hauptschriften  Kant's,  der  ,  Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten'  und 
der  «Kritik  der  praktischen  Vernunft*,  welches  er  anders  bestimmt  als 
Schopenhauer,   E.  Erdmann,   K.  Fischer  und  H.  Cohen  es  gethan  haben. 


Litteraturbericht.  625 

Den  Hauptunterschied  findet  er  nämlich  darin,  dass  in  der  «Grundlegung**, 
Yon  der  Freiheit  als  der  ratio  essendi  des  moralischen  Gresetzes  ausge- 
gangen, während  in  der  .Kritik  der  pr.  Vem/  von  dem  Bewusstsein  des 
moralischen  Gesetzes  als  der  ratio  cognoscendi  der  transscendentalen  Frei- 
heit aus  auf  diese  geschlossen  werde.  Der  Verfasser  findet  die  letztere 
Auffassung,  welche  im  Allgemeinen  allein  als  die  Kant*sche  gelte,  dem 
Geiste  des  Systems  angemessener,  weil  in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft 
wohl  die  Möglichkeit,  nicht  aber  die  Wirklichkeit  der  transscendentalen 
Freiheit  erwiesen  worden  sei.  Immerhin  erscheinen  als  die  beiden  Grund- 
pfeiler der  Kantischen  Ethik  einmal  der  kategorische  Imperativ,  d.  h.  der 
Begriff  der  blossen  gesetzgebenden  Form,  sodann  die  transscendentale  Frei- 
heit, vermöge  deren  der  Wille  durch  jene  gesetzgebende  Form  bestimmt  werden 
kann.  «Beide  Begriffe*,  sagt  der  Verf.,  «sind  durchaus  gleich  nothwen- 
dig  fflr  das  Bestehen  der  Kant*schen  Ethik.  Ist  auch  nur  einer  von  ihnen 
nichtig,  so  fällt  die  ganze  ethische  Theorie.'  Indem  er  sich  nun  zur  Kritik 
dieser  beiden  Grundbegriffe  wendet,  gelingt  es  ihm  hinsichtlich  des  kate- 
gorischen Imperativs,  die  Unzulänglichkeit  desselben  als  ethischen  Princips 
nachzuweisen,  da  es  als  unmöglich  erscheinen  muss,  aus  dem  blossen 
Begriff  der  Form  allgemeiner  Gesetzmässigkeit  zu  einem  Inhalte  dieser 
Form  zu  gelangen.  Was  ferner  die  transscendentale  Freiheit  betrifft,  so 
glaubt  der  Verf.  dieselbe  deswegen  aufgeben  zu  mĂĽssen,  weil  sie  auf  der 
Voraussetzung  des  Begriffs  vom  Dinge  an  sich  beruhe,  dieser  aber  unhalt- 
bar sei.  Was  nun  der  Verf.  gegen  das  «Ding  an  sich'  sagt^  trifft  nach 
des  Ref.  Ansicht  nicht  den  Kern  der  Sache;  der  Begriff  des  «Dinges  an 
sich*  richtig  verstanden,  ist  keineswegs  so  hinfällig,  wie  der  Verf.  meint, 
und  somit  auch  dem  Begriff  der  transscendentalen  Freiheit  nicht  der  Boden 
entzogen.  Unter  dem  Ding  an  sich  versteht  Kant  im  Gegensatz  zur  Er- 
scheinung die  Wirklichkeit  als  solche,  wie  sie  abgesehen  von  unserer  sub- 
jectiv  bestimmten  Auffassung  als  deren  Voraussetzung  angenommen  wer- 
den muss,  aber  freilich  nicht  erfahren  werden  kann.  Der  Begriff  eines 
Seienden,  das  zwar  nicht  erfahren,  aber  doch  anerkannt  wird,  ist  keines- 
wegs widersprechend.  Die  transscendentale  Freiheit  nun  ist  nicht  Gegen- 
stand der  Erfahrung,  sondern  ein  intelligibles  Factum ;  sie  ist  unser  eignes 
Wesen  und  also  freilich  als  «Ding  an  sich',  d.  h.  ein  aller  Erfahrung  vor- 
ausgehendes Wirkliche  zu  betrachten.  Es  scheint  darum  dem  Referenten 
der  Begriff  der  transscendentalen  Freiheit,  mit  dem  der  des  intelligiblen 
Charakters  (ohne  welchen  als  zu  realisirendes  Lebensideal  es  gar  keine 
Ethik  gibt)  aufs  Engste  zusammenhängt,  durchaus  haltbar  zu  sein.  Wenn 
übrigens  der  Verf.  erklärt,  dass  er  mit  seiner  Kritik  den  eigentlichen 
Grundgedanken  der  Kant*schen  Ethik  vollkommen  unangetastet  bestehen 
lassen  wolle,  den  Gedanken  nämlich,  «dass  die  sittliche  Werthschätzung 
aus  dem  Begriffe  der  Vernunft  oder  des  Bewusstseins  selbst,  als  in  ihm 
unvermeidlich  enthalten,  mĂĽsse  begrĂĽndet  werden,'  so  nimmt  er  doch 
eben  damit  die  gesetzgebende  praktische  Vernunft  in  ihrer  Autonomie  als 
ethisches  Princip  an  und  es  ist  nicht  abzusehen,  wie  er  ohne  intelligible 
Freiheit  diesen  Standpunkt  durchfĂĽhren  will.  Freilich  soll  dabei  auch  von 

PhiloMph.  Monatshefte  1881,  IX  a.  X.  40 


626  Litteraturbericht. 

dem  Ref.  nicht  geleugnet  werden,  dass  die  Lehren  ĂĽber  die  Wirkungs- 
weise der  Freiheit  und  über  ihr  Verhältniss  zum  Menschen  als  Sinnen- 
wesen bei  Kant  ,an  Dunkelheiten  leiden,  die  ganz  aufzuhellen  auch  die 
günstigste  Interpretation  schwerlich  im  Stande  sein  dürfte'*  —  Die  beiden 
letzten  Kapitel  («das  Factum  des  Sittengesetzes  als  Ausgangspunkt  der 
ethischen  Betrachtung"  und  ,der  Begriff  des  absoluten  Sollens  odor  der 
Pflicht  als  in  dem  Factum  des  absoluten  Sittengesetzes  enthalten*)  sind 
wesentlich  gegen  Schopenhauer  gerichtet.  Der  Verf.  zeigt,  was  der  Sinn 
der  Facticität  des  Sittengesetzes  bei  Kant  sei  und  dass  Schopenhauer  diesen 
missverstehe,  wenn  er  behaupte,  dass  Kant  das  Moralgesetz  nicht  als 
eine  Thatsache  des  Bewusstseins  betrachte.  Kant  sieht  den  kategorischen 
Imperativ  allerdings  nicht  als  ein  empirisches  Factum  an,  sondern  im 
Sinne  einer  Thatsache,  die  mit  der  Vernunft  selbst  gegeben,  von  dem  Be- 
grifft des  vernĂĽnftigen  Bewusstseins  untrennbar  ist.  Was  endlich  Schopen- 
hauer's  Einwände  gegen  die  Form  des  Sollens  in  der  Ethik  oder  den  abso- 
luten Pflichtbegriff  betrifft,  hergenommen  von  dem  vermeintlichen  Wider- 
streit einmal  des  Sittengesetzes  mit  dem  Gausalgesetze  der  Motivation,  dann 
zwischen  der  unbedingten  Nothwendigkeit  der  sittlichen  Gesetze  und  der 
doch  geschehenden  Uebertretung  derselben,  so  weist  der  Verf.  nicht  nur 
beide  Instanzen  zurĂĽck,  sondern  legt  auch  dar,  dass  Schopenhauer  den 
Begriff  der  Pflicht  zu  eng  gefasst  und  dass  seine  Polemik  gegen  die  Form 
des  Sollens  in  der  Ethik  ĂĽberhaupt  verfehlt  sei.  In  der  That  kann  Scho- 
penhauer sich  selbst  nicht  enthalten,  das  Sollen  auch  in  seine  Ethik  heim- 
lich wieder  einzufĂĽhren,  indem  er  von  dem  Werthe  und  Unwerthe  der 
Handlungen  redet,  womit  implicite  auch  der  Begriff  des  Sollens  zugestan- 
den ist.  „Denn  in  dem  Begriff  der  Werthschätzung*,  sagt  der  Verfasser, 
«liegt  unmittelbar  enthalten  ein  Streben  nach  Erreicl^ung  des  WerthvoUen, 
also  ein  Wollen,  und  damit  weiterhin  ein  Sollen,  sofern  in  diesem  der 
Wille  in  der  Gonsequenz  seines  Wollens  sich  selbst  ein  bestimmtes  Ver- 
halten vorschreibt.  Jede  Werthschätzung  hat  so  unvermeidlich  &n  Sollen 
zur  Folge,  wie  umgekehrt  jedes  Sollen  eine  Werthschätzung  voraussetzt 
Das  Letztere  zu  verkennen  und  ein  Sollen  zu  statuiren  unter  Abstraction 
von  aller  Werthschätzung,  war  der  Fehler  Kant's.  Schopenhauer  aber  ist 
in  dem  entgegengesetzten  Irrthum  befangen,  dass  es  eine  Werthschätzung 
geben  könne,  ohne  dass  dabei  von  einem  Sollen  die  Rede  sei.*  Ueber  diese 
beiden  letzten  gegen  Kant  und  Schopenhauer  gerichteten  Bemerkungen 
liesse  sich  freilich  nach  des  Ref.  Ansicht  noch  Manches  einwenden.    G.  S. 


Neu  eingegangene  Scbriften. 

Hellenbach,  L.  B.,  Die  neuesten  Kundgebungen  einer  intelligiblen  Welt. 
Schnitze,  Fritz,  Die  Grundgedanken  des  Materialismus  und  die  Kritik 

desselben. 
Hauschild,   G.   R.,    Die  Grundsätze   und  Mittel   der   Wortbildung   bei 

Tertullian.    2.  Beitrag. 
Masci,  Fil.,  Le  forme  deirintuizione. 
Reiff,  Fr.,  Gibt  es  einen  Weltzweck? 


Bibliographie.  627 

Spitzer,  H.,  Ueber  Ursprung  und  Bedeutung  des  Hylozoismus. 

Simonzeili,  Aug.,  L'uomo  ed  il  bruto. 

Drossbacb,  Max,   Ueber  den  Ausgangspunkt   und  die  Grundlage  der 

Philosophie. 
Heman,  G.  F.,  Die  Erscheinung  der  Dinge  in  der  Wahrnehmung. 
Frohschammer,  J.,  Ueber  die  Principien  der  aristotelischen  Philosophie 

und  die  Bedeutung  der  Phantasie  in  derselben. 
Schnitze,  Fr.,  Philosophie  der  Naturwissenschaft. 

Artemidorus  aus  Daldis  Symbolik  der  Träume.   Uebers.  v.  Fr.  S.  Krauss. 
Eucken,  Rud.,  Zur  Erinnerung  an  K.  Gh.  F.  Krause. 
Erdniann,  B.,  Nachträge  zu  Kants  Kritik  der  reinen  Vernunft. 
Wekerle,  Lud.,  Urentstehung  und  Leben  der  Organismen. 
Schultz ky,  6.  M.,  Das  Quadrat  der  Bildung. 
Gaspari,  O.,  Der  Zusammenhang  der  Dinge.    Ges.  philos.  Aufsätze. 
Spitta,  Heinr.,  Die  Willensbestimmungen  und   ihr  Verhältniss  zu   den 

impulsiven  Handlungen. 
V.  Kirchmann,  Die  besondere  Natur  des  öffentlichen  Rechts.   (Vörhandl. 

der  philos.  Gesellschaft  zu  Berlin.    Heft  XIX.) 
Ludewig,  J.,  Geist  und  Stoff. 
Steudel,  A.,  Philosophie  im  Umriss.  9.  Tbl.   Praktische  Fragen,  2.  Abth. 

Kritik  der  Religion,  insb.  d.  christlichen.    Buch  1.  2. 
Ribot,  Th.,  Die  experimentelle  Psychologie  der  Gegenwart  in  Deutsch- 
land.   Autor,  deutsche  Ausgabe. 
Walter,  J.,  Zum  Gedächtniss  Kant's.    Festrede. 
Rivista  di  filosofia  scientifica.    A.  L  n.  1.    Dir.  da  E.  Morselli. 
Hoppe,  J.  S„  Psychologisch-physiologische  Optik. 
Koch,  B.  M.  W.,  Ueber  die  rechte  Gestalt  des  individuellen  Daseins. 
Kr  ei  88,  Theosophie.    Vereinigung  der  Theologie  und  Philosophie. 
Zart,  Einfiuss  der  englischen  Philosophen  seit  Bacon   auf  die  deutsche 

Philos.  des  18.  Jahrb. 
Plumacher,  0.,  Der  Kampf  um's  Unbewusste. 
Busse,  Ad..  De  praesidiis  Aristotelis  poetica  emendandi. 
S  i  m  m  e  1 ,  G  e  o.,  Das  Wesen  der  Materie  nach  Kant's  physischer  Monadologie. 


Bib liographie 

von 

Dr.  F.  Ascherson. 

I.    Zur   Encyclopadie.     Gesammelte  Schriften.     Zeitschriften.     Bibliographie. 

Steudel,  A.,  Philosophie  im  Umriss.  2.  Theil.  Practische  Fragen. 
2.  Abtb.  Kritik  der  Religion,  insbesondere  der  christlichen.  1.  u.  2. 
Buch.  8.  Stuttgart,  Bonz  &  Co.  n.  14  M.  —  Brodbeck,  A.,  Einlei- 
tung in  die  Philosophie.  8.  Tübingen,  Fues.  n.  1  M.  20  Pf .  — -  Dross- 
bach, M.,  ĂĽber  den  Ausgangspunkt  und  die  Grundlage  der  Philosophie. 
8.  Frankfurt  (Leipzig,  Brockhaus'  Sortiment),  n.  2  M.  50  Pf.  —  Jo- 
nas, R.,  Grundzüge  der  philosophischen  Propädeutik.  8.  Berlin,  Gaert- 
ner's  Verlag.  Gart.  n.  40  Pf.  —  Pirmez,  0.,  Heures  de  philosophie. 
12.  5  fr.  —  Müller,  F.  M.,  selected  essays  on  language,  mythology, 
and  religion.  2  vols.  8.  16  s.  —  Gaspari,  0.,  der  Zusammenhang 
der  Dinge.  Gesammelte  philosophische  Aufsätze.  8.  Breslau,  Trewendt. 
n.  8  M.  —  V.  Kirch  mann,  J.  H.,  Zeitfragen  und  Abenteuer.  8.  Leip- 
zig, Weber,  n.  2  M.,  geb.  n.  3  M.  —  Zeitschrift  für  Völkerpsycho- 
logie und  Sprachwissenschaft.  Herausgegeben  von  M.  Lazarus  und  H. 
Steinthal.  13.  Bd.  3.  Heft.  8.  Berlin,  DĂĽmmler's  Verlagsbuchhandl. 
n.  2  M.  40  Pf.  —  Sprechsaal,  der.  Wochenblatt  für  Wissenschaft, 
Philosophie  und  Religion  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Phäno« 


6S8  Bibliographie. 

mene  and  Lehren  des  modernen  Spiritualismus.  Red.  v.  B.  Gyriax. 
1.  Jahrg.  1881/82.  (52  Nrn.)  Nr.  1.  Fol.  Leipzig,  Besser.  Vierteljährl. 
n.  1  M.  50  Pf.  —  Vierteljahrs- Gatalog  aller  in  Deutschland  er- 
schienenen Werke  aus  dem  Gebiete  der  Pädagogik.  Jahrg.  1881.  2.  Heft 
April  bis  Juni.  8.  Leipzig,  Hinrichs^sche  Buchh.,  Yerlags-Gonto.  pro 
10  Exemplare  n.  1  M.  50  Pf. 
II.  Zur  Geschichte  der  Philosophie.  BĂĽdinger,  H.,  Zeit  und  Raum  bei 
dem  indogermanischen  Volke.  8.  Wien,  G.  Gerolds  Sohn  in  €k>mm. 
n.  40  Pf.  —  Zeller,  E.,  A  history  of  Greek  Philosopby.  Translated 
by  S.  F.  Alleyne.  2  vols.  8.  1  1.  10  s.  —  Mayor,  J.  B.,  a  sketch  of 
ancient  philosopby  from  Thaies  to  Gicero.  8.  Gambridge.  (Leipzig, 
Brockhaus'  Sort.)  Geb.  haar  3  M.  60  Pf.  —  Spitzer,  H.,  über  Ur- 
sprung und  Bedeutung  des  Hylozoismus.  Eine  philosophische  Studie.  8. 
Graz,  Leuschner  &  Lubensky.  n.  2  M.  40 Pf.  —  Piatonis  opera  qaae 
feruntur  omnia.  Ad  Codices  denuo  coliatos  ed.  M.  Schanz.  Vol.  V. 
Fase.  1.  Symposion.    8.    Leipzig,  B.  Tauchnitz.    n.  2M.  [S.  ob.  S.  305.] 

—  Plato's  Werke.  38.  u.  39.  Heft.  Gharmides  und  Menon.  Deutsch 
von  W.  Gaupp.  8.  Stuttgart,  Werther.  ä  n.  35  Pf.  —  Platon's 
Staat.  Griechisch  und  deutsch  mit  Anmerkungen.  2  Bde.  8.  Leipzig, 
Engelmann,  k  n.  4  M.  —  Xenophon's  Gastmahl.  Griechisch  und 
deutsch,  herausgegeben  von  G.  F.  Rettig.  8.  Leipzig,  Engelmann. 
2  M.  25  Pf.  —  Aristotle's  Nicomacbean  Ethics.  Translated  by  F.  IL 
Peters.  8.  •  6  s.  —  Aristotle's  Metaphysics.  Book  L  Translated 
into  Englishprose,  with  marginal  analysis  etc.  8.  5  s. —  v. Haupt,  J., 
von  dem  Verhältnisse  der  Dichtung  und  Geschichte  nach  Aristoteles. 
Vortrag.  8.  Wien,  C.  Gerolds  Sohn  in  Gomm.  haar  30  Pf.  —  Gice- 
ro nis  Tusculanarum  disputationum  libri  V.  FĂĽr  den  Schulgebrauch 
erklärt  von  0.  Heine.  1.  u.  2.  Heft.  3.  Aufl.  8.  Leipzig,  Teubner. 
2  M.  70  Pf.  (Heft  1  1 M.  20  Pf..  Heft  2  1  M.  50  Pf.)  —  Reville.  J., 
la  doctrine  de  Logos  dans  le  quatri^me  ^vangile  et  dans  les  oeuvres  de 
Philon.  8.  3  fr.  50.  —  Kanakis,  J.,  Dionysius  der  Areopagite  nach 
seinem  Charakter  als  Philosopl^  dargestellt.  8.  Leipzig,  Lorentz.    n.  1  H. 

—  Justini  pbilosophi  et  martyris  opera  Tomi  3.  pars  2.  Ed.  3.  (Cor- 
pus scriptorum  christianorum  saecuU  secundi.  Ed.  J.  C.  Th.  eques  de 
Otto.  Vol.  5.)  8.  Jena,  Fischer,  n.  8  M.  —  Bach,  J.,  des  Albertus 
Magnus  Verhältniss  zu  der  Erkenntnisslehre  der  Griechen,  Lateiner, 
Araber  und  Juden.  8.  Wien,  Braumüller,  n.  5  M.  —  Bach,  J.,  Fest- 
rede zum  600jährigen  Jubiläum  Albertus  des  Grossen.  4.  Augsburg, 
Literarisches  Institut  von  Dr.  M.  Huttier,  n,  1  M.  —  v.  Brentano,  C, 
Albertus  magnus,  Ordensmann,  Bischof  und  Gelehrter.  12.  MĂĽnchen, 
Kellner's  Verlag,  n.  1  M.  —  Pfeifer,  F.  X.,  harmonische  Beziehun- 
gen zwischen  Scholastik-  und  moderner  Naturwissenschaft  mit  specieller 
RĂĽcksicht  auf  Albertus  Magnus,  St.  Thomas  von  Aquin  etc.  8.  Augs- 
burg, Schmid'sche  Verlagsbuchh.  n.  1  M.  20  Pf.  —  Thomae  Aqui- 
natis  sermones  et  opuscula  concionatioria.  Ed.  A.  J.  B.  Raulx.  4  Tomi. 

8.    Luxemburg,  BrĂĽck,  n.  9  M.  60  Pf. dasselbe.  Ausg.  in  gr.  8. 

2  Tomi.  8.  n.  9  M.  60  Pf.  --  SchĂĽtz.  L.,  Thomas-Lexikon,  das  ist 
Sammlung,  Uebersetzung  und  Erklärung  der  in  den  Werken  des  h.  Tho- 
mas von  Aquin,  insbesondere  in  dessen  beiden  Summen  vorkommenden 
termini  technici.  8.  Paderborn,  F.  Schöningh.  n.  3  M.  80  Pf.  — 
Werner,  K.,  der  Averroismus  in  der  christlich-peripatetischen  Psycho- 
logie des  späteren  Mittelalters.  8.  Wien,  G.  Gerolds  Sohn  in  Comm. 
haar  45  Pf.  —  Bertini,'^3toria  della  filosofia  modema:  lezioni  Parte  la, 
dal  1596  ad  1690.  12.  Torino.  L.  2.  —  L^vy,  A.,  morceaux  cboisis 
de  philosophe  allemandsSmodernes,  pour  la  classe  de  philosophie.  12. 
2  fr.  50.  —  V.  Griegern,  H.  F.,  Johann  Arnos  Gomenius  als  Theolog. 

QEin  Beitrag  zur  Gomenius -Literatur.    8.    Leipzig,  C.  F.  Winter*s  Ver- 


Bibliographie.  629 

lagsbuchh.  n.  6  M.  —  Pfailosophical  Glassics  for  English  Readers. 
Edited  by  W.  Knight.  Butler.  By  W.  Lucas  Gollios.  Fcp.  3  s.  6  d. 
Berkeley.  By  A.  G.  Fräser.  Fcp.  8  s.  6  d.  —  Philosophers,  Eng- 
lish,  Sir  William  Hamilton.  By  W.  H.  S.  Monck.  8.  3  s.  6  d.  — 
Leibniz,  la  Monadologie,  publik  par  Emile  Bontroux;  suivie  d'une 
note  sor  les  prindpes  de  k  mdcanique  dans  Descartes  et  dans  Leibniz, 
par  Henri  Poincar^.  12.  2  fr.  50.  —  Krakauer,  M.,  zur  Geschichte  des 
Spinozismus  in  Deutschland  während  der  I.  Hälfte  des  18.  Jahrb.  8. 
Breslau,  Köhler,  n.  1  M.  —  Zart,  6.,  Einfluss  der  engUschen  Philo- 
sophen seit  Bacon  auf  die  deutsche  Philosophie  des  18.  Jahrhunderts. 
8.  BerHn,  Dflmmler's  Verlagsbuchh.  n.  4M.  —  Gropp,  J.,  Lessing's 
Streit  mit  Hauptpastor  Goeze.  (Deutsche  Zeit-  und  Streitfragen.  Heraus- 
gegeben von  F.  V.  Holtzendorff.  Heft  154.)  8.  Berlin,  Habel.  Sub- 
scriptionspreis  n.  75  Pf.,  Einzelpreis  n.  80  Pf.  —  Findel,  J.  G.,  Les- 
sing's  Ansichten  ĂĽber  die  Freimaurerei.  Eine  Studie  ĂĽber  , Ernst  und 
Falk*.  2.  Aufl.  8.  Leipzig,  Findel.  n.  1  M.  —  KanTs  Kritik  der 
reinen  Vernunft.  Nachträge.  Aus  seinem  Nachlass  herausgegeben  von 
B.  Erdmann.  8.  Kiel,  Lipsius  &  Fischer,  n.  1  M.  —  Kant's  Rede 
„de  medicina  corporis  quae  philosopborum  est*  (Ineditum).  Mitgetheilt 
von  J.  Reicke.  8.  Königsberg,  Beyer's  Buchh.  n.  1  M.  —  Kant, 
Essai  philosophique  sur  la  paix  perpi§tuelle,  avec  une  pr^face  de  Gh.  Le- 
monnier.  8.  1  fr.  —  Walter,  J.,  zum  Gredächtniss  Kant's.  Festrede. 
8.  Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel.  90  Pf.  —  Runze,  M.,  KanVs  Bedeu- 
tung auf  Grund  der  Entwicklungsgeschichte  seiner  Philosophie.  Fest- 
Vortrag.  8.  Berlin,  G.  Duncker's  Verlag,  n.  1  M.  —  Zirngiebl,  E., 
Johannes  Huber.  8.  Gotha,  F.  A.  Perthes,  n.  6  M.  —  Planck,  K.  Gh., 
Testament  eines  Deutschen.  Philosophie  der  Natur  und  der  Menscliheit. 
Herausgegeben  von  K.  Köstlin.  8.  Tübingen,  Fues.  n.  10  M.  —  Um- 
fried,  0.  L.,  Karl  Planck,  dessen  Werke  und  Wirken.  8.  TĂĽbingen, 
Fues.    n.  1  M.  50  Pf. 

III.  Zur  philotopMtchen  Weltanschauung.  Schnitze,  F.,  die  Grundgedanken 
des  Materialismus  und  die  Kritik  derselben.  Ein  Vortrag.  8.  Leipzig, 
E.  Günther's  Verlag,  n.  2  M.  —  Materialism:  ancient  and  modern. 
By  a  late  fellow  of  Trinity  GoUege  Gambridge.  8.  2  s.  —  Wain- 
wright's,  S.,  scientific  sophisms  a  review  of  current  theories  concer- 
ning  atoms  etc.  8.  6  s.  6  d.  —  Plumacher,  0.,  der  Kampf  um*s 
Unbewusste.  8.  Berhn,  G.  Duncker*s  Verlag,  n.  3  M.  —  Schmid, 
U.  R.,  BlĂĽthen  einer  Weltanschauung.  3.  Ausg.  16.  MĂĽnchen,  Th. 
Ackermann,  n.  2  M.  —  Landsberg,  J.,  volksthümliche  Philosophie. 
3.  Heft.  Die  Liebe.  8.  BerUn,  Issleib.  n.  50  Pf.  [S.  ob.  S.  377.]  — 
Bonafede,  G.  0.,  la  veritä  sulla  filosofia  empirica  modema.  Verona. 
8.    L.  5. 

IV.  Zur  Erkennfnlsslehre.    Dec^s,  J.  B.  L.,  Science  et  v^rit^.  8.  7  tt.  50. 

—  Ghiringhello,  6.,  la  critica  scientifica  ed  il  sovrannaturale.  To- 
rino.  4.  L.  8.  —  Bertrand,  A.,  L'Aperception  du  corps  humain  par 
la  conscience.   8.   5  fr.  -—  Gharaux,  Gh.,  de  la  pens^.   12.    3  fr.  50. 

—  Evelin,  F.,  Infini  et  quantitä.  Etüde  sur  le  concept  de  Hnfini  en 
Philosophie  et  dans  les  sciences.  8.  5  fr.  —  Klein,  M.,  die  Genesis 
der  Kategorien  im  Processe  des  Selbstbewusstseins.  8.  Breslau,  Go- 
sohorsky's  Buchh.  n.  1  M.  —  Schramm,  G.,  Leitfaden  der  Logik  und 
der  empirischen  Psychologie.  1.  Heft.  Logik.  8.  Bamberg,  Schmidt*sche 
Buchh.  n.  1  M.  —  Kohn,  B.,  Untersuchungen  über  das Gausalproblem 
auf  dem  Boden  einer  Kritik  der  einschlägigen  Lehren  J.  St.  MilKs.  8. 
Wien,  G.  Gerold's  Sohn  in  Gomm.  n.  3  M.  —  Zimmermann,  R., 
Henry  More  und  die  vier  Dimensionen  des  Raumes,  8,  Wien,  G.  Gre* 
rolds  Sohn  in  Gomm. 


630  Bibliographie. 

V.  Zur  Malaphytik.  Harper,  T.,  the  Hetaphysics  of  the  school.  Vol.  2. 
8.     18  s. 

VI.  Zur  Naturphilosophie.  Schul tze,  F.,  Philosophie  der  Naturwissen- 
schaft. 1.  Theil.  8.  Leipzig,  E.  GQnlher's  Verlag,  n.  8  M.  —  Dar- 
win's,  Gh.,  gesammelte  Werke.  Auswahl  in  6  Bänden.  Lief.  37.  38. 
39.  40.  41.  42.  43.  44.  45.  46.  8.  Stuttgart,  Schweizerbart^sche  Ver- 
lagsbuchh.  k  n.  1  M.  [S.  ob.  S.  506.]  —  Wekerle,  L.,  Urentstehung 
und  Leben  der  Organismen.  8.  Leipzig,  Schlicke,  n.  3  M.  —  Allen, 
Grant,  the  evolutionist  at  large.  8.  6  s  —  Lud  ewig,  J.,  Geist  und 
Stoff.  Erörterungen  und  Betrachtungen  über  die  Souveränetät  der  Materie. 
8.  Iserlohn,  Bädeker.  n.  5  M.  —  Schüler,  W.  F.,  das  Priscip  der 
Erhaltung  der  Kraft  und  die  Planetenbahnen  als  involutorische  Punkt- 
reihen.  8.  Freising,  Datterer^s  Verlag,  haar  1  M.  —  Zöckler,  O., 
Gottes  Zeugen  im  Reich  der  Natur.  Biographien  und  Bekenntnisse 
grosser  Naturforscher  aus  alter  und  neuer  Zeit.  1.  Theil.  8.  GĂĽierslob, 
Bertelsmann,    n.  4  M.  50  Pf. 

VII.  Zur  Ethik,  Culturgetchlchte  und  Rechttphilotophle.  Morlais,  M.,  EtĂĽde 
sur  le  trait4  du  llbre  arbitre  du  Vauvenargues.  8.  4t  tr,  —  Morselli,H^ 
der  Selbstmord.  Ein  Kapitel  aus  der  Moralstatistik.  (Internationale 
wissenschaftliche  Bibliothek  Bd.  50.)  8.  Leipzig,  Brockhaus.  n.  6  M., 
geb.  n.  7  M.  —  Nietzsche,  F.,  Morgenröthe.  Gedanken  über  die  mo- 
ralischen Vorurtheile.  8.  Chemnitz,  Schmeitzner.  n.  10 M.  —  Spen- 
cer, H.,  the  study  of  sociology  lOth  edition.  Gr.  8.  5  s.  (Interna- 
tional scientific  series.)  —  Bommel,  F.,  die  semitischen  Völker  und 
Sprachen.  I.  Die  Semiten  u.  ihre  Bedeutung  fĂĽr  die  Gulturgeschichte.  8. 
Leipzig, 0. Schulze.  n.2M^  —  Buckle,  H.  Th.,  Geschichte  d.  GiTÜisation 
in  England.  Deutsch  v.  A.  RĂĽge.  6.  Aufl.  2  Bde.  in  3  Abtheilungen. 
8.  Leipzig,  G.  F.  Winter,  n.  13  M.  50  Pf.  —  Byk,  S.  A.,  Rechtsphi- 
losophie. Der  letzte  Grund  des  Rechts  und  seine  praktischen  Gonse- 
quenzen  bearbeitet  unter  Berücksichtigung  der  Möglichkeit  ihrer  Ver- 
wirklichung. 8.  Leipzig,  Schäfer,  n.  5  M.  —  Minghetti,  M.,  Staat 
und  Kirche.  8.  Gotha,  F.  A.  Perthes,  n.  6M.  —  v.  Hartman  n,  E., 
die  politischen  Aufgaben  und  Zustände  des  Deutschen  Reiches.  8.  Ber- 
lin, G.  Duncker's  Verlag,    n.  1  M. 

VIII.  Zur  Anihropologle  und  Psychologie.  Tylor,  E.  B.,  Anthropologie:  an 
introduction  to  the  study  of  man  and  civilisation.  Illustrated.  8.  7  s. 
6  d.  —  Ribot,  Th.,  die  experimentelle  Psychologie  der  Gegenwart  in 
Deutschland.  8.  Braunschweig,  Vieweg  und  Sohn.  n.  6M.  —  Spen- 
cer, H.,  the  principles  of  psych  ology.  2  yoIs.  3rd.  edition.  8.  1  1. 
16  s.  —  Edgeworth,  F.  T.,  mathematical  psychics:  an  essay  on  the 
application  of  mathematics  to  moral  science.  8.  7  s.  6  d.  —  Hoppe, 
J.  I.,  psychologisch -physiologische  Optik  in  experimentell  psycho -physi- 
scher Darstellung.  8.  Leipzig,  0.  Wigand.  6  M.  —  Du  Bois-Rey- 
mond,  E.,  ĂĽber  die  Uebung.  Rede.  8.  Berlin,  A.  Hirschwald.  n.lM. 
^  Pf.  —  Spitta,  H.,  die  Willensbestimmungen  und  ihr  Verhältniss  zu 
den  impulsiven  Handlungen.  8.  Tübingen,  Fues.  n.  2  M.  80  Pf.  — 
Ribot,  Th.,  les  maladies  de  la  memoire.     12.    2  fr.  50. 

IX.  Zur  Reliolonsphilosophie.  Löschhorn,  K.,  religionsphilosophische  Stu- 
dien. 8.  Wittenberg,  Zimmermann 'sehe  Buchh.  n.  50  Pf.  —  Kreiss, 
Theophilosophie,  Vereinigung  der  Theologie  und  Philosophie.  1.  Bd.  8. 
Berlin,  Mrose.  n.  6  M.  —  Flügel,  0.,  die  speculative  Theologie  der 
Gegenwart  kritisch  beleuchtet.  8.  Göthen,  Schulze,  n.  6  M.  —  Flü- 
gel, 0.,  die  hebräische  Theologie  der  Gegenwart  kritisch  beleuchtet 
8.  Göthen,  Schulze,  n.  6  M.  —  Steude,  E.,  ein  Problem  der  allge- 
meinen Religionswissenschaft  und  ein  Versuch  seiner  Lösung.  8.  Ldp> 
zig,  J.  Naumann,  n.  2  M.  —  Haupt,  E.,  die  Kirche  und  die  theolo- 
gische Lehrfreiheit.    Kiel,   Horoann.    n.  1  M.  20  Pf.  —  Küchler,  F^ 


Bibliographie.  631 

zur  Freiheit  des  Gewissens.  Eine  religionsphilosophisch-kirchenpolitische 
Studie.  8.  Leipzig,  Lehmann,  n.  5  M.  —  Holsten,  C,  die  prote- 
stantische Kirche  und  die  theologische  Wissenschaft.  54  Thesen.  8. 
Berlin,  Haack.    n.  50  Pf. 

X.  Zir  Spnichphllotoplile.  Abel,  C,  ĂĽber  den  Ursprung  der  Sprache.  2. 
Ausg.    8.    Berlin,  .Liepmannssohn.    n.  1  M.  50  Pf. 

XI.  Znr  AetĂśietik.  Forbes,  A.  W.  H.,  the  science  of  beauty:  an  .analy- 
tical  inquiry  into  the  laws  of  Aestbetics.  8.  6  s.  —  Schasler,  M., 
das  System  der  Künste,  ß.  Leipzig,  Friedrich.  n.6M.  —  Hanslick,  E., 
▼om  Musikalisch -Schönen.  Ein  Beitrag  zur  Revision  der  Aesthetik  der 
Tonkunst.  6.  Aufl.  8.  Leipzig,  Barth,  n.  3  M.  ~  Liszt  F.,  gesam- 
melte Schriften.  3.  Bd.  Dramaturgische  Blätter.  LAbth.  Essays  über 
musikalische  BĂĽhnenwerke  und  BĂĽhnenfragen,  Gomponisten  und  Dar- 
steller. In  das  Deutsche  ĂĽbertragen  voo  L.  Ramann.  8.  Leipzig,  Breit- 
kopf und  Härtel.    n.  4  M.    geb.  n.  5  M.  50  Pf. 

XII.  Zur  Pädagogik.  Vierteljahrs-Katalog  aller  in  Deutschland  erschie- 
nenen Werke  aus  dem  Grebiete  der  Pädagogik.  Jahrg.  1881.  2.  Heft 
April  bis  Juni.  8.  Leipzig,  Hinrichs*sche  Buchh.,  Verlags-Gonto.  pro 
10  Exemplare  n.  3  M.  —  Sammelmappe,  pädagogische.  Heft  49.  8. 
Leipzig,  Siegismund«und  Volkening.  n.  1  M.  20  Pf.  Inhalt:  Rollin  als 
Pädagoge.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Pädagogik  von  6.  Yülcker. 
[S.  ob.  S.  186.]  —  Zehr,  C,  pädagogische  Reden  und  Abhandlungen 
ĂĽber  Volkserziehung  und  Lehrerbildung.  8.  Gotha,  Thienemann.  n. 
3  M.  —  Vires,  J.  L.,  ausgewählte  pädagogische  Schriften.  Uebersetzt 
von  R.  Heine.  Heft  4—6.  (K.  Richter's  pädagogische  Bibliothek.  Heft 
94—%).  8.  Leipzig,  M.  Heise's  Verlag,  ä  n.  50  Pf.  —  Bibliothek, 
pädagogische.  Bd.  1.  8.  Hannover,  Meyer,  n.  4  M.  40  Pf.  Inhalt: 
Lehrbuch  der  Pädagogik  von  J.  Gh.  G.  Schumann.  1.  Tbl.  6.  Aufl. 
—  Hattler,  F.,  Kinderschutz.  Sechs  Schriften  über  Erziehung  vom 
Verfasser  neu  bearbeitet.  12.  Freiburg  i.  B.,  Herder'sche  Verlagshdig., 
n.  IM.  60  Pf.  —  Dictionnairede  p^dagogie  et  d'instruction  primaire. 
publik  sous  la  direction  de  F.  Buisson.  13  S^rie.  2.  Partie.  8.  Paris, 
Hachette.  n.  2  M.  —  Rundschau  über  das  Unterrichtswesen  aller 
Länder.  Herausgegeben  von  M.  Ueberschaer.  Jahrg.  1881.  Heftlu.2. 
8.  Hildburghausen,  Gudon  und  Sohn.  Vierteljährlich  1  M.  50  Pf.  — 
Müller,  B.,  kurzer  Abriss  der  Geschichte  der  Pädagogik.  8.  Cottbus, 
Schauenburg.  n.  60  Pf.  —  Bloch-Gudensberg,  das  Pädagogische 
im  Talmud.  Vortrag.  8.  Halberstadt,  Meyer*s  Verlag.  —  Fön^lon, 
de  rWucation  des  filles.  8.  Paris,  Hachette.  n.  80  Pf.  — Völcker,  G., 
Rollin  als  Pädagoge.  8.  Leipzig,  Siegismund  und  Volkening.  n.  1  M. 
20  Pf. —  Pro hie,  H.,  Friedrich  Ludwig  Jahn*8  Leben.  Neu  bearbeitet 
von  C.  Euler.  Lief.  11.  12. 13.  (Schluss.)  8.  Stuttgart,  Krabbe,  k  n. 
50  Pf.  [S.  ob.  S.  379.]  —  Euler,  C.,  Friedrich  Ludwig  Jahn.  Sein 
Leben  und  Wirken.  8.  Stuttgart,  Krabbe,  n.  6  M.  50  M.  geb.  haar 
n.  7  M.  —  Lazarus,  M.,  Erziehung  und  Geschichte.  Ein  Vortrag.  8. 
Breslau,  Schottlaender.  n.  75Pf.  -  Bode,  A.,  Erziehungsaufgaben  der 
Gegenwart.  Ein  Vortrag.  2.  Ausg.  8.  Neuwied,  Heuser'sche  Verlags- 
buchh.  n.  60  Pf.  —  Kares,  0.,  die  erziehende  Aufgabe  des  Unter- 
richts, mit  besonderer  Beziehung  auf  die  weibliche  Jugend.  8.  Essen, 
Bädeker.  75  Pf.  —  Fr  icke,  F.  W.,  Erziehungs-  und  UnterrichUlehre. 
Lief.  2  u.  3.  8.  Mannheim,  Bensheimer's  Verlag,  an.  IM. —  Wolf f, 
H.,  ĂĽber  das  Seelische  im  Kinde  und  die  dadurch  begrĂĽndete  Nothwen- 
digkeit  einer  grĂĽndlichen  logisch-psychologischen  Durchbildung  des  Leh- 
rers [Erziehers].  Vortrag.  8.  Prag, Tempsky.  n.60Pf.  — Planta, P.C., 
Pädagogik  u.  Schablone.  2.  Aufl.  8.  Chur,  Kellenberger^sche  Buchh.  n, 
80  Pf. 


63S  Recensionen-Veneichniss. 


Becensloiien  -  Terzeiclmlss. 

Althaus,  von  der  UeberzeuguDg.    (Dtsch.  Literaturbl.  IV,  10  y.  Kfibel.) 
Apulei  Madaurensis  opuscula  de  philosopbia  rec.  Goldbadier.  (Jahredier. 

Qb.  d.  Fortschr.  d.  class.  AlterthumswiBs.  1880,  4.  5  v.  M.  Ueinze.) 
Aristoteles'  Ethica  Nicomachea  recogn.  Susemihl.     (Dtsche.  Litoratur- 

Ztg.  32  V.  E.  Heitz.) 
Aub6,   histoire  des   pers^utions   de  T^Iise.    Fronton,  Luden,  Gelse  et 

Philostrate.    (Jahresber.  Ob.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880, 

4.  5  V.  M.  Heinze.) 
Bahnsen,  Aphorismen  zur  Sprachphilosophie.    (L.  G.  43.) 
Bahnsen,  der  Widerspruch  im  Wissen  und  Wesen  der  Welt.    Band  1. 

(L.  G.  34.) 
Baur,  die  Weltanschauung  des  Ghristenthums.    (L.  G.  37.) 
Bernays,  Lucian  und  die  Kyniker.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class. 

Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Bernays,  Phokion.    (Philol.  Wochenschr.  1  v.  Holm.) 
Besser,  L.,  was  ist  Empfindung?    (Dtsche.  Literaturztg.  35  â–Ľ.  Preyer.) 
Bestmann,  qua  ratione  Augustinus  notiones  philosophiae  graecae  ad 

dogmata  anthropologica   describenda  adhibuerit.    (Jahresber.  fib.  d. 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  y.  M.  Heinze.) 
Boetius  comm.  in  Aristotel.  negi  iQ/juirsia^  rec.  Meiser.    (Jahresber.  ĂĽb. 

d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  y.  M.  Heinze.) 
Bresson,  id^es  modernes,  cosmologie,  sociologie.    (La  philosophie  posi- 
tive.   Sept.  Oct.) 
Bullinger,  Aristoteles  und  Professor  Zeller.    (L.  G.  33.) 
Gaspari,  das  Erkenntnissproblem.    (L.  G.  31.) 
Gas  pari,  der  Zusammenhang  der  Dinge.    (Literar.  Merkur  11^  1  v.  Dr. 

H.  Spatzier.) 
G.ellarius,  a  new  analogy  between  revealed  religion  and  the  cause  and 

Constitution  of  nature.    (Academy  492  v.  6.  A.  Simcox.) 
Gotterill,  Peregrinus  Proteus.    (Jahresber.  Ob.  d.  Fortschr.  d.  class.  AI- 

terthumsvnss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Dinter's  ausgewählte  pädagogische  Schriften.    (Dtsche.  Literaturztg.  32 

V,  Bertram.) 
Dupuis,  )e  nombre  g^ometrique  de  Piaton.  (Revue  crit.  28  v.  J.  L.  Hdberg.) 
V.  Engel  bar  dt,  M.,  das  Ghristenthum  Justin  des  Märtyrers.    (Jahresber. 

Ob.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Er  d  mann,   Nachträge  zu  Kant's  Kritik  der  reinen  Vernunft.    (Literar. 

Merkur  2,  2  v.  Dr.  H.  Spatzier.) 
Ewald,  P.,  der  Einfluss  der  stoisch -ciceronischen  Moral  auf  die  Darstel- 
lung der  Ethik  bei  Ambrosius.    (L.  G.  34.) 
Flegel,  A.,  GĂĽnther's  Dualismus  von  Geist  und  Natur.    (L.  G.  35.) 
Fischer,  E.,   Learing  als   Reformator   der  deutschen  Literatur.    1. 1 

(L.  G.  32.) 
Fragmenta  philosophorum  Graecorum.    Ed.  Mullach.    Vol.  HL    (Dtsche. 

Literaturztg.  36  v.  E.  Heitz.) 
Francke,  die  Psychologie  und  Erkenntnisslehre  des  Amobius.    (Jahres- 
ber. ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4. 5  v.  M.  Heime.) 
Frantz,  G.,  Schelling^s  positive  Philosophie.    (L.  G.  32.) 
Fritschel,  Methodius  von  Olympia  und  seine  Philosophie.    (Jahresber. 

ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Fr  enden  thal,  hellenistische  Studien.    3.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d. 

class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Frohschammer,  ĂĽber  die  Principien  der  Aristotelischen  Philosophie  u. 

die  Bedeutung  der  Phantasie  in  derselben.    (Voss.  Ztg.  397.) 


Recemdonen-Veneiehiiifls.  633 

Gaertner,  Neopythagoreorum  de  beata  Tita  etc.    (Jahresber.   d.   class. 

Alterthumswiss.  1880,  6.  7  v.  M.  Heinze.) 
Gaufrös,  Claude  Baduel  et  la  reforme  des  ^tudes  au  Beize  si^e.   (Dtsch. 

Literaturztg.  138  v.  E.  Laas;  La  philosophie  positive.   Sept.  bis  Oct.) 
Girard,  philosophie  scientifique.    (Ausland  35.  36  v.  ÂŁ.  Oelsner.) 
Goebel,   BegrĂĽndung  der   Skepsis  des  Aenesidemus.    (Jahresber.  ĂĽb.  d. 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  6.  7  v.  M.  Heinze.) 
Grasberger,  Erziehung  und  Unterricht  im  classischen  Alterthmn.   Bd. 3. 

(Revue  crit.  34  v.  R.  Lallier.) 
Gtttberlet,  die  Psychologie.    (Dtsche.  Literaturztg.  31  v.  H.  Spitta.) 
Harnoch,  de  Philonis  ludaei  Xoyw  inquisitio.   (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Hart  mann,  E.  v.,  zur  Geschichte  des  Pessimismus.    (L.  G.  32.) 
Hartmann,  E.  v.,  die  Krisis  des  Christenthums  in  der  modernen  Theo- 
logie.   (L.  G.  38.) 
Haa Schild,  die  rationelle  Psychologie.    (Dtsche.  Literaturztg.  37  v.  R, 

Eucken;  Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880. 

4.  5  V.  M.  Heinze.) 

Haym,  Herder.    (Literar.  Merkur  H,  1  v.  L.  B.) 

Hellen bach,   aus  dem  Tagebuche  eines  Philosophen.    (Gegenw.  36    v 

W.  Bolin.) 
H eilen bach,  die  Vorurtheile  der  Menschheit.    (Gegenw.  36  v.  W.  Bolin.) 

Henne-Am-Rhyn,  das  Jenseits.  (Dtsche.  Literaturztg.  37  v.  0.  Pfleiderer .) 

Herbst,  G.,  Kant  als  Naturforscher,  Philosoph  und  Mensch.    (L.  G.  33.) 

Höffding,  die  Grundlage  der  humanen  Ethik.  (Yierteljschr.  f.  wiss.  Philos. 

5,  3  V.  G.  V.  Gizycki. 

Hoffmann,  H.,  die  Erziehung  zur  Production.    (L.  G.  32.) 

Kehr,  Geschichte  der  Methodik  des  dtsch.  Yolksschulunterrichtes.    Bd.  3. 

(L.  C.  36.) 
Kettner,   Cornelius  Labeo.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alter- 
thumswiss. 1880,  4.  5  V.  M.  Heinze.) 
Kl  äsen,  die  alttestamentliche  Weisheit  und  der  Logos  der  jüdisch-alexan- 
drinischen  Philosophie.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alter- 
thumswiss. 1880,  4,  5  V.  M.  Heinze.) 
Knoodt,  A.  GĂĽnther.    (L.  C.  38.) 
Koch,  A.,  die  Psychologie  Descartes.    (L.  G.  35.) 
Koffmane,  G.,  de  Mario  Victorino  philosopho  Christiano.    (Jahresber.  ĂĽb. 

d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Lasker,  Wege  und  ZieYe  der  Cnlturentwickelung.    (L.  C.  38.) 
Lazarus,  Erziehung  und  Geschichte.    (Voss.  Ztg.,  Sonntagsbeil.  34.) 
Lehmann,  B.,  Grundlinien  der  sittl.  Weltordnuug.    (Im  neuen  Reich  30.) 
Loeschke,  G.,   de  Augustino  plotinizante.    (Deutsche  Literaturztg.  30  v. 

H.  F.  MĂĽller.) 
Lucius,  die  Therapeuten  und  ihre  Stellung  in  der  Geschichte  der  Askese. 
(Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.   1880,  4.  5  v. 
M.  Heinze.) 
Mendelssohn,  H.,  Schriften  zur  Philosophie.    (L.  C.  29.) 
Merk,  Clemens  Alexandrinus  in  seiner  Abhängigkeit  von  der  griechischen 
Philosophie.    (Jahresber.    ĂĽb.  d.  Fortschr.   d.   class.  Alterthumswiss. 
1880,  4.  5  V.  M.  Heinze.) 
Michel  et,  das  System  der  Philosophie  4,  2.    (L.  C.  34.) 
MĂĽUer-StrĂĽbing,  Jd-nvaitoy  nohrela,    (Revue  crit.  40.) 
MĂĽller,  G.  C,  de  arte  critica  CebetLs  tabulae  adhibenda.  (Jahresber.  ĂĽb. 

d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  6.  7  v.  M.  Heinze.) 
Naville,  Julien  TApostat.    (Jahresber.  ĂĽb.   d.  Fortschr.   d.  class.  Alter- 
thumswiss. 1880,  4.  5  V.  M.  Heinze.) 


634  Recensionen  -  Verzeicfaniss. 

Noble,  die  Staatslehre  Platon's.    (Gott.  gel.  Anz.  1881,  32.  33  v.  E.  Al- 

berti;  L.  C.  39.) 
Ostermann,  W.,  die Grundlehren  der  pädagogischen  Psychologie.  (Jahrb. 

f.  Pbilol.  u.  Pädagogik  8.  9  v.  W.  Gercken.) 
Pabst,  Vorlesungen  Ober  Lessing's  Nathan.    (Gegenw.  34.) 
Perty,  die  sichĂĽ>are  und  unsichtbare  Welt.    (L.  G.  35;  Literar.  Merkur 

II,  1  V.  ÂŁ.  Schlack.) 
Pf  leider  er,  E.,    fCan  tischer  Kriticismus  und  englische  Philosophie.     (Im 

neuen  Reich  31.) 
Die  Pbilonische  Schrift  von  der  Unzerstörbarkeit  des  Weltalls  von  J.  Ber- 

nays.  (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5 

V.  M.  Heinze.) 
Piatonis  Timaeus  interprete  Ghalcidio  ed.  Wrobel.    (Jahresber.  Gb.  d. 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Plotini  Enneades  rec.  H.  F.  MĂĽller.    Vol.  I.  II.    (Dtsche.  Literatorztg.  36 

V.  R.  Volkmann;  Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss. 

1880,  4.  5  Y.  M.  Heinze.) 
Plotin,  ĂĽbersetzt  v.  H.  F.  MĂĽller.    Bd.  1,S.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr. 

d.  dass.  Alterthumswiss.  1880.  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Polzer,  die  Philosophen  im  2.  Jahrb.  nach  Christus.    (Jahresber.  ĂĽb.  d. 

Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Prietzel,  BoSthius  und  seine  Stellung  zum  Ghristenthum.    (Jahresber.  ĂĽk 

d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Rappold,  unser  Gymnasium.    (Zeitschr.  f.  ĂĽsterr.  Gymnasien  7  v.  Fuss.) 
Reeb,  ĂĽber  die  Grundlagen  des  Sittlichen  nach  Cicero   und  Ambrosius. 

(Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v. 

M.  Heinze.) 
V.  Reichen  au,  die  monistische  Philosophie  von  Spinoza  bis  auf  unsere 

Tage.    (Ausland  36.) 
Reis  mann,  zur  Aesthetik  der  Tonkunst.    (Neue  Berl.  Musikztg.  36.) 
Reuter,  W.,  Lessing*s  Erziehimg  des  Menschengeschlechts.    (Dtsche.  Lite- 

raturztg.  35  v.  G.  Class.) 
R^ville,  le  Logos  d*aprös  Philon  d'Alexandrie.  (Jahresber.  üb.  d.  Fortschr. 

d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Ritter,  B.,  Philo  und  die  Halacha.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class. 

Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Rohdich,   de  Maxime  Tyrio  theologo.    (Jsihresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d. 

class.  Alterthumswiss.  1880,  4.  5  v.  M.  Heinze.) 
Rümelin,   Reden   und   Aufsätze.     (Im   neuen  Reich   31    v.   W.   Lang: 

Gegenw.  34.) 
Schneidevin,   Lichtstrahlen  aus  E.  v.  Hartmann's  Werken.    (Im  neuen 

Reich  31  v.  E.  Z.;  Literar.  Merkur  II,  1  v.  S.  B.) 
Sehr  ad  er,  Verfassung  der  höheren  Schulen.    (Dtsches.  Literaturbl.  IV;  10 

V,  KĂĽbel.) 
Sextus  Empiricus  Pyrrhoneische  GrundzĂĽge  ĂĽbersetzt  von  Pappenheim. 

(Jahresber.  iU).  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss.  1880,  6.  7.  r. 

M.  Heinze.) 
Sigwart,  Logik.    (Dtsche.  Literaturztg.  34  v.  D.) 
Spiess,  Erhard  Weigel.    (L.  C.  32.) 

Spitta,  H.,  die  Willensbestimmimgen  und  ihr  Verhältniss  zu  den  impul- 
siven Handlungen.    (Vierteljschr.  f.  wiss.  Philos.  5.  3.) 
Stein thal,   Abriss  der   Sprachwissenschaft.    (Deutsche  Literaturztg.  36 

V.  E.  Heitz.) 
Sully,  Illusion,  a  Psychological  study.    (Academy  483  v.  Grant  Allen.) 
Teich mĂĽller,  Ueber  die  Unsterblichkeit  der  Seele.    (N.  Ant  Ann.  XV 

vol.  25  fasc.  11  V.  Bonghi.) 
Turmairs,  Kleinere  historische  u.  phil.  Schriften.    (L.  G.  13  u.  35.) 


Aus  Zeitschriften.  635 

Yaihinger,  Gommentar  zu  Kant*s   Kritik   der   reinen  Vernunft.     (Alt- 

preuss.  Monatsschr.  N.  F.  18,  5.  6  y.  Bahnsen.) 
Vignoli,  Mythus  und  Wissenschaft.    (Gegen w.  35.  v.  Garns  Sterne.) 
Vi  scher.  Altes  und  Neues.    2.  Heft.    (Im  neuen  Reich  35  I.    Dtsche. 

Literaturztg.  38  â–Ľ.  ÂŁ.  Zeller.) 
B.  A.  Wagner,  Lessing- Forschungen.     (Dtsche.  Literaturztg.  35  v.  Er. 

Schmidt«) 
Waldeck,  Grundzüge  der  wissenschaftlichen  Pädagogik  und  das  akade- 
mische Seminar.    (Dtsche.  Literaturztg.  33  v.  Bertram.) 
Weidmann,   Studies  in  the  theory  of  Descent.     (Academy  487  v.  Grant 

Allen.) 
Westerhurg,  Der  Ursprung  der  Sage,  dass  Seneca  Christ  gewesen  sei. 

(Revue  crit.  29.) 
Windelband,  Geschichte  der  neueren  Philosophie.    Bd.  2.    (L.  G.  33.) 
St.  Wolf,  Hypatia.    (Jahresber.  ĂĽb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswiss. 

1880,  4,  5  V.  Th.  Heinze.) 
Xenophontis  q.  f.  de  republica  Atheniensium  ed.  Kirchhoff  ed.  altera. 

(Revue  crit.  40.) 
Xenophon,  La  r^publique  d' Ă„thanes  ed.  ÂŁ.  Belot.    (Revue  crit.  40.) 


Ans  Zeitschriften. 

Zeitschrift  fOr  Plillotoplilo  und  piiiiotopfiisclie  Kritik.  GegrĂĽndet  von 
J.  H.  V.  Fichte,  redigirt  von  Herrn,  ĂĽlrici.  Halle.  Bd.  79.  Heft  2. 
Dr.  Th.  Weber,  Zur  Kritik  der  Kantischen  Erkenntnisstheorie.  —  Dr. 
Wilhelm  Wieg  and,  Aehrenlese  der  Kritik  und  Erklärung  der  drei 
BĂĽcher  Gicero*s  de  natura  deorum,  nebst  einem  Nachwort  ĂĽber  dessen 
Verdienste  um  die  Philosophie  überhaupt.  —  Dr.  E.  Dreher,  Freiheit 
und  Nothwendigkeit.  —  Dr.  P.  Natorp,  Ueber  das  Verhfiltniss  des  theo- 
retischen und  praktischen  Erkennens  zur  BegrĂĽndung  einer  nichtempi- 
rischen Realität  u.  s.  w.  —  Prof.  Dr.  G.  Caspar i,  Ueber  Nothwendigkeit 
im  Sein  gegenüber  der  Denknothwendigkeit.  —  H.  Ulrici,  Nachschrift.  — 
Recensionen:  Dr.  Th.  Achelis,  Idealistische  Differenzen.  —  A.  Wernicke, 
Die  Religion  des  Gewissens  als  Zukunftsideal.  —  H.  Ulrici,  Dr.  F.  W. 
Harnisch,  Das  Leiden,  beurtheilt  vom  theistischen  Standpunkt.  —  Dr. 
V.  Knauer,  Dr.  A.  Borschke,  Lehrbuch  der  empirischen  Psychologie. — 
Dr.  A.  Borschke,  Dr.  A.  Koch,  Die  Psychologie  Descartes.  —  Dr.  M. 
Runze,  Kant's  Bedeutung  auf  Grund  der  Entwickelungsgeschichte  seiner 
Philosophie.  —  Notiz.  —  Bibliographie. 

Vierteljalirschrlft  ffDr  wlttentcliaftliclie  Pliilotopliie.  Herausg.  v.  R.  Ave- 
narius.  Jahrg.  V.  Heft  4.  Schmitz- Dumont,  Die  Kategorien  des 
Begriffs  und  das  Gongruenzenaxiom.  1.  Art.  —  H.  Jäger.  Das  Princip 
des  kleinsten  Kraftmasses  in  der  Aesthetik.  —  E.  Laas,  Vergeltung  und 
Zurechnung.  3.  Art.  —  Anzeigen:  H.  Guy  au,  1.  Les  Utilitaires.  2.  La 
MoraleAnglaise  contemporainevonG.v.  Gizycki.  —  J.  Stuart  Mill,  Ges. 
Werke.  Bd.  12  von  F.  Paulsen.  —  P.  Radestock,  Schlaf  und  Traum 
von  £.  Kraepelin.  Selbstanzeigen.  —  Philosophische  Zeitschriften.  — 
Bibliographische  BCittheilungen. 

Mind.  A  quarterly  review  of  psychology  and  philosophy.  London. 
Williams  and  Norgate.  Nro.  XXIV  October  1881.  Grant  Allen,  Sight 
and  Smell  in  Vertebrates.  —  C.  F.  Keary,  The  Homerik  Words  for  Soul. 
—  Carveth  Read,  C.  H.  Lewes's  Postumous  Volumes.  —  T.  Whit- 
taker,  ,Mind-stuff*  from  the  Historical  Point  of  View.  —  Andrew 
Seth,  Hegel:  an  Exposition  and  Griticism.  —  Notes  and  Discussions.  — 
Gritical  Notices.  ~  New  Books.  —  Miscellaneous. 


696  AuB  Zettaduriften. 

The  lOHrnal  of  tpeculatlve  Pbllotopliy.  Ed.  by  W.  T.  Harris.  1881. 
April.  Vol.  XV.  Nro.  2.  The  Editor,  Thou^hs  on  the  Basis  of  Agnos- 
ticism.  —  A.  Arnold,  The  Unification  of  Science.  —  F.  Louis  Soldan, 
Hegel  on  the  Absolute  Religion  (Tr.).  —  Ella  S.  Morgan,  ScheUing  on 
the  Science  of  the  Fine  Art  (Tr.).  —  Marion  Talbot,  Dr.  Preyer  on 
Psychogenesis  (Tr.).  —  Notes  and  Discussions.  —  Book  Notioes. 

Revue  phllotopMqiie  ile  la  Fran€e  et  de  TEtranger.  Dir.  par  Th.  Ribot 
Paris,  6.  Bailliöre  et  Co.  1881.  Nro.  9.  Herbert  Spencer,  Les  corps 
repr^sentatifs.  —  6.  Tarde.  La  Psychologie  en  äconomie  politiqne.  — 
B^nard,  La  throne  du  comiqne  dans  Testh^tique  allemande.  —  Analyses 
et  comptes  rendus:  P.  Miloslawski,  Tipy  sovremenoi  filosofskoi  mysli 
T  Germanyi.  —  Benno  Erdmann,  Kant's  Kriticismus:  eine  historische 
Untersuchung  (fin).  —  J.  Tissot,  Essai  de  Philosophie  naturelle.  —  Revue 
des  p^riodiques  ^trangers:  Zeitschrift  fĂĽr  Philosophie  und  philosophische 
Kritik.  —  Nr.  10.  E.  Rehnisch ,  Hermann  Lotze,  sa  vie  et  ses  ^rits.  —  A.  Fon- 
ill^e,  Gritique  de  la  morale  de  Kant  (fin).  —  Herbert  Spencer,  La 
soci^t^  militaire.  —  6.  Tarde,  La  psychoIogie  en  ^conomie  politique  (fin). 

—  Notes  et  discussions:  Sur  la  nature  du  syllogisme,  par  L.  Arr^at.  — 
Analyses  et  comptes  rendus:  Alexis  Bertrand,  L'aperception  du  corps 
humain  par  la  conscience.  —  Dr.  Gustave  Le  Bon,  L*homme  et  les 
soci^t^s,  leurs  origines  et  leur  histoire.  — -  James  Sully,  On  iUusions,  a 
psychological  study.  —  Revue  des  p^riodiques  ^trangers:  Philosophische 
Monatshefte.  —  Nr.  11.  V.  Brochard,  La  Logique  de  J.  Stuart  Mill.  —  Her- 
bert Spencer,  La  soci6t§  industrielle  (demier  article).  —  Notes  et  dis- 
cussions: J.  Delboeuf,  Le  sentiment  de  refiort,  d'apr^  W.  James.  — 
Analyses  et  comptes  rendus:  Dr.  Paul  Jacoby,  ÂŁtudes  sur  la  s^lection 
dans  ses  rapports  avec  Th^r^itö  chez  Thomme.  —  Enrico  Ferri,  I  nuovi 
orizzonti  del  diritto  e  della  procedura  penale.  —  F.  L.  Edgeworth,  Ma- 
thematical  psychics.  —  Notices  bibliographiques:  Roisel,  La  substance. 

—  Jules  Rig,  La  Philosophie  positive  d'Auguste  Gomte.  -~  L*abb^  M. 
Morlais,  Etüde  sur  le  Trait6  du  libre  arbitre  de  Vauvenargues.  —  Dr. 
Dec^s,  Science  et  v^ritö.  —  Gh.  Henry,  Galil^,  Torriceili,  Cavalieri, 
Gastelli.  —  Gh.  Guissard,  Documents  in^ts  sur  Ab^lard.  —  Dr.  Fer- 
dinand Weber,  System  des  altsynagogalen  Theologie.  —  Enrique  Jose 
Varona:  Gonferencias  filosoficas.  —  Valenti  y  Vivo,  La  biologia  en 
la  Legislacion.  —  Revue  des  p^riodiques:  Brain,  A  Journal  of  neurologj, 

—  L*Enc^phale.  —  Archives  de  Physiologie  normale  et  pathologique.  — 
La  Gritique  philosophique.  —  La  Gritique  religieuse.  —  La  phOosophie 
positive.  —  Revue  de  T  histoire  des  religions,  etc.  etc. 

La  liloeolla.  delle  scuole  Italiane,  rivista  bimestrale  diretta  da  E.  Mia- 
miani  e.  L.  Ferri.  Roma.  Vol.  XXHI,  3a.  Terenzio  Mamiani,  Intomo 
alla  Sintesi  ultima  del  Sapere  e  dell  'Essere,  seconda  lettera  al  prof.  Ber- 
tinaria. —  T.  Tocco,  Filosofia  di  Kant,  Fenomeni  eNoumeni.  —  6.  Zac- 
cante,   Del  metodo  di  filosofare  di  Socrate.  —  Bibliografia:  1)  6.  Garle. 

—  2)  R.  Adamson.  —  3)  Th.  Ribot.  —  4)  F.  Masci.  —  5)  £.  Bonatelli. 

—  6)  Domenico  Berti.  —  7)  G.  B.  Borco.  —  Notizie.  —  Periodid  di 
Filosofia.  —  Recenti  pubblicazioni.  —  Indice  del  volume. 


Druck  vod  P.  Nensser  in  BoniL 


Anzeigen.  687 

Soeben  erschien: 


•  • 


der 

HISTORISCHEN  ENTWICKLUNG 

aus  den  ĂĽbereinstimmenden 

Prinoipien  der  Philosophie  A.  Sohopenhauer's  und  der 
naturwissensohaftliohen  Empirie 

abgeleitet  ron 

Theodor  Stieglitz. 

gr.  80.     8  Bogen.  —  Preis  fl.  l.— .=  Mark  2.— 

Der  Verfasser  dieser  geschichts  -  philosophischen  Abhandlung  yersncht 
anf  einem  bisher  noch  nicht  eingeschlagenen  Wege  das  Problem  der  Noth- 
wendigkeit  der  geschichtlichen  Entwicklang  zu  lösen  nnd  deren  Ursachen, 
Verlauf  und  Ziel  zu  bestimmen.  An  der  Hand  der  von  ihm  zunächst  nach- 
gewiesenen übereinstimmenden  Grundsätze  der  naturwissenschaftlichen  Empirie 
und  der  Philosophie  Schopenhauer's  und  auf  Grund  der  aus  denselben  hervor- 
gehenden Ursachen  der  historischen  Bewegung  zeigt  er  den  cansalen  Zusanmien- 
hang  zwischen  den  einzelnen  Stadien  der  Culturentwicklung  und  der  Bildung 
immer  höherer  gesellschaftlicher  Sphaeren,  entwickelt  die  Principien  der 
letzteren  und  leitet  schliesslich  daraus  das  Ziel  der  Entwicklung  ab. 


Ferner: 

PER  ASPEBA  AD  ASTBA 

von 

gr.  8^  11  Bogen.  —  Preis  fl.  1.—  =  Mark  2.—. 

Der  Verfasser,  der  seine  philosophische  Dissertation  mit  BruchstĂĽcken 
aus  dem  Tao-te-King  Laotse's  einleitet,  stellt  sich  zur  Aufgabe,  zu  unter- 
suchen, ob  jeder  Mensch  die  Freiheit  hat  ,|Frei  zu  sein  von  Zweifeln  und 
von  Jammer **.  Nach  einer  geistvollen  Resnmirnng  der  hervorragendsten 
philosophischen  Systeme  aller  Zeiten,  gelangt  der  Verfasser  zum  Schlnss- 
resnltate,  dass  nicht  nur  die  Moral,  die  Methaphysik  und  die  Ethik,  sondern 
auch  die  Philosophie  bei  Beantwortung  gewisser  Fragen  den  Glauben  zu 
HĂĽlfe  nehmen  muss. 

Verlag  von  Friedrich  Beck  in  Wien. 


Akademische  Verlagsbuclihandllang  von  J.  G.  B.  Hohr  (Paal  Siebeck) 

in  Freibarg  i/B.  und  TĂĽbingen. 

Soeben  erschien  —  zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung: 

G^esehiehte  der  griechischen  Philosophie  von 

Dr.  A.  SCH WEGLER,  herausgegeben  von  Dr.  Karl  Kösilin,  Pro- 
fessor in  TĂĽbingen.  Dritte  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 
Gr.  8.  (IV.  462  Seiten.)  br.  6  M.